Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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XVIII

Das neue Jahr brachte der Werft K. R. Twersten einen kritischen Tag. Bei der Probefahrt eines neuerbauten Passagier- und Frachtdampfers, die der Ablieferung vorausging, blieb das Schiff einen halben Knoten hinter der vertragsmäßig ausbedungenen Schnelligkeit zurück. Die Reederei, die Auftraggeberin war, verweigerte die Abnahme und erklärte sich nur bereit, den Dampfer bei einer außergewöhnlich großen Preisreduzierung einzustellen. Twersten lehnte schroff ab. Er ließe die für ihn ungünstige Situation nicht derart ausnützen, daß er bei dem geringfügigen Schnelligkeitsmanko ein Mißverhältnis zwischen Wert und Preis gutheiße, welches seine Jahresbilanz illusorisch machen müßte.

Der Dampfer wurde ins Dock gebracht und den schärfsten Prüfungen unterworfen. Wochen hindurch arbeiteten Ingenieure und Mannschaften fieberhaft. Es konnte weder ein Konstruktionsfehler noch eine falsche Gewichtsverteilung aufgefunden werden. Eine jener Zufälligkeiten herrschte vor, auf die selbst die glänzendste Technik als auf ein Unabwendbares gefaßt sein muß.

Twersten stand mit finsterem Gesicht bei den resultatlosen Arbeiten. Eine neue Probefahrt hatte das Ergebnis der ersten bestätigt.

»Feldermann!« rief er. »Herr Twersten?«

Sie schritten nebeneinander stumm über die Werft, bis sie einen stilleren Platz erreichten.

»Feldermann, es hat keinen Zweck mehr, alle Kräfte auf dies unfruchtbare Mühen zu werfen. Es sind noch andere Aufgaben zu lösen, die nun alle brach liegen. Wir müssen uns, und wäre es mit Gewalt gegen uns selbst, den Kopf wieder frei machen. Nun sagen Sie Ihre Meinung.«

Der Oberingenieur knirschte vor Zorn mit den Zähnen. »Ich kann an dem Dampfer nichts finden. Er steckt ein wenig die Nase ins Wasser, und dadurch ergibt sich auf der Fahrt der halbe Knoten Verlust. Aber weshalb er es tut, weshalb? Wir kommen nicht dahinter, und es wird wohl kein Mensch dahinterkommen.« Und sein Gesicht wurde finsterer als das des Chefs.

Twersten sah es. Sein eigener Grimm wurde stiller. Als Chef hatte er den Mut für seine Leute mit aufzubringen. Und er klopfte seinem ersten Ingenieur beruhigend die Schulter.

»Nehmen Sie es sich nicht allzutief zu Herzen, Feldermann. Sehen Sie, ich komme auch darüber hinweg. Von Verschuldung kann gar keine Rede sein. Und damit Sie es wissen: wenn es möglich wäre, daß ich noch mehr Vertrauen zu Ihnen gewänne, hätte ich es in diesen unruhigen Tagen gewinnen müssen. Von heute an sind Sie mir über den bewährten Mitarbeiter hinaus ein lieber Freund.«

»Herr Twersten – –!«

»Nun hören Sie. Der Dampfer soll an einen Liegeplatz im Hafen verholt werden. Bis sich eine andere Verkaufsmöglichkeit findet. Es wird ja schwer halten, da jeder Reflektant ihn den Umständen gemäß als eine Ware unter Ladenpreis betrachten wird. Aber bevor ich mich den Halsabschneidebedingungen der Reederei unterwerfe, will ich doch lieber meinem kaufmännischen Prestige das Opfer bringen und unter Zinsverlust abwarten, und wenn es Jahre dauert.«

Als Feldermann am Abend sein Bureauzimmer aufsuchte, fand er von den Ingenieuren nur noch Fritz Vanheil vor, der sich an der Waschtoilette straßenfertig machte. Schweigend begann auch er sich umzukleiden.

»Na, lieber Ober,« meinte Fritz Vanheil teilnahmsvoll, »ein Läuslein übers Leberlein gehüpft? Pfui Deubel, spucken Sie es aus.«

»Sie haben ein glückliches Naturell, lieber Vanheil. Ich nehme die Dinge alle schwerer, weil wohl auch mein Blut eine gute Portion schwerer ist, als das Ihrige. Der Chef hat mich obendrein gelobt. Man möchte durchs Feuer für ihn gehen, und ist bei der ersten Gelegenheit verdammt, die Waffen strecken zu müssen.«

»Da irren Sie aber gewaltig, Feldermann. Die Sache ist wohl die, daß Sie bei tausend anderen Gelegenheiten Ihre Waffen zum Sieg geführt haben, und was Sie alles bisher für die Werft getan haben, zeigt sich gerade jetzt, wo es nach so und so vielen Jahren zum ersten Male nicht so glatt gegangen ist. Das gewahrte der Chef plötzlich in Edisonscher Lichtschärfe, und als ehrlicher Mann holte er mit seiner Extrabelobigung schleunigst vieles nach. Streiten Sie nicht! Oder ich werde wütend!«

»Sie sind ein guter Junge, Vanheil, und ich freue mich, Sie als Kollegen zu haben.« »Das ist, bei Gott, das vernünftigste Wort, das ich bislang auf meiner ganzen Lebensreise gehört habe,« meinte Fritz Vanheil und warf mit elegantem Schwung den Armstumpf in den Rockärmel. »Aber Sie sollten ein bißchen mehr Gebrauch davon machen, denn Sie sind ein Einsiedlerkrebs.«

»Ich bin ein holsteinischer Bauernjunge, Vanheil. Zu Hause war man nicht sehr wortreich und nicht sehr gesellig. Als die alten Leute daheim starben, war ich im zweiten Semester erst, und nun galt's, durch die übrigen kommen. Na, diese Misère ist Ihnen ja wohl bekannt, und sie hat mir auch nichts geschadet.«

»Nee,« sagte Fritz Vanheil ehrlich, »diese Misère ist mir nicht bekannt. Mein alter Herr hatte sich die ernste Mahnung des alten Studentenliedes zu Herzen genommen und folgte willig – ach, gar zu willig – dem warnenden Fingerzeig:

›Brav Gelder muß der Vater schicken,
wenn der Herr Sohn studieren soll,
Den Beutel mit Dukaten spicken,
nur dann gerät das Söhnlein wohl!‹

Demgemäß ist ja auch das Söhnlein wohl geraten.«

»Sie brauchen nicht zu klagen. Ich staune immer wieder Ihr Können an.«

»Naturanlage, weiter nichts. Die Hosen haben nicht darunter gelitten.«

»Bei Ihnen ist eben alles Naturanlage. Auch Ihr durch nichts klein zu kriegender Frohsinn, um den ich Sie übrigens am meisten beneide.«

»Der ist Vanheilsche Familientradition. Ich glaube fast, mein Vater würde vom Himmel zur Erde niederfahren, wenn einer von uns die Ohren hängen ließe. Na, ich sage Ihnen, die Moralpauke vom alten Herrn selig möchte ich nicht erleben.«

»Sie sind eben ein Glückskind, Vanheil.«

Fritz Vanheil lachte. Er dachte an seinen Tramp durch Amerika und seine Landung als Zwischendeckpassagier in Kuxhaven.

»Sie schließen sich zu sehr von der Welt ab, Feldermann. Das muß ja – verzeihen Sie – aber das muß ja geradezu ramdösig machen. Wenn ich mir vorstelle, ich stierte zu Hause meine vier nackten Wände an und irgendwo nähme sich die Menschheit heraus, ohne mich vergnügt im Herrn zu sein – Feldermann, Sie fänden morgen schon meine Trümmer in den Hamburger Moniteurs unterm ›Vermischten‹!«

Der Oberingenieur hatte seine Straßentoilette beendet. »Glauben Sie doch nicht,« warf er kurz hin, »daß ich darin ein ausgesuchtes Vergnügen finde. Ich hab's mir wahrhaftig nicht ausgesucht. Ich bin eben ein schlechter Gesellschafter.«

»Erziehungssache,« wehrte Fritz Vanheil, »nichts als Erziehungssache.«

»Bei einem Menschen von vierzig Jahren? Das ist vorbei.«

Fritz Vanheil setzte sich den Hut auf. »Also heute abend lasse ich Sie mal nicht mehr von der Leine. Sie sind imstande und bauen in Ihrer stillen Klause den verdammten Dampfer noch einmal aus Zigarrenkisten und Wasserleitungsrohren. Nee, ist nicht, lieber Ober. Der Dampfer wird morgen an möglichst unsichtbarer Stelle im Hafen verstaut, und nun lassen Sie sich die Herren kaufmännischen Beamten damit herumärgern. Die Leute wollen doch auch gern mal geistreich sein. Wir aber wollen inzwischen im Besitze eines guten Gewissens zu Mutter Vanheil und den lieben ihren gehen.«

»Wohin?« fragte der Oberingenieur.

»Sie haben doch nicht etwa Angst vor drei wehrlosen Frauen und zwei unschuldigen Knäblein?«

»Aber ich kann doch unmöglich Ihrer verehrten Familie so einfach ins Haus fallen?«

»So einfach wie möglich. Würden Sie kompliziert ins Haus fallen, würden Sie jähem Unverstand begegnen. Und nun kommen Sie.«

»Es geht wirklich nicht,« beharrte Feldermann. »Ich bin zu schwerfällig.«

Fritz Vanheil schob den Arm unter den des Kollegen. »Überlassen wir diese Feststellung getrost sachverständigerem Urteil. Selbst wenn Sie recht behalten sollten: Prügel setzt es auf keinen Fall. Sie werden immerhin den Gewinn eines Kälberbratens und einer Flasche Rotspon nach Hause tragen. Ich meine, das ist doch auch etwas.«

Da nahm der Oberingenieur dankend an.

»Ich Esel!« sagte Fritz Vanheil. »Hätte ich doch gleich den Kalbsbraten aufmarschieren lassen!«

Während sie nach Hamburg hinüberfuhren und den Weg zum Millerntor einschlugen, schwatzte Fritz Vanheil unverdrossen drauf los, und als die Haustüre hinter ihnen ins Schloß siel, war es ihm gelungen, die Menschenscheu Feldermanns gänzlich aus dem Felde zu schlagen.

»Macht's ihm leicht,« hatte er nach der Vorstellung Mutter und Schwestern zugeraunt. »Er ist ein Einsamkeitsmensch, aber ein Charakter.«

Frau Henriette fand sogleich das beste Wort. »Herr Oberingenieur,« sagte sie, »das ist schön von Ihnen, daß Sie mir entgegenkommen. Sie haben gewiß gefühlt, daß ich als Mutter dieses wilden Menschen mal mit Ihnen sprechen mußte. Aber als Dame konnte ich Sie als einzelnen Herrn doch so schlecht aufsuchen.«

»Hilf Himmel, Mutter spielt das verschämte junge Mädchen!«

»Willst du wohl stille sein! Sehen Sie, Herr Oberingenieur, so springt man hier mit mir um.«

»Wenn du aber auch gleich einem Herrn durch die Blume deinen Besuch ankündigst –«

»Das habe ich doch gar nicht getan!«

»Das hast du wohl getan, denn du dachtest dir im stillen: Jetzt wird der Herr Oberingenieur als galanter Mann gar nicht anders können, als begeistert ausrufen: O meine schöne Dame, wagen Sie das Wagnis! Tragen Sie den Glanz des Millerntores in meine arme Hütte! Es soll ein Festtag nach meinem Herzen sein! Rot soll er im Kalender brennen und noch meine Kinder und Kindeskinder – ach, Pardon, der Mann ist ja Junggeselle.«

Nun war Frau Henriette in der Tat beschämt.

»Wenn er auf der Werft so seinen Mund spazieren führt, Herr Obenngemeur,« meinte sie ängstlich, »dann werden Sie wohl wenig Freude an ihm erleben.«

»Doch, Frau Vanheil,« erwiderte Feldermann. »Ihr Sohn macht mir durch seine Fröhlichkeit oft die Arbeit leichter.«

Und seine Haltung wurde um vieles freier und sicherer, weil man ihm die Hände gefüllt hatte, und er Job und Anerkennung spenden durfte und Menschen wohltun konnte. In der Ecke kauerten die beiden Knaben Erikas hinter ihrem kleinen Spieltisch und beobachteten scharf den Besuch.

»Kommt mal hervor, ihr Seekadetten,« rief Fritz Vanheil. »Fix, entert mal an Deck! So ist es recht. Und dieser Onkel hier, dem ihr jetzt euren Respekt bezeigen werdet, wird euch, wenn ihr brav lernt, mal ein eigenes Dampfschiff bauen, denn das ist der Mann imstande.«

Die Jungens reichten Feldermann zutraulich die Hand.

»Haben Sie auch schon mal eine Seeschlacht mitgemacht, wie Onkel Fritz?« fragte der Ältere.

»Ich habe in der Kriegsmarine gedient und Manöver mitgemacht.«

»Sind Sie schon mal ins Wasser gefallen, in welchem Haifische schwammen?« fragte der Kleinere.

»Nein,« mußte der Besucher zugeben. Aber Fritz Vanheil stellte sofort das Gleichgewicht wieder her.

»Es lag ihm nichts daran,« belehrte er die Neffen. »Denn er hatte gerade keinen Schnupftabak bei sich.«

Dann ging man zu Tisch. Und die Knaben fragten den neuen Onkel, ob sie wohl neben ihm sitzen dürften. Eine Frage, die Feldermanns Junggesellenherzen wohltat, und die er frohgestimmt bejahte.

»Die Jungens essen sonst nicht am Familientisch, wenn Besuch zugegen ist,« sagte Erika ein wenig besorgt.

Aber die beiden ließen Feldermanns Hände nicht mehr los. »Der Onkel hat's doch erlaubt,« hielten sie der Mutter verwundert entgegen.

»Wollen Sie mir die Freude gönnen?« bat der Oberingenieur. »Ich habe Kinder immer sehr gerne gehabt, und nur zu wenig Gelegenheit, es zu zeigen.« Da gestattete es Erika gern. Und Feldermann mußte den Jungens während der Mahlzeit das Geschützexerzieren an Bord Seiner Majestät Schiff erklären. Dabei geriet er selber ins Feuer, und ohne es zu wollen, befand er sich plötzlich mit seinen Kadetten auf einer Kreuzerfahrt im Atlantik.

»Wahrhaftig,« meinte Fritz Vanheil kopfschüttelnd, »Sie sind ja der geborene Kinderfreund. Und noch dazu ohne alle Anstrengung. Wenn ich jetzt nicht etwas ganz Tolles erfinde, werde ich meiner Stellung als Respektsperson schmählich verlustig gehen.«

Und er erzählte von einer Wasserhose, die sie an der Küste von Jamaika betroffen hätte, und es wäre ein schreckliches Brüllen in der Hose gewesen, also daß sich die ältesten Matrosen klappernd vor Angst bekreuzigt hätten. Weshalb? In diese Wasserhose kämen all die Seelen der unmäßigen Seeleute, die sich am Jamaikarum zu Tode tränken. Und nun erschiene die Wasserhose jedem Schiff vor der Einfahrt in Jamaika, um auf die schrecklichen Folgen des Rumtrinkens aufmerksam zu machen. »Nehmt Wasser dazu!« brüllt die Wasserhose. »Heißes – heißes – heißes – Wasser – –!«

»Das ist dann aber doch Grog, Onkel Fritz,« sagte der ältere der Jungens.

»Ja,« wiederholte Onkel Fritz tiefaufatmend, »dann ist es Grog. Merkt es euch für alle Zeiten. Wenn ihr den achtzig Jahre lang trinkt, werdet ihr nicht in der Jugend Maienblüte in die Grube fahren – wollte sagen, in die erbärmliche Wasserhose.«

Da beschlossen die Jungens, achtzig Jahre lang Grog zu trinken, um diesem schrecklichen Ende zu entgehen. Nach Tisch erschien Robert Twersten, und der Oberingenieur gewahrte in Marga Vanheils Augen ein schnelles Aufleuchten, als ob ein Blinkfeuer einem aufkommenden Schiffe den Weg zum Hafen weise. Er war dem Sohne seines Chefs schon verschiedene Male im Hafen begegnet und hatte sich der ausgeprägten Männlichkeit des jungen Twersten gefreut.

»Doch Kerls, diese kleinen Japaner,« meinte Robert Twersten lebhafter, als es sonst seine Art war. »Eben erklärt Rußland von Petersburg aus den Krieg, da fegen ihre Schiffe schon unter die nichtsahnende Flotte auf der Reede von Port Arthur und im Hafen von Chemulpo, beschädigen den Russen die beiden besten Schlachtschiffe, vernichten einen Kreuzer und ein Kanonenboot und landen ihre Truppentransporte, bevor sich die Russen auch nur von ihrem Schreck erholt haben. Die Abendblätter enthalten eine Depesche.«

Eine Zeitlang wogen die Herren die Chancen des gewaltigen Riesenkampfes ab, der im fernen Osten einen so überraschenden Anfang genommen hatte. »Die Japaner haben einen meisterhaften Schachzug getan,« beharrte Robert Twersten.

»Sie hatten eben das Terrain für sich,« warfen die beiden Ingenieure ein.

»Gerade deshalb,« schloß Robert Twersten, »hätte Rußland den Krieg nicht von Petersburg aus erklären sollen, sondern, bildlich gesprochen, von Port Arthur aus.« Und sie entschuldigten sich vor den Damen und wandten sich wieder der allgemeinen Unterhaltung zu.

Der neue Onkel mußte dabei sein, wie die Jugend zu Bett gebracht wurde. »Schämt euch,« wehrte ihnen Erika, »ihr werdet dem Herrn lästig.« Aber sie schämten sich durchaus nicht und wollten lieber lästig fallen, als auf den Onkel Schiffsbauer verzichten. Feldermann schloß sich vergnügt Mutter und Söhnen an.

Als sie zurückkehrten, sahen sie Marga und Robert Twersten in leiser, friedlicher Unterhaltung in einer Zimmerecke sitzen. Frau Henriette hatte den Klavierplatz eingenommen, und Fritz Vanheil beugte sich über sie und brachte ihr den richtigen »Schmiß« der Studentenlieder bei.

»Vortreffliche Mutter,« sagte er, »wenn ich dich so spielen höre, werde ich noch der energischste Verfechter der Zulassung von Frauen zur Universität. Nur damit ihr endlich diese himmlischen Gesänge richtig spielen lernt. Das sind keine Choräle! Nein, das sind sie nicht!«

»Aber lieber Junge, der Text klingt doch ganz pastoral –«

»O, gute Mutter, er klingt nur so. Und man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Also gib acht, und halte du deine gläubige Seele nur an die Noten und nicht an den Text.«

Und er begann aufs neue, mit tiefer Empfindung:

»Sing, bet und geh auf rechten Wegen
Und tu das deine nur getreu;
Kommt dir ein schönes Kind entgegen,
Laß es nicht ungeküßt vorbei.«

Und nun mit ausbrechender Begeisterung:

»Studenten sind fidele Brüder,
Kein Unfall schlägt sie ganz darnieder...«

»Er ist ein Schelm,« sagte Erika zu Feldermann, »aber wir lieben ihn, wie wir den Vater liebten.«

»Weshalb spricht sie kein Wort von ihrem Mann?« dachte der Oberingenieur. Und dann gab er sich der Stunde hin und erzählte seiner Zuhörerin, wie stark aufmunternd ihn diese Fröhlichkeit berühre, »wie ein Glas alten Rheinweins. Bei uns zu Hause gab es den nämlich nicht, und so hatte ich immer eine stille Sehnsucht danach. Aber wie ich mir aus eigenen Mitteln die erste Flasche leisten konnte, war ich sehr enttäuscht, denn er machte mich direkt melancholisch.«

»Echte Fröhlichkeit muß sich mitteilen können,« sagte Erika. »Darin besteht ja gerade ihr Segen, daß sie so gar nichts Egoistisches hat und bald nicht weiß, ob sie nimmt oder gibt. Ich könnte mir ein Leben ohne diese Haussonne gar nicht vorstellen.«

»Sie haben wohl keine schweren Stunden durchgemacht, gnädige Frau.«

»Ja,« erwiderte sie ruhig, »ich habe sie durchgemacht, und ich möchte sie nicht noch einmal durchmachen. Was mich nicht untersinken ließ, war diese unbeirrte Herzensfröhlichkeit der Meinen.«

Er blickte sie mit heimlichem Forschen an. Diese tiefen, klaren Augen hatten auch einmal das Weinen gekannt? Das brachte sie ihm um vieles näher. Und unaufgefordert begann er von seiner Jugendzeit zu erzählen, als fände er bei dieser Frau das rechte Verständnis für seinen Werdegang, der ihn ungelenk und ungesellig gemacht hatte. »Zuweilen meine ich, ich wäre weder das eine noch das andere und es fehle mir nichts als das rechte, herzhafte Zutrauen zu mir selbst. Denn ich kann doch alles mit empfinden und fürchte mich nur, täppisch in den Chorus einzufallen und ausgelacht zu werden. Ein Hagestolz von vierzig Jahren lernt nicht mehr leicht.« »Finden Sie nicht, daß das hier eine ganz gute Gelegenheit ist? Fritz als Schulmeister!«

»Ja,« sagte er verwirrt, »würden Sie das nicht für unschicklich halten, wenn ich – als wildfremder Mensch – mich hier so ganz einfach – akklimatisierte?«

»Wenn Sie morgen wiederkommen, sind Sie uns schon ein guter Bekannter, Herr Feldermann.«

»Ich – dränge mich auf, gnädige Frau– –«

»Nein,« verbesserte sie sich, »das war verkehrt von mir. Sie sind uns heute schon ein guter Bekannter. Unser Fritz versteckt unter all seinem leichten Wesen ein dankbares Herz, wie es nur wenige gibt. Wie oft, glauben Sie, sind Sie in unseren Tischgesprächen zugegen gewesen und saßen vielleicht mutterseelenallein daheim? Sie haben sich meines Bruders nicht wie ein Vorgesetzter, sondern wie ein Freund angenommen, und das vergißt er Ihnen nicht, und wir vergessen es auch nicht.«

»Gnädige Frau,« wehrte der Oberingenieur ab, »er kann mehr als ich. Was ihm fehlt, ist nur die ruhige Praxis, die Sammlung.«

»Also geben Sie ihm etwas von Ihrer geschäftlichen Sammlung, und er gibt Ihnen von seiner Lebensheiterkeit. Und sollte er gar zu gesammelt werden,« fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu, »so halten Sie sich nur an uns Frauen.«

Am Klavier probte Fritz Vanheil mit der Mutter immer noch seine Lieblingslieder. Aus der Zimmerecke tönte das Flüstern Margas und Robert Twerstens. Und Feldermann saß neben Erika, als hätte er schon Jahre in diesem Zimmer gesessen. Das mußte er ihr sagen. Wie eine Entschuldigung und wie eine unerklärliche Freude.

»Machen Sie es wahr,« entgegnete sie und blickte ihn freundlich an. »Die Jungens werden entzückt sein.«

»Ja, die Jungens –!« sagte er, und nun erhob er sich doch, denn die Stunde war vorgeschritten.

Auch Robert Twersten erhob sich, und Fritz erklärte, die Verantwortung dafür zu tragen, daß die Herren richtig nach Hause kämen und nicht etwa unterwegs noch einkehrten. Deshalb schlösse er sich an.

»Wenn Sie sich ein wenig wohl bei uns fühlen, Herr Oberingenieur, so kommen Sie nur so oft Sie mögen,« bat Frau Henriette.

Er blickte auf Erika. Und dann nahm er mit wärmstem Dank an.

Schon in der nächsten Straße verabschiedete er sich von den beiden Herren, da er in der entgegengesetzten Richtung von Robert Twersten wohne.

»Aber wir bringen Sie gerne hin. Wir versäumen nichts.«

»Ich danke Ihnen sehr,« erwiderte der Oberingenieur. »Aber lassen Sie mich offen sein. Ich bin an so schöne Abende wie den heutigen noch nicht gewöhnt. Und da möchte ich diesen nun noch ein wenig mit mir herumtragen.«

»Das ist ein verständiger Mensch,« meinte Robert Twersten, als die Freunde allein weiterschritten. »Wie kommt er zu euch?«

Und Fritz Vanheil erzählte von den letzten Ereignissen auf der Werft, und daß Twersten die Abnahme des Dampfers verweigert worden sei, wenn er nicht wegen der Differenz eines halben Knotens Fahrtgeschwindigkeit beispiellose Abstriche bewillige. »Der Alte aber hat seinen Kopf aufgesetzt, daß er seine Zwangslage nicht ausbeuten lassen will, und so wird das schöne Schiff einstweilen kaltgestellt, bis es wohl eines Tages zu Selbstkostenpreis losgeschlagen werden muß. Ich erzähle dir das alles, weil du ja der Sohn bist. Feldermann nahm sich das Mißgeschick der Werft sehr zu Herzen. Da schleppte ich ihn aus seinem Grübeln heraus und brachte ihn unter Menschen.«

»Was ist das für ein Dampfer? Beschreibe ihn mir mal.«

Und Vanheil entwarf ein genaues Bild des Dampfers in Konstruktion, Maschinenkraft, Ladefähigkeit und Kabinenzahl, und Robert Twersten schritt schweigend neben ihm her, und kein Wort ging ihm verloren.

»Der wird täglich eine ganze Menge Zinsen fressen,« sagte er endlich. »Ganz abgesehen von den Unterhaltungskosten.«

»Es ist eine miserable Sache,« bestätigte Vanheil. »Aber den Standpunkt deines Vaters kann ich trotzdem verstehen. Es ist ein großer Zug darin.«

»Vorläufig ist es nur die große Geste. Den großen Zug bestimmt erst das Endresultat.«

»Wie denkst du über dieses Café hier?«

»Heute nicht. Ich habe noch zu arbeiten. Gute Nacht, Fritz.«

»Das ist stark,« entrüstete sich Fritz Vanheil und blickte dem Davoneilenden nach. »Erst verschleppen sie mich auf die Straße, und dann läßt mich der eine wie der andere stehen. O quae mutatio rerum! Gehen wir also auch nach Hause.« – Robert Twersten kam am anderen Morgen nur für wenige Minuten ins Kontor. Und auch in den folgenden Tagen überließ er die Abwicklung der laufenden Geschäfte Marga und dem alten Rochus. Der Hafen zog ihn an, und sein photographischer Apparat begleitete ihn. Saß er abends daheim, so studierte er die großen in- und ausländischen Zeitungen.

»Nun muß ich dich um eine Woche Urlaub bitten, liebe Marga,« sagte er eines Tages. »Würdest du mir zehntausend Mark Reisekasse überweisen lassen?«

»Um Gottes willen! Willst du durchbrennen?«

»Vertraust du mir das Geld nicht an? Es ist ein Geschäft, das ich für die Firma machen will. Ich bürge mit meinem Kapital dafür.«

»Welcher Aufwand von Worten, Bob! Du weißt, daß ich dir blindlings vertraue.«

»Adieu, Marga,« sagte er und küßte die Überraschte auf die Stirn. »Es ist lieb von dir, daß du mich nicht weiter fragst. Das stärkt mein Vertrauen.«

Acht Tage darauf war er von Petersburg zurück, körperlich ein wenig abgespannt, aber von einer Laune, wie Marga Vanheil sie seit seiner Heimkehr von Amerika so froh noch nicht beobachtet hatte.

»Die zehntausend Mark bin ich auf einen Schlag los geworden. Ich habe sogar noch aus eigenem dazu tun müssen. Das nennt man Heckpfennige, Marga.«

»Gott sei Dank, daß du wieder da bist, Bob.«

»Und nach den Geschäften fragst du mich nicht?«

»– daß du wieder da bist– –!« wiederholte sie nur und hielt seine Hände.

Am selben Nachmittag noch fuhr er zur Werft K. R. Twersten. Telephonisch hatte er seinen Vater um eine Unterredung ersucht.

»Ich stehe ganz zu deiner Verfügung, Robert. Nimm Platz. Du wünschtest eine geschäftliche Unterredung?«

»Ja, Vater. Und sie ist, wie ich hoffe, in unserem beiderseitigen Interesse.«

»So, so? Das sollte mich freuen. Also Twersten contra Twersten,« und er lächelte fein.

»Pro, nicht contra», Vater. Meine Firma braucht einen eigenen Dampfer. Wir wollen aus dem Kleinkram heraus und mal ein Wort mitsprechen. Die ›Hammonia‹ liegt seefertig im Hafen, und die Reederei, für die du sie bautest, hat sie wegen eines Schnelligkeitsmankos nicht abgenommen. Das ist nun bekannt geworden, und ich möchte mir die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen.«

»Habt ihr denn das Kapital dazu?«

»In vier Wochen, denke ich, werde ich es flüssig haben. Vielleicht schon früher. Wenn du mir bis dahin das Schiff an Hand lassen möchtest –«

»Mein Junge,« sagte der alte Twersten ruhig, »da stimmt etwas nicht.«

Und ebenso ruhig antwortete der Sohn: »Es stimmt, Vater.«

Heimlich, damit nicht einer es vom anderen bemerke, rückten sie sich zusammen. Wie zwei Schachspieler saßen sie sich gegenüber.

»Bitte – weiter?« begann Twersten vorsichtig den ersten Zug.

Und nun zog auch der Sohn an. »Die Basis wäre deine Preisforderung.«

Twersten nannte kaltblütig den mit der Reederei vereinbarten Preis.

Robert nickte nur. »Ja, ja, ich weiß. Und inzwischen–?«

»Inzwischen dürfte sich daran wohl nichts geändert haben.«

»Doch wohl. Denn durch die Nichtabnahme ist der Dampfer im Wert gesunken.«

»Doch nicht. Denn du willst ihn ja kaufen.«

Sie blickten sich in die Augen, ohne daß eine Miene in ihrem Gesicht zuckte. Zwei Kaufleute besprachen sich. Die Verhandlung ging weiter.

»Darf ich daran erinnern,« sagte Robert Twersten, »daß Zinsen, Liegegeld, Unterhaltungskosten und abkommandiertes Personal den Dampfer bald über Gebühr belastet haben werden? Wenn ich alle diese erheblichen Unkosten, die dir da erwachsen, durch raschen Kauf aus der Welt schaffe, ist es wohl kein unbilliges Verlangen, daß ich auf ein kräftiges Entgegenkommen von deiner Seite rechne.«

»Dein rascher Kauf ist es ja gerade, der mich eines verlustreichen Entgegenkommens überhebt. Ich fühle, du brauchst mich, Robert.«

»Und du könntest dich meiner bedienen, um mehr zu gewinnen, als du jetzt verlierst.«

Twersten nickte. »Das hört sich gut an. Verwandtschaftliche Rücksichten haben selbstverständlich bei einem solchen Objekt nicht mitzusprechen.«

»Weder auf deiner, noch auf meiner Seite, Vater.« Und Robert Twersten nannte sein Gebot.

Twersten schlug das Konto des Schiffes auf, griff nach Bleistift und Papier und rechnete. Es war still im Privatkontor. Nur das leise Schaben des Bleistiftes blieb hörbar. Und Robert Twersten saß zurückgelehnt und wartete ohne Ungeduld.

»Du bist ein scharfer Rechner,« sagte Twersten und legte den Bleistift hin. »Das macht dir Ehre, aber ich würde nicht dabei auf meine Rechnung kommen. Ohne einen Zuschlag von zehn Prozent ist das Geschäft für mich nicht diskutierbar.«

»Fünf, Vater.«

Twersten lachte. »Ich könnte ja sagen. Aber gerade deinetwegen tu' ich es nicht. Ich darf mich doch bei unserer ersten geschäftlichen Begegnung nicht von dir übers Ohr hauen lassen, und deshalb schon muß es bei einem Zuschlag von zehn Prozent bleiben.«

»Du hast zwar,« entgegnete der Sohn, »soeben erst selbst die Ausschaltung verwandtschaftlicher Rücksichtnahme betont. Aber damit du siehst, daß ich mich nicht fürchte und daß ich von dir gelernt habe, willige ich ein. Ich werde dich also wissen lassen, wann ich die ›Hammonia‹ einer Probefahrt zu unterziehen wünsche. In den ersten vierzehn Tagen denke ich. Bis dahin also bleibt mir das Vorkaufsrecht zu den nunmehr festgelegten Bedingungen.«

Er streckte dem Vater die Hand hin. Noch einmal suchte Twersten in den Mienen des Sohnes zu lesen. Dann schlug er entschlossen ein.

»Es soll mich freuen, wenn du die Firma Vanheil einer neuen Zukunft entgegenführst. Dein Erfolg würde mich mit meinen im Sand verlaufenen Plänen versöhnen.«

Und Robert Twersten antwortete: »Ich bin dir noch die Probe schuldig, Vater. Glückt es mir, dir zu beweisen, daß ich ein Kaufmann nach deinem Sinne geworden bin, so wird auch der letzte Schatten, der noch zwischen uns steht, verschwinden.«

»Lasse sie mich bald erleben,« sagte Twersten, und sie schüttelten sich zum Abschied die Hände.

Lange noch grübelte er über den Besuch des Sohnes nach. »Er führt etwas im Schilde, was seine Geschäftsklugheit über die meine wachsen lassen soll ...« Aber der Gedanke war ihm nicht unlieb. »Wenn es sich um die Entwicklung handelt, muß der Sohn über den Vater hinaus.« –

In der nächsten Woche hielt sich Robert Twersten still. Er erledigte seine Arbeiten, ohne irgend ein besonderes Unternehmen für die Firma ins Auge zu fassen, und plauderte mit Marga heiter und unbefangen. Gegen Ende der zweiten Woche erhielt er eine Depesche. Er las sie und steckte sie ein.

»Etwas Wichtiges?« fragte Marga.

»Ein paar Bekannte sagen sich mir an. Ich möchte Fritz bei der Gesellschaft haben.«

»Das wird ihm sicher Spaß machen. Gib nur acht, daß er nicht zu viel tolles Zeug treibt.«

Er telephonierte Fritz, daß er ihn abends sechs Uhr am Hafentor abholen würde. Und Fritz Vanheil leistete durch das Telephon einen Schwur, pünktlich zu sein. Kurz darauf verließ Robert Twersten das Kontor und begab sich, mit einem Umweg über sein Bankhaus, zur verabredeten Stelle, wo er Fritz Vanheil wartend fand.

»Fritz, heute gilt es einen großen Freundschaftsdienst.« »So feierlich? Lieber Junge, du weißt doch, daß du seit Santiago auf mich zählen kannst.«

»Um sieben Uhr haben wir im Hamburger Hof zu sein. Ich treffe einige Herren aus Rußland dort an. Aber es handelt sich in der Hauptsache nur um einen.«

»Also um den Häuptling. Ich verstehe.«

»Ja, um den Häuptling. Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir helfen wolltest, daß er – nun, daß er Hamburg lieb gewänne.«

»Aha, Maître de plaisir. So denkst du dir das. Keine sehr schwere Mission.«

»Von ihrer Ausführung,« fuhr Robert Twersten fort, »hängt zum großen, zum sehr großen Teile ab, ob die Firma Vanheil morgen in die erste Linie vorrückt, ob mein Vater und ich wieder in das alte Verhältnis zueinander kommen und – Marga und ich – in ein neues.«

Fritz Vanheil blieb stehen. »Bob, das ist kein Scherz mehr. Das scheint mir eine – eine sehr ernste Kraftprobe. Junge, es war schön von dir, daß du mich zuzogst, und nun sage mir bitte alles.«

»Ich brauche wohl dein Wort nicht einzufordern –«

»Nein.«

Und Robert Twersten berichtete kurz und präzis von seiner Reise nach Petersburg, seinem erfolgreichen Vordringen bis zur maßgebenden Stelle und seinem Schiffsangebot, das zuerst einen stolz ablehnenden Bescheid, bald aber durch Unterstützung eines Schecks gründlichere Beachtung erfahren habe. »Noch glaubt die ganze Welt an die Unbesiegbarkeit des russischen Kolosses, und in Rußland wissen es nur die eingeweihtesten Kreise, was es mit der Seetüchtigkeit der baltischen Flotte und ihrer Verproviantierung für die weite Reise nach dem Osten auf sich hat. Ich habe es, wenn auch unter Opfern, in Erfahrung gebracht, und habe an Ort und Stelle gehandelt. Morgen soll die ›Hammonia‹ besichtigt und am Abend zur Probefahrt verholt worden.«

»Die – ›Hammonia‹? Ja – ist denn dein Vater mitbeteiligt? Sonst kann ich doch unmöglich – –«

»Doch, Fritz. Du kannst. Ich habe von meinem Vater das Vorkaufsrecht erworben. In ein paar Wochen wäre es zu spät gewesen, denn dann liegt die russische Kalamität vor aller Augen so klar, wie vor Jahren die spanische. Diesmal bin ich es, der das Prävenire gespielt hat, während selbst mein Vater noch nicht den Verhältnissen auf den Grund sah. Das wird und muß ihm imponieren, wie ich seine Seele kenne. Und der Firma Vanheil wird es Ansehen verschaffen und Marga – nun, Marga – –«

»Ich weiß schon,« sagte Fritz Vanheil. »Teile mir lieber mit, welche Rolle du mir dem Herrn Russen gegenüber zugedacht hast. Dem Manne soll geholfen werden.«

»Es waren heiße Nächte in Petersburg. Diese Menschen sind von einer Vergnügungssucht, die geradezu etwas Ursprüngliches hat. Und der großmächtige Beamte der Admiralität, der soeben mit seinem Stabe im Hamburger Hof angekommen sein wird, hat sie unbezähmbar, wenn – der andere die Kosten nicht scheut. Die Kosten übernehme ich in jeder Höhe. Dich bitte ich um ausgiebigsten Gebrauch deiner – Hamburger Kenntnisse.«

Der russische Unterhändler empfing Robert Twersten sehr entgegenkommend. »Sie haben doch wohl dafür gesorgt, daß meine Mission unbekannt bleibt. Wenn wir kaufen, kaufen wir ganz unter der Hand, damit, wenn sich noch weitere Ankäufe als Notwendigkeit ergeben sollten, die Preise nicht in unerreichbare Gebiete gerückt sind. Die Pläne, die Sie mir schickten, sind geprüft worden. Das Schiff könnte unter Umständen als Hilfskreuzer Verwendung finden. Doch das werden wir ja morgen sehen. Wollen Sie mir das Vergnügen machen, heute abend mein Gast zu sein? Dieses Hamburg muß doch viel Amüsantes bieten, was nach der langen Fahrt als Ausspannung sehr willkommen wäre. Aber zunächst, bitte, fahren Sie mich wohl zu meinem Bankhaus, damit ich meine Kriegskasse ergänze.«

»Die Banken, Exzellenz, sind schon geschlossen. Aber wenn Exzellenz mir die Ehre erweisen würden, bis morgen über mein Portefeuille zu verfügen –«

»Schon geschlossen? Das ist ärgerlich.«

»Aber Exzellenz! Exzellenz würden mich in hohem Maße verpflichten –«

»Ja – da befinde ich mich wirklich in einer Zwangslage. Was bleibt mir zu tun, wenn diese lächerlichen Banken schon geschlossen sind? Also schön, ich nehme Ihr freundliches Anerbieten bis morgen an, und Sie erweisen mir die Ehre, mein Gast zu sein. Sie wissen doch hoffentlich, was sich in diesem Portefeuille befindet? Gut, dann werde ich es Ihnen morgen zurückerstatten. Und nun: en avant!«

»Ich habe einen ganz unübertrefflichen Fremdenführer, der uns im Vestibül erwartet. Einen der ersten Ingenieure der Werft K. R. Twersten. Befehlen Sie, daß er sich anschließt, und ein vergnügter Abend ist garantiert.« »O – o – um so besser! Bitten Sie den Herrn, sich als meinen Gast zu betrachten.«

Robert Twersten behielt recht. Wenn es auch nicht der vergnügteste Abend seines Lebens wurde, so wurde es doch der wildeste. Es war eine Inkognitoreise durch die vornehmsten Singspielhallen und Vaudevilletheater und ein Champagnergelage, bei dem ein paar der elegantesten Sängerinnen dieser Bühnen nicht fehlten. Fritz Vanheil fand sich verblüffend zurecht, und sein grotesker Humor, dem er die Zügel schießen ließ, riß unwiderstehlich mit, brachte selbst Robert Twersten über das Peinliche der Situation hinweg und lehrte ihn, die Dinge von der humoristischen Seite zu nehmen. In später Nachtstunde erst ließ sich der russische Herr zu seinem Hotel zurückgeleiten.

»Ein köstlicher Abend, Herr Twersten, ein köstlicher Abend, den ich Ihnen verdanke. Und Sie, mein Herr, möchte ich mit mir nach Petersburg nehmen.«

Fritz Vanheil verbeugte sich. »Wenn Exzellenz gestatten, kommen wir morgen nach der Probefahrt der ›Hammonia‹ darauf zurück.«

»Ich werde es nicht vergessen, mein Herr. Gute Nacht, gute Nacht! Auf morgen.« – –

Als Robert Twersten in früher Morgenstunde das Kontor betrat, fand er Marga bereits am Schreibtisch.

»Guten Morgen, Bob!« rief sie ihm fröhlich entgegen. »Nette Menschen müssen deine Bekannten sein. Der Fritz hat noch die halbe Nacht im Bett gesungen.«

»Nicht böse, Marga?«

»Aber ich freue mich doch, daß das Leben wieder aus dir herausspringt. Nein, Bob, ich mag keine Duckmäuser leiden, und bei dir – bei dir mal gar nicht.«

»Wie möchtest du mich denn leiden, Marga?«

Sie blickte ihn von der Seite an, mit einem schelmischen Lächeln, das sie mädchenhaft verschönte.

»Nun – so eine kleine Mischung von Twersten und Vanheil...«

Da fühlte sie seinen Mund auf ihren Lippen.

»Bob!«

»Das ist Twersten.«

»Bob –!«

»Und nun kommt Vanheil. Warte, ich werde die Mischung gleich haben.«

»Bob, was ist in dich gefahren? Hier im Kontor!«

»Du hast recht. Laß den Tag noch vergehen. Und über ein kleines, o Wonne, o Wonne, ist meine Kammer voll Sonne, voll Sonne! Adieu, Marga, ich muß in den Hafen! Denk an mich, Mädchen!«

Und fort war er.

»Nein,« sagte sich Marga Vanheil, als sie aus ihrer Betäubung erwachte, »das ist keine Nachstimmung von gestern. Das ist älteren Datums...«

Ihr Blick schweifte verloren durch das Kontor und fand sich nicht zurecht.

»Das ist – wie es war, als Bob nach Kuba ging.... Nur männlicher – nur schöner...«

Und sie schlug die Hände vor die Augen und blieb unbeweglich sitzen.

Dann kam das Personal, und der alte Rochus kam, und die Post kam. Und an diesem Tage verrechnete sich Marga Vanheil bei einer Kostenaufstellung zum ersten Male zuungunsten ihrer Firma.


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