Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Fünfte Szene

Kämmerer (vor der Tür schreit).         Heil'ger Gott!

Ute.
Was ist's? Was gibt's?

Kämmerer (tritt ein).         Ich wäre fast gefallen.

Ute.
Und darum dies Geschrei?

Kämmerer.                                 Ein toter Mann!

Ute.
Wie? Was?

Kämmerer.         Ein toter Mann liegt vor der Tür.

Ute.
Ein toter Mann?

Kriemhild (fällt um). So ist's auch mein Gemahl!

Ute (sie auffangend).
Unmöglich! (Zum Kämmerer.)
                    Leuchte!

Kämmerer (tut es und nickt dann).

Ute.                                       Siegfried? – Mord und Tod!
Auf, auf, was schläft!

Kämmerer.                       Zu Hülfe!

(Die Mägde stürzen herein.)

Ute.                                                     Ärmstes Weib!

Kriemhild (sich erhebend).
Das riet Brunhild, und Hagen hat's getan! –
Ein Licht!

Ute.                 Mein Kind! Er –

Kriemhild (ergreift eine Kerze).
                                            Ist's! Ich weiß, ich weiß!
Nur, daß man ihn nicht tritt. Du hörtest ja,
Die Kämmrer stolpern über ihn. Die Kämmrer!
Sonst wichen alle Kön'ge aus.

Ute.                                                   So gib.

Kriemhild.
Ich setz es selber hin.
(Sie stößt die Tür auf und fällt zu Boden.)
                                    O Mutter, Mutter,
Warum gebarst du mich! – du teures Haupt,
Ich küsse dich und such nicht erst den Mund,
Jetzt ist er überall. Du kannst nicht wehren,
Sonst tätest du's vielleicht, denn diese Lippen – –
Es tut zu weh.

Kämmerer.             Sie stirbt.

Ute.                                         Ich könnt ihr wünschen,
Es wäre so!

Sechste Szene

Gunther kommt mit Dankwart, Rumolt, Giselher und Gerenot.

Ute (Gunther entgegen).
                      Mein Sohn, was ist geschehn?

Gunther.
Ich möchte selber weinen. Doch wie habt
Ihr's schon erfahren? Durch den heil'gen Mund
Des Priesters sollte euch die Kunde werden,
Ich trug's ihm in der Nacht noch auf.

Ute (mit einer Handbewegung).               Du siehst,
Der arme Tote meldete sich selbst!

Gunther (heimlich zu Dankwart).
Wie ging das zu?

Dankwart.                   Mein Bruder trug ihn her!

Gunther.
O pfui!

Dankwart.
            Er war davon nicht abzubringen,
Und als er wiederkehrte, lacht er auf:
Dies ist mein Dank für seinen Abschiedsgruß.

Siebente Szene

Kaplan (tritt ein).

Gunther (ihm entgegen).
Zu spät!

Kaplan.         Und solch ein Mann im Tann erschlagen!

Dankwart.
Der Zufall hat des Schächers Speer gelenkt,
Daß er die Stelle traf. So können Riesen
Durch Kinder fallen.

Ute (fortwährend mit den Mägden um Kriemhild beschäftigt).
                                  Steh nun auf, Kriemhild!

Kriemhild.
Noch eine Trennung? Nein! Ich faß ihn so,
Daß ihr mich mit begraben, oder mir
Ihn lassen müßt. Ich hab den Lebenden
Nur halb umarmt, das lern ich jetzt am Toten.
O wär es umgekehrt! Ich küßt ihn noch
Nicht einmal auf die Augen! Alles neu!
Wir glaubten, Zeit zu haben.

Ute.                                               Komm, mein Kind!
Er kann doch nicht im Staub so liegen bleiben.

Kriemhild.
Oh, das ist wahr! Was reich und köstlich ist,
Muß heute wohlfeil werden.
(Sie steht auf.)                       Hier die Schlüssel!
(Sie wirft Schlüssel von sich.)
Es gibt ja keinen Festtag mehr! Die Seide,
Die goldnen Prachtgewänder und das Linnen,
Bringt alles her! Vergeßt die Blumen nicht,
Er liebte sie! Reißt alle, alle ab,
Sogar die Knospen derer, die erst kommen,
Wem blühten sie wohl noch! Das tut hinein
In seinen Sarg, mein Brautkleid ganz zu oben,
Und legt ihn sanft darauf, dann mach ich so
(sie breitet die Arme aus)
Und deck ihn mit mir selber zu!

Gunther (zu den Seinigen).               Ein Eid!
Ihr tut kein Mensch mehr weh.

Kriemhild (wendet sich).                 Die Mörder da?
Hinweg! Damit er nicht aufs neue blute!
Nein! Nein! Heran!
(Sie faßt Dankwart) Damit er für sich zeuge!
(Sie wischt sich die Hand am Kleide ab.)
O pfui, nun darf ich ihn mit meiner Rechten
Nicht mehr berühren! Kommt das arme Blut?
Mutter, sieh hin! Ich kann nicht! Nein? So sind's
Nur noch die Hehler, und der Täter fehlt.
Ist Hagen Tronje hier, so tret er vor,
Ich sprech ihn frei und reiche ihm die Hand.

Ute.
Mein Kind –

Kriemhild.             Geh nur hinüber zu Brunhild,
Sie ißt und trinkt und lacht.

Ute.                                             Es waren Schächer –

Kriemhild.
Ich kenne sie.
(Sie faßt Giselher und Gerenot bei der Hand.)
                      Du warst nicht mit dabei!
Du auch nicht!

Ute.                         Hör doch nur!

Rumolt.                                           Wir hatten uns
Im Wald verteilt, es war sein eigner Wunsch,
Auch ist es Brauch, und fanden ihn im Sterben,
Als wir zusammentrafen.

Kriemhild.                               Fandet ihr?
Was sprach er da? Ein Wort! Sein letztes Wort!
Ich will dir glauben, wenn du's sagen kannst,
Und wenn's kein Fluch ist. Aber hüte dich,
Denn leichter wächst dir aus dem Mund die Rose,
Als du's ersinnst, wenn du es nicht gehört.
(Da Rumolt stockt.)
Du logst!

Kaplan.           Doch kann's so sein! Die Elstern ließen
Schon Messer fallen, welche töteten,
Was Menschenhänden unerreichlich war,
Und was ein solcher Dieb der Lüfte trifft,
Weil ihm sein blanker Raub zu schwer geworden,
Das trifft wohl auch der Schächer.

Kriemhild.                                               Frommer Vater,
Du weißt nicht!

Dankwart.               Fürstin, heilig ist dein Schmerz,
Doch blind zugleich und ungerecht. Dir zeugen
Die ehrenwertsten Recken –

(Inzwischen ist die Tür zugemacht worden und die Leiche nicht mehr sichtbar.)

Kriemhild (als sie dies bemerkt). Halt! Wer wagt's –
(Eilt zur Türe.)

Ute.
Bleib! Bleib! Er wird nur leise aufgehoben,
Wie du es selber wünschtest –

Kriemhild.                                         Her zu mir!
Sonst wird er mir gestohlen und begraben,
Wo ich ihn nimmer finde.

Kaplan.                                     In den Dom!
Ich folge nach, denn jetzt gehört er Gott. (Ab.)

Achte Szene

Kriemhild.
Wohl! In den Dom!
(Zu Gunther.)         Es waren also Schächer?
So stell dich dort mit allen deinen Sippen
Zur Totenprobe ein.

Gunther.                         Es mag geschehn.

Kriemhild.
Mit allen, sag ich. Aber alle sind
Hier nicht versammelt. Ruft auch den, der fehlt!

(Alle ab, aber Männer und Frauen aus verschiedenen Türen.)

Neunte Szene

Dom.
Fackeln. Der Kaplan mit anderen Priestern seitwärts vor einer eisernen Tür. Im Portal sammeln sich Hagens Sippen bis zu Sechzig. Zuletzt Hagen, Gunther und die übrigen.
Es klopft.

Kaplan.
Wer klopft?

Antwort von draußen.
                    Ein König aus den Niederlanden,
Mit so viel Kronen, als er Finger hat.

Kaplan.
Den kenn ich nicht.

(Es klopft wieder.)

Kaplan.                           Wer klopft?

Antwort von draußen.                       Ein Held der Erde,
Mit so viel Trophäen, als er Zähne hat.

Kaplan.
Den kenn ich nicht.

(Es klopft wieder.)

Kaplan.                         Wer klopft?

Antwort von draußen.                     Dein Bruder Siegfried,
Mit so viel Sünden, als er Haare hat.

Kaplan.
Tut auf!

(Die Türe wird geöffnet und Siegfrieds Leichnam auf der Bahre hereingetragen. Ihm folgen Kriemhild und Ute mit den Mägden.)

Kaplan (gegen den Sarg).
                Du bist willkommen, toter Bruder,
Du suchst den Frieden hier!

(Zu den Frauen, die er vom Sarge abschneidet, indem er, während dieser niedergesetzt wird, zwischen sie und ihn tritt.)

                                              Auch ihr willkommen,
Wenn ihr den Frieden sucht, wie er ihn sucht.
(Er hält Kriemhild das Kreuz vor.)
Du kehrst dich ab von diesem heilgen Zeichen?

Kriemhild.
Ich suche hier die Wahrheit und das Recht.

Kaplan.
Du suchst die Rache, doch die Rache hat
Der Herr sich vorbehalten, er allein
Schaut ins Verborgne, er allein vergilt!

Kriemhild.
Ich bin , ein armes, halb zertretnes Weib,
Und kann mit meinen Locken keinen Recken
Erdrosseln: welche Rache bliebe mir?

Kaplan.
Was brauchst du denn nach deinem Feind zu forschen,
Wenn du an ihm nicht Rache nehmen willst,
Ist's nicht genug, daß ihn sein Richter kennt?

Kriemhild.
Ich möchte dem Unschuldigen nicht fluchen.

Kaplan.
So fluche keinem, und du tust es nicht! –
Du armes Menschenkind, aus Staub und Asche
Geschaffen und vom nächsten Wind zerblasen,
Wohl trägst du schwer und magst zum Himmel schrein,
Doch schau auf den, der noch viel schwerer trug!
In Knechtsgestalt zu uns herabgestiegen,
Hat er die Schuld der Welt auf sich genommen
Und büßend alle Schmerzen durchempfunden,
Die von dem ersten bis zum letzten Tage
Die abgefallne Kreatur verfolgen,
Auch deinen Schmerz, und tiefer, als du selbst!
Die Kraft des Himmels saß auf seinen Lippen,
Und alle Engel schwebten um ihn her,
Er aber war gehorsam bis zum Tode,
Er war gehorsam bis zum Tod am Kreuz.
Dies Opfer bracht' er dir in seiner Liebe,
In seinem unergründlichen Erbarmen,
Willst du ihm jetzt das deinige verweigern?
Sprich rasch: Begrabt den Leib! und kehre um!

Kriemhild.
Du hast dein Werk getan, nun ich das meine!
(Sie geht zum Sarg und stellt sich zu Häupten.)
Tritt jetzt heran, wie ich, und zeuge mir!

Kaplan (geht gleichfalls zum Sarg und stellt sich zu Füßen).

(Drei Posaunenstöße.)

Hagen (zu Gunther).
Was ist geschehn?

Gunther.                       Es ward ein Mann erschlagen.

Hagen.
Und warum steh ich hier?

Gunther.                                 Dich trifft Verdacht.

Hagen.
Den werden meine Sippen von mir nehmen,
Ich frage sie. – Seid ihr bereit, zu schwören,
Daß ich kein Meuchler und kein Mörder bin?

Alle Sippen bis auf Giselher.
Wir sind bereit.

Hagen.                       Mein Giselher, du schweigst?
Bist du bereit für deinen Ohm zu schwören,
Daß er kein Meuchler und kein Mörder ist?

Giselher (die Hand erhebend).
Ich bin bereit.

Hagen.                   Den Eid erlaß ich euch.
(Er tritt in den Dom, zu Kriemhild.)
Du siehst, ich bin gereinigt, wann ich will,
Und brauche mich am Sarg nicht mehr zu stellen,
Allein ich tu's, und will der erste sein!
(Er schreitet langsam hinauf zum Sarg.)

Ute.
Schau weg, Kriemhild.

Kriemhild.                             Laß, laß! Er lebt wohl noch!
Mein Siegfried! Oh, nur Kraft für einen Laut,
Für einen Blick!

Ute.                             Unglückliche! Das ist
Nur die Natur, die sich noch einmal regt.
Furchtbar genug!

Kaplan.                       Es ist der Finger Gottes,
Der still in diesen heil'gen Brunnen taucht,
Weil er ein Kainszeichen schreiben muß.

Hagen (neigt sich über den Sarg).
Das rote Blut! Ich hätt' es nie geglaubt!
Nun seh ich es mit meinen eignen Augen.

Kriemhild.
Und fällst nicht um?
(Sie springt auf ihn zu.) Jetzt fort mit dir, du Teufel.
Wer weiß, ob ihn nicht jeder Tropfen schmerzt,
Den deine Mördernähe ihm entzapft!

Hagen.
Schau her, Kriemhild. So siedet's noch im Toten,
Was willst du fordern vom Lebendigen?

Kriemhild.
Hinweg! Ich packte dich mit meinen Händen,
Wenn ich nur einen hätte, der sie mir,
Zur Rein'gung, dann vom Leib herunter hiebe,
Denn Waschen wäre nicht genug, und könnt es
In deinem Blut geschehn. Hinweg! Hinweg!
So standest du nicht da, als du ihn schlugst,
Die wölf'schen Augen fest auf ihn geheftet,
Und durch dein Teufelslächeln den Gedanken
Voraus verkündigend! Von hinten schlichst
Du dich heran und miedest seinen Blick,
Wie wilde Tiere den des Menschen meiden,
Und spähtest nach dem Fleck, den ich – du Hund,
Was schwurst du mir?

Hagen.                                 Ihn gegen Feuer und Wasser
Zu schirmen.

Kriemhild.             Nicht auch gegen Feinde?

Hagen.                                                           Ja.
Das hätt' ich auch gehalten.

Kriemhild.                                   Um ihn selbst
Zu schlachten, nicht?

Hagen.                               Zu strafen!

Kriemhild.                                           Unerhört!
Ward je, solange Himmel und Erde stehn,
Durch Mord gestraft?

Hagen.                               Den Recken hätte ich
Gefordert, und mir ist's wohl zuzutraun,
Allein er war vom Drachen nicht zu trennen,
Und Drachen schlägt man tot. Warum begab sich
Der stolze Held auch in des Lindwurms Hut!

Kriemhild.
Des Lindwurms Hut! Er mußt ihn erst erschlagen,
Und in dem Lindwurm schlug er alle Welt!
Den Wald mit allen seinen Ungeheuern
Und jeden Recken, der den grimmigen Drachen
Aus Furcht am Leben ließ, dich selber mit!
Du nagst umsonst an ihm! Es war der Neid,
Dem deine Bosheit grause Waffen lieh!
Man wird von ihm und seinem Adel sprechen,
Solange Menschen auf der Erde leben,
Und ganz so lange auch von deiner Schmach.

Hagen.
Es sei darum! (Er nimmt dem Leichnam den Balmung von der Seite.)
                        Nun hört's gewiß nicht auf!
(Er umgürtet sich mit dem Schwert und gebt langsam zu den Seinigen zurück.)

Kriemhild.
Zum Mord den Raub!
(Gegen Gunther.)       Ich bitte um Gericht.

Kaplan.
Gedenke dessen, der am Kreuz vergab.

Kriemhild.
Gericht! Gericht! Und wenn's der König weigert,
So ist er selbst mit diesem Blut bedeckt.

Ute.
Halt ein! Du wirst dein ganzes Haus verderben –

Kriemhild.
Es mag geschehn! Denn hier ist's überzahlt!

(Sie wendet sich gegen den Leichnam und stürzt an der Bahre nieder.)



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