Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Burgund, Worms am Rhein. König Gunthers Burg. Große Halle. Früher Morgen. Gunther, Giselher, Gerenot, Dankwart, der Spielmann Volker und andere Recken sind versammelt.

Erste Szene

Hagen von Tronje tritt ein.

Hagen.
Nun, keine Jagd?

Gunther.                     Es ist ja heil'ger Tag!

Hagen.
Daß den Kaplan der Satan selber hole,
Von dem er schwatzt.

Gunther.                             Ei, Hagen, mäß'ge dich.

Hagen.
Was gibt's denn heut? Geboren ist er längst!
Das war – laßt sehn! – Ja, ja, zur Zeit der Flocken!
Sein Fest verdarb uns eine Bärenhatz.

Giselher.
Wen meint der Ohm?

Hagen.                               Gekreuzigt ist er auch,
Gestorben und begraben. – Oder nicht?

Gerenot.
Er spricht vom Heiland.

Hagen.                                   Ist's denn noch nicht aus? –
Wer hält mit mir? Ich eß kein Fleisch zur Nacht,
Das nicht bis Mittag in der Haut noch steckt,
Auch trink ich keinen Wein, als aus dem Horn,
Das ich dem Auerstier erst nehmen muß!

Gunther.
So wirst du Fische kauen müssen, Freund,
Am Ostermorgen gehn wir nicht zur Jagd.

Hagen.
Was tun wir denn? Wo ist der heil'ge Mann?
Was ist erlaubt? Ich hör die Vögel pfeifen,
Da darf der Mensch sich doch wohl fiedeln lassen?
(Zu Volker.) So fiedle, bis die letzte Saite reißt!

Volker.
Ich fiedle nicht, solang die Sonne scheint,
Die lust'ge Arbeit spar ich für die Nacht.

Hagen.
Ja, du bezögst auch dann noch dir die Geige
Gern mit des Feindes Darm und strichest sie
Mit einem seiner Knochen.

Volker.                                         Würdest du
Vielleicht auf die Bedingung Musikant?

Hagen.
Ich kenne dich, mein Volker. Ist's nicht so?
Du redest nur, wenn du nicht fiedeln darfst,
Und fiedelst nur, wenn du nicht schlagen kannst.

Volker.
Mag sein, Kumpan.

Gunther.                         Erzähl uns was, der Tag
Wird sonst zu lang. Du weißt so mancherlei
Von starken Recken und von stolzen Fraun.

Hagen.
Nur von Lebend'gen, wenn es dir beliebt,
Daß man sich sagen darf: die krieg ich noch,
Den vor mein Schwert und die in meinen Arm.

Volker.
Ich will dir von Lebendigen erzählen,
Und der Gedanke soll dir doch vergehn.
Ich kenn den Recken, den du nimmer forderst,
Und auch das Weib, um das du nimmer wirbst.

Hagen.
Wie! Auch das Weib? Den Recken laß ich gelten,
Doch auch das Weib? Du meinst den Schlangentöter,
Den Balmungschwinger, den gehörnten Siegfried,
Der, als er einmal Schweiß vergossen hatte,
Durchs Bad sich deckte vor dem zweiten Mal –
Allein das Weib?

Volker.                         Ich sag dir nichts von ihr!
Du könntest ausziehn, um sie heimzuführen,
Und kämst gewiß nicht mit der Braut nach Haus.
Der Schlangentöter selbst wird sich besinnen,
Ob er als Freier bei Brunhilden klopft.

Hagen.
Nun, was Herr Siegfried wagt, das wag ich auch.
Nur gegen ihn erheb ich nicht die Klinge:
Das wär ja auch, wie gegen Erz und Stein.
Glaubt's oder zweifelt, wie es Euch gefällt:
Ich hätt' mich nicht im Schlangenblut gebadet,
Darf denn noch fechten, wer nicht fallen kann?

Giselher (zu Volker).
Schon hört ich tausend Zungen von ihm plappern,
Doch, wie die Vögel durcheinander zwitschern,
Es gab kein Lied. Sprich du einmal von ihm!

Gunther.
Vom Weibe erst. Was ist das für ein Weib?

Volker.
Im tiefen Norden, wo die Nacht nicht endet,
Und wo das Licht, bei dem man Bernstein fischt
Und Robben schlägt, nicht von der Sonne kommt,
Nein, von der Feuerkugel aus dem Sumpf –

(Man hört in der Ferne blasen.)

Hagen.
Trompeten!

Gunther.             Nun?

Volker.                         Dort wuchs ein Fürstenkind
Von wunderbarer Schönheit auf, so einzig,
Als hätte die Natur von Anbeginn
Haushälterisch auf sie gespart und jeder
Den höchsten Reiz des Weibes vorenthalten,
Um ihr den vollen Zauber zu verleihn.
Du weißt von Runen, die geheimnisvoll
Bei dunkler Nacht von unbekannten Händen
In manche Bäume eingegraben sind:
Wer sie erblickt, der kann nicht wieder fort,
Er sinnt und sinnt, was sie bedeuten sollen,
Und sinnt's nicht aus, das Schwert entgleitet ihm,
Sein Haar wird grau, er stirbt und sinnt noch immer:
Solch eine Rune steht ihr im Gesicht!

Gunther.
Wie, Volker? Dieses Weib ist auf der Welt,
Und ich vernehm's erst jetzt?

Volker.                                         Vernimm noch mehr!
So ist's. Bei Eis und Schnee, zur Augenweide
Von Hai und Walfisch, unter einem Himmel,
Der sie nicht einmal recht beleuchten kann,
Wenn nicht ein Berg aus unterird'schen Schlünden
Zuweilen seine roten Blitze schickt,
Ist aller Jungfraun herrlichste erblüht.
Doch ist das öde Land, das sie gebar,
Auf seinen einz'gen Schatz auch eifersüchtig
Und hütet sie mit solcher neid'schen Angst,
Als würd es in demselben Augenblick
Vom Meere, das es rings umbraust, verschlungen,
Wo sie dem Mann ins Brautbett folgt. Sie wohnt
In einer Flammenburg, den Weg zu ihr
Bewacht das tückische Geschlecht der Zwerge,
Der rasch umklammernd quetschend Würgenden,
Die hören auf den wilden Alberich,
Und überdies ist sie begabt mit Kräften,
Vor denen selbst ein Held zuschanden wird.

Gunther.
Wie das?

Volker.           Wer um sie wirbt, der wirbt zugleich
Um seinen Tod, denn führt er sie nicht heim,
So kehrt er gar nicht wieder heim, und ist
Es schon so schwer, nur zu ihr zu gelangen,
So ist es noch viel schwerer, ihr zu stehn.
Bald kommt auf jedes Glied an ihrem Leibe
Ein Freier, den die kalte Erde deckt,
Denn mancher schon zog kühn zu ihr hinab,
Doch nicht ein einziger kam noch zurück!

Gunther.
Nun, das beweist, sie ist für mich bestimmt!
Hei! Meine lange Brautwahl hat ein Ende,
Brunhilde wird die Königin Burgunds!

(Man hört die Trompeten ganz nahe.)

Was gibt's?

Hagen (tritt ans Fenster).
                    Das ist der Held aus Niederland.

Gunther.
Du kennst ihn?

Hagen.                     Schau nur hin! Wer zöge wohl
So trotzig bei uns ein, wenn er's nicht wäre,
Und hätte doch nur zwölfe im Gefolg!

Gunther (tritt gleichfalls ans Fenster).
Ich glaub es selbst! Doch sprich, was führt ihn her?

Hagen.
Ich weiß nicht, was ihn reizt! Er kommt wohl nicht,
Um sich vor dir zu bücken, und er hat
Zu Haus doch alles, was man wünschen kann.

Giselher.
Ein edler Degen!

Gunther.                       Wie empfängt man ihn?

Hagen.
Du dankst ihm, rat ich, wie er dich begrüßt.

Giselher.
Ich gehe ihm entgegen!

Gerenot.                               So auch ich!

Hagen.
Wer's tut, der wird sich nicht erniedrigen!
Denn, daß er's euch nicht selbst zu melden braucht:
Er steckt nicht bloß in seiner Haut von Horn
Und hat die Balmung-Klinge an der Seite,
Er ist auch Herr des Nibelungenhorts
Und trägt die Nebelkappe Alberichs,
Und alles das, ich muß es redlich sagen,
Durch seine Kraft und nichts durch Hinterlist,
Drum geh ich mit.

Gunther.                       Wir kommen schon zu spät.

Zweite Szene

Siegfried (tritt mit seinen zwölf Recken ein).
Ich grüß dich, König Gunther von Burgund! –
Du staunst, daß du den Siegfried bei dir siehst?
Er kommt, mit dir zu kämpfen um dein Reich!

Gunther.
Hier kämpft man nicht um das, was man schon hat!

Siegfried.
Um das denn, was dran fehlt! Ich hab ein Reich,
So groß, wie deins, und wenn du mich besiegst,
So bist du Herr darin. Was willst du mehr?
Du greifst noch nicht zu deinem Schwert? Ich hörte
Ja doch, daß hier die Tapfersten der Recken
Versammelt seien, kühn genug, mit Thor
Zu kämpfen um den Donner, wenn sie ihn
In irgendeinem Eichenhaine träfen,
Und stolz genug, die Beute zu verschmähn.
Ist das nicht wahr? Wie? Oder zweifelst du
An meinem Pfande, glaubst du, daß ich's dir
Nicht geben kann, weil noch mein Vater lebt?
Herr Sigmund steigt von seinem Thron herunter,
Sobald ich wiederkehre, und er wünscht
Sich sehnlich diesen Augenblick herbei,
Denn selbst der Zepter wird dem Greis zu schwer.
Und jeden Helden, der dir dienen mag,
Wäg ich dir auf mit dreien, jedes Dorf
Mit einer Stadt, und für ein Stück vom Rhein
Biet ich den ganzen dir! So komm und zieh!

Dankwart.
Wer spricht mit einem König so?

Siegfried.                                             Ein König!
Spricht doch ein Degen so mit einem Degen!
Wer kann und mag besitzen, wenn er nicht
Bewiesen hat, daß er mit Recht besitzt?
Und wer erstickt das Murren um sich her,
Bevor er den Gewaltigsten, der lebt,
Zu Boden warf, und ihn mit Füßen trat?
Bist du das nicht? So sag mir, wen du fürchtest,
Und gleich zur Stunde zieh ich wieder ab
Und fordre den, statt deiner, vor mein Schwert!
Du nennst ihn nicht und greifst auch nicht zur Wehr?
Ich brenne, mich zu messen mit dem Recken,
Der mir mein Gut verdoppelt oder nimmt –
Wär dies Gefühl dir fremd? Das glaub ich nicht,
Wenn ich auch nur auf deine Diener blicke:
So stolze Männer würden dir nicht folgen,
Empfändest du nicht ganz so, wie ich selbst.

Dankwart.
Du bist gewiß aufs Kämpfen so versessen,
Seit du des Lindwurms Schuppenpanzer trägst?
Nicht jedermann betrog den Tod, wie du,
Er findet eine offne Tür bei uns.

Siegfried.
Wohl auch bei mir! Hab Dank, du alte Linde,
Daß du ein Blatt auf mich herunterwarfst,
Als ich mich badete im Blut des Drachen,
Hab Dank, o Wind, daß du sie schütteltest!
Nun hab ich doch die Antwort für den Spötter,
Der seine Feigheit hinter Hohn versteckt.

Hagen.
Herr Siegfried, Hagen Tronje nennt man mich,
Und dieser ist mein Bruder!

Volker (macht einen Geigenstrich).

Siegfried.                                     Hagen Tronje,
Ich grüße dich! Doch wenn dich das verdreußt,
Was ich hier sprach, so brauchst du's nur zu sagen,
Ich setze gern den Königssohn beiseite
Und stehe dir, als wärst du Gunther selbst.

Gunther.
Kein Wort mehr, Hagen, eh dein König sprach.

Siegfried.
Und wenn du fürchtest, daß dein gutes Schwert
An meiner harten Haut zerspringen könnte,
So biete ich's dir anders, komm herab
Mit in den Hof, dort liegt ein Felsenblock,
Der ganz so schwer für mich ist, wie für dich:
Wir werfen und erproben so die Kraft.

Gunther.
Du bist willkommen, Held aus Niederland,
Und was dir hier gefällt, du magst dir's nehmen,
Nur trink mit uns, eh du's von dannen trägst.

Siegfried.
Sprichst du so mild mit mir? Da könnt ich bitten:
Schick mich sogleich zurück zu meinem Vater,
Er ist der einz'ge, der mich zücht'gen darf.
Doch, laß mich's, wie die kleinen Kinder machen,
Die auch nicht gleich von ihrer Unart lassen:
Kommt, werft mit mir, so trinke ich mit Euch!

Gunther.
So sei's, Herr Siegfried.

Siegfried (zu Dankwart).       Und was Euch betrifft,
Nicht wahr, ich kniff Euch in den dritten Arm,
Es tat nicht weh, ich weiß, Ihr habt ihn nicht!
(Zu allen.) Als ich hier einritt, packte mich ein Grauen,
Wie ich's noch nicht empfand, solang ich lebe,
Mich fröstelte, als würd's auf einmal Winter,
Und meine Mutter kam mir in den Sinn,
Die nie zu weinen pflegte, wenn ich zog,
Und diesmal weinte, als ob alles Wasser
Der Welt den Weg durch ihre Augen nahm.
Das machte mir den Kopf so wirr und kraus,
Ich wollte gar vom Pferde nicht herunter –
Jetzt bringt Ihr mich so bald nicht mehr hinauf.

(Alle ab.)


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