Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Dritte Nacht.

Die Geschichte von dem König, der das innere Wesen der Dinge kannte.

»Man erzählt, o König, daß einmal ein König in hohem Alter einen hübschen Sohn bekam, der Verstand und Einsicht entwickelte. Als der Knabe zum Jüngling herangereift war, sagte sein Vater zu ihm: »Nimm dieses Reich und regiere es an meiner Statt; ich sehne mich danach, mich zu Gott, dem Erhabenen, zurückzuziehen, das Wollengewand anzulegen und mich ganz der Andacht zu weihen.« Der Jüngling erwiderte: »Ich will mich auch zu Gott, dem Erhabenen, zurückziehen.« Da sagte sein Vater: »Komm, wir wollen in die Berge fliehen und dort demütig Gott, dem Erhabenen, dienen.« Alsdann besorgten sich beide wollene Kleider und kleideten sich in dieselben, worauf sie auszogen und zu den Steppen und Wüsten pilgerten. Nach einigen Tagen wurden sie jedoch schwach vor Hunger und bereuten ihren Schritt, wo die Reue ihnen nichts mehr nützen konnte. Wie nun der Jüngling seinen Hunger und seine Mattigkeit seinem Vater klagte, sagte dieser: »Mein Sohn, ich that mit dir, 143 was mir oblag, du aber wolltest mir nicht folgen, und jetzt giebt's keinen Weg mehr zur Rückkehr zu deiner früheren Lage, da ein anderer das Reich genommen hat und es verteidigt. Ich will dir jedoch einen Vorschlag machen, den ich dich bitte anzunehmen.« Da fragte der Jüngling: »Was ist's?« Sein Vater erwiderte: »Nimm mich auf den Bazar, verkauf' mich und thu' mit dem Erlös, was dir beliebt, während ich in den Besitz jemandes komme, der mich versorgt.« Der Jüngling versetzte hierauf: »Wer sollte dich wohl von mir kaufen, wo du ein alter Scheich bist? Verkaufe lieber mich, da man mich mehr begehren wird.« Sein Vater entgegnete jedoch: »Wenn du König wärst, so würdest du von mir Dienste begehren.« Da folgte der Knabe seinem Vater und führte ihn zum Sklavenhändler, zu dem er sagte: »Verkaufe mir diesen Scheich.« Der Sklavenhändler fragte: »Wer wird ihn kaufen, wo er achtzig Jahre zählt?« Dann fragte er den König: »Welche Kunst verstehst du?« Er versetzte: »Ich kenne die innere Beschaffenheit der Juwelen, Pferde und Menschen sowie aller Dinge.« Da nahm ihn der Sklavenhändler und bot ihn den Leuten an, ohne daß ihn jemand kaufen wollte, als der Küchenchef des Sultans ankam und fragte: »Was ist's mit dem da?« Der Sklavenhändler erwiderte: »Es ist ein Mamluk, der zum Verkauf steht.« Der Koch verwunderte sich hierüber, doch kaufte er ihn, nachdem er sich nach seiner Kunst erkundigt hatte, für zehntausend Dirhem, indem er das Geld darwägte. Dann nahm er ihn in seine Wohnung, jedoch wagte er nicht ihn mit irgend einem Dienst zu bemühen, sondern setzte ihm hinreichende Ration fest und bereute es, ihn gekauft zu haben, indem er bei sich sprach: »Was soll ich mit so einem Menschen anfangen?« Da traf es sich eines Tages, daß der König einen Gartenausflug zu machen beschloß und dem Koch befahl ihn zu begleiten und einen andern an seiner Stelle zur Bereitung seines Mahls zurückzulassen, um es bei seiner Rückkehr fertig zu finden. Da begann der Koch darüber nachzudenken, wen 144 er anstellen sollte, und wußte sich keinen Rat, als der Scheich zu ihm kam und zu ihm sagte, als er ihn bekümmert antraf: »Sag' mir, was deine Seele bedrückt, vielleicht kann ich dir helfen.« Da erzählte er ihm, was der König ihm aufgetragen hatte, worauf der Scheich ihm erwiderte: »Bekümmere dich nicht hierüber; überlaß mir nur einen der Diener und begleite deinen Herrn in Frieden, ich will die Sache für dich besorgen.« Hierauf begleitete der Koch den König, nachdem er dem Scheich alles Nötige beschafft und einen von den Garden bei ihm gelassen hatte; und der Scheich befahl nach dem Fortgang des Kochs dem Soldaten das Küchengeschirr zu waschen und bereitete ein treffliches Mahl. Als nun der König wieder zurückgekehrt war, setzte der Koch ihm das Mahl vor, worauf er es kostete und fand, daß er desgleichen bisher noch nicht geschmeckt hatte. Betroffen hierüber, fragte er, wer es gekocht hätte und, als man ihm nun den Scheich nannte, ließ er ihn holen und fragte ihn nach seinen Geheimnissen; zugleich erhöhte er sein Einkommen und befahl ihm mit dem Koch gemeinsam zu kochen. Nach einer Weile kamen zwei Kaufleute mit zwei Perlen zum König, von denen jeder behauptete, daß seine Perle tausend Dinare wert sei. Da nun die Leute ihren Wert nicht festzustellen vermochten, sagte der Koch: »Gott beglücke den König! Der Scheich, den ich kaufte, behauptete die Substanz der Juwelen zu kennen und sich aufs Kochen zu verstehen. Im Kochen erprobten wir ihn und fanden ihn kundiger als alle Leute; schicken wir nun nach ihm und stellen ihn mit den Juwelen auf die Probe, so wird es sich zeigen, was es mit seinem Anspruch auf sich hat.« Infolgedessen befahl der König den Scheich zu holen, und, als er vor dem König erschien, zeigte ihm dieser die beiden Perlen, worauf der Scheich versetzte: »Diese hier ist tausend Dinare wert.« Der König erwiderte: »So sagte auch ihr Besitzer.« Dann aber sagte der Scheich: »Die zweite Perle ist nur fünfhundert Dinare wert.« Da lachten die Leute und verwunderten sich über seine Worte, 145 während der Kaufmann zu ihm sagte: »Wieso? Diese Perle ist größer, klarer und runder, wie kann sie also minderwertiger sein?« Der Scheich erwiderte: »Ich habe gesprochen, was ich weiß.« Nun sagte der König: »Dem äußern Anschein nach gleicht sie allerdings der andern Perle; weshalb also soll sie nur halb soviel wert sein?« Der Scheich versetzte: »Jawohl; jedoch ist sie innen schlecht.« Da fragte der Kaufmann: »Hat denn eine Perle ein Inneres und Äußeres?« Der Scheich erwiderte: »Ja; in ihrem Innern sitzt ein Bohrwurm, während die andre Perle gesund und sicher vor dem Zerbrechen ist.« Da sagte der Kaufmann: »Beweise uns deine Kenntnis, denn, woher könnten wir deinen Worten glauben?« Der Scheich entgegnete: »Wir wollen sie zerbrechen; lüge ich, so ist hier mein Haupt, spreche ich aber die Wahrheit, so hast du deine Perle verloren.« Der Kaufmann willigte ein, und so ward die Perle zerbrochen, und es verhielt sich so, wie der Scheich es gesagt hatte; in ihrem Kern saß ein Bohrwurm. Der König verwunderte sich über das, wovon er Augenzeuge gewesen war, und fragte den Scheich, woher er diese Kenntnis hätte, worauf der Scheich erwiderte: »O König, siehe, dieses Juwel entsteht in dem Innern eines Tieres, das man den EremitenDie Perlmuschel ist natürlich darunter verstanden. nennt, und sein Ursprung ist ein Regentropfen, weshalb es der Berührung widersteht und nicht warm wird; als nun diese Perle sich warm anfühlte, wußte ich, daß sie ein Tier beherbergte, da Lebewesen nur in der Wärme gedeihen.« Da sagte der König zum Koch: »Erhöhe ihm seine Rationen.«

Wieder nach einer Weile kamen zwei Kaufleute mit zwei Pferden zum König, von denen der eine tausend, der andre fünftausend Dinare für sein Pferd verlangte. Da sagte der Koch: »Wir kennen nunmehr das richtige Urteil des Scheichs; was meint der König dazu, daß wir ihn holen lassen?« Infolgedessen ließ der König den Scheich rufen, und, als dieser 146 die beiden Pferde sah, sagte er: »Dieses hier ist tausend und das andre zweitausend Dinare wert.« Da sagten die Leute: »Dieses Pferd ist jünger und schneller und hat kompaktere Glieder, einen feineren Kopf und hellere Farbe und Haut als das andere; wodurch beweist du deine Worte?« Der Scheich versetzte; »Alles, was ihr sagtet, ist wahr; jedoch war sein Vater ein alter Hengst, während dieses hier einem jungen Hengst entsprossen ist. Wenn aber ein von einem alten Hengst entstammtes Pferd anhält, so kehrt sein Atem nicht zu ihm zurück, und sein Reiter fällt in die Hand seines Verfolgers; treibst du jedoch den Sohn eines jungen Hengstes an und lässest ihn galoppieren und steigst dann von ihm ab, so wirst du ihn wegen seiner Widerstandsfähigkeit nicht erschöpft finden.« Da sagte der Kaufmann: »Es ist so, wie der Scheich sagt; er ist ein trefflicher Beurteiler.« Und der König befahl dem Koch: »Vermehre seine Ration.« Der Scheich blieb jedoch stehen und ging nicht fort, so daß der König ihn fragte: »Warum gehst du nicht an dein Geschäft?« Er erwiderte: »Mein Geschäft ist mit dem König.« Da sagte der König: »So sag' dein Anliegen.« Der Scheich versetzte: »Ich wünsche, daß du mich auch nach dem Wert der Menschen fragst, wie du mich nach dem Wert der Pferde fragtest.« Der König entgegnete: »Wir bedürfen dessen nicht.« Der Scheich erwiderte jedoch: »Mir liegt daran, dir etwas zu sagen.« Nun sagte der König: »So sprich, was du willst;« worauf der Scheich versetzte: »Siehe, der König ist der Sohn eines Bäckers.« Da fragte der König: »Woher weißt du dies?« Der Scheich erwiderte: »Wisse, o König, ich nahm Einsicht in Rangstufen und Würden und erkannte dies hieraus.« Da begab sich der König zu seiner Mutter und fragte sie nach seinem Vater, worauf sie ihm sagte, ihr Gatte der König wäre impotent gewesen. »Ich fürchtete deshalb,« so fuhr sie fort, »das Reich könnte nach seinem Tode zu Grunde gehen und gab mich einem jungen Bäcker hin, von dem ich schwanger ward; so kam das Reich in meines Sohnes Hand, der du 147 selber bist.« Da ging der König wieder zum Scheich und sagte zu ihm: »Ich bin in der That eines jungen Bäckers Sohn; nun aber sag' mir, woher du dies erkanntest.« Der Scheich versetzte: »Wärst du eines Königs Sohn gewesen, so hättest du mir einen Hyazinthen oder sonst welche Kostbarkeit geschenkt; wärest du eines Kadis Sohn gewesen, so hättest du mir einen Dirhem oder zwei gegeben; wärest du irgend eines Kaufmanns Sohn gewesen, so hätte ich ein großes Geldgeschenk von dir erhalten. Da du mir jedoch nichts als zwei Brote schenktest, erkannte ich, daß du eines Bäckers Sohn warst.« Der König entgegnete: »Du hast's getroffen.« Dann schenkte er ihm eine Menge Geld und erhöhte seinen Rang.

Der König Schâh Bacht verwunderte sich über diese Geschichte und fand Gefallen an ihr; der Wesir aber sagte: Diese Geschichte ist nicht wunderbarer als die Geschichte des Reichen, der seine hübsche Tochter mit einem armen Scheich vermählte.« Da wurden die Gedanken des Königs von dieser Geschichte eingenommen, und er befahl dem Wesir nach Hause zu gehen, wo er den Rest der Nacht und den ganzen folgenden Tag blieb. Als aber der Abend anbrach, zog sich der König in sein Privatgemach zurück und ließ den Wesir holen, worauf er zu ihm sprach: »Erzähle mir die Geschichte von dem reichen Mann.« Da sagte der Wesir: »Schön,« und hob an und erzählte:

 


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