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Angststunden des Ewigen Juden
Der Vorleser war bis an einen Abschnitt gekommen und legte das Buch nieder. Allgemeiner Applaus erfolgte, und die gewöhnlichen Ausrufungen, die schon dem Stickmuster gegolten hatten, wurden auch der »Gabriele« zuteil. Ich konnte die Geistesgegenwart und die schnelle Fassungskraft der beiden Fräulein nicht genug bewundern, obgleich sie nicht den kleinsten Teil des Gelesenen gehört haben konnten, so waren sie doch schon so gut geschult, daß sie voll Bewunderung schienen; die eine lief sogar hin zu Frau von Wollau, faßte ihre Hand und drückte sie an das Herz, indem sie ihr innig dankte für den Genuß, den sie allen bereitet habe.
Diese Dame saß aber da, voll Glanz und Glorie, wie wenn sie die »Gabriele« selbst zur Welt gebracht hätte. Sie dankte nach allen Seiten hin für das Lob, das ihrer Freundin zuteil geworden, und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß sie selbst vielleicht einigen Einfluß auf das neue Buch gehabt habe; denn sie finde hin und wieder leise Anklänge an ihre eigenen Empfindungen, an ihre eigenen Ideen über inneres Leben und über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die sie in traulichen Stunden ihrer Freundin aufgeschlossen.
Man war natürlich so artig, ihr deswegen einige Komplimente zu machen, obgleich man allgemein überzeugt war, daß die »geniale Freundin« nichts aus dem innern Wollauschen Leben gespickt haben werde.
Der Ewige Jude hatte indes bei diesen Vorgängen eine ganz sonderbare Figur gespielt. Verwunderungsvoll schaute er in diese Welt hinein, als traue er seinen Augen und Ohren nicht; doch war das Bemühen, nach meiner Vorschrift ästhetisch oder kritisch auszusehen, nicht zu verkennen. Aber weil ihm die Übung darin abging, so schnitt er so greuliche Grimassen, daß er einigemal während des Vorlesens die Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog, und die Dame des Hauses mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei.
Ich entschuldigte ihn mit Zahnschmerzen, die ihn zuweilen befallen, und glaubte alles wiedergutgemacht zu haben. Als aber Frau von Wollau, die ihm gegenüber saß, ihren Einfluß auf die Dichterin mitteilte, mußte das preziöse geschraubte Wesen derselben dem alten Menschen so komisch vorkommen, daß er laut auflachte.
Wer jemals das Glück gehabt hat, einem eleganten Tee in höchst feiner Gesellschaft beizuwohnen, der kann sich leicht denken, wie betreten alle waren, als dieser rohe Ausbruch des Hohns erscholl. Eine unangenehme, totenstille Pause erfolgte, in welcher man bald den Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah; die Frau des Hauses, eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden, der den Anstand ihres Hauses so gröblich verletzte, ohne Rückhalt zurechtweisen, als dieser, mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm zugetraut hätte, sich aus der Affaire zu ziehen wußte:
»Ich hoffe, gnädige Frau«, sagte er, »Sie werden mein allerdings unzeitiges Lachen nicht mißverstehen, und mir erlauben, mich zu rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiß auch schon begegnet, daß eine Ideenassoziation Sie völlig außer Contenance brachte, ist doch schon manchem, mitten unter den heiligsten Dingen ein lächerlicher Gedanke aufgestoßen, der ihn im Mund kitzelte, und je mehr er bemüht war, ihn zu verhalten und zurückzudrängen, desto unaufhaltsamer brach er auf einmal hervor, so geschah es mir in diesem Augenblick. Sie würden mich unendlich verbinden, gnädige Frau, wenn Sie mir erlaubten, durch offenherzige Erzählung mich bei Frau von Wollau zu entschuldigen.«
Gnädige Frau, höchlich erfreut, daß der Anstand doch nicht verletzt sei, gewährte ihm freundlich seine Bitte und der Ewige Jude begann: »Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhältnis zu einer berühmten Dichterin mitgeteilt, sie hat uns erzählt, wie sie in manchen Stunden über ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus meinem eigenen Leben.
Auf einer Reise durch Süddeutschland verlebte ich einige Zeit in S. Meine Abendspaziergänge richteten sich meistens nach dem königlichen Garten, der jedem Stand zu allen Tageszeiten offenstand; die schöne Welt ließ sich dort, zu Fuß und zu Wagen, jeden Abend sehen; ich wählte die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten Gebüschen gegen die Sonne und störende Besuche verschlossen, auf weichen Moosbänken mir und meinen Gedanken lebte.
Eines Abends, als ich schon längere Zeit auf meinem Lieblingsplätzchen geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete, ältliche Frauen und setzten sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale, aber dichtbelaubte Hecke von der meinigen getrennt war. Ich hielt nicht für nötig, ihnen meine Nähe, die sie nicht zu ahnen schienen, zu erkennen zu geben; Neugierde war es übrigens nicht, was mich abhielt, denn ich kannte keine Seele in jener Stadt, also konnten mir ihre Reden höchst gleichgültig sein. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen vor, Verehrteste, als ich folgendes Gespräch vernahm:
›Nun? und darf man Ihnen Glück wünschen, Liebe? haben Sie endlich die hartnäckige Elise aus der Welt geschafft?‹
›Ja‹, antwortete die andere Dame, ›heute früh nach dem Kaffee habe ich sie umgebracht.‹
Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und gleichgültig von einem Mord sprechen hörte, so leise als möglich näherte ich mich vollends der Hecke, die mich von jenen trennte, schärfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, daß mir ja nichts entgehen sollte, und hörte weiter:
›Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht; wie gewöhnlich durch Gift? oder haben Sie die Unglückliche, wie Othello seine Desdemona, mit der Bettdecke erstickt?‹
›Keines von beiden‹, entgegnete jene, ›aber recht hart ward mir dieser Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon zwischen Leben und Sterben, und immer wußte ich nicht, was ich mit ihr anfangen sollte; da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein: ich ließ sie, wie durch Zufall, von einem Steg ohne Geländer in den tiefen Strom hinabgleiten, die Wellen schlugen über ihr zusammen, man hat von Elisen nichts mehr gesehen.‹
›Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die Sie auf die eine oder die andere Art umbringen?‹
›Nun das wird bald abgezählt sein, Pauline Dupuis, Marie usw., aber die erstere trug mir am meisten Ruhm ein; es waren dies noch die guten Zeiten von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.‹
Die Haare standen mir zu Berg; also fünf unschuldige Geschöpfe hatte diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes Werk an der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel aufdeckte und die Mörderin zur Rechenschaft zog?
Die Damen waren nach einigen gleichgültigen Gesprächen aufgestanden und hatten sich der Stadt zugewendet; leise stand ich auf und schlich mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend; sie gingen durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Tor, ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken, denn die eine sah sich einigemal nach mir um, ihr böses Gewissen schien mir erwacht, sie mochte ahnen, daß ich den Mord wisse, sie will mich durch die verschiedene Richtung der Straßen, die sie einschlägt, täuschen, aber ich – folge. Endlich stehen sie an einem Hause still; sie ziehen die Glocke, man schließt auf, sie treten ein. Kaum sind sie in der Türe, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines so schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muß, auf die Direktion der Polizei.
Ich bitte den Direktor um geheimes Gehör; ich lege ihm die ganze Sache, alles was ich gehört hatte, auseinander; weiß aber leider von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine gewisse Pauline Dupuis, die im Jahre 1801 unter der mörderischen Hand jener Frau starb. Doch dies war dem, unter solchen Fällen ergrauten Polizeimann genug; er dankt mir für meinen Eifer, schickt sogleich Patrouillen in die Straße, die ich ihm bezeichnete, und fordert mich auf, ihn, wenn die Nacht vollends herangebrochen sein werde, in jenes Haus zu begleiten; die Nacht wähle er lieber dazu, da er bei solchen Auftritten den Zudrang der Menschen und das Aufsehen wo möglich vermeide.
Die Nacht brach an, wir gingen; die Polizeisoldaten, die das Haus umstellt hatten, versicherten, daß noch kein Mensch dasselbe verlassen habe. Der Vogel war also gefangen. Wir ließen uns das Haus öffnen und fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor der Türe des ersten Zimmers hörte ich die Stimmen jener beiden Frauen; ohne Umstände öffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere, ältliche Dame als die Verbrecherin an.
Verwundert stand diese auf, trat uns entgegen und fragte nach unserem Begehr; in ihrem Auge, in ihrem ganzen Wesen hatte diese Dame etwas, das mir imponierte; ich verlor auf einen Augenblick die Fassung und deutete nur auf den Direktor, um sie wegen ihrer Frage an jenen zu weisen. Doch dieser ließ sich nicht so leicht verblüffen; mit der ernsten Amtsmiene eines Kriminalrichters fragte er sie über ihren heutigen Spaziergang aus; sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie gesessen; ihre Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah sie schon als überwiesen an; die Frau fing an, ängstlich zu werden, sie fragte, was man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer mit Bewaffneten besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestürme?
Der Mann der Polizei sah in diesem ängstlichen Fragen nur den Ausbruch eines schuldbeladenen Gewissens; er schien es für das beste zu halten, durch eine verfängliche Frage ihr vollends das Verbrechen zu entlocken: ›Madame, was haben Sie Anno 1801 mit Pauline Dupuis angefangen? leugnen Sie nicht länger, wir wissen alles, sie starb durch Ihre Hand, wie heute früh die unglückliche Elise!‹
›Ja, mein Herr! ich habe die eine wie die andere sterben lassen‹, antwortete diese Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes Lächeln überzugehen schien.
›Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als hätten Sie zwei Tauben abgetan?‹ fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem in praxi eine solche Mörderin noch nicht vorgekommen sein mochte; ›wissen Sie, daß Sie verloren sind, daß es Ihnen den Kopf kosten kann?‹
›Nicht doch!‹ entgegnete die Dame, ›die Geschichte ist ja weltbekannt‹. – ›Weltbekannt?‹ rief jener, ›bin ich nicht schon seit zweiundvierzig Jahren Polizeidirektor, meinen Sie, dergleichen könne mir entgehen?‹
›Und dennoch werde ich recht haben, erlauben Sie, daß ich Ihnen die Belege herbeibringe?‹
›Nicht von der Stelle ohne gehörige Bewachung; Wache! zwei Mann auf jeder Seite von Madame; bei dem ersten Versuch zur Flucht – zugestoßen!‹
Vier Polizeidiener, mit blanken Seitengewehren begleiteten die Unglückliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand.
›Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Mord finden‹, sagte sie, indem sie uns lächelnd das Buch überreichte.
›‚Taschenbuch für 1802‘‹, murmelte der Direktor, indem er das Buch aufschlug und durchblätterte, ›was Teufel, gedruckt und zu lesen steht hier: ‚ Pauline Dupuis von –‘. Mein Gott, Sie sind die Witwe des Herrn von –, und wenn ich nicht irre, selbst Schriftstellerin?‹
›So ist es‹, antwortete die Dame, und brach in ein lustiges Lachen aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen sprachlos, auf mich deutete.
›Und Elise, wie ist es mit diesem armen Kind?‹ fragte ich, den Zusammenhang der Sache und die Fröhlichkeit der Mörderin und des Polizeimannes noch immer nicht verstehend.
›Die liegt ermordet auf meinem Schreibtisch‹, sagte die Lachende, ›und soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen. –‹
Was brauche ich noch dazuzusetzen? meine Herren und Damen! ich war der Narr im Spiel und jene Frau war die rühmlichst bekannte, interessante Th. v. H. Die Erzählung ›Pauline Dupuis‹ ist noch heute zu lesen; ob die geniale Frau ihre ›Elise‹, die sie am Morgen jenes Tages nach dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiß ich nicht. Ich mußte aus S. entfliehen, um nicht zum Gespötte der Stadt zu werden. Vorher aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine große Diätenrechnung über Zeitversäumnis, weil ich durch jene lustige Mordgeschichte den Durstigen von seinem gewöhnlichen Abendbesuch in einem Klub abgehalten hatte.« –
Der Ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von Wollau geendet; allgemeiner Beifall ward ihm zuteil, und ein gnädiges Lächeln der Hausfrau sagte ihm, wie glücklich er sich gerechtfertigt hatte; und, wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Männer aus seiner unglücklichen Nähe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie sich ihm wieder, als ihn die Gnadensonne wieder beschien. Man zog ihn öfter ins Gespräch, man befragte ihn über seine Reisen, namentlich über jene in Süddeutschland; denn wie Schottland und seine Bewohner für London und Alt-England überhaupt, so ist Schwaben für die Berliner, welche nie an den Rebenhügeln des Neckars, und an den fröhlich grünenden Gestaden der obern Donau eines jener sinnigen herzlichen Lieder aus dem Munde eines »luschtiga Büebles« oder eines rüstigen hochaufgeschürzten »Mädles« belauschten, ein Gegenstand hoher Neugierde.
Welch sonderbare Meinungen über jenes Land, selbst in gebildeten Zirkeln, wie dieser elegante Tee, im Umlauf seien, hörte ich diesen Abend zu meinem großen Erstaunen. In einem Zaubergarten, von sanften Hügeln, von klaren blauen Strömen, von blühenden, duftenden Obstwäldern, von prangenden Weingärten durchschnitten, wohne, meinten sie, ein Völkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe der Kultur stehe; immense Gelehrte, die sich nicht auszudrücken verstünden, phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes Deutsch sprechen. Ihre Mädchen haben keine Bildung, ihre Frauen keinen Anstand; ihre Männer werden vor dem vierzigsten Jahre nicht klug, und im ganzen Land werden alle Tage viele Tausende jener Torheiten begangen, die allgemein unter dem Namen »Schwabenstreiche« bekannt seien.
Mir kam dieses Urteil lächerlich vor; ich war manches Jahr in Schwaben gewesen, und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl befunden; hätte ich nicht befürchten müssen, aus der Rolle eines Zöglings zu fallen, ich hätte sogleich darauf geantwortet, wie ich es wußte; so aber ersparte mir mein Mentor die Mühe, welcher, unglücklich genug, die gute Meinung, die er auf einige Augenblicke gewonnen hatte, nur zu schnell wieder verlieren sollte!
»Ob die Berliner«, sagte er, »mehr innere Bildung, mehr Eleganz der äußern Formen besitzen, als die Schwaben, ob man hier im Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgerüstet auf die Erde, oder vielmehr auf Sand kommt, als in Schwaben, wage ich nicht zu untersuchen, aber so viel habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß man dort im Durchschnitt unter den Mädchen eine weit größere Menge hübscher, sogar schöner Gesichter findet, als selbst in Sachsen, welches doch wegen dieses Artikels berühmt ist.«
»Quelle Sottise«, hörte ich Frau von Wollau schnauben, »welche abgeschmackte Behauptungen dieser gemeine Mensch –«
Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoß, ihn zu erinnern, daß er sich unter Damen befinde, die auch auf Schönheit Anspruch machten, ruhig, als ob er den erzürnten Schönen das größte Kompliment gesagt hätte, fuhr er fort:
»Sie können gar nicht glauben, wie reizend dieser verschriene Dialekt von schönen Lippen tönt; wie alles so naiv, so lieblich klingt; wie unendlich hübsch sind diese blühenden Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, daß sie schön seien, daß man sie liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie unschuldig erröten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz, wenn sie sich verschämt wegwenden und flüstern: ›Ach ganget Se mer weg, moinet Se denn, i glaub's?‹ Hier in Norddeutschland gibt es meist nur Teegesichter, die einen Trost darin finden, ästhetisch oder ätherisch auszusehen; sie müssen den Atem erst lange anhalten, wenn sie es je der Mühe wert halten, über dergleichen zu erröten.«
O Jude, welchen Bock hattest du geschossen. Kaum hast du das zornblickende Auge einer Dame versöhnt, so begehst du den großen Fehler, vor zwölf Damen die schönen Gesichtchen zweier Länder zu loben, und nicht nur sie nicht mit aufzuzählen, sondern sogar ihren ätherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblässe für Teegesichter zu verschreien!
Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht, die ältern an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und auf die übrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu einer Replik finden konnten. Die Teetassen, die goldenen Löffelchen klirrten laut in den vor Wut zitternden Händen der Mütter, die seit zehn Jahren mit vieler Mühe es dahin gebracht hatten, daß ihre Töchter nobel und edel aussehen möchten – wozu heutzutage außer dem Gefühl der Würde etwas Leidendes, beinahe Kränkliches gehört – welche die immer wieder anschwellende Fülle ihrer Töchter, die immer wiederkehrende Röte der Wangen doch endlich zu besiegen gewußt hatten.
Und jetzt sollte dieser fremde, abenteuerliche gemeine Mensch sie und ihre Freude, ihre Kunst zuschanden machen; er sollte es wagen, die Damen dieses deutschen Paris mit jenen schwerfälligen Bewohnerinnen des unkultivierten Schwabens auch nur in Parallele zu bringen, und ihnen den ersten Rang zu versagen?! Und dies sollten sie dulden?
Jamais!! Gnädige Frau nahm das Wort mit einem Blick, der über das eiskalte Gesicht des stillen Zornes wie ein Nordschein über Schneegefilde herabglänzte: »Ich muß Sie nur herzlich bedauern, Herr Doktor Mucker, daß Sie das schöne Schwaben und seine naive Bauerdirnen so treulos verlassen haben; und ich bitte Sie, Lieber«, fuhr sie fort, indem sie sich zu dem Dichter, der uns eingeführt hatte, wandte, »ich bitte Sie, muten Sie diesem Herrn da nicht mehr zu, meine Zirkel zu besuchen. Jotte doch, er könnte bei unsern Damen seine robusten Naturen und jene Naivität vermissen, die er sich so janz zu eigen jemacht hat.«
Triumphierend richteten sich die Gebeugten auf, die Mütter spendeten Blicke des Dankes, die Fräulein kicherten hinter vorgehaltenen Sacktüchern, die jungen Herren hatten auch wieder die Sprache gefunden und machten sich lustig über meinen armen Hofmeister. Doch der feine Takt der gnädigen Frau ließ diesem Ausbruch der Nationalrache nur so lange Raum, bis sie den Doktor Mucker hinlänglich bestraft glaubte. Beleidigt durfte dieser Mann in ihrem Salon nie werden, wenn er gleich durch seine rücksichtslose Äußerung ihren Unwillen verdient hatte; sie beugte also schnell mit jener Gewandtheit, die feingebildeten Frauen so eigentümlich ist, allen weitern Bemerkungen vor, indem sie ihren Neffen aufforderte, sein Versprechen zu halten, und der Gesellschaft die längst versprochene Novelle preiszugeben.
Dieser junge Mann hatte schon während des ganzen Abends meine Aufmerksamkeit beschäftigt. Er unterschied sich von den übrigen jungen Herren, die leer in den Tag hinein plauderten, sehr vorteilhaft durch Ernst und würdige Haltung, durch gewählten Ausdruck und kurzes, richtiges Urteil. Er war groß und schlank gebaut, männlich schön, nur vielleicht für manche etwas zu mager. Sein Auge war glänzend und hatte jenen Ausdruck stillen Beobachtens, der einen Menschenkenner oder wenigstens einen Mann verriet, der das Leben und Treiben der großen und kleinen Welt in vielerlei Formen gesehen und darüber gedacht hatte.
Er hatte, was mich sehr günstig für ihn stimmte, an dem Gespräch des Ewigen Juden und an seiner Persiflage mit keinem Wort, ich möchte sagen, mit keiner Miene teilgenommen. Zum erstenmal an diesem ganzen Abend entlockte ihm die Frage seiner Tante ein Lächeln, das sein Gesicht, besonders den Mund noch viel angenehmer machte; wahrlich, in diesen Mann hätte ich mich, wenn ich eines der anwesenden Fräulein gewesen wäre, unbedingt verlieben müssen; aber freilich, junge Damen haben hierüber ganz andere Ansichten als der Teufel, und das einfache schwarze Gewand des jungen Mannes konnte natürlich die glänzende Gardeuniform und ihren kühnen, die drallen Formen zeigenden Schnitt nicht aufwiegen.