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Alle Gedanken Fritz Stoltenkamps gingen unter in dem einen Gedanken: Geld. Wohin er blickte, stierte ihn die Frage an. Wohl hatte das Werk Aufträge für Tausende von Talern, wohl brachte ihm jeder Posttag neue Bestellungen seiner Vertreter und Wiederverkäufer, neue Verbindungen und neue Aufgaben. Aber da er seinem Geschäftsgrundsatz treu geblieben war und für jedes Stück, das mit seinem Fabrikzeichen versehen hinausging, eine zeitliche Bürgschaft übernahm, so zog sich der Eingang der Bezahlungen oft lange hinaus, während die Gruben und Hüttenwerke eine Überschreitung des Kredits nicht zugaben. Geld forderten sie, und Geld forderte die Ausbreitung des Werkes, sollte es in der Lage sein, die einlaufenden Bestellungen glatt zu bewältigen und nicht bruchstückweise und tropfenweise, wie die geringen Arbeits- und Maschinenkräfte es eben zuließen. Und Geld und dreimal Geld forderte Neubau und Neueinrichtung, auf einer Grundlage errichtet, die der Zukunft des Wertes entsprach und die Bewältigung auch der größten Aufgaben zuließ.
Geld! Geld!
Schon tönten verheißungsvoll ein paar vereinzelte Pfiffe der Eisenbahn durch die Welt, des neuen Verkehrs- und Beförderungsmittels, und kündeten eine Umwälzung von noch nicht übersehbarer Tragweite an. Doch wer Ohren hatte zu hören, der hörte. Und Fritz Stoltenkamp hatte ein feines Gehör. Eine Umwälzung im Personen- und Güterverkehr, die nie dagewesenen Fortschritt bedeuten sollte, konnte nicht ohne eine ungeheure Steigerung des Stahlverbrauchs vor sich gehen. Da mußte er auf dem Plan, da mußte er gerüstet sein.
Geld! Geld! Geld!
Er ging zur Großmutter hinaus, die noch immer bettlägerig war. Sie streckte ihm eine abgearbeitete Hand entgegen und ließ ihn an ihrem Bette niedersitzen. »Wie geht es dir, Fritz?«
»Sie meinen, wie es dem Werk geht, Großmutter? Dem Werk geht es besser, als es vertragen kann, und so geht es auch mir. Etwas vollblütig, Großmutter, und daher Furcht vor Blutstockungen. Ich suche einen billigen Arzt.«
Frau Jodokus Stoltenkamp sah ihn prüfend an. Sie las in ihrem Enkel wie in den Seiten ihres klargeführten Hauptbuches.
»Ich freue mich immer, dich zu sehen, Fritz,« sagte sie mit einer greisenhaft dünn gewordenen Stimme. »Und was ich sehe, ist gut und ganz nach meinen Voraussetzungen. Du und das Werk, ihr seid aus den alten Kleidern herausgewachsen und braucht neue. Kannst du sie schaffen? Sind die alten Rechnungen bezahlt?«
»Großmutter,« antwortete der Enkel, »es besteht keine alte Verbindlichkeit mehr vom Vater her. Die letzte ist in diesem Jahr gelöscht, und die Stoltenkamps können offenen Auges in jede Haustür treten. Sie wissen selber, Großmutter, was es uns gekostet hat. Ohne die Mutter wär's nicht gegangen. Ohne diese selbstverständliche Einschränkung und Sparsamkeit nicht. Seit Vaters Zusammenbruch, seit wir in das kleine Haus übersiedelten, hat sie in der Stille mit uns gelebt, wie eine Taglöhnerfamilie lebt. Und nie eine Klage, nie auch nur ein Seufzer, nur immer die leuchtenden Augen und ihr alles bestrahlendes Wesen. Die Fabrik wuchs, der Name wuchs, unsere Einschränkung blieb, um das alles zu ermöglichen.«
»Und nun, Fritz? Wie denkst du?«
»Und nun, Großmutter? Nun, da wir aus dem gröbsten heraus sind und ich an ein schöneres und freundlicheres Leben für die Mutter denken möchte, brauche ich jeden Pfennig, den ich nur ergattern kann, um aus dem alten Werk das neue zu schaffen, und die Mutter wird wieder verzichten müssen. Das ist niederdrückend.«
Die hageren Hände der Alten spielten auf der Bettdecke.
»Du bist ein außergewöhnlicher Geschäftsmann, Fritz, und ein herzlich schlechter Frauenkenner.«
»Großmutter – wie kommen Sie auf diesen merkwürdigen Gedanken?«
»Er ist nicht merkwürdig, gar nicht merkwürdig. Denn ich sage dir, Fritz, ein schöneres und freundlicheres Leben kannst du einer Frau gar nicht schaffen, als du es deiner Mutter schaffst. Teilnehmen können an den Sorgen und Mühen des Menschen, den man liebt, ihm davon abnehmen, ihn darüber hinwegbringen und sehen dürfen, wie es sich lohnt in den Erfolgen des geliebten Menschen. Ach, mein lieber Enkelsohn, was will da einer rechten Frau das bißchen Verzichtleisten auf die Genüsse der großen Welt besagen? Es gibt ja keine größere Welt als die, an der wir täglich in uns bauen. Die da draußen ist ja nur eine Zusammentragung der Vielheit und ganz gewiß nicht der schönsten der Bilder. Deine Mutter ist reich, Fritz.«
Ihre Blicke wanderten in die Ferne, und die Hand strich langsam über das Leinentuch, das ihre eingefallene Brust barg.
Auch Fritz Stoltenkamp blickte mit weit geöffneten Augen hinaus. Als horchte er noch auf jedes Wort.
»Ich danke Ihnen, Großmutter,« sagte er endlich und atmete tief auf. »Und nun wollen wir von den Geschäften sprechen.«
»Du suchst Geld. Viel Geld. Du willst eine Dampfmaschine bauen und das Hammerwerk neben die Fabrik setzen. Das ist gut, Fritz, und ich rate dir selbst dazu. Aber Geld kann ich dir nicht geben.«
»Ich verpfände den Reingewinn der laufenden Aufträge dafür, Großmutter. Wir sind ja an Schmalhans gewöhnt, wir daheim.«
»Ich gäbe es dir auch ohne das Pfand. Dein Ernst und dein Wille sind mir Pfand genug. Fahre zum Vetter Grote hinaus. Er wird dir zuerst allerlei eigennützige Vorschläge machen, um sein Schäfchen zu scheren. In Geschäftssachen würde er den eigenen Vater über den Löffel balbieren. Laß dich auf nichts ein, was über den dir selbst gesteckten Rahmen hinausgeht. Doch das brauche ich dir ja nicht besonders zu sagen. Der Vetter Grote wird auch ohnedies wissen, auf seine Kosten zu kommen. Was mich betrifft –«
»Ja, Großmutter –« Und er wartete, bis sie weitersprechen würde.
»Fritz, ich glaube, ich mach nicht mehr allzu lange mit. Die Arbeit hätt mich jung gehalten, aber ich habe ohne Freude gearbeitet und nur aus Stolz und Hochmut. Du weißt die Gründe, Fritz. Deine Mutter, Fritz, ach ja, deine Mutter –! Dazu hat's mir immer gefehlt, und was ich ihr früher oft übelnahm, das Lachen und die ganze Heiterkeit des Wesens, darum möchte ich sie heute fast beneiden. Ich bin abgeschweift, Fritz. Mein Kopf ist müde und verbraucht. Aber ich muß doch noch über das mit dir sprechen, was für das Werk der Stoltenkamps nach mir bleibt. Heute sind es nur schlechte Wiesen und ertragsarme Äcker. Dein Großvater konnte sie nicht verkaufen, weil keiner darauf bot, und ich hab sie dann festgehalten mit aller Kraft und immer noch billig hinzugekauft, bevor die Zechen und Gruben ans Kaufen dachten. Es sind tausend preußische Morgen geworden, Fritz, ohne Lücken, draußen vor der Stadt, wo der Schmelzbau steht und das kleine Haus. Verkaufe nichts davon, auch nicht, wenn du Geld für die Erweiterung der Fabrik brauchst. Geld findest du immer, den Boden nie wieder. Denn das Stoltenkampwerk wird wachsen und wachsen, und du wirft mich einst segnen, daß ich ihm die Möglichkeit gab.«
Ihre Augen hatten einen starren Glanz. Die Hände lagen fest und ruhig auf der Brust.
Und wieder sagte Fritz Stoltenkamp: »Ich danke Ihnen, Großmutter.« Und er erhob sich, um der müde gearbeiteten Frau nicht länger die Ruhe zu stören. »Ich verspreche es Ihnen und danke Ihnen für alle Voraussicht. Und nun werden Sie bald wieder gesund.«
Sie lag und starrte und erwiderte auch seinen Abschiedsgruß nicht, als er das Zimmer verließ. –
Geld! Geld!
Wieder sang und klang das Wort in seinen Ohren bei jedem Schritt, den er auf dem Nachhauseweg tat. Der Vetter Grote hatte es ihm vor Jahren angeboten, und er hatte es abgelehnt. Heute brauchte er es nicht abzulehnen. Das Erbe war schuldengetilgt, die laufenden Aufträge boten jede Unterlage. Nicht genügend für eine Bank oder doch nur, wenn ihr eine Bevormundung zugestanden würde. Bevormundung! Fritz Stoltenkamp lachte kurz und hart. Seit seinem sechzehnten Jahr war er der Herr und hatte es bewiesen. Nur nach seinen unverrückbaren Plänen hatte die Fabrik ihren Entwicklungsgang zu laufen, nicht nach Börsenlaunen.
Vorwärts denn. Zum Ohm Grote.
Am selben Nachmittag schon fuhr er hinaus. Denselben Weg, den er einst als Knabe mit seinem Vater gewandert war. Auch der Vater als Bittsteller. Und der Faustschlag fiel ihm ein, den er damals nach dem Ohm geführt hatte. Und jetzt – fuhr er denselben Weg.
Nahe der Ruhr lenkten neue, große Zechengebäude seinen Blick auf sich. Nüchtern und schmucklos standen sie da, aber trotzig und drohend. Das Werk Robert Hüttemanns waren sie, des Schulkameraden, der mit den anderen zur Beerdigung des Vaters gekommen war und mit den anderen auf seine Dachstube, als der schmucke Moldenhauer zur Artillerie nach Düsseldorf zurückfuhr. Der Moldenhauer. Und war immer noch Leutnant. Und Jan Kröger war ihm nachgefolgt nach Düsseldorf und hatte die Akademie besucht und soff mit dem Leutnant herum. Robert Hüttemann aber war seinem Grundsatz »Geld ist Macht« treu geblieben und förderte Kohlen und sparte und rechnete und wurde! Und Karl Schulte, der Arbeiterfreund? Da lag das alte Städtchen an der Ruhr, in dem der Ohm Grote wohnte, und in dem alten und weitläufigen Schlosse hatte Karl Schulte eine Maschinenfabrik errichtet, die glänzende Arbeitsleistungen erzielte. Der Verdienst aber ging auf immerwährenden Studienfahrten darauf, die der Selbstlose unternahm, um sein Lebensziel, die Arbeiterfürsorge, der Verwirklichung näher zu bringen. Fehlte noch Max Schlechtendahl. – Da brach Fritz Stoltenkamp die Gedankenreihe ab. Die Postkutsche rasselte über die Ruhrbrücke. Dort lag Ohm Grotes breit hingesetztes Haus zwischen den schmalbrüstigen Nachbarn. Nun hieß es, seine Gedanken zusammenfassen.
»Tritt ein, mein Junge. Ein bißchen lange hat's ja gedauert. Na also – wieviel?«
»Es hat wohl keinen Zweck, dir zu sagen, daß ich dich einmal besuchen wollte?«
»Nicht den geringsten.«
»Um so besser. Dann weißt du wohl auch, daß die Schulden und Verbindlichkeiten vom Vater her bis auf den letzten Groschen gedeckt sind? Der Rest in diesem Frühjahr.«
»Der weiß es,« sagte Ohm Grote und wies mit dem kurzen Daumen hinter sich auf den Geldschrank. »Und nun willst du es wiederholen?«
»Nicht ganz so, Ohm Grote. Nur für eine kurze Übergangszeit und gegen Verpfändung des Reingewinns aus den laufenden Aufträgen. Es ist ein reines Bankgeschäft.«
»Dann wärst du zur Bank gegangen. Wie hoch beläuft sich nebenbei der Reingewinn?«
Fritz Stoltenkamp legte seine mitgebrachten Bücher vor. Mit der Ruhe des gefestigten Geschäftsmannes. Er wartete.
»Für den Privatgebrauch finde ich die angegebenen Summen einfach lächerlich. Du willst mir wohl vormachen, ihr lebtet zu Hause rein von der Luft und der Liebe?«
»Wenigstens gehört die Luft und die Liebe auch dazu, Ohm Grote. Es reicht. Wie, das ist Sache der Mutter.«
»Laß mir die Frau nicht verhungern,« polterte der Ohm, während seine Augen weiterlasen. Er las sehr ausführlich, bevor er das Buch zuklappte und von sich schob.
»Wofür brauchst du das Geld? Die Sache läuft doch nun von allein?«
»Ich muß sorgen, daß sie sich nicht zu Tode läuft. Das veraltete Hammerwerk ist ein Hemmschuh. Dem Müller oberhalb ist es einerlei, ob ich aufs Wasser warte, bis mir die Aufträge flöten gehen. Ihm ist das eigene Hemd wichtiger, und dagegen läßt sich nicht streiten. Aber auch abgesehen davon: das Hammerwerk kann nicht mehr den sechsten Teil von dem leisten, was ich heute von ihm verlangen muß. Und in ein paar Jahren muß ich vielleicht das Zehn- und Zwanzigfache verlangen. Fünftausend Taler brauche ich für eine Dampfmaschine, die die Arbeit übernimmt. Ich fange auch hier klein an. Eine zwanzigpferdige Balanciermaschine wird für die nächsten Jahre genügen. Neue und stärkere Maschinen lassen sich immer leicht einbauen, ohne daß die alte dadurch an Arbeitswert verliert. Auf zehntausend Taler beziffere ich die Verlegung und Neueinrichtung des Hammerwerks. Das macht sich schon allein durch Ersparung der täglichen Zufuhr- und Abfuhrkosten zwischen Mühle und Schmelzbau bezahlt. Bin ich einmal beim Erneuern, sollen auch die allerneusten Werkzeugmaschinen heran. Sagen wir alles in allem: dreißigtausend Taler, Ohm Grote.«
»Weshalb auch nicht? Das spricht sich grad so rasch wie die Hälfte.«
»Ohm Grote,« sagte Fritz Stoltenkamp, »ich hoffe, du hältst mich für einen ernsthaften Menschen. Muß ich einmal an die Sache ran, so darf auch nicht gestümpert werden. Ich tät's nicht, wenn ich nicht wüßte, wofür. Es macht sich doppelt und dreifach bezahlt und um so schneller, wenn wir zu Hause ein bißchen die Zähne aufeinanderbeißen.«
»Du willst wohl zeit deines Lebens die Zähne aufeinanderbeißen?« fragte der Ohm und schielte ihn von unten herauf an. »Was sagt denn die Amalie dazu und der Eberhard? Denen ist doch auch das Schnäbelchen gewachsen?«
»Der Eberhard ist noch ein bißchen Springer, wie Großmutter Stoltenkamp von den früheren Stoltenkamps zu sagen pflegte, die Amalie aber,« er schmunzelte, »ist mehr als geschäftstüchtig und weiß, was der Taler an Groschen und der Gulden an Kreuzern wert ist.«
»So? Weiß sie das? Warte –: zwanzig Jahre muß sie jetzt schon sein. Die Kleine kannst du mir grüßen.«
»Gern, Ohm Grote. Und welche Antwort hab ich von dir zu erwarten?«
Der kluge Kaufmann trommelte auf dem Tisch. Dann griff er sich ein paarmal ins Halstuch, als würde ihm das Sprechen schwer.
»Ich möchte mich nicht gern auf neue Geschäfte einlassen, Fritz. Die Jahre haben mir doch stark zugesetzt, und ich neige ein wenig zum Schlagfluß. Nicht, als ob es nun sofort sein müßte. Ich spiele ganz gern noch ein Dutzend Jährchen und mehr mit. Du verstehst, ich sage: mit spielen. Für die Arbeit hab ich mir langsam meinen Walter herangezogen, der so gut rechnet wie ich, nur – nur ein bißchen wehleidiger, wenn es heißt: du oder ich. Na, er soll nur mal erst eine handfeste Frau und eine Stube voll Kinder haben, dann legt sich das Getue schon. Meinst du nicht auch?«
»Möglich, Ohm Grote. Aber ich warte immer noch auf deine Antwort.«
»Hast du es so eilig? Gerade erklär ich dir doch, daß es bei mir nicht mehr so drängt. Die Kohlenförderung nimmt auch täglich zu. Ich sag ja nicht, daß ich darüber böse bin, aber es nimmt mich doch immer stärker in Anspruch. Und wenn mich der Schlagfluß trifft, nützen mir auch die allergrößten Kohlenförderungen nix mehr. Ja – du wartest auf meine Antwort? Meine Antwort gab ich dir schon vor sechs Jahren, als wir deinen Vater beerdigt hatten. Nimm dir den Walter als Teilhaber.«
»Du willst deine Gruben mit dem Stahlwerk vereinigen? Darüber ließe sich nachdenken.«
»Tu es nicht. Denn daran denke ich im Traum nicht. Die Gruben bleiben Grotescher Besitz. Aber der Walter könnte mit dem nötigen Kapital, das ich sofort flüssig machen würde, als Teilhaber in die Firma Friedrich Stoltenkamp eintreten.«
Fritz Stoltenkamp hob nur ein wenig die Augenbrauen und ließ sie wieder sinken. Seine Haltung war steif geworden.
»Ich suche keinen Teilhaber, Ohm Grote. Was zu schaffen ist, schaffe ich schon allein. Und brauchen können wir's auch allein. Was ich suche, ist Geld. Gutverzinstes Geld für den Augenblick und ohne jede Verlustgefahr. Willst du mir das geben, so sag es.«
»Brrr – brrr ...« machte der unternehmende Geschäftsmann. »Du, dir gehen die Pferde durch. Ein Geschäft, bei dem's nicht zum Handel kommt, ist kein Geschäft und verschlägt einem die Freud. Also einen Teilhaber lehnst du großmächtig ab. Schlag einen anderen Handel vor. Mir soll's recht sein. Und wenn ein Korb Champagner dabei herausspringt. Aber Herausspringen, das sag ich dir, herausspringen muß etwas, wenn's ein fröhlich Geschäft werden soll.«
»Du hast meinen Vorschlag in Händen, Ohm Grote. Und auf den Champagner darf ich nicht eingehen. Der ist Gift für dich bei deiner Neigung zum Schlagfluß.«
Der Grubenherr erhob sein fleischiges Gesicht. Wind und Wetter hatten es nicht allein rotbraun gefärbt. »Sieh mal da,« meinte er vergnügt, »du wirst ja humoristisch? Dann scheinst du ja deiner Sache sehr sicher zu sein.«
»Bin ich auch, Ohm Grote. Das Geschäft macht jeder mit mir. Ich wollte es nur in der Familie lassen.«
»Mensch,« sagte der Ohm Grote und reichte ihm über den Tisch hinüber die Hand, »du hast wirklich ein goldenes Herz. Und deine Familienanhänglichkeit hast du mir schon früher einmal schlagend bewiesen.«
Fritz Stoltenkamp saß mit rotem Kopf. »Also dann wäre es nichts, Ohm. Und an dem Knabenhieb lag's doch. Der ist nun mal nicht aus der Welt zu schaffen.«
»Wär auch ewig schad drum. Nee, bleib nur sitzen. Deine Postkutsche fährt erst in einer Stunde, und den Wein trinkst du bei mir besser und vor allem billiger als im Ratskeller. Zimperlich soll ich sein? Zimperlich und nachträgerisch? Ich hab den ganzen Kopf voll Beulen, sag ich dir. Im Kohlenhandel geht's nicht zu wie im Biskuitladen, und das Klinkerchen von dir damals zählt doch nur unter die schönen Familienerinnerungen. Rheinwein oder Rotspon? Sag Rotspon. Meinetwegen.«
»Rotspon,« sagte Fritz Stoltenkamp. »Aus Gefälligkeit, Ohm.«
»Hoho,« lachte Grote und schob den Schlüssel in den Wandschrank, »du denkst, eine Gefälligkeit sei der anderen wert? Mit dir ist nicht ganz so einfach Kirschen essen, scheint mir, mein Junge, und mein Sohn würde bei einer Teilhaberschaft elend den kürzeren gezogen haben.« Er setzte zwei Gläser auf den Tisch und schenkte sie voll. »Gerade richtig stubenwarm. Wovon sprachen wir doch? Ja so. Und du meinst, ich müßt dir nun eigentlich barbarisch dankbar sein, daß du mir den Walter ohne blaues Auge hast entkommen lassen. Nee, nee. das sollte keine Anspielung sein. Pröstchen, Fritz. Und die Angelegenheit, die dich zu deinem freundlichen Besuch veranlaßt hat, die beschlaf ich. Und morgen schick ich dir den Walter als Postillon d'amour.«
»Der Wein schmeckt wirklich ausgezeichnet, Ohm Grote.«
»Tut er? So'n verfluchtigen Heimtücker als du!«
Das Stündchen war verplaudert. Fritz Stoltenkamp hatte seine Bücher in die Mappe gelegt, dem Ohm die Hand geschüttelt und das Posthaus aufgesucht. Wilhelm Grote schenkte sich gerade den Rest der zweiten Flasche ein, als er das abschiednehmende Posthorn vernahm. Er trank aus und rief nach der Magd.
»Räum das Zeug mal weg. Ist der junge Herr gekommen?«
»Diese Minute, Herr Grote. Gerad die Händ waschen tut er sich.«
»Das könntest du auch mal tun, du Dreckfink. Sag dem jungen Herrn, er möcht mal zu mir kommen.«
Die Magd drückte sich eilig durch die Tür. Gleich darauf kam der Sohn.
»Fritz Stoltenkamp war hier. Das Stahlwerk hat sich unter seiner Leitung bedeutend vergrößert und hat eine noch größere Zukunft. Dem Fritz und seinem Stahl trau ich heute alles zu, und die Eisenbahnen hör ich auch pfeifen. Dreißigtausend Taler will er. Er muß Dampfmaschinenbetrieb einführen und das Hammerwerk neben die Fabrik bauen. Ich hätt dich gern als Teilhaber hineingesetzt und die Geschichte langsam angegliedert. Aber der Kerl ist selber schlau und will nicht.«
»Schade,« sagte Walter Grote und strich nachdenklich sein helles Schnurrbärtchen. »Die Stoltenkampsart sagt mir sehr zu. Ich glaube, ich hätte mich ganz wohl dabei gefühlt.«
»Na, da stimmen wir doch mal überein,« meinte der Vater in einem Tone von merkwürdiger Gutmütigkeit. »Ich kenn ja deine stille Schwärmerei für die Stoltenkamps und wollte da ein bißchen nachhelfen. Aber der Fritz macht ja nicht allein die Familie aus. Da ist zum Beispiel auch noch die Amalie ...«
»So hoch schätzest du die Zukunft des Stahlwerks ein?« fragte Walter Grote ruhig.
Der Vater stutzte. Dann lachte er schallend über den Tisch. »Junge, wo hast du die Schlauheit her? Ich bin doch nur ein schlichter Mann aus dem Volke. Aber du bringst mich da wirklich auf einen ausgezeichneten Gedanken. Auf einen Gedanken, der dem liebenden Vater in mir und dem geplagten Kaufmann in mir gleich wohltut. Wenn nicht als Teilhaber, weshalb nicht als Schwager zum Vetter Stoltenkamp? Das Werk hat eine Riesenzukunft, das sagt mir mein kleiner Finger, und die Amalie kriegt ihren Anteil wie der Fritz. Wie gefällt dir das Mädchen?«
»Streng dich nicht an, Vater. Wenn ich nicht zufälligerweise wüßte, daß sie Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat, hülf dir all dein Anpreisen nichts und die Aussicht auf ihren Fabrikanten am allerwenigsten.«
»Walter,« sagte der alte Grote treuherzig, »da gibst du mir doch zu, daß sie ein Prachtmädel ist. Das andere sind nur so Redensarten deiner noch nicht wetterfesten Jugend. Man blickt in die Zukunft, Walter, und man schlägt seine Nägel beizeiten ein. Das hat auch die alte Frau Jodokus Stoltenkamp getan, als sie all das magere Gelände an sich brachte. Unsere Kohlengrube Wilhelm stößt schon daran. Ein Prachtmädel, Walter, die Amalie. Und wird immer noch schöner. Wann hast du sie eigentlich zuletzt gesehen?«
Der Sohn strich ruhig sein Schnurrbärtchen. »Hin und wieder. Im Geschäft der Großmutter Stoltenkamp, wenn ich drüben mal zu tun hatte.«
»So, so, so ... Du hattest wohl häufig drüben zu tun? Na laß nur, mein Junge. Geheimnisse sind mir all mein Leben heilig gewesen, wenn ich dran beteiligt war. Und du bist ja ein Stück von mir. Was meinst du nun? Soll der Fritz Stoltenkamp die dreißigtausend bekommen, oder soll er sie nicht bekommen? Ich geb nicht gern Geld aus der engsten Familie heraus.«
Walter Grote hob den Kopf. »Weiß Fritz Stoltenkamp von deinem – deinem Vorschlag?«
»Du willst mich wohl uzen? Ich hab an der einen Prügelei genug.«
»Dann ist noch nichts verdorben, Vater. Da hast du mal wirklich Glück gehabt.«
Er erhob sich und ging durchs Zimmer. Groß, schlank und sehnig wie sein Vetter Stoltenkamp. Nur einen stilleren Zug um die Augen.
»Du willst ihm also die dreißigtausend Taler geben, Vater? Eigentlich unsinnig, die Frage. Das Geld ist sicherer angelegt als irgendwo.«
»Wenn du willst, Walter?« fragte der alte Grote forschend. »Ich hab gesagt, du brächtest morgen meine Antwort.«
»Also bis morgen denn, Vater. Ich möcht nach der Tagesplackerei noch ein wenig ins Kasino.« –
Am nächsten Mittag fuhr Walter Grote mit der Post über die Ruhr. »Glückauf,« sagte der Alte und tat einen behaglich schnaubenden Atemzug hinter ihm her. »Ehen werden im Himmel geschlossen, aber auch die auf der festen Erde geschlossenen haben zuweilen ihr ganz Vergnügliches.«
Als Walter Grote nach einstündiger Fahrt in der Nähe des Stoltenkampschen Stahlwerks angelangt war, ließ er den Postillion halten und ging quer durch die Felder auf sein Ziel zu. Amalie Stoltenkamp sah ihn von weitem kommen und wunderte sich, woher der Vetter Walter die Zeit zum Spazierengehen nehme, denn der Bruder hatte von seinem Besuche so wenig erwähnt wie von seinen anderen geschäftlichen Sorgen und Plänen. Ein bißchen weniger stramm als der Fritz, dachte sie. Sonst ganz ähnlich.
Der Vetter kam durch die Pforte und über den Hof. Sie warf die Küchenschürze ab und band eine zierliche weiße vor. Als er die Haustür öffnete, öffnete sie die Küchentür.
»Ei, Herr Vetter,« begrüßte sie ihn, »Sie kommen wirklich einmal zu uns heraus? Das ist eine hohe Ehre.«
»Wollen wir nicht lieber ›du‹ zueinander sagen als Vetter und Base?« bat er. »Ich habe mir den Besuch hundertmal vorgenommen, aber für uns Geschäftsleute muß schon immer ein geschäftlicher Anstoß kommen, bis wir uns in die Postkutsche setzen.«
»Nun,« machte sie ein wenig hochmütig, »dann wäre ich eben einmal zu Fuß gelaufen.«
»Jetzt bin ich hier,« sagte der Vetter freundlich, »und wenn ich bis zum Abend bleiben darf, so wäre das eine Freude für mich.«
»Gilt der Besuch nicht doch etwa dem Fabrikherrn?« fragte Amalie mißtrauisch. »Dann müßte der Herr Vetter sich in den Schmelzbau bemühen.«
»Natürlich auch dem Fabrikherrn, verehrte Base, sonst hätte ja meine Spazierfahrt keinen geschäftlichen Grund gehabt. Aber die Geschäfte eilen mir nicht und sind auch am Abend noch zu erledigen. Darf ich mich nach dem Ergehen der Frau Mutter erkundigen?«
»Der Mutter geht es gottlob ausgezeichnet. Wollen Sie nicht eintreten und sich selber überzeugen?«
»Vielen Dank. Aber ich möchte nicht als Fremder, sondern als Familienmitglied angeredet werden.«
Amalie Stoltenkamp reckte ihr feines Figürchen, das sie von der Mutter hatte, und sah ihm eine Sekunde lang forschend ins Gesicht. »Wenn es dein Wunsch ist? Und nun tritt bitte ein. Es ist nicht fürstlich bei uns. Die Fabrik beansprucht alles.«
Sie sagte das ganz schlicht und wie eine Selbstverständlichkeit. Und gerade das gefiel Walter Grote wohl, daß sie keinen falschen Schein um sich und das Hauswesen machte und den Stolz hatte, es so und nicht anders richtig zu finden.
»Es war ein zu glücklicher Zufall.« plauderte er, »daß ich dich in Frau Jodokus Stoltenkamps Laden antreffen durfte, als ich dort ein paar Einkäufe zu besorgen hatte. Ich habe mich sehr gefreut.«
»Und daß sich der Zufall so glücklich noch ein paarmal wiederholen durfte.« Sie lachte ihn an. »Du willst mir wohl den Hof machen, Walter? Und hier ist auch die Mutter.«
Sie hatte die Tür zum Arbeitszimmer geöffnet, und Walter Grote machte der verwundert aufblickenden Frau am Schreibtisch eine tiefe Verbeugung.
»Der junge Vetter Grote, Mutter,« erklärte Amalie. »Wir kennen uns schon lange von Großmutter Stoltenkamp her, wo wir uns zufällig im Laden trafen.«
»Mein Vater läßt der Frau Tante seine schönsten Grüße vermelden,« sagte der junge Mann ehrerbietig und blickte Frau Margarete in offener Bewunderung an.
»Amalie hat mich schon ausgezankt, daß ich nicht früher hierhergefunden habe, aber ich wußte wirklich nicht, ob es der so sehr beschäftigten Frau Tante angenehm gewesen wäre?«
»Ausgezankt?« rief Amalie. »Mutter, das nennt er ausgezankt! Mit ausgesuchter Höflichkeit hab ich ihn behandelt.«
»An der Haustür,« warf der Vetter ein. »Und ›Sie‹ hat sie mich genannt wie einen Wildfremden. Zweimal hab ich sie bitten müssen.«
Frau Margarete reichte ihm die Hand. »Dann will ich als Mutter um so schneller die Fehler der Tochter wieder gutmachen. Nimm Platz, Walter. Und wir wollen uns als nahe Verwandte ›du‹ nennen, obwohl die eigentliche Verwandtschaft erst mit der erprobten Freundschaft beginnt. Auf gute Freundschaft, Walter.«
»Ich werde sie mir bald erwerben, Tante Margarete. Aber daß du noch so jung bist, das ahnte ich ja gar nicht.«
»Mutter,« lachte Amalie, »jetzt macht er dir den Hof. Zuerst kam ich an die Reihe. Der Vetter scheint mir sehr bewandert darin.«
»Sie ist eifersüchtig,« behauptete der junge Besucher. »Kann ich dafür, daß du deiner Mutter so ähnlich siehst?«
Amalie Stoltenkamp faßte mit spitzen Fingern ihr Röckchen und machte dem Vetter einen tiefen Knicks. Das Mädel ist nicht wiederzuerkennen, dachte Frau Margarete. Und mit tiefem Kopfneigen sagte das junge Mädchen: »Alleruntertänigsten Dank. Ich fühle mich zum erstenmal in meinem ganzen Wert erkannt, wenn es für die holdselige Frau Mutter auch nur eine geringere Schmeichelei bedeutet.«
Walter Grote antwortete mit einer feierlichen Verneigung. »Darf ich wissen, weshalb, verehrteste Base?«
»Ich werde mich hüten,« rief Amalie übermütig, »den guten Eindruck zu zerstören und dir zu sagen, was für eine Kratzbürste ich bin.«
»Das redest du dir ein,« behauptete der Vetter. »Ich möchte dich gar nicht anders haben.«
»Was möchtest du –? Hast du's gehört, Mutter? Nun bin ich wieder an der Reihe. Er möchte mich gar nicht anders haben, behauptete er schlankweg. Und wir sitzen hier kummervoll seit Jahr und Tag und begießen das Myrtenbäumchen.«
Was ist nur in das Mädel gefahren? dachte Frau Margarete. Sollte ich denn bei all meiner Arbeit vergessen haben, daß sie ein junges Mädchen ist?
»Kann ich das Myrtenbäumchen einmal sehen?« fragte der Vetter. »Vielleicht steht es jetzt gerade in seinem schönsten Flor?«
»Mutter,« entsetzte sich Amalie, »nun wird er ganz und gar poetisch, und ich will schleunigst einen Kaffee kochen, damit er wieder zu sich und auf die Erde kommt.« Und sie streifte ihre Röckchen zusammen und war hinaus.
Frau Margarete sah ihr nach mit einem seltsam klaren Frauenblick. Wie ein verkümmertes Blümchen im Regengras, auf das die Sonne fällt, war das Mädchen. Und auf einmal reckt sich das Blümchen auf zu einer vollen, duftenden Blume und ruft: »Ich bin auch noch da!« Wie die warme Fröhlichkeit des Mannes die vom Leben Abgesperrte jählings hatte erblühen lassen!
»Ihr kennt euch schon länger, Walter?« begann Frau Margarete. »Ich wußte es gar nicht.«
»Ja, Frau Tante, seit einem Jahr. Ich habe sie vom ersten Tage an gemocht, weil sie so stolz zu mir tat und so wenig entgegenkommend. Dabei kann sie so entzückend und fröhlich sein, wie heute im eigenen Hause.«
Und mit einem Male kam über Frau Margarete eine große, unüberwindlich große Verlegenheit. Der junge Mann, der da so ehrerbietig vor ihr saß, trug so offen und ehrlich sein Inneres zur Schau, daß nun wohl die Mutter in ihr das Wort erhalten mußte, die Mutter, die eine heiratsfähige Tochter zu vergeben hatte.
Mein Gott, fuhr es ihr durch den Sinn, bin ich denn wirklich schon so alt? Und eben verwunderte sich noch mein Gegenüber, daß ich so jung noch wäre? Wie vollziehe ich denn nur jetzt in aller Geschwindigkeit den Übergang? Was tut man denn nur in einem Falle wie dem meinen? Frau Jodokus Stoltenkamp würde den jungen Mann nach seinen Einkünften und Lebensaussichten fragen. Aber das kann ich unmöglich. Das kann ich ganz unmöglich. Ich fühle noch so gar nicht die Berufung in mir. Ich käme mir vor wie auf einem lustigen Maskenball, und ich hätte weiße Locken angesteckt und nickte mit dem Kopf.
»Du denkst an etwas Fröhliches,« hörte sie Walter Grotes Stimme.
»Ja,« sagte sie, als ob sie im Erwachen spräche. »Ich dachte, wie schön es ist, jung zu sein.« – –
Der Vetter hatte mit den Damen den Kaffee getrunken. Die Brüder Fritz und Eberhard tranken ihn in der Fabrik bei der Arbeit, um ihre Zeit nicht zu zerreißen. Und der Besucher saß noch immer plaudernd, als ob dieser Tag ihm gehöre.
»Willst du denn gar nicht in die Fabrik?« fragte Amalie. »Du scheinst mir auch ein rechter Faulpelz zu sein. Erzählst mir beim Eintritt, daß nur geschäftliche Dinge dich zum Spazierenfahren veranlassen könnten. Und nun seh mir einer den Herrn an.«
»Amalie,« erwiderte der Vetter und blickte sie lachend an, »ich bin ja noch auf der Spazierfahrt.«
»Mutter,« sagte Amalie, »gilt das nun wieder dir oder mir? Und so etwas ist in einer Kohlengrube aufgewachsen.«
»Eben darum, Base Amalie. Wer aus der Kohlengrube kommt, empfindet doppelt dankbar, wie hell die Sonne scheinen kann.«
Da wurde das junge Mädchen ganz still und sah mit einem verträumten Blick zum Fenster hinaus.
Walter Grote erhob sich. Ganz unerwartet. Und dann sagte er, er hielte es nun auch an der Zeit, die Fabrik zu besichtigen, aber er möchte zuerst einmal drum herumwandern, denn sei er einmal drin, käme der Geschäftsmann in ihm zum Durchbruch und ließe ihn nicht mehr heraus, und ob die Base Amalie ihn wohl einmal um die Fabrik herumführen möchte.
Amalie erhob sich still und wortlos. Sie streifte ihr Schürzchen ab und hing den Strohhut über den Arm. Und dann ging sie neben ihm hinaus und wagte nicht mehr, die Mutter anzusehen. Und Frau Margarete sah nicht zur Tochter hin, als hielte das Mädchen ein Geheimnis, das von keinem fremden Blick angetastet werden dürfte.
Draußen schritten die beiden jungen Menschen über die Felder, die im goldenen Rot der Nachmittagsonne lagen. Alles Grau der mageren Erde, das ganze von der Arbeit zerwühlte und zertretene Land lag in dem stillen Sonnenschein wie ein verklärter Garten. Nie hab ich so etwas gesehen, dachte Amalie, und ich kenne doch die mageren Felder hier auf Schritt und Tritt.
»Es geht sich gut zu zweit,« sagte der junge Mann an ihrer Seite.
»Aber die Fabrik liegt uns im Rücken,« sagte Amalie ...
»Eilt es dir so sehr mit der Fabrik, Amalie?«
»Sonst immer. Heute wohl nicht so sehr ...«
»Du liebst die Fabrik wohl sehr? Weil sie der Besitz der Stoltenkamps ist?«
»Ich liebe die Arbeit und das Schaffen. Könnt ich für mich schaffen, würde es auch mit der großen Fröhlichkeit geschehen, wie sie die Mutter besitzt. Aber ein Stoltenkampmädchen hat in die Arbeit der Brüder nicht hineinzureden.«
»Wer deine Mutter sieht, muß sie liebhaben.«
»Sie ist noch so jung. Weißt du, wie alt sie ist? Neununddreißig erst. Mit sechzehn Jahren hat sie Vater geheiratet.«
»Sie müssen sehr glücklich miteinander gewesen sein, da noch so viel Liebe zurückgeblieben ist.«
»Bleibt Liebe zurück, wenn man glücklich gewesen ist?«
»Ich denke es mir so, Amalie. Eine ganz große Liebe ist unerschöpflich. Und sie macht dankbar über die Zeit hinaus.«
Ganz versonnen ging das Mädchen an seiner Seite.
»Ich glaube, ich könnte sehr dankbar sein,« sagte der junge Grote. »Willst du mir das wohl glauben, Amalie?«
Sie nickte stumm und schritt weiter.
»Im Leben dankbar, Amalie. Denn an diesem schönen Tage wollen wir nur vom Leben sprechen. Würdest du mir wohl dazu verhelfen wollen, Amalie, dir ein ganzes Leben lang dankbar zu sein?«
Sie standen an dem Bache, der hinaufführte zum Hammerwerk in der Mühle. Ein alter Weidenbaum warf sein grünes Gezweig wie einen Mantel um sich her und verdeckte die rauchgeschwärzten Essen der Gruben und Zechen, die auf Meilen und Meilen arbeitsnüchtern aus der durchwühlten Erde ragten. Nur das heimliche Plaudern des Baches war da, das sonnenvergoldete Land zu Füßen und das grüne Gezweig zu Häupten. Sie standen noch immer ganz still am Bachrand. Dann hob das Mädchen den Kopf.
»Ich wußte es, daß du mich fragen würdest. Ich wußte es im selben Augenblick, in dem ich dir die Tür öffnete. Du hast ein klares und ehrliches Auge, Walter, und mir ist so, als sollte ich ›ja‹ sagen.«
»Sag es, Amalie.«
»Ja denn, Walter. Ja, ja! Und du gibst mir von deiner Arbeit, soviel ich will. Denn wir Stoltenkampfrauen müssen für unsere Männer zu schaffen haben, um uns zur rechten Fröhlichkeit durchzuarbeiten. Willst du?«
»Gib mir einen Kuß, und ich will.«
Da fiel sie ihm um den Hals, küßte ihn, daß ihm der Atem verging, riß sich los und rannte wie der Wind durch die Felder dem Hause zu, als sollte er nicht sehen, wie sie glühte und lachte.
»Nun bleibt mir nichts übrig,« sagte sich der Zurückgebliebene, »als wirklich in die Fabrik zu gehen. Etwas anderes würde sie gar nicht verstehen.« Und er ging langsam und in einem Bogen dem Stahlwerk zu und fragte Frowein, der in der Tür gegen ihn lief, nach Fritz Stoltenkamp.
»Hinter der Fabrik! Rechts herum!« schrie Frowein durch den Lärm und eilte weiter. Und Walter Grote folgte der Weisung und fand den Vetter bei den Abmessungsarbeiten für das neugeplante Hammerwerk.
»Seit wann bist du hier?« fragte Fritz Stoltenkamp den Vetter und schüttelte ihm die Hand. »Du hast mich wohl lange suchen müssen?«
»Ich hatte vorher etwas anderes zu suchen und hab's gefunden, Fritz. Doch das ist eine reine Privatangelegenheit, und die geschäftlichen Dinge gehen dir selbstverständlich vor. Die dreißigtausend Taler stehen zu deiner Verfügung, und wenn du mehr brauchst, so wende dich nur vertrauensvoll an mich.«
»Du,« sagte Fritz Stoltenkamp, »das geht ja plötzlich mit Eilpost.« Sein Blick wurde forschender. »Hängt das – hängt das vielleicht mit deiner – deiner Privatangelegenheit zusammen?«
»Mein Manneswort darauf: es hängt nicht mit ihr zusammen. Es ist nur das zufällige Zusammentreffen zweier Ereignisse, von denen das eine mir lieb und das andere angenehm ist. Und das Angenehme besteht darin, daß ich dir einen Freundschaftsdienst erweisen darf, ein Freund dem anderen.«
»Gott sei gedankt,« und Fritz Stoltenkamp wischte sich die Stirn, »anders hätt ich es nämlich nicht annehmen können. In solchen Dingen hört für mich das Geschäft auf, Walter. Dein Vater denkt vielleicht anders darüber. Und die Amalie magst du schon lange gern und hast es ihr eben gesagt?«
»Woher weißt du denn das?« fragte der Glückliche verblüfft.
»Wenn einer dahergerannt kommt, rot wie ein Zinshahn, und schmeißt mit Tausendtalerscheinen um sich« –
»Ich muß noch zur Mutter, Fritz!« rief der junge Grote und lief lachend davon. – –
Was die Hände frei hatte, mußte heran und bei der Ausschachtung helfen. In langen Karrenzügen fuhren die Ziegelbrenner die roten Backsteine heran. Die Maurer durften nicht mehr als zweimal frühstücken und arbeiteten wild darauflos, um je schneller, je lieber zu ihren alten Gewöhnungen zurückzukehren. Und die Zimmerleute hatten ihren Richtplatz angelegt, auf dem es Späne und Flüche regnete. Da wuchsen Mauern und Gerüste.
Eine Mitteilung war es, mit der Fritz Stoltenkamp die Mutter vor allen überrascht hatte. »Wir bauen ein neues Wohnhaus. Nicht unseretwegen, Mutter, denn wir werden es uns am Leibe absparen müssen. Aber das Ansehen der Fabrik verlangt es. Wenn es wird, wie ich es kommen sehe, werden viele aus der Kundschaft im Werke selbst ihre Aufträge abgeben, um den Versuchen beizuwohnen oder um andere Sonderwünsche erfüllt zu sehen. Da würde es mich in ein schiefes Licht setzen, wenn ich meine Mutter in einem Arbeiterhäuschen wohnen ließ, während das Stahlwerk wächst und blüht. Sag nichts, Mutter. Es wird uns beiden schwer. Aber wir sind ja an Opferbringen gewöhnt.«
Und bevor der Winter kam und der Frost, stand das Maschinenhaus, das Hammerwerk und das neue Wohnhaus im Rohbau unter Dach und Fach, und die Einrichtung konnte beginnen.
Mit klopfendem Herzen erwartete Fritz Stoltenkamp die Ankunft der Dampfmaschine. Am frühen Morgen lief er hinaus zur alten Mühle. Als müßte er dem alten, braven Reckhammer noch einen Dank sagen. Der lange Haniel lehnte am Torflügel, sog an seiner dünnen Tonpfeife und spuckte in Zwischenräumen auf das gefrorene Gerinnsel des Baches.
»Glückauf, Haniel! Feierst du auch Abschied?«
»Herr Stoltenkamp,« sagte der Hammerschmied, »ob dat gerade Abschiedsgedanken sind, weiß ich nich. Aber dat weiß ich, dat mich von heute an dä verflixte Mühlbach im Mondschein begegnen kann, so hat mich dat Biest mit seinen ewigen Nücken geärgert. Mitten in der Arbeit – schrumm, un alle. Jetz geht dat mit zwanzig Pferde in de Maschine, un mit die Pferde werd ich wohl als altgedienter Kürassier zuwege kommen.«
»Haniel, du kommst als Meister an den neuen großen Hammer. Und der Hammer und du, ihr kennt keinen Stillstand. Was? Und wenn wir anderen deinen Hammertakt hören, dann müßt es doch mit dem Deubel zugehen, wenn uns der Arbeitswalzer nicht in die Beine führe.«
Der lange Haniel rollte die Ärmel seines Leinenkittels auf und beklopfte vielsagend seine Muskeln. »Glückauf, Herr Stoltenkamp!« schrie er plötzlich, denn sein Herr rannte schon wieder den Bach entlang. »Mach, daß du nachkommst, Haniel,« rief er zurück. Die Maschine ist im Anmarsch.«
Und die großen, starken Wagen, von schweißbedeckten Viergespannen gezogen, rollten über die neue Landstraße und luden die ungefügen Maschinenteile ab. Neben Fritz Stoltenkamp stand der neugeworbene Ingenieur Ungemach und leitete ruhig und sicher die Überführung in das Maschinen- und Kesselhaus, Aufstellung und Versorgung. Der riesige Reckhammer lag schon seit Wochen im neuen Hammerwerk nahe dem Schmelzbau. Ein kleinerer für den Notbehelf war mit den blitzenden Werkzeugmaschinen angekommen, die Fritz Stoltenkamp selbst aus der Summe der gesammelten Erfahrungen entworfen und von geschulten Händen hatte erbauen lassen. Stahl und Eisen, Kupfer und Messing blitzten und funkelten, wohin das Auge traf.
Wie vor einer Christbescherung stand Fritz Stoltenkamp vor dem Gefunkel. Seine Seele ging hoch und weit. Dann riß er sich zu dem Alltag zurück, packte an und schaffte mit seinen Arbeitern um die Wette. Da flogen die Wochen, und die Märzveilchen krochen aus den Hecken, ohne daß einer sie so früh erwartet hatte.
Die wenigen freien Stunden aber, die er sich mühsam abringen konnte, schenkte er nicht der Mutter. »Mutter, wenn wir erst soweit sind, dann holen wir's nach. Jetzt muß ich dir nur aufbürden und aufbürden, denn ich habe sonst niemanden, und in den laufenden Geschäften bist du zu Hause. Noch ein paar Wochen, und der ganze Betrieb läuft mit Dampf. Dann habe ich wieder alles in einer Hand. Jetzt muß ich zur Großmutter Stoltenkamp, Mutter.«
»Bin ich dir so fremd geworden, Fritz, daß du so viel Worte brauchst.«
»Ach, Mutter, es ist nur die beständige Spannung und Erregung. Ich zeig sie auch nur dir. Kaum mir selber, Mutter. Na, nun lachst du wieder.«
Frau Jodokus Stoltenkamp wollte nicht sterben. »Ich fürchte mich nicht ein bißchen, Fritz,« sagte sie mit ihrer dünngewordenen Stimme. »Der liebe Gott tut einer alten Frau, deren tägliches Gebet ein Leben lang Arbeit war, nichts zuleide. Aber ich habe mir ein Anrecht darauf erworben, den neuen großen Betrieb in Tätigkeit zu erleben, damit ich – damit ich einen – Anknüpfungspunkt habe, wenn ich einem anderen – drüben begegne. Ich habe mit euch und dem Werk gedarbt und gesorgt, gehungert und geschafft und – und – gearbeitet. Sag du mir, Fritz, ob ich mir ein Anrecht erworben habe.«
»Sie und die Mutter – Sie haben es geschafft. Ohne euch Frauen wäre ich verloren gewesen, Großmutter. Ihr wart mir die Vorbilder.« –
»Fritz,« sagte die alte Frau ein andermal, »wie lange dauert es noch? Ich tu, was ich kann, aber ich kann nicht mehr viel.«
»Noch einen Monat, Großmutter. Noch eine Woche, Großmutter.«
Sie fragte Tag um Tag.
Und an einem Morgen sagte sie: »Fritz, heute muß es sein.«
»Ja, Großmutter, ja! Heute ist es! Kurz vor Feierabend, wenn es ganz still ist, laß ich die Maschine los und die Dampfpfeife schrillen, daß es bis zu Ihnen ins Zimmer dringen soll. Dann grüßt das neue Stahlwerk die Älteste der Stoltenkamps.«
»Zum Feierabend, Fritz, das ist schön so. Und schick mir keinen ins Haus. Komm ganz allein. Aber komm schnell.«
»Ich komme, Großmutter.«
Kurz vor Feierabend horchten die Gruben und Zechen, horchten die Bürger der Stadt verwundert auf. Gellend rief eine Dampfpfeife ins Land, aufrüttelnd, durchdringend und lachend. Und sie rief und rief ...
»Die Stoltenkamps blasen das Angriffsignal,« sagten die Grubenherren und Hüttenbesitzer, und die Bürger der Stadt murmelten es nach.
Frau Jodokus Stoltenkamp hatte sich auf den Ellbogen gestützt. Ihr Gesicht war weiß wie die Kissen, aber ihre Augen brannten. Sie trank das gellende, lachende Gepfeif wie eine himmlische Musik.
So fand sie Fritz Stoltenkamp.
»Großmutter, haben Sie es gehört? Das neue Lebenslied der Stoltenkamps? Nur die Mutter hab ich schnell in den Arm genommen – und dann hierher.«
Die alte Frau sah ihn starr an. »Vorwärts,« röchelte sie und fiel in die Kissen.
Die Augen schlossen sich. Fritz Stoltenkamp stand unbeweglich. Ganz unirdisch war die Stille im Zimmer geworden.
Noch einmal öffneten sich die nach oben gerichteten Augen. Die Lippen bewegten sich.
»Bin – ich – nun – wieder – schön, – Jodokus? –«
Fritz Stoltenkamp beugte sich über sie und strich ihr die Augen zu. Und ganz laut sagte er: »Ja, Ahne, du und die Mutter – ihr seid die schönsten.« – –
*