Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Fünftes Kapitel

Der Baron erzählt von den vortrefflichen Einrichtungen einer Quarantaine-Anstalt, wie man daselbst Whist spielt, und berichtet von Kampf und Sieg

Der Thee war in der That ausgezeichnet, und der Baron, nachdem er in die Tasse nur eine Thräne Rahm geträufelt, schlürfte sie aus, schob sie auf den Tisch, nahm eine neue Cigarre und fuhr in seiner Erzählung fort: »Natürlicher Weise hatte die medicinische Behandlung, welche uns der Quarantäne-Arzt angedeihen ließ, einen überraschend schnellen und günstigen Erfolg. Schon am zweiten Tage verschwanden meine Schmerzen und hustete der Major auffallend weniger. Es versteht sich von selbst, daß der Doctor hierüber außerordentlich vergnügt war, daß wir ihn durch die Verehrung, welche wir ihm bezeugten, unauflöslich an uns ketteten, und daß es Niemanden gab, der eifriger und zuversichtlicher über den hohen Grad unserer Vergiftung sprach, als dieser vortreffliche Arzt. In wenigen Tagen verließen wir unsere Zimmer und begaben uns sogleich nach dem vorhin erwähnten Kugelgarten; wir hofften auf das Glück, vielleicht die beiden jungen Damen sehen zu können, hielten es aber auch für unsere Schuldigkeit, unsere Umgebung, unser Gefängniß, die Mauern und Geräthe, die uns von der englischen Familie trennten, zu untersuchen.

Der alte General hatte uns gegenüber seine Wohnung gut gewählt. Zu unserem Kugelgarten mußten wir aus dem ersten Stock der Wohnung noch ein paar Treppen hinaufsteigen, denn er lag auf der Höhe des Walles, während Sir Robert aus dem Parterre der seinigen einige zwanzig Stufen hinab stieg, um auf den Grund des Grabens zu gelangen, wo ihm zu lustwandeln vergönnt war. Ihr seht demnach, daß wir durch eine recht solide Mauer getrennt waren. Zwanzig Stufen für ihn abwärts, zehn für uns aufwärts bilden eine recht anständige Entfernung.

Uebrigens hatten wir schon das Glück, bei unserem ersten Spaziergange die beiden jungen Damen sehen zu können. Ja, ich muß gestehen, daß sie uns mit unverhohlenen Ausrufen der Freude empfingen. Doch war unser Standpunkt, hoch oben, gar schlecht geeignet, um eine Unterredung zu führen. Das sahen wir denn auch ein und begnügten uns mit den allergewöhnlichsten Fragen und Antworten. Auf einen Augenblick stieg auch Sir Robert in den Graben hinab und rieb sich vergnügt die Hände, als er die Entfernung zwischen uns betrachtete. Hier brauchte er seine Töchter nicht zu bewachen; denn außer der hohen Mauer, die dieses Geschäft übernahm, befand sich zum Ueberflusse auch noch der Quarantaine-Wächter da, der mit seinem langen Stock hinter den jungen Damen auf und ab spazierte.

Es war uns vor allen Dingen darum zu thun, ein wenig näher zu den beiden Mädchen zu kommen, um ein wichtiges Gespräch, dessen wir für unsere Zukunft so sehr bedurften, mit ihnen führen zu können. Ich nahm unseren Wächter auf die Seite, zeigte ihm eine Guinee und bat ihn um Auskunft, wie es möglich sei, in jenen Graben hinab zu steigen, um ein paar Worte mit den Damen zu plaudern. Der Wächter, ein kluger Malteser, der die Sache augenblicklich durchschaute, lächelte und meinte, er handle nicht gegen die Quarantaine-Vorschrift, wenn er uns in dem Kugelgarten eine Fallthüre zeige, die aus eine Treppe gehe und in den unteren Graben führe. ›Es versteht sich von selbst‹ setzte er hinzu, ›daß Sie unten eine starke verschlossene Gitterthüre finden werden und daß ich Sie bitte, nicht den Versuch zu machen, durch irgend etwas mit den beiden Damen in Berührung zu treten. – Ich will meinen Kameraden da unten von Ihrer Absicht in Kenntniß setzen, und wenn ... ich drückte ihm augenblicklich eine andere Guinee in die Hand ... so werden Sie im Graben, nur durch das Gitter getrennt, eine angenehme Conversation führen können.‹

»Gesagt, gethan! Der zweite Wächter hatte nichts dagegen zu erinnern; nur verlangte er auf die höflichste Art von der Welt, er müsse zunächst am Gitter stehen, und man möchte keinen Versuch machen, sich eine Hand zu reichen oder dergleichen, da er eine Berührung unter keinen Umständen gestatten könne.«

»Was wollen sie denn immer mit ihrer Berührung?« fragte der Diplomat. »Es hatte doch wahrscheinlich Niemand in der Anstalt die Pest und konnte also Keiner fürchten, angesteckt zu werden.«

»In Wirklichkeit nicht,« entgegnete der Baron. »Aber die Quarantaine-Behörde, wie ich auch früher schon bemerkt habe, was ich nicht zu vergessen bitte, duldet, wenn ich mich so ausdrücken darf, auch nicht die Möglichkeit einer moralischen Ansteckung und bestimmt, daß, wo zwei Parteien mit einander in Berührung treten, die, welche am längsten da ist, nach dieser Berührung noch so lange bleiben muß, bis auch die andere ihre dreiundzwanzig Tage hinter sich hat, nach deren Verlauf man annimmt, es könne sich kein Peststoff mehr äußern.«

»Richtig, richtig!« sagte der Diplomat.

»Sir Robert kannte diese Bestimmung recht genau,« fuhr der Erzähler fort, »und hatte, wie wir später erfuhren, seinem Wächter oder vielmehr dem seiner Töchter eine ziemliche Belohnung versprochen, wenn er seinen Dienst recht streng handhabe. Wir warteten also, bis der alte General sich in sein Zimmer eingeschlossen hatte, um Briefe zu schreiben oder zu schlafen, und dann stiegen wir die Treppe hinab in den unteren Graben. Unsere beiderseitigen Wächter standen zunächst dem Gitter und machten zum Ueberfluß noch eine weitere Schranke mit ihren Stöcken. Doch war es schon ein Trost, uns so in der Nähe sprechen zu können. Ihr könnt euch ja denken, worüber wir redeten, und will ich deßhalb kein Wort weiter darüber verlieren. Nach wenigen Tagen war Sir Robert mit seiner Familie frei und verließ alsdann die Quarantaine und wahrscheinlich auch Malta, und bekam auf diese Art wieder einen Vorsprung von zehn Tagen. Es wurde also ausgemacht, die jungen Damen sollten so viel wie möglich in den Städten, durch welche sie kämen, für uns Erkennungszeichen zurücklassen, um die Spur des alten Generals nicht zu verlieren. Dabei meinte aber Miß Ellen, es sei die größte Vorsicht zu beobachten; denn wenn der Papa, der an ein eigentliches Verhältniß noch nicht glaube, erführe, ein solches bestehe in der That, so wäre er in seiner Hartnäckigkeit im Stande, nach Indien zurück zu kehren.

Leider muß ich gestehen, daß wir nur diese einzige Unterredung an dem Gitter hatten. Traute der Quarantaine-Wächter der Geschichte nicht, oder hatte uns der rothhaarige Vetter belauscht – genug, die Fallthüre au unserem Kugelgarten wurde noch an demselben Abend mit einem äußerst soliden Schlosse versehen, zu welchem unser Wächter keinen Schlüssel hatte. Auch waren wir demselben, wie es schien, als sehr gefährliche, unternehmende Leute in Betreff der Quarantaine-Regeln geschildert worden; denn er verfolgte uns von da an bei unseren Spaziergängen auf Schritt und Tritt, und als ich ein paar Tage später ein Briefchen an einen Stein band, um es in den unteren Graben zu werfen, ergriff er meine Hand und versicherte mir alles Ernstes, so leid es ihm thue, aber bei einem nochmaligen derartigen Versuch sehe er sich genöthigt, uns gar nicht mehr auf den Spaziergang zu lassen, sondern denselben zu verschließen.

Der Major machte Plane über Plane, und vor Allem setzte er großen Werth darauf, dem General so bald wie möglich einen Gegenbesuch zu machen. Endlich erhielten wir ein Schreiben von diesem, worin er sagte, er erwarte uns am anderen Morgen um zehn Uhr. Wir verließen um die bestimmte Zeit unsere Wohnung, schritten über den breiten Hof des Forts, dieses Mal gefolgt von zwei Quarantaine-Wächtern – es hatte sich ohne unseren Wunsch noch ein anderer angeschlossen.

Die Wohnung des Generals war sehr elegant möblirt. Dicke Teppiche bedeckten die Treppen, auf welchen ein schmales Stück grauen Tuches lag – uns zu Ehren, wie der Quarantaine-Wächter versicherte; denn dasselbe werde, als von uns berührt, später zusammengerollt und bei Seite gelegt, um dann für einen zweiten Fall nochmals zu dienen. Ich lachte herzlich über diese Vorsichtsmaßregel, der Major aber schüttelte ernsthaft den Kopf. Nun wurden wir in den Salon des Generals gefühlt, blieben aber bei unserem Eintritt erstaunt auf der Schwelle stehen. Das Zimmer war durch eine große, starke Schranke in zwei Hälften getheilt; diesseits waren wir, jenseits der General mit seiner Familie. Man stellte Lehnstühle für uns hin, Sir Robert bat uns, Platz zu nehmen, und ließ sich ebenfalls auf einen Fauteuil am Fenster nieder; die beiden Damen saßen an einem Tischchen, und der rothhaarige Neffe lehnte an der Schranke, wo er alle unsere Bewegungen aufmerksam verfolgte.

»Wir sind erstaunt, General,« sagte der Major nach einer Pause, »daß Sie Ihr Zimmer, wahrscheinlich uns zu Ehren, so außerordentlich merkwürdig möblirt haben. Sie zeigen uns da einen Argwohn, der im Stande wäre, uns tief zu kränken.«

»Da haben Sie Unrecht!« erwiderte lachend der alte General. »Es sind nur einfache Vorsichtsmaßregeln, die ich gebraucht. Sie wissen ganz genau, daß ich in ein paar Tagen meine goldene Freiheit wieder habe, während Sie noch weitere zehn Tage hier bleiben müssen.«

»Allerdings,« versetzte ruhig der Major, »Dank jenem traurigen Vorfalle, der uns fast für immer die Rückkehr nach der Heimat abgeschnitten hätte! – Aber ich bitte Sie, General, wozu jene mannshohe Schranke, wenn Sie uns nicht im höchsten Grade mißtrauen?«

Der General lächelte in sich hinein, ward aber plötzlich sehr ernst und entgegnete: »Die Jugend ist schnell und unternehmend. Wir sind das seiner Zeit auch gewesen, und es gibt Verhältnisse, unter welchen man die sonst geachtetsten Männer für seine Feinde halten muß.«

»Und zwischen uns existiren solche Verhältnisse?« fragte scheinbar erstaunt der Major.

»Ich will es nicht läugnen,« antwortete Sir Robert mit einem unruhigen Seitenblick auf seine Töchter. »Lassen Sie sich durch diese Schranke nicht geniren,« fuhr er lustiger fort; »obgleich in Wahrheit eine hohe Schranke zwischen uns besteht, so können wir doch, wenn Sie wollen, eine recht harmlose und vergnügte Conversation zusammen führen; nicht nur heute, sondern auch morgen ist mir Ihr Besuch sehr angenehm, natürlich unter den gleichen Vorsichtsmaßregeln.«

»Aber ich bitte Sie um Gottes willen, General,« sagte ich, »was befürchten Sie denn eigentlich? Halten Sie uns für fähig, daß wir Ihnen gewaltsam eine Umarmung abzwingen, Sie so compromittirten und zu noch längerem Dableiben nöthigten?«

»Meiner Treu'!« entgegnete der Indier mit pfiffigem Lächeln, »es gibt in der That Verhältnisse, unter welchen wir unternehmende Leute, wie Sie, zu Allem fähig halten.«

»Also stehen wir uns auf dem Kriegsfuße einander gegenüber?« fragte der Major.

»Wenn Sie feindlich gegen mich gesinnt sind, ja,« erwiederte Sir Robert.

»Sie hätten sich alle diese unnützen Kosten sparen können, Sir Robert,« versetzte lächelnd der Major: »Sie brauchten uns Beiden nur das Wort abzuverlangen, das und das – enfin, was Sie befürchten – nicht zu thun, und Sie hätten weder Schranken noch alles das gebraucht.«

»Das ist in der That wahr,« sprach der Engländer. »Machen wir es also so, geben Sie mir Ihr Wort, und ...«

»Halt, halt!« rief der Major. »Vertrauen um Vertrauen! Aber Sie hatten keines zu uns, deßhalb ist es besser, es bleibt Alles, wie es ist. Sie erklären uns den Quarantaine-Krieg – gut! wir nehmen ihn an.»

»Recht gern!»entgegnete heiter der alte General. »Ich versichere Ihnen, verehrtester Major, ich brauche in dieser verdammt langweiligen Anstalt einige Aufregung. Aber nehmen Sie sich in Acht. Jemand, der lange mit und gegen die Indier gekämpft, steckt voller Ränke und Pfiffe. Da Sie mir den Krieg anbieten, so errathe ich Ihre gefährliche Absicht. Ich könnte mich einfach sicher stellen, indem ich Ihnen mein Haus verschlösse. Aber, wie gesagt, die Sache belustigt mich. Sie sind heute Abend freundlichst zum Souper eingeladen.»

»Nach einer halben Stunde, die wir noch über allerhand gleichgültige Dinge verplauderten, wobei sich Sir Robert lächelnd die Hände rieb, auch zuweilen leise summste, standen wir auf und empfahlen uns, stellten uns aber Abends um acht Uhr zum Thee pünktlich wieder ein. Die Vorsichtsmaßregeln hatten sich vermehrt. Es war in dem großen Salon eine zweite Schranke gezogen worden, ungefähr drei Fuß von der ersten entfernt, und an jedem Ende dieses Zwischenraumes saß einer der Quarantaine-Wächter, aufmerksam jede unserer Bewegungen beobachtend.

»Auf unserer Seite befand sich ein Tisch, gegenüber ein anderer. Wir wurden von unserem Wächter mit einem besonderen Service bedient, während der General aus dem seinigen trank. Ich muß gestehen, mir begann dieser gegenseitige Belagerungszustand außerordentlich Spaß zu machen. Blicke, die hin und her gewechselt wurden, konnte der alte General nicht verhindern, bemerkte sie auch nicht einmal; Worte, die wir sprachen, und welche für ihn gar keinen Sinn hatten, waren oft für uns vier von der süßesten Bedeutung.

»Seit gestern fühle ich mich viel wohler und heiterer, sprach Sir Robert, nachdem er seinen Thee getrunken und sich in den Fauteuil zurückgelegt. Mein Blut rollt frischer. Ich fürchtete immer, mein altes Kopfweh würde wieder erscheinen, weil ich unthätig bin; aber mein Kopf ist hell und rein. – Ellen,‹ sagte er zu der jungen Dame, ›du würdest mich außerordentlich verbinden, wenn du den Knäul deiner Stickwolle nicht so gefährlich bis ans Ende des Tisches rollen ließest. Wenn er zufällig herabfiele und zur Gegenpartei gelangte, so würdest du diese schöne rothe Farbe verlieren.‹

»›Oh! unbesorgt, General!‹ versetzte ich lachend, ›wir würden uns das größte Vergnügen daraus machen, den Knäul zurück zu geben.‹

»›Zum Teufel auch!‹ entgegnete der General, ›nachdem Sie ihn berührt und für uns compromittirt; – Ueberhaupt, meine jungen Damen,‹ setzte er ganz leise gegen sie hinzu, ›ich muß mir ausbitten, daß ihr vollkommen neutral bleibt. Ich kann nicht zu gleicher Zeit Feinde von außen und Feinde im eigenen Lager beaufsichtigen.‹

»›Für das Letztere bin ich da,‹ meinte ruhig der blonde Neffe.

»›Was meinen Sie, General,‹ sagte ich nach einer Pause, ›zu einer Partie Whist, die wir zusammen spielen können? Natürlich unter den außerordentlichsten Vorsichtsmaßregeln.‹

»›Das wäre schwer zu machen,‹ meinte der Neffe.

»›Aber gerade diese Schwierigkeit wäre pikant,‹ entgegnete ich.

»Der General lächelte und dachte nach.

»›Natürlicher Weise,‹ fuhr ich fort, ›muß Ihre Partei beständig geben. Einer von uns spielt mit dem Strohmann gegen Sie Beiden, oder wir Beiden gegen Sie und den Strohmann.‹

»›Das ist originell!‹ versetzte Sir Robert. ›Aber die Idee gefällt mir. Nur müßte man ziemlich hoch spielen. Ich sehne mich recht sehr nach einem Whist.‹

»›Nur bedürfte es für jedes Spiel frischer Karten,‹ warf der Neffe dazwischen.

»›Allerdings,‹ entgegnete ich. ›Denn Karten, die wir einmal berührt, dürfen nicht wieder in Ihre Hände kommen.‹

»›Nein, nein, es geht nicht,‹ mischte sich der Major, der bis jetzt geschwiegen, ins Gespräch. ›Wir müßten doch unsere Karten selbst in der Hand halten, und wenn ich eine zu Ihrem Trique werfe, so ist sie ja von mir berührt, und Sie dürfen sie nicht aufheben.‹

»›Richtig,‹ erwiderte nachdenkend der General. ›Das ist recht schade.‹

»Mir fiel ein Ausweg ein, mit dem ich, obgleich noch unbestimmt, eine weitere Idee verband. ›Nehmen wir,‹ sprach ich, ›Ihre beiden Quarantaine-Wächter, die halten unser Spiel, wir deuten mit einem Stöckchen auf eine beliebige Karte, sie spielen sie aus, nehmen unseren Trique, und auf diese Art brauchen wir die Spiele nicht so häufig zu wechseln: Alles bleibt in ihren Händen.‹

»›Das ist wahr,‹ antwortete der General nach einer Pause.

»›Verzeihen Sie mir,‹ sagte dagegen der blonde Neffe, ›aber wenn Ihre beiden Quarantaine-Wächter als Kartenhalter benutzt werden, so sind unsere Festungswerke entblößt.‹

»›Verflucht gescheidt, mein Junge!‹ erwiderte Sir Robert lachend. ›Diese Umsicht verspricht für deine Zukunft. Holla hoh! Beinahe hätten wir uns fangen lassen.‹

»Ich machte das ehrlichste Gesicht von der Welt und versicherte, ich habe an keinen Hinterhalt gedacht und die Barrièren dadurch nicht ihrer Vertheidiger berauben wollen.

»›Gewiß nicht?‹ fragte lauernd der Neffe.

»›Es ist mir nicht eingefallen.‹

»›Es wäre schade,‹ sagte der General mit einem sonderbaren Lächeln, ›wenn an diesem kleinen Hinderniß unsere amusante Partie scheitern sollte. Wir können das aufs Beste arrangiren, daß uns die Herren ihr Ehrenwort geben, alle Feindseligkeiten sollen ruhen, so lange Whist gespielt wird.‹

»Der Major hatte während dieser etwas lebhaften Unterredung einige halblaute Worte mit Miß Ellen gewechselt.

»›Was meinst du?‹ rief ich ihm zu. ›Man verlangt unser Ehrenwort, so lange das Spiel dauert, nichts Feindseliges auszuüben.‹

»›So lange das Spiel dauert,‹ sprach nachsinnend der Major. ›Und wann nehmen wir an, das Spiel sei geendigt?‹

»›Nun, sobald wir unsere Karten niederlegen,‹ sagte ich.

»›Einen Augenblick Geduld!« versetzte der Neffe. ›Das könnte gefährlich werden. Unsere Gegner hätten jeden Augenblick das Recht, die Karten hinzuwerfen, so das Spiel zu beendigen und die Feindseligkeiten zu beginnen. Nur wir dürfen das Zeichen zum Aufhören geben.‹

»›Richtig!‹ sagte der General. ›Sobald ich und mein Neffe die Karten niederlegen, hört das Spiel auf, der Krieg beginnt.‹

»›Meinetwegen!‹ antwortete ich.

»›So soll es sein,‹ versicherte der Major.

»Nach diesen Präliminarien, die von allen Seiten mit einem aufrichtigen und herzlichen Lachen begleitet wurden, begann nun dieses seltsame Spiel. Die Quarantaine-Wächter rückten zusammen zwischen den beiden Barrièren und setzten sich vor den Tisch, deren andere Seite der General als Strohmann inne hatte. Wir lehnten uns auf die Schranken und deuteten mit unsern Stöcken die Karten an, die gespielt werden sollten. Doch war das Spiel nicht so recht amusant. Man muß die Karten in der Hand haben. Es ist wahrhaftig so, als wenn man zu Pferde sitzt, und ein Anderer führt die Zügel, dem man zuweilen sagt: jetzt rechts, jetzt links! Wenigstens wurde aber sehr hoch gespielt und das, sowie unsere seltsame Lage, hielt das Interesse gefesselt.

»Ich will euch nun nicht damit ermüden, euch die Einzelnheiten des sonderbaren Spiels zu erzählen. Wir, der Major und ich, hatten Unglück und verloren ziemlich, worüber sich der alte General außerordentlich zu freuen schien. Auf unser Wort bauend, bewegte sich die sämmtliche Gesellschaft während des Whistspiels in außergewöhnlicher Freiheit. Doch die jungen Damen lehnten sich, um hier und da in die Karten zu sehen, weit über die Schranke auf ihrer Seite herüber, und wir machten es auf unserer Seite gerade so. Zuweilen kam mir das Gesicht von Miß Therese so nahe, daß mich der Hauch ihres Mundes berührte. Das ist nun eine gefährliche Probe für jeden Liebhaber; aber hier, gewaltsam getrennt durch die hindernden Schranken, durchzuckte es mich oft fieberhaft von oben bis unten. So lange jedoch das Spiel dauerte, gab der alte General auf dergleichen durchaus nicht Acht: er war überzeugt, daß wir unser Versprechen pünktlich halten würden.«

»Ein Wort ist heilig! sagte Borgia,« recitirte der Diplomat.

»Allerdings!« meinte der Baron. »Und ich habe immer gehofft, der Major würde das seinige nicht verpfänden.«

»Dann hätten wir keine Whistpartie gehabt,« versetzte dieser.

»Nachdem wir vielleicht zwölf Rubber gespielt,« fuhr der Baron fort, »erklärte der General, daß er genug habe, hielt seine Karten fest in der Hand und befahl den Quarantaine-Wächtern, auf ihre Posten zu gehen. Nachdem der Raum zwischen den Barrièren auf solche Weise wieder klar war, die jungen Damen und wir uns etwas zurückgezogen hatten, rückte Sir Robert seinen Stuhl zurück und warf die Karten auf den Tisch. Der Waffenstillstand war zu Ende, die Feindseligkeiten konnten wieder beginnen. Wir brachen alle in ein homerisches Gelächter aus; der General rieb sich die Hände und versicherte ironisch, es thue ihm wahrhaftig Leid, daß er nur noch wenige Spielabende habe; die Sache amusire ihn außerordentlich.

»Mittlerweile war es spät geworden, wir empfahlen uns bis morgen und kehrten auf unsere Zimmer zurück.

»Der Major zündete sich eine Cigarre an und schritt nachdenkend auf und ab. Er hatte einen Plan, das bemerkte ich an ihm und ließ ihn ungestört. Eine Viertelstunde später schellte er einem Bedienten – es war Joseph, den ihr alle kennt, ein gedienter Soldat.

»›Was machen unsere Waffen?‹ fragte ihn der Major.

»›Alles ist in bestem Stande, Euer Gnaden.‹

»›Die Jagdflinten geputzt und eingepackt? – Und die Pulverhörner ...?‹

»›Haben wir bei uns aufgehängt. Sie sind noch fast ganz voll.‹

»›Gut. – Du hast ja bei der Artillerie gedient?‹

»›Ja wohl, Herr Major.‹

»›Wirst du noch einen kleinen Kanonenschlag zu Stande bringen?‹

»Der ehemalige Soldat lächelte und sagte: ›Das will ich meinen, Herr Major! Alle Arten von Feuerwerk. Wenn ich nur die Geräthschaften zur Anfertigung bekommen könnte!‹

»›Aber zu dem Mordschlage braucht's dergleichen nicht.‹

»›O nein, das macht man aus der Hand. Ein Bischen Pappendeckel, Bindfaden und Leim.‹

»›Schön. Also mach heute Abend ein paar.‹

»›Sollen Sie recht krachen?‹

»›So ziemlich. Aber es ist nur Spaß, wir wollen Jemanden erschrecken.‹

»Der Bediente wollte gehen.

»›Apropos!‹ fuhr der Major fort; ›wie ist's mit der Kiste, worin die ägyptische Mumie ist?‹

»›Ja, Herr Major, der ist ein kleines Unglück widerfahren, wie ich mir schon erlaubte, Ihnen zu melden. Man hat die Kiste auf dem großen Dampfboote wahrscheinlich zu tief in den Raum hinabgelassen, da ist sie feucht geworden, und wenn man die Mumie jetzt nur anrührt, so fällt sie in Stücke aus einander.‹

»›Hm!‹ machte der Major, ›das ist mir unangenehm. Hole mir geschwind so ein kleines Stück.‹

»Joseph ging hinaus und kehrte bald darauf mit einem Stück Oberarm zurück. – Ihr habt alle schon dergleichen gesehen? Diese Mumien sind durchdrungen von harzigen Stoffen, daß sie sich auf dem Bruche glänzend schwarz zeigen, wie das schönste Erdpech.«

»Das muß vortrefflich brennen,« meinte der Diplomat.

»Wie die beste Fackel,« entgegnete der Baron. »Und Joseph hatte augenscheinlich darüber auch schon Experimente angestellt, denn er lächelte verschmitzt auf die gleiche Frage des Majors, der alsdann den Befehl gab, Kopf, Hände und Füße behutsam zu trocknen und in dünnes Papier einzuwickeln, den Rest aber in einen Korb zu werfen, über den er befehlen werde.

»Sobald wir allein waren, konnte ich meine Verwunderung über die Anstalten des Freundes nicht unterdrücken. ›Gelten diese Anstalten dem General?‹ fragte ich ihn lachend. ›Willst du ihn mit Pulver und Feuer angreifen?‹

»›Wir müssen einen Schritt vorwärts thun,‹ entgegnete der Major. ›Du bist doch mit mir einverstanden, daß wir den General nöthigen müssen, noch so lange da zu bleiben, bis auch wir abreisen? Mit Gewalt dürfen wir aber nichts unternehmen; er muß uns von selbst in die Arme rennen, uns berühren und sich so in den Augen der Quarantaine-Anstalt compromittiren.‹

»›Das wird schwer halten,‹ meinte ich. ›Und wann soll dieser Coup ausgeführt werden?‹

»›Natürlich beim Whistspiel.‹

»›Aber du vergissest, daß wir unser Wort gegeben haben, während desselben alle Feindseligkeiten einzustellen.‹

»›Bis Sir Robert die Karten niederwirft.‹

»›Und das wird er nicht eher thun, als bis seine beiden Schildwachen wieder auf ihrem Posten sind.‹

»›Wir wollen sehen.‹

»Nun setzte ich, wie immer, das unbedingteste Vertrauen in die kluge Taktik meines Freundes und ließ ihn machen, was er wollte. Hätte er mich zu etwas gebraucht, so würde er es mir schon gesagt haben. Aber der gute Major, der wohl wußte, daß ich zuweilen sehr nervös sein kann und nicht seine Kaltblütigkeit besitze, wollte mir eine unnöthige Aufregung ersparen und nahm deßhalb die ganze Sache auf sich. So schrieb er den anderen Morgen einen Brief nach Malta an einen bekannten Oberoffizier der Garnison und bat, ihm die Erlaubniß auswirken zu wollen, einem Freunde, dem englischen General, der mit ihm in Quarantaine sei, zum Feste von dessen Geburtstag ein kleines Feuerwerk zu veranstalten. Joseph, sowie mein Bedienter erhielten geheimnißvolle Befehle, und ich wurde dahin instruirt, am nächsten Abend unbefangen Whist zu spielen, und nur bei der Hand zu sein, um einen glücklichen Zufall, der sich für uns aufthun würde, bestens zu benutzen.

»Der andere Abend kam; wir gingen, wie gestern, zum Whist. Zuerst nahmen wir unseren Thee. Sir Robert war von einer großen Heiterkeit. Auf der Treppe, wo auch dieses Mal der graue Tuchstreifen nicht fehlte, standen schwer bepackte Koffer, die uns offenbar deßhalb so in die Augen gestellt waren, damit wir uns ein wenig darüber ärgern sollten.

»Unser Thee war wie gestern servirt; wir hatten einen besonderen Tisch und unser eigenes Service.

»Jetzt muß ich noch erwähnen, daß der Salon in welchem wir uns befanden, mit seinen Fenstern auf eine kleine einsame Bastion ging, auf welcher ungeheure Haufen von Stroh und Heu lagen. Auch stieß diese Bastion nicht unmittelbar an das Haus, sondern es war ein kleiner, aber tiefer Graben dazwischen. Von La Valette oder St. Elmo aus konnten diese Fenster nicht gesehen werden. Dann hatte das Gemach – es war das letzte in der Reihe, die Sir Robert bewohnte – außer dem Eingange, zu welchem wir herein kamen, noch eine andere Thüre, die sich zwischen den beiden Schranken befand und in die Nebenzimmer führte. Das ganze Gebäude, wie überhaupt alle im Fort, war mit Corridors und Treppen aus den massivsten Steinen gebaut, ja, sogar die Scheidewände zwischen den Zimmern ebenfalls gemauert. So war das Schlachtfeld beschaffen, auf welchem wir operiren wollten.

»Wir tranken friedlich unseren Thee, und Sir Robert konnte es nicht unterlassen, in der Heiterkeit seines Herzens hier und da ganz leise vor sich hin zu summsen.

»›Es ist wahrhaftig schade,‹ sagte er, ›daß wir so feindselig getrennt hier bei einander sitzen. Ich schäme mich ordentlich, daß ich Ihnen Ihren Thee so an einem abgesonderten Tische serviren lassen muß.‹

»›So lassen Sie die Barrière wegräumen,‹ entgegnete ich, ›lassen die Wächter abtreten, und wir können uns viel harm- und zwangloser unterhalten.‹

»›Mit Vergnügen,‹ meinte der General, ›wenn Sie Ihr Ehrenwort, statt nur für die Whist-Partie geltend, auf den ganzen Abend ausdehnen wollen.‹

»›Nein, nein!‹ entgegnete lachend der Major. ›Sie haben uns zu viel Mißtrauen bewiesen, das können wir unmöglich vergessen!‹

»›Denken Sie nur,‹ fuhr der General fort, ›was wir unseren Wächtern für Arbeit verursachen! Sehen Sie nur die Anstalten, die ich habe machen lassen müssen! Die Leute haben mit uns doppelte Arbeit.‹

»›O, was das betrifft,‹ versetzte gleichgültig der Major, ›so ist unser Scherz nur ein harmloses Kriegsspiel. Da haben die Leute in der Quarantaine mit ernsteren Sachen zu kämpfen.‹

»›Wie so, Major? Wie meinen Sie das?‹

»›Nun, Sie wissen ja selbst, daß auf dem Fort Emanuel, für uns ein freiwilliges Gefängniß, alle Klassen der Menschen vertreten sind. Ich machte heute einen Spaziergang an das Meer hinunter und ging da hinten herum, dort hinter Ihren Fenstern unterhalb der kleinen Bastion vorbei.‹

»›Aber ich hoffe doch, Ihr Wächter war dabei!‹ sagte lächelnd der General.

»›Er verließ mich nicht einen Augenblick. Er war mein Führer, er gab mir Erläuterungen. – Also dort hinten in der Bastion ist auch eine Quarantaine-Anstalt. Aber da sieht's natürlicher Weise ganz anders aus, als hier. Da befinden sich ihrer fünfzig bis sechszig Gesellen, wild aussehende, verfluchte Bursche, die viel eher einer Räuberbande gleichen, als Matrosen. Sie haben ein Schiff von Aegypten gebracht mit getrockneten Häuten. Die machen ihren Wächtern zu schaffen! Zuerst hat man sie mit Gewalt in die Quarantaine bringen müssen, und sie waren nur zu bewegen, ihr Schiff nach dem Fort zu rudern, nachdem sie gesehen, wie von dem englischen Wachtschiffe ein paar anständig große Kanonen sanft auf sie gerichtet wurden. Und in der Bastion dahinten sind sie jetzt vollkommen eingeschlossen; denn ein paar machten vor einigen Tagen den Versuch, zu entweichen, was ihnen auch wahrscheinlich gelungen wäre; denn diese Kerle, denen alle Mittel gelten, beabsichtigten, sich unter dem Schutze einer Feuersbrunst davon zu schleichen.

»›Einer Feuersbrunst?‹ fragten die jungen Damen erschreckt.

»›Sie werden dort vor den Fenstern die Heu- und Strohmagazine bemerken,‹ fuhr der Major mit der größten Ruhe fort. ›Die wollten sie in Brand stecken und dann aus der Quarantäne entfliehen. Sie hätten vielleicht auch ein Bischen bei uns geplündert, wenn es ihnen möglich gewesen wäre. So viel muß ich bekennen, ich habe in meinem ganzen Leben keine wildere und unheimlichere Bande bei einander gesehen.‹

»›Ich hoffe, sie sind vortrefflich eingeschlossen!‹ sagte der General.

»›Sie wissen,‹ entgegnete der Major achselzuckend, ›Fort Emanuel ist eigentlich kein Gefängniß. Man thut, was man kann. Ich würde ihnen ein Piquet Soldaten beigegeben haben.‹

»›Haben sie Waffen?‹ fragte der blonde Neffe.

»›Was man gefunden, nahm man ihnen ab. Was sie aber vielleicht bei sich versteckt haben, weiß Niemand.‹

»›Ich bin nur froh,‹ meinte Sir Robert, indem er sich die Hände rieb, ›daß meine Zeit bald vorbei ist. Sollten Sie aber nach meiner Abreise zufälliger Weise mit jenen Kameraden ein kleines Scharmützel zu bestehen haben, so bitte ich freundlich, es mich wissen zu lassen.‹

»›Dazu müssen wir aber Ihre Adresse haben,‹ sagte ich ruhig.

»›Allerdings, mein lieber Baron,‹ entgegnete lachend der General. ›Ich werde beim Abschiede daran denken. Aber jetzt wollen wir unsere Whist-Partie aufnehmen, es wird sonst spät, und ich hätte wohl Lust, Ihnen noch einige Points abzugewinnen.‹

»›Das wird diesen Abend unmöglich sein,‹ versetzte unerschütterlich der Major. ›Wir haben uns vorgenommen, Sie groß Schlemm zu machen.‹

»Damit wurden die Spieltische auf ihre Plätze von gestern gerückt; die Quarantaine-Wächter nahmen auf unserer Seite Platz, der Neffe gab die Karten, und sowie der General sein Spiel in die Hand nahm, sagte er: ›Also, meine Herren, auf die gestrigen Bedingungen beginnt der Waffenstillstand.‹

»›Natürlicher Weise,‹ versetzte ich, ›bis Eure Herrlichkeit die Karten niederlegen.‹« – –

In diesem Augenblicke – der Baron war gerade im Begriff, seine ausgebrannte Cigarre wegzuwerfen, und Graf Ferdinand reichte ihm eine neue – rollte ein Wagen in den Hof. Der Hausherr wandte sich lebhaft um, denn ein Bedienter trat ein und meldete, die Frau Gräfin sei eben zurück gekommen und habe sich in den kleinen Salon begeben. Sie hoffe die Herren später zu sehen, lasse aber dem Herrn Major sagen, sie sei sogleich für ihn zu sprechen. Graf Ferdinand warf seinem Freunde einen fragenden Blick zu, den der Major mit der größten Ruhe aushielt, dem Bedienten ein bejahendes Zeichen machte und sich alsdann erhob. »Ihr müßt euch nicht wundern, meine Freunde,« sprach er lachend, »daß mir das Glück einer geheimen Audienz zu Theil wird. Ich habe darum gebeten, wie ein älterer lange abwesender Bruder oder, wenn ihr wollt, wie ein sorgsamer Vater. Denn das war ich der Gräfin Marie von jeher.«

»Schon gut!« sagte der Diplomat. »Du weißt dir immer einen Vorzug zu verschaffen.«

»Undankbarer!« lachte der Major. »Ich verlasse euch ja nur, damit der Baron im Stande ist, seine Geschichte, die ich ja kenne, ohne Unterbrechung zu Ende zu bringen. Bleibe du auch da, Ferdinand. Sobald ich ungefähr denke, daß die Whist-Partie in der Quarantaine-Anstalt zu Ende sein kann, führe ich die Gräfin hieher. – Seid ihr damit zufrieden?«

»Vollkommen,« entgegnete der Gesandtschafts-Secretär. Nur der Hausherr blieb etwas widerstrebend am Kamin stehen.

»Kommen wir zu Ende!« fuhr der Baron fort. »Wir spielten also unsere Whist-Partie mit aller Ruhe und Gemächlichkeit, der Major mit seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit, ich – das muß ich allerdings gestehen – leicht aufgeregt. Der alte General war in der besten Laune, vollkommen unbesorgt und heiter. Unter der Waffenstillstands-Flagge hatten sich, wie gestern, unsere feindseligen Stellungen vollkommen gelockert; die beiden jungen Damen lehnten an den Barrieren, schauten in das Spiel, wir flüsterten zuweilen ein leises Wort zusammen, ich war aber nicht so ganz bei der Sache.

»Der General bekam vortreffliche Karten. Er und sein Neffe spielten gegen den Major, der den Strohmann hatte. Die Karten desselben waren aufgelegt, und Sir Robert bemerkte triumphirend: dieses Mal müsse er zugeben, daß es schlechte Karten seien. Es sei auch nicht ein Stich in den Papieren des Feindes.

»›Der Major hat Alles in der Hand,‹ bemerkte der rothhaarige Neffe. ›Desto schlimmer für uns.‹

»Bei diesen Worten zwinkerte der General vergnügt mit den Augen, und ein Blick, den ich als Unparteiischer in seine Karten thun durfte, überzeugte mich, daß mein Freund groß Schlemm werden würde.«

»Aber es war unrecht, beim Whist zu sprechen,« meinte der Diplomat. »Ein Engländer verfällt selten in diesen Fehler.«

»Das weiß ich ganz genau,« entgegnete der Erzähler. »Doch wir hatten bei dieser überhaupt seltsamen Whist-Partie den Anlaß dazu gegeben, indem wir anfingen, über die Karten zu sprechen, um auch so die Erlaubniß zu erhalten, mit den Damen einige Worte zu reden. Wie ich übrigens vorausgesehen, wurde der Major groß Schlemm, und während der Neffe notirte, gab der General, nicht ohne ein mächtiges Triumphgeschrei, die Karten für den zweiten Robber.«

»Da fiel plötzlich ein Schuß in der Nähe der Fenster. Der General blickte in die Höhe – ein zweiter Knall, sehr nahe vor den Scheiben, folgte.

»›He! was soll das bedeuten?‹ rief der alte Herr, indem er seine Karten auf den Tisch warf.

»Wir alle wandten uns den Fenstern zu, die jetzt von einem hellen Pulverblitz erleuchtet wurden, dem ein ganz nahes und entsetzliches Krachen folgte.

»Jetzt warf auch der Neffe sein Spiel auf den Tisch und sprang an die Fenster. Ein neues Pulverleuchten folgte, stärker und andauernder als das erste, und mit Einem Male bemerkte man eine kleine tiefrothe Flamme, die vor den Scheiben aufflackerte und an den Fensterkreuzen zu lecken schien.

»›Alle Teufel!‹ rief der General, indem er eines der Fenster aufriß, um hinauszuschauen.

»Doch hatte er kaum einen Flügel geöffnet, als ein solcher Qualm und Rauch herein drang, daß er im Augenblicke wieder schließen mußte. – ›Was kann das sein?‹

»›Vielleicht haben unsere Nachbarn in der Bastion das Heumagazin in Brand gesteckt,‹ sagte ich und sah den Major an, der ruhig sitzen blieb.

»Mittlerweile waren auch die Quarantäne-Wächter aufgesprungen und an das Fenster getreten, der Neffe aber in das Nebenzimmer geeilt, um dort zu den Fenstern hinaus nach den Flammen zu sehen. Ihm folgte eilig Sir Robert; die beiden jungen Damen drängten sich schüchtern an die Barrièren, blieben aber ziemlich ruhig, da sie bemerkten, daß der Major und ich auf unseren Plätzen verharrten.

»Der Erstere aber hatte nicht so bald bemerkt, daß das Feld ziemlich rein sei, denn die beiden Wächter steckten ihre Köpfe, so weit als möglich, aus dem wieder geöffneten Fenster hinaus, als er mir ein Zeichen machte, mich mit den beiden Mädchen etwas entfernt von ihm zu unterhalten. Dann stand er rasch von seinem Stuhle auf, drückte ihn unter der Barrière weg auf die Seite des Generals und zog dessen Fauteuil an sich, worauf er sich ruhig auf diesen niederließ.

»In diesem Augenblicke kamen der General und der Neffe aus dem Nebenzimmer zurück, indem Letzterer sagte, er habe dort nichts Verdächtiges bemerkt. Auch fingen die Flammen vor den Fenstern des Salons an kleiner zu werden und schwächer zu brennen. Plötzlich schien den General ein Gedanke zu erleuchten. Rasch wandte er sich gegen uns und übersah mit einem Blicke das Schlachtfeld, schüttelte aber zweifelnd den Kopf, als er durchaus nichts Verdächtiges zu bemerken schien. Die beiden Damen lehnten an der Barrière, ich hielt mich in einer ziemlichen Entfernung von ihnen. Der Major hatte sich, wie gesagt, ruhig wieder hingesetzt.

»Kopfschüttelnd winkte Sir Robert den Quarantäne-Wächtern, welche augenblicklich ihren Platz zwischen den Barrièren wieder einnahmen; dann ließ er sich langsam auf seinen oder vielmehr des Majors Stuhl nieder.

»›Nun?‹ fragte ich den Neffen, der an den Tisch trat und uns verwundert anschaute.

»Dieser zuckte die Achseln; doch der General drohte mit den Fingern, indem er sagte: ›Das war ein Attaque von Ihnen – fast hätten wir uns überlisten lassen! Sprechen Sie, Major, was hatte diese Geschichte zu bedeuten?‹

»›Es war ein Freudenfeuer, Sir Robert,‹ entgegnete dieser und schaute den alten Herrn lächelnd an. ›Sie wissen, daß man bei Siegen dergleichen aufflammen läßt‹

»›Von welchem Sieg sprechen Sie?‹ versetzte der General, indem eine tiefe Röthe auf seinem Gesichte erschien.

»›Nun, natürlich von dem unsrigen!‹

»›Sie hätten gesiegt? – Darf ich bitten, mir das zu erklären?‹

»›Sehr gern. Wir siegten auf die einfachste Weise der Welt.‹

»›Das ist gar nicht möglich!‹ entgegnete heftig der General. ›Sie wissen genau, daß wir Ihr Wort hatten, nicht die Feindseligkeiten wieder zu beginnen ...lsaquo;

»›Bis Sie die Karten auf den Tisch legten. Das haben Sie gethan – dort liegt Ihr Spiel. Es war bei allem dem meine Befürchtung, Sie möchten sich das Freudenfeuer draußen mit den Karten in der Hand anschauen. Dann war natürlich unsere ganze List vereitelt.‹ »›Weiter! weiter!‹

»›Dadurch, daß Sie sowie Ihr Herr Neffe in das Nebenzimmer eilten und die Quarantaine-Wächter zum Fenster hinausschauten, ließen Sie uns im unbeschränkten Besitze des Salons. Wir brauchten also einfach nur über die Schranke zu steigen, um Ihnen beim Herauskommen freundschaftlich die Hand zu drücken. Doch da wir dies nicht thaten, so können Sie sich einen Begriff machen von unserer ehrlichen und offenen Handlungsweise.‹

»›Und was ist denn geschehen, daß Sie sich triumphirend den Sieg zuschreiben?‹ fragte bestürzt der alte Herr.

»›Etwas sehr Einfaches,‹ entgegnete der Major. ›Ich habe unsere beiden Fauteuils verwechselt; Eure Herrlichkeit sitzen auf dem meinigen und sind deßhalb nach den Quarantaine-Regeln aufs höchste compromittirt.‹

»Sir Robert schnellte von seinem Stuhl in die Höhe und sah die Quarantaine-Wächter fragend an.

»Diese zuckten die Achseln, und der ältere von ihnen sagte: ›Eure Herrlichkeit werden uns verzeihen, aber es ist unsere Schuldigkeit, diesen Vorfall sogleich der Intendanz anzuzeigen.‹

»Der Neffe ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Hätte er uns mit seinen Blicken vergiften können, so wären wir im nächsten Augenblicke schon todt gewesen. So aber begnügte er sich, allerlei unverständliche Worte hervorzukollern und dann den Quarantaine-Wächter zu fragen: ›Und was wird da geschehen?‹

»›O! nicht viel Besonderes,‹ antwortete dieser: ›Sie haben nur dieselbe Quarantaine-Zeit wie diese Herren auszuhalten.‹

»›Dafür aber,‹ sagte ich dem rothen Gentleman, ›brauchen Sie künftig keine Barrièren mehr zwischen uns aufzurichten.‹

»Die Gesichtsfarbe des Generals ging indessen vom Purpurroth ins Violet über. Seine Augen schossen Blitze, sein Bart sträubte sich unnatürlich aus einander. Wir erwarteten eine Eruption im großartigsten Maßstabe. Dabei blickte er den Major wild an und schaute mit den Augen rings um sich her nach einem greifbaren Gegenstande.

»›Nicht so, mein Freund General,‹ sagte der Major ruhig, ›werfen Sie keinen Zorn auf uns, sehen Sie die Sache an, wie sie ist. Nicht wir haben Sie besiegt, sondern das Schicksal, das über uns alle waltet. Ueber uns alle, wiederhole ich. Sie verlieren zehn Tage an Ihrer Reise, uns ist das Gleiche geschehen. Ihnen aber war verstattet, um diese zehn Tage zu kämpfen, mit offenen Augen, Stirn gegen Stirn. Wir jedoch wurden heimlich überfallen, man warf uns rücklings nieder, man griff uns mit Waffen an, denen wir nichts entgegen zu stellen hatten, mit Waffen, die man füglich ein ungeheures Verbrechen nennen könnte. Hätte ich indessen gewußt, General, daß der Verlust dieses kleinen Gefechtes Sie so außerordentlich angreifen würde, so hätten wir vielleicht darauf verzichtet. Aber Sie begannen die Feindseligkeiten so lustig und heiter, daß wir uns nicht denken konnten, eine Niederlage würde Sie im Ernste kränken – Ihre Niederlage, unser Sieg, der uns das Glück verschafft, noch eine Zeit lang in Ihrer und Ihrer liebenswürdigen Fräulein Töchter Gesellschaft zu verweilen.‹

»Diese so vollkommen ruhig gesprochenen Worte, namentlich die Erwähnung des Vorfalls in Alexandria, verfehlten nicht, ihren Eindruck auf den General zu machen. Er bezwang sich mit aller Kraft; ja, einige Zeit darauf lächelte er sogar; aber dieses Lächeln sah recht unheimlich aus. Er bereitete sich auf einen letzten Stoß vor, der uns verwunden sollte und mußte.

»›Wohlan!‹ sagte er nach längerem Stillschweigen, ›Sie haben gesiegt. Sie haben mich gezwungen, noch fernere zehn Tag in Ihrer so angenehmen Gesellschaft zu verleben. Aber verstehen Sie mich recht, auch nur mich ganz allein. Mein Neffe so wenig, wie meine beiden Töchter sind, hoffe ich, compromittirt; sie werden also in einigen Tagen allein abreisen, während ich bleibe.‹

»Ah!« sagte laut lachend der Diplomat. »Daran hattet ihr Beiden wohl nicht gedacht!«

»Freilich hatten wir dies nicht vermuthet,« antwortete der Baron. »Auch überraschte uns dieser Ausspruch für den Augenblick; doch hatten wir das Unsrige gethan, und wenn uns die beiden Damen wirklich liebten, so mochten sie auch versuchen, den Papa umzustimmen. Wir wollten das als einen Beweis ihrer Zuneigung ansehen.«

»Und ihr irrtet euch nicht,« warf der Hausherr dazwischen, der schon verschiedene Merkzeichen der Unruhe von sich gegeben hatte und öfter als nothwendig nach der Thüre blickte.

Der Baron streckte sich in dem Fauteuil aus, wie Jemand, der anfängt, müde zu werden, und sagte: »Wir hatten uns nicht getäuscht. Natürlich verließen wir die Wohnung des Generals so bald als möglich; aber schon den anderen Tag rief mich der Major trumphirend ans Fenster und zeigte mir den General, der seine beiden Töchter am Arm, seinen gewöhnlichen Spaziergang machte.

»Den folgenden Tag wurden wir zum Diner eingeladen, und ehe noch unsere Quarantaine-Zeit vorüber war, hatten wir den hochblonden Neffen zur größtmöglichen Verzweiflung gebracht; denn Sir Robert nahm unsere Bewerbungen um seine beiden Töchter allergnädigst an.

»Damit bin ich zu Ende; wenn ihr noch einige Details wollt, so laßt euch solche von meiner Frau oder der Majorin geben. Erstere hat mich beauftragt, euch morgen zum Diner einzuladen. Du kommst auch, Ferdinand. Der Arzt hat mir versprochen, er werde dich ausgehen lassen.«

»Ja, wenn man reist, erlebt man allerlei,« meinte aufstehend der Diplomat. »Wo bleibt aber der Major? Dürfen wir nach ihm sehen? Was meinst du, Ferdinand? Oder ist es Zeit, daß wir uns zurückziehen?«

»Gewiß nicht!« sagte der Hausherr, wie aus tiefen Gedanken auffahrend. »Ich will den Major und meine Frau holen.«

»Aber der Tabaksrauch hier in dem Salon!« sagte der Baron. »O!« entgegnete Graf Ferdinand lächelnd, »hier ist neutraler Grund. Die Gräfin macht sich nichts daraus.«

»Du bist sehr glücklich!« sprach der Gesandtschafts-Secretär, worauf der Graf das Zimmer verließ und die beiden Freunde allein zurückblieben.


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