Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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VII

Um die mittägliche Besuchsstunde desselben Tages war Frau Ingeborg Bramberg die Karte Marga Vanheils übergeben worden. Sie entsann sich sofort des jungen Mädchens. Stand doch jede Einzelheit des Tages, der ihr auch Marga vor Augen geführt hatte, so klar und scharf umrissen in ihrer Seele, als ob dieser Tag gestern gewesen wäre und nicht vor mehr als Monaten schon. So ließ sie das Fräulein in ihr Zimmer führen und sich für einige Augenblicke noch entschuldigen, da sie das letzte Weihnachtspaket verschnürte.

Marga Vanheil saß in einem der tieflehnigen Biedermeiersessel und wußte nicht recht, was sie hierhergeführt hatte. Eigene und fremde Sorgen hatten sich wunderlich in ihr vermischt. Und dies Gefühl war um so bedrückender, als sie ihm keinen Namen zu geben wußte, mit dem sie es hätte anrufen und bannen können. Heute früh, auf ihrem Kontorplatz, den sie seit einiger Zeit ihrem Vater gegenüber einnehmen durfte, hatte es sie übermannt. Die Feder wollte nicht, und die Hand zitterte auf dem Tischrand. Das hatte der Vater bemerkt.

»Fräulein Buchhalter,« hatte er launig gemeint, »Sie haben die Montagskrankheit. Mir ist, als hörte ich ein Kätzchen miauen, das aus dem feudalen Pfordte-Restaurant versehentlich in unser bescheidenes Haus am Millerntor geraten ist und sich zumal unter Frachtbriefen und Versicherungspolicen gar nicht wohl fühlt. Gar nicht wohl fühlen kann. Und Fräulein Buchhalter sollte ihrem Herzen einen leichten Stoß geben und das Kätzchen an die frische Luft führen. Was meinst du dazu?«

»Nein, Vater, ich habe nur ein einziges Glas Wein getrunken und den Champagner nicht angerührt.«

»Noch schlimmer. Noch viel schlimmer! Denn der Mensch büßt nur dann gern, wenn er auf seine Rechnung gekommen ist.«

Sie hatte verzweifelte Anstrengungen gemacht, bei der Sache zu sein. Es war ihr nicht gelungen.

»Weißt du, Papa, ich will doch ein wenig an die Luft gehen. Ich hole das Versäumnis heute nachmittag nach.«

Er war zu ihr gekommen und hatte sie an den Armen nach links und nach rechts gedreht.

»Dumme Arbeiterei. Das ist nun wieder so eine Frauenzimmermode, auf den Kontorschemel zu klettern und Soll und Haben zu konjugieren. Kind, Kind, das kriegen wir Männer ja kaum heraus. Ich hätte dir nicht nachgeben sollen. Jetzt wirst du mir krank davon.«

»Ich bin dir ja so dankbar, Vater, daß ich bei dir sitzen und mich betätigen darf. Das hält mich ja gerade gesund. Heute nur – Gott, du sagst ja immer: Mädels haben mal ihren verdrehten Tag, und ich glaube, heute hab' ich ihn.«

»Ach was, so etwas kommt gar nicht an dich. Du bist mir viel zu pflichttreu und machst dir viel zu oft unnötige Kopfschmerzen. Und nun gibst du mir einen Kuß, läufst auf die Straße und bringst die fidele Marga heim.«

Sie hatte Winterjackett und Pelzmütze genommen und war ziellos durch die Straßen gegangen. Aber die menschenleere Stadt hatte ihr Einsamkeitsgefühl vergrößert. »Wohin?« fragte sie sich, »was will ich denn nur?« Und der Name Frau Brambergs zuckte ihr durch den Sinn. Da war sie geradenwegs nach Uhlenhorst gewandert und hatte ihre Karte in die Villa geschickt.

Nun saß sie in Frau Ingeborgs Zimmer, und eine tödliche Verlegenheit kam über sie. Welchen Grund sollte sie angeben, der sie hierhergeführt hatte? Wie sollte sie das Gespräch beginnen?

Da trat die Dame des Hauses ein und nahm ihr all ihre Sorgen ab.

»Endlich!« sagte Frau Ingeborg, schüttelte ihr die Hand und drückte sie in den Sessel zurück. »Sie können das als Entschuldigung und als Vorwurf nehmen, liebes Fräulein. Als meine Entschuldigung, daß ich Sie des Weihnachtsmannes wegen warten lassen mußte, und – ja, da kommen Sie nicht drum herum – als kleinen Vorwurf für Sie, daß Sie mich so ganz und gar vergessen hatten.«

»Aber, gnädige Frau,« stammelte Marga, »ich wagte doch gar nicht zu denken, daß Sie sich meiner überhaupt erinnerten.«

»Töricht Mädchen,« sagte sie, »haben wir den schönen Tag nicht zusammen verlebt?«

»Ja,« erwiderte Marga und es wurde ihr ganz leicht ums Herz, »das haben wir.«

»Nun nehmen Sie mal das Mützchen ab und schlüpfen aus dem Jackett heraus. Es wird Ihnen zu warm werden. Oder sind Sie eine so kühle Natur, daß Ihnen das nicht passiert? Nein? Das dachte ich mir. Da auf dem Grund Ihrer Augen – nein, ich will Sie nicht verlegen machen. Ich freue mich viel zu sehr, daß Sie gekommen sind, mit mir zu plaudern.«

Und die große, selbständige Marga Vanheil ließ sich das Mützchen aus dem Haar nesteln und sich das Jackett abziehen, als wäre sie ein kleines Mädchen, das hier zu Hause sei.

»So,« sagte Frau Ingeborg, klingelte und ließ die Garderobe dem Diener zur Aufbewahrung geben, »das ist gleich viel gemütlicher. Und Ihre Augen leuchten gleich ganz anders, Sie blondes Mädchen. Da hält man in der Welt die Hamburgerinnen für kühl. Wie die Hamburgerinnen sich in der Stille darüber amüsieren!«

Marga Vanheil fühlte sich ganz warm und wohl in ihrem Sessel. Dieser Frau gegenüber gab es keine Scheu. Die kannte das geheime Losungswort, das alle Frauen in einen großen, schwesterlichen Bund zusammenfaßt.

»Nun sollen Sie mir einmal erzählen,« fuhr Frau Ingeborg fort, »was Sie tagsüber treiben, weil Sie so gar keine Zeit für mich fanden. Sport? Das würde Sie gut kleiden. Nein? Musik? Malerei? Alles nicht? Also Hausmütterchen?«

»Ich habe die Buchführung gelernt und fremdsprachige Korrespondenzen, gnädige Frau,« sagte das Mädchen errötend. »Sie müssen nicht denken, weil das jetzt Mode wird. Aber schon als Kind, wenn ich im Hamburger Hafen stand oder vor den Kontorhäusern, da hätte ich gerne überall mitgeholfen. So regte mich das alles an. Und nachher – später – das Geschäft meines Vaters ist nicht so sehr groß und die Unkosten wachsen täglich durch die Konkurrenz der großen Reedereien.« Frau Ingeborg Bramberg schob leise ihren Sessel näher heran.

»Was ist das für ein Geschäft, was Ihr Herr Vater betreibt? Ist er Reeder? Ich kenne seinen Namen nicht genug.«

»Er ist Schiffsbefrachter, Makler und Spediteur. Solche Geschäfte gibt es in Hamburg viele. Und Sie können die kleinen Firmen wahrhaftig nicht kennen.«

»Gehören denn wir – ich meine die Firma Theodor Bramberg und Co. – auch zu Ihren Konkurrenten?«

»Nein,« lachte Marga herzlich, »nein, das lassen Sie, bitte, nur niemanden hören, gnädige Frau. Man würde Martin Vanheils Tochter ganz einfach für verrückt halten, wenn sie solche Ansichten in die Welt setzte. Wenn ich vorhin von Konkurrenz sprach, meinte ich: Schwierigkeiten. Mein Vater vertritt seit vielen Jahren eine alte, skandinavische Linie. Und daß Theodor Bramberg und Co. nun auch eine nordische Linie abgezweigt haben, ist ihr gutes Recht, und ich hätte es nicht anders gemacht. Nur daß wir den Ausfall irgendwie und irgendwo anders her wieder einbringen müssen.«

»Und das sind – die Schwierigkeiten?«

»Ach, gnädige Frau, Schwierigkeiten gibt es in jedem Geschäft, ob es groß oder klein betrieben wird. Weshalb sollten wir da eine Ausnahme machen und alles glatt am Schnürchen wünschen. Nur – altert Vater in letzter Zeit so sehr, will es aber nicht merken lassen und lacht uns aus. Da hab' ich mich denn langsam – in das Geschäft hineingeschmuggelt.«

»Und in seine Sorgen,« fügte Frau Ingeborg hinzu. Und mit einem Male spürte sie die Liebe zu dem Mädchen, wie in dem Augenblick, als sie Arm in Arm zu Twerstens Wagen geschritten waren. »Das muß ein starkes Glücksgefühl sein, Fräulein Vanheil, zu wissen, daß man von Nutzen auf der Welt ist.«

»Ich möchte es erst werden, gnädige Frau,« sagte Marga Vanheil bescheiden.

»Ich heiße Frau Bramberg.« Und Ingeborg lächelte ihr zu.

»Ja, Frau Bramberg, und ich möchte werden wie Sie.«

»Wie ich? Mädchen, Mädchen, wie kommen Sie zu der Idee? Das verhüte Gott, denn Sie sind auf einem besseren Weg, ein nützlicher Mensch zu werden. Und Sie haben den rechten Jugendmut. – Wie ich! Und das höre ich von dieser tapferen Stimme! Ja, als ich achtzehn oder zwanzig Jahre zählte. Und selbst da ging es nicht. Wissen Sie, was man in unseren Hamburger Familien einen ›Familientag‹ nennt? Und was man ein ›schwarzes Schaf‹ nennt? Nun, wir hatten einen solchen Familientag, und das schwarze Schaf war ich. Denn, schauerlich, ich wollte mir, obwohl aus gutem Hause, ein Studium wählen. Ich hatte keinen Stolz, ich hatte wohl keinen Verstand, und vor allen Dingen – mir fehlte das rechte Schamgefühl. Das hörte ich auf fünf Familientagen, und in immer schärferer Tonart von Onkel und Tanten, Vettern und Basen, denn ›so was war ja unerhört‹ und eine ›Kompromittierung der ganzen Familie‹;, und nach dem sechsten Familientag heiratete ich meinen Vetter Theodor, den sie mir ausgesucht hatten. Denn nun hatte ich das rechte Schamgefühl.«

Auf Marga Vanheils Gesicht hatte Röte und Blässe gewechselt. Ganz still saß sie auf ihrem Stuhl. Mit hilflosen Augen.

»Frau Bramberg« – und es klang wie eine Abbitte – »ich habe Sie nicht traurig machen wollen, Frau Bramberg.«

»Nein,« erwiderte Frau Ingeborg, »Sie haben mich sogar fröhlich gemacht, weil Sie so viel Schönes von mir denken. Aber ich habe das alles noch zu beweisen und will es gewiß nachholen. Soll ich Ihnen das in diese feste, tapfere Arbeitshand hinein versprechen? Sehen Sie, jetzt haben wir schon ein halbes Geheimnis miteinander.«

»Wie viel Begeisterung Sie haben, Frau Bramberg. Und ich hatte doch recht, als ich mir das alles zum Muster nehmen wollte.«

Frau Ingeborg Bramberg saß und spielte mit ihren Händen. Ihr Blick ging zum Fenster hinaus.

»Die Leute da draußen,« sagte sie, und sie sagte es wie zu sich selbst, »die Leute da draußen, die uns für kühl halten, haben doch nicht so ganz unrecht. Da heiraten unsere Familien immer wieder miteinander und durcheinander. Und man kennt sich schon so lange und zur Genüge und hat sich so wenig Neues mitzuteilen. Das stumpft ab und legt Asche auf die Glut, die oft vielleicht ein besseres Los verdient hätte, als des Abends im Salon ein wenig aufzuflackern. Das macht – kühl.«

»Gestern abend,« sagte Marga Vanheil unvermittelt, »war ich mit Frau Twersten zusammen. In der Oper zuerst, und dann zum Abendessen bei Pfordte.«

Ingeborg Bramberg wandte den Kopf zu ihr hin. Sie sah in des Mädchens Augen. Und sie sah den unschuldigen Blick. »Kennen Sie Frau Twersten schon länger?«

»Als ich noch ein kleines Mädchen war, war ich mit Vater im Hause. Auch verkehrte Robert mit uns. Aber das weiß wohl Frau Twersten nicht mehr. Kennen gelernt haben wir uns eigentlich erst gestern.«

»Durch Herrn Twersten?«

»Ach nein, durch Robert. Er lud uns nachmittags ein, meinen Bruder Fritz und mich, abends zu ihnen in die Loge zu kommen. Auch Herr Bramberg war dort. Und wir blieben dann noch ein paar Stündchen zusammen.«

»Sie ist sehr schön, Frau Angèle Twersten,« sagte Ingeborg Bramberg.

»Ja – sie ist sehr, sehr schön – –«

»Sie sagen das so traurig, Fräulein Vanheil. Und Schönheit erweckt doch Freude.«

Des jungen Mädchens Augen blickten starr geradeaus. Und langsam stieg ein Tropfen auf, hängte sich an die Wimper und fiel herab.

»Weinen Sie, Fräulein Marga?« Ihre Hände legten sich auf des Mädchens Knie. »Nein, nein, nicht leugnen. Wenn es auch nur ein Tropfen war, ich habe ihn gesehen. Und nun fließen die anderen Tropfen nach innen, und das ist nicht gut, denn ich weiß es von mir selber und habe es mir abgewöhnt. War es denn nicht hübsch gestern abend?«

»O doch – Frau Bramberg – sehr hübsch.«

»War Robert nicht artig genug, oder mein Mann etwa? Denn der Bruder Fritz wird der Schwester wohl keinen Anlaß gegeben haben.«

»Mein Bruder Fritz hatte nur Augen für Frau Twersten.« »Das zeugt von keinem schlechten Geschmack, hören Sie mal, Marga. Also es war hübsch und lustig und ihr habt euch alle gut unterhalten. Was bleibt denn da noch übrig?«

»Es hat kein anderer etwas vermißt.«

»Und Sie?«

Und Marga Vanheil sagte, und sie wußte nicht, woher sie den Mut nahm: »Herr Twersten fehlte.«

»Mädchen! Mädchen!« Frau Ingeborg lachte sie an. »Herr Twersten kann doch nicht immer zugegen sein!«

»Herr Twersten wird immer fehlen,« sagte Marga Vanheil.

»Wie meinen Sie das?« Ingeborg Bramberg war ernst geworden. »Sprechen Sie ganz offen zu mir.«

»Es ist vielleicht sehr dumm von mir, Frau Bramberg. Aber ich mußte immer daran denken. Daß er ganz allein ist. Keiner hat seinen Namen genannt. Nicht seine Frau. Nicht Bob. Keiner. Und doch waren sie alle so lustig. Das war es.«

»Liebes Kind,« sagte Ingeborg Bramberg mit freundlichem Ernst, »Herr Twersten ist nie allein, und wenn er ganz allein in seinem Hause oder auf seiner Werft wäre. Das sollten Sie doch wissen.«

»Ja, Frau Bramberg. Es war sehr dumm von mir. Aber –«

»Noch ein Aber?«

»Bitte, bitte, nun sprechen auch Sie offen zu mir. Glauben Sie, daß – Herr und Frau Twersten – ganz glücklich – miteinander – leben?«

»Ist das wirklich unsere Sache?« wehrte Frau Ingeborg leise. »Doch, Frau Bramberg. Weil wir – beide – ihn verehren. Deshalb – dürfen wir darüber sprechen. Nicht wahr, wir dürfen es?«

»Ja,« sagte Frau Ingeborg, »dann muß ich wohl Antwort geben. Denn es ist wahr, er ist der bewundernswerteste Mann, der die stille Verehrung eines so lieben, schönen Mädchens wohl verdient. Nun ja,« nickte sie lächelnd, als Marga hastig erwidern wollte, »auch die meine ist ihm sicher. Und nun hören Sie: Frau Angèle Twersten kommt hier nicht in Betracht. Wir haben nicht das Recht, den Richter zu spielen, wo wir selbst Partei sind. Es steht vielleicht um diese Ehe wie um so manche. Die Ursache mag eine andere sein, die Wirkung ist die gleiche. Was Sie aber wissen möchten, ist, ob unser Freund trotzdem glücklich ist. Und ich kann es Ihnen sagen, liebes Kind, er ist nicht unglücklich. Sind Sie nun beruhigt?«

»Ja,« sagte Marga fest und erhob sich.

»Sonderbares Ding,« und Ingeborg legte ihr schnell den Arm um die Taille, »und nun, wo Sie das wissen, wollen Sie mir mit einem Male davonlaufen? Also galt Ihr Besuch eigentlich gar nicht mir, sondern einem ganz anderen? Das ist nicht sehr schmeichelhaft für mich.«

»Darf ich denn noch hier bleiben, Frau Bramberg?«

»Nur wenn Sie gern hier bleiben. Sonst klingle ich auf der Stelle nach Ihren Sachen.«

»Nein, bitte, tun Sie das nicht. Ich bin ja so furchtbar gern bei Ihnen. Aber ich schäme mich jetzt doch ein wenig.«

»Seines guten Herzens braucht man sich nie zu schämen. Sitzen Sie gut? So, nun haben Sie auch schon Ihre klaren Augen wieder. Und nun will ich Ihnen erzählen, daß ich als ganz, ganz junges Mädchen mal sehr, sehr verliebt war. In meinen Klavierlehrer. Und dann borgte er mich um meine ganze Sparbüchse an und ging nach Sankt Pauli, als Direktor einer eigenen Truppe ›nigger dance and song‹!«

»Aber – Frau Bramberg – Sie glauben doch nicht, daß ich –«. Bis unter das blonde Haar war sie errötet.

»Nein, nein, ich weiß, Sie hassen ihn. Und er würde sicher nicht mit Ihrer Sparbüchse durchgehen. Doch nun wollen wir von etwas Wichtigerem sprechen, als von den Männern. Von unserer Freundschaft. Wollen Sie oft zu mir kommen.«

»Immer, wenn Sie mich haben wollen.«

»Also so oft Sie können. Und dann wollen wir von Schiffsbefrachtung sprechen und Spedition und von der alten Firma Martin Vanheil, die wieder jung werden muß, und –«

Es klopfte.

»Bitte?« rief Frau Ingeborg. Es klang höflich, aber nicht freudig. Theodor Bramberg öffnete die Tür. »Ah,« sagte er und nahm das Augenglas ab, »du hast Besuch? Störe ich?«

»Durchaus nicht. Fräulein Vanheil ist bei mir.«

»Das ist eine angenehme Überraschung. Darf ich annehmen, mein Fräulein, daß der Besuch auch mir gilt? Sehr, sehr liebenswürdig von Ihnen. Wir waren nämlich gestern mit Frau Twersten und Twersten junior zusammen, Ingeborg. Ganz nett und gemütlich, nicht wahr, mein Fräulein? Und die Küche war nicht das Schlechteste. Herrgott, Sie bleiben doch sicher zu Tisch, und gerade heute muß ich eine Verabredung haben. Deshalb komme ich nämlich, Ingeborg, um dir das zu sagen.«

»Fräulein Vanheil wird entschuldigen, daß ich nicht daran dachte, sie zu Tisch zu bitten. Wenn Frauen beieinander sind, haben sie sich so viele andere Dinge zu berichten –«

»Wichtigeres, als Küchenfragen? Nein, wirklich, das wäre nicht normal. Und es ist gar nicht schön, daß Sie mich foppen wollen. Ja, und nun muß ich, so leid es mir tut, schon wieder auf und davon. Kaum gedacht, kaum gedacht, wird der Lust ein End' gemacht. Sie dürfen mich übrigens nicht für einen Bummelanten halten, Fräulein Vanheil. Der Hafen ist voll Eis, und wenn die Schauerleute feiern, braucht's der Herr wahrhaftig nicht schlechter zu haben.«

»Der Hafen ist voll Eis?« fragte Ingeborg.

»Ja, es ist ein niederträchtiges Wetter. Kein vernünftiger Mensch ist heute im Hafen zu sehen.« Und er verabschiedete sich sehr geschäftig.

»Nun muß ich auch fort,« sagte Marga Vanheil. »Ich werde mit Bestimmtheit zu Tisch erwartet, und mein Vater würde sich ängstigen, weil ich heute morgen nicht wohl schien und auf dem Kontor blauen Montag machte. Und nun freue ich mich so sehr, daß ich bei Ihnen war und wieder zu Ihnen kommen darf.«

»Wort halten, kleine große Marga.« - -

Zu Hause kam sie noch gerade recht zu Tisch. Mit von der Kälte geröteten Wangen und ganz hellen, klaren Augen.

»Ich glaube, du hast einen Frühschoppen gemacht,« neckte der alte Vanheil. »Das ist ein verdächtiger Glanz.« »Aber er ist mir besser bekommen als der Abendschoppen, Vater.« Und sie nickte ihm lachend zu.

»Das sagen die Trinker alle. Frage nur Fritz, der hat das auch schon oft – sagen hören.«

Fritz verteidigte sich unerschrocken. »Als Noah aus dem Kasten war,« begann er mit erhobener Stimme.

»Junge, wir sind hier nicht auf der Kneipe, sondern in eines ehrbaren Kaufmanns Haus.«

»Na ja,« sagte Fritz, »ich brauche euch nur mit der Bibel zu kommen, und ihr seid geschlagen.«

Das Mittagsmahl mundete allen. Und es wurde durch Akklamation Frau Henriette ein Lob erteilt, das sie lebhaft errötend entgegennahm.

Und während der Vater, seit Wochen schon etwas müder, als er sich sonst zu fühlen pflegte, eine kurze Mittagsruhe hielt, begab sich Marga hinab ins Kontor zum Buchhalter Rochus und an ihre kaufmännische Beschäftigung.

Eine Stunde später blickte der Bruder ins Privatkontor hinein.

»Marga?«

»Ich habe so viel zu tun, Fritz. Wir wollen heute abend plaudern.«

»Du, Marga, nur eine Frage, ja? Warst du bei Frau Twersten heute morgen?«

»Du scheinst wohl für Frau Twersten zu schwärmen, mein Junge?«

»Ich finde das weniger merkwürdig, als wenn ich für Herrn Twersten schwärmte,« und er lachte.

»Das könnte dir aber gar nichts schaden. Nein, ich war nicht bei Frau Twersten. Willst du aus, Fritz?«

»Kind, der Hafen ist voll Eis. Ich muß an den Hafen!« »Wirst du zum Abendessen zu Hause sein?« Und sie schrieb emsig weiter.

»Ich habe eine Verabredung mit Robert Twersten. Soll ich ihn grüßen, deinen Bob?«

»Ja, grüße meinen Bob.«

Und Fritz schlenderte die Helgoländerallee hinunter und erreichte das Hafentor. Allerlei lustige Studentenweisen pfiff er leise vor sich hin, während er über das Johannisbollwerk schlenderte und die Vorsetzen entlang zum Baumwall und denselben Weg wieder zurück. Aber seinem geschärften Blick entging nichts von allem, was sich im Hafen abspielte und was sein Auge nur erreichen konnte. Das Kleinste erschien ihm wichtig genug, es zu studieren und es zu sondieren. Da war kein Schiff, dessen Konstruktion nicht vor ihm Farbe bekennen mußte. Und von kleinauf hatte er von den Sprachen der seefahrenden Nationen mancherlei aufgelesen.

Es wurde Abend, und im Lichte der Laternen wechselte das Leben sein Gesicht. Fritz Vanheil hatte an den Sankt Pauli-Landungsbrücken Posto gefaßt. Er erwartete Robert Twersten. Unter den Passagieren eines ankommenden Fährdampfers erkannte er ihn. »Hallo, Bob!« rief er, und der Freund drängte sich über die Brücke zu ihm.

»Guten Abend, Fritz. Wirst du sehr böse sein, wenn wir heute abend den Theaterschwank fahren lassen?«

»Keine Spur. Es gibt auch so Schwanke genug.«

»Ich habe einen Besuch vor,« berichtete Robert dem Freunde. »Bei einem alten Arbeiter der Werft. Weißt du in der Niedernstraße Bescheid?«

»Feines Viertel,« meinte Fritz Vanheil. »Eigentlich sogar für mich ein bißchen zu aristokratisch. Als Junge habe ich gerade dort immer die schönsten Prügel bezogen. Das sind so meine Beziehungen zur Niedernstraße, und damit waren wohl auch alle Vorbedingungen gegeben, daß ich dich geleite.«

»Du, damit erweisest du mir wirklich einen Gefallen. Ich bin ja weder ängstlich noch ungewandt im Verkehr mit Menschen, aber in einem so gänzlich fremden Milieu möchte ich deine Unterstützung doch nicht von der Hand weisen.«

»Beides wirst du finden. Milieu und Unterstützung. Und eines soll sich dem anderen anpassen.«

»Nur keine unerlaubten Scherze, nicht wahr? Die Leute sind in Not und müssen zart angefaßt werden.«

»In der Niedernstraße. Selbstverständlich. Was ist denn dort passiert, Bob?«

Robert Twersten berichtete kurz. »Ich möchte Fühlung mit den Leuten gewinnen,« schloß er. »Sie sollen empfinden, daß ich auch ein Herz für sie habe und nicht nur, wie mein Vater, den Arbeitslohn.«

»Hm,« meinte Fritz Vanheil, »was meine Kenntnis betrifft, so ist ihnen zwar der Arbeitslohn lieber als das Herz. Aber ich gehe mit.«

Am Bollwerk landete Fährdampfer auf Fährdampfer. Die Arbeitermassen, die am Vormittag lachend oder fluchend nach ihren Arbeitsstätten verlangt hatten, kehrten zurück, als müde, schweigsame Männer. Mit geschwärzten Gesichtern und Händen, teilnahmslosen Zügen und trottenden Ganges zogen sie daher, reichten den Zollbeamten mürrisch ihre Bündel zur Untersuchung und trotteten weiter. Kaum, daß sich ein paar alte Arbeitskollegen einen Gutenachtgruß zuwarfen. Die abgeschlagenen Glieder verlangten nach einem Stuhl daheim, der Magen nach einer dampfenden Schüssel. Wie ein dunkler Leichenzug schob sich die Masse vorbei, verlor sich in den Hafengassen oder erkletterte stumpf die Perrons der Straßenbahnwagen.

Mitten in einem Haufen ging der Schürmeister Matthes. Die langen Arme hingen schlaff herunter, den Rücken hielt er gekrümmt, und die Augen blinzelten nur müde unter den herabgesunkenen Lidern. Er bestieg die Plattform eines Wagens, stellte sein Arbeitsbündel zwischen die Füße und vergrub die Hände in den hochgezogenen Hosentaschen.

»Das ist er,« sagte Robert Twersten gepreßt.

»Ein famoser Bursche.«

»Nein, ein armer Teufel. Ein direkt bemitleidenswerter Eindruck ist das.«

»Gib mal acht, wie du ihn nachher wieder findest. Der Chef hat keinen so vergnügten Feierabend.«

»Das sind doch absolut keine Vergleiche, Fritz.«

»Das sind wohl Vergleiche. Jeder nach seiner Fasson, natürlich. In der Rabenstraße würde der alte Bursche, und in der Niedernstraße der Chef eine höchst unglückliche Figur spielen. In seinem Fahrwasser aber plätschert dir jetzt der Alte wie ein Fisch, frei von allen Sorgen, während der Chef jetzt vielleicht zu Hause die Lampe anzündet und sein Gehirn weiterarbeiten läßt, um die Anforderungen des kommenden Tages zu überdenken. Nee, nee, weißt du, der alte Knabe ist mir schon lieber.«

»Wollen wir uns nun auf den Weg machen, Fritz?«

»Mit Vergnügen. Aber wir wollen zu Fuß laufen. Die Leute lassen sich nicht gern beim Abendessen in den Mund sehen.«

Sie schlugen die Richtung zum Jakobikirchspiel ein. Die strenge Kälte hinderte den Studenten nicht, frisch drauf los zu reden.

»Ich habe mich noch nicht nach dem Ergehen deiner Frau Mama erkundigt, Bob. Weiß Gott, wenn ich nicht von früher her wüßte, daß sie ganz bestimmt deine Mama wäre, ich würde sie für deine Schwester halten. Ist sie wundervoll!«

»Als Kubanerin hat sie mit siebzehn Jahren geheiratet,« sagte Robert Twersten, und der Stolz auf die Schönheit seiner Mutter stand in seinen Augen. »Sie ist jetzt achtunddreißig, aber kein Mensch würde ihr mehr als achtundzwanzig zugestehen, so jung und entzückend ist sie. Selbst unsere Dienstboten beten sie an.«

»Ja, sie ist anbetungswürdig,« murmelte der Student. »Ich möchte sie wohl in ihrer eigentlichen Umgebung sehen.«

»Ich denke, du hast ihr versprochen, sie in Santiago zu besuchen?« neckte Robert Twersten.

»Sagte sie dir das? Du kannst dich drauf verlassen, daß ich Wort halte.«

»Du bist doch nun schon ein mächtig altes Semester, Fritz. Vier Jahre älter als ich. Du solltest doch nun endlich dein Examen machen.«

»Ich bin ja drin,« knurrte der Student. »Sag's aber keinem. Ich schäm' mich zu Tode.«

»Da ist doch kein Grund?«

»Kein Grund? Na, sei so gut. Einen Zylinder aufsetzen, statt der Mütze, und sich die Zeit vorschreiben lassen, wann der Ochs zur Tränke darf und wann der Mensch zur Liedertafel? Für einen freigeborenen Studenten ist das zum Totschämen.«

Sie kamen in die höher gelegenen Stadtteile. Das Gebiet des Großhandels lag hinter ihnen. Hier herrschte der Kleinhandel und wie von alters her die zünftigen Gewerbe. Und die Bevölkerung saß dicht zusammengepfercht in den alten Häuserzeilen. Es war das Quartier der billigen Mieter, die mehr auf ein Dach als auf einen schönen Verputz geben. Nicht ein Fleckchen, das nicht zur Ausnutzung herangezogen war in diesen langen Straßenzügen der Spitalerstraße, der Steinstraße und der Niedernstraße.

Kellerartige Gänge zweigten sich von der Straße ab, führten, mannshoch, unter den Häusern her und landeten auf dumpfen Höfen, die mit ziegelsteinroten Häusern Wand an Wand besetzt waren. Und in den luft- und sonnelosen Häusern hausten die Menschen Kopf an Kopf, und manch ein Haus barg an Familien so viel, wie es Zimmer barg.

Aber der Hamburger Staat hatte den Besen in die Hand genommen und die Wohnhöfe gefegt, daß der Kehricht der Gesundheit nicht mehr ins Gesicht staube, und die Spitzhacke wartete schon im Winkel, die letzten der Wohnhöfe der Sage zu überliefern.

»Teufel,« sagte Robert Twersten, »ich habe mir den Hut zerstoßen.«

»Wenn's nur dabei bleibt,« tröstete Fritz Vanheil. »Es läßt sich nicht alles so leicht ausbügeln.«

»Bitte, geh etwas schneller, die Luft ist nicht sehr angenehm.« »Hab' ich auch gar nicht behauptet. Na, da wären wir.«

Ein paar Kinder lärmten mit einem Kabeljaugerippe im Hof, das sie wie ein Pferdchen am Bindfaden hinter sich herzogen. Fritz Vanheil gewann sie sich durch einen Groschen. Darauf wurde ihnen die Wohnung des Schürmeisters Matthes gezeigt. Kräftig klopfte der Student an die Tür, die auf die Stiege führte.

»Mach doch leise. Da ist doch eine Wöchnerin.«

»Ach was. Hier sind die Wochen kürzer als in Uhlenhorst. Guten Abend, meine Herrschaften.«

Er hatte die Tür geöffnet, ließ den Freund vorangehen und die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Strahlend sah er sich um. Der Haushalt schien vollständig beisammen: der Alte, zwei handfeste Töchter, eine Anzahl junger Männer in Arbeiterbluse oder gewebtem Matrosenhemd – Söhne wohl und Schlafburschen. Das Abendessen hatten sie hinter sich. Die Männer stopften die Nasenwärmer, die kurzen, gelben Tonpfeifen.

Es war eine heiße Luft im Zimmer, in dem es nach Speisen roch. Auf dem glühroten Ofen brodelte das Wasser im Kessel. Durch eine Verbindungstür blickte man in zwei Schlafzimmer, die voller Betten standen. Der alte Matthes hatte keine schlechte Wohnung. Alles war blank und sauber.

»Das hier ist Herr Twersten junior, der Ihnen guten Abend sagen möchte,« stellte Fritz Vanheil vor, als ob er hier zu Hause wäre.

»Guten Abend,« sagte Robert Twersten und reichte dem Schulmeister, der sich erschreckt erhoben hatte, die Hand. »Nun, Matthes, da bin ich. Ist das Ihre Familie?«

»Jawoll, Herr Twersten, dat wäre sie.« »Sehen ja alle gesund und kräftig aus. Und wo haben Sie Ihren Enkel?«

»Doo is hee, Herr Twersten,« rief das eine der Mädchen und wies nach der Kammertür, »aber et is en lüttje Deern.«

»Natürlich. Ein Mädchen. Kann ich es mal sehen?«

»Geweß dat,« und die junge Mutter schob sich vor und trat in die Kammer. »Eiei,« machte sie über einen Kissenberg hin, und das Kind schnalzte nach dem Finger. »Wie sunn lüttje Katt,« meinte zärtlich das Mädchen.

»Dat's mien Deern,« rief von der Tür her einer der Männer.

Robert Twersten blickte verwundert auf. »Ich denke,« sagte er verwirrt, »der Vater ist auf See?«

»Dat's egaal,« beharrte der Mann im Schifferhemd, »Paula un ick maken Hochtied.«

»Klooksnacker,« lachte das Mädchen und warf ihm einen Blick zu.

Robert Twersten staunte. Das ging ja hier verteufelt fix. »Ich gratuliere,« sagte er.

»Danke, Herr Twersten,« sagte der Mann. »Is kalt hier in de Kammer, nich wahr?«

»Der Ofen heizt doch gewaltig.«

»Dat's nur en Mittel for außenbords. Da wüßt' ich ein besser Mittel. Heißer Grog, wissen Sie, Herr, un zu gleichen Teilen gemischt. Aber nich zum Händewaschen. Bei Gott nich, nein.«

Robert Twersten zog sein Portemonnaie. »Hier,« bat er, »nehmen Sie nur.« Und er reichte ihm ein Geldstück. Spornstreichs klapperte der Mann die Stiege hinunter. »Jamaikaa!« brüllte der alte Matthes hinter ihm drein. Und Robert ahnte, was der brodelnde Wasserkessel für eine Bedeutung habe. Gewiß nicht die, durch seine Dämpfe die Luft zu reinigen. ...

Er kam zurück in das Wohnzimmer und nahm einen Stuhl an. »Ja, liebe Leute,« begann er, »es ist wirklich nett bei euch. Und daß der kleine Zuwachs kein Loch in den Beutel reißt, dafür hat ja mein Vater gesorgt –«

»Wat seggt hee?« fragte die junge Mutter verwundert die Schwester.

»Vater gesorgt,« wiederholte die Schwester.

»Und sollte die Zulage in der nächsten Zeit nicht ausreichen,« fuhr Robert Twersten fort –

»Wat? Tolag hät hee kreegen? Keen Stervensword hat hee davon seggt.«

»Ick hevv se noch nich,« verteidigte sich der Großvater.

»Vertell hi man keen Lögen! Dat's for mien lüttje Deern! So'n Heimtücker!«

»Holl et Muhl! Ich wull di dat woll lehr'n!«

»Ruhe!« rief Robert Twersten in den Tumult. »Ich bitte nicht zu vergessen, daß ich auch noch da bin!«

»Ick bön dien Vadder, Andreas Matthes,« donnerte der Alte die Tochter an. »Ick smiet di rut, wenn du nich Order pariers.«

»Dat warst woll blieven laten,« schrie der zurückkehrende Bräutigam, setzte krachend die Rumflasche auf den Tisch und mischte sich in den Streit.

»Ru-hig!« rief Robert Twersten wütend. Er war außer sich, daß man keine Rücksicht auf ihn nahm.

Und – plötzlich – klingelte ein Gelächter in den Tumult, und es wurde ein lustig aufkreischendes Lachen daraus.

»Wat's dat?« fragte der alte Matthes empört. »Wer hät hi to lachen?« Die jüngere Tochter erstickte fast. »Hee hat mi – unnern Arm gekitzelt!« prustete sie heraus.

»Wer erlaubt sich hier solche Gewöhnlichkeiten?« entrüstete sich der Hausherr.

»Ach wat, Varrer Matthes,« winkte Fritz Vanheil vergnügt ab, »en fixen Arm harr' se, dat's mol wohr.«

Robert Twersten biß sich auf die Lippen. »Du solltest dich wirklich schämen, Fritz.«

»Igittigittigitt,« tönte es im Chor.

Und mit einem Male winselte in schluchzenden Tönen eine Ziehharmonika. Ein Matrose hielt sie auf den Knien. Er verrenkte seinen Körper hingebungsvoll nach den Klängen des Instrumentes.

»Dat's fein,« rief eine Stimme. »Nu aber Grog, Kinners!«

Der alte Matthes trug wie ein Jüngling den Wasserkessel auf den Tisch. Paula stellte die Gläser ringsum. Der Tabaksqualm knallte in die Luft, und die Atmosphäre wurde heiß und neblig zugleich.

»Die Firma K. R. Twersten!« rief Fritz Vanheil. »Hipp – hipp – hurra!« Und er leerte das dampfende Glas.

»Hurra! – Hurra!« wiederholte der Chor. Und Matthes mischte aufs neue, sorglich zu gleichen Teilen. Quiekend und seufzend sang die Harmonika. Und der Matrose sang mit.

»Mein Herz, das ist ein Bienenhaus, Die Mädchen drin, das sind die Bienen – – – Halijahoia, Halijahoia Halijaho, Ha – li – ja – ho!«

sang der Chor, und es wurde sehr gemütlich. »Guten Abend,« sagte Robert Twersten. »Es tut mir leid, daß ich schon gehen muß, aber ich habe noch andere Verpflichtungen.«

Ihm brannte der Boden unter den Füßen. Das war ja eine unglaubliche Gesellschaft, im Streit und in der Freude. Schlug sich und vertrug sich. Und Fritz immer dort, wo es galt. Als ob ihm der Himmel voller Geigen hinge und er sich keine schönere Gesellschaft wünschen könne. Er winkte ihm. »Komm, Fritz. Du hast wohl die Freundlichkeit, mich zu begleiten?«

Aber jetzt hatte Fritz die Harmonika. Er ließ sie Tierstimmen imitieren, grunzen, quieksen und wiehern. Und der ganze Chor ahmte die Töne nach und hielt sich die Seiten vor Lachen. Und in dem höllischen Spektakel erhob Fritz seine frische Stimme.

»Dicht bei Finkenwärder
Sitzt ein Krokodil –«

Es war das letzte, was Robert Twersten vernahm. Er war auf der Stiege, tastete sich durch den dunklen Verbindungsgang und stand tief aufatmend auf der Straße. Irgendwohin! Irgendwohin, wo eine ganz, ganz reine Luft wehte, wo Grazie herrschte und die Fröhlichkeit des Herzens. Zu Marga Vanheil. In den heiteren Raum, in dem der alte Herr glückstrahlend am Klavier saß und die Frauen und Kinder Reigen tanzten. Er faßte den Hut bei der Krempe und rannte die Straße hinab.

Fritz Vanheil aber kommandierte mit einem lachenden Blick auf den Rest der Grogration: »Zwei Mann ab! Droschken holen! Wir fahren auf den Weihnachtsjahrmarkt, auf den Dom! Die Riesenkonfirmandin Hulda soll uns ihre majestätische Fülle zeigen, und der greise Zwerg Pinkipinki seine Winzigkeit! Kein Mutz in der Schießbude auf fünf Fuß Entfernung – unsere tödlich sichere Büchse macht Puff! und da liegt die Bescherung. Und die Schiffskarussels, o Gott, die Schiffskarussels sollen bis in den Kiel hinein seufzen und beben unter unserer süßen Last.«

»Spreek plattdütsch, Jung!«

»Jawoll! Un nu man loos, un de Froonslüd good verstaut! In jed'n Wogen een! Anker hoch! Kurs inholl'n!«

Und die tolle Lebenslust seiner unverwüstlichen Natur flatterte den dichtbepackten Wagen voran, die hinausfuhren zum Heiligengeistfeld, zum Kehraus der Domseligkeiten. – – –


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