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Das Manuskript
So viel als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesem Abend noch in meiner Erinnerung; doch kostete es geraume Zeit, bis ich mich auf alles wieder besinnen konnte; ich muß in einem langen, tiefen Schlaf gewesen sein, denn als ich erwachte, stand Jean vor mir und fragte, indem er die Gardine für die Morgensonne öffnete, ob jetzt der Kaffee gefällig sei?
Es war eilf Uhr; wo war denn die Zeit zwischen gestern und heute hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bett gekommen sei?
Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbarem Lächeln, das müsse ich besser wissen, als er.
»Ah! ich erinnere mich«, sagte ich leichthin, um meine Unwissenheit zu verbergen, »nach der Abendtafel . . . .«
»Verzeihen der Herr Doktor«, unterbrach mich der Geschwätzige; »Sie haben nicht soupiert; Sie waren ja alle zu Tee und Punsch auf Nr. 15.«
»Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen; ist der Herr Professor schon auf?«
»Wissen Sie denn nicht, daß sie schon abgereist sind?« fragte der Kellner.
»Kein Wort!« versicherte ich staunend.
»Er läßt sich Ihnen noch vielmal empfehlen, und Sie möchten doch in T. bei ihm einsprechen; auch läßt er Sie bitten, seiner und des gestrigen Abends recht oft zu gedenken, er habe es ja gleich gesagt.«
»Aha, ich weiß schon«, sagte ich, denn mit einem Mal fiel mir ein Teil des gestern Erlebten ein; »wann ist er denn abgereist?«
»Gleich in der Frühe«, antwortete jener, »noch vor dem Ökonomierat und dem Herrn Oberforstmeister.«
»Wie? so sind auch diese weggereist?«
»Ei ja!« rief der staunende Kellner, »so wissen Sie auch das nicht? auch nicht, daß Frau von Thingen und die gnädige Frau von Trübenau –«
»Sie sind auch nicht mehr hier?«
»Kaum vor einer halben Stunde sind die gnädige Frau weggefahren«, versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zu sehen, ob ich nicht träume, aber es war und blieb so; Jean stand nach wie vor an meinem Bette und hielt das Kaffeebrett in der Hand.
»Und Herr von Natas?« fragte ich kleinlaut.
»Ist noch hier; ach das ist ein goldener Herr, wenn der nicht gewesen wäre, wir wären heute nacht in die größte Verlegenheit gekommen.«
»Wieso?«
»Nun bei der Fatalität mit der Frau von Trübenau; wer hätte aber auch dem gnädigen Herrn zugetraut, daß er so gut zur Ader zu lassen verstände?«
»Zur Ader lassen? Herr von Natas?«
»Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr frühzeitig zu Bette gegangen, und haben eine ruhigere Nacht gehabt, als wir«; Jean belehrte mich in leichtfertigem Ton: »es mochte kaum eilf Uhr gewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei –«
»Was für eine Geschichte mit der Polizei?«
»Nun, Nr. 15 ist vorn heraus, und weil, mit Permiß zu sagen, dort ein ganz höllischer Lärm war, so kam die Runde ins Haus und wollte abbieten; Herr von Natas aber, der ein guter Bekannter des Herrn Polizeilieutenants sein muß, beruhigte sie, daß sie wieder weitergingen. Also gleich nachher kam das Kammermädchen der Frau von Trübenau herabgestürzt, ihre gnädige Frau wolle sterben. Sie können sich denken, wie unangenehm so etwas in einem Gasthof nachts zwischen eilf und zwölf Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf, auf der Treppe begegnet uns Herr von Natas, fragt, was das Rennen und Laufen zu bedeuten habe, hört kaum wo es fehlt, so läuft er in sein Zimmer, holt sein Etui, und ehe fünf Minuten vergehen, hat er der gnädigen Frau am Arm mit der Lanzette eine Ader geöffnet, daß das Blut in einem Bogen aufsprang; sie schlug die Augen wieder auf und es war ihr bald wohl, doch versprach Herr von Natas, bei ihr zu wachen.«
»Ei! was Sie sagen, Jean!« rief ich voll Verwunderung.
»Ja warten Sie nur! kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der Tanz von neuem los; auf Nr. 18 läutete es, daß wir meinten, es brenne drüben in Kassel; des Herrn Ökonomierats Rosalie hatte ihre histrionischen Anfälle bekommen; der Alte mochte ein Glas über Durst haben, denn er sprach vom Teufel, der ihn und sein Kind holen wolle; wir wußten nichts anderes, als wieder unsere Zuflucht zu Herrn von Natas zu nehmen; er hatte versprochen, bei Frau von Trübenau mit dem Kammermädchen zu wachen; aber lieber Gott! geschlafen muß er haben wie ein Dachs, denn wir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort gab, und die Kammerkatze war nun gar nicht zu erwecken.«
»Nun, und ließ er der schönen Rosalie zur Ader?«
»Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei Handbreit aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegeben haben.«
Armer Professor! dachte ich, dein hübsches Röschen mit ihren sechzehn Jährchen, und dieser Natas in traulicher Stille der Nacht, ein Pflaster auf das pochende Herz pappend.
»Der Herr Papa Ökonomierat war wohl sehr angegriffen durch die Geschichte?« fragte ich, um über die Sache ins klare zu kommen.
»Es schien nicht, denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit dem Hirschhorngeist aus der Apotheke zurückkam. Aber es läutet im zweiten Stock und das gilt mir.« Er sprach's und flog pfeilschnell davon.
So war also mit einem Male die lustige Gesellschaft zerstoben; und doch wußte ich nicht, wie dies alles so plötzlich kommen konnte. Ich entsann mich zwar, daß gestern bei dem Punsch etwas Sonderbares vorgefallen war; was es aber gewesen sein mochte, konnte ich mich nicht erinnern.
Sollte Natas mir Aufschluß geben können? Doch, wenn ich recht nachsann, mit Natas war etwas vorgefallen; der Professor schwankte in meiner Erinnerung umher – am besten deuchte mir, zu Natas zu gehen und ihn um die Ursache des schnellen Aufbruchs zu befragen.
Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit der kurzen Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes Billet:
»Ew. Wohlgeboren würden mich unendlich verbinden, wenn Sie vor meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist, mich noch einmal besuchen wollten.
v. Natas.«
Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertig zwischen Koffern und Kästchen stehen. Er kam mir mit seiner gewinnenden Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich ein unverkennbarer Zug von Ironie, der heute um seinen Mund spielte, und den ich sonst nie an ihm bemerkt hatte.
Er lachte mich aus, daß ich mich vor den Damen als schwachen Trinker ausgewiesen und einen Haarbeutel mir umgeschnallt habe, erzählte mir, daß ich selig entschlafen sei, und fragte mit einem lauernden Blick, was ich noch von gestern nacht wisse.
Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, er belachte sie herzlich, und nannte sie Ausgeburten einer kranken Phantasie.
Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer großen Herbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde; sie seien alle, sogar der morose Ökonomierat dorthin gereist; ihn selbst aber rufen seine Geschäfte den Rhein hinab.
Die Zufälle der Trübenau und der schönen Rosalie maß er dem starken Punsch bei, und freute sich, durch Liebhaberei gerade so viele medizinische Kenntnisse zu besitzen, um bei solchen kleinen Zufällen helfen zu können.
Wir hörten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete dies und brachte von dem dankbaren Hotel eine Flasche des ältesten Rheinweins. Natas hatte sie verdient, denn wahrlich nur er hatte uns so lange hier gefesselt.
»Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor?« fragte er mich, während wir den narkotisch duftenden Abschiedstrunk ausschlürften.
»Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Literatur?« antwortete ich ihm; »ich habe mich früher als Dichter versucht, aber ich sah bald genug ein, daß ich nicht für die Unsterblichkeit singe. Ich griff daher einige Töne tiefer und übersetzte unsterbliche Werke fremder Nationen fürs liebe deutsche Publikum.«
Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte, und fragte mich, ob ich mich entschließen könnte, die Memoiren eines berühmten Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript vorhanden seien, zu übersetzen? »Vorausgesetzt, daß Sie dechiffrieren können, ist es eine leichte Arbeit für Sie, da ich Ihnen den Schlüssel dazu geben würde, und das Manuskript im Hochdeutschen abgefaßt ist.«
Ich zeigte mich, wie natürlich, sehr bereitwillig dazu, dechiffrieren verstand ich früher und hoffte es mit wenig Übung vollkommen zu lernen. Er schloß ein schönes Kästchen von rotem Saffian auf, und überreichte mir ein vielfach zusammengebundenes Manuskript. Die Zeichen krochen mir vor dem Auge umher wie Ameisen in ihren aufgestörten Hügelchen, aber er gab mir den Schlüssel seiner Geheimschrift und die Arbeit schien mir noch einmal so leicht.
Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl; unter warmem Dank für seine Güte, die er noch zuletzt für mich gehabt, für die schönen Tage, die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen; die Wagentüre schloß sich, der Postillion hieb auf seine vier Rosse, sie zogen an und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus dem Innern des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von gestern her unter den Bruchstücken meiner Erinnerung bewahrte.
Als ich die Treppe hinanstieg, händigte mir der Oberkellner einen Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Händen zu übergeben befohlen; ich riß ihn auf –
»Verehrter, Wertgeschätzter!
Ich bin im Begriff, mein Roß zu besteigen und aus dieser Höhle des brüllenden Löwen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich Lebewohl, weil Sie aus der todähnlichen Betäubung, die Sie härter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Daß unser fröhliches Zusammenleben so schauerlich endigen mußte! Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es ja klar, daß dieser Natas nichts anderes als der leibhaftige Satan war!
Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblick über die Schulter und liest, was ich sage, aber dennoch schweige ich nicht. Den armen Ökonomierat und sein Töchterlein, die blasse Trübenau, meine schöne Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister hat er in seinem Netz. Gott gebe, daß er Sie nicht auch geködert hat. Mich hat er halb und halb, denn ich habe allzu tief eingebissen, in seine mit chemischen Ideen bespickte Angel. Ich reiße mich los und mache, daß ich fortkomme.
Adieu Bester! Montag den 7. Oktober, früh 6 Uhr.«
Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurück. Ja, es war der Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel dem es gestern Spaß gemacht hatte, uns zu ängstigen; es mußten des Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.
Wer stand mir aber dafür, daß diese Schriftzüge mir nicht durch die Augen ins Hirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte ich mich nicht gerade dadurch, daß ich den Dechiffreur und Dekopisten des Satans machte, unbewußt in seine Leibeigenschaft hineinschreiben?
Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von irgendeinem der lustigen Gesellschaft in den Drei Reichskronen. Entweder hat sie der Satan eingeholt, und in seinem achtsitzigen Wagen in sein ewiges Reich gehaudert, oder hatte er mich in den April geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher.
In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor, und erhielt den Bescheid, ich solle so viele Messen darüber lesen lassen, als das Manuskript Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht übel. Ich reiste in meine Heimat und schickte am nächsten Sonntag den ersten Satans-Bogen in die Kirche. Probatum est; am Montag fing ich an, zu dechiffrieren, und habe noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mir bemerkt.
Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehört. Der Professor fährt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu glänzen, und ich fürchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehör zu geben, der ihn zu einem Berzelius machen will. Der Hauptmann soll sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schöne Witwe, hat, nach einer Anzeige im »Hamburger Correspondenten«, vor nicht gar langer Zeit wieder geheiratet.