Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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XII

Durch die tiefblauen Fluten der Karaibischen See glitten die Schiffe dahin, den Kurs auf die Südostspitze Kubas. Und blau wie das Meer spannte sich der wolkenlose Tropenhimmel. In voller Majestät herrschte der Sonnenball, und Ströme von Licht und heißem Glanz breiteten sich blendend über die Wasserfläche. Durch goldgeädertes Blau zog sich die silberweiße Kielspur der Schiffe.

Einmal nur waren sie an der Küste Haitis von einem amerikanischen Kanonenboot gesichtet worden. Aber mit seinen zehn Knoten Fahrt tauchte es am Horizont spurlos wieder unter. Das Hauptgeschwader der Amerikaner sammelte sich bei Key West, wartete auf den Befehl, in die kriegerischen Operationen einzutreten und suchte einstweilen Nachrichten über den Verbleib der spanischen Flotte einzusaugen.

Während der ganzen Reise waren sich die beiden Hamburger Schiffe in Sehweite geblieben. Nachts blitzten und blinkten die Signale hinüber und herüber. Und tags war das Wetter klar und durchsichtig.

In der Ferne dämmerten schattenhafte Umrisse, verstärkten sich und nahmen feste Linien an. Mächtige Gebirgsformationen wuchsen in den Himmel. Der steile Fels des Kaps Maisi drohte herüber.

Kuba – –. Die ragende Küste entlang glitten die Dampfer durch die azurnen Wasser. Schweigend vor Bewunderung standen die Freunde auf dem Vorderdeck der »Ingeborg« und nahmen die Bilder der Tropenlandschaft in offenen Seelen auf. Wie ein Bollwerk hütete das Küstengebirge den Garten Eden, die Perle der Antillen. Aber das üppige Blühen und Drängen machte nicht halt vor dem Felsgestein, und aus den reichen Fruchttälern, die die Bai von Santiago umschlossen, schmeichelte sich der Pisang und Bambus bergan, Myrten und Oleander umdufteten den Berggürtel, träumende Orchideen, feurige Kakteen umspannen die Hänge, in schönheitsvollem Wuchs ragte die Königspalme, der mächtige Baumwollenbaum und der stolze Mahagoni, Olivenhaine und Lorbeerwälder breiteten sich aus, und in schwindelnder Höhe noch herrschte der Besieger des Felsen, der Farnbaum.

Noch deckte ein grünschimmerndes Vorgebirge die Bucht und die Stadt. Doch dort? Eine Burg? Ein Piratenschloß? Dort, wo das Gebirge wie die Flügel eines Tores auseinanderspringt? Einem Adlernest gleich, hoch oben an die starrende Felswand geklebt, von eingehauenen Bastionen umgürtet, hielt Kastell Morro Wacht über die schmale Einfahrt.

Langsam stoppten die Schiffe ab. Flaggensignale stiegen auf und nieder. Ein Lotsenboot schoß heran und brachte einen Offizier an Bord.

Robert Twersten empfing ihn an der Seite des Kapitäns. Der Offizier erwies sich als informiert. Er sah die Papiere ein und drückte Robert Twersten herzlich die Hand.

»Dem Himmel Dank, daß Sie da sind. Es sieht böser aus in unseren Magazinen, als Sie ahnen können.« Die Lotsen übernahmen das Kommando. Nur in Kiellinie konnte der Engpaß durchfahren werden, und staunend gewahrten die Freunde das abenteuerliche Spiel der Natur, das in jähen Windungen einen Kanal durch die Felsenleiber gerissen hatte und ihn plötzlich, ohne Übergang fast, ausströmen ließ in die weite wunderreiche Bucht von Santiago.

Terrassenförmig aufgebaut an den bewaldeten Höhen der Sierra Maestra, lag die Stadt. Eingebettet in duftende Gärten die grellfarbigen Häuser, die Kirchen und Klöster, der ehrwürdig grüßende Turmbau der Kathedrale.

»Diese Stadt ist wie ein Gruß aus dem Mutterland,« sagte der Offizier. Und leiser fügte er hinzu: »Deshalb lieben wir sie über alles.«

Die Sonne sank, und das Leben in der Stadt erwachte. Auf der Reede wurde es lebendig. Aus den Gassen, von den Plätzen strömte es herbei, die Einfahrt der Schiffe zu sehen. Kopf an Kopf stand das Volk und betrachtete lachend und schwatzend das Manövrieren der Dampfer.

Der Lotse gab ein Kommando. Und der Kapitän der ›Ingeborg‹ donnerte es in den Maschinenraum. Und auf dem ›Theodor Bramberg‹ wie auf der ›Ingeborg‹. In schlankem Bogen drehten die Schiffe bei, die Maschinen schwiegen, die Anker fielen.

Wieder reichte der Offizier Robert Twersten die Hand.

»Willkommen in Santiago! Ich freue mich unendlich, Sie begrüßen zu können. Hat doch auch Ihre Frau Mutter die Gnade, mich zu kennen.«

»O,« erwiderte Robert Twersten hastig und machte eine dankende Verbeugung, »so können Sie mir sagen, wie es ihr ergeht?«

»Ich bin glücklich, nur das Beste berichten zu können.«

»Sie ist nicht mehr krank?«

»Krank? Das verhüte der Himmel! Sie war nie blühender als heute.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese gute Nachricht, Herr Leutnant,« sagte Robert Twersten warm. »Mama hat eine elastische Natur. Gottlob, daß sie sich so schnell erholt hat.«

Der Chef der Hafenbehörde kam an Bord. Bald nach ihm der Militärintendant. Der Telegraph von Kastell Morro hatte sie herbeigerufen. Robert Twersten überreichte ihnen das Schreiben, das er mit sich führte, und die Kapitäne präsentierten Schiffspapiere und Ladelisten.

Nur einen Blick warfen die Herren hinein. Dann widmeten sie sich mit echt spanischer Ritterlichkeit den Ankömmlingen.

»Sie sind unsere werten Gäste. Den Herren Kapitänen und den Mannschaften werden wir unseren Dank noch besonders ausdrücken. Sobald die Löscharbeiten beendet sind, können die Herren Kapitäne die Leute nach Havanna bringen und den auslaufenden Postdampfer nach Spanien benutzen. Sie, Herr Twersten, und Ihren Freund hoffen wir länger bei uns beherbergen zu dürfen, da Sie zum Besuch Ihrer verehrten Mutter kommen. Schenken Sie uns recht lange die Freude.«

In fließendem Spanisch erklärte Fritz Vanheil lachend sich bereit. Ihm war so wohl, daß er ein Burschenlied in die Luft hätte schmettern mögen. Vom Wandern und Erwandern! In Sonnenlicht und Mondenschein.

Robert Twersten erbat einen Führer zum Telegraphenamt. Er hatte noch eine Kabeldepesche an den Vater aufzugeben, die die glückliche Ausführung der Mission meldete. Dann war auch er frei. »Frei!« Und er meinte es zum ersten Male im Leben zu sein.

In Begleitung des Freundes und der spanischen Herren schritt er dem Hause seines Großvaters zu, der noch immer einen der höchsten Verwaltungsposten der Insel bekleidete. Von den baumbeschatteten Plätzen drangen Mandolinenklänge in sein Ohr, Springbrunnen rauschten selig-verschlafen hinein, eine Liedstrophe flatterte auf, machte die Runde und verklang fern in einem silbernen Lachen.

Hinter den kunstreich vergitterten Fenstern lauschten dunkle Gesichter mit lässig verschleierten Augen, die eine Flamme versandten, wenn sie jäh und weit sich öffneten. Kreolenmädchen mit dunkelroten Lippen lustwandelten untergefaßt mit leisem Summen, wiegten sich in den schlanken Hüften und ließen Blicke und Fächer spielen. Männer standen in Gruppen beieinander oder saßen vor den Kaffeehäusern, nahmen die Parade der Schönen ab, summten wie sie oder unterhielten ein tändelndes Gespräch.

Eine glückliche Sorglosigkeit lag über der Stadt und ihren Menschen, die vom Tage nippten und den Abend in schwelgenden Zügen genossen. Wer konnte arbeiten, wenn die Sonne brannte, wer, wenn der Mond so köstlich verliebt in den Gassen schäkerte? O – morgen, übermorgen, wenn es regnen würde, wenn Sonne, Mond und Sterne böse auf Santiago waren, wenn – nun, wenn es nicht anders ging als mit der Arbeit!

Heute noch nicht – nein, heute noch nicht! –

Sie hatten das Haus erreicht. Der auf den Treppenstufen lungernde Neger sprang dienstbeflissen auf, den Besuch zu melden. Da stürmten Schritte über den hallenden Steinflur. Voraus Frau Angèle im weißen Kleid, zum Ausgehen bereit, einen Spitzenschal um das tiefschwarze Haar geschlungen. Hinter ihr eine Gesellschaft lachender Herren und Damen.

Frau Angèle stutzte, als sie den Besuch vor dem Portal gewahrte. Dann schrie sie auf.

»Bob!!«

Und in wilder Ausgelassenheit, unbekümmert um die Zuschauer, fiel sie dem Sohn um den Hals, preßte sich an seine Brust und überschüttete ihn mit Küssen und Schmeichelnamen.

»Bob – Liebling – Herz – da bist du, und ich wollte zur Reede laufen, dich zu empfangen. Soeben kommt ein Hafenwärter angerannt und schreit ins Haus:›Zwei Schiffe aus Hamburg und der junge Herr! ‹ Alles Geld habe ich ihm geschenkt, was ich bei mir trug, und den Schal um den Kopf und dir entgegen! Nun bist du da. Nun hab' ich dich. Bist du gesund? Bist du auch so glücklich? Bob – Liebling – Herz– –!«

Er kam nicht zu Atem unter ihren Worten und Liebkosungen. Und er vermochte nichts zu stammeln als: »Ach du – meine Mama – meine Mama...!«

Sie zog ihn ins Haus. Sie rief ihre Eltern und Verwandten herbei und die Gäste des Hauses.

»Da ist er! Das ist Bob! Betrachtet ihn euch! Ist er nicht groß und schön?«

Tief beugte sich Robert über die Hand der stolzen Matrone, die ihm die freie Hand segnend auf den Scheitel legte. Er umarmte den hochgewachsenen Großvater, küßte den feurig blickenden Onkel José und reichte die Hand im Kreise. Ganz verwirrt war sein Sinn von dem stürmischen Empfang, aber sein Herz schlug hoch, und sein Blut war wie verwandelt. In seinem Ohr klangen die spanischen Laute wie Heimatslaute. Er war bei der Mutter. Er hatte sie wieder.

»Mama, ich bringe dir noch einen Gast!«

»Willkommen, willkommen, wer er auch sei!«

»Es ist dein heißester Bewunderer, Mama.« – Sie scheuchte die Protestrufe ringsum mit einem Wink. – »Es ist Fritz Vanheil, Mama, mein Freund, dessen du dich entsinnen wirst.«

Mit fragendem Gesichtsausdruck wandte sie sich um. »Wer ist es –?«

Fritz Vanheil grüßte sie tief. Und in der Stille, die entstanden war, sagte er ruhig: »Fritz Vanheil, gnädige Frau, Vanheil aus Hamburg. Ingenieur der Schiffsbautechnik. Ich komme, um mein Versprechen einzulösen.«

Jetzt hatte sie ihn erkannt und reichte ihm mit rascher Bewegung die Hand.

»Ist es möglich? Sie halten Wort?«

»Ich habe mein ganzes Leben noch nichts anderes getan als mein Wort gehalten, gnädige Frau.«

»Sie suchen sich eine dunkle Stunde für Kuba, Herr Vanheil.«

»Robert und ich haben so viel Licht mitgebracht, daß wir ganz Santiago damit illuminieren können. Befehlen Sie, und wir lassen vor Freude alle Raketen steigen!«

Frau Angèle lachte ihm in die hellen Augen.

»Sie können wir brauchen. Kommen Sie, daß ich Sie den Meinen bekannt mache.« Und sie stellte ihn vor. Ein Festabend wurde es. An langer, damastgedeckter Tafel saßen sie, Robert Twersten zwischen der stolzblickenden Großmutter und der sprühenden Mutter, Fritz Vanheil neben Frau Angèle, eine spanische Schönheit mit dunklen, zitternden Wimpern zur Linken. Der heiße Wein funkelte in den geschliffenen Gläsern, glühte im Blut und ließ die Augen schwatzhaft werden. Schwarze Diener in weißen Anzügen huschten herum, reichten die silbernen Platten, schenkten den Wein aus kristallenen Karaffen.

Und der hochgewachsene, silberweiße Hausherr erhob sich elastisch, hieß den Enkel herzlich willkommen unter seinem Dach, pries seine mutige Seefahrt, die von der Liebe zu Spanien, der Liebe, die das Blut bedingt, getragen worden sei, und erwähnte ritterlich des jungen, deutschen Schiffsingenieurs, den die Sympathie für spanische Art hergeführt hätte trotz der Ungunst der Tage, ja vielleicht wegen der Ungunst der Tage. Denn der Mut stände zwischen den Brauen seiner Hanseatenaugen.

Und die Heilrufe der Tischgesellschaft klangen durch den Saal und feierten Robert Twersten und seinen Freund als die Helden des Tages.

»Ich glaube,« sann Fritz Vanheil, als er sich zu später Nachtstunde in seinem Bette wohlig streckte, »irgend jemand hat mich zum Schluß geküßt. Wüßt' ich nur, ob es von links oder von rechts kam – – – – – ?« – –

Acht Tage darauf stellten die Vereinigten Staaten Spanien eine Resolution zu, in der gefordert wurde, daß die Bevölkerung von Kuba frei und unabhängig sein solle, Spanien seine Herrschaft auf der Insel aufgebe und seine Streitkräfte zu Wasser und zu Lande zurückziehe. Bevor der amerikanische Gesandte in Madrid die Resolution überreichen konnte, schickte die spanische Regierung ihm seine Pässe zu. Der Krieg war erklärt.

Den Hamburger Kapitänen war es gelungen, mit ihren Leuten den Postdampfer in Havanna zu erreichen. Fritz Vanheil hatte es abgelehnt, sie zu begleiten. Im Banne von Frau Angèles wechselvollem Wesen vergaß er Ort und Zeit, sann er nur darauf, seiner Herrin zu gefallen.

Eine rauschende Festwoche war es gewesen. In den Häusern der hohen Beamten und Militärs hatte man die Überbringer der Hamburger Schiffe allabendlich festlich empfangen. Und Frau Angèle sonnte sich in dem Ruhm, den sie selbst zu verbreiten sich bemüht hatte, als sei sie es gewesen, die durch ihre Verbindungen das wichtige Unternehmen in die Wege geleitet hätte. Jetzt, da die amerikanischen Kreuzer die Zufuhr unterbanden, empfand die Verwaltungs- und Militärbehörde den großen Segen, der ihnen aus Hamburg gekommen war. Und Frau Angèle war die gefeierte Dame der Stadt. Sich um sie zu bemühen, hieß Ehrenpflicht und Freude an der Schönheit zugleich.

Das gab ihrem Wesen die Grazie einer spendenden Fürstin. Und selbst Robert Twersten erlag nach wenigen Tagen schon so sehr der Macht, die sie ausströmte, war so erfüllt und benommen von der berauschenden Lebensführung um sich her, daß es für Frau Angèle ein leichtes war, seine durstige Seele sich ganz zu gewinnen.

»Siehst du nun, daß du zu uns gehörst, Bob? Du bist nicht wieder zu erkennen seit Hamburg.«

»Es ist herrlich in deiner Heimat, Mama. In Hamburg war ich nie recht jung. Hier bin ich es und weiß selbst nicht, wie?« »Wie auch deine Heimat hier ist. Lerne sie erst in ihrer ganzen Glückseligkeit kennen. Was will ein ritterlicher Mensch wie du noch auf der Schulbank? Bleibe hier und trete in Onkel Josés Geschäft ein, auf ein, zwei Jahre, solange es dir behagt. Und dein Leben wird einen Frühling gehabt haben, wenn du einmal in Hamburg die Zügel ergreifen mußt. In Hamburg!«

Jeden Morgen seit seiner Ankunft wiederholte sie das Gespräch. Dann schrieb Robert Twersten seinem Vater, daß es ihm, wie er schon immer erklärt habe, nicht möglich sei, die technische Hochschule zu besuchen, und er es für richtiger halte, zu seiner weiteren Ausbildung sich einige Jahre im Auslande aufzuhalten. Zu diesem Schritte erbäte er die nachträgliche Genehmigung.

Nun erst hatte Frau Angèle die Höhen der Fröhlichkeit erreicht. Nicht von ihrer Seite ließ sie ihren großen, schönen Jungen, dem die Frauen und Mädchen heimliche und offene Blicke nachsandten, wo sie mit ihm erschien, während der Männer Augen voll Bewunderung an der graziösen Frauengestalt hafteten, die das Geheimnis unaufhörlich blühender Jugend in sich barg. Voll bewußt war sie sich des herausfordernden Bildes, das sie boten, und zuweilen funkelte es hastig in ihren Augen auf, wenn sie daran dachte: jetzt – ah jetzt hält Karl Twersten des Sohnes Brief in den Händen.

Das Kabel brachte die Antwort an Robert Twersten. Der Vater forderte die sofortige Rückkehr des Sohnes und die Unterwerfung unter die väterliche Autorität, bei Verlust aller Ansprüche, später wieder in die Firma eintreten zu können, falls nicht gehorsamt würde.

Frau Angèle bebte vor Erregung. »Empörend ist sie, diese Brutalität. Wir sind nicht er, und er ist nicht wir. Gott sei es gedankt, nein! Wer kann wagen, dem anderen ein Leben vorschreiben zu wollen, das ihn unglücklich machen wird! Wir wollen das Glück. Und hier haben wir es.«

»Das bedeutet,« sagte Robert Twersten, und seine Brauen zogen sich dicht zusammen, »ich werde auf das Pflichtteil gesetzt, wenn ich nicht gehorche.«

»Bist du ein Kind, das man gängeln kann, oder bist du ein Mann? Ich denke, man beweist es dir hier, wer du bist. Und das Geld? Pah, was will das besagen? Du hast deine Mutter, die ihre Ansprüche behält, und überdies« – sie nahm sein Gesicht in ihre Hände – »die reichsten Mädchen Santiagos würden sich gebenedeit preisen, wollte Bob Twersten die Hand nach ihnen strecken.«

»Laß das, Mama,« wehrte Robert. Aber die Worte der Mutter, die der Eitelkeit wohltaten, stärkten seine Selbstschätzung.

»Nein, ich bin kein Kind mehr. Ich habe die Bevormundung satt und weiß selbst, was ich will.«

»Ah – mein stolzer Bob. ...«

»Ich kabele zurück, daß ich das Recht für mich in Anspruch nehme, selber die Entscheidungen über mich zu treffen. Selbst auf die Gefahr hin, mit meinen Maßnahmen die väterliche Mißbilligung zu erregen. Die Konsequenzen würde ich zu tragen wissen.«

»Nichts anderes hatte ich von dir erwartet.«

»Wir beide werden uns nie ineinander täuschen, Mama. Nun verstehe ich auch, was du gelitten haben mußt.« Sie küßte ihn ganz fest auf beide Augen. Als wollte sie seine Augen schließen. –

Noch einmal traf ein Kabeltelegramm Karl Twerstens ein. Jetzt wurde es ohne Besinnen wie das erste beantwortet. Robert Twersten hatte sein eigenes Leben begonnen. –

Er kam von einem heiteren Besuch, den er in der Stadt bei guten Freunden gemacht hatte, als er auf der Straße Fritz Vanheil traf.

»Wo kommst du her?« rief er ihn an. »Sind denn nicht Neger genug im Haus vorhanden, daß du dich wie ein Maultier belädst?«

»Was weiß ein Neger von den Einkäufen für eine schöne Dame, mein Junge! Ich bin avanciert. Zum Hofmarschall Ihrer Königlichen Majestät Frau Angèle!« Und er schwenkte lustig seine Pakete.

»Gratuliere, Fritz. Aber ich lege mir lieber selber eine Hofhaltung zu.«

»Mein Junge, Männer sind zum Ritterdienst bestimmt. Bis zum Pascha brauche ich siebzig Jahre. Übrigens – weißt du schon?«

»Was soll ich wissen? Neuigkeiten?«

»Ich vermute: sehr weittragende. Das spanische Geschwader unter Admiral Cervera war bei Martinique, um Kohlen zu nehmen. Aber der französische Gouverneur hat es davongejagt. Bis Havanna reichen die Vorräte nicht. Gib acht, in wenigen Tagen werden wir die Herrschaften im Hafen begrüßen können. Es ist eine Meldung über Europa gekommen.«

»Das kann lustig werden,« rief Robert Twersten erregt. »Kein Tag ohne neue Bilder und Geschehnisse.« »Das kann sogar sehr lustig werden,« meinte Fritz Vanheil gelassen. »Aber ich fürchte: mehr für die Amerikaner.«

»Du bist eben kein Patriot, Fritz!«

»Nee,« sagte der Freund, »ich bin Hamburger.« Und er machte, daß er mit seinen Paketen weiter kam.

Aber bei Frau Angèle gab er seinen Befürchtungen keinen Ausdruck. Er erstattete Bericht über seine Einkäufe, legte die erhandelten Gegenstände zur Begutachtung vor und ließ sich loben.

»Sie sind der aufmerksamste Kavalier, den ich je gehabt habe, Herr Fritz. Ich möchte Sie nie wieder verlieren.«

»Ist auch keine Aussicht vorhanden, gnädige Frau,« schmunzelte er vergnügt.

Sie lachte belustigt.

»Aber ich kann Sie doch nicht ewig bei mir behalten. Bedenken Sie das doch.«

»Weshalb nicht? Ich halt's aus.«

»Also müßte ich Ihnen einen Posten schaffen. Welche Beschäftigung würde Ihnen das meiste Vergnügen gewähren?«

»Ihnen die Hände zu küssen, gnädige Frau.« Und er tat es.

»Kindskopf,« murmelte sie und ließ es geschehen. Seine Jugendfrische war so schön. Sie mußte ihm erhalten bleiben.

»Haben Sie nun bald genug, Herr Fritz?« fragte sie, ohne sich zu regen.

»Ich könnte das stundenlang fortsetzen. Bitte, bitte, noch nicht fortnehmen.« »Ein Dutzend Narben im Gesicht,« spöttelte sie, »und so bescheiden!«

Mit einem Ruck erhob er sich. Sein Gesicht war blaß geworden, aus den Augen alles Pagentum verschwunden.

Und sie sah die Veränderung mit einem seltsamen Schreck und wurde sich ihrer Worte bewußt.

»Ich genieße Gastfreundschaft in diesem Hause,« sagte er und atmete tief. »Es ist nicht an mir, die Grenzen zu erweitern.«

»Wer behauptet, daß es von Ihnen gewünscht wird?«

»Der Ausdruck der Verwunderung soeben erst, gnädige Frau, ist die halbe Verleitung zu meiner Annahme –«

»Und die andere Hälfte?« Sie konnte nicht anders. Es reizte sie, sein junges Temperament sprühen zu lassen.

»Ist mein Wunsch.«

»O – Ihr Wunsch! Das ist unter deutschen Männern so viel wie ein Befehl! Und was befehlen Sie über mich?«

Fritz Vanheil schwankte auf den Füßen. Vor seinen Augen tanzten blitzende Sterne. »Frau Angèle,« stammelte er, »das ist nicht gut.« Und sie streckte ihm die Hände hin, um ihn zu halten, und er sank ganz still vor ihr in die Knie.

Sie war fassungslos und beugte sich über ihn. Die Erregung war auch in ihr.

»Was wollen Sie denn, Kind? Kommen Sie zu sich. Was wollen Sie denn?«

»Ihre Hände küssen, Frau Angèle. Verzeihen Sie mir. Die Erlaubnis, Sie weiter lieben zu dürfen.«

»Die haben Sie ja. Herrgott, es ist ja kein Blutstropfen in Ihrem Gesicht. Sie sind der liebste Mensch, den ich kenne. Zufrieden?«

»Versprechen Sie mir, daß ich es bleibe. Daß kein anderer es besser haben soll, als ich –«

»Sagte ich nicht schon, daß Sie ein Kindskopf sind?« Und die Lippen auf seinem Haar, flüsterte sie: »Ja, ja, ich verspreche es, lieber deutscher Dummkopf. Ein anderes Gesicht! Auf der Stelle!«

Da sprang er auf und lachte aus hellen Augen, als hätte er eine Komödie gespielt, und das Fieber lief ihm noch durchs Blut.

»Das war der erste Pagenunterricht,« sagte sie, und ihre Stimme streichelte ihn.

»Auch der Page wird einmal zum Ritter geschlagen. Haben Sie noch weitere Befehle für mich?«

»Heute –? Nein! Vielleicht morgen – vielleicht übermorgen. Wer kann das vorher bestimmen?«

»Wissen Sie, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Flotte Santiago anlaufen wird?«

»Es ist ein Märchen. Sie geht nach Havanna. Ein schönes Märchen freilich.«

»Weshalb? Wünschten Sie es? Der Hafen wäre eine Mausefalle für die Schiffe, wenn die Katz Amerika Witterung bekäme.«

»Aber es wäre herrlich und spannungsvoll. Wovon leben wir? Von den Nerven. Nun also – leben wir!«

Sein Jugendmut schnellte wie eine Feder empor.

»Ha, wenn sie sich prügeln wollten! Vor unseren Augen! Wahrhaftig, das wäre ein Schauspiel für Götter und Menschen.«

»Ah, ich möchte Sie dabei sehen. Als Helden! Auszeichnen müßten Sie sich, und ich setzte Ihnen vor aller Welt den Kranz auf und sagte: Wundert's euch? Es ist mein Page!«

»Gut,« erwiderte er. »Ich werde Ihnen den amerikanischen Admiral fangen. Und mir einstweilen mal den Dinerfrack anziehen.«

Als er aus der Tür trat, eilte er an Robert Twersten vorüber, ohne ihn zu gewahren. »Wie erhitzt er ist,« dachte Robert, und als er seine Mutter begrüßte, sagte er verwundert: »Du bist gerade wie Fritz. Ganz heiß. Habt ihr euch gezankt?«

Frau Angèle trat vor den Spiegel und betupfte mit ihrem Batisttüchlein sacht die Stirn.

»Kann man sich mit deinem Freunde zanken? Gelacht haben wir miteinander. Denn er will mir den amerikanischen Admiral fangen.« Sie sagte es mit ihrer süßen Kinderstimme. Aber zum ersten Male schien es dem Sohn, als hätte das Glöckchen in ihrer Stimme nicht den reinen Klang. Daran mußte er, gegen seinen Willen, den ganzen Abend denken. Und es verdarb ihm die goldene Stimmung. –

Das Gerücht sollte recht behalten. An einem Morgen durcheilte der Ruf die Stadt: »Die Flotte kommt! Cervera läuft ein!« ... Ganz Santiago war zur Begrüßung am Hafen.

Langsam zogen die spanischen Panzerschiffe durch den Engpaß. In Kiellinie die ›Infanta Maria Teresa‹, der ›Almirante Oquendo‹, die ›Viscaya‹ und der ›Cristobal Colon‹. Der Befehl lautete: mit größter Beschleunigung Kohlen und Proviant auffüllen und nach Havanna weiter dampfen.

Das war ein Wort, das man im bequemen Santiago nicht verstand. Die »größte Beschleunigung« zog sich bis Ende Mai hin. Wenige Tage vorher hatten die Geschwader der Amerikaner die Höhe von Santiago erreicht und den Hafen sofort unter strengste Blockade genommen. Die spanische Flotte war in Sicherheit, aber eine stumpf gewordene Waffe.

Während von der See her die Kanonen der Amerikaner vergeblich donnerten, um die Batterien der Einfahrtsforts auszuschalten, während den Spaniern angesichts des Hafens Kohlenschiffe weggefangen wurden und der amerikanische Admiral den tollkühnen Versuch unternehmen ließ, die enge Hafenein- und -ausfahrt durch Versenken eines riesigen Kohlendampfers zu sperren, blieb den Spaniern Zeit, Maschinendefekte auszubessern und Atem zu holen für die kommenden Tage. Und Santiago half ihnen Atem holen. Man sah in ihnen die zukünftigen Helden, die Rächer spanischer Ehre. Jeder Tag konnte sie auslaufen sehen zur Vernichtung des Feindes. Und man süßte ihnen im voraus Wunden und Tod.

Frau Angèles Vaterhaus war zum Mittelpunkt der Gesellschaft geworden. Die Geschwaderoffiziere gingen aus und ein, als wollten sie sich noch einmal satt sehen an der Sonne schöner Frauenaugen, bevor das Ungewisse kam. Der erste Offizier der ›Viscaya‹ verbrachte jede freie Stunde im Salon Frau Angèles.

Fritz Vanheil lernte ihn dort kennen. Einen Mann aus Nerven und Stahl, mit verschlossenem Gesicht, in dem die dunklen Augen wie Hüter tiefer Geheimnisse brannten. Einen Mann für schwache Frauenherzen.

»Ah,« sagte der Spanier höflich: »Sie sind Schiffsingenieur? Das ist, was uns mangelt. Die Hauptzahl unseres Maschinen- und Ingenieurpersonals bestand, wie Sie wohl wissen, aus Ausländern. Bei Ausbruch des Krieges nahmen sie ihre Entlassung. Sollte uns, was der Himmel verhüte, ein Unglück treffen, so trifft es uns wegen ungenügender Bedienung der Maschinen.«

»Und die ›Viscaya‹?« fragte Frau Angèle mit Hast. »Ist das technische Personal besser geschult?«

»Die Maschinisten sind Stümper. Ich spreche hier unter Freunden.« Und seine Augen verfinsterten sich.

Frau Angèle sah es. Und ihre Augen wanderten weiter zu Fritz Vanheil und blieben auf seinem Gesicht haften, bis es sich rötete.

»Sie schickt mich in die Schlacht,« dachte er. »Geschieht es für ihr Vaterland oder geschieht es für diesen schwarzen Mephisto? O, ich verstehe sie ganz genau. Sie präsentiert mir eine Rechnung. Seien wir nobel. Bezahlen wir die genossene Gastfreundschaft.«

»Ich würde mich gern nützlich machen, Herr Kapitän,« begann er, »denn ich bummle hier schon geraume Zeit. Stellen Sie mich in Ihr Personal ein. Ich werde meinen Posten ausfüllen.«

Der Seeoffizier horchte auf. »Ist das Ihr Ernst? Jeder kundige Mann ist bei uns zu gebrauchen.«

»Es ist mein Ernst. Bis zum Auslaufen der Flotte werde ich mich mit der Maschine hinlänglich vertraut gemacht haben.«

Der Offizier erhob sich schnell. »Kommen Sie mit zum Admiral. Sie werden dort das weitere hören.«

Eine Stunde später kehrte Fritz Vanheil zurück. Seine Habseligkeiten waren schnell gepackt, und er ließ sich bei Frau Angèle melden, um sich zu verabschieden.

»Ich bin so stolz auf Sie, Fritz, daß ich keine Worte finde.«

»So sagen Sie es mir ohne Worte. Damit ich weiß, daß ich für Sie gehe und nicht für Ihren spanischen Freund.«

»Soll ich glauben, daß Sie eifersüchtig sind?«

»Sie sollen glauben, daß ich Sie liebe und anbete. Dann brauchen Sie keinen Namen für meine Gefühle zu suchen.«

»Ich will Ihnen die Antwort geben. Wenn – Sie mir versprechen – auf den Kapitän – acht zu haben.«

»Ich stehe im dunklen Maschinenraum, er hoch oben auf der Kommandobrücke. Ein treffendes Bild,« murmelte er. »Und Sie haben es gewählt.«

»Kommen Sie her, Sie wilder Junge,« sagte sie leise, und in ihren dunklen Augen lag der feuchte Schmelz. »Wenn ich Sie nicht wie einen Sohn hielte, würden Sie mir gefährlich sein. Müssen Sie mich denn absolut zu diesem Geständnis zwingen? Kommen Sie als Held zurück und machen Sie mir Ehre.«

Sie hatte die Hände auf seine Schultern gelegt. Und plötzlich beugte er sich herab und drückte seinen Kopf gegen ihre Brust.

»Was tut ihr?« fragte die Stimme Robert Twerstens.

Frau Angèle hatte sich gesammelt. Lächelnd ging sie auf den Sohn zu und strich ihm über die starren Augen. »Weißt du es nicht? Fritz ist in das Maschinenpersonal der ›Viscaya‹ eingetreten. Wir haben ihn gewonnen, und ich habe ihn dafür gesegnet. Nun sage auch du deinem Freund Adieu.«

Robert Twersten blickte sie beide lange an. Da war es wieder, das Ungewisse, das ihn seit Wochen schon in Gegenwart der Mutter beklommen machte, das ihn keine Freude mehr ganz rein genießen ließ. »Nein,« schrie es in ihm auf, »du hast kein Recht, so zu denken!«

»Komm, Fritz,« sagte er leise, »ich begleite dich.«

Sie gingen schweigend durch die Stadt dem Hafen zu. Erst beim Abschied sprachen sie.

»Du liebst meine Mutter, Fritz? Du brauchst nicht zu antworten. Aber du weißt, daß meine Mutter in dir nur meinen Freund sieht.«

Und er ging still seiner Wege. – –

Der Juli rückte heran. Die festliche Stimmung in Santiago hatte einer tiefen Enttäuschung Platz gemacht. Und die Enttäuschung wuchs zur Erbitterung. Denn untätig blieb die Flotte im Hafen liegen und zehrte behaglich von den Lebensmitteln der Stadt, die in Santiago von Tag zu Tag knapper wurden. Von der Landseite schnitten die Insurgentenkorps und die Landungstruppen der Amerikaner jede Zufuhr ab, wie von der Seeseite die Blockadeschiffe. Und Havanna, der festeste Stützpunkt, mit dem ganz Kuba stand und fiel, geriet ohne die Flotte in Gefahr.

In Santiago stand die Hungersnot vor der Tür. Täglich befürchtete man Ausbrüche der Volksleidenschaft. Die dringendsten Befehle trafen beim spanischen Admiral ein, auszulaufen um jeden Preis und Havanna zu erreichen. Da fügte sich der Admiral. Am 2. Juli war er bereit.

Die Abschiedsbesuche der Geschwaderoffiziere wurden in der Stadt kühl aufgenommen. Die Begeisterung war gewichen. Am Nachmittag hielt der Erzbischof in der Kathedrale einen kurzen Gottesdienst. Die Schar der Offiziere kam sich vor wie todgeweiht.

Die bleierne Hitze des Tages ließ Robert Twersten nicht zu Siesta kommen. Die Unrast seines Blutes hatte sich verstärkt. Obwohl er sich von der Luft draußen keine Abkühlung versprechen konnte, öffnete er das Fenster und lehnte sich hinaus. Ausgestorben lag das Haus. Der Springbrunnen im Garten plätscherte melancholisch.

Ein leises Geräusch ließ ihn den Kopf wenden. Die Balkontür zum Zimmer seiner Mutter war geöffnet worden. Fand auch die Mutter keine Ruhe? Totenblaß wurde Robert Twerstens Gesicht. Sein Atem stockte schmerzhaft in der Brust, und seine Hände lagen wie Klammern um das Fenstersims. Der Offizier der ›Viscaya‹ war auf den Balkon hinausgetreten, hatte sich über die niedrige Brüstung in den Garten geschwungen und war zwischen den Bäumen verschwunden.

Und Robert Twersten riß sich aus der Erstarrung, eilte die Treppe hinab und klopfte hastig an eine Tür.

Sofort wurde ihm aufgetan. Schneeweiß im Gesicht stand Frau Angèle vor ihm.

»Du weckst das Haus auf. Was ist das für ein unpassendes Wesen, das ich an dir bemerke?«

»Laß mich zu dir eintreten, Mama.«

Er schloß die Tür hinter sich, und sie standen sich gegenüber. Und beide gewahrten, daß sie sich eigentlich nichts mehr zu sagen hatten.

»Ich könnte ja wohl – wieder gehen –,« fragte Robert Twersten leise, aber in dem Zucken seines Gesichts lag die Angst um eine Antwort. »Ich habe dich nicht kommen heißen,« entgegnete sie. »Nun du da bist, kannst du bleiben.«

»Mutter!! –«

Er hatte den Schrei zurückpressen wollen. Aber der Jammer um das Verlorene war stärker gewesen als seine Beherrschung.

»Was willst du?« begehrte sie auf. »Willst du dich zu meinem Beichtiger aufwerfen?«

Und wieder antwortete er ganz still: »Nein, Mama, ich habe nicht die Berechtigung dazu. Dir gegenüber nicht.«

»Keinem gegenüber!«

»Das muß ich mit mir abmachen. Daß du mit Fritz nur spieltest, sah ich. Es hat mich deinetwegen geschmerzt, aber ich hatte es verwunden. Diesmal aber – diesmal – dieser andere – das war kein bloßer Abschied. Ich hätte nicht sehen dürfen, wie er heimlich – o Gott, Mama!«

Und plötzlich begann sie zu sprechen. Als müsse sie ihn mit dem Schwall ihrer Worte betäuben. Und unaufhörlich ging sie im Zimmer auf und ab, auf und ab, und sprach, ohne ihn anzusehen.

»... denn jede Frau hat ihre Illusionen. Keine gibt es, die sich davon freisprechen könnte. Insgeheim sind sie bei allen und fordern ihr Recht auf Erfüllung in den kurzen, schnellen Jahren, in denen wir blühen und zur Freude berufen sind. Nur daß nicht alle den Mut und die Gelegenheit finden, sich gerecht zu werden. Ich bin nie feige gewesen. Nie, nie! Und in ein paar Jahren werde ich alt sein.«

Kaum daß Robert Twersten zuhörte. Nur seine erschreckten Augen folgten jeder ihrer Bewegungen und sahen die Frau den Heiligenschein, den er ihr aufs Haar gelegt hatte seit seiner Kindheit, wie einen verstaubten Maskenscherz aus den Flechten nehmen und ihn hinschleudern wie einen lästigen und verbrauchten Gegenstand.

»Nun wirst du es Papa nach Hamburg schreiben müssen, daß eure Wege getrennt sind.«

Sie hielt inne in ihrem erregten Gang. Sprachlos vor Verwunderung, starrte sie ihn an.

»Was werde ich tun müssen –?« fragte sie endlich. »Ich habe wohl nicht recht gehört? Was –?«

»Ihm die Scheidung vorschlagen, Mama.«

Und es wurde totenstill im Zimmer.

Und in der lähmenden Stille vernahm Robert Twersten wie aus weiter Ferne die Stimme Frau Angèles: »Soll das heißen, daß, wenn ich es nicht täte, du – –?«

Und auch seine Stimme klang ihm wie eine fremde, weitentfernte, als er antwortete: »Ja, Mama. Ich würde dich zu schonen wissen, aber ich würde es tun.«

Ganz tief schmiegte sie sich in einen Sessel. Ihre Augen schlossen sich. Die langen, dunklen Wimpern beschatteten ihre zarten Wangen.

»Verlaß mich jetzt,« sagte sie kalt, und ihre Hände verkrochen sich in den Falten ihres Kleides.

»Ich werde dich auf sehr lange verlassen müssen, Mama. Ich sehe, du willst mir nicht mehr die Hand reichen, und du hast vielleicht recht.«

Er ging. Und dann wandte er sich noch einmal um.

»Glaubst du nicht,« – und es war, als läge alle Erkenntnis des Wehs in seiner Stimme – »daß es sich mit unserem Vater doch hätte leben lassen?«

Keine Antwort.

Und er ging still hinaus.

In der Korridorgarderobe nahm er seinen Hut. Er mußte die Zähne aufeinander beißen, um nicht wild aufzuschreien. Und er richtete seine Gestalt lang und strack auf. Da hatte ihm der Vater ein Abschiedswort auf den Weg gegeben. Wie hieß es doch? »Du führst den Namen Twersten hinaus wie ein Schiff, das zum ersten Male an fremder Küste seine Flagge zeigt. Und was es mit einer Flagge auf sich hat, das weißt du selber als Hamburger Kind.«

Bei Gott, er wußte es. Und nun wußte er, was er zu tun hatte. – –

»Bist du es, Robert?«

»Fritz? Was willst du noch hier im Hause? Deine Begeisterung wiederholen?«

»Ich hatte zwei Stunden Urlaub, zum Abschiednehmen. Aber es ist nicht mehr nötig.«

»So. Das weißt du auch schon. Und willst nicht mehr weiter mitspielen?«

»Ich sah ihn durch den Garten zurückkommen und ließ ihn laufen. Denn ich – ich –«

»Dein Urlaub ist um, Fritz. Du mußt aufs Schiff. Und ich auch, bevor es mir davongeht. Hörst du? Ich muß den Mann stellen, der die Flagge Karl Twerstens heruntergerissen hat. Ich könnte im Leben nicht mehr heimfahren.«

»Es wird kein Fremder mehr aufs Schiff gelassen.«

»Ich bin für den Herrn kein Fremder. Du wirst es sehen, oder ich müßte ihm das Gedächtnis schärfen. Mach zu, Fritz. Du nimmst mich in dein Boot und bringst mich hinüber. Und zwischen uns soll alles sein, wie es war.«

Schulter an Schulter, wie so oft in früheren Tagen, schritten sie durch die Stadt. Ein Boot der ›Viscaya‹ lag wartend an der Reede. Sie stiegen schweigend ein, und die Matrosen packten die Ruder. Wenige Minuten darauf legte sich das Boot längsseits der ›Viscaya‹.


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