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Eines Tages fuhr der Kutscher mit den beiden Braunen zur Bahn, und als er zurückkam, saßen ein Herr und eine Dame im Wagen. Neben dem Wagen sprang ein schwarz und weiß gesprenkelter großer Hund einher, und die Dame trug auf dem Schoß ein winziges Wachtelhündchen, das hatte einen leichten, seidenen Mantel um zum Schutz gegen den Reisestaub. Der zweite Kutscher aber, der auch auf die Bahn gefahren war, brachte Berge von Koffern, Schachteln und Hutkisten mit.
Hans kam dieses Mal sehr spät zu uns herunter. Er hatte seinen allerbesten Matrosenanzug an und niedrige Strümpfe und war ganz rot im Gesicht, denn er hatte heimlich von der Erdbeerbowle getrunken.
»Pfui«, sagte er, »ihr seid garstige Hunde! Meine Tante Meta ist angekommen und mein Onkel Fredi. Und jedes hat seinen Hund mitgebracht. Onkels heißt Terro, und Tantens Prinzchen. Die dürfen aber nicht auf den Hof. Dazu sind sie viel zu fein. Terro trägt ein Halsband mit seinem Namen und der Straße, in der er in Berlin wohnt. Und Prinzchen hat einen ganzen Koffer mit Mänteln mit, in denen sind Taschen mit Schnupftüchern, auch ein paar seidene Hosen, und mindestens ein halbes Dutzend Halsbänder, eins mit 12 lauter silbernen Glöckchen. Ich hab' Tante Meta gleich gebeten, ob Terro und Prinzchen nicht herunterdürfen, auf den Hof, mit euch spielen. Aber da ist sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Hofhunde sind schrecklich gemein, hat sie gesagt, und ihr Prinzchen sei ein süßer Liebling.« –
Ja, ich muß sagen, an dem Tage war Hans nicht gut mit uns. So hatte er noch nie mit Wotan und mir gesprochen, und ich denke auch, das kam nur, weil er von dem Wein genippt hatte. Und im Stillen schämte er sich auch sicher. Aber er kam nun viel seltener zu uns, denn die Herrschaften fuhren sehr oft aus, und Hans durfte auf dem Bock sitzen und mitfahren, und Terro lief nebenher. Prinzchen aber saß immer auf dem Schoß von Tante Meta und wurde mit einem seidenen Tuche zugedeckt, und kläffte jedesmal, wenn die Pferde anzogen.
»Was denkst du davon«, fragte ich den Schäferkaro, der nun unser Lehrer war.
Der Schäferkaro hatte zugehört, was uns Hans von den fremden Hunden erzählt hatte.
»Lieber Schlumski«, sagte er mit freundlicher Herablassung, »du mußt nicht denken, daß Hänschen schon sehr klug ist. Wenn ein Hund sechs Jahre ist, dann steht er in der Höhe seiner Kraft. Aber ein Mensch ist mit sechs Jahren gerade so weit, wie du und Wotan. Was weiß der kleine Hans vom Leben? Was den Terro anbetrifft, so streicht er ja zuweilen über den Hof. Ich habe den Herrn schon beobachtet und denke, wir werden noch etwas an ihm erleben. Und Prinzchen gehört doch nur zu den Kläffern. Wenn mir jemand eine seidene Decke 13 geben wollte, würde ich ihn in die Waden beißen. Ein Hund, der immer auf dem Schoß liegt und um Zucker bittet, ist gar kein anständiger Hund. Zucker verdirbt den Charakter. Wartet ab, ihr werdet es erleben.«
Wotan und ich waren aber sehr neugierig. Immer wollten wir Prinzchen sehen und schlichen um das Haus und versteckten uns auf der Veranda. Wir konnten gar nicht begreifen, warum mit einem so kleinen Tier so viel Aufhebens gemacht wurde. Aber wirklich, alles drehte sich bei Tante Meta um Prinzchen. Wenn Musik gemacht wurde, stellte es sich hin und bläffte so lange, bis der Flügel geschlossen wurde. Wotan und ich fanden das Klavierspielen ja auch gräßlich. Karo hatte uns gelehrt, Menschen verstünden überhaupt nichts von Musik. Nur Hunde wüßten, wie man singen müsse. Aber Wotan und ich hätten nie gewagt, unsere Mißbilligung zu äußern. Dann hätte man uns sicher hinausgeworfen. Prinzchen aber stellte sich vor den Spieler oder Sänger hin und bei jedem hohen Ton bläffte er vor Wut.
Wir sahen auch, daß niemand im Hause Prinzchen leiden konnte. Die Diener und Mädchen hätten ihn gerne heimlich getreten, aber sie hatten Angst vor der Gnädigen. Die brachte ihn morgens in ihrer Morgenjacke zum Frühstückstisch. Auf den durfte er hinaufspazieren und von der Sahne lecken. Hänschens Mama wurde immer ganz rot vor Ärger, wenn sie es sah. Aber sie sagte nichts, denn Tante Meta war ihr Besuch.
Eines Tages waren Wotan und ich ins Haus 14 geschlichen und hatten uns unter dem Schreibtisch verkrochen, während alles bei Tisch saß. Da hörten wir plötzlich Gläserklirren, und dann Schreien und Laufen. Wotan lugte um die Ecke und sagte mir, Prinzchen wäre auf den Tisch gesprungen und nun liefe der rote Wein über das Tischtuch. Aber dann kroch mein Bruder schnell zurück, und da kam Prinzchen schon angerast, eine Serviette zwischen den Zähnen, die riß er ritsch-ratsch entzwei, daß die Fetzen nur so flogen. Mit einem Bein war er in ein Stachelbeertörtchen getreten. Nun saß der Mürbteig wie ein Ring um seinen Fuß, und die Stachelbeeren kollerten hinter ihm her. Alle folgten ihm, und Tante Meta weinte und rang die Hände.
Jetzt geht es ihm aber schlecht, dachte ich, und ich muß gestehen, daß ich mich darüber freute. Aber es sollte anders kommen. Prinzchen hatte uns gewittert und blieb vor dem Schreibtisch stehen und bekam Zuckungen vor Wut. Hans zog uns hervor, und als Tante Meta uns sah, sagte sie, wir wären an allem Schuld; andere Hunde machten Prinzchen immer nervös, und wenn Hans uns nicht geschützt hätte, hätten wir womöglich Hiebe bekommen. Wir kniffen den Schwanz ein und liefen auf den Hof zurück. Von nun an verachteten wir Prinzchen und wollten nichts mehr von ihm wissen, und wenn er ausfuhr, versteckten wir uns, ja, einmal, als er auf den Hof kam, nur um zu zeigen, daß er wirklich rote Seidenhöschen anhatte, und so tat, als ob er an der Pumpe Wasser trinken wollte, machten wir die Augen fest zu und blinzelten nicht 15 ein bißchen. Die Enten und die Hühner freilich waren vor Entzücken ganz außer sich, legten den Kopf auf die Seite und verdrehten die Augen. Aber der Puter wurde tückisch, bekam einen blauen Koller und fuhr auf Prinzchen los.
»Rote Hosen tragen die Franzosen«, kollerte er, »weg von unserer Pumpe, du Lumpe«.
Da hättet ihr sehen sollen, wie Prinzchen lief. Wotan und ich wälzten uns vor Freude. Nein, Mut hatte er nicht.
Seit dem durchgetretenen Stachelbeertörtchen kam Hänschen wieder zu uns. Es hatte gerade auf seinem Teller gelegen und war das letzte gewesen. Hans brachte uns einen herrlichen Knochen mit und bat uns förmlich um Entschuldigung. Und nun erzählte er uns Prinzchens Schandtaten. Jeden Tag gab es zerbrochene Gläser und zerrissene Spitzen, und seine Mama hatte immer Kopfschmerzen vor Ärger.
Schäferkaro nickte befriedigt, wenn wir's ihm am Abend berichteten. Und dann war's eines Tages aus. Der Diener kam auf den Hof gelaufen und schrie dem Kutscher zu, er solle anspannen und zum Arzt fahren, und als der ihn fragte, was denn los sei, hielt er sich die Seiten vor Lachen.
»Das Biest, das Prinzchen, hat seine Gnädige in die Nase gebissen. Ein nettes Prinzchen!« –
Und so war es. Tante Meta war krank, trug ein Pflaster auf der Nase, und der Arzt hatte gesagt, es würde eine tüchtige Narbe geben. Sie wollte Prinzchen, den Undankbaren, nie wieder sehen. Hans erzählte uns alles. 16
»Er kommt fort«, sagte er. »Papa wollte ihn ersäufen. Aber Tante Meta bat noch für ihn. Sie wird ihn einem zoologischen Garten schenken. Heute Abend wird er abgeschickt, damit er in der Nacht reist und nicht so unter der Hitze leidet.«
Und richtig, gegen Abend fuhr der zweite Kutscher vor, und ein Korb wurde herausgebracht und auf die Erde gestellt. Der Kutscher mußte noch mit der Mamsell verhandeln, und während dessen versammelte sich der ganze Hof um den Reisekorb. Es war ein weiches Lager darin, einige belegte Brötchen, ein herrlicher Knochen, und ein tiefes Gefäß mit Wasser. Aber es war doch eine Schande. Und Prinzchen wußte das. Es stand und giftete sich und fletschte die Zähne.
Die Schafe wurden gerade eingetrieben, und Karo kam, blieb an dem Korbe stehen und hob ein Bein auf. Das war das Zeichen seiner größten Verachtung.
Dann stieg der Kutscher auf.
»Wo ist das Luder«, fragte er.
Mamsellchen reichte ihm den Korb.
»Ich denk, ich werf ihn im Vorbeifahren doch lieber in den Teich.«
»Laß man, der wird schon noch sein Teil lernen müssen im Leben.«
Und so entschwand Prinzchen unseren Blicken. Hans sagte, Tante Meta habe seine Kleider mitschicken wollen, aber dann habe sie sie seinem kleinen Schwesterchen geschenkt für ihr Hündchen, das Lieschen auf Rädern hinter sich herzog. Und einmal kam Lieschen mit ihrem Kinderfräulein auf den 17 Hof. Ihr Spielhund war aufgeplatzt und streute Sägespäne. Aber er hatte die roten Seidenhosen von Prinzchen an, und der Puter wollte sich schon auf ihn stürzen, da besann er sich noch und kollerte nur leise.
Schäferkaro aber sagte: »Wenn ein Hund seinen Herrn beißt, so ist er nicht das Fell wert, merkt euch das. Der Hund ist das erste Geschöpf auf der Erde. Nur der Mensch steht über ihm. Mensch und Hund gehören zusammen. Treu bis aus die Knochen, das ist die Losung.« 18