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Wenn ich verspreche, auf den nachfolgenden Blättern dem Leser zu Nutz' und Frommen Bilder aus dem Reiseleben mitzutheilen, so bitte ich aber keine Reisebeschreibung zu erwarten. Ich weiß, die Zeit derselben ist fast vorüber. Jetzt, wo es fast Jedem gestattet ist, die halbe Welt auf Eisenbahnen und Dampfschiffen mit wenig Zeit und Geld zu durchstiegen, ist es erstaunlich schwer, einen Winkel aufzustöbern, von dem man noch etwas Neues und Interessantes berichten könnte, und die Zeit der Thümmel, auch wenn man ein Thümmel wäre, wo man von dem Schreibtisch aus die schönsten Reisen in entfernte Länder beschrieb, Reisen, die man nie gemacht, – – ist leider dahin. Deßhalb will ich einen kleinen Abriß, eine Geschichte des Reisens selbst zu geben versuchen, aber durchaus nicht in chronologischer Ordnung, und zum Beispiel mit deutlichem Nachweis, wo man anfing, vom Pferd auf den Esel zu kommen, um welche Zeit man sich der Sänfte bediente, und wann man sich in der Maschine auf Rädern, die man Equipagen nennt, fortzubewegen begann. Nein, gewiß nicht! vielmehr frei, fröhlich, ohne große Ordnung, ohne Zwang.
Da beim Reisen das Fortkommen, das Sichfortbewegen von einem Ort zum andern ein nicht unwesentliches Haupterforderniß ist, so verlohnt es sich wohl der Mühe, zuerst die verschiedenen Arten dieses Fortkommens in's Auge zu fassen.
Ich hatte das Glück, seit meiner Kindheit wohl eine solche Menge Reisearten kennen zu lernen, wie sie vielleicht selten einem Sterblichen geboten wurden, namentlich geschah meine erste Reise, die ich vom elterlichen Hause aus begann, durch ein außerordentlich seltsames Transportmittel. Im benachbarten Heimathsdorfe unserer Dienstmagd, einer langgedienten, treuen Person, war nämlich Kirchweih, und ich erhielt die Erlaubniß, mit dorthin gehen zu dürfen. Natürlich versprach der Bruder unserer Magd, einen kleinen Wagen zu senden, um die Schwester und mich zu transportiren. Aber vergeblich warteten wir am Tage unserer projektirten Reise, ich natürlich in fieberhafter Ungeduld, – der ersehnte Wagen kam nicht. Endlich Nachmittags mußte ein Entschluß gefaßt werden; das Dorf war vier Stunden von der Stadt, wo wir wohnten, entfernt, und wenn auch das Mädchen für ihre Person gerne zu Fuß dorthin gegangen wäre, so blieb doch die Frage, wie ich zu transportiren sei, und endlich kam sie auf eine ganz originelle Idee, welche mir denn auch zu den Freuden der Kirchweih verhalf, und mich jetzt in den Stand setzt, ein Reisetransportmittel anzugeben, an welches bis jetzt noch Niemand gedacht – den Schubkarren nämlich. Sie verschaffte sich eine solche Maschine, setzte einen Korb mit ihren Effekten oben hinauf, mich rittlings darüber, und so zogen wir – doch man kann das eigentlich nicht sagen, da ich geschoben wurde – oder wir gingen, was auch nicht ganz richtig ist, kurz wir kamen glücklich zum Thore hinaus und auf die Kirchweih, wo ich mich, nebenbei gesagt, außerordentlich amüsirte, denn ich kehrte zurück mit mehrfach zerrissenen Hosen, einer zerschundenen Nase und einem Auge in allen Farben des Regenbogens, einige Indigestionen, die nur vorübergehend waren, nicht mitgerechnet. Und trotz alledem kam ich mit einem großen Stolze heim, denn man hatte auf dem Dorf meine Equipage für etwas Seltenes, noch nie Dagewesenes erklärt, und die ausgelassene Schuljugend war mir jauchzend gefolgt und hatte, da ich, weil aus der Stadt kommend, in ihren Augen als etwas Vornehmes erschien, auf diese Art ihre Huldigung dargebracht.
Trotzdem ich diese erste Reise auf einem Schubkarren als etwas Außergewöhnliches auch für eine außergewöhnlich glückliche Vorbedeutung ansah, die mir lange und schöne Reisen verhieß, und die mich auch später nicht getäuscht, kam damals in meinen Reisen lange nichts Außerordentliches mehr vor.
Ich ging zu Fuß, einen tüchtigen Stock in der Hand und einen kleinen Ranzen auf dem Rücken, mit einem Freunde meines Alters während der Ferienzeit Verwandte zu besuchen. Wir fürchteten uns damals entsetzlich vor Räubern, und erzählten uns aus der Phantasie die fürchterlichsten Geschichten von Straßenraub und Mord, die irgendwo vielleicht einmal geschehen waren, und als wir Abends in ein bescheidenes Wirthshaus kamen, da hatten wir lange nicht den Muth, ein Zimmer zu verlangen, denn wir erwarteten in dem Falle, daß man alsdann sogleich nach unseren Pässen fragen würde, um uns, da wir dergleichen Ehrlichkeitspapiere nicht besaßen, schleunigst als Vagabunden ins Gefängniß zu werfen. Es ging aber alles das besser, wie wir erwartet. Nachdem wir das wohlfeilste Gericht der Speisekarte, Pfannenkuchen mit Kartoffeln, verzehrt, und uns sogar die ungeheure Verschwendung eines Glases Weins erlaubt hatten, führte man uns in ein Zimmer mit einem Bette, wo wir bis zum anbrechenden Morgen sanft und ruhig schliefen. Doch kann ich nicht umhin, zu gestehen, daß mich vor dem Auskleiden ein paar Dintenflecken auf dem Boden sehr beunruhigten, die ich für schwarze Blutstropfen ansah, und analog denselben das Haus, in welchem wir uns befanden, für eine Mörderhöhle.
Diese bescheidenen Fußreisen verwandelten sich allmälig und ganz folgerecht in Fahrten auf dem Trittbrett einer zufällig vorüberrasselnden Equipage, oder auf dem schwebenden Brett eines Leiterwagens, oder um den Preis von sechs Pfennigen für einen Schnaps auf dem Bock eines vornehmen Hauderers. – Des Tages aber, wo ich als wirklicher und berechtigter Besitzer in eine solche Lohnkutsche selbst hineinsitzen durfte, erinnere ich mich heute noch mit Entzücken. Es war zugleich meine erste größere Reise von Burtscheid bei Aachen, wo ich einst geboren, nach Düsseldorf, – ich erkenne diesen meinen Geburtsort hiemit öffentlich an, damit derselbe nicht später in den Fall komme, sich mir sechs anderen Städten dieser Ehre wegen herumzanken zu müssen. Da lagen in der Phantasie des Knaben in der Perspektive dieser Reise stundenlange unbekannte Länder, Städte und Dörfer, ein kleines Gebirge, vielleicht mit einigen Räubern, eine kleine Festung – Jülich – mit Soldaten und Kanonen, und endlich der Rhein. Ja der Rhein; das war das Ziel des Sehnens und Trachtens, der breite schöne Fluß mit seinen Schiffen und Brücken. Es war eine glückselige Reise, und als ich morgens früh um vier Uhr Sommers bei aufleuchtender Sonne in die Chaise gepackt wurde, und als der Vater Abends um eilf Uhr, als wir nach Düsseldorf kamen, erklärte, er sei wie gerädert, war ich tief betrübt, daß die schöne Fahrt schon zu Ende sei.
Vom wirklichen und berechtigten Lohnkutscher-Beisitzer wurde ich geheimer Oberpostamts-Passagier; geheim insofern, als ich für ein Drittel der Fahrtaxe als blinder Reisender mitgenommen wurde, und da wäre ich, zwischen zwei dicke Damen hineingepreßt, um ein Haar eines unnatürlichen Todes gestorben. Ach, es war dies noch die rosige Jugendzeit der Postkutschen. Conducteur und Postillon hatten noch menschliche Gefühle, und wenn Letzterer sich hie und da einen Schnaps einschenken ließ, war der Erstere menschenfreundlich genug, bei irgend einem dichten Gebüsch halten zu lassen, um einem beliebigen Passagier – frische Luft zu gönnen. Das Innere dieser Postkutsche war zu sechs Personen berechnet, wir saßen aber unserer zehn darin, mich eingerechnet, ferner ein Kanarienvogel, ein Affe und ein kleiner Hund.
Nachdem ich nun vom geheimen und blinden Passagier endlich auch hier ein wirklicher und berechtigter geworden war, blieb ich lange diesem Transportmittel getreu, und bin daher aus jener Zeit nicht im Stande, eine neue Reiseart aufzuzählen. Darauf folgten aber die Dampfschiffe, deren ich schon Eingangs dieser Blätter erwähnt. Anfänglich waren dies ebenfalls harmlose, gemüthliche Wesen, die an einem Tage höchstens von Köln nach Koblenz fuhren, mit englischem Kapitän, englischem Condukteur, englischen Heizern und Maschinisten, auf welchen Essen und Trinken außerordentlich schlecht war, auf welchen man sich gar nicht heimisch und zu Hause fühlte, und in welchen man immer vermuthete, der Dampf werde jetzt endlich die Quälereien satt bekommen und, plötzlich explodierend, Alles mit sich in die Luft nehmen. Alte ehrwürdige Frauen warnten auch vor diesen Fahrzeugen auf den Dampfbooten, indem sie das Ganze für eine höllische Erfindung erklärten. Gott, wie ist die Ehrfurcht verschwunden, die man früher vor dieser entsetzlichen dämonischen Kraft hatte! Heute sieht man eine Dampfmaschine, eine Lokomotive, und denkt eben nichts weiter, als daß es eine Dampfmaschine oder eine Lokomotive ist. Ja man hat den Dampf traurig heruntergebracht, indem man ihn unter Anderem zum Auskochen und Reinigen schmutziger Pfeifen und noch schmutzigerer Wäsche braucht.
Da verbreitete sich, wie eine Sage aus alter fabelhafter Zeit, wo die Menschen noch auf Wolken fuhren und auf Drachen ritten, das Gerücht, man fange an, die Erde mit einem eisernen Reifen zu beschlagen, und um auf diesen Reifen ebenfalls mit Dampf in der unglaublichsten Geschwindigkeit nun auch zu Lande von Ort zu Ort zu gelangen. Ruhigere gesetztere Männer lächelten darüber und doch zeigte sich die Geschichte als wahr. Nürnberg und Fürth reichten sich zuerst die eisernen Hände, und ich erinnere mich noch ganz wohl, wie in der erstem industriellen Stadt gleich darauf kleine Ansichten von Eisenbahnen erschienen, dies neue Wunder sichtbarlich darstellend.
Bald sah man überall Eisenbahnen ausstecken, Berge durchwühlen, Thäler ausfüllen, Flüsse überbrücken, und die geduldige Chaussee, die sich so harmlos bergauf bergab schlängelte, sah gelb vor Neid und – Lehmwasser diese gefährliche Concurrenz. Da wurde auch zwischen Elberfeld und Düsseldorf ein Schienenweg projektirt und um Weihnachten irgend eines Jahrs war ein Stückchen derselben fertig und wurde mit Lokomotiven befahren. Natürlich setzte sich Alles in Bewegung, dies neue Wunder selbst zu erleben, und zu dem Ende fuhr man mit Omnibus, Postwagen und Handerern ungefähr drei Stunden bei Regenwetter und Sturm durch Schmutz und Schneewasser, um jene Abfahrtstation, mitten im Walde gelegen, zu erreichen. Dort hatte man das Vergnügen, unter einer elenden Holzbaracke, in welche von allen Seiten Regen und Schnee hineinpfiff, einige Stunden auf die Abfahrt warten zu müssen, indem die Lokomotive bei unserer Ankunft eben im Begriffe war, den ersten Mund voll Kohlen und Wasser zu verspeisen. Es war ein trostloser Anblick, die frierenden Damen und Herren, die durchnäßten Röcke und Mäntel, die zerstörten Hüte und Coifuren, die bleichen und rothen Gesichter, alle so begierig aus den endlichen Anfang des großen Vergnügens.
Von der Station, wo es gerade einen steilen Berg hinab ging, hatten wir einen ungemein komischen Anblick. Da lag eine Miethkutsche umgeworfen im Wege, und es war entsetzlich anzusehen, wie ohne Aufhören die Passagiere paarweise, wie aus der Arche Noah, dem Wagen entkletterten. Zuletzt tauchte ein unendlich langer Mensch auf, aus dem oberen Kutschenfenster, und er war so groß, daß ihm dasselbe nicht bis an das Knie reichte, und er hielt, in dem Wagen stehend, eine donnernde Rede gegen den eben vorüberfahrenden Postwagen, indem er behauptete, dieser sei nicht gehörig ausgewichen, und habe so das Unglück herbeigeführt. Eine alte Frau, die mit den übrigen Passagieren rüstig den Berg vollends zu Fuß hinab ging, klagte in einem fort und jammerte: »Ach Gott! wenn ich nur in meinem Leibe nichts zerbrochen habe!« – Endlich war die Lokomotive eingespannt, Alles saß in die Waggons und erwartete mit Ungeduld das Zeichen der Abfahrt. Da erklärte plötzlich der Maschinist, an der Lokomotive müsse etwas nicht ganz richtig sein und selbe sei nochmals genau zu untersuchen. Diese Untersuchung dauerte wieder eine gute Stunde, und dann endlich fuhren wir ab, erfroren, hungrig, durchnäßt, ermüdet und gelangweilt. – Es war meine erste Eisenbahnfahrt.
Jetzt bediente ich mich lange Zeit wieder des soliden Postwagens als Transportmittel, saß bald im Coupée bei dem Conducteur, mit ihm Cigarren rauchend und plaudernd, oder auch zuweilen im Innern des Wagens, zwischen zwei dicken alten Damen eingepreßt, das Fegfeuer im Voraus abverdienend.
Auf einer größeren Reise, die ich später das Glück hatte, machen zu können, und welche über die Grenzen der Civilisation hinaus in die Wüsten des todten Meeres und von Gaza ging, mußte ich mich zu meinem Fortkommen noch einiger seltsamer Reisemittel bedienen. Eine Tour zu Maulesel ist bei uns zu Land nicht ganz außergewöhnlich, gehört aber auch nicht zu den täglichen Ereignissen. Dagegen möchte es schwer sein, eine Reise zu Kameel zu machen, es sei denn, daß man sich, um diese Seltenheit zu genießen, an einen Bärenführer wendete, die meistens ein solches Schiff der Wüste mit sich herumführen. Das Reisen zu Kameel kommt aber, was Unannehmlichkeiten anbelangt, noch vor dem Reisen in einer übersetzten Lohnkutsche. Man sitzt mit weit gespreizten Beinen auf dem breiten und hohen Rücken des Thiers, das heißt, man kann sich glücklich schätzen, wenn man einmal ruhig droben sitzt, ohne während des Aufsteigens einigemal herabgeworfen worden zu sein, da das Kameel am Boden liegt, und nachdem der Reiter auf seinen Rücken geklettert, sehr schnell und ruckweise in die Hohe springt. Ist man nun aber droben und hat sich das Thier in Bewegung gesetzt, so erleidet man eine solche unangenehme, schaukelnde Bewegung, daß es Leute genug gibt, die davon schwindlicht, ja völlig seekrank werden. Jetzt hebt sich das Kameel vornen, und man starrt in den Himmel, jetzt hebt es sich hinten, und man blickt über seinen Kopf hinaus in den Sand, jetzt hebt es sich an der rechten Seite, und man rutscht auf die linke, jetzt hebt es sich auf der linken, und man rutscht auf die rechte Seite. Und das geht den ganzen Tag so fort, abgemessen und gleichförmig, wie ein Uhrwerk, in diesen vier höchst unangenehmen Tempo's.
Ohne der kleinen Fuhrwerk-Variationen besonders gedenken zu wollen, deren man sich auf einer solchen orientalischen Reise oft bedienen muß, als da sind: Eselswagen, Ochsenkarren, muß ich dagegen unbedingt noch eines seltsamen Rittes erwähnen, den ich in der Nähe der Pyramiden in Ghizet bei Kairo gemacht. Dies war nämlich ein Ritt zu – Neger. Um einen Arm des Nil zu passiren, auf dem sich zufällig keine Barken befinden, stehen dort immer eine Anzahl für diesen Dienst verwendbarer armer Kreaturen, die um ein Geringes an Geld den Reisenden auf ihre Schultern laden. Man schwingt sich auf, man nimmt das Stück eines alten Shawls, das der Neger um den Hals geschlungen hat, in die Hand, und fort geht es in einem kurzen Trabe – in den Nil hinein. Anfänglich reicht ihm das Wasser bis an das Knie, steigt dann immer höher und zuletzt schwebt man nur noch über dem Wasser, unter sich den schwarzen Wollkopf des Negers, der, indem er auf die Tiefe der Fluth aufmerksam macht, uns zuweilen das Gesicht zukehrt und uns mit den lebhaften blitzenden Augen und den fürchterlichen schneeweißen Zähnen auf's Freundschaftlichste angrinst.