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Es war in der Erntezeit. Ihr glaubt gar nicht, wie heiß es war. Die Luft brannte, und die Erde brannte auch. Morgens und abends stieg ein Dampf von ihr auf, wie von Feuer. Aber alle Menschen waren es zufrieden, denn die Ernte kam gut herein. Es standen soviel Mieten auf dem Weizenfelde, daß sie aussahen wie ein zweites Dorf mit hohen, hohen Häusern. Ein Pferd hatte beim Einfahren den Sonnenstich bekommen und war gefallen. Und die Menschen tranken Wasser mit Essig, um sich abzukühlen. Wotan und ich blieben immer in der Nähe der Pumpe. Wenn ein Knecht den Eimer forttrug, liefen wir unter das Rohr und ließen uns die letzten Tropfen auf das Fell laufen. Wir waren nun schon ebenso groß fast wie der Schäferkaro und stark, und am nächsten Vollmond sollten wir zum ersten Mal mitheulen dürfen.
Ja, es war heiß! Die Fliegen waren so matt, daß wir sie fangen konnten, wenn wir nur das Maul aufmachten und zuschnappten. Wir waren aber viel zu faul dazu. Wir waren auch zu faul, uns zu zanken. So recht in unseren Lümmeljahren waren wir.
Der Schäferkaro war ebenso fleißig als sonst. 27 Geradeso, als sei ihm die Hitze ganz gleichgültig. Die Schafe gingen jetzt auf den Stoppeln, und es gab genug für ihn zu tun. Natürlich waren die Schafe geschoren. Sonst wären sie in ihrer Wolle ganz gewiß auseinandergelaufen vor Hitze.
Eines Abends, als eingetrieben war und Feierabend läutete, gingen die Leute nicht nach Hause, sondern blieben noch auf dem Hof stehen und hörten zu, was der alte Schäfer erzählte. Sie schüttelten die Köpfe und waren sehr aufgeregt. Weil aber der Karo immer alles wußte, was sein Herr wußte, so fragten wir ihn:
»Was hat's gegeben, Karo?«
So ernst war er, wie wir ihn noch nie gesehen hatten.
»Ja, ihr seid nun ja alt genug, ihr könnt es nun verstehen. Ein toller Hund ist im Nachbardorf. Er hat heute einen Menschen gebissen, eine Frau, die ihr Kind auf dem Arm hatte, und nicht so schnell fortlaufen konnte. Der Arzt war nicht gleich da. Da holten sie den Schäfer. Ein Schäfer, wißt ihr, der weiß viel. Mancher Doktor zieht den Hut ab vor meinem Herrn. Na, wir kamen auch gleich. Die Frau war kreidebleich und sah immer auf ihren Arm, von dem tropfte das Blut.«
»Tat es denn so weh, Karo?«
»Weh? Das war wohl das wenigste. Aber wenn ein toller Hund einen Menschen beißt, und der Wutgeifer geht in sein Blut, dann wird der Mensch auch toll und beißt andere, und kennt seinesgleichen nicht mehr. Und dann stirbt er unter gräßlichen Qualen.«
28 »Was tat der Schäfer?«
»Er sagte kein Wort. Er ging mit der Frau in die Schmiede, da lag ein Eisen im Feuer. Das ergriff er und hielt es in die Wunde. Es zischte nur so, und das Fleisch wurde ganz schwarz. Die Frau schrie wie wahnsinnig, und ihr Mann und der Schmied mußten sie halten. Aber es ist das einzige Mittel, wißt ihr. Und als der Arzt kam, da gab er meinem Herrn die Hand und sagte: bravo!«
»Und der tolle Hund?«
»Der ist weitergelaufen. Ihr müßt euch nun in acht nehmen, Schlumski und Wotan. Alle müssen wir aufpassen. Er kann auch hierher kommen. Bleibt in eurem Schuppen, rate ich euch. Ein toller Hund beißt in einen Stein, der im Weg liegt, so bissig ist er.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Es soll ein gelber Köter gewesen sein. Ihr erkennt ihn gleich. Er läuft immer gerade aus und kann gar nicht vom Wege abweichen. Wenn er die Kraft hätte, würde er um die ganze Erde laufen. Nur wenn er an ein Wasser kommt, taumelt er. Wasser kann er nicht sehen. Und nun geht schlafen. Ich schlafe heute nicht. Ich denke nach.«
»Worüber, Karo?«
»Warum der Fluch auf uns liegt. Warum wir toll werden können.« –
Wir waren doch sehr aufgeregt, Wotan und ich. Immer sahen wir im Traum einen gelben Hund auf uns zulaufen, dem die Zunge blaurot aus dem Halse hing. Dann schreckten wir auf und bellten. Es war auch so heiß im Schuppen. Wir waren 29 beide froh, als wir hörten, daß die Knechte mit den Eimern an die Pumpe gingen, um die Pferde zu tränken. Nun war es Morgen.
Es war aber kein schöner Tag. Die Luft war ganz bleigrau vor Hitze. Die Dorfkinder durften nicht heraus, wegen des tollen Hundes. Neumann hatte sein Gewehr geladen an den Zaun gelehnt, damit er gleich bereit sei, und Hänschens Vater hatte eine Pistole zur Hand.
Wotan und ich, wir wetteten, ob der tolle Hund kommen würde. Wir wetteten um einen Schafskopf, der gestern vergraben war, denn das Tier hatte den Drehwurm gehabt und war geschlachtet.
Gegen Mittag schleppte Hans dem Treff noch einen kleinen, grünen Eimer mit Wasser hin.
»Trink nur, Treff, damit du nicht auch toll wirst«, sagte er. »Und ihr auch, Wotan und Schlumski, marsch an die Pumpe.«
Wie er noch sprach, stieß auf einmal die gnädige Frau, die auf die Veranda gekommen war, einen Schrei aus. Und da sahen wir ihn auch schon. Er kam gerade die Dorfstraße entlang gerannt, wie ein gelber Teufel. Und gerade wie im Traum hing ihm die Zunge blaurot aus dem Rachen. Hans stand ganz starr vor Schreck, und wir auch. Wir wollten wohl fortlaufen, aber wir konnten nicht. Neumann, der die Rosen am Haus aufband, lief nach der Flinte. Aber ehe er die hatte und schießen konnte, mußte der Hund schon da sein. Da, im letzten Augenblick, stürzte die gnädige Frau herunter, hob Hans hoch, und riß ihn auf die Seite. Und nun jagte der tolle Hund an uns vorbei, so 30 daß wir seine blutunterlaufenen Augen sehen konnten, gerade auf Neumann zu, der nun angelegt hatte. Ein Knall, der Hund taumelte um sich selbst, und verröchelte.
Alles kam nun heraus, aber keiner durfte an die Stelle heran, wo Blut und Geifer lag, bis Kalk darüber gestreut war. Und keiner von uns Hunden wollte den Toten sehen, wie damals den Terro. Mit eingekniffenem Schwanz schlichen wir fort und heulten. Er wurde auch nicht begraben, sondern in einen Sack gesteckt, mit Steinen beschwert, und Neumann ruderte auf den See und versenkte ihn. Als er zurückkam, ließ ihn die gnädige Frau rufen, und als er wieder aus dem Herrenhaus herauskam, da schmusterte er vergnügt und hatte die Hand in der Tasche und es klimperte darin.
»Möchtest wohl jeden Tag einen tollen Hund schießen«, fragte der Kutscher.
»Nein, Bach. Das nicht. Ein Taler ist schon recht. Aber so ein toller Hund, das ist zu was Grausiges.«
Und was Grausiges war es auch. Wotan und ich, wir konnten den Anblick gar nicht vergessen. Der Schäferkaro war auch ganz anders wie sonst. Und eines Abends – es hatte geregnet, und durch den Boden, der anfangs das Wasser gar nicht hatte aufnehmen können, weil er so steinhart war wie eine Tenne, krochen hundert Regenwürmer – sagte er:
»Kommt, Kinder, wir wollen zum Herrn Treff gehen und uns noch ein wenig erzählen. Heut, 31 nach dem Regen, fühlt man doch mal wieder, daß man Hund ist.«
Na, wir kamen gern mit, denn es war immer eine Ehre, unter den Fliederbusch zu dürfen. Und Treff und Karo sprachen nun zusammen, wie zwei kluge Hunde, die die Welt und das Leben kennen. Und natürlich sprachen sie auch von der Tollwut.
»Es muß doch mit dem Wasser zusammenhängen«, sagte Treff.
»Ja, das meinte ich auch. Und es wird eine Strafe sein für etwas, das lange, lange vergangen ist.«
Treff machte ein sehr nachdenkliches Gesicht.
»Wissen Sie, lieber Karo, ich denke eigentlich nur an Hasen und Rebhühner, alle anderen Dinge vergesse ich leicht. Aber nun fällt mir ein, als ich noch bei dem Förster in Pension war, da ist einmal davon gesprochen worden. Es war da auch ein Hund toll geworden, ein Hofhund, ja. Der Oberförster war gerade da. Wissen Sie, klüger als ein Oberförster in Hundedingen ist, kann niemand sein, nicht einmal ein Schäfer. Und der sprach davon.«
»Was sagte er denn, Herr Treff?«
»Ich war damals noch sehr jung, etwas älter als Schlumski und Wotan. Ich glaube, ich bringe es nicht mehr zusammen.«
Aber wir baten alle, er möchte sich doch besinnen. Und dann besann er sich.
»Der Oberförster sagte, niemand wisse eigentlich, woher die Hunde kämen. Sie fänden sich überall in der ganzen Welt mit dem Menschen zusammen, in den ganz kalten und in den ganz heißen Ländern, 32 und sie seien untereinander so verschieden, daß man sich wirklich gar nicht denken könnte, sie stammten alle von dem einen Hundepaar ab, das Noah mit in die Arche nahm, als die große Sintflut alle Menschen und Tiere tötete. Aber natürlich, so wunderbar es auch ist, müssen doch alle Hunde von Noahs Hund abstammen. Damals nun kannte man die Tollwut noch nicht. Die Sonne konnte in den heißen Ländern die Menschen pechschwarz brennen – kein Hund wurde toll. Es hatte aber auch noch kein Hund etwas Böses getan. Jeder war seinem Herrn treu. Da ging einmal ein Ur–ur–urenkel von Noah mit seinem Hunde auf die Jagd. Sie gingen in einen mächtigen Wald, der reichte viele Meilen weit. Und sie gingen drei Tage umher und fanden kein Wild, das der Mensch mit seinem Pfeil schießen konnte, und fanden auch keine Quelle und keinen Tropfen Wasser. Und verirrt hatten sie sich auch. Es gab damals aber erst sehr wenige Menschen, darum konnten sie auch nicht in ein Haus gehen. Viele, viele Tage mußte man wandern, ehe man von einem Menschen zum anderen kam. Die Sonne schien aber noch viel heißer, als in diesem Sommer, und als sie endlich aus dem Walde herauskamen, lag ein entsetzliches Sandmeer vor ihnen. Das war die Wüste. Sand und Sand und Sand, und nichts Lebendiges. Der Herr hatte das Wasser, das er in einem ausgehöhlten Kürbis mit sich trug, redlich mit dem Hunde geteilt. Aber nun hatten sie schon den zweiten Tag keinen Tropfen mehr getrunken, und als sie ein Stück in der Wüste gegangen waren, fiel der Herr um und sagte: »ich kann nicht mehr 33 weiter. Lauf fort von mir. Ich bin dein Herr nicht mehr, du bist frei.« Und wie er das gesagt hatte, fielen ihm die Augen zu, so schwach war er.
Als der Hund das sah, da kam ihm ein böser Gedanke. »Wasser haben wir nicht«, dachte er. »Aber mein Herr hat rotes Blut in sich. Wenn ich das trinke, dann kann ich leben und finde mich wohl aus dieser Wüste heraus. Und warum soll ich nicht? Er hat ja selbst gesagt, daß er nicht mehr mein Herr ist.«
Wie er so dachte, sprang er auf seinen schlafenden Herrn zu, biß ihm die Gurgel durch, und trank sein warmes, rotes Blut.
Aber kaum hatte er das getan, da fing sein Gehirn an, wie Feuer zu brennen, giftiger Geifer troff von seinen Kiefern, er konnte seine Zunge nicht mehr in den Hals zurückziehen, und geradeaus mußte er in die Wüste hineinlaufen. Die Sonne ging unter und der Mond ging auf, aber er lief und lief. Zuweilen, wenn ein paar Bäume zusammenstanden, hörte er eine Quelle rauschen. Aber nun konnte er das Wasser, nach dem er sich so gesehnt hatte, nicht einmal mehr riechen. Scheu taumelte er zur Seite und lief weiter. Acht Tage und acht Nächte rannte er so geradeaus. Durch die ganze Wüste rannte er. Nie durfte er stehen bleiben, nie Atem holen. Seine Zunge schleifte den glühenden Sand, und er durfte sie doch nicht kühlen, denn nun hatte er vor dem Wasser mehr Angst als vor dem Feuer. Nach acht Tagen war er am Ende der Wüste und sah ein sanftes, liebliches Land. Da fiel er plötzlich zu Boden und verreckte.
34 Aber die Tollwut starb nicht mit ihm. Weil ein Hund seinen Herrn verraten hatte, vererbte sie sich auf das ganze Hundegeschlecht, und wir alle müssen darunter leiden. Der Oberförster hat es erzählt. Wenn ein Oberförster eine Hundegeschichte erzählt, so ist sie immer wahr.«
Karo hatte aufmerksam zugehört. Jetzt nickte er mit dem Kopfe.
»Ich danke Ihnen, Herr Treff. Es war sehr lehrreich. Freilich, wenn ein Schäfer die Geschichte erzählt hätte, so wäre sie mir noch lieber gewesen.«
Dann standen wir auf und empfahlen uns.
»Sie werden doch mitheulen beim nächsten Hundekonzert? Schlumski und Wotan werden vorgestellt. Sie müssen nun ins Leben. Ich habe an ihnen getan, was ich tun konnte.«
Treff nickte gnädig.
»Nächsten Vollmond, nicht wahr? Ja, ich denke, ich werde eine große Arie an den Mond für mich allein heulen. Am Chor beteilige ich mich nicht. Das ist nicht fein genug für mich.«
Karo und er berochen sich, und dann gingen wir. 35