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Klein-Elsbeths Gedanken über die Auferstehung.

Puppen haben also keine Seele.

Aber Spatzen haben eine. Und gar der kleine Spatz, mit dem Elsbeth Freundschaft geschlossen hatte. Da konnte man weit in der Welt suchen, bis man solch schöne Seele fand.

Fraß alles Futter aus der Hand Klein-Elsbeths bis aufs letzte Körnchen, genau so wie's ihm vorgesagt wurde.

Und wie konnte er plaudern und Red' und Antwort stehen! Nichts gab's in der Spatzenfamilie, kein freudiges Ereignis, keinen Trauerfall, durch die freche Katze verursacht, – alles, rein alles erfuhr Klein-Elsbeth von ihrem Freund.

Daß solche Offenheit mit gleicher Münze bezahlt werden muß, versteht sich von selbst. So nahe waren Menschen- und Spatzensprache sich noch nie gekommen.

Eines Tages aber lag der kleine Spatz tot am Boden.

Keine Bitten und keine Tränen machten ihn lebendig.

Jammernd mit dem toten Liebling zum Vater – der Bruder hinterdrein.

»Elsbeth, wir wollen ihn begraben, wie's der Pfarrer mit den toten Menschen macht. Dann kannst Du Blumen aufs Grab tun und jeden Tag hingehen und immerzu heulen und jammern, grad so, wie's die großen Leute machen, gelt Vater?«

Der Vater gibt einen kleinen Begräbnisplatz im Garten frei, hinter der großen Laube.

Auch den Sarg muß er stellen – eine kleine Pappschachtel.

Alles andere konnte Hans allein besorgen. Erst vor ein paar Tagen hatte man einen Schulkameraden, ein sechsjährig Bürschlein, auf den Friedhof getragen. Die ganze Klasse durfte mitgehen. Das war ein Fest für Augen und Ohren.

Klein-Elsbeth legte mit weichen, kosenden Fingern ihren Freund in den Sarg.

Fast wäre er wieder herausgefallen, so stieß der Jammer in dem Kinde auf.

»Heulliese! Wart doch, bis wir ihn begraben haben! Dann mußt Du tüchtig weinen. Heulst rein alles vorher weg! Mädels sind doch immer Heulliesen!«

Da bezwang Klein-Elsbeth ihren Schmerz.

Der Spatz hatte sich's wohl in seinen kühnsten Spatzenträumen nie ahnen lassen, mit welchen Ehren er einst der Mutter Erde übergeben würde.

Der kleine Leichenzug setzte sich endlich in Bewegung.

Voran Hans, der sich schnell in der Küche eine schwarze Schürze von Mutter vorn um den Hals gebunden hatte.

Mit großen Schritten, den Kopf weit im Nacken zurückgeworfen, schritt er einher. Dahinter Elsbeth mit dem Sarge.

Am Begräbnisplatz angekommen, fehlte das Handwerkszeug. Der Herr Pfarrer vergaß Amtskleid und Würde und rannte zurück zum Schuppen, wo er über seinen Talar und auf den Spaten fiel.

Und nun wurde die Erde ausgegraben. Klein-Elsbeth mußte immer und immer wieder probieren, ob der Sarg noch nicht in die Grube passe. Endlich ging's.

Jetzt warf der Herr Pfarrer die Erde darauf und begann die Rede.

Einen Vorzug hatte sie sicher – sie war sehr kurz und bündig.

»Ein liebes Kind haben wir heute begraben. Elsbeth hat es sehr lieb gehabt und ist furchtbar traurig. Sie weint und will sich nimmer trösten lassen und – und –«

Elsbeth schaute mit großen neugierigen Augen auf den Redner und weinte nicht.

Das brachte ihn offenbar ganz aus dem Text, daß er wütend schrie: »Nun heul doch los, dummes Ding! Fest jammern und schreien immer, immerzu!«

Und weil ihm der Faden seiner Rede jäh entzweigerissen, so machte er kurzweg Schluß: »Amen!«

Klein-Elsbeth aber weinte nicht, keine Träne. Ihre Gedanken wanderten auf ganz, ganz anderen Pfaden.

»Was fangt jetzt der arme Vogel da drunten an? Meinst, der schlaft auch so schön wie der Großvater?«

Der Bruder in seiner sechsjährigen Überlegenheit:

»Ein Vogel ist doch kein Mensch. Faulen, ganz und gar verfaulen tut er! So ist's und jetzt ist die Leich aus und ich hab tüchtig Hunger.« Mit ein paar Sätzen ist er im Haus.

Klein-Elsbeth setzt sich ans kleine Grab. Sie hat wieder viel zu denken. »Der Vogel hat doch eine Seele! Und die Seelen faulen nicht. Das hat doch der Vater gesagt. Der muß es doch wissen. Wohin ist jetzt die Seel geflogen? – Halt! Da unten wachsen die Blumen, die Veilchen und alle, alle! Alles wachst da unten. Da wachsen jetzt neue Flügel, und neue Füß' und ein neues Köpferl und wenn alles fertig ist, dann hat die Seel wieder ein Häusl. Da fährt's hinein und husch! fliegt das neue Vögerl heraus. Viel schöner, weil alles neu ist. Aber die Seel ist doch dieselbe und ich kenn's gleich, wenn mich der Vogel anschaut und »piep« sagt.«

Bald darauf springt Klein-Elsbeth mit dem wilden Bruder um die Wette im Garten umher.

Am Stachelbeerstrauch giebt's Aufenthalt. Sind noch keine Beeren dran? Der Vater sagt, es müßten erst blasse Blümlein anwachsen und wenn die gestorben sind, dann kommen die grünen Beerlein geflogen und die Sonne zündet nun ein mächtig Feuer an. Und in den Beerlein kocht's und kocht's und glühwarm wird's ihnen. Dann, ach dann erst gehören sie Klein-Elsbeth.

Wie lange doch alles dauert, was Kinder freut! Gelt, die Stacheln, die spitzen, die die Fingerlein blutig ritzen, die, ja die sind schon lange da und bleiben auch fest sitzen.

Elsbeth muß viel darüber denken. Nach ein paar Tagen ist's dieselbe Geschichte – kein Blümlein, kein Beerlein und nur die alten bösen Stacheln.

Nun will sie aber lange nicht mehr nachschauen – vor morgen ganz gewiß nicht.

Klein-Elsbeth eilt zum Vogelgrab, vielleicht ist der neue Vogel schon fertig und der Deckel geht am Ende nicht gleich in die Höhe. Da müßte man dem armen Vogel ein wenig helfen. Die kleine Hand scharrt schon die Erde weg, flink und immer flinker.

Dann das Köpflein auf die Erde gelegt und leise gehorcht. War's nicht, als ob sich da unten was rührte?

Endlich ist der Deckel zu sehen. Die Finger suchen ihn zu lüpfen. Da schreit Klein-Elsbeth in wilder Angst und Not.

Drei große, schwarze Käfer krabbeln ans Licht und zeigen große Lust, ihren Spaziergang auf des Kindes weichen Armen fortzusetzen.

Ein Grauen schüttelt den kleinen Körper. Und Elsbeth ist doch sonst dem Käfervolk gar nicht gram.

Ja, Klein-Elsbeth, du wolltest neu aufsteigend Leben schauen und hast dabei dem Tod in seine dunkle Werkstatt geguckt. Gelt, das tut weh?

Klein-Elsbeth, wo bleibt Deine Weisheit? Wo hast Du Dein frohes Kinderlachen? Haben's Dir die schwarzen Käfer aus den Händen gerissen? – –

Klein-Elsbeth hängt zitternd am Vater. Unter seinen weichen Worten glättet sich das erregte Kinderherz. Und die Augen schauen immer nach oben. Dort ist die Sonne, der blaue Himmel, alles ist da hell und lieb und freundlich.

Klein-Elsbeth findet wieder ihre frohen Gedanken.

Da schwirrt ein Fink vom Baum und setzt sich just auf des Kindes Kopf. Er hält wohl den blonden Haarschopf für eine passende Nachtherberge.

Da aber gerät das Nest in Bewegung. Und das Finklein merkt seinen Irrtum, sagt laut und freundlich »Piep!« und fliegt davon.

Der Vater lacht über den kecken Flüchtling und schaut Klein-Elsbeth an. Da verstummt er.

Die blauen Augen schauen in völliger Verzückung dem Vogel nach. Wie der längst im sichern Neste sitzt, bricht der laute Jubel aus des Kindes Seele.

»Hast ihn gesehn, Vater? Meinen Vogel? Er war's – er war's! Bin ich froh, daß er nicht mehr bei den garstigen Käfern ist. Und so schön ist er worden, gelt, viel, viel schöner! – Hast's gehört, wie er »piep« gesagt hat? O, gleich hab ich ihn verstanden. Er hat mir's sagen wollen, daß er's ist, daß ich ihn nimmer such! Nun freut's mich, nun freut's mich!«

Und die Freude fährt aus dem Kinderherzen in die Füße und die tanzen im tollen Reigen um den Vater.

Der freut sich der Lösung, die Klein-Elsbeth gefunden hat. Sie hat das Wunder der Auferstehung erlebt. Und nun sieht sie in jedem Geschöpf ein neues, schöneres Leben, das aus der Erde emporsteigt. In der Kinderseele ist großes Freuen.

Klein-Elsbeth ist eine Philosophin der Freude. Sie hält mit festen Händen das Erbteil des Großvaters – das frohe Lachen bis zum Ende.

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