Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Der Hundefänger

Am Morgen nach der interessanten Erzählung des Pudels brachte der Wärter einen Hund in den Krankensaal, der eine gräßliche offene Wunde auf der Brust hatte. Es mußte sofort ein Verband angelegt werden, denn das Tier war schon so erschöpft, daß es kaum noch jappen konnte. Der Doktor war nicht zu Hause. Er war zu dem Schoßhündchen einer reichen Dame gerufen, das einen Hühnerknochen verschluckt hatte. So machte ihm der Wärter einen Notverband.

»Dir kenn ich doch«, sagte er dabei. »Du bist doch den Studenten ihrer. Vorigtes Jahr warst du ja man hier, wie sie dich zu viel Bier gegeben hatten, und wir mußten dich den Magen auspumpen. Wo hast de dir denn das Loch in die Brust geholt? Da hat wohl Eener nen Sonntagsbraten aus dich machen wollen!«

Als der Doktor kam, erkannte auch er den Hund, eine schöne hellgraue Ulmer Dogge, sofort wieder.

»Aha, der Herr Korpshund. Na, da werden wir nur schnell eine Karte schreiben müssen, daß der Senior der Weißmützen ihn holen kommt. Ganz von selbst hat er sich eingefunden?«

Der Wärter nickte.

135 »Rein von allein. En Wunder, daß er sich nich ene Droschke genommen hat. Ich will hier in den Krankensaal mit das Frühstück, da liegt er vor der Tür. Na, viel Kraft hat er nich mehr!«

Das war wahr. Die Dogge schlief den ganzen Tag, hatte gegen Abend eine sehr heiße Nase, wie der Doktor feststellte, und war auch in der Nacht so unruhig, daß sie unsere Ruhe bedenklich störte.

Am nächsten Tage kamen zwei Studenten mit weißen Mützen, Bändern und Bierzipfeln, so daß der Pudel zuerst ganz aufgeregt wurde, denn er bildete sich ein, sie hätten seinen Koffer geöffnet und ihm sein liebstes Kostüm entwendet. Es war noch nicht Besuchszeit. Die Studenten sagten aber, danach könnten sie sich nicht richten, denn später hätten sie Frühschoppen. Sie dankten dem Doktor sehr für seine Karte und erzählten, daß sie »Hören Sie mal« beim Vormittagsbummel vor drei Tagen verloren hätten und schon zum Hundefänger geschickt hätten, um sich nach ihm zu erkundigen. Der Hundefänger hätte ihnen sagen lassen, er wisse nichts von dem Hund. Sie hätten ihm aber nicht geglaubt. Hundefänger seien zu boshaft.

Dann beklopften sie »Hören Sie mal«, der fest schlief, baten den Doktor, er möchte ihm doch ja jeden Tag einen Liter Bier geben, weil er so sehr daran gewöhnt sei, und gingen.

Man kann sich denken, wie neugierig wir waren, als »Hören Sie mal« am nächsten Tage soweit hergestellt war, um uns seine Geschichte zu erzählen. Zunächst beruhigte er den Pudel vollkommen darüber, daß sein Koffer angetastet sei. Auch er 136 besäße Mütze und Band, gleich seinen Herren. Beides trage er zuweilen auf der Korpskneipe. Wir hatten schon an seinem tadellosen Benehmen gesehen, daß er aus besten Kreisen stamme. Nur war seine Ausdrucksweise sehr eigentümlich.

»Famoses Leben, das so ein Studentenhund führt! Schneidig, sage ich Ihnen, meine Komilitonen. Am Vormittag ein Bummel, dann ein Frühschoppen, ein Kaffeeskat, ein Dämmerschoppen – eine offizielle Kneipe, und am nächsten Morgen ein Kater.«

Wir knurrten alle, als er das Wort: Kater – aussprach. Nur der Eskimo kümmerte sich wieder einmal um nichts.

»Kater, meine Herren Komilitonen, in der Bedeutung von Kopfschmerz und Magensäure. Hat sonst nichts mit dem verachteten Katzengeschlecht zu tun.«

Wir wedelten beifällig.

»Zuweilen als Unterhaltung eine Mensur. Bindet die Klingen! – Sind gebunden. – Los! – Großartig, auf Ehre, wenn dann die prächtigen Jungens so aufeinander loshauen. Eben Studentenleben! Korpshund meiner Meinung nach das Allerfeudalste. Will aber niemandem hier zu nahe treten.

Die Studenten haben mich ›Hören Sie mal‹ genannt. Prächtiger Ulk. Wenn wir nun so unseren Bummel machen, immer auf und ab in derselben Straße, und sie rufen ›Hören Sie mal‹ – gleich drehen die Vorübergehenden die Köpfe, weil sie denken, es gilt ihnen. Kapitaler Spaß. Oft böse geworden. Anrempeln wollen. Ist aber nichts zu 137 machen. Kann doch niemandem verbieten, daß man seinen Hund ›Hören Sie mal‹ nennt.

Ging alles wundervoll, bis die Hundesperre kam. Hunde an der Leine führen! Maulkorb tragen. Höchst ärgerlich. Leine und Maulkorb widerwärtige Dinge. Junger Fuchs soll mich führen. Fuchs junger Student im ersten Semester. Ich sehr heftig. Junger Fuchs starken Kater. Laufe ihm einfach davon.

Dummheit gewesen. Größte Dummheit meines Lebens. Wenn Leine, denn Leine. Fuchs bei dem Ruck hingefallen. Höllisches Gelächter. Beine gen Himmel, Leine gerissen, und ich über alle Berge. Abend gekommen. Leere Straßen, dunkle Gestalten – und plötzlich ein Griff am Halsband. Hundefänger.«

Hier erhoben einige unter den Zuhörern ein ohrenbetäubendes Gebell, so daß der Bernhardiner fragte, was es gäbe. Auch der Türke kannte keine Hundefänger, und mit Erlaubnis von »Hören Sie mal« gab der Pudel eine kurze Erklärung.

»Der Hundefänger ist unser Todfeind. Er fängt jeden Hund, der ohne Maulkorb und Leine umherläuft und schließt ihn drei Tage ein. Kommt der Herr ihn in der Zeit abholen, so muß er hohe Futterkosten zahlen. Wenn nicht, so scheut sich der Hundefänger nicht, seinen Gefangenen am dritten Tage zu vergiften. Ja, das tut er.«

Wieder brach ein Wutgeheul aus. »Hören Sie mal« aber fuhr fort: »So ein gemeiner Schuft hatte mich am Halsband. Ich wußte, daß er mich gar nicht fangen durfte, denn ich trug noch meinen 138 Maulkorb. Aber Gewalt geht vor Recht. Hatte einen Sack auf dem Rücken, in dem es bellte und miefte. Schüttete ihn daheim aus. Drei gefangene Köter gemeiner Rasse. War ein ekelhaftes Lokal, schmutzig, dunkel, kalt. Alle Sorten Hunde zusammen. Nicht so gewählte Gesellschaft wie hier. Jeden Morgen verschwanden einige. Männer mit nackten Armen nahmen sie hohnlachend heraus. Sie kehrten nie wieder zurück. Eine Stunde darauf kam der Schinderkarren und holte sie.

Einige wurden auch von ihren Herren ausgelöst. Andere wieder kauften arme Leute um ein Billiges. Anfangs begriff ich nicht, wozu. Dann hörte ich einen Mann sagen, als er einen Mops erstand: Er gibt einen guten Sonntagsbraten.

Da begriff ich.«

Auch unser Mops begriff und stieß ein jämmerliches Heulen aus.

»Die Studenten holten mich nicht. Natürlich keine Ahnung, wo ich war. Und heut war der dritte Tag. ›Morgen kommt der Große ran‹, sagte der Hundefänger. ›Schade um ihn, ein feiner Braten‹, meinte der Knecht. Da sahen sie sich so an und lächelten, und ich wußte plötzlich, sie wollten mich schlachten und braten. Ich schlief die ganze Nacht nicht. Der Stall, in den man uns gesperrt hatte, war verschlossen. Zudem hatte ich gesehen, daß wir erst über einen Hof mußten. Flucht war also vorläufig unmöglich.

Ich wartete. Meine Herren Komilitonen – ich will nicht weiter über meine Gefühle sprechen, Sie werden mich verstehen. Als man am nächsten 139 Morgen die zum Tode durch Gift Bestimmten aussuchte, war ich nicht darunter. Kein Zweifel also, man wollte mich schlachten wie ein Schwein. Nach einer Weile kam der Hundefänger mich holen. Ich wehrte mich furchtbar. Aber er hatte mir vorsichtigerweise den Maulkorb umgelegt, und sein Geselle hielt mich. Er zog mir das Halsband so fest, daß es mich würgte.

Auf den Hof kam soeben der Schinderkarren gefahren. Der Schinder fing an, die vergifteten Hunde aufzuladen. ›Den auch noch‹, fragte er, auf mich zeigend. ›Nein, den behalten wir selber‹, lachte der Hundefänger und griff nach dem Messer. Ich sah aber nur nach dem offenen Tor, und als der Hundefänger mich losließ, um zuzustoßen, machte ich einen mächtigen Satz, so daß ich den Gesellen umriß. Der Stich ging vorbei und ich stürzte auf die Straße.

Erst lief ich wie unsinnig. Aber dann wurde ich schwächer und schwächer, je mehr Blut ich verlor. Ich sah mich um. Erkannte Gegend sofort. Hier gewesen, als einmal bei einem großen Kommers zu viel Bier getrunken. Legte mich an die Tür. Bin gerettet.«

Wir alle drückten »Hören Sie mal« unsere Teilnahme aus und sprachen dann noch empört über die Hundefänger. Ich selbst war ja nie am Abend ausgegangen, hatte also nie einen gesehen. Pudel Mohr aber kennzeichnete sie als die gemeinsten Menschen. Unter Anleitung des studentischen »Hören Sie mal« brachten wir ihnen ein Pereat, was einen sehr guten Eindruck machte. überhaupt 140 bemerkte ich, daß Pudel Mohr ihn scharf beobachtete, besonders auch die Studenten, wenn sie ihn besuchen kamen. Sie sagten dann immer: »Na, liegst du noch im Korbe, alter Junge?«

»Ich mache Studien für meine Studentenrolle«, flüsterte der Pudel mir zu. »Ich werde sie bei meinem Benefiz geben und habe mir ein paar seine Züge gemerkt. Sehen Sie einmal, Herr Schlumski.«

Dabei hob er die Pfote und zog geradeso an seinen Schnurrbarthaaren wie der Student. Ja, er war ein großer Künstler! 141


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