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Der Krimkrieg hatte Napoleon und dem französischen Kaiserreich die Vorherrschaft auf dem Festlande gebracht. Die Völker staunten den klugen Abenteurer an als den Schutzherrn der Freiheit, als den Bekämpfer russischer Zaren» Willkür, und die Gesandten der Mächte beugten sich tief vor ihm, als er sie auf der Pariser Friedenskonferenz gnädig und lüstern empfing. Seine politischen Pläne knüpften an die seines großen Oheims an, nur gedachte er sie auf bequemere Weise zu erreichen, die Regierungen gegeneinander in Atem zu halten, den europäischen Fischteich gründlich zu trüben und die kleineren und schwächeren Fische zuerst zu verspeisen. Österreich krankte an schweren Alterserscheinungen. Die Lombardei war ihm zum Capua geworden. Und Napoleon richtete seinen Blick nach Italien und schloß ein geheimes Bündnis mit Cavour, dem Bevollmächtigten Viktor Emanuels von Sardinien. Denn Sardinien, das in den Jahren 48 und 49 seine stolzen Großmachtshoffnungen vor Radetzkys Schwert hatte liegen lassen müssen, war durch ein Hilfskorps im Krimkriege Napoleon nähergetreten.
Frankreichs Rüstungen beschränkten sich nicht nur auf das Land. Auch die Flotte mußte verstärkt werden, denn dem neuen Bundesbruder England war, wie die Geschichte lehrte» nicht weiter zu trauen, als der englische Geschäftsvorteil reichte.
Fritz Stoltenkamp verfolgte offenen Auges jede Regung auf dem politischen Feld wie auf dem Geschäftsmarkt. Er hatte aus der französischen Revolution des Jahres 48 genug gelernt und genügend Lehrgeld bezahlt, um zu wissen, was eine politische Wetterwolke auch für seinen Betrieb zu bedeuten habe. Seine ausländischen Vertreter hielten ihn auf dem laufenden, als gelte es einen Notenwechsel zwischen den Regierungen. Als der Neubau der französischen Kriegsschiffe einsetzte, war er vorbereitet. Für Kanonenlieferungen war er nicht zu haben. Sein ausgeprägtes vaterländisches Empfinden ließ ihn den Zusammenstoß wittern, der in der Reihenfolge auch das aufstrebende Preußen treffen muhte. Aber mit den Erzeugnissen, die den Ruhm der deutschen Stahlindustrie hinaus auf den Weltmarkt tragen würden, war er auf dem Platz.
»Heute bist du besonders fröhlich,« sagte Franziska, die vom Bette ihres kränkelnden Jungen kam. »Darf ich mich mitfreuen?«
»Ich bin einen Schritt weiter, Franziska. Das Werk tut wieder einen Ruck nach vorn. Unser Pariser Vertreter schickt soeben die ersten Aufträge auf Gußstahlachsen für Kriegsschiffe. Weißt du, was das bedeutet?«
Sie wußte es nicht und gestand es lächelnd ein.
»Das bedeutet für mich die praktische Möglichkeit, die preußische Regierung mal wieder nachdrücklich mit der Nase auf die Stoltenkampschen Stahlwerke zu stoßen. Der deutsche Michel wacht nicht eher auf, als bis ihm die Haut anbrennt.«
Sie strich ihm durch das dichte, ergraute Haar, wie es einst Frau Margarete zu tun pflegte, und er mußte daran denken.
»Du wirst den Michel schon aufwecken, Fritz. Wenn erst deine Kanonen donnern.«
»Ja,« meinte er und Zog die Brauen hoch, »wenn – –! Der Prinz von Preußen belehrte mich zwar, daß die Regierungen nach einem anderen Zeitmaß arbeiten als eine Gußstahlfabrik. Das sah ich ein. Aber es darf doch nicht in Schläfrigkeit ausarten. Sparsamkeit ist schön, aber Geiz ist die Wurzel alles Übels.«
»Der Prinz von Preußen wird dir Wort halten. Laß ihn nur erst zur Macht kommen.«
»Was fängt der Junge an, Franziska?«
»Er kräftigt sich nur langsam. Er ist mehr als zart, Fritz, aber ich werde ihn schon hoch bekommen.«
Er drückte ihr die Hand und ging. Daß der Junge nicht aus Gußstahl geworden war ... Alle Kinderkrankheiten packten ihn, und die Nerven wurden auch nicht fester dadurch. Er schritt mit schweren Schritten durch die Fabrik. Das gab es einfach nicht, einen schwächlichen und nervösen Erben. Das Werk verlangte Rückgrat und feste Faust. Das mußte dem Jungen anerzogen werden. Und die Lippen aufeinandergepreßt, spannte er wie zum Trotz seine Arbeitskraft aufs äußerste.
Napoleon III. tat seinen ersten Winkelzug. Sein feierliches Wort »Italien frei bis zur Adria« entfesselte einen Sturm in Italien, dessen innere Kraft er unterschätzt hatte. Italien sollte dem Befreier Frankreich dienstbar gemacht werden. Mit einem Heere überschritt er im Frühjahr die Alpen und warf sich mit den Piemontesen auf die Österreicher. Der Feldzug fand ein schnelles Ende. Es waren keine Radetzkys mehr, die er sich gegenüber fand, und er hatte damit gerechnet. Die zaudernden österreichischen Generale wurden bei Magenta und Solferino blutig aufs Haupt geschlagen und gaben unter dem stürmischen Nachdruck der Franzosen und Sardinier die Lombardei immer weiter preis. Ein unabsehbares Verhängnis für Österreich schien sich vorzubereiten. Da hob der Prinz von Preußen, der für den geistig umnachteten König die Regentschaft führte, die Hand. Napoleon sah die Hand. Und er sah das preußische Heer, das auf den Wink dieser Hand wartete. Da deuchte ihn der Sperling in der Hand fürs erste mehr als die Taube auf dem Dache, und er behielt sich die Abrechnung mit Preußen vor und schloß den Frieden zu Villafranca, der die Lombardei Sardinien zuerkannte. Das feierliche Wort »Italien frei bis zur Adria« war nicht Erfüllung geworden. Italien trat in die gewaltsame Bewegung ein, die zum freien und einigen Königreich führte, auch ohne Frankreichs Schirmerhand. Napoleons Weltstellung geriet ins Wanken. Nur durch die Abtretung Nizzas und Savoyens, die er von Italien als Preis seiner Zustimmung erzwang, vermochte er sich gegen den Zorn seines enttäuschten Volkes zu halten. Er mußte auf neue kriegerische Abenteuer sinnen.
Das Berlin des Prinzregenten schlief nicht mehr. Es hatte wieder das Hohenzollernauge bekommen.
Fritz Stoltenkamp sagte es seiner Frau. Er sagte es mit einem so tiefen und ernsten Ton, daß sie fragend nach seiner Hand faßte.
»Preußen, Preußen!« stieß er hervor. »Ich habe eine harte Erziehung unter dir durchgemacht. Nun hoffe ich, Meister zu sein.«
»Hat der Prinzregent – dir sein Wort eingelöst?« fragte Franziska und fieberte für ihren Mann.
»Er hat den Anfang damit gemacht. Dreihundert Geschützrohre sind bestellt. Für das neue Hinterladesystem. Ich werde die meisten der Geschützrohrblöcke nur vorbohren und abdrehen können und das Beste den staatlichen Geschützwerkstätten überlassen müssen. Nicht mehr lange, Franziska. Das Eis ist gebrochen. Ich denke in hohe See Zu gehen.«
»Das wirst du, Fritz. So wahr ich für dich beten kann.«
»Tust du das? Tu's für den Jungen, Franziska, er hat es nötiger. Nun läuft er wenigstens ohne Krücken.«
Der Gedanke an den schwächlichen Erben verfolgte ihn bei Tag und Nacht. Nur die Arbeit und wieder die Arbeit konnte ihn verscheuchen. Trat er in sein klargefügtes Heim, so saß er ihm wieder im Nacken und raubte ihm die Freude an Haus und Weib. Mehr und mehr griff er in Erziehung und Körperpflege ein. Im Stahl lag für ihn die Bedeutung der Welt. Und stählerne Mittel wollte er zur Erstarkung seines Sohnes angewandt wissen. In diesem Punkte schritt er hart über alle flehentlichen Einwände der Mutter hinweg, und der Knabe verkroch sich scheu vor den spartanischen Kuren des Vaters und wurde eine in sich gekehrte und verlegene Natur.
Fritz Stoltenkamp fuhr hinaus in die hohe See. »Große Fortschritte sind immer nur von einem tüchtigen Einzelnen, nie von einer Massenversammlung erzielt worden,« erklärte er. »In der Regierung sitzen zu viele Köpfe, die alle ihr Lichtlein leuchten lassen wollen und sich gern geistreich reden hören, bis vor lauter Einwürfen und Widersprüchen das Ziel verbogen ist. Da leistet eine Privatunternehmung, die nur einem Willen gehorcht, mehr als das dichtestbesetzte Ministerium. Ungemach, wir müssen die Neugestaltung des Geschützwesens selber in die Hand nehmen. Der Erfolg ist alles.«
»Das Unternehmen wird eine Masse Geld verschlingen, Herr Stoltenkamp. All die großen Verdienste der letzten Jahre sind immer wieder in die Fabrik gewandert.«
»Daher steht sie aber auch heute da, daß einem das Herz im Leibe lacht. Für das erste Tausend Arbeiter haben wir dreißig Jahre gebraucht, für das zweite Tausend fünf. In dem Verhältnis wird's weiter gehen, geben Sie acht. Jetzt schwimmen wir im Strom, und es kommt auf unsere Muskeln an. Haben wir die, Ungemach?«
»Die haben wir.«
»Na also. Und damit schaffen wir auch das Geld. Ich grüble darüber schon seit Jahr und Tag, während Sie Glücklicher« – er lachte gutmütig – »das Cello streichen können. Es ist Neid, Ungemach, daß ich das sage. Was hilft's? Der liebe Gott hat's nicht gewollt, er hat nur das Arbeitstier in mir gewollt. Weg damit. Also mit Bessemer in England bin ich zum Abschluß gekommen.«
»Sie wollen das Bessemerverfahren einführen, Herr Stoltenkamp? Das wird eine mächtige Umwälzung geben. Und dafür scheint es mir noch nicht ausgeprobt genug.«
»Keine Sorge. Ich kenne seine Fehler und seine Vorzüge. Die Vorzüge werden ausgenutzt und die Fehler verbessert. Verbessert, Ungemach. Wofür haben wir denn die Führung im Gußstahl. Unser Tiegelstahl wird unersetzlich bleiben. Für Schiffsachsen, Radreifen, doch in der Hauptsache – für Geschütze. Aber die Bessemerstahlerzeugung werden wir gerade für das brauchen, was uns mal wieder am meisten nötig tut – zur Gelderzeugung. Jawohl, Ungemach. Zur Gelderzeugung. Das Verfahren des Engländers ist sinnreich, und wir werden den Engländer durch neue Heizöfen, mit denen ich mich jetzt beschäftige, noch besonders schlagen. Vorläufig genügt uns der Grundgedanke. Ungeheure Ersparnisse an Brennmaterial bei einer noch gar nicht abzuschätzenden Steigerung der Flußstahlerzeugung. Der Gebläsewind wird geradeswegs durch die birnenförmigen Behälter gepreßt, die das flüssige Roheisen enthalten, und dadurch eine Temperatur erzielt, die den gefrischten Stahl flüssig erhält, ohne daß neues Brennmaterial in Anwendung käme. Und so eine Birne faßt mehrere Tonnen. Bedenken Sie einmal die Massen und den kurzen Weg. Es wird der Stahl für die Eisenbahnschienen werden. Eisenbahnschienen in Massen bringen Geld. Und Geld gebrauchen wir für die Neugestaltung des Geschützwesens. Da haben Sie's.«
Er hatte sich in Feuer, geredet wie immer, die Kraft seiner Gedanken auf den Hörer übertragen. Ungemachs Kopf arbeitete schon. Er arbeitete den Gedanken seines Herrn in die Breite.
»Dann schiene mir der Zeitpunkt jetzt der richtige, Herr Stoltenkamp, daß wir den Entwurf zu dem Riesenhammer zur Ausführung brächten. Die Einrichtung eines Bessemerstahlwerks ist dagegen eine einfachere Sache. Der Hammer aber braucht seine Zeit. Für das Grundwerk allein und den Holzrost haben wir die stärksten Eichen Westfalens nötig. Ein Fallgewicht von sechshundert Zentner, das Blöcke von sage und schreibe fünfzigtausend Pfund Gußstahl durchschmiedet, darf auch nicht durch die geringste Bodenschwankung erschüttert werden, oder die Güte des Stahles spürt's.«
»Ich ermächtige Sie, alles Erforderliche sofort in die Hand zu nehmen, Ungemach. Die Hamburg-Amerika-Linie und der Lloyd sollen ihre Freude an den neuen Schiffsachsen haben. Stellen Sie noch Ingenieure, Techniker, Mechaniker ein, was Sie brauchen. Ich werde die neuen Dampfmaschinen bauen lassen und – den Kamin. Ungemach, das wird der höchste Kamin der Gegend werden. Und das Schienenwalzwerk soll auch auf der Stelle in Angriff genommen werden. Über tödliche Langweile haben wir uns wahrhaftig nicht zu beklagen.«
Tag und Nacht schufen die Tausende von Menschen. Und wie es bei Stoltenkamp gebräuchlich war, mußten die Hände, die in einem Betrieb frei wurden, sofort in dem anderen Betrieb zupacken. Ununterbrochen, in Tages- und Nachtschichten. In den Eisengießereien wurden die birnenförmigen Behälter für den Bessemerstahl hergerichtet, ein jeder für fünf Tonnen Stahl. Das Schienenwalzwerk stand unter Dach. Zwei Walzstraßen liefen darin. Und eine vierhundertpferdige Dampfmaschine sorgte für den Antrieb. Der Riesenhammer arbeitete bereits. Aus weiter Ferne kamen die Menschen, um das wunderverrichtende Ungetüm anzustaunen. Und inmitten der erdrückenden Fülle von Arbeit ging Fritz Stoltenkamp daran, für Franziska ein neues Heim zu schaffen, edler und behaglicher, unabhängiger von den Gebäulichkeiten des Werkes, die es im weiten Halbkreis umgaben, frei gelegen und von Gärten und freundlichen Wasserkünsten umrahmt. Er schuf es ganz nach ihrem Wesen, das er bis in die klaren Tiefen kannte, ohne es in seiner ganzen Schönheit und Bereitheit genießen zu können. Das Stahlwerk war stärker. Es ließ die letzten, die allerletzten Schritte nicht zu und riß ihn mit den täglich stürmischer werdenden Forderungen in seinen zähen Bann zurück. Fritz Stoltenkamp trug wortlos an diesem Schmerz seines Lebens.
Mit frohen Augen zog Franziska in das neue Heim. Hier konnte der Junge gesunden, hier konnte Friedrich Franz unterrichtet werden. In diesen Jahren beschäftigte sie nur noch der Knabe. Ihr Muttergefühl umwand ihn mit Sorge und Liebe, aber auch ihr Frauengefühl sprach, der heiße Wunsch, die Hoffnung des so gewaltig wachsenden Mannes auf den gesunden, tatenfrohen Erben zu erfüllen, und die Sehnsucht, die Sehnsucht nach der ganzen, rückhaltlosen Liebe des Einsamen.
Oft bat sie ihn: »Fritz, teil dich mir mit. Sei nicht so schweigsam.«
Dann blickte er sie in offener Verwunderung an.
»Ich bin gar nicht schweigsam, Franziska. In mir sind tausend Stimmen lebendig, und ich gebe unaufhörlich Antwort. Ich muß mich zuweilen schon mächtig anstrengen, um mir Gehör zu verschaffen und alle einzuordnen. In meinem Gehirn muß es toll aussehen. Nein, schweigsam bin ich gewiß nicht, und dir, Franziska, verschweige ich am wenigsten etwas.«
»Aber du sprichst nicht zu mir ...«
»Ach,« sagte er und legte behutsam den Arm um sie, »wenn du wüßtest, wieviel ich mit dir spreche. Wie oft meine Gedanken hastig zu dir fliegen und dir ein liebes Wort sagen. Weshalb bin ich jetzt hier? Hier bei dir? Um mir deine weiche kühle Hand auf den heißen Kopf legen zu lassen. So, wie du es eben tust.«
»Der arme, liebe» geliebte Kopf,« murmelte sie und nahm seinen Kopf in einer jähen Aufwallung zwischen beide Hände und küßte ihn.
Und sie sagte sich, wenn sie durch die schönen, neuen Räume ging, die weit und luftig auch für festliche Veranstaltungen hergerichtet waren, oder durch das alte Haus, das jetzt der Beherbergung vornehmer Gäste des Werkes diente: »Es ist viel leichter, glücklich zu werden und sein Glück zu tragen, als groß zu werden und seine Größe zu tragen.«
Das war die Zeit, in der Preußen begann, sich unter König Wilhelm auf den Staat Friedrichs des Großen zu besinnen, die Zeit, in der der preußische Gesandte in Paris, Herr von Bismarck, an die Spitze des Ministeriums berufen wurde und mit den Generalen Moltke und Roon den Dreimännerbund schloß, gegen den Willen des kämpfandrohenden Abgeordnetenhauses den Ausbau der preußischen Heeresmacht durchzuführen. Die Zeit, in der der Kanzler den ersten eisernen Schachzug tat und das neugeschaffene Heer im Kriege um Schleswig-Holstein erprobte. Die Zeit, in der der zweite eiserne Schachzug getan werden mußte, die endgültige Austragung des Streites mit der Vormundschaft Österreichs, und Napoleon sich in Paris die Hände rieb, in freudiger Erwartung der Stunde, in der er dem kriegsgeschwächten Preußen den Fangschuß geben könnte, die Heimzahlung für Villafranca.
Das war die Zeit, in der ein neuer Luftstrom durch die preußischen Lande ging, der den Mannesmut stählte, wie immer noch in Preußens Schicksalszeiten, und die Anspannung verdoppelte. Da wurde Eisen und Kohle stärker noch Trumpf als bisher, und die Werke im rheinisch-westfälischen Gebiet wuchsen aus der Erde, die alten erhoben sich hoch, die jüngeren eiferten ihnen nach. Es war ein Arbeitsgebrause im ganzen Land zwischen Lippe und Ruhr bis zum Rhein, ein Männersang der Hämmer, ein hinreißendes Preußenlied, und das Stoltenkampsche Stahlwerk wurde der Vorsänger.
Fritz Stoltenkamp wußte nichts mehr von Eheglück und Frauenliebe, er wußte nur eins noch: die Zeit der Kanonen kommt.
Sein Briefwechsel mit dem Jugendfreund Moldenhauer war nicht eingeschlafen. Der Oberst hatte bei Solferino auf seiten der Franzosen gekämpft, aber das mexikanische Unternehmen, das Napoleon wie ein bloßer Abenteurer führte, behagte ihm nicht, er hatte genug gelernt und sehnte sich nach Luftveränderung.
Ohne zu zögern, griff Fritz Stoltenkamp zu. Der Oberst kam und übernahm die Leitung der artilleristischen Werkstätten. Er war wenige Jahre älter als Stoltenkamp, Mitte der Fünfzig, aber wie jener von jugendlicher Spannkraft und feurigem Draufgängergeist. Er ging in die Arbeit hinein, als hätte er zeit seines Lebens keine andere verrichtet.
Fritz Stoltenkamp gebar die Gedanken und brachte sie in großzügigen Entwürfen zu Papier. Der Oberst Moldenhauer prüfte sie auf ihre artilleristische Verwendbarkeit und füllte sie mit den Erfahrungen und Beobachtungen seiner Schlachtentätigkeit. Oft prallte Stahl auf Stein, und die Funken sprangen. Aber sie sprangen, um alle Lichter zu entzünden.
Es geschah häufig, daß Fritz Stoltenkamp den Freund mit in sein Haus zum Abendessen nahm, um schneller mit ihm die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Dann war der Oberst der Frau des Hauses gegenüber von einer Ritterlichkeit, wie sie nur in alten Heldenbüchern zu finden war. Er las ihr die Gedanken von der Stirn, den Wunsch von den Augen und umgab und bediente sie mit einer Allgegenwärtigkeit, daß sie es rührte und sie kaum noch Dankesworte fand.
»Was für ein prächtiger Ehemann wären Sie geworden, Herr Oberst.«
»Nicht doch, nicht doch. Sie schmeicheln, meine Hochverehrte.«
»Ernsthaft. Ich wüßte keinen Mann, der so schnell wie Sie die heimlichsten Gedanken einer Frau erraten könnte.«
»Nichts als langjährige Übung, meine Allerverehrteste.«
»Übung – –?«
»Ich wünschte damit zu sagen,« erklärte der Oberst rasch, »langjährige Übung auf meinen vielen Kriegsfahrten.«
»Aber das wird ja noch immer schlimmer, Herr Oberst. Ich denke, Sie haben gegen Araber und Türken, Russen und Österreicher Krieg geführt. Von Amazonenkämpfen war mir nichts bekannt.«
Fritz Stoltenkamp freute sich. Er winkte seiner Frau zu. Der Oberst hatte einen roten Kopf.
»Es ist ein arges Mißverständnis, meine Hochverehrte. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß man als viel herumgejagter armer Kriegsknecht eine gewisse Übung darin erlangt, wie man sich ein gutes Quartier und eine freundliche Behandlung verschafft.«
»Aber das ist doch dasselbe, Herr Oberst.«
»Gestatten mir Allerverehrteste fortzufahren. Das beste Quartier und die freundlichste Behandlung ist immer von den Frauen abhängig. Da lernt man, sich blitzschnell in alle Launen und Gedankengänge hineinfinden, auf den Hinterpfötchen sitzen und ›schön‹ machen, immer natürlich in dem Bewußtsein: Jetzt kommt die Wurst.«
Frau Franziska lachte über seine Bedrängnis, daß ihr die Tränen kamen. Fritz Stoltenkamp war nicht wiederzuerkennen in seiner lauten Fröhlichkeit. Schon darum mußte sie den Oberst gern gewinnen, weil er dem Gatten soviel Heiterkeit brachte und ihm die schwere Brust erschloß.
»Schade, jammerschade, daß Sie nicht geheiratet haben, Herr Oberst.«
»Meine Zeltbahn reichte knapp für mich, meine gnädigste Frau. Junge Damen schwärmen für eine derartige Romantik auch nur auf dem Kanapee. In der rauheren Wirklichkeit würden sie den nächsten Postdampfer nach Hause nehmen.«
»Das gebe ich für viele gern zu,« sagte Franziska. »Aber weshalb holen Sie es jetzt nicht nach? Hier reicht ihre Zeltbahn doch bedeutend weiter.«
»Gott soll mich in Gnaden bewahren,« murmelte der Oberst. »Ich habe es zeit meines Lebens so gut gehabt, daß ich es mir nicht schlechter wünsche.«
Und unter dem fröhlichen Lachen des Gatten meinte Frau Franziska: »Das war nicht artig, Herr Oberst.«
Er beugte sich vor und küßte ihr die Hand.
»Meine liebe gnädige Frau, ich bin ein alter Krippensetzer geworden. Junge Mädchen belustigen sich höchstens an meinen Luftsprüngen und bedanken sich im übrigen. Auch habe ich selber zu viel erfahren im Leben, als daß ich es mit einer Frau lange aushielte, die den mangelnden Verstand durch ein hübsches Lärvchen ersetzt.«
»Es gibt auch Frauen von tiefer Bildung und großem Wissen, die dem Manne nicht nachstehen,« sagte Franziska ernst.
»Das ist ja eben der Haken,« beeilte sich der Oberst zu sagen und kraute sich das Schläfenhaar. »Diese Art Frauen habe ich zu meinem Leidwesen auf meinen raschen und ungetrübten Kriegsfahrten nie zu Hause treffen können. Wo ich war, waren sie nicht. So will's der Krieg, meine Allergnädigste. Das Wertvolle wird vorher in Sicherheit gebracht. Aber ich habe mir von einem Kameraden, der glücklicher Besitzer war, da Wunderdinge von gelehrten Frauen erzählen lassen, Wunderdinge, die mich einigermaßen mit dem Nichtbesitz versöhnten. Ich wüßte zum Beispiel nicht, was ich antworten sollte, wenn eine schöne und hochgelehrte Frau, Hand in Hand mit mir, auf mein Liebesgestammel strahlend ausrufen würde: ›Wahrhaftig! Einhundertundzehn Pulsschläge in der Minute!‹«
»Jetzt wollen wir wieder an unsere Ringkanone,« rief Fritz Stoltenkamp und erhob sich erfrischt. Und der Oberst dankte der Hausfrau durch Handkuß für Gastfreundschaft und gütige Nachsicht, bestellte einen Gruß an Friedrich Franz, den Jungen, und begab sich mit dem Werksherrn in den Geheimraum, den sie sich in einem aufgemauerten Schuppen zweckmäßig eingerichtet hatten.
»Es kommt jetzt alles auf die Erhöhung der Geschützleistung an,« sagte der Oberst. »Seit Frankreich mit der Panzerung seiner Kriegsschiffe vorangegangen ist, sind die alten Rohre überholt.«
»Wir sind auf dem rechten Wege,« drängte Fritz Stoltenkamp hoffnungsfroh. »Wir schrumpfen Stahlringe auf das Seelenrohr. Der Gasdruck der Pulverladung muß dadurch vermindert, die Durchschlagskraft der Geschosse erhöht werden.«
Nach allen Seiten hatte das Gehirn zu arbeiten. Ein Weiterrücken auf dem einen Gebiet ergab einen Abstand zu den anderen Gebieten, der sofort ausgefüllt werden mußte, sollte das Ganze im Einklang bleiben. Das neue Ringgeschütz verlangte ein neues Pulver. Es wurde nach vielen Versuchen beschafft. Der Weg vom neuen Pulver führte zur Erzeugung einer treffsicheren Granate. Fritz Stoltenkamp ersann das Muster an Zuverlässigkeit in einer Stahlgranate. Die Frage des Geschützverschlusses drängte sich gebieterischer auf. Sie wurde nach langem, vergeblichem Ringen durch den Rundkeilverschluß gelöst. War es nun gelungen, die feindlichen Panzerplatten zu durchschlagen, so galt es wiederum, Panzerplatten zu erfinden, die den feindlichen Geschossen Widerstand zu leisten vermochten, und die Versuche begannen von neuem und führten zur Errichtung eines Panzerplattenwerkes. Zu den großen Schiffs- und Küstengeschützen aber gehörten besonders sinnreich gegliederte Lafetten, die den ungeheuren Stoß auszugleichen vermochten. Und immer aufs neue ging Fritz Stoltenkamp mit dem Oberst und dem Stab von Ingenieuren an die Arbeit, und die Lafetten wurden gebaut, zu Versuchen herangezogen, umgebaut. Große Gelände muhten zu den alten erworben werden, um einen Schießplatz zu errichten.
Inzwischen hatte Bismarck, unbeirrt durch den auflodernden Zorn der preußischen Abgeordneten, den zweiten eisernen Schachzug getan. Wie ein gepeitschtes Wetter war der Kriegszug gegen Österreichs Vormundschaft über die böhmische Grenze gebraust. Die Entscheidungsschlacht von Königgrätz war geschlagen, Preußen als Sieger hervorgegangen.
In tiefem Grimm empfing Fritz Stoltenkamp die Nachricht, daß ein paar seiner alten Geschütze, die aus dem ersten Auftrag stammten, sich nicht bewährt hätten und zersprungen wären. Ohne zu rasten, ging er den Vorkommnissen auf den Grund.
»Es ist dieselbe Erscheinung wie bei den ersten Stahlblöcken, die ich auf fremden Hämmern durchschmieden ließ,« stellte er aufatmend fest. »Der Stahl ist glänzend. Die Weiterverarbeiter der Rohre haben den Fehler gemacht.«
»Das beste Rohr taugt zu nichts,« sagte der Oberst kurz, »wenn die Bedienungsmannschaft nichts taugt. Sie muß auf ihr Geschütz eingeschworen sein. Nun wird sie es wohl gelernt haben.«
Noch einmal brach der Kampf mit der Regierung um die Gußstahlkanone aus. Aber Fritz Stoltenkamp hielt den Nacken steif. Er führte seine Ringkanone ins Treffen und blieb der Überlegene. Der König selbst empfing ihn und sprach ihm sein Vertrauen aus. Und unter den hohen Gästen, die aus allen Landen kamen, um das zum Riesen gewordene Werk zu besichtigen und dem Versuchsschießen beizuwohnen, erschien auch der König von Preußen. Achttausend Männer schmetterten ihm im Hammerschlag den Willkomm entgegen.
Fritz Stoltenkamp hatte trotz der Übersteigerung seiner Kräfte den Sohn nicht einen Tag lang aus den Augen gelassen. Er wählte seine Lehrer aus und überwachte insgeheim den Lehrgang. Spät in der Nacht, wenn er todmüde vom Werke kam, nahm er noch die kindlichen Schulbücher vor und prüfte die Aufsätze und Rechenaufgaben. Als der Junge sich ein wenig gekräftigt hatte, setzte er ihn aufs Pferd und nahm ihn auf seinen Morgenritten mit oder zu einem Schwimmbad in der Ruhr. Das waren Leidensstunden für den kleinen Friedrich Franz, aber er biß die Zähne zusammen, um vor dem immer ernsten Blick des Vaters standzuhalten. Bald wuchsen die Forderungen des Vaters an den Erben. Auf den Ausritten wurde Französisch gesprochen oder Englisch, und der müde Junge mußte sein ganzes Gehirn zusammennehmen, um dem Tadel des Vaters zu entgehen.
»Bedenke stets, was einmal von dir in der Welt verlangt wird. An Friedrich Franz Stoltenkamp werden die Menschen eine schärfere Sonde legen als an Hinz und Kunz. Dafür erwarten dich auch gewaltigere Aufgaben.«
Friedrich Franz hätte gern auf die gewaltigeren Aufgaben Verzicht geleistet und lieber mit Hinz und Kunz im Garten oder in seinem hübschen Zimmer gespielt, aber kein Spielgefährte ließ sich sehen. Das Werk lag zu sehr abseits, und die zarte Körperbeschaffenheit des Knaben ließ keine wilden Spiele zu. Die Kräftigung mußte planmäßig vorwärts gebracht werden.
In geheimer Trauer ruhte oft der Blick Fritz Stoltenkamps auf dem neben ihm reitenden Knaben. »Die Bäume sollen nicht in den Himmel wachsen,« sagte er sich schmerzlich. »Das ist ein schlechtes Wort. Wenn die Hoffnung auf Weiterentwicklung fortfiele, hätte ja dies ganze Ringen keinen Zweck.«
Empfand der Knabe dies schmerzliche Grübeln, so straffte er seinen schmalen Körper im Sattel und faßte einen Verzweiflungsmut.
»Galopp, Vater?« fragte er und ritt an. Denn sein verfeinertes und durch das Alleinsein geschärftes Wahrnehmungsvermögen hatte ihm gesagt, daß das schmerzliche Grübeln des Vaters ihm gegolten habe, und er suchte eine Forschheit herauszukehren, ob ihn auch alle Glieder beim harten Galopp des Pferdes schmerzten.
Zu Hause aber verkroch er sich, sobald die Schulstunden beendet waren, unter Bildern, Büchern und Notenheften und schuf sich ein ängstlich behütetes Reich der Phantasie, in das er nur der Mutter zuweilen den Eintritt freigab. Dann mußte sich Frau Franziska an das Klavier setzen und die Hände über die Tasten gleiten lassen, daß die Töne sangen und klangen wie aus einer fernen, fernen, schöneren Welt, in der der Knabe daheim war, ohne je ihre Grenze überschritten zu haben.
Und Frau Franziska verlor sich im Spiel, und der Junge kauerte zu ihren Füßen und wachte verwundert auf, wenn das Spiel beendet war und von den Werken her das Fauchen der Maschinen und das schneidende Klirren des Stahles den letzten Ton verschlang.
Frau Franziska ging still aus dem Zimmer. Draußen warteten die Pflichten, die sich mit dem Wachsen des Werkes verzehnfacht hatten, die Pflichten der großzügigen Gastfreundschaft, die Vertretung des Hauses bei Anwesenheit hoher Gäste. Den Gatten sah sie nur noch bei den Mahlzeiten oder in Gegenwart der Fremden.
Wieder hatte eine fürstliche Persönlichkeit im Gästehaus übernachtet und war unter Dankesbezeigungen geschieden. Fritz Stoltenkamp kehrte über den Hof zurück. Gedankenvoll schritt er weiter und schritt dem Wohnhause zu. Er fand Franziska in ihrem Zimmer.
»Ich mußte dir sagen, was ich soeben gedacht habe, Franziska. Wir sind beide ein wenig einsam geworden im Laufe der ruhelosen Jahre, und doch gehören wir zusammen wie zwei unlösliche Ringe. So wie ich bin und geworden bin oder auch vielleicht werden mußte, konnte mir der Himmel keinen Menschen bescheren, der so zu mir schwer geartetem Menschen paßt und ihn ausgleicht wie du.«
Sie legte ihm den Arm um den Nacken und drückte sich an ihn.
»Ich tu es ja so gern, Fritz.«
»Und ich dachte weiter,« fuhr Fritz Stoltenkamp fort, »ob das nun bloße Selbstsucht ist, oder ob auch ich – auch ich dir ein wenig gebe ...«
»Ich hab dich lieb, Fritz. Ich könnte keinen anderen lieben als dich.«
»Das spricht die Mütterlichkeit aus dir,« sagte er. küßte sie auf beide Augen und ging.
Seit der Sohn und Erbe auf der Welt war und seine väterlichen Triebe stärker geweckt hatte, galt die Sorge des Werksherrn mehr noch als bisher dem Wohle aller Werksangehörigen. Auch sie waren Väter, auch sie waren Söhne, und sie alle glaubten an den schirmenden First des Stoltenkamphauses, unter dem ihr Leben in Arbeit dahinging. »Es sind alles Stoltenkampmänner,« sagte sich der Werksherr, »und ich bin für ihr Glück und ihre Sicherung verantwortlich.« Seitdem ihm die ersten größeren Summen in die Hände geflossen waren, hatte er eigene Kranken-, Invaliden- und Sterbekassen gegründet und alljährlich aufs neue ausgestattet. Jetzt, wo er für ungünstigere Zeiten Rücklagen hätte vornehmen können, nahm er das zuströmende Geld und baute eine stattliche Arbeitersiedlung daraus und kleine, gartenumhegte Heimstätten für die alte, müde gewordene Garde. Als erster zog der alte Haniel mit seinem krumm gewordenen Weiblein ein.
»Dat hätt ich mir auch nich träumen lassen, dat ich noch mal den Rentner spielen könnt, Herr Stoltenkamp. Wat kost die Welt? Als meine Jungs herausgingen, um sich selbständig zu machen, haben sie mich ausgeplündert bis auf et Hemd. Aber wir haben uns gern ausplündern lassen, nich wahr, Alte? Jugend muß voran. Dat hilft nich. Ich fürcht bloß, hier werden wir auch wieder jung, un dat kost Ihnen ein schön Stück Geld, Herr Stoltenkamp.«
»Haniel,« sagte Stoltenkamp und schüttelte ihm die Hand, »das ist keine Wohltat von mir, das ist ein Freundschaftsdienst von dir, Alter. Ich hätte dir ja auch eine Pension geben können, die du hättest verzehren können, wo du wolltest. Aber ich dachte, mein alter Freund und Lehrmeister tut dir den Gefallen und zieht als erster hier ein und hält hier die Fahne hoch. Damit jeder weiß: Es ist eine Ehre, hier zu wohnen. Fritz Stoltenkamps Freund wohnt auch hier.«
Des Alten Augen lachten.
»Dat soll en Wort sein, Herr Stoltenkamp.« –
Und Tagschicht und Nachtschicht reichten sich auf dem Werk die Hände. Das preußische Heer verlangte nach Gußstahlkanonen. In Paris brütete Napoleon über einem Plan, seinen krachenden Thron zu stützen. Zu Villafranca war Königgrätz hinzugekommen und ungesühnt.
Und in dem Schienenwalzwerk liefen die Eisenbahnschienen und liefen hinaus in alle Welt. Ihre Verbilligung mußte das Geld schaffen, das dem Werk und seinen Angehörigen zu Nutz und Frommen werden sollte. Und während sie schon in Berlin gespannt den Blick auf den Seinestrand gerichtet hatten, baute Fritz Stoltenkamp die ersten der neu erfundenen Siemens-Martin- Ofen ein, die Stahlschrot und Stahlabfälle jeder Art verschlangen und bei geringen Selbstkosten jede Menge von Stahl in hervorragender Güte erzeugten. Wieder war ein Schritt vom Kleinsten zum Großen getan. Und der größte Schritt folgte nach. Unabhängig werden von den Rohstofferzeugern. Unabhängig von der Sorge um rechtzeitige Lieferungen. Krieg stand vor der Tür, Kriege würden folgen in der Gier, Preußen in die frühere Schwäche zurückzuzwingen. Nach Kanonen würde der Ruf erschallen. Nach Kanonen! Kanonen brauchten Stahl, Stahl brauchte Eisen und Kohle, Fritz Stoltenkamp brauchte eigene Eisengruben und Kohlenzechen. Es gab kein Ausruhen und kein Zögern. Der Gedanke war zwingend geworden. Er mußte in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
Der Bankkredit wurde angespannt. Die Banken gaben bereitwillig. Und die Verhandlungen mit Kohlenzechen und Eisenerzgruben kamen in Fluß und führten zum Ziel. Als auch spanische und schwedische Verkaufsangebote an ihn herantraten, griff Stoltenkamp zu. Er schaute über den Tag hinaus und wünschte die Zukunft des Werkes sicherzustellen, mochte es nun wachsen, wie es wollte. Der erste Stoltenkampdampfer ›Franziska‹ stach in See, die Erze aus Spanien zu holen. Der Dampfer ›Friedrich‹ folgte ihm bald. Das Stahlwerk Friedrich Stoltenkamp war nun auch auf der See beheimatet.
Die erste Kohlenzeche, die Fritz Stoltenkamp erwarb, war die Zeche ›Wilhelm Grote‹ gewesen. Sie schloß dicht an seinen Grundbesitz an und war ihm darum doppelt wert. Der Schwager erklärte sich bald einverstanden. Die Kinder waren verheiratet und in andere Wirkungskreise getreten, und es lockte ihn, bei noch rüstiger Kraft in eine große rheinische Stadt überzusiedeln, um auch einmal der Sonnenseite des Lebens den rechten Geschmack abzugewinnen.
Amalie Grote nahm den geschäftlichen Teil in die Hand. »Fritz,« sagte sie, »du wirst doch nicht deine einzige Schwester benachteiligen wollen? Du würdest ja nicht froh werden, wenn mein Lebensabend dadurch um so viel ärmer würde, als du die paar Kohlen billiger hast. Die Zechen, die dir für einen geringeren Preis angeboten werden, liegen dir dafür auch viel ungünstiger als die Zeche ›Wilhelm Grote‹.«
»Also stell deinen Preis,« entgegnete der Bruder. »Mit einer armen Schwester, die auf Gummirädern in ihren kargen Lebensabend hineinkutschiert, kann ich nicht feilschen. Da sei Gott vor.«
Amalie Grote stieg die Beschämung ins Gesicht. Aber sie bezwang sie tapfer und hielt fest an ihrem hohen Preis. –
»Moldenhauer,« sagte Fritz Stoltenkamp, »Moldenhauer, jetzt gilt es.«
»Was gilt?« fragte der Oberst und sah von seiner Arbeit auf. »Du bist erregt, Freund.«
»Moldenhauer, meine Abrechnung mit England. Von meinen Knabenjahren an ist mir dies Land in den Weg getreten, hat mich mit seiner schlechten Ware unterboten, hat meine Arbeit zur Fron gemacht, hat mir Jahrzehnte hindurch Preußen ferngehalten – ich hab es geschlagen, wo ich es traf, und in mühseligem Ringen aus dem Sattel geworfen. Nur auf dem Meere behält es seine eingebildete Herrschaft. Es ist Zeit, ihm begreiflich zu machen, daß auch diese Herrschaft nur eingebildet ist.«
Der Oberst stand auf. Seine Augen blitzten. »Wahrhaftig? Ist es an der Zeit?«
»Die Panzerflotte des Norddeutschen Bundes will Armstrongs Woolwich-Vorderladekanonen als Bewaffnung einführen. Die junge deutsche Flotte in englischem Schlepptau! Wo die Stoltenkampschen 24-Zentimeter-Ringkanonen bereitstehen! Man stiert auf die englische Paradeflotte wie auf den lieben Gott selber. Ich sage, Oberst, sie kocht mit Wasser. Ich habe ein dringendes Gesuch beim König eingereicht. Da ist die Antwort. Das Probeschießen mit dem Herrn Engländer ist genehmigt. Tanz mir hier keinen algerischen Kriegstanz vor, Oberst, und schone deine Stimme, mach dich fertig und fahr mit mir zur Artillerieprüfungskommission. Nun wollen wir den Kampf auf dem Meere gegen England aufnehmen. Erst zur Probe.«
Das Probeschießen fand statt. Artillerieoffiziere und Marineoffiziere, Ingenieure und Stahlfachleute standen dicht gedrängt, um keine Schattierung des Wettkampfes zwischen Preußen und England zur See zu verlieren. Die Woolwichkanone verfeuerte die gewöhnlichen Granaten. Die Stoltenkampsche Ringkanone verwandte dieselbe Granate. Der erste Schuß war ein Treffer, die Durchschlagskraft eine größere als die des Engländers.
Dann aber ließ Stoltenkamp seine Stahlgranate hervorholen. Oberst Moldenhauer selbst ließ laden, richten, abfeuern. Die starke Schießscheibe aus englischem Panzerstahl flog in Fetzen in die Luft.
Einen Augenblick starrte die Versammlung, als hätte sie nicht recht begriffen, nicht recht gesehen. Dann aber brach ein Schrei aus all den preußischen Kehlen wie ein Siegesschrei nach erstrittener Schlacht. Mützen flogen gen Himmel, Hüte und Hände wurden geschwenkt, und die Hurras erbrausten über den Platz.
Fritz Stoltenkamp stand steif und mit blutleerem Gesicht. Seine Jugend zog an ihm vorüber, seine Mannesjahre. Sein ganzes Leben hatte geopfert werden müssen, um zu diesem Ziele zu gelangen: dem endgültigen Sieg über England. Das Glut kehrte ihm zurück. Eine Röte schlug ihm übers Gesicht, eine wilde Röte der Freude. Und er wandte sich um und preßte schweigend Moldenhauers Hand.
Die Bewaffnung der Panzerflotte des Norddeutschen Bundes wurde der Firma Friedrich Stoltenkamp übertragen. –
Franziska erwartete voll inneren Jubels den Sieger. Nicht einen Herzschlag lang hatte sie an der Überlegenheit seiner Waffe gezweifelt. Aber es konnte ein Zufall, ein Unfall eintreten wie mit den ersten alten Geschützen bei Königgrätz. Und einmal erreichte die Zähigkeit ihres Gatten auch ein Ende. Kaum daß sie aß und schlief in diesen Tagen der Spannung.
Und in diesen Tagen wurde es Franziska Stoltenkamp offenbar, wie ihr Wesen mählich und mählich und nun wohl schon lange bis zum letzten Hauch mit den Stoltenkampschen Stahlwerken verwachsen war.
Des Gatten Siegesbrief hatte nur den letzten Schleier weggezogen.
Aufrecht schritt sie durch die Zimmer, und als sie den Sohn gewahrte, rief sie ihn an und schritt mit dem erstaunten Knaben über den weiten Fabrikhof von Gebäude zu Gebäude, von Werkstatt zu Werkstatt.
»Nimm die Mütze ab, Friedrich Franz. Das alles hier hat dein Vater mit seinen zwei Händen aus dem Nichts geschaffen.«
Als sie in das Wohnhaus zurückkehrte, wartete ihrer eine Überraschung. Frau Mathilde Stoltenkamp aus Düsseldorf war angekommen und begrüßte mit glänzenden Augen ihre Schwägerin. Ihre schmiegsam gebliebene Gestalt und die sorgsam gepflegte Haut schienen das Altern fernzuhalten.
»Was führt dich denn so plötzlich daher, Mathilde?«
»Kind, wie du fragst! Die Zeitungen sind voll von dem Sieg, den Fritz über den Engländer erfocht. Die Menschen auf den Straßen sprechen beinahe mehr von Fritz Stoltenkamp als vom Kaiser Napoleon. Und du stehst hoch, kühl und gelassen und hast noch nicht die geringsten Anstalten getroffen, ihn zu empfangen.«
»Ich habe keine Anstalten getroffen?«
»Nichts. Nichts. Wie das hier alles nüchtern ausschaut. Das Haus wie das Werk. Das muß leuchten und lachen und ihm entgegenwinken. Da komme ich gerade zur rechten Zeit, um dir zu helfen.«
»Liebe Mathilde, es ist sehr freundlich von dir. Aber es ist bei Fritz nicht am Platz.«
»Man hat es ihm von Jugend an vorenthalten. Alles, was leuchtete, lachte und schön war. Jetzt hat er das große Ziel seines Lebens erreicht. Jetzt wollen wir nachholen.«
»Wir, Mathilde?«
»Kind, Kind, du kommst ja nicht allein mit ihm zurecht. Der Sieger gehört in die große Öffentlichkeit, er ist ein Mann des Volkes geworden. Jetzt ist es seine Pflicht, uns zu gehorchen und sich zu zeigen.«
Franziska Stoltenkamp blickte die Schwägerin ruhig an. »Du bist im Laufe der Jahre erregter geworden, Mathilde. Und es ist auch nicht das erste Mal, daß ich mich wundern muß. Vielleicht sagst du mir heute, wie du immer wieder zu dieser – dieser Anwartschaft auf meinen Mann gelangst?«
Frau Mathilde Stoltenkamp hob den Kopf. Sie hatte sich wieder in der Gewalt.
»Liebe Franziska, wie du kindlich fragst. Als dein Mann dich heiratete, zählte er zweiundvierzig Jahre gegen deine zwanzig Jahre. Zweiundzwanzig Jahre Mannesleben mehr aber bedeuten – nun, sie bedeuten wohl ein abgeschlossenes Mannesleben. Und in diesem seinem ganzen Leben war ich allein seine Freundin und Vertraute.«
»Dann wurde ich seine Frau,« sagte Franziska Stoltenkamp, und der Stolz zitterte durch ihre Stimme.
»Ist Frau soviel wie Vertraute?«
Und Franziska antwortete: »Ich kenne die Kreise nicht, in denen diese Begriffe, die ein und dasselbe bedeuten, gegeneinander ausgespielt werden. Seitdem ich verheiratet bin, ist der Kreis, den ich übersehe, zwar kleiner geworden, aber um so schöner, ernster und wohl auch lebenswerter. Die eine Hälfte des Kreises bildet mein Mann. Soll ich ihn fragen, ob Mann und Vertrauter das gleiche ist? Nein, nein, Mathilde, beunruhige dich nicht. Er würde mich zum erstenmal im Leben nicht verstehen.«
Und wieder war Franziska Stoltenkamp allein und erwartete voll drängender Liebe ihren Mann. Fritz Stoltenkamp kehrte heim. Eine einzige Fahne flatterte im Winde. Sie flatterte wie ein wilder Jubel vom Dache des gedrückten Arbeiterhäuschens, in dem Friedrich Stoltenkamp das Glück seines Lebens in den Armen seiner Frau ausgehaucht hatte, und aus dem heraus der Sohn seine Pflichten getragen hatte bis zur Erfüllung.
Fritz Stoltenkamp schritt in sein Haus. Der wilde Jubel war auch in ihm.
Im Zimmer stand Franziska.
Und plötzlich tat sie ein paar hastige Schritte auf ihn zu und zog seinen Kopf ganz fest an ihre Brust.
»Liebst du mich, Fritz? Liebst du mich?«
»Wie man ein Weib lieben kann, nur dich, Franziska.«
»O du – du – ich danke dir – obwohl ich es wußte ... Und jetzt will ich unseren Jungen rufen.«
*