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Ferner erzählt man, daß einmal ein Pilgersmann einen langen Schlaf schlief und beim Erwachen keine Spur mehr von der Pilgerkarawane fand. Da erhob er sich und ging drauf los, doch irrte er dabei vom Wege ab, bis er schließlich ein Zelt sah, an dessen Thür er eine alte Frau und neben ihr einen schlafenden Hund erblickte. Er näherte sich nun dem Zelt, bot der Alten den Salâm und bat sie um etwas Essen. Sie erwiderte ihm: »Geh' zu jenem Wadi und fange mir soviel Schlangen, als du essen magst, daß ich dir einige brate und zu essen gebe.« Der Mann versetzte jedoch: »Ich getraue mich nicht Schlangen zu fangen und habe noch nie zuvor welche gegessen.« Da sagte die Alte: »Ich will dich begleiten und will dir welche fangen; sei daher unbesorgt.« Alsdann ging sie, von ihrem Hund begleitet, mit ihm fort, fing eine hinreichende Menge Schlangen und machte sich ans Braten einiger derselben. Der Mann aber, der sich vor Hunger und Abzehrung fürchtete, sah keinen andern Ausweg als von den Schlangen zu essen. Hernach dürstete ihn, und er bat die Alte um Trinkwasser, worauf dieselbe zu ihm sagte: »Los, dort ist die Quelle, trink' von ihr.« Da ging er zu der Quelle und fand, daß ihr Wasser bitter war; doch zwang ihn sein brennender Durst von dem Wasser trotz seiner Bitterkeit zu trinken. Nachdem er nun getrunken hatte und wieder zu der Alten 135 zurückgekehrt war, sagte er zu ihr: »Alte, mich nimmt es Wunder, daß du an solchem Orte wohnst, –
Vierhundertundfünfunddreißigste Nacht.
und daß du von solcher Speise und solchem Trank lebst.« Die Alte fragte ihn: »Wie ist es denn in deinem Lande?« Er antwortete: »Siehe, bei uns daheim giebt es weite und bequeme Wohnungen, scharlachfarbene und wohlschmeckende Früchte, zahlreiche und süße Wasser, würzige Speisen, fettes Fleisch, große Schaf- und Ziegenherden und allerlei angenehme Sachen und schöne Dinge, derengleichen es nur noch in dem von Gott, dem Erhabenen, seinen rechtschaffenen Dienern verheißenen Paradiese giebt.« Da versetzte die Alte: »Ich habe alles dies bereits gehört, doch, sag' mir, habt ihr einen Sultan, der über euch herrscht, und der euch vergewaltigt, wo ihr unter seiner Hand steht; so einer, der, falls sich jemand von euch vergeht, dessen Hab und Gut nimmt und ihn verdirbt, und der, so er will, euch aus euern Häusern jagt und euch mit der Wurzel ausreutet?« Der Pilgersmann antwortete: »So mag's wohl sein.« Da versetzte die Alte: »Ist's so, so sind, bei Gott, jene eure köstlichen Speisen, euer feines Leben und alle die angenehmen Genüsse bei der Tyrannei und Bedrückung nichts weiter als ein durchdringendes Gift, und unsere Speise, die wir in Sicherheit genießen, ein nützliches Heilmittel. Hast du nicht vernommen, daß nach dem Islam das höchste Gut Gesundheit und Sicherheit ist?Im folgenden macht der Erzähler selber eine Bemerkung.
Mag die Gerechtigkeit des Sultans, des Chalifen Gottes, und seine gute Regierung solches zuwege bringen! Der Sultan vergangener Zeiten hatte nur sehr wenig Respekt nötig, da seine Unterthanen ihn fürchteten, sobald sie ihn nur sahen. Doch der Sultan dieser Tage muß die höchste Regierungskunst und Autorität besitzen, da das Volk 136 heutigentages nicht den Alten gleicht, und unsere Zeit die Zeit schlimmer Gesellen ist und reich an Unglück, eine Zeit, bekannt durch Thorheit, Herzenshärte, Haß und Feindschaft.
Ist daher der Sultan, – was Gott verhüten möge, – schwach oder unerfahren in der Regierung und ohne Autorität, so wird dies zweifellos des Landes Untergang sein. Sagt doch auch das Sprichwort: »Hundert Jahre eines Sultans Tyrannei, aber die Vergewaltigung der Unterthanen untereinander nicht ein Jahr!« Und so sich die Unterthanen gegenseitig bedrücken, setzt Gott einen gewaltthätigen Sultan und einen harten König über sie. So berichtet uns die Geschichte, daß eines Tages eine Eingabe El-Hadschâdsch, dem Sohne des Jûsuf, zugestellt wurde, in welcher geschrieben stand: Fürchte Gott und bedrücke nicht seine Diener mit allerlei Gewaltthat. Als er die Eingabe gelesen hatte, bestieg er die Kanzel, beredt wie er war, und sprach: »Ihr Leute, Gott, der Erhabene, hat mich um eurer Thaten willen zu euerm Sultan eingesetzt.
Vierhundertundsechsunddreißigste Nacht.
Sterbe ich auch, so seid ihr bei euerm bösen Treiben doch nicht von der Tyrannei befreit, dieweil Gott, der Erhabene, Leute meines Schlages in Menge erschaffen hat; und, so ich nicht mehr bin, so wird nach mir ein schlimmerer, grausamerer und gewaltthätigerer Despot da sein, wie der Dichter es mit den Worten ausdrückt:
Es giebt keine Hand, über der nicht Gottes Hand ist,
Und keinen Tyrannen, der nicht von einem Tyrannen bedrückt wird.
Tyrannei ist gefürchtet, Gerechtigkeit aber ist aller Dinge bestes; drum lasset uns zu Gott beten, daß er unsere Lage bessert.