Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als der Sohn des Königs vom Himmel sich auf die Erde begab, nahm er die Gestalt eines Bockes an. Und eines Tages sandte er jemand zur ältesten Tochter des Fürsten, bei dem er, als er zur Erde niederfuhr, abgestiegen war, um sie zu fragen, ob sie ihn heiraten wollte. Der Gesandte ging und fragte: »Der Bock sendet Euch die ehrerbietigsten Grüße und fragt gehorsamst an, ob Ihr geneigt seid, ihm Eure Hand zur Ehe zu reichen.« Die Prinzessin erwiderte: »Seit wann heiratet man denn einen Bock!« Darauf ging der Gesandte heim und berichtete, daß die Prinzessin gesagt hätte: »Seit wann heiratet man denn einen Bock!«
Da die älteste Prinzessin nur solche Worte für ihn übrig hatte, schickte er den Gesandten zum andern Male fort, diesmal zur zweiten Prinzessin, die sollte er ebenso wie die älteste Prinzessin befragen. Sie gab dieselbe Antwort wie die älteste. Und als nun keine von beiden Prinzessinnen ihn nehmen wollte, ließ er die jüngste fragen, ob sie wollte. Die Jüngste antwortete: »Bestellt dem Bock, daß ich ihm meine ehrerbietigsten Grüße sende und wohl geneigt bin, seine Frau zu werden.« So ging der Gesandte heim und erzählte, daß die Jüngste ihm antworten ließ: »Bestellt dem Bock, daß ich ihm meine ehrerbietigsten Grüße sende und wohl geneigt bin, seine Frau zu werden.«
Abends war es im Hause des Fürsten so hell wie am Tage, das kam von den Lampen, welche der Bock gezaubert hatte. Alle wunderten sich darüber und sagten: »Wie ist dies möglich!« Am andern Tag sprach der Bock: »Wir wollen heiraten!« Das geschah am dritten Tag, und als sie miteinander verheiratet waren und des Abends ein Fest feierten, setzte der Bock sich zu den Vornehmen. Nachdem sie zwei Tage miteinander vermählt waren, sagte die Frau des Bocks zu ihrer Dienerin: »Heut' abend mußt du mir Wasser hinsetzen, damit ich morgen früh mein Gesicht darin waschen kann.« Die Dienerin stellte also das Wasser in die Ecke des Gemachs, wo sie sich zu waschen pflegte. Als sie nun am andern Morgen sich waschen wollte, da sah sie, daß jemand anders sich bereits darin gewaschen hatte. Sie rief sofort ihre Dienerin herbei und fragte sie, wer wohl sein Gesicht in dem Wasser gewaschen hätte, das sie am Abend vorher hingesetzt hatte. Die Frau des Bocks sagte zu ihr: »Du bist es wohl selbst gewesen, die sich in dem Wasser gewaschen hat, nicht wahr?« Doch die Dienerin antwortete: »Nein, ich bin es nicht gewesen.« Da wurde die Frau des Bocks böse und verprügelte sie. Am zweiten Abend schnitt sich die Dienerin in den Finger. Sie konnte vor Schmerzen die ganze Nacht nicht schlafen. Und als es dämmerte, sah die Dienerin, wie der Bock dabei war, sich das Gesicht zu waschen, darum zwickte sie die Frau des Bocks; die wachte auch auf. Andächtig sah sie zu, wie der Bock sich wusch, und wie er ganz blank und weiß wurde. Da flog sie auf ihn zu, umarmte ihn und sagte: »Nun laß ich dich wirklich nicht wieder los!« Und seit dem Tage waren sie immer beisammen.
Darauf sagte der Bock zu seiner Frau, daß er ausgehen und Fische fangen wollte. Dazu verwandelte er sich wieder, nahm seine Bocksgestalt an und begab sich an die See. Als der Bock fort war, sprachen die andern Schwestern der Frau des Bocks zu ihr: »Wenn er hernach heimkommt und auf der Treppe ist, dann mußt du Heißwasser über ihn schütten, dann liebt er dich noch viel mehr.« Kam der Bock. Und während er noch auf der Treppe war, schüttete sie das heiße Wasser über ihn aus. Der Bock sagte: »Weshalb tust du das?« Seine Frau antwortete: »Damit du mich noch mehr liebst! So rieten mir die Schwestern!« Der Bock antwortete: »Glaubst du denn deren törichten Reden?«
Nach etlichen Tagen sagte der Bock: »Mich gelüstet es wieder, auszugehen und in der See Fische zu fangen.« Er ging also wiederum hin. Nun kamen die älteren Schwestern zur Frau und sagten: »Wenn er heimkehrt und auf der Treppe ist, dann mußt du ein Schwert auf ihn herabfallen lassen, dann hat er dich noch mehr lieb.« Bald kam der Bock heim. Als er auf der Treppe war, ließ sie das Schwert auf ihn herunterfallen. D'rauf sagte der Bock: »Weshalb behandelst du mich so?« Seine Frau erwiderte: »Dann liebst du mich noch mehr, sagten mir meine älteren Schwestern.« Der Bock sprach: »Gut, wenn ihr mich so behandeln wollt, dann will ich armer Tropf man wieder zu meinem Vater in der Höhe heimkehren.« Und ganz schnell machte er sich fertig und ging fort; seine Frau ging hinter ihm her. So zogen sie los; der Bock lief voran, vorweg seiner Frau. Da er jedoch Mitleid mit ihr bekam, so wartete er auf einem Berg auf sie. Als seine Frau bei ihm ankam, legte sie sich gleich im Schoße des Bocks zum Schlafen hin, denn sie war sehr müde geworden.
Nachdem der Bock sich ausgeruht hatte, hob er seine Frau auf und sang:
»Berg steh auf, o Berg, steh auf
Und bring' das Kind von Vater und Mutter nach oben!«
Dann setzte der Bock seine Reise fort.
Der Bock hatte sich kaum von seiner Frau entfernt, da erwachte sie, folgte dem Bock und kam ihm allmählich näher. Wie aber der Bock sah, daß seine Frau wieder ermüdete, wartete er, bis sie ihn ganz eingeholt hatte. Sie legte sich sogleich in seinem Schoße zum Schlafen hin. Als der Bock sich ausgeruht hatte, hob er seine Frau auf und sang:
»Reisvogel merk auf, o Reisvogel merk auf!
Bring's Kind von Vater und Mutter nach oben!«
Darauf begab der Bock sich weiter.
Der Bock ging voran, die Frau folgte ihm nach. Schon war aber die Stätte, von der aus es in den Himmel ging, nahe, und so erwartete er sie am Ufer des »Schwärzenden Wassers«. Als seine Frau ankam, sagte er: »Wenn du mir nun in den Himmel folgen willst, dann müssen wir uns in diesem Wasser baden.« Darauf badeten sie in dem Wasser. Als sie das getan hatten, sagte der Bock: »Wenn du mir nun in den Himmel folgen willst, dann muß ich sagen, du seiest meine Dienerin, nicht wahr? Denn meine Eltern werden damit nicht einverstanden sein, daß ich mich auf Erden verheiratete.«
So stiegen sie in den Himmel hinauf. Bei der Ankunft fragten ihn wirklich seine Eltern: »Sag', wen hast du da bei dir?« Der Sohn antwortete: »Meine Dienerin.« Wie man nun Anstalten traf, um den Prinz durch seine Eltern verheiraten zu lassen, bekam auch die Dienerin Arbeit. Zuerst schüttete die Frau des Königs einen Korb voll Senfsamen aus. Nachdem sie das getan hatte, sagte sie zu der Dienerin ihres Sohnes: »Sammle mir die Senfkörner vom Boden auf.« Als sie dies hörte, ging sie zu ihrem Mann, bat ihn um Hilfe und sagte: »Deine Mutter hat mir befohlen, einen Korb voll Senfsamen, den sie auf den Boden schüttete, einzusammeln und sie wieder in den Korb zu tun; sie sagte, daß auch nicht ein einziges Körnchen vergessen werden dürfte, sie müßten alle wieder in den Korb.« Der Prinz sagte zu seiner Dienerin: »Geh' wieder hin und spreche: der Prinz hat befohlen, daß alle Ameisen den Senfsamen einsammeln und in den Korb tun sollen, kein Korn darf zurückbleiben, alle sollen sie in den Korb.« Da kamen denn alle die Ameisen, sammelten sie auf und schleppten sie in den Korb. Als der Korb voll war, begab sich die Dienerin zur Frau des Königs und sagte: »Ich bin fertig, sie sind alle eingesammelt.« Nun meinte die Frau des Königs: »Dann nimm diesen Korb und hol' darin Wasser.« Schnell ging die Dienerin zum Prinzen und sagte: »Deine Mutter hat mir diesen Korb gegeben, ich soll darin Wasser holen, wie soll ich das machen?« Der Prinz erwiderte: »Wenn du beim Brunnen bist, dann mußt du sagen: der Prinz hat befohlen, daß alle Aale erscheinen und sich um den Korb schlängeln.« Als sie nach dem Brunnen kam, sagte sie: »Der Prinz befiehlt, daß alle Aale kommen und sich um den Korb schlängeln.« Dabei warf sie den Korb ins Wasser; als sie hinschaute, sah sie, wie die Aale sich um den Korb wanden; d'rauf zog sie den Korb heraus, schöpfte ihn voll Wasser und trug ihn in den Palast des Königs. Dort sagte sie zur Frau des Königs: »Hier ist das Wasser.« Die Frau des Königs erwiderte: »Schön, setze es nur dorthin.«
D'rauf sagte die Frau des Königs: »Heute abend soll mein Sohn heiraten, dann sollst du die Harzfackeln halten, um ihm dabei zu leuchten.« Es wurde Abend und der Augenblick kam, wo sie sich hinsetzten; die Dienerin des Prinzen hielt die Fackeln. Als der Prinz sich gesetzt hatte, wandte er seine Augen nach Westen und sah, wie die Dienerin weinte, denn auf ihrer Hand entstanden Blasen, da das Harz darauf tropfte. Er streichelte sie und sie wurde wieder besser. Als er zum andern Male nach Westen schaute, sah er, wie die Dienerin wieder weinte, da das Harz auf ihre Hände tropfte; er streichelte sie, und sofort war sie wieder besser. Als er sich aber zum dritten Male umsah, da nahm er die Dienerin bei der Hand und sagte: »Komm, wir wollen wieder nach der Erde heimkehren.« Da fragten sich die Gäste: »Also, war sie doch seine Gemahlin?« Der Prinz und seine Frau verließen aber den Himmel und kehrten wieder nach der Erde zurück.