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4.

. Das war der Tag meiner Ankunft in Wendhusen und mein erstes Erwachen. Fast fünf Jahre sind seit jenem Morgen vergangen und doch steht er mit solcher Deutlichkeit vor meiner Seele, daß ich meinen könnte, erst gestern sei ich, ein kleines, unerfahrenes, heimatbanges Mädchen, unter Tante Ediths grünem Himmelbette erwacht und habe jenes Gespräch vernommen, das tausend bange Fragen in dem Kinderherzen hervorgerufen; als sei es gestern gewesen, daß Charlotte an meinem Bett gekniet, um mir unter Thränen und Lachen zu versprechen, mich lieb zu haben; dies wunderliche, liebe Geschöpf, das zusammengesetzt schien aus Thränen und Lächeln, dem das Leben im jähen Wechsel Lächeln und Thränen und, Gott sei Dank, doch endlich wieder Lächeln brachte.

Ach, Lottchen, wenn du nicht längst wüßtest, daß ich dich liebe, so machte ich dir hier noch einmal eine Liebeserklärung bei der Erinnerung an alles das, was wir gemeinschaftlich erlebt und erlitten.

Auch jener Tag steigt deutlich wieder vor mir auf, an dem ich zum erstenmal auf Entdeckungsreisen im alten Kloster ausging. Es war, glaube ich, noch an jenem ersten Tage; Tante Edith besuchte eine kranke Frau im Dorfe; ich saß mutterseelenallein in einer tiefen Fensternische und schaute über den Rasenplatz hinweg in die hohen Wipfel der Parkbäume, hinter denen die Villa versteckt lag. Unheimlich still war es in dem großen Gebäude, auch draußen keine Spur von Leben; seitwärts lag das Aebtissinnenhaus mit seinen verhangenen Fensterreihen in tiefem Schatten, über die Freitreppe waren die Ranken des wilden Weins gewuchert in zwangloser Ungebundenheit, sie hatten die Stufen übersponnen und verhingen die mächtige Hausthür mit üppigen Guirlanden, daß es aussah, als sei hier der Eingang zu Dornröschens Zauberschloß. Und hinter diesen verhangenen Fenstern hatte einst mein Vater gelebt als glückliches Kind, über diese moosbewachsenen Stufen war später der kleine Fuß meiner Mutter geschritten in das Haus, in welchem sie so schwer beleidigt wurde; – was konnte man ihr gethan haben, ihr, die so gut, so schön gewesen? Wer doch einmal hineingehen könnte in jene Räume, aber sie waren ja verschlossen seit Onkels Tode.

Warum nur? Es erschien so rätselhaft alles, was ich bis jetzt gesehen und gehört! Eine kleine Anwandlung von Grauen überkam mich, so daß ich aufsprang und auf den Korridor hinauslief. Der lange Gang lag stets, auch bei grellstem Sonnenschein, in Dämmerlicht, und in den vielen Ecken und Nischen bargen sich tiefe Schatten. Wo war es wohl, wo meine Eltern gewohnt bei jenem Besuch? Da drüben, sicher da drüben.

Ich stand vor einer der hohen, dunkelgebeizten Thüren, die in regelrechten Entfernungen die weißgetünchten Wände unterbrachen; ich lugte durch das Schlüsselloch und sah ein Streifchen großblumiger Tapete; ein scharfer Zug flog mir entgegen, offenbar waren die Fenster drinnen geöffnet. Tante hatte mir ja erzählt, daß bei großen Jagden die Zimmer noch immer als Logierstuben benutzt wurden; dieser Flügel hieß ja auch das Logierhaus. In der Blütezeit des Klosters hatte man den gewaltigen Steinbau zu diesem Zwecke dem Aebtissinnenhause angefügt, und nach der Menge und Größe der Zimmer zu urteilen, mußten die frommen Schwestern außerordentlich gastfrei gewesen sein.

O, es mutete mich plötzlich ganz köstlich an, dieses heimliche Dämmerlicht in dem verlassenen Gebäude; wie aus den Sagen alter Ritterburgen, in deren Gängen die Burgfrau einherschreitet in seidener Schleppe und goldgewirktem Ringelhäubchen, das Schlüsselbund und die Tasche zur Seite; das war so etwas für mich, umherzustöbern in alten Räumen, die seit Jahren nicht bewohnt gewesen und die einst so viel, so viel gesehen.

Auf den Zehen schlich ich den endlos langen Gang hinunter, hie und da fiel aus einem Schlüsselloch ein heller Streif auf die altersgrauen Dielen, und dort am Ende des Ganges leuchtete ein heller Schein; ein paar Stufen führten hinunter in das Aebtissinnenhaus, zunächst in einen großen, weißgetünchten Vorsaal, dessen Fenster mit leinenen Vorhängen verhüllt waren. Schön geschnitzte braune Flügelthüren führten zu den Zimmern, mächtige Hirschgeweihe zierten die Wände, und von der Decke hing im altmodischen Messingreifen eine große Glasglocke hernieder, jedenfalls zur Aufnahme einer Lampe bestimmt. Auch hier lugte ich durch ein Schlüsselloch, mit verhaltenem Atem und klopfendem Herzen – das mußten ja die Räume sein, in denen mein Vater geboren und aufgewachsen war. Aber ich erspähte auch hier nichts weiter als ein Streifchen lederbrauner, mit Gold verzierter Tapete und ein Stückchen Goldrahmen von einem Bilde.

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Tante Edith muß mir viel erzählen, dachte ich und stand, ehe ich es selbst recht wußte, auf der obersten Stufe einer breiten Treppe, die unheimlich unter meiner geringen Last zu knarren begann. Einen Augenblick schwankte ich, dann aber lief ich eilends hinunter, mit meinem Kleide eine förmliche Staubwolke aufwirbelnd. Wieder eine verschlossene Thür dicht vor der Treppe? Doch nein, ein Druck auf die Klinke öffnet sie; mit einem Kreischen, das die ganze Tonleiter durchging, flog sie zurück, und fast hätte ich aufgeschrieen vor Staunen und Ueberraschung – viele Jahrhunderte glaubte ich mich zurückversetzt, so mittelalterlich wölbten sich die Spitzbogen unter der Decke des luftigen, breiten Ganges, von zierlich gemeißelten Steinrosetten zusammengehalten; die Außenwände fehlten, schlanke Säulen trugen Rundbogen, und Kletterrosen und wilder Wein hingen ihre üppigen Ranken gleich luftigen Vorhängen herab, und darunter hinweg schweifte der Blick hinaus über blumige Grasplätze in die dichte, grüne Wildnis uralter herrlicher Bäume. Greller Mittagssonnenschein lag auf den Rasenplätzen, kein Laut, kein Ton ringsumher, während ich zögernd zwischen den Säulen hindurch auf den grasbewachsenen Gartenweg trat; weiße Schmetterlinge tummelten sich in ungezählter Menge über den Beeten, deren Pflanzen wilde Schößlinge getrieben; Centifolien rankten, alles unter sich erstickend, über den Buchsbaum der Einfassung weit in die Wege hinaus und hielten, wie unwillig über mein Erscheinen, mich am Kleide fest, und hie und da leuchtete eine Statue aus dunklem Schatten auf, von Epheu fast überwuchert, der auch die Stämme der Bäume dicht umrankt hielt.

Wie träumend schritt ich weiter. Das war in der That Dornröschens Zaubergarten, so weltverlassen, so spukhaft einsam lag er da im Lichte der Mittagssonne, die doch nicht unter dem grünen Laubdache das Dämmerlicht gänzlich zu vertreiben vermochte. Die Zweige hingen so tief hernieder, daß sie mein Haar streiften, sie verbargen auch mit ihrer üppigen Blätterpracht die hohe Mauer, die den Garten rings begrenzte, und ließen ihn unermeßlich erscheinen.

O, du alter, verlassener Klostergarten, wie lieb bist du mir geworden! Schier das liebste Fleckchen auf dem großen, weiten Erdenrund!

Der riesige Park um die elegante Villa, mit seinen englischen, samtweichen Rasenflächen, seinem weiten Blumenparterre, er verschwand vollständig vor diesen Grasplätzen, mit Wiesenblumen bunt durchflochten; und auf keinem der modernen Wiegenstühle saß es sich so gut, wie auf der alten, moosbewachsenen Steinbank unter den beiden großen Lindenbäumen, die mit ihren Zweigen das köstliche Plätzchen noch heimlicher und versteckter machten.

O, wieviel hundertmal habe ich dort gesessen in Leid und Freud', zu Häupten die schwanken Zweige und zu Füßen den halb versunkenen Grabstein einer alten Aebtissin, deren Ebenbild in Lebensgröße mit starrem Faltengewand, die Hände über die Brust gekreuzt, die Stätte zierte, unter der sie sich ausruhte, schon über zwei Jahrhunderte lang. Der Regen war auf den Sandstein geplätschert, im Winter war das Schneewasser darüber hingesickert, aber immer noch lag die fein gemeißelte Gestalt dort, und noch immer verkündeten die plumpen Buchstaben, daß Anno 1558 die hochehrwürdige Aebtissin, Frau Magdalene Sibylla, Reichsgräfin zu Radeberg und Hohenstein, in einem seligen Todesstündlein in Christo eingegangen sei zu Gott. – Es wurde mein Lieblingsplatz, dieses alte Grab; ich habe die Nesseln ausgerissen und Epheuranken und Immergrün herumgepflanzt und dabei dachte ich an ein liebes fernes Grab, und wie dankbar ich fremden Händen sein müsse, die das Unkraut fern hielten von ihm. Und das, was ich einer lang, lang Verstorbenen that, das galt ja meiner Mutter.

»Es ist recht,« sagte später der alte Gottlieb, den ich um Blumenpflanzen angebettelt hatte, »das ist recht, gnädiges Fräulein, der Mensch muß was Greifbares haben, einen Platz, wo er so recht zu Hause ist mit seinen Erinnerungen, und wohin einem kein anderer Mensch mit den Gedanken folgen kann. Ich halt's auch so; sehen Sie, wenn ich so ein recht schweres Herz habe – ach, Jesus, und wer hätte das nicht zuweilen –, dann gehe ich aus der Wohnstube und steige hinauf auf den Boden in die Flachskammer, die war meiner seligen Alten ihr Stolz, ihr Liebstes, und wenn ich so das Herz voll Blut und Ingrimm habe und ich trete da hinein und rieche den Flachsgeruch und sehe das feine Garn hängen, das sie noch gesponnen, dann ist mir's grad, als sagte sie: »Laß es gut sein, Alter, laß es gut sein, mit dem Kopf durch die Wand kommst du doch nicht!«

Wie manch langes Zwiegespräch habe ich im Klostergarten mit dem alten ehrlichen Manne gehalten; er zeigte mir die Fenster von meines verstorbenen Onkels Arbeitszimmer, aus dem mitunter die Lampe bis lange nach Mitternacht in den stillen Garten geleuchtet habe; dann seinen Lieblingsweg, den er jeden Morgen vor dem Frühstück zu gehen pflegte, an der Sonnenuhr vorüber mit der finstern Devise: » Memento horae novissimae.« Gedenke der letzten Stunde! Ich ließ mir erzählen, wie so ganz anders das Leben im Hause war, als der selige Herr noch lebte, und er – Gottlieb – noch Herrschaftskutscher gewesen; jeden Sonntagmorgen habe da die große Glaskutsche Schlag sieben Uhr vor der Hausthür gehalten, und Herr, Frau und Kinder, Hauslehrer und Gouvernante seien nach Welsroda zur Kirche gefahren, und hei! dann nachmittags ging es hinüber nach Littwitz zu den Istheims, oder nach Tromsdorf zu den Münchs, oder gar zu einem Picknick in den grünen Wald, wo Kaffee gekocht wurde und gesungen und gespielt. Die Herrschaften waren froh, und die Kutscher hatten auch was vom Sonntag in der Gesindestube bei Schweinebraten und selbstgebrautem Bier. »Ja, ja, die Zeiten ändern sich. Heutzutage ist's nicht mehr fein, sonntags auszufahren und in die Kirche –? Wenn der junge Herr nicht noch darauf bestände, unsere Damen kämen das ganze Jahr nicht mehr hin. Ja, ja, aber was geht's mich an. Die Welt ist rund und muß sich drehen, sie ist aber nicht mehr das, was sie früher war, wenigstens hier nicht.«

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Einmal that ich denn auch schüchtern die Frage, warum er nicht mehr herrschaftlicher Kutscher sei?

Zuerst wurde das alte, gute Gesicht zornrot, aber dann leichenblaß. »Ja, ja, weil's mir die Gnädige nie vergeben konnte, daß ich dazumal das Fräulein Edith gefahren habe. Sie hat mir's immer nachgetragen, aber solange der Herr lebte, schien die Sache vergessen, ich bekam tüchtige Schelte von ihm und damit basta! Die gnädige Frau aber, die hat's wohl aufgehoben in ihrem Herzen, und als der Herr vier Wochen tot war, da hieß es, Gottlieb solle die Stelle auf dem Hofe haben, das heißt die Fuhren thun für die Inspektoren und Verwalter und für Frau Berka, denn niemand könne zwei Herren dienen! Merkst du was, alter Gottlieb? Das ist noch von derowegen! dachte ich und machte dem feinen Kutscher Platz, der nun kam. Meine Alte wurde krank vor Aerger, sie war schon ein gebrechliches Weib dazumal. – O, Herrgott, von der Zeit will ich nicht mehr reden, aber zusammennehmen mußte ich mich, daß ich nicht alles zu Boden schlug, was mir nahe kam. – Als ob ich anders gekonnt hätte, wenn mir das gnädige Fräulein sagt: ›Gottlieb, sei heute abend mit dem kleinen Jagdwagen an der Gartenpforte, ich will ausfahren.‹ Das war ein Befehl, ich mußte es thun; daß sie nicht wieder mitkam – konnt' ich dafür?«

»Sie kam nicht wieder, Gottlieb?«

»Nein, nein, Fräulein; sie blieb eben da, wo es ihr besser gefiel als hier. Ja so. Sie werden nichts wissen sollen von der Geschichte; ich weiß auch weiter nichts, ich sage bloß das eine: Kann ich ihr heutigestags wieder einen Gefallen thun, so geschieht's, und müßte ich selbigen Abend noch vom Hofe.«

Das webte sich immer geheimnisvoller um mich zusammen, und meine geschäftige Phantasie erging sich in tausend fabelhaften Vermutungen, die sich bald um meine Mutter, bald um Tante Edith gruppierten; halbe Tage lang konnte ich darüber nachgrübeln und vergaß beinahe meine Angst und Sorge um Georg. Wenn irgend das Wetter es erlaubte, huschte ich die Treppe hinab zum Klostergarten und schleppte beim Heimkommen ganze Arme voll Blumen mit herauf, mit denen ich Tantes und mein Zimmer ausschmückte; sie ließ mich still gewähren und strich nur lächelnd mit der feinen Hand über mein Haar. Und wenn ich das hübsche Jünglingsgesicht über ihrem Nähtische bekränzte mit Rosen und frischem Grün, dann lachte sie und nickte! »Ein prächtiger Bursch, nicht wahr, Lena? So wird dein Georg auch werden – sehen sie sich nicht ähnlich?« Und dann holte ich die kleine Photographie Georgs und wir verglichen und schauten und fanden schließlich wirklich Aehnlichkeit, obgleich das feine brünette Kindergesicht nichts mit jenem Kopf gemein hatte, der so über seine Jahre ernst und sinnend aus dem schmucklosen Holzrahmen blickte.

Es waren wohl schon über acht Tage vergangen, Georg und Christiane hatten bereits meinen ersten Brief beantwortet, und mein Leben fing an, sich etwas regelmäßiger zu gestalten. Ich half nähen für Tantes arme Kinder, übte auf einem altmodischen Klavier Tonleitern und Etuden, und hielt mit Tante Edith Konversation auf englisch und französisch, las auch häufig vor, kurz, ich fand mich von Tag zu Tag heimischer in dem alten, düsteren Kloster. Nicht wenig entzückte mich auch der große Gutshof hinter den Klostergebäuden; die Zimmer, die den unseren gegenüberlagen, sahen auf den Hof; eines der kleineren benutzte Tante Edith als eine Art Polterkammer und dort stand ich oft und lange und schaute hinunter. Für die Großstädterin waren ja die bunten Hühner, der stattliche Taubenschlag, die prächtigen weißbunten Kühe und die hochbeladenen vierspännigen Erntewagen etwas ganz wunderbar Interessantes. Auch Vetter Gerhard bemerkte ich dort mitunter, er ging freundlich grüßend von den Scheunen in die Stallungen, und zu meiner Freude sah ich ihn sogar einmal, von Gottlieb kutschiert, vom Felde zurückkommen und dem Alten freundlich zunicken beim Aussteigen.

Von den Bewohnern der Villa sah ich niemand, auch Vetter Gerhard hatte wohl längst vergessen, daß da neben der stillen Tante ein kleines, fremdes Mädchen lebte, nach deren erster Nachtruhe er sich zu erkundigen versprach, und die Damen hatte ich nur einmal erblickt, als sie rasch auf dem Parkwege vorbeifuhren; und da hatte Charlotte nicht einmal nach Tantes Fenstern geschaut.

Tante Edith schien die lange Abwesenheit von Charlotte nicht sonderlich zu befremden, sie sprach nicht einmal davon, nur schien es mir, als sei sie unruhig und zerstreut, als erwarte sie irgend etwas; und um die Abendzeit, wenn der Briefbote zu kommen pflegte, schritt sie mitunter durch den langen Korridor und bog sich lauschend über das plumpe Holzgeländer der Treppe; oder, falls sie nicht pünktlich um jene Zeit von einem Krankenbesuche heimkam, sah sie mit großen Augen, aus denen etwas wie Angst und Hoffnung zugleich sprach, nach dem Eckschranke, auf dessen Platte Jette gewöhnlich die Postsachen zu legen pflegte. Fand sie dann nur die Zeitung vor, so setzte sie sich tief aufseufzend ans Fenster und sah hinaus auf die grünen Wipfel der Bäume, die Hände eng gefaltet, und wenn sie sich dann nach einer Weile umwandte und mir ein freundliches »Guten Abend, Kleine!« zurief und ihre Lieblinge lockte, dann lag auf ihrem Gesichte wieder ein freudiges Hoffen.

»Morgen ist auch ein Tag,« sagte sie halblaut eines Abends, als ich freudestrahlend einen Brief meines Bruders in Empfang nahm und der Postbote auf Tante Ediths Frage lakonisch mit »Nichts« geantwortet hatte.

»Wieviel Briefe hast du nun schon erhalten, Kind, in den vierzehn Tagen deines Hierseins?« fragte sie eines Abends. »Sieh, der Kleine verwöhnt dich – nun, es ist noch die erste Sehnsucht und der erste Schmerz; geht's ihm gut?«

Ich setzte mich auf die Estrade zu Tantes Füßen und las den Brief vor, kam aber damit nicht zu Ende, weil die Sehnsucht mir schon wieder die heißen Thränen in die Augen trieb, denn Georg schrieb klagend, daß von seinem Sonntagskittelchen die Knöpfe abgerissen seien und die Frau Doktor gar keine Zeit habe, sie anzunähen. Ich ließ betrübt den Kopf sinken und schwieg, indem ich mir vergegenwärtigte, wie sorgsam des kleinen Burschen Toilette immer unter den fleißigen Händen der Mutter gehalten war und wie peinlich solche Nachlässigkeiten den so streng zur Ordnung gewöhnten Knaben berühren mochten, und wie ich ihm so gar nicht helfen konnte.

Tante Edith aber mußte eben nicht auf mein Vorlesen gehört haben, sie schaute gedankenvoll in den Park hinaus und strich dabei über das weiße Fell Minkas, die sich neben ihr auf die Fensterbank gesetzt hatte. Das war mir schrecklich, weil ich bei Tante solche Teilnahmlosigkeit noch nicht kannte, und ein Gefühl von Zurücksetzung stieg in mir auf; ich hätte die weiße Minka am liebsten mit einem heimlichen Stoß aus dem Fenster praktiziert, wenn es angegangen wäre. Sollte ich nun stillsitzen und warten, bis Tante Edith sich wieder zu mir wandte, oder in mein Zimmer gehen und mich dort ausweinen? Aber ehe ich noch zu einem Entschluß kam, öffnete sich die Thür und Charlotte trat ins Zimmer. Sie flog in größter Hast auf Tante Edith zu, schlang über mich hinweg beide Arme um ihren Hals, so daß ihr duftiges, weißes Kleid mich ganz verhüllte, und als ich schleunigst zur Seite rückte, kniete sie auf meinen eben verlassenen Platz und legte den Kopf in Tante Ediths Schoß.

Das war in einem Moment geschehen, und im nächsten sah ich Tante Ediths Haupt heruntergebeugt und hörte sie leise etwas fragen, und Charlotte antwortete darauf mit fast herzbrechendem Schluchzen. »Tante, liebe Tante, die Quälereien halte ich nicht mehr aus!« rief sie dann, das Gesicht emporrichtend und sich die Thränen abwischend, »den ganzen Tag höre ich nichts weiter als: ›Sei vernünftig, Kind! Wir wollen nur dein Bestes! Ueberlege doch nur!‹ etc. Mama ist überhaupt schon in sich fertig und sagt höchstens: ›Es wird sich finden,‹ wenn ich einen Widerspruch anzudeuten wage, und zu alledem hatten sie nur verboten, mit dir über die Sache zu sprechen –. Aber heute ertrug ich es nicht länger, ich erklärte eben Ferra energisch, daß ich jetzt auf dem Fleck zu dir gehen würde, um deinen Rat zu erbitten.«

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Tante, liebe Tante, die Quälereien halte ich nicht mehr aus!«

»Das war thöricht, Charlotte,« erwiderte Tante Edith, »denn du machst dir die fragliche Angelegenheit – ich kann mir denken, um was es sich handelt – dadurch um nichts leichter, und wie mein Rat bei solchen Sachen beurteilt wird – – Kind, du hast recht unüberlegt gehandelt. Warum sprichst du nicht mit Gerhard?«

»Weil er schon seit acht Tagen verreist ist, liebe Tante.«

»Das ist ja freilich schlimm, mein Liebling; nun, da schütte dein Herzchen aus, was wollen sie denn von dir, Charlotte?«

Charlotte warf den schönen Kopf in den Nacken zurück, legte beide Arme wieder um Tantes Hals und sah zu ihr empor, und plötzlich schallte ein silberhelles Lachen durch das hohe Zimmer.

»O, es ist zu furchtbar komisch, beste Tante!« rief sie, aber dabei rannen ihr die hellen Kummerthränen aus den Augen. »Ich muß lachen, und doch ist's so verzweifelt ernsthaft – denke dir, Tante, ich soll den – –«

Sie brach ab und sprang aus ihrer knieenden Stellung empor, denn in der geöffneten Thür stand, wie hingezaubert, Ferra –.

Ferra hatte, wie ich später einsehen lernte, eine beneidenswerte Gabe, sich unbefangen zu stellen; man merkte anfänglich nie, daß sie einen bestimmten Zweck im Auge habe bei ihrem Thun und Treiben, und so kam sie auch heute mit freundlichem Lächeln, das ihren weichen Zügen so unvergleichlich gut stand, über den braun getäfelten Fußboden von Tante Ediths Zimmer geschritten, als mache sie alle Tage diesen Weg. Sie reichte dieser die Hand, wobei sie aber vermied, in die fragenden Augen der alten Dame zu sehen, drohte Charlotte schalkhaft mit dem Finger und nickte mir flüchtig zu.

»Ei, sieh einmal,« sagte sie dann, »bei Tante Edith scheinst du dein verlorenes Lachen wiedergefunden zu haben, Kleine! Ich versichere dich, Tante, zu Hause geht das Kind umher, als wären ihre ganzen Lebenshoffnungen ins Wasser gefallen –; nun, warte nur, du kleine Heuchlerin, ich weiß jetzt, was ich von deinen Thränen zu halten habe.«

Charlotte antwortete nicht, sondern wandte sich schnell, die letzte Thränenspur abwischend, zu mir und setzte sich neben mich auf die Estrade des andern Fensters. »Nun, Cousinchen,« begann sie, »wir haben uns lange nicht gesehen; ich dachte immer, du würdest einmal nach mir fragen auf Grund unserer gelobten Freundschaft, aber wer nicht kam –«

»Ja, darf ich denn das?«

»Freilich, Kind, frage nicht so dumm; du gehst eben einfach in mein Zimmer, und wenn ich nicht drinnen bin, schickst du die Jungfer nach mir, falls du es nicht vorziehen solltest, selbst mich aufzusuchen bei Mama.«

Ich schüttelte lebhaft den Kopf. »Nein, Charlotte, das thue ich nicht; komm nur lieber hierher zur Tante Edith, dann zeige ich dir auch meinen Platz unten im Klostergarten.«

Ferra hatte sich indessen einen Stuhl zu Tantes Fensterplatz gerückt und lag recht bequem darin; es sah gar nicht so aus, als ob sie gewillt sei, das Zimmer früher als ihre Schwester zu verlassen. Auch Charlotte schien dies zu bemerken und ihre weißen Zähne preßten sich unmutig auf die Lippe.

»Nun, Tantchen,« fragte Ferra, »was sagst du denn eigentlich zu der ganzen Geschichte?«

»Gar nichts, mein Kind, denn ich kenne diese Geschichte nicht.«

Ferras Augen leuchteten plötzlich auf und sie warf ihrer Schwester einen freundlichen Blick zu. »Es ist recht von Lottchen, daß sie diese Angelegenheit mit sich allein ausmachen will,« lobte sie, »es taugt gar nichts, hier und dort um Rat zu fragen, man wird nur immer konfuser dadurch.«

»Ich war gerade im Begriff, mit Tante Edith zu sprechen, Ferra, als du eintratest; aber – aufgeschoben ist nicht aufgehoben,« entgegnete Lotte.

»Nun, da kann ich ja wohl auch dabei sein, Lottchen, wenn du es nicht anders willst. – Sieh, Tantchen, ich bin überzeugt, du wirst mir recht geben; – findest du nicht auch, daß Lotte gar keine Ursache hat, sich so verzweifelt zu gebärden, wenn ein liebenswürdiger Mann ihr einen Heiratsantrag macht?«

»Darüber bin ich auch gar nicht verzweifelt,« verteidigte sich Charlotte; »denn dieser ›liebenswürdige‹ Mann ist mir sehr gleichgültig; nur das macht mich unglücklich, daß du und Mama trotzdem konsequent dabei bleibst, ich müsse ihn heiraten, als ob – –«

»Du willst es nie einsehen, daß wir es gut mit dir meinen, Lottchen,« unterbrach Ferra sie mit weicher Stimme.

»In diesem Falle kann ich es allerdings nicht einsehen,« entgegnete Charlotte trotzig.

»Wollt ihr nicht Gerhards Rat in Anspruch nehmen?« fragte Tante Edith dazwischen. »Ich kann wirklich nichts dazu sagen, denn erstens weiß ich gar nicht, wer der Herr ist, selbst wenn ich seinen Namen erfahre; ich bin ja jahrelang nicht mehr aus dem Hause gekommen, kenne natürlich niemand und kann also wirklich hier kein Urteil fällen.«

»Nein, Tante, nein!« rief Ferra heftig. »Gerhard soll verschont bleiben mit solchen Dingen; er ist krank, das dürfen wir nicht vergessen, und hat außerdem schon vielerlei, was ihm mehr zum Herzen geht, als just nötig ist; er sieht, wie alle Kranke, den unscheinbarsten Punkt für einen großen schwarzen Berg an; er darf nichts von der Sache erfahren.«

»Nun, nun, in diesem Falle bist du diejenige, Ferra, die eine Sache zu schwarz ansieht,« sagte Tante Edith ruhig; »ich halte Gerhard durchaus nicht für so krank –«

»Gerhard ist sehr leidend, liebe Tante – verzeihe; ich, die ich beständig um ihn bin, kann das eben besser beurteilen, wie jemand, der ihn selten sieht. Betrachte ihn dir doch einmal, bitte, wenn er von seiner Reise zurückkehrt, wie angegriffen und elend er aussehen wird.«

»Ja, das glaube ich,« bemerkte Charlotte trocken, »solcher Aerger, wie er ihn durchzukämpfen hat, greift natürlich an. Joachim wird sicherlich die angenehmsten Ueberraschungen für ihn in petto gehabt haben.«

»Du sprichst wie ein unverständiges Kind, Charlotte,« verwies Ferra; »wenn Joachim Schulden macht, so ist es die natürliche Folge von Gerhards Knauserei. Weshalb gibt er ihm nicht eine ausreichende Zulage? Ich nehme entschieden Joachims Partei; ich weiß auch, was es heißt, mit knappen Mitteln zu existieren.«

»Arme Ferra!« lachte Charlotte gleichgültig. »Du bist allerdings immer unverantwortlich knapp gehalten worden.«

Ferra sah einen Moment bitterböse aus. »Ich will mich gar nicht für haushälterisch ausgeben,« fuhr sie dann fort, »ebensowenig wie ich Joachim dafür halte; aber daß man mit dem nicht anständig leben kann, was Gerhard dafür ausreichend hält, das liegt klar auf der Hand. Indes man muß Nachsicht mit ihm haben, weil er krank ist – wie wissen kranke Menschen davon, was Leben heißt.«

»Das ist richtig! Gerhard wäre ebensowenig im stande, in einer Woche zwei Pferde kaput zu reiten, wie er im stande sein würde, in einer Nacht ein paar Tausend Thaler zu verspielen. Ob das nun gerade Zeichen von Gesundheit sind? Ich halt's für das Gegenteil.« Charlotte tippte dabei allerliebst mit dem Finger an ihre Stirn und fuhr, aufstehend, fort, so daß Ferra nicht zu antworten vermochte: »Und nun, Tante Edith, sage mir nur ein Wort – nicht wahr, ich habe das Recht, einen Korb auszuteilen, wenn ich Herrn von Sanden nicht heiraten mag; er flößt mir wirklich Widerwillen ein, ich habe mich schon als Kind vor ihm gefürchtet.«

»O Himmel, Ferra!« rief Tante Edith, »das Kind soll den alten Mann heiraten?«

Charlotte fing wieder an zu lachen, sie schlug die Hände zusammen und die hellen Töne klangen wie erlösend in mein Ohr; es war mir ganz schwül geworden bei dem Wortwechsel der Schwestern.

»O, ist es nicht zu komisch, Tante, beste Tante?« rief sie. »Stelle ihn dir doch nur vor, so etwas gebückt, aber immer noch elegant und gewandt, mit lächelnder Miene, den Mund gespitzt, als wolle er pfeifen, eine Rose im Knopfloch und eine rabenschwarze Perücke! – Mein gnädiges Fräulein,« sprach sie mit veränderter Stimme, rasch einen Staubwedel von der Wand nehmend, und schnitt dazu ein furchtbar komisches Gesicht, so daß man sah, sie kopiere ihren alten Freier, »ich erlaube mir, Ihnen mit größter Devotion einige meiner grunwaldner Rosen zu Füßen zu legen, sie sehnten sich nach ihrer schönsten Schwester!« und dabei überreichte sie Ferra mit grotesker Verbeugung den Federwedel, daß selbst diese, wenn auch ärgerlich, in unser heiteres Lachen mit einstimmen mußte.

»Du bist und bleibst kindisch,« schalt sie, und warf unmutig den Federbesen auf das Sofa, so daß zwei von Tantes Lieblingen entsetzt flüchteten. »Schäme dich, einen liebenswürdigen Menschen so zu verspotten; sei froh, daß Mutter es nicht gesehen hat.«

»O Ferra!« neckte jetzt der Uebermut, »wenn ich nicht viel Besseres für dich wüßte, würde ich dir zureden, ihn zu nehmen, aber – –«

»Charlotte, du weißt, daß ich hierin keinen Spaß verstehe; ich heirate nicht wieder, ich habe es dir hundertmal gesagt, ich bleibe bei Gerhard.«

»Das Opfer verlangt Gerhard gewiß nicht, Ferra,« sagte Tante Edith gleichmütig, »ich halte ihn nicht für einen Egoisten.«

»Ja, Tante,« bestätigte Charlotte, »das sage ich auch immer, und eines schönen Tages kommt Gerhard und stellt dir eine hübsche, liebe Braut vor, und dann –« Sie kicherte wieder und drehte sich auf dem Absatz herum.

»Dazu ist Gerhard, Gott sei Dank, zu vernünftig,« fuhr jetzt die schöne Frau wirklich gereizt auf, »er weiß, wie krank er ist und wird keine Frau unglücklich machen wollen; er ist viel zu ehrenhaft dazu!«

»Die Sache faßt du gänzlich falsch auf, Ferra,« warf Tante Edith ein, und ließ einen Moment ihr Strickzeug ruhen. »Wie schon gesagt, ich halte ihn nicht für so krank, und außerdem, warum soll ein kränklicher Mann nicht auch eine liebevolle Gefährtin finden? Gerhard ist wie geschaffen zu einem glücklichen Familienleben, und wenn ein Mädchen ihn liebt und ihm bei seiner Frage sagt: ich liebe dich just so, wie du bist, und ich will dein sein in Krankheit und Not ebenso wie in Freude und Glück – was wolltest du dagegen einwenden, Ferra? Und dann, mein Kind, du widersprichst dir selbst in deinen Grundsätzen – hier bemühst du dich, deine junge Schwester an einen alten Mann zu binden, der doch wahrhaftig viel eher ans Sterben denken müßte, denn ans Freien, und Gerhard, der trotz seinem bißchen Kränklichkeit neunzig Jahre alt werden kann, dem sprichst du alles Glück in dieser Beziehung ab?«

Um Tantes Lippen spielte ein feines Lächeln, als sie schloß; sie sah aber keines von uns an, sondern streichelte ihre Minka.

»Nun, habe ich nicht recht?« fragte sie dann nach einer Pause.

Ferra zuckte ungeduldig die Schultern. »Ich konnte es mir denken, daß Charlottes Trotzkopf hier recht bekommt,« sagte sie heftig, »deshalb wollte ich auch nicht, daß sie herging; ich meine, es ist doch wohl ein Unterschied zwischen Gerhard und Charlotte; – Gerhard ist der reiche Majoratsherr, und Lotte hat nur ihr bescheidenes, sehr bescheidenes Vermögen, wovon sie leben soll. Sie muß sich verheiraten, wenn sie so weiterleben will, wie sie es gewohnt ist – und sie käme in sehr gute Verhältnisse. Auf irgend einen romantischen Märchenprinzen kann sie nicht warten, und die dummen Ideale, die man als Mädchen nun einmal hat von einer einzigen, großen Liebe des Frauenherzens, die muß man bekämpfen, denn sie sind ein Unsinn – das ist meine Meinung, in die du gewiß einstimmen wirst, liebe Tante.« Sie war aufgestanden und die kleinen, ringgeschmückten Hände agierten heftig bei ihrer Rede. Tante Edith aber war plötzlich bleich geworden.

»Halt ein, Ferra,« sagte sie tonlos, »es ist genug! Ich habe meinen Rat nicht aufgedrängt, sondern bin deshalb befragt worden. Um Charlotte ist mir nicht bange, sie wird ihren Weg allein zu finden wissen. Ich bitte dich, das Gespräch als beendet zu betrachten.« Sie erhob sich und schritt in ihr Schlafzimmer.

»Brr!« sagte Ferra, als sich die Thür hinter ihr geschlossen, »da habe ich was Schönes angerichtet; warum bringt man mich in Zorn?«

Charlotte sah erstaunt ihre Schwester an, dann wollte sie der Tante nacheilen, aber vernehmlich schob sich drinnen der Riegel vor die Thür.

»Was sagtest du denn eigentlich, Ferra?« fragte sie.

»Nichts weiter, als daß Tante gar nicht über solche Dinge urteilen darf, denn sie hat bei der Geschichte ihrer eigenen Verheiratung so kopflos und überspannt gehandelt, daß sie sich und ihre ganze Familie kompromittierte. Das Nähere brauchst du ja nicht zu wissen, sonst könnte deine Verehrung für sie bedenklich ins Schwanken geraten. Du wirst doch jetzt mit spazieren fahren?«

Charlotte regte sich nicht; alles Blut war aus ihrem Gesichte gewichen, nur ihre Augen sprühten seltsam auf. »Ich möchte wissen, was Tante gethan hat?« fragte sie hastig.

Ferra, die gleichgültig die Bilder über Tantes Nähtischchen musterte, bog eben die Epheublätter von einem Porträt zurück, das sorgfältig unter ihnen verborgen war. »Da ist er ja,« sagte sie spöttisch. »Nun, es ist eigentlich nichts für Kinder,« fügte sie dann hinzu; »die Tante hat ihn nicht heiraten sollen, und da ist sie eben bei Nacht und Nebel aus ihrem Elternhause geflohen!«

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»Das ist nicht wahr!« schrie Charlotte auf. »Ferra, das ist nicht wahr! Sage nein, bitte, bitte!« Sie schlang beide Arme um den Nacken der Schwester und schaute ihr leichenblaß ins Gesicht.

»Doch, doch, mein Schatz,« nickte diese und strich wie liebkosend über die blonden Haare. »Es ist Thatsache; Gottlieb, der alte Schleicher, hat sie damals gefahren, als sie flüchtete. Zu welchem Unglück die unselige Geschichte geführt hat, weißt du ja auch; jahrelang hat der Unfriede in unserem Hause gewohnt. Aber laß mich doch los, du erdrückst mich ja; kommst du nun mit spazieren oder nicht?«

»Nein, nein,« murmelte Charlotte und ließ die Arme sinken.

»Dann bleib, du närrisches Ding.« Und ohne mich eines Blickes zu würdigen, schritt Ferra aus dem Zimmer. In der langen Schleppe ihres hellen Sommerkleides hing spielend ein Kätzchen, das sie unwillig abschüttelte; dann warf sie noch einen letzten Blick, in dem Aengstlichkeit mit leisem Spott gemischt war, auf Charlotte, die ihr fast ausdruckslos nachstarrte, und war verschwunden.


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