Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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Mein Besuch in Frankfurt

1. Wen der Satan an der Table d'hôte im Weißen Schwanen sah

Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie feiern daselbst nicht wie z. B. in Bayern 1½, oder, wie im Kalender vorgeschrieben, 2 Festtage, sondern sie rechnen vier Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf, denn sie fangen in Bornheim ihre heiligen Übungen schon am Samstag an, und der Bundestag hat sogar acht bis zehen.

Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren Sprachkünsten der Apostel, als mir. Was die berühmtesten Mystiker am Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten, das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: ob man am Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins Wäldchen gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad zu fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall gehen solle, oder beides, diese Fragen schienen bei weitem wichtiger, als jene, die doch für andächtige Feiertagsleute viel näherlag, ob die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?

Muß ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreuen, der an solchen Tagen mehr Seelen für sich gewinnt, als das ganze Judenquartier in einer guten Börsestunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die von einem berühmten Belletristen verwöhnt, alles bis aufs kleinste Detail wissen wollen, diene zur Nachricht, daß ich im Weißen Schwanen auf Nr. 45 recht gut wohnte, an der großen Table d'hôte in angenehmer Gesellschaft trefflich speiste, den Küchenzettel mögen sie sich übrigens von dem Oberkellner ausbitten.

Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stöhnen, das aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat näher, ich hörte deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzählte, und dann wieder wimmerte und weinte, wie ein Kind, das seiner Aufgabe für die Schule nicht mächtig ist.

Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte ihn, wer der Herr sei, der nebenan so überaus kläglich sich gebärde?

»Nun«, antwortete er, »das ist der stille Herr.«

»Der stille Herr? lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluß, wer ist er denn?«

»Wir nennen ihn hier im Schwanen den stillen Herrn, oder auch den Seufzer, er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner, und wohnt schon seit vierzehn Tagen hier.«

»Was tut er denn hier? ist ihm ein Unglück zugestoßen, daß er so gar kläglich winselt?«

»Ja! das weiß ich nicht«, erwiderte er, »aber seit dem zweiten Tag, daß er hier ist, ist sein einziges Geschäft, daß er zwischen zwölf und ein Uhr in der neuen Judenstraße auf und ab geht, und dann kommt er zu Tisch, spricht nichts, ißt nichts, und den ganzen Tag über jammert er ganz stille und trinkt Kapwein.«

»Nun das ist keine schlimme Eigenschaft«, sagte ich, »setzen Sie mich doch heute mittag in seine Nähe.« Der Kellner versprach es, und ich lauschte wieder auf meinen Nachbar.

»Den 12. Mai« – hörte ich ihn stöhnen, »Metalliques 84¾. Österreichische Staatsobligationen 87⅜. Rothschildsche Lotterielose, der Teufel hat sie erfunden und gemacht! 132. Preußische Staatsschuldscheine. 81! o Rebekka! Rebekka! wo will das hinaus! 81! Die Preußen! ist denn gar keine Barmherzigkeit im Himmel?«

So ging es eine Zeitlang fort; bald hörte ich ihn ein Glas Kapwein zu sich nehmen, und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen, bald jammerte er wieder in den kläglichsten Tönen und mischte die Konsols, die Rothschildschen Unverzinslichen, und seine Rebekka auf herzbrechende Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hörte ihn sein Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen, es war wohl die Stunde, in welcher er durch die neue Judenstraße promenierte.

Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal trat, auf einen Stuhl: »Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin«, flüsterte er, »zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer.« Ich setzte mich, ich betrachtete ihn von der Seite; wie man sich täuschen kann! Ich hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstigem Aussehen erwartet, wie man sie heutzutage in großen Städten und Romanen trifft, etwa bleichschmachtend und fein wie Eduard, von der Verfasserin der »Ourika«, oder von schwächlichem, beinahe lüderlichem Anblick, wie einige Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das Gegenteil; ich fand einen untersetzten, runden jungen Mann mit frischen, wohlgenährten Wangen und roten Lippen, der aber die trüben Augen beinahe immer niederschlug, und um den hübschen Mund einen weinerlichen Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht paßte.

Ich versuchte, während ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot, einige Male mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber immer vergeblich; er antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen scheuen, finstern Blick geradeaus, und sah dann wieder seufzend auf seinen Teller.

Ich folgte einem dieser Blicke, und glaubte zu bemerken, daß sie einem Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunlichtes, eingeschnurrtes Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weit hervortretende Nase deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, die er haben mochte, etwas schnell verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen, bildete ein ruhiges süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine sehr jugendliche und modische Kleidung.

Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen, knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und süßlich dazu lächelte, die größte Ähnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen, während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen war.

Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finsteren Augen maß, konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen, den Rücken auf künstliche Art auszudehnen, und das spitzige Köpfchen nach uns herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: »Noch immer so düster, mein lieber Monsieur Zwerner? etwa gar eifersüchtig auf meine Wenigkeit!«

An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art das »r« wie »gr« auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonsmenschen zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen. Und so war es, denn mein Nachbar antwortete: »Eifersüchtig, Herr Graf? auf Sie in keinem Fall.«

Graf Rebs, so hörte ich ihn später nennen – faltete sein Mäulchen zu einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes knöchernes Kinn, und kicherte.

»Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht eifersüchtig? und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes Ragout bitten, mein Herr?«

»Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater, und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken.«

»Herr Oberkellner«, lispelte der Graf, »Sie haben die Trüffeln gespart; aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich hätte auf Ehre geglaubt, Sie schauen herauf in die Loge mit melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein v. Rothschild, denn als ich auf Sie hinabwies – Kellner, ich trinke heute lieber roten Engelheimer, ein Fläschchen – ja, wollte ich sagen – das ist mir nun während des Engelheimers gänzlich entfallen, so geht es, wenn man so viel zu denken hat.«

Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als daß er nicht weiter geforscht hätte. »Nun, auch Fräulein von Rothschild hat bemerkt, daß ich melancholisch hinaufsähe«, fragte er, indem er seine bitteren Züge durch eine Zutat von Lächeln zu versüßen suchte; »freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette –«

»Richtig, das war es«, erwiderte Rebs, »das war es; ja, als ich auf Sie hinabwies und Rebekkchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie mich mit ihrem Jockofächer auf die Hand, und nannte mich einen Schalk.«

Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen röteten sich noch mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich noch durch wilden Trotz, der in ihm wütete. Er zog den Kopf tief in die Schultern, und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem grimmigen Blick an. Er hatte nie so große Ähnlichkeit mit einem angenehmen Froschjüngling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf dem Teiche sitzt, als in diesem Augenblicke.

Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das r noch mehr schnurren ließ, als zuvor, sprach er: »Werter Monsieur Zwerner. Sie dürfen aus dem Schlag mit dem Jockofächer keine argen Folgerungen ziehen. Es ist nur eine Façon de parler unter Leuten von gutem Ton. Wegen meiner dürfen Sie ruhig sein. Zwar solange man jung ist«, fuhr er fort, indem er den Halskragen höher heraufzog und schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch, »zwar solange man jung ist, macht man sich hie und da ein Späßchen. Aber ein ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben Sie schon die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit drei Tagen hier in Frankfurt ist?«

»Nein«, antwortete mein Nachbar, leichter atmend.

»Oh, ein deliziöses Kind! Augenbraunen wie, wie – wie mein Rock hier, einen Mund zum Küssen und in dem schönen Gesicht so etwas Pikantes, ich möchte sagen so viel englische Race. Nun, wir sind hier unter uns, ich kann Sie versichern, es ist auffallend aber wahr, ich sollte es nicht sagen, es beschämt mich, aber auf Ehre, Sie können sich drauf verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, übrigens hoffe ich mich auf Ihre Diskretion verlassen zu können; nein, es ist wirklich auffallend, in drei Tagen . . .«

»Nun so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen Sie denn sagen?«

Es war ein eigener Genuß, das Kaninchen in diesem Augenblick anzusehen. Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln, denn er kniff die Äuglein zu, sein Kinn verlängerte sich, seine Nase bog sich abwärts nach den Lippen, und sein Mund war nur noch eine dünne, zarte Linie; dazu arbeitete er mit dem zierlich gekrümmten Rücken und den Schulterblättern, als wolle er anfangen zu fliegen, und mit den abgelebten Knöchlein seiner Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch einmal mußte der Seufzer ihn ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben, bis er endlich hervorbrachte: »Sie ist in mich verliebt. Sie staunen; ich kann es Ihnen nicht übelnehmen, auch mir wollte es anfangs sonderbar bedünken, in so kurzer Zeit; aber ich habe meine sicheren Kennzeichen, und auch andere haben es bemerkt.«

»Sie Glücklicher!« rief der Seufzer nicht ohne Ironie, »wo Sie nur hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; übrigens rate ich, diese Engländerin ernstlicher zu verfolgen, bedenken Sie, eine so solide Partie –«

»Merke schon, merke schon«, entgegnete Rebs mit schlauem Lächeln, »es ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gänzlich aus dem Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, daß ich schon heiraten will? Gott bewahre mich! aber wegen Rebekkchen dürfen Sie ruhig sein; ich ziehe mich gänzlich zurück. Und sollte vielleicht eine vorübergehende Neigung in dem Mädchen – Sie verstehen mich schon –, das wird sich bald geben, ich glaube nicht, daß sie mich ernstlich geliebt hat.«

»Ich glaube auch nicht«, entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in welchen sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand auf, wir folgten. Graf Rebs tänzelte lächelnd zu den Damen, welchen er während der Tafel so zärtliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem unglücklichen Seufzer.


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