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Fortsetzung
Am Horizont in diesem Jahr Ist es geblieben, wie es war. M. Claudius |
1. Der junge Garnmacher fährt fort, seine Geschichte zu erzählen
Das Manuskript, aus welchem wir diese infernalischen Memoiren dechiffrieren und ausziehen, fährt bei jener Stelle, die wir im ersten Teile notgedrungen abbrachen, fort, die Geschichte des jungen deutschen Schneider-Baron zu geben. Er ist aus seiner Vaterstadt Dresden entflohen, er will in die weite Welt, fürs erste aber nach Berlin gehen, und erzählt was ihm unterwegs begegnete.
»Meine Herren«, fuhr der edle junge Mann fort, »als ich mich umsah, stand ein Mann hinter mir, gekleidet wie ein ehrlicher, rechtlicher Bürger; er fragte mich, wohin meine Reise gehe und behauptete, sein Weg sei beinahe ganz der meinige, ich solle mit ihm reisen. Ich verstand so viel von der Welt, daß ich einsah, es würde weniger auffallend sein, wenn man einen halberwachsenen Jungen mit einem älteren Mann gehen sieht, als allein. Der Mann entlockte mir bald die Ursache meiner Reise, meine Schicksale, meine Hoffnungen. Er schien sich sehr zu verwundern, als ich ihm von meinem Oncle, dem Herrn von Garnmacher in der Dorotheenstraße in Berlin erzählte. ›Euer Oncle ist ja schon seit zwei Monaten tot!‹ erwiderte er, ›o du armer Junge, seit zwei Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von ihm, und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Würmer!‹
Sie können sich leicht meinen Schrecken über diese Trauerpost denken, ich weinte lange und hielt mich für unglücklicher als alle Helden; nach und nach aber wußte mich mein Begleiter zu trösten: ›Erinnerst du dich gar nicht, mich gesehen zu haben?‹ fragte er; ich sah ihn an, besann mich, verneinte. ›Ei, man hat mich doch in Dresden so viel gesehen‹, fuhr er fort; ›alle Alten und besonders die Jugend strömte zu mir und meinem jungen Griechen.‹
Jetzt fiel mir mit einemmal bei, daß ich ihn schon gesehen hatte. Vor wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen unglücklichen Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und ließ den jungen Athener für Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des Griechen und der Überschuß für einen Griechenverein bestimmt. Alles strömte hin, auch mir gab der Vater ein paar Groschen, um den unglücklichen Knaben sehen zu können. Ich bezeugte dem Mann meine Verwunderung, daß er nicht mehr mit dem Griechen reise.
›Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Hälfte meiner Kasse und meinen besten Rock gestohlen, er wußte wohl, daß ich ihm nicht nachsetzen konnte; aber wie wäre es, Söhnchen, wenn du mein Grieche würdest?‹ Ich staunte, ich hielt es nicht für möglich; aber er gestand mir, daß der andere ein ehrlicher Münchner gewesen sei, den er abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die Leute die griechische Sucht hätten.«
»Wie?« unterbrach ihn der Engländer, »selbst in Deutschland nahm man Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? und doch ist es eigentlich ein deutscher Minister, der es mit der Pforte hält und die Griechen untergehen läßt.«
»Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland«, antwortete Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, »was einmal in einem anderen Lande Mode geworden, muß auch zu uns kommen. Das weiß man gar nicht anders. Wie nun vor kurzem die Parganioten ausgetrieben wurden und bald nachher die griechische Nation ihr Joch abschüttelte, da fanden wir dies erstaunlich hübsch, schrieben auf der Stelle viele und dicke Bücher darüber und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar Philhellenen gab es bei uns und man sah diese Leute mit großen Bärten, einen Säbel an der Seite, Pistolen im Gürtel, rauchend durch Deutschland ziehen. Wenn man sie fragte, wohin? so antworteten sie: ›In den heiligen Krieg, nach Hellas gegen die Osmanen!‹ Bat sich nun etwa eine Frau, oder ein Mann, der in der alten Geographie nicht sehr erfahren, eine nähere Erklärung aus, so erfuhr man, daß es nach Griechenland gegen die Türken gehe. Da kreuzigten sich die Leute, wünschten dem Philhellenen einen guten Morgen und flüsterten, wenn er mit dröhnenden Schritten einen Fußpfad nach Hellas einschlug, ›Der muß wenig taugen, daß er im Reich keine Anstellung bekommt und bis nach Griechenland laufen muß.‹«
»Ist's möglich?« rief der Marquis, »so teilnahmelos sprachen die Deutschen von diesen Männern?«
»Gewiß; es ging mancher hin mit einem schönen Gefühl, einer unterdrückten Sache beizustehen; mancher um sich Kriegsruhm zu erkämpfen, der nun einmal auf den Billards in den Garnisonen nicht zu erlangen ist; aber alle barbierte man über einen Löffel, wie mein Vater zu sagen pflegte, und schalt sie Landläufer.«
»Mylord«, sagte der Franzose; »es sind doch dumme Leute, diese Deutschen!«
»O ja«, entgegnete jener mit großer Ruhe, indem er sein Rumglas gegen das Licht hielt. »Zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen unerträglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen.«
Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhrt fort: »Auf diese Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut, und noch oft muß ich mich wundern, wie richtig sein Kalkül war. Die Deutschen, dachte er, kommen nicht dazu, etwas für einen weit aussehenden Plan, für ein fernes Land und dergleichen zu tun; entweder sagen sie: ›Es war ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas Neues machen wollen.‹ Oder sie sagen: ›Gut, wir wollen erst einmal sehen, wie die Sache geht, vielleicht läßt sich hernach etwas tun.‹ Fällt aber etwas in ihrer Nähe vor, können sie selbst etwas Seltenes mit eigenen Augen sehen, so lassen sie es sich › etwas kosten‹.
Man war dem Griechen früher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar, daß er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigeführt habe, eine Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Männer beim Bier traktieren konnten.
Was für Aussichten blieben mir übrig? mein Oncle war tot, ich hatte nichts gelernt, so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander wurden, daß mir mein Führer sogar Schläge beibrachte. Er lehrte mich alle Gegenstände auf neugriechisch nennen, bleute mir einige Floskeln in dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlänglich instruiert war, schwärzte er mir Haar und Augbraunen mit einer Salbe, färbte mein Gesicht gelblich, und – ich war ein Grieche. Mein Kostüm, besonders das für vornehme Präsentationen war sehr glänzend, manches sogar von Seide. So zogen wir im Land umher, und gewannen viel Geld.«
»Aber mein Gott«, unterbrach ihn der Franzose, »sagen Sie doch, in Deutschland soll es so viele gelehrte Männer geben, die sogar Griechisch schreiben. Diese müssen doch auch sprechen können; wie haben Sie sich vor diesen durchbringen können?«
»Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen größten Spaß; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut, daß sie vor zweitausend Jahren mit Thukydides hätten korrespondieren können, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mußten zu Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen, eine herrliche Floskel bereit: – – – – ›Mein Herr! das ist nicht griechisch.‹ Mein Führer unterließ nicht, sogleich, was ich gesagt, dem Publikum ins Deutsche zu übersetzen, und jene Kathedermänner kamen gewöhnlich über das Lächeln der Menschen dergestalt außer Fassung, daß sie es nie wieder wagten, Griechisch zu sprechen.
So zogen wir längere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze Komödie auf einmal aufhörte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit einem Band im Knopfloch auf, der mir große Ähnlichkeit mit meinem Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal und endlich, denken Sie sich mein Erstaunen, höre ich, wie man ihn Herrn von Garnmacher tituliert. Ich stürzte zu ihm hin, fragte ihn mit zärtlichen Worten, ob er mein verehrter Herr Oncle sei, und entdeckte ihm auf der Stelle wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als köngl. sächsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine rührende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der mit vornehmer Gesellschaft zugegen war, und nicht gerne an meinen Vater den marchand tailleur erinnert sein wollte, die Wut meines Führers, alles dies kam mir trotz meiner tiefen Rührung höchst komisch vor.
Der Führer wurde verhaftet, mein Oncle nahm sich meiner an, ließ mir Kleider machen und führte mich nach Berlin. Und dort begann für mich eine neue Katastrophe.«