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An dem Tage, an dem sein ältester Sohn sechzehn Jahre alt geworden war, starb Friedrich Stoltenkamp.
In der Frühe hatte die Mutter Fritz zum Vater gerufen. Der lag mit einem ganz schmalen, vergeistigten Gesicht in den Kissen und winkte dem Sohn mit den Augen zu. Fritz spürte das Wasser an den Wimpern, als er sich über ihn beugte, aber er hielt sich tapfer. Und Friedrich Stoltenkamp tastete nach der arbeitsharten Hand seines Jungen.
»Glückauf, Fritz,« sagte er mühsam. »Führ's vorwärts. Grüß die Leute. Auf dich ist Verlaß.«
Er konnte nicht weiter. Die Worte kamen wie gehackt. Und Fritz Stoltenkamp sah dem Vater mit aller Willenskraft fest in die Augen, beugte sich tiefer und küßte den Sterbenden auf die hohe, schneeweiß gewordene Stirn.
»Ich versprech's dir, Vater. Und auch der Mutter. Sorg dich nicht.«
Er richtete sich auf und drückte die schwankenden Knie durch. Und da er in den Augen der Mutter ein leises Warten las, nickte er dem Vater mit zusammengebissenen Zähnen und einem langen, leuchtenden Blick noch einmal zu und ging.
Frau Margarete saß neben dem Bette, und es war ganz still in dem Zimmer. Die Minuten rannen, und sie wußte nicht, ob eine Stunde vergangen war oder mehr. Da bewegte der Sterbende die Lippen, und Frau Margarete schob ihm weich den Arm unter den Kopf und sah ihm erst auf die Augen und dann auf den Mund.
»Margarete,« sagte der Sterbende, und die Worte flatterten wie ein Hauch, »bist du wirklich – wirklich ein wenig glücklich – mit mir gewesen?«
»Nein, Friedrich, nicht ein wenig. Aber alle Maßen. Leib und Seele sind bei dir glücklich gewesen. Denn dein Herz und dein Verstand haben immerzu nur gegeben und gegeben. Reicher kann eine Frau nicht werden.«
»Margarete,« begann der Sterbende noch einmal nach einer versonnenen Weile, »ich wollte dir nur sagen – daß ich doch – ein Glückskind – gewesen bin. Ich hatte – die rechte Frau, die nicht fragte und – immer nur glaubte. Das hat – so gut getan. Leute wie ich – brauchen das und viel – viel Frauenliebe. Damit hast du mich – aus dem Strom – immer wieder wie in einen Hafen – hineingezogen. – Ich Hab dir viel – zu danken – viel zu danken ...«
»Ich lieb dich heute wie am ersten Tage, Friedrich, und kein Tag war anders.«
»Dann ist's gut – Margarete. Dann soll wohl – alles andere – einerlei sein.«
Er schloß die Augen und bewegte in ihrem Arm den Kopf auf ihre Brust zu. Ganz sacht schob sie ihn tiefer in ihren Arm. Und als er die Wärme und Weiche spürte, kuschelte er sich hinein wie ein Kind, streckte sich, lag ganz still und schlummerte in ihrem Arm hinüber. An dem Herzen seiner Frau, die sein wirres und kühnes Wesen allein verstanden hatte, löschte er aus.
Da ließ Frau Margarete zum erstenmal seit seinem Niederbruch ihren Tränen freien Lauf, und das Antlitz des Toten war wie von einem Schleier bedeckt.– –
Draußen hörte sie die Kinder flüstern. Da bettete sie das Haupt des Toten in die Kissen, trocknete ihm Gesicht und Hände, strich ihm mit ganz langsamer Bewegung das Haar zurecht und ging, die Kinder zu holen.
Eberhard stürzte zuerst herein, sah das regungslose Gesicht des Vaters, schlug die Hände vor die Augen und taumelte, wilde Schmerzensschreie ausstoßend, auf einen Stuhl. Leise und unaufhaltsam vor sich hinweinend, stand Amalie neben ihm. Und Fritz kam hinter ihnen drein, blaß bis in die Zähne, aber mit allen Kräften bemüht, die Haltung zu bewahren. Er ging auf die Mutter zu und ergriff ihre Hand.
Und diese männlich feste Hand gab auch Frau Margarete die wankende Haltung wieder.
»Kinder,« sagte sie, »wir wollen ein Vaterunser für unseren lieben Toten beten. Er war ein Auserwählter, Kinder. Das wollen wir nie vergessen.« Und sie stand mitten zwischen den Kindern und sprach das Gebet.
Fritz legte dem immer noch fassungslosen Bruder Eberhard die Hand auf die Schulter und führte ihn freundlich hinaus. Schwester Amalie folgte auf den Fußspitzen. Und Fritz Stoltenkamp kehrte mit einem bittenden Blick zur Mutter zurück.
»Mutter,« bat er und dämpfte die Stimme, »nun nimm du die paar Tage, die wir den Vater noch unter unserem Dach haben, als deine Feiertage. Hörst du, Mutter? Ganz allein für dich. Ich gehe jetzt und sorge für alles, was nun besorgt werden muß.«
Und er ging zunächst hinüber in den Schmelzhau, um es den Leuten mitzuteilen und einen Mann zur Mühle hinauszuschicken, der es dem Haniel sagen sollte. Und die Leute ließen ihr Arbeitsgerät sinken und hörten ihn schweigend an, zogen schweigend ihre rußigen Kittel aus, wuschen sich die Hände und zogen schweigend ihre Straßenjacken über. Sie warteten noch auf den Hammerschmied, und als Haniel in eilendem Schritt über die Felder gekommen war, schritt das kleine Häuflein über den Hof, betrat das Häuschen und pochte sacht an die Kammertür. Auf einen leisen Zuruf öffneten sie die Tür und gingen hinein, nickten schweigend Frau Margarete zu und standen mit mahlenden Kiefern am Bette des Toten. Lange war nichts zu vernehmen als das Rascheln der Mützen, die sie unablässig in den schweren Händen drehten. Dann sagte der Hammerschmied Haniel aus tiefer Brust: »Er war ein Meister.«
Und der Schmelzer Poensgen sprach: »Das war er. Und eine Seele von Mensch.«
»Das walte Gott,« murmelten die anderen, und nach einem festen Abschiedsblick auf ihren toten Herrn wandten sie sich um, reichten, einer hinter dem anderen schreitend, schweigend Frau Margarete die Hand und schritten aus dem Sterbehaus in den Schmelzbau und zu ihrer Arbeit zurück.
»Hast du es gehört, Friedrich?« sagte Frau Margarete, als sie gegangen waren. »Deine Leute haben dich begriffen. Nun brauchst du dich um keinen anderen Nachruf mehr zu sorgen, Friedrich. Der hält stand.«
Fritz Stoltenkamp hatte inzwischen die Stadt erreicht, hatte den Tod des Vaters auf dem Rathaus gemeldet und beim Pfarrer und dem Totengräber, war am Posthaus vorgegangen, um den Postillion zu bitten, die Todesnachricht dem Münzwardein Noelle in Düsseldorf zu überbringen, und hatte dann die Großmutter aufgesucht.
Gefaßt nahm die Weißhaarige den Bericht entgegen. Nur ihr Blick schien irgendwo in der Ferne zu schweben, dem gleitenden Schatten des Sohnes nach. Und dann schritt sie langsam zu den Ladenfenstern, legte die Schutzladen vor, verschloß die Tür und verließ mit ihrem Enkel durch die Hoftür das Haus.
Noch immer saß Frau Margarete bei ihrem Toten, als die Großmutter eintrat. Sie erhob sich sofort und bot der Älteren den Stuhl. Und Frau Jodokus Stoltenkamp saß neben ihrem Sohn und legte seine kalte Hand in ihre harten Hände und sprach kein Wort. Aber sie saß so lange, daß Frau Margarete wohl empfand: es ist eine Zwiesprache, die die Mutter mit dem Sohne hält, und sie gibt ihm für manches im Leben Unausgesprochene die Erklärung.
Als Frau Jodokus Stoltenkamp sich nach einer langen Weile zu ihrer Schwiegertochter wandte, war die herbe Strenge um ihren Mund geschwunden. »Margarete,« sagte sie, und die Angeredete wunderte sich, wie weich der Ton aus diesem Munde kommen konnte, »er stak mit einem Fuß noch in der Vergangenheit, die für ihn nicht mehr hätte leben sollen, und mit einem Fuß schon in der Zukunft, für die die Menschen noch nicht lebten. Möge der Fritz die Erfüllung werden. Das ist in seinem Sinne.«
»Ja, Mutter.«
Und die alte Frau ging hinaus zu den Kindern, strich jedem über den Kopf und ging in ihrem aufrechten Gang zur Stadt zurück und in ihren Laden, dessen Tür und Fenster sie wieder dem Tage öffnete. –
Drei Tage lag Friedrich Stoltenkamp aufgebahrt in dem kleinen Haus, das er einst so stolz zum Aufseherhaus seines Werkes bestimmt hatte. Seine Frau und sein Ältester hielten abwechselnd bei ihm die Totenwacht. Und am Morgen des vierten Tages nagelte der Tischler den Sargdeckel Zu. Draußen rauschte ein warmer Sommerregen in Strömen nieder und wuchs zu einem Landregen aus.
Der alte Stadtpfarrer war trotz des Regens gekommen. Er stand wartend auf dem Hof, und von seinem Regenschirm troff das Wasser auf seinen Ornat. Neben ihm harrte der Münzwardein Noelle aus, der die Nachtpost von Düsseldorf benutzt hatte, und der Vetter Grote war auch erschienen trotz des noch nicht gutgemachten Auftritts in seinem Hause und hatte seinen Sohn Walter mitgebracht, der gleichen Alters wie Fritz Stoltenkamp war. Sonst aber war keiner gekommen aus dem großen Verwandten- und Freundeskreis von einst.
Fritz Stoltenkamp hatte damit gerechnet. Aber er freute sich, als er seine fünf Schulkameraden anrücken sah, die nun auch schon lange ihre Laufbahn erwählt hatten: Max Schlechtendahl, den Buchhändlerlehrling, Karl Schulte und Robert Hüttemann, die im Eisen- und Kohlenfach lernten, Jan Krüger, der bei einem Malermeister stand, und Felix Moldenhauer, auf Urlaub aus seiner Düsseldorfer Garnison.
Die Arbeiter, sieben an der Zahl, standen zu einem Häuflein der Tür am nächsten. Fritz Stoltenkamp trat zu ihnen. »Ihr seid sieben, ich bin der achte. Wir Arbeiter der Firma Friedrich Stoltenkamp werden es uns nicht nehmen lassen, den Sarg des toten Herrn zum Friedhof zu tragen. Haniel, Poensgen, Frowein – und ich. Wir vier machen den Anfang.«
»Jawoll, Herr Stoltenkamp.«
Eine Sekunde horchte Fritz Stoltenkamp auf. Nie hatten ihn die Leute anders als beim Vornamen gerufen. Dann betrat er mit den dreien das Sterbezimmer. »Mutter, wir sind soweit. Wenn du jetzt willst?« Einen Schritt trat Frau Margarete zurück. Sie ließ den Sarg nicht aus den Augen. Die beiden jüngeren Kinder hatte sie rechts und links an der Hand. Und die Großmutter stand aufrecht hinter ihr.
»Angefaßt,« befahl Fritz Stoltenkamp mit unterdrückter Stimme. Die Bahre schwankte empor. Einen der Vordergriffe hielt Fritz Stoltenkamp in der Faust. Und vor dem Haus setzten sich die vier in gleichmäßigem Schritt in Bewegung, und neben jedem schritt der Begleitmann zum Auswechseln.
»Nanu?« knurrte Wilhelm Grote und puffte seinen Sohn an. »Das ist doch der Fritz? Schwerebrett, der Sohn trägt seinen Vater.«
»Guter Schlag,« bewunderte der Sohn.
»Und ob das guter Schlag ist, Junge. Ich kenne seine Handschrift.«
Auf dem Gesicht des Münzwardeins Noelle aber blieb auf dem ganzen Weg ein so strahlender Ausdruck, als ob es zu einer Hochzeit und nicht zu einem Friedhof ginge. Er fühlte, seine Freundschaft war bei den Stoltenkamps an die rechten Männer gekommen.
Über die Felder schwebte der Sarg, über die Felder, in deren Schoß die Kohle und das Eisen wuchs, die Freunde des Toten. In die Stadt bog er ein, in der die Menschen sich scheu an die Häuser drückten, die Menschen, die den Toten heute wieder grüßten, weil sie den lebenden Sohn gewahrten, der mit seinen Leuten selber die Bahre trug. Und weiter ging es zum Friedhof hinaus, und im strömenden Regen folgte das Trauergeleit wie ein schwarzer, fest zusammengeballter Knäuel. – – –
Die Trauergäste hatten sich verabschiedet. »Sie wissen, Fritz Stoltenkamp, daß ich immer für Sie zu haben bin,« hatte der Münzwardein Noelle gesagt, und der Oheim Grote hatte wie er dem Neffen die Hand geschüttelt und geäußert, daß er sich wohl in den nächsten Tagen wieder einfinden würde. Die jüngeren Kinder saßen in der Wohnküche und aßen einen schnell bereiteten Haferbrei. Fritz Stoltenkamp war mit Mutter und Großmutter im Arbeitszimmer des Vaters allein.
Frau Jodokus Stoltenkamp hatte ein Schriftstück vor sich entfaltet mit Namen und Zahlen. »Eine lange Vorbesprechung ist nicht vonnöten,« äußerte sie in das lastende Schweigen hinein. »Die Zahlen hier reden für sich. Es sind lauter unbestreitbare Forderungen an die Firma Friedrich Stoltenkamp. Die meinen sind nicht darunter. Sie sollen nur – was Gott verhüten möge – für den Letztfall heran, um gegen die anderen die Wagschale zu halten. Die Frage ist: Wollt ihr die Forderungen übernehmen, oder – oder –«
»Sie können sich das Wort ersparen, Mutter,« sagte Frau Margarete. »Der Letztfall – das wäre also der Bankrott. Und Sie äußerten vorhin selbst: ›was Gott verhüten möge‹. Gott wird es verhüten und unsere Arbeit. Sag du, Fritz.«
»Es ist nicht darüber zu reden, Mutter.«
»Sie hören es, Mutter.«
»Gut,« erwiderte Frau Jodokus Stoltenkamp, »ich hatte es auch nicht anders erwartet. Der erste Schritt der Firma muß Vertrauen erwecken. Und wenn die Lieferanten erst das Vertrauen gewonnen haben, werden sie mit sich reden lassen. Wer soll die Firma zeichnen?«
»Mein Sohn Fritz für mich,« sagte Frau Margarete, als sagte sie etwas Selbstverständliches.
»Er ist eben sechzehn, Tochter. Sein Wille ist stark, aber die Schultern sind noch jung. Wird er die Last tragen können? Es ist die Last einer ganzen Familie, die er auf sich nehmen soll. Die Verantwortung ist riesengroß, Margarete.«
Margarete Stoltenkamp sah den Sohn an, und der Sohn die Mutter.
»Wirst du es können, Fritz?«
»Frage die Arbeiter, Mutter.«
»Ich brauche die Arbeiter nicht zu fragen, wenn ich meinem Sohn in die Augen sehe. Und wenn ich nicht wüßte, wen ich so klar und deutlich in dir sehe, würde ich meinem Kinde vor allem nicht solch eine verfängliche Frage vorlegen.«
»Dann bedarf es keiner weiteren Überlegung, Mutter,« sagte Fritz Stoltenkamp. »Ich will. Und will gern. Und bin stolz darauf, es zu dürfen. Mehr weiß ich nicht.«
Und Frau Margarete Stoltenkamp antwortete: »Es genügt. Und ich nehme dich hiermit in die Firma auf. Ich bin und bleibe deine Mutter, aber du wirst von heute an das Familienoberhaupt sein.«
»Mutter,« erwiderte Fritz, »ich will mich lieber daran halten, daß ich dein Sohn bin.«
Mit wachsendem Erstaunen hatte Frau Jodokus Stoltenkamp der Unterhaltung beigewohnt. Mit wachsendem Erstaunen betrachtete sie die Schwiegertochter. Aber sie sagte nichts. Im Grunde gefiel ihr die entschiedene Art, mit der hier die eigenen Angelegenheiten geregelt wurden. Und Entschiedenheit tat dem Hause am meisten not.
Nur eins erwähnte sie, als sie den regennassen Umhang um die Schultern legte und nach der Türklinke griff.
»Die Fabrik wird alles fordern, was sie einbringt. Bis sie darüber hinaus abwirft, bezieht ihr von mir, was ihr für den eigenen Unterhalt braucht. Ich verstehe mein Geschäft. Nun versteht das eure.«
Da ging Frau Margarete auf die Mutter ihres Mannes zu und drückte ihr die harte Hand. »Wir danken dir alle, Mutter. Und wir wollen das unsere recht verstehen lernen, damit wir uns vor dir und deiner zähen Arbeitskraft nicht zu lange zu schämen brauchen.«
Und nun waren Mutter und Sohn ganz allein. Am Schreibtisch des Toten. Eine Weile saßen sie und schauten in alle Ecken und jeder am andern vorbei, weil jeder den anderen zu schonen dachte. Dann griff Fritz Stoltenkamp nach den Briefbogen mit dem Firmendruck.
»Laß uns den Tag damit beschließen, Mutter, daß wir ein Schreiben an die Lieferanten richten und ein Schreiben an die Kundschaft. Das Schwerste soll man zuerst abmachen, sonst hängt es sich an die Arbeit, und wir können keine Überfracht mehr gebrauchen.«
Er entwarf die beiden Anzeigen in kurzen, knappen Worten. Den Lieferanten teilte er mit, daß die Firma für alle Geschäftsschulden des verstorbenen Herrn Friedrich Stoltenkamp aufkommen würde und ihr Vertrauen in die Ehrenhaftigkeit der nunmehrigen Firmeninhaber erbäte. Der Kundschaft schrieb er, daß die Firma trotz des Ablebens des bisherigen Inhabers fortbestände, da das Geheimnis der Gußstahlbereitung auf den Sohn vererbt worden sei, und daß sie sich verpflichte, Gußstahl in Stangen und gewalzten Platten sowie in Stücken nach jedem Modell und jeder Zeichnung zu liefern unter Gewährleistung erstklassiger Güte.
Frau Margarete las die Briefe. Sie wußte nichts dazu zu sagen und kam sich mit einem Male so hilflos vor, daß sie den Kopf auf die Arme legte. Nur einen Augenblick. Dann schnellte sie empor. »Verzeih, Fritz, es sah nur so aus wie Müdigkeit. Aber es ist keine.«
»Ruh dich aus, Mutter. Das übrige kann ich nun allein machen.«
»Willst du die Rundschreiben nicht drucken lassen?«
»Nicht doch, Mutter. Der Empfänger muß den Eindruck gewinnen, daß ich mich persönlich an ihn wende. Und den erhält er nur durch die Handschrift.« Er lächelte ein wenig, um die Besorgnis der Mutter zu zerstreuen. »Es sind nur ein paar Dutzend Briefe, Mutter. Die Kundschaft ist klein geworden, und die Lieferanten haben sich auch nicht um uns gerissen. Das werd ich schon bis zur Nacht schaffen.«
»Du hast recht,« sagte die Mutter, »und der Schreibtisch ist zweisitzig. Gib mir das Anschreiben an die Lieferanten. Nicht widersprechen, Fritz. Das Abendessen besorgt heute Amalie, und später wird es ja besser, wenn erst der Geschäftsgang geregelt ist.«
Da reichte ihr der Sohn wortlos den einen der Entwürfe über den Tisch, und sie saßen sich gegenüber und schrieben Brief auf Brief, bis der letzte erledigt war. Und sie unterschrieben sie gemeinsam.
Das war ihr erstes Tagewerk, und sie aßen ein paar Bissen und legten sich todmüde zu Bett. In der Nacht aber merkte Fritz, daß seine Kammer geöffnet wurde und die Mutter mit einem Licht eintrat, das sie mit der Hand abblendete. Er rührte sich nicht und behielt die gleichmäßigen Atemzüge bei. Und die Mutter stand lange an seinem Bett und betrachtete ihn und ging dann leise wieder hinaus. Er schlug die Augen auf. Ihm war, als ob das Licht noch in seiner Kammer wäre. Und dann schlief er fest und ruhig weiter.
Am anderen Morgen waren die Arbeiter mitsamt dem Haniel von der Mühle im Schmelzbau versammelt. Frau Margarete Stoltenkamp ging mit ihrem Ältesten über den Hof zu ihnen hinüber und dankte ihnen für das Geleit.
»Ich wollte euch mitteilen, daß ich meinen Sohn Fritz zum Teilhaber und Geschäftsführer genommen habe, und euch fragen, ob ihr damit zufrieden seid.«
»Das sind wir gewißlich,« sagte der lange Haniel, und die anderen murmelten es ihm nach.
»Er ist noch jung,« fuhr Frau Margarete Stoltenkamp fort, »aber er war in seines Vaters Lehre. Und darum, mein ich, müßt ihr nicht auf seine Jahre sehen, sondern auf seine Leistungen.«
»Wer jung is,« antwortete der Schmelzer Poensgen» »hat lange Schaffenszeit vor sich, un die hat noch keinem Menschen geschadet. Im übrigen kennen wir uns ineinander aus, der Herr Fritz un wir.«
Fritz Stoltenkamp trat unter sie. »Also dann wär's abgemacht. Jeder gibt her, was er kann.«
»Jawoll, Herr Stoltenkamp.« Und der Arbeitstag nahm seinen Anfang. –
Fritz Stoltenkamp bestieg seinen Gaul. Er brachte die Tiegelgüsse zur Mühle wie an jedem Tage. Auf den aufgeweichten Feldwegen holte er den Hammerschmied Haniel ein, der durch die Wasserlachen stapfte und den Rauch seiner Tonpfeife nach allen Windrichtungen blies, um die Mücken fernzuhalten. »Das Kraut können sie nämlich nich vertragen, Herr Stoltenkamp. Un ich vertrag 's auch selber nur aus Heimtücke auf die Biesters.«
»Wie geht's zu Hause, Haniel? Ist die Frau immer noch so munter?«
»Die Frau hat einen kleinen Kürassier gekriegt. Da muß sie verdammt schonend behandelt werden, denn sie is man lütt.«
»Da gratuliere ich, Haniel. Meine Mutter wird dann wohl herauskommen. Wie fühlst du dich denn als Vater?«
»Gar nich, Herr Stoltenkamp. Ich bin in die Reserve gerückt, müssen Sie wissen. Der Schreihals geht vor.« Fritz Stoltenkamp ritt eine Weile schweigend neben dem Betrübten her. Seit gestern verwunderte ihn etwas.
»Weshalb nennst du mich plötzlich ›Sie‹ und ›Herr Stoltenkamp‹, Haniel?« fragte er unvermittelt. »Hab ich dir was angetan?«
Der Hammerschmied nahm vor Erstaunen seine Pfeife aus dem Mund.
»Herr Stoltenkamp – na, dat is stark. Unsereins hat doch auch seine Lebensart un weiß, wat sich gehört. Dat war ja noch schöner, wenn dat nu so alle Tage weiter hieß: Fritz hier un Fritz da. Sie sind jetz die Firma un sind der Herr. Dat is abgemacht un verlangt seine Achtung.«
»So, so. Das versteh ich. Und nun muß ich mir euch gegenüber auch das Du abgewöhnen, Haniel.«
»Fritz»« sagte der lange Haniel und blieb mitten in einem Tümpel stehen, »dat riskier nur einmal. Dat wär en Kündigungsgrund auf den sofortigen Entlassungsfall. Also verstehen wir uns, oder verstehen wir uns nich mehr, Herr Stoltenkamp?«
»Natürlich verstehen wir uns, du alter Grobschmied. Wenn du willst, bis ans Lebensende.«
»Dat soll en Wort sein, Herr Stoltenkamp.«
Auch an diesem Morgen wartete Fritz Stoltenkamp sehnsüchtig auf den Augenblick, in dem der am oberen Nachlauf gelegene Müller die Stauwerke ziehen werde. Seine ganze Arbeit wurde ihm durch dies Abhängigkeitsverhältnis gestört und zerstückelt, und er erwog, ob er nicht kurzerhand die Mühle aufgeben und das Hammerwerk an einer bequemeren Stelle neu errichten solle. Aber ihm war, als säh er mit einem Male das blasse Gesicht seines Vaters mit der rastlos arbeitenden Stirn vor sich, und er sagte laut: »Abwarten. Alles in seiner Ordnung und zu seiner Zeit. Vom Kleinsten zum Größeren.«
»Der Frowein ist ein fixer Gesell,« meinte er, als er sich von dem Hammerschmied Haniel verabschiedete. »Mit seinen zwanzig Jahren zeigt er viel Übersicht und Anordnungsgeschick. Obwohl er erst zwei Jahre im Schmelzbau arbeitet, kennt er sich aus wie ein Alter.«
»Der Frowein hat nich nur Hand,« bestätigte der Hammerschmied, »er hat auch Kopf. Er war auf der Bürgerschule, und dat wir anderen nur bei irgend so einem Hinternverhauer zusammengepfercht wurden wie die Schafe im Stall, dat macht sich eines Tages für jeden von uns bemerkbar. Da is keine Biegsamkeit im Hirn, Herr Stoltenkamp. Lauter Borke um den Kopp.«
»Und der Frowein hat die Biegsamkeit im Hirn?«
»Der hat sie. Un wir erkennen dat von wegen der Firma auch neidlos an.«
»Ich frage nur,« sagte Fritz Stoltenkamp, »für den Fall, daß ich einmal einen Vertreter brauche. Denn ich werd doch demnächst einmal die Kundschaft aufsuchen müssen. Da muß einer zu Haus sein, der die Arbeit einteilt, und den ihr kennt.«
»Nehmen Sie den Frowein, Herr Stoltenkamp. Treu wie Gold sind sie alle. Aber wie gesagt – die Borke!«
Fritz Stoltenkamp hatte eine Aufnahme der Fertigwaren vorgenommen, des Gußstahls und der Rohstoffe. Es mußte etwas geschehen, um das Lager zu räumen und Luft zu schaffen. Oder all das mühsam Geschaffene konnte in ein Museum. Nun hatte die Düsseldorfer Münze eine größere Bestellung an Stempeln geschickt und auf Betreiben des Münzwardeins Noelle gleichzeitig eine Anzahlung überwiesen. Das half für den Augenblick. Aber auf solche Augenblicke durfte sich ein Geschäft, das außer der Zahlung der Arbeiter und der Lieferanten auch noch Schuldentilgungen vorzunehmen hatte, nicht verlassen. Und der junge Geschäftsführer saß Abend für Abend am Schreibtisch des Vaters, rechnete und entwarf.
Ihm gegenüber saß Frau Margarete, den mädchenhaften Kopf mit dem schönen Braunhaar tief über die Geschäftsbücher gebeugt. »Die Buchführung geht schon ganz gut, Fritz. Ich habe mich heute nur dreimal geirrt und die Fehler alle wiedergefunden. Das Familienoberhaupt wird schon zufrieden mit mir werden.«
Das Familienoberhaupt mit dem Knabenkopf auf dem hochgeschossenen Körper errötete.
»Überarbeite dich nicht, Mutter. Auf dir liegen doch auch alle Haushaltungssorgen.«
»Soll das vielleicht eine leise Abschiebung bedeuten?«
»Ach, Mutter, ohne dich würd ich ja überhaupt nicht fertig. Du machst mir den Kopf frei für andere Gedanken. Aber der erste und letzte Gedanke ist doch, daß du uns gesund bleibst.«
»Nein, Fritz,« sagte Frau Margarete ernst, »daß du gesund bleibst. Darauf kommt es in erster und letzter Linie an. Denn du bist die Firma, und mit der Firma leben und sterben wir. Wir beide, deine Geschwister, der Poensgen, der Haniel, der Frowein, und wie sie alle heißen, und mit ihren Frauen und Kindern dazu. Das ist eine große Sache, Fritz.«
»Ja, Mutter. Acht Familien! Dafür lohnt es sich schon!«
»Und die Haushaltungssorgen?« fuhr Frau Margarete fort. »Siehst du, da hab ich im kleinen, was du im großen hast, und ich möchte es gar nicht anders, denn dadurch erst wächst mir das Verständnis für die Sorgen des Fabrikherrn, und wir rücken täglich näher zusammen. Und dann, Fritz. Zu Ostern verläßt Amalie die Schule und kann mich im Haus entlasten. Bis dahin aber muß sie durch die richtige Lehre der Sparsamkeit gegangen sein, damit ihr die Lebensführung, wie sie uns jetzt vorgeschrieben ist, als die selbstverständliche erscheint und gar nicht wie Armut. Und dem strudelköpfigen Eberhard kann das ›Sich-nach-der-Decke-strecken-müssen‹ auch nicht schaden.«
Sie lachte ihn mit den Augen an.
»Da hätte ich also eine richtige Verteidigungsrede gehalten, und der Herr Staatsanwalt werden selbst den Freispruch beantragen müssen.«
»Mutter,« sagte der große Junge mit schwer verhüllter Zärtlichkeit, »woher nimmst du als schwache Frau nur diese Verwandlungsfähigkeit?«
»Schwache Frau,« wiederholte Frau Margarete. »Verwandlungsfähigkeit.« Sie legte die Schreibfeder, mit der sie gespielt hatte, vor sich auf den Tisch und faltete die Hände darüber. Versonnen blickte sie ins Leere.
»Zu allem unseren Tun, Fritz, gehört Liebe. Der Glaube kann Berge versetzen, heißt es in der Bibel, aber die Liebe kann es noch besser und macht nicht einmal so große Worte darum. Schwache Frau, sagtest du vorhin, Fritz. Und da sahst du mich, wie mich auch die Großmutter immer sah, im geblümten Kleid und Stöckelschuh und ein paar Bänder oder Blumen im Haar den ganzen Tag wie einen übermütigen Sonnenvogel durchs Haus schwirren. Ich weiß gar nicht, ob das meine innerste Art war. Ich weiß überhaupt nicht, was meine innerste Art ist. Das wissen wohl die Frauen, die mit aller Inbrunst zu lieben verstehen, alle nicht. Aber was ich wußte, das war, daß dein Vater mich so und gar nicht anders nötig hatte, daß dieser Mann, der trotz seiner überragenden Begabung im Leben da draußen so glücklos blieb, in den vier Wänden seines Heims eine Entschädigung brauchte, daß er oft glaubte, all das Glück nicht fassen zu können, und die Niederlagen im Leben gar nicht in ihrer ganzen Schwere empfand. Denn sonst wäre er uns nicht erst jetzt, sonst wäre er uns schon vor zehn Jahren zusammengebrochen und nicht wieder aufgestanden. Darum, darum war ich – schön.«
Ihr Blick kehrte aus der Ferne zum Sohne zurück, der ihr wie gebannt gegenübersaß.
»Und was du Verwandlungsfähigkeit nennst, Fritz, dieser schnelle Übergang von der Verwöhnung in die Gewöhnung ist gar nichts anderes als die Übertragung all der Liebe auf den Erben.«
»Mutter,« sagte Fritz Stoltenkamp und wußte nicht, was er dem einen Wort hinzufügen sollte.«
Frau Margarete hatte sich erhoben. Auch in dem schwarzen Gewand blühte ihr feiner Körper wie eine seltene Blume. Sie trat hinter ihren großen Jungen und wand ihm die kühlen Hände um die Stirn.
»Es gibt Dichter, Fritz, die ewig von dem großen Frauenrätsel schreiben. Es gibt gar keine Frauenrätsel. Es gibt nur Frauenliebe. Das mußt du als Familienoberhaupt aber wissen.«
Eine Sekunde lang drückte sie ihre Wange auf sein Haar. Dann ging sie hinaus und ließ ihn den Abend allein.– –
Nun war auch der Oheim Wilhelm Grote erschienen, »um einmal nach dem Rechten zu sehen«. In dem glattrasierten, rotbraunen Gesicht mit dem kantigen Bauernschädel und den klugen Kaufmannsaugen war ein Schatten von Verlegenheit aufgetaucht, als er sich dem Neffen zum erstenmal allein gegenübersah, aber er wurde von dem knorrigen Mann rasch überwunden.
»Du hast einmal im Zorn nach mir gehauen, Fritz, aber das ist verjährt und würd auch sonst nicht viel auf sich haben. Denn mein Walter sagte, er hätt's an deiner Stelle nicht anders gemacht, obwohl das ja eigentlich die umgekehrte Weltordnung ist, daß die Söhne die Väter heraushauen. Also sprechen wir von deinen Angelegenheiten, die du heute wohl anders ansiehst als dazumal.«
»Es tut mir leid, Ohm Grote, daß ich dir damals wehe getan habe.«
»Wehe? Sehe ich aus wie ein Waschlappen? Das ist hier ein rheinisch-westfälischer Dickschädel, und der hat schon ganz andere Püffe ausgehalten. Weshalb ich zu dir komme, sagte ich dir schon. Um einmal nach dem Rechten zu sehen.«
»Es ist alles beim Rechten, Ohm Grote. So gut es eben geht.«
»Aber es könnte besser gehen, willst du damit sagen. Und das glaube ich dir unbesehen.«
»Es wird schon kommen, Ohm Grote. Den Berg hinauf gehen die Pferde immer am schwersten.«
»Dann nimmt man sich Vorspann, mein Junge, spannt ein Paar fremde Hengste mit ein, die die Sache machen.«
»Die fremden Vorspannhengste, Ohm Grote, würden meinen Kleppern den Haber wegfressen, und wenn mir die dann an Futtermangel verreckten, hätt ich gar nix mehr und könnt als Pferdetreiber neben dem fremden Vorspann hühotten. Da racker ich mich schon lieber ein bißchen mühsamer mit dem eigenen Gespann den Berg hinauf, als zu guter Letzt anderer Leute Knecht und Zutreiber gespielt zu haben.«
»Donnerwetter,« sagte der Grubenbesitzer. »Du bist sechzehn, nicht wahr?«
»Möglich, Ohm Grote. Darüber darf ich gar nicht nachdenken.«
»Hör mal, Fritz, das war gar nicht so dumm, was du da vorhin von dir gabst. Abgesehen davon, daß es auch höchst ehrenwert war. Aber wenn sich nun einer fänd der seine Gäule zu Hause futterte und doch von Zeit zu Zeit den einen oder anderen, den er gerade untätig im Stall stehen hat, als Vorspann schickte –«
»Ohm Grote,« sagte Fritz Stoltenkamp gelassen, »du bist, was Verdienen betrifft, von Anfang an einer der klügsten Männer im ganzen Rhein-Ruhr-Gebiet gewesen. Aber um ein Paar schöner Augen willen hast du noch nie einen Groschen fahren lassen.«
»Du hast gar keine schönen Augen!« schrie der Oheim. »Eulenaugen hast du, die bei Nacht sehen, wie deine Großmutter. Wenigstens das eine, denn das andere sieht bei Tage durch einen Berg von Reisbrei die Bretter, mit denen die Welt vernagelt ist!«
Da lachte Fritz Stoltenkamp, daß es schallte.
»Nun hast du es selber gesagt, Ohm Grote. Man glaubt, man frißt Reisbrei, und rennt sich zum Schluß den Schädel an einem Balken ein. Nee, Ohm Grote, da wollen wir lieber die Gier ein wenig bemeistern und den Kopf auf den Schultern behalten.«
Der Grubenbesitzer starrte den Neffen an. Das war ein Schlag für sich. Der Schlag gefiel ihm. »Junge, Junge,« sagte er, »bist du nun eigentlich so schlau, oder stellst du dich nur so?«
»Ich stell mich wohl nur so, Ohm, denn von Schlauheit kann gar nicht die Rede sein. Ich rechne einfach so: Der Gußstahl bringt mir vorläufig nur soundsoviel herein. Von dem sogenannten Reingewinn habe ich alljährlich die Schulden zu tilgen. Nehme ich noch Schulden dazu auf, so hebt sich möglicherweise der Umsatz durch allerhand Neueinrichtungen, sicher aber werden mir die Hände ebenso fest gebunden durch die erhöhte Zinszahlung. Dazu bin ich mit dem Gußstahl aber noch nicht weit genug. Und gerade der Gußstahl verlangt eine zarte, feste und frei verfügende Hand, die sich nicht in der Angst ums bloße Geld hinreißen läßt. Deshalb tilge ich zunächst Vaters Schulden, und wenn's in Blut und Schweiß sein muß, um Ellbogenfreiheit zu kriegen. Ich bin kein Spekulant. Ich weiß, daß ich eine gute Ware liefere, und was sie wert ist.«
»Also Geld willst du nicht?« meinte der Ohm Grote und erhob sich.
»Erst Aufträge, Ohm Grote. Soviel nur herein wollen. Eher habe ich keine Unterlage für fremdes Geld. Wenn du mir helfen kannst, Aufträge hereinzubekommen, Aufträge, daß die Essen rauchen, werd ich dir wahrhaftig dankbar sein.«
Der kluge Geschäftsmann verzog ein wenig das Gesicht, daß ein paar Fältchen um die Augen zuckten. »Lohnende Aufträge zu kriegen, ist schwerer als billiges Geld. Na, werden die Augen schon offenhalten, Fritz.«
Er war schon in der Tür, als er noch einmal stockte.
»Mein Jung läßt dich übrigens grüßen, der Walter. Ich hab ihn jetzt bei mir in der Lehre, und er macht seine Sache ordentlich, bißchen zu ordentlich beinah für meinen Geschmack. Zu viel Überlegung, daß auch kein Stäubchen an die Stiebel kommt; im Kohlenbetrieb! Wär vielleicht mal ein Teilhaber für dich, Fritz.«
»Wenn's zusammengelegt wird und auf halbpart geht, soll's mir recht sein, Ohm Grote.«
»Du,« sagte der Grubenbesitzer und tippte ihm mit dem ausgestreckten Zeigefinger gegen die Brust, »du weißt also wirklich nicht, ob du dich nur schlau stellst? Na denn: Glückauf, Fritz.«
»Glückauf, Ohm Grote. Und den Walter, den grüß wieder.« –
Es war Sonntag nachmittag, und Frau Margarete kam herein und benachrichtigte ihn, daß seine Freunde gekommen seien. »Sie sind hinauf auf deine Dachstube, da sie den Ohm Grote bei dir hörten. Fritz, der hat dich bei mir über den grünen Klee gelobt.«
Fritz Stoltenkamp lachte. »Der hört das Gras wachsen, Mutter. Der weiß schon, weshalb er herüberkommt. Der glaubt an den Gußstahl, Mutter!« Und dann lachte er noch einmal. »Ich aber noch mehr, Mutter!« Und er sprang die Stiege hinauf zu den Freunden.
Alle fünf waren sie da, und sie lagen auf dem Bett wie auf einem Diwan, hockten auf den Holzschemeln, sahen auf dem Tisch und liehen die Beine baumeln, und jeder Winkel der kleinen Dachkammer war von ihnen und ihren schwirrenden Jugendstimmen angefüllt.
»Beneidenswert wohnst du, Fritz! Wie ein Fürst wohnst du! Keinen Höheren über dir! Und wenn der Kerl nachts auf dem Rücken liegt, guckt er in den Himmel und zählt die Engelchen!«
Das wirrte und schwirrte um den Eintretenden, daß er kaum ein Wort verstand und nur die Hände drücken konnte» die sich ihm entgegenstreckten. »Wir kommen nur, weil der Felix Moldenhauer heut abend wieder Zu seiner Kanone muß. Der Urlaub ist herum. Der Herr Wachtmeister winkt dem feinen Knaben. Freiheit, die ich meine!«
»Das ist kameradschaftlich, daß ihr an mich denkt. Bring doch das nächste Mal deine Kanone mit, Felix. Dann sagst du dem Wachtmeister, was du immer dem Lehrer sagtest, wenn du die Schule schwänztest: Ich arbeite zu Hause.«
Und in das Gelächter hinein sprach herablassend der junge Kanonier: »Ihr versteht einen Dreck vom königlichen Dienst. Aber wartet nur, wenn ich übers Jahr im schimmernden Portepee erscheine, dann werdet ihr euch klein und häßlich vorkommen, ihr rußigen Kohlenzwerge und Eisenwürmer.«
»Moldenhauer,« rief der übermütige Jan Kroger, der bei einem Malermeister lernte, »Moldenhauer, das nimmst du zurück, denn auch ich bin in Arkadien geboren und werde ein Künstler und kein kohlender Zwerg. Du nimmst es zurück, oder ich male dich so naturgetreu, daß jeder Beschauer sagen wird: Mensch, nehmen Sie doch mal die dumme Maske herunter.«
Und wieder sprach in das Gelächter hinein die herablassende Stimme des zukünftigen Offiziers: »Du bist hiermit ausgenommen, Jan Kröger.«
»Diese beiden Jünglinge können uns nicht beleidigen,« meinte Karl Schulte, der das Eisenhüttenfach erlernte, zu Robert Hüttemann aus dem Kohlengrubenbetrieb. »Sie gehören zu Ständen, die der allgemeinen Wohltätigkeit zur Last fallen, denn für den einen zahlen wir mit unseren Steuern und für den anderen mit unserer Tugend.«
»Da zahlt Robert Hüttemann lieber mit der Tugend,« rief der angehende Maler, »denn auf Geld ist er eklig. Ich werde ihn malen, wie er Geldsäcke schluckt, als wär's ein Gericht Speckklöße.«
»Schimpf nicht auf das Geld,« knurrte der breitschultrige Hüttemann. »Geld ist Macht. Für Geld kauf ich mir die Welt und ein Dutzend Spaßmacher wie dich dazu.«
»Wenn du dir ein Dutzend Lauten kaufst, mein Sohn, bist du noch lange kein zierlicher Lautenschläger, sondern immer noch der Kohlen-Hüttemann.«
»Und wenn der Karl Schulte,« rief der junge Kanonier plötzlich befehlshaberisch, »so viel von der Wohltätigkeit fabelt, so soll er mit uns ins nächste Wirtshaus gehen – hic Rhodus, hic salta!«
»Der Mensch spricht Latein! Woher des Wegs, wunderbarer Fremdling?«
»Das lernen sie alles bei der feinen Artillerie. Überhaupt: das durch die Blume sprechen.«
»Moldenhauer,« sagte der begüterte Karl Schulte, der am liebsten unter den Arbeitern saß; und die Hebung ihres Loses auf sein zugendliches Sturmpanier geschrieben hatte, »solange du noch selber nach ›eins – Zwei – eins – zwei‹ an der Kanone arbeitest und dich eher für eine Schildkröte als für einen tändelnden Schmetterling hältst, sollst du gelabt werden, und wäre es mit meinem letzten Herzblut.«
»Bitte sehr. Hier ist keine Volksversammlung. Hier wird ganz reell vom ›Wirtshaus‹ gesprochen.«
»Und alle meine Granden sind geladen.«
»Ich glaube, der Max Schlechtendahl ist auf dem Tisch eingeschlafen. He, Max, bleibe bei dir, Max.«
Der Angerufene zwinkerte. Er war, gegen die stämmigen Freunde gesehen, klein und schmächtig und hatte übernächtige Augen. Wie Menschen, die nachts viel zu lesen pflegen. Er war aus kleinen Handwerkerkreisen und bei einem Buchhändler in der Lehre, der auch ein Schreibwarenlager führte, und von dem brennenden Ehrgeiz besessen, in die Höhe zu gelangen, wie es allen jungen Menschen des aufstrebenden Eisen- und Kohlengebietes eigen war.
»Ja? Rieft ihr mich? Was ist los? Ich bin immer dabei!«
»Max,« sagte Fritz Stoltenkamp, der gerade für den Kleinen eine Vorliebe hatte, »du wärst im Schlaf beinahe vom Tisch gefallen, und vor fünf Minuten strampeltest du noch mit den Beinen.«
Der Schmächtige blickte sich nach den Kameraden um. Die rüsteten lärmend zum Aufbruch.
»Ich hab die Nacht durchgearbeitet, Fritz, und war heut morgen auf Kundschaft,« flüsterte er schnell.
»Auf Kundschaft? Am Sonntagmorgen? Für deinen Buchhändler?«
»Auf eigene Rechnung. Auf den kleinen, versteckten Hämmern und Schleifkotten im Land, wo niemand hinkommt, da ist noch Geld zu verdienen. Aber gut zu Fuß muß man sein und seinen Kasten selber tragen können.«
Fritz Stoltenkamp horchte auf. »Wo niemand hinkommt? Geld zu verdienen?« Wort für Wort sprach er nach.
»Das ist eine wallensteinische Verschwörung!« rief Jan Krüger und warf sich zwischen sie. »Wo ist der Hut des Max Piccolomini? Hier ist er, mein Kleiner. Was, Stoltenkamp, du zauderst, wo die Trompeten blasen? Ach, entschuldige. Ich bin ein Flegel. Du kannst ja nicht.«
»Nein, ich kann nicht. Und ich werde wohl sehr lange nicht können. Aber wenn ihr mich mitunter des Sonntags besuchen wollt, damit ich den Firnis behalte, so wißt ihr, wie willkommen ihr seid.«
Die Schar drängte hinaus. Als letzter ging Max Schlechtendahl, der Buchhändlerlehrling, der in eigenen Geschäften reiste. Fritz Stoltenkamp faßte ihn beim Arm. »Kannst du nicht wiederkommen?«
»Für Ernstes bin ich zu müde heut, Fritz. Morgen abend nach Feierabend.«
»Gut. Morgen abend nach Feierabend.«
Eine lange Weile noch stand er sinnend am Dachfenster und blickte zum Schmelzbau hinüber und weiter in das sommerliche, erntereife Land. Noch ein paar Tage, und die Sensen würden durch die Weite klingen.
Wann würde auch er unter den Schnittern gehen? Korn zu schneiden, um es aufs neue auszusäen. –
Er nahm sein englisches Lehrbuch vom Bücherbrett. Bis ihn die Mutter zum Abendbrot rief, ging er in halblautem Lernen in seiner Dachkammer auf und ab. Auf und ab ... Unermüdlich.
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