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Da, wo der Hof an den Garten stieß, stand die Hütte des Jagdhundes Treff. Er hatte nichts mit dem Hof zu tun, er wohnte für sich. Es war auch nur sein Sommerhaus. Wenn die Rebhuhnjagd anfing, nahm ihn Neumann zu sich. Neumann war Gärtner und Jäger, und Treff, der Jagdhund, war sein Begleiter.
Wunderschön wohnte Treff unter dem blauen Fliederstrauch bei der großen Esche. – Wotan und ich besuchten ihn oft. Wir krochen durch ein Loch in der Hecke, die Hof und Garten trennte. Er lag dann ruhig vor seiner Hütte, irgendeinen guten Knochen neben sich, um den er sich nicht sonderlich kümmerte, denn alle versorgten ihn mit Futter, und er hatte mehr als genug.
»Bitte, greift zu, ihr Kleinen. Ich mag nicht. Im August fängt die Rebhühnerjagd an, und ich muß auf Taille halten.«
Wir fühlten uns sehr geehrt, wenn wir bei Treff waren, denn er war wirklich ein großer Herr. Selbst der Schäferkaro gab das zu. Und er war auch so herablassend und leutselig, wie ein vornehmer Mann es sein muß. Klein Lieschen durfte ihn streicheln und sich auf seinen Rücken setzen, und Hans steckte ihm unbesorgt die Hand ins Maul und bewunderte 19 seine Zähne. Zuweilen nahm ihn der Herr von der Kette und Hans durfte mit ihm spielen. Sie spielten »Such verloren«, und Treff fand alles, was Hans versteckt hatte, sein Taschentuch und seinen Hut, und brachte es ganz zierlich zwischen den Zähnen an. Und wenn Hans ein Stück Holz warf und »apporte« rief, dann holte es Treff und gab es ihm ab. Ja, er sprang ins Wasser und schwamm danach und tauchte. Wir bewunderten ihn dann und sagten es ihm auch, wenn er wieder in seiner Hütte lag, und Hans rief jedesmal:
»Er ist so gut erzogen, nicht Vater?«
»Ja, Hans. Die Erziehung macht alles. Er hat eine gute Kinderstube gehabt.«
»Wo war Ihre Kinderstube, Herr Treff«, fragten wir ihn einmal, als er besonders geehrt worden war, denn er hatte seine Kunststücke vor einer großen Gesellschaft gezeigt. »Haben Sie auch beim Schäferkaro gelernt?«
Da schmunzelte er.
»Nein, ich war in Pension, bei einem Förster. Eine sehr noble Pension, müßt Ihr wissen. Hänschens Vater ließ es sich etwas kosten, denn ich bin aus sehr vornehmer Familie. Meine Mutter war eine berühmte englische Lady. Daher habe ich auch mein Sprachtalent, »down« und »tout beau« englisch oder französisch ist mir ganz gleich. Ihr glaubt nicht, was sich der Förster für Mühe mit mir gegeben hat! Er ganz allein brachte mir Futter und Wasser. Er nahm mich an eine lange Leine und lehrte mich mit einem Bündel Stroh all das, was ich nun zu so hohem Lob ausübe. Zuweilen bekam ich die Peitsche. 20 Aber ich verstand, daß er mein Bestes wollte, und mein Eifer, zu lernen, war ebenso groß, wie der seinige, zu lehren. Und dann kam der Tag, wo er mich zum erstenmal auf die Rebhuhnjagd nahm.«
Treff erhob sich. Seine breite Brust zitterte vor Entzücken. Mitleidig sah er auf uns herab.
»Arme, gemeine Dinger! Das werdet ihr nie erfahren. Als ich ihm zum erstenmal eine Krähe apportierte, obgleich ich einen Abscheu vor Krähen habe, da sagte er: Heute gehen wir auf die Jagd, Treff. Und wir gingen. Die Rebhühner lagen in den Kartoffeln und in den Haferstoppeln. Gegen den Wind witterte ich. Unaufhörlich bewegte ich meine Rute. Aber dann stand ich plötzlich so still, als wäre ich zu Stein geworden. Sie waren da! Und nun wartete ich, bis mein Herr mir nachkam und mir die Erlaubnis gab, sie aufzujagen. Er schoß! Eine Doublette! Zwei fielen nieder. Und ich holte sie ihm und er streichelte mich, und das war mein Ritterschlag.«
Wir schwiegen atemlos. Da kam Terro über den Hof gestrichen, kroch durch die Hecke und blieb vor Treff stehen.
»Nun, wie ist es? Kommen Sie heute abend mit? Wir haben Mondschein. Es wird eine herrliche Jagd werden. Ich sage Ihnen, ich habe gestern ein paar Junghasen erlegt, die schmecken mir noch heute. Den einen konnte ich nicht recht bewältigen. Ich verscharrte ihn am ersten Meilenstein beim Kartoffelfelde. Wir wollen mit ihm anfangen. Ein kleines Jagdfrühstück. Sie sind hiermit freundlichst gebeten.«
21 Treff sah sehr hoheitsvoll aus.
»Sie wissen, ich jage nicht ohne Jagdschein.«
Terro stellte sich ganz erstaunt.
»Ohne Jagdschein? Aber, mein Bester, Jagdscheine sind für Menschen, nicht für Hunde.«
»Ja, aber Hunde jagen nur in Begleitung ihrer Herren, die Jagdscheine haben.«
»Wie schade, daß Sie bei Ihren Fähigkeiten ein so großer Philister sind! Das wahre Genie setzt sich über solche Kleinigkeiten hinweg.«
»Nein, Herr Terro, wenn man ohne Jagdschein jagt, ist man ein Wilderer und wird totgeschossen, ob man nun ein Mensch oder ein Hund ist. Ich habe das erfahren. Als ich noch beim Förster war, fanden wir auf der Suche oft einen angeschossenen Rehbock, zuweilen auch eine Rike, und der Förster fluchte nicht schlecht. Und einmal, als so ein kleines, weißgesprenkeltes Kitzchen klagend um die Mutter herumsprang, tat er einen Schwur, der Kerl solle daran glauben. Er wußte nämlich, daß im Nachbardorf der schwarze Kaspar wohnte, der gar zu gern im Mondschein mit der Flinte spazieren ging. Einen Jagdschein hatte der schwarze Kaspar zufällig auch nicht, Herr Terro, deshalb nannten ihn die Leute eben den Wilderer. Aber beweisen konnte ihm niemand etwas, denn er war sehr schlau, und das Wild, das er geschossen hatte, schaffte er immer noch in derselben Nacht nach der Stadt.
Aber als wir das Kitzchen gefunden hatten, und der Förster hatte es mit nach Hause genommen, und seine Frau gab ihm die Milchflasche, und ich durfte auf das kleine Tier aufpassen, weil er wußte, 22 ehe ich ihm ein Leid getan, hätte ich mir die Zunge abgebissen – da wurde es anders. In der Nacht zog er mit dem Forstgehilfen aus. Dreimal kamen sie unverrichteter Sache zurück. Aber das vierte Mal trugen sie eine Bahre, auf der lag ein toter Mann. Das war der schwarze Kaspar. Freilich, einen Kampf mußte es gegeben haben. Der Rock von meinem Herrn war ganz zerrissen und mit Blut bespritzt, und den Arm trug er dann noch wochenlang in der Binde. Aber er hatte gesiegt. Und dann bekam er noch eine Auszeichnung. Und das beste – unsere Rehe hatten Ruhe.
Ja, Herr Terro, so geht es den Wilderern.«
Terro scharrte nachlässig mit der Pfote im Sand.
»Der schwarze Kaspar war zu dumm, daß er sich ertappen ließ. Aber ganz wie Sie wollen, Herr Treff. Wenn der Mond aufgeht, spreche ich noch einmal vor. Vielleicht haben sie sich dann eines Besseren besonnen. Aus Wiedersehen.«
Als die beiden großen Herren sprachen, hatten Wotan und ich uns bescheiden zurückgezogen. Aber des Abends bissen wir uns gegenseitig in den Schwanz, um uns wach zu halten. Und als der Mond aufging, krochen wir aus dem Schuppen heraus und paßten auf. Richtig, aus dem offenstehenden Fenster des Herrenhauses sprang mit einem mächtigen Satz Terro und lief nach dem Fliederbusch.
»Ob Treff mitgeht, Wotan?«
»Ich wette das Kalbsgedärm, das heut im Komposthaufen verscharrt ist: nein, Schlumski.« Und Wotan hatte recht. Terro trabte allein ab. Wir 23 sahen ihn, wie er durch die Koppel strich, und die jungen Pferde wachten aus dem Schlaf auf und wieherten, und als wir in unseren Schuppen zurückkrochen, hörten wir noch aus der Ferne sein kurzes, scharfes Bellen.
Dann besprachen wir die Sache mit dem Schäferkaro.
»Das weiß ich schon lange. Der feine Herr, der Terro, ist ein ganz gemeiner Wilderer. Und das nimmt auch kein gutes Ende. Heut kamen die Bauern zum Schäfer, als wir auf die Brache an der Grenze trieben, und beklagten sich bei ihm. Sie haben ihn beobachtet. Ihre ganze Hasenjagd ruiniert er ihnen, und sie hätten ihm schon lange Gift gelegt, aber sie fürchten für ihre eigenen Hunde. Sie sagen, wenn ihn der Herr nun nicht einsperrt, dann schießen sie ihn tot.«
»Lieben Jagdhunde denn so die Hasenjagd, Karo?«
»Es ist ihr Höchstes. Wir Hunde haben doch alle einen Todfeind. Das ist die Katze. Maul gehalten, Schlumski. Nicht gleich bellen, wenn ich ihren Namen sage. Aber wenn ein Jagdhund mit einer Katze kämpft, und der Sieg ist ihm sicher, und er hat sie schon zwischen den Zähnen, es geht aber grad ein Hase vor ihm auf – dann Heidi! Katze – und hinter dem Hasen her, so lange noch Atem in der Kehle ist. Darum achte ich den Treff so, weil er hasenrein ist.«
»Was ist das, hasenrein?«
»Wenn er im Dienst ist, auf Jagd mit seinem Herrn, dann bezwingt er sich, kost es, was es wolle. 24 Wenn er die Rebhühner sucht, können die Hasen seinetwegen auf seiner Nase tanzen, er steht steif, und seine Rute zittert nicht. Ich habe das einmal gesehen, als sie neben mir in den Rüben jagten. Ein ganzer Kerl, der Treff, sage ich euch. Ich hebe den Schwanz vor Achtung, wenn ich ihn treffe –.«
Wir paßten nun auf, wie es mit Terro gehen würde. Und eines Tages sahen wir denn wirklich die beiden Bauern in langen Röcken und mit Knotenstöcken auf den Hof kommen und im Herrenhaus verschwinden.
»Das sind sie«, sagte Karo, »das sind seine Kläger.«
Und am Abend war das Fenster zu, und Hans erzählte uns, Terro würde eingeschlossen. Er sei der wilde Jäger, und es würde ihm wohl schlecht gehen.
»Meinetwegen können sie ihn überhaupt fortschicken, wie Prinzchen. Pfui, Hasen zerreißt er, und ein Kitzchen haben sie heut am Wald gefunden, das hat er abgewürgt.«
Wotan und ich sahen uns an. Als damals Treff von dem Rehkitzchen erzählt hatte, das er bewacht hatte, da war dem Terro das Wasser aus dem Maul gelaufen vor Begierde.
Na, was half es, das Fenster blieb des Nachts geschlossen, und am Tage wurde Terro an einem ledernen Riemen geführt. Er konnte nicht mehr zu Treff kommen, der sich in seiner vornehmen Ruhe über all diese Ereignisse gar nicht weiter aussprach.
Eines Morgens – was sehen meine Augen – ist das Fenster zerbrochen. Die Scherben liegen an 25 der Erde, und Terro ist fort. Hans kommt, es uns erzählen, ganz aufgeregt, und Neumann wird gleich auf die Suche geschickt.
Der brachte ihn dann auch. Die Bauern hatten ihn totgeschossen und schickten ihn mit schönem Gruß zurück. Er war schon ganz steif und streckte alle Viere von sich. Ehe sie ihn verscharrten, gingen wir alle hin und sahen ihn uns noch einmal an. Als Treff kam, zogen wir uns ein wenig zurück und machten ihm Platz.
Es war ein erhabener Anblick, wie der edle Hund vor dem wilden Jäger stand. Eine Weile sah er verächtlich auf ihn herab. Dann drehte er ihm stolz den Rücken und ging unter seinen Fliederbusch. 26