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Ferner erzählt man, daß einmal ein freier Jüngling und eine junge Sklavin in derselben Schule lernten, und daß sich der Jüngling in das Mädchen verliebte.
Dreihundertundfünfundachtzigste Nacht.
Eines Tages nun, als die andern Knaben nicht auf ihn merkten, nahm er die Tafel des Mädchens und schrieb die beiden Verse darauf:
»Was sagst du zu dem, den Krankheit verzehrt hat,
Der durch der Liebe Übermaß völlig verstört ward?
Der in heißer Glut und vor Weh laut seiner Liebe Leid klagt
Und seines Herzens Gefühle nicht mehr zu bergen vermag?«
Als das Mädchen die Tafel nahm und die Verse darauf geschrieben sah, las sie dieselben; und da sie ihren Sinn begriff, weinte sie aus Mitleid für ihn und schrieb unter seine Zeilen die beiden Verse:
Wenn wir einen Liebenden schauen, leidend in seiner Liebe,
So erhören wir ihn und schenken ihm unsere Gunst.
Seiner Liebe Wünsche soll er von uns erlangen,
Mag uns auch treffen, was immer uns treffen mag.«
Nun traf es sich, daß der Lehrer zu ihnen eintrat und die Tafel fand, ohne daß sie dessen gewahr wurden. Als er 38 die Verse, die auf ihr standen, gelesen hatte, empfand er Mitleid mit ihrem Zustand und schrieb unter ihre Verse folgende beiden Verse auf die Tafel:
Geh' zu deinem Geliebten und sorg' dich nicht um die Folgen,
Denn, siehe, der Geliebte ward durch die Liebe verstört.
Fürchte nicht des Lehrers Autorität,
Denn lange Zeit schon ward er von der Liebe geprüft.
Zufällig kam aber auch gerade zu derselben Zeit der Herr des Mädchens in die Schule; und da er die Tafel des Mädchens fand, nahm er sie und las die Verse, die das Mädchen, der Jüngling und der Lehrer darauf geschrieben hatten. Da schrieb er gleichfalls unter die Schriftzüge aller folgende beiden Verse auf die Tafel:
Gott trenne euch nie in der Dauer der Zeit,
Und mache euern Verleumder bestürzt und zu Schanden!
Doch was den Lehrer anlangt, so sahen, bei Gott, meine Augen
Unter allen Menschen keinen größern Kuppler als ihn.
Hierauf schickte der Herr des Mädchens nach dem Kadi und den Zeugen und ließ das Ehedokument zwischen beiden in deren Gegenwart ausfertigen. Alsdann richtete er ihnen ein Fest an und beschenkte sie aufs reichlichste, und beide lebten von nun an glücklich und in Freuden beisammen, bis der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen sie heimsuchte.