Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Grad einreiten in Zamora
Will der Cid, als ihn die Wache,
Ihn mit seinen fünfzehn Kriegern
Anhält, draußen vor dem Tor.
Laut und lauter wird der Lärmen,
Lauter das Geschrei der Straßen,
Bis es zur Infantin drang.

    Und in ihren Trauerkleidern
Eilet schnell sie auf die Mauer,
Als – das Schrecken von Kastilien –
Sie den Cid da vor sich sieht.
Ihre schönen Augen netzen
Tränen; an die Mauer drücket
Sie die Brust, enthüllt ihr Antlitz
Und vorbreitend ihre Arme,
Rufet sie ihm furchtbar zu:

    »Da du uns zu Feinden haben wolltest,
Warum klopfest du an unsre Tore?
Da durch dich wir hier im Jammer leben,
Warum kommst du und was willst du weiter?
Da, der Freundschaft Maske weggeworfen,
Du dem Unrecht deinen Arm geliehen –

        Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo!
    Deine Ehre ist verloren!
    Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!

    Seit er seinen Eid an mir gebrochen,
Den er zuschwur einer Königstochter,
Mich zu schirmen, mich, die einst ihn liebte
Und noch jetzt sein Bild in diesen Mauern
Ehrt, in Mauern, die er kommt zu stürmen;
Seit, von seinem neuen Glücke trunken,
Er vergaß die schönen Jugendtage,
Die an meines Vaters Hof er lebte –

        Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo!
    Deine Ehre ist verloren!
    Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!

    Dem mein Vater Ritterwaffen reichte,
Meine Mutter selbst den Zelter zuführt',
Ich anschnallete die goldnen Sporen,
Knieend auf dem Marmor. Er bemerkte
Damals nicht, was jedes Mädchen merket;
Er vergisset, was er war, und denkt nur,
Was er ist. Auch ich, so manches dacht ich,
Was der Himmel mir um meiner Fehler
Willen nicht vergönnte. Meine Eltern
Hoben ihn; er stürzte mich hernieder.
Weil ich denn um seinetwillen weine –

        Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo!
    Deine Ehre ist verloren!
    Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!

    Ich, ein Weib, dazu noch jung und zärtlich,
Kann ihm zwar kein Leid vom Himmel wünschen;
Hat er mich mit seinem Stolz beleidigt,
Hat er innig mir das Herz verwundet,
Kommen von ihm alle meine Leiden,
So komm auf ihn meine Güt und Gnade!
Ich verzeih ihm. Er darf mich beleid'gen
Ohne Strafe; denn des jungen Ritters,
Seiner, in der prächt'gen Kirche zu Coimbra,
Werd ich stets gedenken. – Aber dennoch,
Daß er nicht den Bruch des Eids verhindert,
Den Don Sancho meinem Vater zuschwur,
Daß er seinem Raube nicht gewehret,
Der dem Don Garzia, Don Alfonso
Ihre Reiche nahm; der eine schmachtet
Im Gefängnisse, der andre mußte
Zu Ungläub'gen fliehen, zu den Heiden.
Daß Don Sancho meiner armen Schwester,
Die im Kloster jetzt von Milde lebet,
Toro, ihr rechtmäßig Erbteil, raubte,
Und der Cid auch dieses ihm nicht wehrte;
Daß mein Bruder nicht und auch der Cid nicht
Tief erröten, mich hier zu bekämpfen,
Mich, die Schwester, mich, ein schwaches Weib nur,
Die zu Waffen nichts sonst hat als Tränen –
Deshalb –

        Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo!
    Deine Ehre ist verloren!
    Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!«

    Also sprach, gepreßt den Busen
An die Mauer, Doña Uraca;
So antwortet sie dem Cid.

    Er, betroffen von der Antwort,
Hält verworren; dann auf einmal
Lenkt er um sein Roß Babieça:
»Rückwärts!« höret man ihn murmeln,
»Rückwärts!« zwischen seinen Lippen,
Reitend nach dem Lager stumm.
Und so kommt er von Zamora
Wohl von manchem Pfeil verwundet,
Der, auch ohne Spitz und Eisen,
Tief im Herzen bohrend glüht.


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