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Achte Nacht.
»Wisse, o König, es lebten einmal in der Stadt Chorāsân Leute in Wohlstand und Ansehen, die wegen ihrer Lage von den Bewohnern der Stadt beneidet wurden; doch verließ sie ihr Glück, und sie starben aus, bis nur noch eine alte Frau übrigblieb. Als diese hinfällig geworden war, unterstützten sie die Leute nicht nur nicht, sondern schafften sie auch aus der Stadt hinaus, indem sie sprachen: »Diese Alte soll nicht bei uns wohnen, da sie uns unsre Güte mit Schlechtigkeit lohnte.« So suchte die Alte eine Ruine auf, wo die Fremden ihr Almosen gaben, und sie lebte dort einige Zeit. Nun hatte der König jener Stadt aber mit seinem Vetter um die Herrschaft gestritten, und die Bewohner der Stadt haßten ihn, wiewohl Gott, der Erhabene, ihm in seinem Ratschluß den Sieg über seinen Vetter verliehen hatte. In seinem Herzen 162 war jedoch Neid verblieben, und er teilte es dem Wesir mit, der es nicht verbarg sondern ihm Geld schickte. Außerdem ließ er alle Leute nacheinander, die in die Stadt kamen, vor sich führen und stellte sie nach ihrem Glauben und ihrem Gut zur Rede, und, wer ihm nicht Antwort stand, dem nahm er das Geld.Die Unklarheit kommt auf Rechnung des Textes. Nun kam einmal ein reicher Moslem, der nichts hiervon wußte, zur Stadt gereist, und es traf sich, daß er zur Nachtzeit zur Ruine gelangte, in der die Alte hauste. Er gab ihr Geld und sprach dabei: »Sei unbesorgt,« worauf sie ihre Stimme erhob und ihn segnete. Da legte er sein Gut bei ihr nieder und blieb bei ihr die Nacht und den folgenden Tag. Es waren ihm aber Räuber gefolgt, ihm sein Geld abzunehmen, ohne daß sie es vermocht hätten, weshalb er zur Alten ging, ihr das Haupt küßte und ihr noch reichere Almosen gab. Da sagte sie zu ihm: »Ich sehe dies nicht gern in deinem Interesse und bin um dich wegen der Fragen besorgt, die der Wesir den Unkundigen stellt.« Hierauf setzte sie ihm die Sache auseinander und sagte zu ihm: »Sorge dich nicht sondern schaffe mich in deine Wohnung, daß ich dir die Frage, während ich bei dir bin, beantworten kann.« Hierauf nahm er die Alte mit sich in die Stadt in seine Wohnung und behandelte sie freundlich. Wie nun der Wesir von der Ankunft des Kaufmanns vernahm, ließ er ihn vor sich führen und plauderte eine Weile über seine Reiseerlebnisse mit ihm, worauf er zu ihm sagte: »Ich will dir einige Fragen stellen, und, wenn du sie beantwortest, ist's gut.« Da erhob sich der Kaufmann, ohne ihm zu antworten, während der Wesir ihn nun fragte: »Wie schwer ist ein Elefant?« Betroffen vermochte ihm der Wesir nicht zu antworten und war seines Todes gewiß; dann aber sagte er: »Gewähre mir eine Frist von drei Tagen.« Der Wesir gewährte ihm die Frist, worauf der Kaufmann heimkehrte und der Alten berichtete, wie es ihm ergangen war. Die Alte erwiderte: 163 »Geh' morgen zum Wesir und sprich zu ihm: »Mach' ein Schiff, laß es ins Meer und belade es mit einem Elefanten. Wenn es dann ins Wasser sinkt, so markiere die Stelle, bis zu welcher das Wasser reicht, und nimm den Elefanten wieder herunter, indem du an seiner Statt Steine aufs Schiff packst, bis das Schiff wieder zu jener Marke versunken ist. Dann nimm die Steine heraus und wiege sie; auf diese Weise wirst du das Gewicht eines Elefanten erfahren.« Am nächsten Morgen ging der Kaufmann wieder zum Wesir und gab ihm die Antwort, wie die Alte es ihm geheißen hatte. Der Wesir verwunderte sich und fragte nun: »Was sagst du zu einem Mann, der in seinem Hause vier Löcher sieht, in deren jedem eine Schlange sitzt, die herauskommen will, um ihn zu beißen; in dem Hause aber befinden sich auch vier Stöcke, und jedes Loch kann nur durch die Enden von zwei Stöcken verstopft werden. Wie kann der Mann demnach alle vier Löcher verstopfen und sich vor den Schlangen retten?« Da ward der Kaufmann noch bestürzter als zuvor und sagte zum Wesir: »Gieb mir Aufschub, daß ich über die Antwort nachdenken kann.« Der Wesir versetzte: »Geh' hinaus und bringe mir die Antwort, oder ich nehme dir dein Gut fort.« Da kehrte er mit veränderter Farbe zur Alten zurück, die ihn fragte: »Wonach hat dich der Graukopf gefragt?« Als er ihr nun die Sache berichtet hatte, sagte sie zu ihm: »Fürchte dich nicht, ich will dir aus der Klemme helfen.« Da wünschte er ihr Gottes besten Lohn, während sie zu ihm sagte: »Geh' morgen getrost zu ihm und sprich: »Die Antwort auf deine Frage ist also: »Stecke die einen Enden von zwei Stöcken in das erste und die andern ins dritte Loch und lege die beiden andern Stöcke quer darüber und verfahre mit ihnen in gleicher Weise.«Der Text an dieser Stelle ist nicht recht verständlich. Der Kaufmann gab ihm diese Antwort, worauf der Wesir, verwundert über ihre Richtigkeit, zu ihm sagte: »Geh'; bei Gott, ich frag' dich nie mehr wieder, 164 denn durch deinen Verstand kannst du mich zu Fall bringen;« und er behandelte ihn voll Aufrichtigkeit. Alsdann erzählte ihm der Kaufmann von der Alten, worauf der Wesir sagte: »Der Verständige muß sich mit dem Verständigen zusammenthun.« So erhielt diese gebrechliche Alte dem Kaufmann Leben und Gut in der einfachsten Weise.
Jedoch ist diese Geschichte nicht wunderbarer als die Geschichte von dem einfältigen Ehemann.« Als der König diese Geschichte vernommen hatte, sagte er: »Wie gleicht dies unsrer Lage!« Hierauf befahl er dem Wesir heimzukehren, und der Wesir blieb in seiner Wohnung, bis sich der König zu Anbruch der Nacht wieder in sein Privatzimmer setzte und den Wesir vor sich kommen ließ, worauf er von ihm die versprochene Geschichte verlangte. Und so hob der Wesir an und erzählte: