Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Sonne eines glühend heißen Augusttages verschwand in grauem Dunst hinter den Häusermassen und Türmen Baltimores, der »Stadt der Monumente«. Noch einmal schwoll das vor der tödlichen Hitze erschlaffte Leben auf den Straßen zu wildem, tosendem Lärm und hastender Geschäftigkeit an, um die kurzen, erträglichen Stunden des Tages auszunutzen.
Das taten auch die Moskitos, und zwar gründlich. Gegen diese ägyptische Plage brachten eben wieder die ärmeren Vorstädte Baltimores ihr allabendliches Bittopfer dar, in Gestalt von eisernen Kesseln und alten Töpfen, in denen auf offener Straße Horn- und Filzstückchen, Haare und verfaulte Fische und andere Spezereien verbrannt wurden. Dieser Weihrauch zog in dicken, beizenden Schwaden durch die Straßen, umschmeichelte die Passanten, und was nicht Yankee oder Nigger war, fiel nach ein paar Minuten um, wie ein »blutig verdammter Moskito«.
Zwei junge, kräftig gebaute Männer, die, auf einer Bordschwelle sitzend, sich deutsch unterhielten, machten davon allerdings eine Ausnahme. Sie sahen nicht aus wie eben gelandete Greenhorns mit ihren glattrasierten, lederbraungebrannten Gesichtern, den – freilich reichlich schäbigen – amerikanischen Anzügen und ihrem ungezwungenen Benehmen.
Der weiße Staub auf ihren breiten, schiefgetretenen Schuhen und die große Karte der Union, die sie gemütlich auf dem Ziegelpflaster des Rinnsteins ausgebreitet hatten, ließen erkennen, daß sie auf Wanderschaft, daß sie »Tramps« waren.
»Klapp nur deinen Orientierungsplan der Prärie zu, morgen werden wir schon sehen, wo uns der Wind hintreibt. Jetzt wollen wir die Betten in dem alten Wanzenkasten von St. Johns Building abpürschen, solange es noch Tag ist, und uns dann nach ein bißchen Abendbrot umsehen,« sagte der jüngere der beiden, ein Hüne von ungeheurem Knochenbau und mit ebenso gutmütigem Gesicht.
»Es ist doch ganz egal, welchen Staat wir nun beehren wollen. Arbeit finden wir dieses Jahr doch nicht mehr. An der Sonnenglut kann man höchstens Stollen hacken, aber wachsen tut nichts dabei auf den Feldern. Übrigens, Stollen, ah!«
Er machte einige kauende Bewegungen mit verzücktem Munde, hielt aber plötzlich inne und spuckte einen kräftigen Strahl brauner Flüssigkeit einem erschrockenen Sperling aufs graue Wams.
»So, den beißen ein paar Tage keine Milben mehr,« lachte er und biß sich ein neues Stück Kautabak ab.
»Stollen, ja –« murmelte er mit einem fast wehmütigen Lächeln, stand auf und reckte sich.
Der andere steckte seine Karte ein, stopfte sich seine Maispfeife und etwas wie leises Mitleid huschte über sein hageres, ein wenig finsteres Gesicht, als er seinen Kameraden von diesem Weihnachtsgebäck schwärmen hörte.
Sie gingen mit weit ausgreifenden Schritten die belebte schmutzige Straße hinab, der jüngere schwerfällig und eckig, der ältere vornübergebeugt und müde.
Vor einem alten, rußigen Häuschen hockte ein Neger mit schneeweißem Wollkopf neben seinem Stinkfeuer und briet sich ein paar Ähren Zuckermais darauf.
Der mit der Maispfeife fragte seinen Kameraden nach einem Streichholz. Aber der hatte keins und sagte:
»Laß dir doch von dem alten Knaben da drüben Feuer geben«, und zeigte auf den Alten.
Fred ging hin, grüßte und bat um Feuer.
Der Alte holte freundlich einen glimmenden Fetzen aus dem Ofen und brannte damit dem Deutschen die Pfeife an. Fragte ihn auch nach seinem Befinden, Weg und Ziel.
Er erhielt bereitwilligst Auskunft, und als ihm der Deutsche erzählte, daß sie morgen weiter wollten und auf den Gemüsefarmen vor der Stadt nach Arbeit fragen, rieb sich der Alte seine breite, glänzende Nase, und jede der tausend Falten seines schwarzgrauen Gesichts schien sein Gehirn zu unterstützen und eifrig mit nachzudenken.
»Nun wartet mal, Sir,« sagte er, langsam mit dem Kopfe nickend, »vielleicht paßt das!«
»Was?« fragte der Deutsche.
»Seid ihr hier bekannt?«
»Ja?«
»Wißt ihr den Mount-Vernon-Platz?«
»Ja!«
»Dort, Ecke Lexingtonstraße, ist die sehr feine Drogerie von Mr. Jonas Townsend. Mein Boy ist da Laufbursche für 5 Dollars die Woche!« sagte der Alte und schwieg erwartungsvoll.
»Fünf Dollars die Woche, schön, die wollt ihr wohl mir geben, oder was ist sonst damit?« fragte der Deutsche ungeduldig.
»Hallo, Fred, come on!« schrie da Karl über die Straße hinüber, »denk an die Wanzen!«
»Nein, nein!« wehrte der Wollkopf erschrocken ab, »die müssen ja für uns beide reichen, für meinen Boy und mich. Aber der sehr achtbare Mr. Townsend hat einen Bruder in dem gesegneten Staat Delaware, und der hat eine große Farm und ziemlich viel Geld!«
Hier machte er wieder eine Kunstpause und wendete seinen Zuckermais um.
Fred hielt ihn für ein wenig schwachköpfig und wollte gehen, aber da machte der Alte einen Satz wie ein Ochsenfrosch und hielt ihn an der Jacke fest
Karl protestierte drüben und schrie im dröhnenden Tuten eines Lastautos etwas von unsichtbar werdenden Wanzen hinüber.
»Lauft doch nicht fort, Sir, wenn euch der alte Gilles zu eurem Glück verhelfen will!« rief der Alte eifrig.
»Na, da verhelft mir nur bitte ein bißchen schnell dazu, ich habe noch etwas Wichtiges vor,« lachte Fred.
»Well, dieser Mr. Townsend, der in Delaware, braucht zwei Arbeiter, am liebsten Deutsche. Mein Boy hat mir's gesagt!« sagte der Alte triumphierend.
»Ist das wirklich so? Nun, wir werden mal hingehen. Ich danke schön, und wenn's geklappt hat, kriegt ihr diesen Quarter.« (¼ Dollar = 1 Mark.)
Er hielt ihm das blankgeputzte Geldstück vor die Nase; der Alte wollte schnell zugreifen, aber Fred zog geschwind die Hand wieder zurück.
»Nicht jetzt, wir kommen wieder!« lachte er.
Er erzählte seinem Freunde ihre guten Aussichten; aber der machte ein wenig freudiges Gesicht. Sie waren jetzt ein Vierteljahr unterwegs. Nachdem die ersten bitteren Tage in Sonnenglut und Regenschauern mit Hunger, Durst, wunden Füßen und harten kalten Nachtlagern im Freien vorüber waren, hatte er sich an das vogelfreie Streifen durch die ungeheuren Gebiete dieses schönen Landes gewöhnt, und jetzt machte ihn die Aussicht, sein Ringkämpfergenick unter das Joch harter Farmarbeit zu beugen, einigermaßen bedenklich. Nichtsdestoweniger trottete er ergeben neben dem andern her, dem drohenden Geschick entgegen. Er hatte sich freiwillig mit seiner ganzen treuherzigen Seele der größeren Intelligenz und Willenskraft seines Freundes untergeordnet. Was der tat und sagte, war ohne weiteres gut.
Vor dem sauberen, vornehmen Laden von Jonas B. Townsend machten sie halt, stäubten ihre Kleider und Schuhe ab, strichen die Haare glatt und traten ein.
Ein älterer Mann mit langem, grauem Haar und freundlichem Gesicht empfing sie. Fred erzählte kurz, was ihm der alte Gilles gesagt hatte, und fragte, ob der Herr geneigt sei, sie für seinen Bruder zu engagieren. Er setzte gleich hinzu, sie seien beide mittellos und schon lange außer Arbeit.
Der alte Herr sah sie wohlwollend prüfend eine Weile an; nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie beide Farmarbeit verstanden, machte er mit ihnen aus, daß sie sich morgen früh 9 Uhr an der Union-Station treffen wollten. Er würde ihnen die Billette lösen und sie hinschicken. Über den Lohn und alles Weitere müßten sie allerdings mit seinem Bruder selbst reden. Dann fragte er noch, wo sie logierten.
»Hotel St. John!« antwortete Karl prompt. Der Drogist lächelte, schrieb etwas auf einen Zettel und sagte:
»Abendbrot haben Sie noch nicht gegessen, wie? – Geben Sie das in Carkers Barroom ab, hier über die Straße, es gilt auch fürs Frühstück!«
Fred bedankte sich, Townsend lächelte, drückte ihnen nach amerikanischer Sitte die Hände, und Karl machte einen drollig aussehenden Kratzfuß. Sie erhielten m Carkers Barroom ein feines Abendbrot mit Bier und machten sich dann eilig auf zu ihrem Pürschgang ins St. Johns Building.
Die Jagdbeute in ihren schon zu Mittag bezahlten Betten war überreich und stimmte sie nachdenklich. Trotzdem schliefen sie bis gegen Mitternacht in dem großen, dunstigheißen Schlafsaal. Aber dann war's nicht mehr zum Aushalten. Fluchend warfen sie die Decken durcheinander und forschten nach den Quälgeistern. Aber die übten die nach ihnen benannte Taktik und waren nicht vorhanden, als sie verlangt wurden.
Nach einigen weiteren, erfolglosen Schlafversuchen zogen sie sich schimpfend an und machten sich zerbissen und verschwollen davon.
Fred erinnerte sich an des alten Gilles Quarter, sie suchten sein Haus, und da schon alles finster war, kletterte Karl auf den Fenstersims, brüllte mit seiner Löwenstimme hinein:
»Hallo, Herr Weißkopf, hier ist der versprochene Quarter, es hat geklappt!«, und warf den Silberling in die dunkle Stube, aus der ein unartikuliertes Grunzen antwortete.
Dann schlenderten die beiden Kameraden durch die Straßen und trafen in einer Anlage auf das Denkmal George Washingtons, der einsam im Sternenschimmer auf seiner Säule stand und seinen staatsmännischen Gedanken nachhing. Die Granitplatten um das Denkmal herum waren hübsch kühl, und so legten sich die beiden Tramps darauf zum Schlafen nieder. George Washington hatte nichts dagegen.
Vom Turm der katholischen Kathedrale schlug es gerade 4 Uhr, als sie ein langer, steifbeiniger Policeman durch ein paar Fußtritte weckte. Sie sprangen sofort außer Greifweite, Karl rieb sich die Hände und fragte ihn auf deutsch, ob er hier der Hausknecht wäre. Das Storchbein schwang als Antwort drohend seinen Knittel, und Karl, der nicht ausgeschlafen hatte, schien nicht übel Lust zu haben, mit ihm eine Prügelei anzufangen. Fred zog ihn aber fort, sie wanderten durch die Stadt, nahmen draußen ein kühles, salziges Bad in der Chesapeake Bai und reinigten und reparierten ihre Sachen. Dann holte Karl sein letztes Zehncentstück aus der Tasche, wofür sie ein schmieriger Negerbarbier unter das Messer nahm.
Als der Wirt von Carkers Barroom seine Tür aufschloß, fuhren die zwei Deutschen wie verhungerte Wölfe hinein, aßen die unvermeidlichen Eier mit Schinken, leerten außerdem noch einen Teller mit Kuchen und tranken eine Familienkanne Kaffee aus. So gut war es ihnen lange nicht gegangen. Mr. Carker schrieb alles gewissenhaft auf.
Um die Zeit auszufüllen, besuchten sie noch einmal die Landungshallen des Norddeutschen Lloyd in Locust Point, wo sie vor zwei Jahren das Schiff verlassen hatten, und zogen das Fazit ihres Aufenthalts in Amerika. Es war sehr betrüblich. –
Sie waren zur festgesetzten Zeit auf der Union-Station, und bald kam auch der Drogist. Er begrüßte sie in seiner herzlichen Weise und fragte, wie sie geschlafen hätten.
»Oh, sehr gut!« antworteten die beiden, sagten aber nicht, wo.
Sie bekamen ihre Fahrkarten, die Adresse ihres zukünftigen Arbeitgebers und jeder einen halben Dollar Zehrgeld.
Dann gab ihnen der alte Herr die Hand und sagte mit ernstem Gesicht:
»Ich hoffe, daß es Ihnen bei meinem Bruder gefallen wird, ich hoffe es sehr –«
Fred sah ihn aufmerksam an, es hatte geklungen, als hätte er noch etwas hinzusetzen wollen.
Die mächtige Lokomotive ruckte mit heulendem Pfeifen an, der Zug rollte in den sonnigen Tag hinaus, im großen Bogen um die Stadt herum und dann nordwärts die im Sonnenschein funkelnde, vom Leben des jungen Tages erfüllte Bai entlang. Am nördlichsten Ende der Bai mußten sie umsteigen und fuhren auf der Ostseite wieder südwärts in den Staat Delaware hinein. Ihr Ziel war in der südlichsten Grafschaft. Es dunkelte schon, als sie Dagsborough, ihre Bestimmungstation, erreichten.
Der Bahnhof bestand aus einem großen Bretterschuppen. In der einen Hälfte war der Güterboden, in der andern Warteraum und Fahrkartenschalter. Sie fragten den hemdärmeligen Beamten über den Weg nach Townsends Farm. Es waren zwei Wegstunden bis dahin.
Die Straße ging immer bergab, der Küste zu. Die Gegend wurde uneben, sandig und dürftig und erinnerte die Deutschen in ihrer melancholischen, schweigenden Ode, auf die der Mond weiß und ruhig strahlte, fast an die Lüneburger Heide drüben im Vaterlande.
Die beiden gingen stumm, mit ihrem langen, fördernden Schritt, den sie durch achtzehn Staaten geübt hatten, ihrer neuen Heimat zu.
Die regelmäßig wiederkehrenden Hügel, bewachsen mit grotesken, bleichen Büschen, sahen aus wie ein zu Sand und Sternen erstarrtes wogendes Atmen der See. Der Sand auf dem Wege war weiß und tief, der Seewind strich durch die dürren, raschelnden Sträucher, und der Schrei eines einsamen Vogels durchbrach dann und wann die feierliche Stille.
Einmal kam ein Gehöft, in dem sie nach dem Wege fragten.
»Immer geradeaus!« wurde ihnen Bescheid.
Sie waren ihrer Schätzung nach zwei Stunden unterwegs, als eine Gruppe von Gebäuden auf einem Hügel vor ihnen auftauchte. Links von der Straße passierten sie ein niedriges kleines Haus, ein betrunkener Neger stand davor und begehrte schimpfend Einlaß. Er wies wortlos und finster auf das Haus auf dem Hügel, als sie nach Townsends Haus fragten. Das stand weißschimmernd und stumm hoch oben, beschienen vom kalten, stillen Glanz des Mondes. Auf seinem Türmchen eine Wetterfahne, unbeweglich trotz des Südwinds. Sie wies wie eine drohende Hand nach Untergang.
Unten strömte ein Flüßchen um den Hügel herum, rauschend und eilig; aus dem Wasser tönte ein Glucksen und Schnalzen durch die tiefe Ruhe der Nacht, und das heisere Flüstern des Windes im Röhricht klang aus brauendem Nebel.
Die beiden standen eine Minute zögernd vor der weißlackierten Tür, über der ein Spruch in Goldschrift glänzte. Dann hob Karl den Messingklopfer und pochte kräftig, es klang so eigentümlich hohl wie ein leeres Haus. Sie warteten eine Weile, nichts regte sich, aber plötzlich knackte ein Riegel vor ihnen, ohne daß sie jemand kommen gehört hatten.
Die Tür ging auf, ein Lichtstreifen fiel heraus in den schwarzen Schatten des Hauses. In der Öffnung stand ein mittelgroßer Mann, eine brennende schirmlose Lampe in der Hand. Sie beleuchtete hell und scharf ein rundes, regelmäßiges Gesicht, hübsch weiß und rot wie ein Puppenkopf. Dann zwei große, glänzende Augen, auf der Oberlippe ein sanftgeschwungenes, hellblondes Bärtchen und darunter ein unendlich mildes, wohlwollendes Lächeln.
Aber trotz der Milde und des Wohlwollens wendeten sich die Gesichter der Draußenstehenden einander flüchtig zu und tauschten einen blitzschnellen Blick. Sie hatten beide die gleiche unangenehme Empfindung beim Anblick dieses Gesichts.
Da der Mann mit der Lampe schwieg, nahm Fred das Wort, grüßte und sagte, sie seien die von Mr. Townsends Bruder angenommenen Arbeiter; sie hätten wohl Mr. Townsend selbst vor sich?
Der Puppenkopf nickte, ob als Gruß oder als Antwort auf die Frage, war nicht zu entscheiden.
»Tretet ein!« sagte er mit klangvoller Stimme in einem eigenen, fast feierlichen Tonfall.
Es ging durch einen mattenbelegten Korridor und dann eine saubere, weißgestrichene Treppe hinauf. Im zweiten Stock öffnete er eine Tür.
»Das ist euer Zimmer, die Betten sind fertig, auch rein. Morgen sprechen wir weiter miteinander. Gott sei mit euch!«
Sie standen allein in der heißen, von Moskitogesumm erfüllten Kammer, durch die weißes Mondlicht flutete.
Karl sah seinen Begleiter mit nachdenklichem Blick an.
»Kein Guter!« sagte er leise.
»Scheint mir auch so. Na, wollen sehen«, sagte der achselzuckend und öffnete das Fenster.
Die hereinströmende Nachtluft war doch kühler als die Backofenluft in dieser Dachkammer.
»Hast du gehört, auch rein sind die Betten, das heißt, bringt keine Läuse hinein.«
Fred antwortete nicht, er setzte sich auf den Bettrand und begann, seine Schuhe aufzuschnüren, saß aber lange zusammengesunken da mit zwei tiefen, dunklen Falten in der Stirn, einen Schuh in der Hand wippend. Sie legten sich mit Behagen in die weißen, kühlen Linnen, aber immer noch umkreisten Freds Gedanken dieses eigentümliche Gesicht, und seine Augen starrten auf die Wand gegenüber. Da hing ein Bild. Nach einer Weile fiel das Mondlicht darauf, es war Jesus am Kreuze.
»Gott sei mit euch, hat er gesagt, also ein Frommer. Das sind die Schlimmsten in diesem gesegneten Lande«, sagte er plötzlich laut und klar.
Karl zuckte zusammen; er war gerade am Einschlafen gewesen.
»Verkündest du schon wieder Unheil, alter Unglücksrabe?« knurrte er.
Sie verbrachten eine schlechte Nacht. Die Hitze war fast unerträglich. Schwitzend wälzten sie sich in den Decken herum, schlugen wütend nach den Moskitos und belegten sie mit den schrecklichsten Flüchen zweier Sprachen.
Dann zogen sie aus und legten sich auf dem Korridor nieder. Aber auch hier war es nicht viel besser. Gegen Morgen waren die Blutsauger endlich voll, und ein kühlerer Luftzug wehte. Da schliefen sie noch eine Stunde in ihren Betten, bis sie eine Negerin, die Köchin, weckte.
Ein kleiner, blonder Junge erwartete sie unten, es war Townsends Sohn. Er zeigte ihnen die Zugtiere und deren Heu und Mais. Es waren zehn Stück da, die Hälfte Maultiere. Alle dürr wie die Windhunde. In diesem Lande sind die Pferde billig und werden nicht sehr geschont. Fast so wenig wie die Menschen.
Die beiden machten sich emsig an die Arbeit, fütterten und putzten, und der Junge besorgte die Schweine. Dann kam er wieder und half Karl mit. Dessen lachendes Gesicht und seine humoristischen Bemerkungen zogen ihn an, und seine etwas verschüchterten, großen Augen hafteten staunend an den gewaltigen Armmuskeln des Riesen.
Als Karl mit einer spaßigen Bemerkung auch mit dem letzten Mule Bekanntschaft gemacht hatte, gingen sie zum Frühstück. Sie traten nach amerikanischer Sitte mit in das Speisezimmer. Drinnen empfing sie ihr Boß (Arbeitgeber) mit einem frommen Gruß und bedeutete ihnen mildlächelnd, ihr Frühstück stünde in der Küche bereit.
Wieder sahen sich die Arbeiter an, gingen aber wortlos hinaus und aßen. Es war nicht wenig auf dem Tische, aber für die ausgehungerten Tramps doch lange nicht genug. Die schwarze Köchin aß mit an ihrem Tische.
Amerikanische Arbeiter wären sofort aufgestanden und hätten das Haus verlassen, wo man ihnen so etwas zumutete. Sie teilten das Vorurteil gegen die Neger nicht, setzten aber diesen Beweis von Mißachtung ihrem Arbeitgeber aufs Konto.
Dann bekamen sie den Auftrag, einige große Erdbeerbeete im Garten zu behacken. Das dauerte den ganzen Tag. Townsend kam öfter heraus, sah ihnen lächelnd und schweigend zu und zog einen Strich durch das Land.
»Das ist genau die Hälfte,« sagte er, »wenn ihr damit fertig seid, ist Mittag!«
Karl sah ihm verblüfft nach.
»Nanu, wieso ist's denn da gerade Mittag?« Er guckte Fred an, der höhnisch lächelte.
»Ach so,« sagte er dann gedehnt, »das heißt, eher bekommt ihr nichts zu essen – das ist aber ein Schuft!«
Nach dieser Erkenntnis nahmen sie es nicht mehr so genau. ließen die Hälfte Unkraut stehen und zogen die Erde drüber weg. Sonst wäre ihr Mittag auf 4 Uhr nachmittags gefallen.
Nach dem Abendbrot kam der Boß auf die Veranda, wo sie rauchend saßen, und sagte ihnen mit seiner sanften Stimme, morgen sollten sie ein neues Feld klaren, ob sie das verständen?
Sie verneinten.
»Nun denn, ich werde jedem 12 Dollars den Monat geben. Ihr versteht ja noch nicht alle Arbeiten und nicht perfekt Englisch. Ich hörte heute, daß ihr deutsch miteinander spracht. Seid ihr einverstanden?«
Karl antwortete gar nicht, und Fred sagte ruhig »ja«.
Er war sich ohnehin ziemlich sicher, daß sie auch die zwölf Dollars nicht bekommen würden, denn hier blieben sie keinen Monat.
Etwas ungeheuer Niederdrückendes lag über dem ganzen Leben und Wesen in diesem Hause wie ein riesiges, schweres Gewicht. Auch der kleine blonde Junge brachte keinen Frohsinn hinein. Wenn er aus der Schule kam, aß er hastig und arbeitete dann in Stall und Hof umher wie ein erwachsener Arbeiter. Sein Vater trieb ihn dazu.
Die Frau des Farmers hatten sie überhaupt noch nicht gehört und nur einmal am Fenster gesehen. Sie war still und blaß und hatte einen müden, gleichgültigen Blick.
»Mutters Lunge ist krank«, hatte der Junge auf eine Frage Freds geantwortet.
Die beiden Deutschen fochten in ihrem Brutofen von Schlafzimmer noch einen wilden Kampf mit einigen hundert blutgierigen Moskitos aus und schliefen dann, bis die Köchin wieder knurrend an die Tür pochte.
Auf der Treppe stand Townsend und fragte sie mit seinem mildesten Lächeln, wann die Leute in Deutschland aufständen.
Fred blitzte ihn mit wutglühenden Äugen an.
»Wenn sie ausgeschlafen haben, Sir!«
Nach dem Frühstück schirrten sie in Gemeinschaft mit einem Dutzend im Tagelohn beschäftigten schwarzen Arbeitern alle Mule und Pferde vor große Leiterwagen. Es kamen eine Menge Hacken, Äxte und Sägen darauf, auch ein Pflug. Als sie fertig waren, kletterten alle darauf und warteten auf den Alten.
Der löffelte auf der Veranda ein Ei aus, sah frisch und rosig aus und hatte ein ungeheuer freundliches Lächeln aufgesetzt. Als er dann ins Haus gegangen war, kam plötzlich seine Frau heraus, setzte sich in einen Schaukelstuhl und fing bitterlich an zu weinen. Townsend war ihr auf dem Fuße gefolgt und sagte lächelnd noch einige Worte zu ihr. Sie rang die Hände, stand auf und lief wieder hinein. Er machte eine Bewegung, als wolle er ihr folgen, besann sich aber anders, griff nach seinem Hut und kam wiegenden Gangs an die Wagen.
»Du, der schikaniert auch das arme Weib, na warte, Lump!« zischte Karl.
Der Alte ging mit seinen geräuschlosen, elastischen Katzenschritten um die Wagen herum, und sein strahlendes, heiteres Gesicht zeigte so wenig einen Schatten oder eine Falte wie sein weißes Oberhemd. Dann fragte er nach dem älteren der beiden deutschen Jungen. Ein Neger stieß den neben ihm sitzenden Fred an, der holte drohend mit der Hand aus, ging aber nicht hin.
»Hallo, Boy!« schrie Townsend herauf, »dich meine ich!« Da stand er auf und sprang herunter. Karl erhob sich ebenfalls und stand sprungbereit auf dem Wagen.
»Nimm den ersten Wagen, ich will sehen, ob du Mule fahren kannst, aber schlage sie nicht, denn es steht geschrieben: der Gerechte erbarmt sich seines Viehes!« sagte er mit gütigem Lächeln.
Fred nickte und rief Karl zu:
»Bleib dort, ich soll den ersten Wagen fahren.«
»Höre, ich wünsche nicht, daß auf meinem Grund und Boden etwas andres gesprochen wird als Englisch!« sagte Townsend schnell.
»Ganz recht, Boß,« antwortete Fred lächelnd und mit lauter Stimme, »aber wir haben doch für acht Dollars die Erlaubnis, deutsch zu sprechen. So viel beträgt doch wohl der Unterschied zwischen unserm Lohn und dem landesüblichen, nicht?«
Townsend sagte nichts, aber seine hellblauen Augen bekamen einen Glanz wie Stahl, wenn man mit einer Feile drüber fährt.
Dann ging es fort. Der Deutsche trieb seine Mule sicher vorwärts. Das Fahren mit diesen Gespannen ist nicht leicht; die Tiere werden nur durch Berührungen mit der Peitsche und Zurufe gelenkt. Zügel gibt's nicht.
Sie waren kaum den abschüssigen Hof hinunter, als ihn schon der Alte, der neben ihm stand, aufforderte, schneller zu fahren. Fred feuerte die Tiere an, aber Townsend war damit nicht zufrieden. Er schrie gellend auf sie ein und knallte mit der Peitsche, daß es wie Gewehrfeuer klang.
Es war merkwürdig, wie schneidend diese sonst so ölige Stimme jetzt klang. Fred sah zum erstenmal das Profil des Alten und war betroffen von dem tierischen, brutalen Ausdruck des vorspringenden und doch so runden Kinns und der tiefen, bösen Grube über der Nasenwurzel.
Die Wagen polterten über die Brücke, die Neger darauf hielten die Bretter der Böden und die Gestelle buchstäblich mit den Händen fest, sonst hätten sie sie verloren. Fred sorgte, daß die Mule das Äußerste an Schnelligkeit hergaben.
»So ist's recht,« lobte Townsend, »die Zeit ist auch eine Gabe Gottes und muß ausgenutzt werden.«
Ja, und der Mais auch, den die Mule fressen, und der kostet außerdem noch Geld, denn auf diesem Sande wächst keiner, dachte Fred.
Im Galopp ging's durch einsame, sandige Brachfelder, aus denen es heraufklang wie das ferne Brausen des Meers, die Stimmen von Myriaden Bienen über dem Heidekraut. Der Glanz der Sonne lag grell auf den weiten weißen Flächen, und oben im prächtigen, hitzesprühenden Dunkelblau schwebten große Bussarde und zogen ihre Kreise.
Ziemlich eine Stunde dauerte die rasende Fahrt. Die rasselnden gebrechlichen Wagen wirbelten dicke Staubwolken auf, die sich als weißes Mehl auf Menschen und Tiere senkten.
Dann ging's eine mit Gestrüpp bewachsene Anhöhe hinauf, die von einer tiefen, trockenen Schlucht zerrissen war. Hier machten sie halt, luden die Geräte ab, schirrten die Pferde aus und banden ihnen die Hinterbeine mit kurzen Stricken zusammen, daß sie nur kleine Schritte machen konnten. Dann durften sie weiden.
Karl und Fred erhielten jeder eine Axt und Hacke und mußten mit einem alten weißen und zwei schwarzen Arbeitern die Schlucht vom Gestrüpp säubern. Es wurde abgehackt, die Wurzeln ausgegraben und dann auf Haufen getragen.
An dem heiligen Eifer, mit dem ihre Kollegen daran gingen, merkten die beiden, in welcher Weise hier der Lohn verdient wurde. Sie taten wacker mit. Die Sonne brannte in dem windstillen Graben auf den Buckel und hielt die Hemden trotz allen Schwitzens knackend trocken. Die Schweißtropfen flogen bei jedem Schlag von den glühenden Gesichtern wie ein Springbrunnen. Kein Wort fiel, von oben war das Stöhnen der vier Mule, die den Pflug zogen, und das Brüllen ihres Kutschers der einzige Laut, der hörbar wurde. Ein großer, starker Neger hatte die Handgriffe und stampfte übers Feld, schwankend wie ein Schiff bei schwerem Seegang, und riß den Pflug immer wieder hoch, wenn er an Wurzeln hakte und zerrte.
»Na, den beneide ich nicht,« sagte Karl bedauernd, als der Neger oben am Rande keuchend und triefend kehrt machte.
Ab und zu sahen sie auch Townsends Panamahut auftauchen; er umkreiste rastlos das Feld, feuerte den einen im Vorbeigehen durch einige leise Worte an und tauchte heim andern, der sich grade einmal verschnaufen wollte, wie ein Schatten auf. Sein bloßes Erscheinen trieb die Neger zu wildem Eifer an, alles beugte sich widerstandslos vor diesem auf leisen und doch zermalmenden Sohlen schleichenden Willen.
In der Schlucht war alles bei stummer, eifriger Tätigkeit. Die Schwarzen hatten sich abgesondert, und bei den Weißen kam keine Annäherung zustande. Der alte Marshall war stumm wie ein Trappist; er arbeitete geschickt und ruhig und brachte mehr vor sich als die zwei Deutschen mit all ihrem guten Willen. Ihnen fehlte die Übung und das Vertrautsein mit den Werkzeugen.
Die Sonne hatte fast ihren höchsten Stand erreicht, und die Arbeiter schmorten im Graben wie Äpfel in der Ofenröhre, da warf Karl mit einem Fluche die Hacke weg.
»Mensch, hab ich einen Hunger,« klagte er, »morgen nehme ich unbedingt ein Stück Brot mit. Ich kann mich nicht an das Dreimahlzeitensystem gewöhnen, am wenigsten bei solch einer Arbeit. Wenn nur der Alte ein bißchen Frühstück und Vesper bewilligen wollte, könnte er mir meinetwegen noch drei Dollars abziehen. Ich werde es ihm mal sagen, was meinst denn du?«
»Selbstverständlich, meinetwegen fünf!« sagte Fred und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
»Ja, es ist zum Verzweifeln,« brummte Karl, »man möchte so gern aushalten, daß man mal äußerlich ein bißchen auf die Beine käme, aber hier ist's fast unmöglich. Der ewige, furchtbare Hunger macht einen kaputt. Man wird nie satt. Beim Essen steht der feixende Halunke hinter einem, zählt die Bissen und guckt jede Minute nach der Uhr, und da kann ich mich nicht voll essen, mir quillt jeder Bissen im Halse. Ich weiß nicht, der Kerl – er kommt mir vor wie der Teufel. Wenn ich ihn sehe, gucke ich mich immer um, wo ich hingehen kann, denn wenn er mir mal näher wie drei Schritt vor die Nase kommt, kann ich mich nicht mehr halten und haue ihm eine in sein scheinheiliges Pfaffengesicht, dem ekelhaften Hund!«
»Ja, und der schießt dir dann eine Kugel zwischen die Rippen, seine Hüftentasche hat eine verdächtige Rundung. Ich haue ihm dann natürlich den Schädel ein und kann meine Tage beschaulich in Sing-Sing beschließen, wenn mich die schwarzen Herren hier nicht sofort an einen Ast hängen. Sehen ganz so aus, als ob sie es täten! Laß es lieber bleiben!« sagte Fred in seiner ruhigen Weise, setzte sich hin und band einen Bindfaden um seinen Schuh, weil die Sohle herunterklappte.
»Hallo, Boys!« rief da des Farmers salbungsvolle Stimme über ihnen, »ich glaube, es ist besser, ihr seid nicht so nahe beisammen. Charles mag heraufkommen und den Pflug nehmen, und du arbeite mit Mr. Marshall zusammen, er kann dir etwas beibringen.«
Fred hob blitzschnell seine Hacke und schwang sie hoch empor. Es sah aus, als wollte er sie einige Zoll unter den Panamahut da oben werfen, aber sie fuhr nur krachend in eine Wurzel. Der Panama war verschwunden.
»Tu mir den Gefallen und geh ruhig, etwas anderes führt zu nichts,« sagte Fred, und sein Gesicht war schon wieder starr und unbewegt wie gewöhnlich.
Karl nickte und stieg hinauf.
Sein Kamerad half dem alten Marshall mit.
»Der Boß kann es nicht leiden, wenn man während der Arbeit schwatzt,« murmelte der Alte und sah sich vorsichtig um.
»Aber er hat recht, man kriegt seinen Dollar fürs Arbeiten und nicht fürs Unterhalten!«
Und damit schlug er wieder wie wütend auf einen hartnäckigen Strunk los, als reute ihn die unverantwortliche Zeitverschwendung.
Es wurde Mittag, der Boß pfiff, das Feld wurde leer. Alles strömte unter einem breitästigen Maulbeerbaum zusammen. Fred sah eine einspännige Kutschkarre über das Feld kommen. Es war der Junge, er brachte in zwei großen Töpfen das Mittagessen.
Townsend stand mit der Uhr in der Hand da. Der Junge hielt und setzte mit einem scheuen Blick nach ihm die Töpfe auf den Boden.
»Wo warst du solange?« fragte sein Vater mit einem bösen Flimmern in den Augen.
»Oh, Papa, das Pferd scheute schon im Hofe, da fiel ein Topf herunter und das ganze Fleisch heraus. Ruth hat erst neues braten müssen!' sagte der Kleine ängstlich.
»Hast du gegessen?« –
»Nein?« –
»Well, es war dein Fleisch, das herausfiel; du hast nicht aufgepaßt, deine Pflicht versäumt, also sollst du auch nicht essen.«
Der Junge drückte sich still beiseite, der Alte teilte das Essen aus und faltete dann die Hände. Die Tagelöhner waren gut dressiert, sie sprangen sofort auf und taten das gleiche.
Der Boß betete laut, Karl hatte trotzig die Fäuste in die Taschen gesteckt und starrte ihn wütend an. Er schoß mit dem Amen zugleich auf sein Essen los, schnell, als könne ihn der Entschluß noch reuen, teilte die Hälfte ah und trug sie dem Kleinen hin.
Des Alten Gesicht wurde einen Moment finster; aber warm und mild, wie Sonnenschein im März, brach sein Lächeln wieder durch, als er sagte:
»So viel man arbeitet, pflegt man auch zu essen. In der Schlucht wurde wohl heute viel Polnisch gesprochen?« setzte er, zu Marshall gewendet, hinzu.
Da flog ihm klirrend Karls Teller vor die Füße, und der Goliath sprang auf. Aber ein warnendes Zischen aus Freds Munde hielt ihn zurück.
»Denk an den Revolver!«
Karl sah seinen Gefährten wütend an und ging abseits.
»Hüte dich. Junge!« schrie Townsend gellend, »mach noch eine solche Bewegung, und es war deine letzte. Auch du, ich sah, was du vorhin mit der Hacke vorhattest. Hütet euch! Denkt nicht, daß ich mich vor euern Kräften fürchte, hier gibt´s nur einen Willen, und der ist der meine!«
Er sah aus wie ein gereiztes Raubtier, mit seinen blinkenden weißen Zähnen und der zitternden Oberlippe, die krampfhaft das Lächeln festhalten wollte.
Fred rührte sich nicht, er kauerte ihm gegenüber, die Hände leicht aufgestützt und den starren, glühenden Blick aus seinem unbeweglichen Gesicht fest auf ihn gerichtet.
Die Neger saßen mit vollgepfropften Mäulern unbeweglich im Kreise und warteten, daß etwas Schreckliches geschähe.
Die Blicke der beiden bohrten sich ineinander wie die Hörner kämpfender Büffel. Dann wendete Townsend seine glänzenden Augen, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, vom Gesicht seines Gegners.
Die Mahlzeit wurde rasch beendet und die Arbeit sofort wieder aufgenommen. Karl nahm wieder seinen Pflug, Fred die Hacke im Graben. Es wurde noch hart gearbeitet den Nachmittag hindurch. Townsend führte die Maultiere, und Karl lenkte, schnurgerade, trotz aller Hindernisse. Er wollte dem Alten zeigen, wie seine Hände zugriffen und festhielten. So zogen sie ihre Furchen weit hinaus bis an den Fuß des Hügels. Fred im Graben bewunderte den Mut des Alten, mit dem von Grimm erfüllten Riesen allein soweit wegzugehen. So oft sein Blick auf den Namen »Townsend« im glänzenden Eisen seiner Hacke fiel, glühten seine grüblerischen Augen auf.
Vor Sonnenuntergang trugen sie Äste und Wurzeln zusammen und warfen sie in die Schlucht, schirrten die Zugtiere vor die abgehauenen Stämme, schleiften diese auch hinein und machten riesige Scheiterhaufen daraus. In Amerika ist das Holz der Weichholzbäume wertlos.
Dann kletterte die ganze Gesellschaft auf die Wagen und fuhr ab. Fred mußte mit dem Alten allein zurückbleiben und die Haufen anbrennen helfen. Dann nahm er den Zügel des Rappen vor der Kutschkarre, und die zwei überließen das Feuer sich selbst.
Townsend saß stumm m der Karre und sah manchmal zurück nach den hoch emporschlagenden Flammen auf der Höhe.
Sie passierten wieder in flottem Trabe kleine Felder und große Flächen Brachland.
»Sieh,« sagte er plötzlich zu dem Deutschen, »ich habe diese grünen Inseln der weißen Wüste abgerungen in zwanzigjähriger mühseliger Arbeit. Sie lachten mich aus, als ich für all mein Geld den Platz kaufte, sagten, ich könnte nur Bausand exportieren. Ich exportiere 20 Zentner Honig im Jahre und zehnmal so viel Tomaten und Erdbeeren. Weiter läßt sich nichts ziehen. Ich habe immer gearbeitet, zäh und rastlos, und habe aus Sand Gold gemacht. Ich!« sagte er mit Nachdruck und einem harten, maßlosen Stolz in Gesicht und Stimme.
»Gott hat mir seinen Segen dazu gegeben, ihm sei die Ehre,« setzte er plötzlich still und ganz verändert hinzu und nahm den Hut ab.
Fred warf einen forschenden Blick auf ihn und knallte dann kopfschüttelnd mit der Peitsche. Er konnte sich nicht klar werden, oh dieser Mann ein Schuft und Heuchler oder nur ein aus seltsamen Gegensätzen zusammengesetzter Charakter war.
Es war schon spät, als Karl und Fred die Tiere versorgt und Abendbrot gegessen hatten. Fred hatte seinen letzten Tabak in die Pfeife gestopft, rauchte behaglich und betrachtete seufzend seine Finger, die krumm und steif vom Hacken standen, und Karl rieb sich nach alter Sporttradition die Arme mit Öl ein.
»Der verdammte Pflug hat sie mir fast ausgerissen, aber ich habe dem Diakonus nicht den Gefallen getan, um Pardon zu bitten. Er wollte mich zwiebeln, der alte Freund,« lachte er. Diakonus nannte er den Farmer.
Ein unendlicher, schwermütiger Zauber lag über der schlafenden Natur. Vollmondlicht floß in schimmerndem Strom über die kahlen, sandigen Flächen und braute silbern im Nebel über dem Wasser. Ein leiser Wind wehte, kaum stark genug, um die Schilfstengel zu biegen oder eine Unterhaltung mit den drei großen Zedern hinterm Garten zu machen. Die standen schwarz und schlank vor dem Firmament, und der Mond faßte ihre edeln Linien mit Silberborten ein.
Die beiden sannen und träumten und hatten es nicht eilig, in ihr Schwitzbad unterm Dache zu kommen.
Da trafen ein paar leise Töne an ihr Ohr. Sie horchten. War es Gesang? Es klang so leise und süß, als ob Elfenstimmen da unten im Flußtale sängen. Die Töne schwollen an, wurden klagend und traurig. Ein Schluchzen war es, tief und herzzerreißend, als weinte jemand sich eine große Last von der Seele herunter. Abgerissen, stammelnd und laut klagend, klang es durch die Nacht. Dann wurde es leiser und weicher, verstummte fast ganz, bis klar und voll eine ruhige, getragene Melodie sich in die Höhe schwang, ein choralartiges Lied.
Die letzten Töne waren mit dem Flüstern des Nachtwindes verklungen, die beiden Deutschen saßen noch immer im atemlosen Lauschen. Da stand Karl leise auf und schlich auf den Fußspitzen um das Haus und spähte zum einzigen, noch erleuchteten Fenster hinein, – drinnen stand Townsend, eine Geige in der Hand und den Kopf gesenkt, daß ihm sein helles Haar in die Stirn fiel!
Karl wandte um und stieß seinen Freund an, der ihm leise gefolgt war. Sie sprachen fast kein Wort mehr miteinander, auch Karl war ausnahmsweise ernst.
Sie schliefen trotz Hitze und Moskitos den tiefen, traumlosen Schlaf körperlicher Ermüdung. Mitten m der Nacht erwachte Fred von einem gellenden Schreien und Trampeln von Füßen auf Flur und Treppen.
Er trat hinaus, sah die dicke Negerin im Hemd die Treppe hinuntersausen und hörte das schmerzliche Weinen des kleinen Jungen. Ein Pferd galoppierte durch den Hof. Er rannte ans Fenster und erhaschte noch den flüchtigen Anblick eine Reiters, der, tief auf den Hals des Pferdes gebeugt, in raschem Tempo über die Brücke schoß und im Schatten des Hohlweges verschwand.
Er zog die Hosen an und trat auf den Korridor hinaus. Da kam der Junge im Hemd herauf und hielt weinend seine nassen, braunen Händchen vors Gesicht.
»Oh, Fred,« schluchzte er, »Mama ist so krank geworden, es ist Blut aus ihrem Munde gekommen. Wird sie sterben? Er sah Fred flehend aus seinen großen, grauen Augen an.
»Nein, mein Junge, nein, sie stirbt nicht. Komm, sei ruhig, geh mit zu Karl. Deine Mama stirbt gewiß nicht.«
Er nahm den kleinen, zitternden Kerl mit in die Kammer, weckte seinen Gefährten und erzählte ihm, was er wußte. Der schlaftrunkene Karl hatte kaum seinen weinenden kleinen Freund erkannt, als er ihn wortlos ins Bett hob und leise und freundlich auf ihn einsprach.
Fred sah zum Fenster hinaus. Nach kurzer Zeit kamen Townsend und der Arzt auf schweißglänzenden Pferden wie die wilde Jagd angebraust und verschwanden im Hause.
Alles wurde ruhig, und niemand fragte nach dem Jungen. Der schlief ruhig neben Karl und hatte seinen blonden Kopf auf die breite Brust des Riesen gelegt.
Beim Morgengrauen stand Fred auf, nahm ein Bad im Flusse und schlenderte hinter dem großen Garten herum nach der Anhöhe, auf der die drei Zedern standen.
Der Tag brach an, mit Sonnenglanz und frischem Winde, und die großen schönen Bäume standen goldumflossen wie leuchtende Fackeln im blinkenden Morgenlicht.
Der Arbeiter ging durch ein kleines Maisfeld, in dem der Wind rauschte und raschelte, und trat eben zwischen den letzten mannshohen Halmen hinaus, als er stockte.
Dicht vor ihm lag der Panamahut, und oben zwischen den Zedern kniete Townsend barhäuptig im Heidekraut. Er hatte die ausgestreckten Arme mit gefalteten Händen auf den Boden gelegt und den Kopf fast bis zur Erde hinabgebeugt. Er betete, tief in seine Andacht versunken, und machte keine Bewegung.
Hätte er aufgesehen, so hätte er dem Deutschen direkt ins Gesicht gesehen. Fred wollte das vermeiden, trat leise in das Maisfeld zurück und ging in den Stall.
Aber er machte beim Pferdeputzen oft eine Pause und starrte in tiefen Gedanken über den merkwürdigen Menschen, der sein Arbeitgeber war, nach dem weißen Wohnhause hinüber. Er sagte seinem Kameraden nichts von seinem frühen Abenteuer; sie machten Pferde und Wagen zurecht und frühstückten dann.
Sie bekamen den Farmer erst nach dem Essen zu Gesicht. Er trug dieselbe lächelnde Maske wie immer, aber doch schien es Fred, als ob es nicht ganz dieselbe wäre, seine Augen lächelten nicht mehr mit und flackerten in einem düsteren, fremden Feuer.
Der Doktor kam in einer kleinen Kutsche noch einmal, er blieb nicht lange im Hause. Die Köchin brachte einen kleinen Lederkoffer heraus und verstaute ihn in der Kutsche, und dann kam der Arzt mit dem kleinen Jungen, gefolgt von Townsend, und stieg in den Wagen.
Der Kleine setzte sich still und mit zuckenden Lippen zurecht, sein Vater bog sich über ihn, nur eine Sekunde lang; dann fuhr die Kutsche ab.
Karl stieg eben auf zwei ledige Mule, die er nach dem Felde reiten sollte; der Kleine rief seinen Namen und winkte ihm mit der Hand einen Gruß zu, und Karl sah traurig seinem Liebling nach.
Die Neger kletterten auf die Wagen und fuhren polternd davon. Der Farmer setzte sich in die zweirädrige Karre, und Fred mußte wieder die Zügel nehmen.
Während der Fahrt fiel kein Wort. Der Alte saß steif und stumm neben ihm, die Hände auf die Knie gelegt wie ein Götze.
Plötzlich stand er auf und nahm die Zügel.
»Laß mich fahren, ich will sehen, wie es mit dem Feuer ist.«
Er schwang die Peitsche und feuerte den Rappen durch gellende Zurufe an, daß er dahinstob wie ein Sturmwind. Sie überholten alle Wagen und Karl mit den Mule.
Von weitem schon sahen sie leichte Rauchschleier den Hügel hinaufziehen, der einsam und menschenleer im blendenden Sonnenschein lag.
Townsend fuhr gerade auf den Graben los. Es brannte an manchen Stellen immer noch darin mit lodernder Flamme. Einzelne verkohlte Stämme ragten aus weißen Aschenhaufen empor, und an der tiefsten Stelle der Schlucht war alles noch eine rotglühende Masse.
Der Farmer lenkte schräg darauf zu. Er schien von einer eigentümlichen Unruhe erfaßt zu sein, murmelte einzelne, abgerissene Worte vor sich hin, und Fred kam es vor, als hätte er ganz vergessen, daß er nicht allein im Dogcart war.
Der Rappe wollte nicht weitergehen, er stemmte sich mit den Vorderhufen ein und warf Erd- und Grasstückchen über den Rand der Schlucht hinab. Da fuhr der Alte wie rasend auf und zog ihm eins über, daß es pfiff.
Fred sprang auf, und ein Todesschreck rann ihm durch die Glieder, als er einen Blick des Farmers auffing.
Was ihm daraus entgegenglühte, war Wahnsinn!
Das Pferd schob die Karre rückwärts, Fred fiel dem Manne in den Arm und versuchte, ihm die Zügel zu entreißen, aber er fühlte eisenharte Muskeln.
Townsend wendete ihm sein wutbleiches Gesicht zu und zischte: »Willst du dich mir auch in den Weg stellen, verdammter Deutscher!« und stieß ihm den Peitschenstiel ins Gesicht.
Zu gleicher Zeit machte das Pferd einen wilden Seitensprung, Fred verlor das Gleichgewicht, stürzte von dem Dogcart hinab und schlug mit dem Kopfe hart auf.
Der Wahnsinnige schlug den Rappen mit dem Peitschenstiel über den Rücken, Fred sah rechts über sich den dunklen Pferdekörper durch die Luft sausen und hörte einen kreischenden wilden Schrei.
Durch den Schlag, den Fall und das Entsetzen halb betäubt, sah er das Pferd drüben Fuß fassen. Der Wagen tauchte in die aufwirbelnde Glut hinab, es krachte und prasselte, Flammen und Funken sprühten auf, aber durch das toll gewordene Tier vorwärts gerissen, sprang der Dogcart drüben den schrägen Hang hinauf, und Pferd und Wagen verschwanden hinter der Rauchwand.
Der Wagen war leer! –
Fred starrte ihm mit entsetzten Augen nach, stand dann von Grauen geschüttelt auf und kroch an den Rand der Schlucht.
Der wirbelnde Qualm trieb ihm das Wasser in die Augen, Schauer von heißer Flugasche wehten ihm in glühender zitternder Luft entgegen, er konnte nichts von seinem Boß entdecken.
Ein Zucken ging über das braune, eckige Gesicht des Arbeiters. »Höllenfahrt!« flüsterte er leise.
Erschüttert wandte er sich ab, strich sich das schweißfeuchte Haar aus dem Gesicht und sah sich einen Augenblick wie ratlos im Kreise um. Dann stürzte er in wilder Eile den Abhang hinab, den Wagen entgegen.
Es kam ihm der Gedanke, ob die Tagelöhner nach den gestrigen Auftritten nicht denken würden, er hätte den Farmer ins Feuer geworfen. Er zauderte und fuhr sich nervös über das schwitzende Gesicht.
Da hörte er das Knallen von Peitschen und sah die Wagen um den Hügel herumkommen. Er winkte sie mit den Armen heran und schrie:
»Der Boß ist ins Feuer gefallen!«
Die Neger rissen ihre Augen auf und starrten ihn dumm an.
»Kommt, schnell!« rief er »wir müssen ihn herausholen, er liegt im Graben.«
Da verstanden sie. Unter wildem Geschrei kamen sie heran. Fred lief voraus und zeigte in die Schlucht hinab.
»Hier liegt er. Schlagt Stangen ab!«
Sie brüllten und gestikulierten durcheinander. Fred wandte sich ab und ging weg. Einige liefen nach Hacken und Ästen.
Der alte Marshall kam ihm nach und hielt ihn am Arme fest.
»Wie ist denn das zugegangen?« fragte er lauernd, »erzählt!«
Fred sah ihn drohend an.
»Nicht jetzt und nicht euch. Es ist Sache des Coroners. Kommt mit und helft das Pferd suchen, es ist durchgegangen.«
Er ließ ihn stehen und ging schnell den Graben entlang. Der Alte stand einen Moment unschlüssig da, kam ihm aber doch eilig nach. Es mochte ihm geraten erscheinen, sich auf alle Fälle dieser höchst verdächtigen Person zu versichern.
Fred sah auf der Straße Karl langsam herankommen. Der machte ein trübseliges Gesicht und schimpfte wie ein Rohrsperling auf seine Mule ein.
»Mensch!« schrie er erbost, als er Fred sah, »das Biest hier unter mir hat ein Kreuz wie ein Sägebock, und das andere läßt überhaupt nicht aufsitzen. Ich hab mir einen hübschen Wolf geritten. Mag der Teufel die Kracke heimreiten heute abend, wir haben ihn ja als Arbeitgeber. –
Nun, was machst du denn für ein Gesicht?«
»Der reitet nichts mehr heim,« sagte Fred langsam, »er ist verrückt geworden und ins Feuer gefahren. Er liegt jetzt noch drin!«
»Gottverd–, was? Ist's wahr? Aber du warst doch auch mit auf dem Wagen, hast du Schaden genommen? Nicht? Nein, was man in diesem verdammten Lande alles erlebt!«
Fred erzählte ihm den Hergang der Sache, dann banden sie die Mule fest und gingen mit dem alten Marshall das Pferd suchen. Sie fanden es auf dem frischgeackerten Felde, ein fremder Neger stand bei ihm.
»Oh, Golly, Golly!« jammerte der, als sie herankamen, »das war schrecklich. Ich hab's gesehen und konnte doch nicht helfen.«
»Was habt ihr gesehen,« fragte Fred.
»Nun, wie er Sie schlug und ins Feuer fuhr. Ich stand auf der anderen Seite.«
»Sagt das dem Mr. Marshall noch einmal, er denkt, ich habe den Boß ins Feuer geworfen!« sagte Fred ruhig.
»Nein, Sir!« rief der Neger mit großen Augen, »bei Gott nicht!«
Vom Graben tönte lautes Rufen herüber.
Sie liefen hinauf. Eben wühlten sie einen verkohlten, schwarzen Klumpen aus der glühenden Asche, die Überreste ihres Arbeitgebers. Sie legten ihn in das gelbe, durch Rauch und Hitze vergiftete Gras. Dann standen die Männer schweigend im Kreise und sahen auf die formlose, übelriechende Masse hinab.
Welcher Art auch aller Gefühle für diesen Mann waren, der ihnen ein harter Herr gewesen war – es fiel doch kein Wort des Hasses oder der Befriedigung. Die Tragik dieses Endes hieß jeden Laut verstummen, und alle diese verachteten schwarzen Männer sahen mit ehrlicher Trauer auf die Leiche hinab.
Ein Junge brachte eine Pferdedecke und legte sie behutsam über den verkohlten Körper.
»Wer geht, und sagt's der Frau?« fragte Marshall.
Er hatte seinen Hut abgenommen und strich sich verstört mit seiner knorrigen Hand durch das weiße, feuchte Haar.
»Ich gehe und sag' es ihr, werde es auch dem Coroner melden, ich war ja dabei,« sagte Fred und ging. Karl folgte ihm.
Sie machten den Dogcart klar und fuhren ab.
Die beiden Unglücksboten rasten in sausendem Galopp durch die hitzeglühenden Felder, sie sprachen nur wenig miteinander und hielten zur Mittagszeit auf dem Hofe.
Auf der Veranda lag die kranke Frau im Lehnstuhl. Sie sah die beiden ruhig an und schien gar nicht erstaunt über ihre unerwartete Heimkehr.
Fred kratzte sich bedenklich den Kopf, als er ihr wachsbleiches Gesicht sah und an das dachte, was er auszurichten hatte.
Er grüßte und erzählte mit stockenden Worten von einem Unglücksfall, der ihren Mann betroffen hätte. Er schwieg mitten im Satze.
Die Frau sah ihn mit ihren unnatürlich glänzenden Augen gespannt an.
»Verbrannt hat er sich, sagen Sie?« fragte sie flüsternd.
Fred wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ja, schwer verbrannt, tot ist er nicht, – das heißt, es ist keine Lebensgefahr, wenn auch –,« er stockte wieder und war wütend auf seine Ungeschicklichkeit.
»Oh, reden sie doch zusammenhängend und deutlich. Ich sehe es Ihnen doch an, daß Sie etwas verheimlichen wollen. Sagen Sie ruhig das Schlimmste, Sie wissen ja nicht, ob es für mich das Schlimmste ist!«
Fred warf einen betroffenen Blick auf sie, holte tief Atem und sagte schnell und laut:
»Gut, Frau Townsend, ihr Mann ist in den Graben gefallen, in dem wir das Holz verbrannten, er ist tot! Ich gehe jetzt zum Coroner und mache die Meldung, dann wollen Sie mir bitte sagen, was weiter geschehen soll.«
Die Kranke lehnte sich zurück und schloß die Augen, ihr Gesicht wurde noch blasser, und ihre langen, weißen Finger wühlten zuckend in dem roten Plüsch der Armlehne.
Fred drehte den Hut in der Hand und wartete auf ein weiteres Wort. Er räusperte sich und sagte dann schließlich leise:
»Frau Townsend!«
Da schlug sie die Augen auf, ein strahlender Glanz lag dann.
»Ja, bitte, gehen Sie zum Coroner und auch zur Post, ich gebe Ihnen ein Telegramm mit, für meinen Schwager. Wo ist Ihr Kamerad, ich will Ihnen Ihren Lohn geben?«
»Wir können nicht hierbleiben?« fragte Fred erstaunt.
»Nein, niemand bleibt hier, es ist nicht nötig. Rufen Sie die Ruth!«
Er rief die Schwarze heraus und sagte dann seinem Gefährten, daß sie weggeschickt würden.
Sie schirrten den Rappen aus und gaben ihm Wasser. Da kam die Köchin, sagte, sie solle zur Post gehen und gleich Geld wechseln. Sie hatte die Hand mit dem Papier vor die Brust gepreßt und watschelte eilig davon, heulend wie ein Kettenhund.
Die beiden Kameraden gingen noch einmal in ihre Kammer hinauf und steckten ihre wenigen Habseligkeiten in die Taschen. Mit einem bedauernden Blick auf die schönen weißen Betten gingen sie hinaus. Karl schlenderte auf die Veranda hinaus, und Fred guckte in die Küche. Sie waren beide schon wieder recht hungrig.
Karl hatte die Hände in die Taschen gesteckt, freute sich, daß er das nun wieder jeden Tag 24 Stunden lang tun konnte, und blinzelte nach dem im Winde schwankenden Maisfeld hinüber. Heute war's nicht so drückend, da mußte es sich gut wandern lassen.
Im Hofe stand der Dogcart und briet in der Sonne; er wollte fragen, oh er ihn noch wegfahren sollte, und drehte sich nach der Frau um, aber ein furchtbarer Schrecken durchzuckte ihn.
Sie lag vornübergebeugt im Lehnstuhl, den Kopf auf die Armlehne gestützt. Aus ihrem Munde führte eine schwärzlichrote, breite Spur über den Sims und an den weißen, gedrehten Säulen hinunter, bis in den gelben Sand des Hofs. Ihr bläulichweißes Gesicht ruhte zur Hälfte in den blutbedeckten Fingern der linken Hand. Insekten summten in dunklem Gewimmel auf dem Blute und saugten daran mit ekler Gier.
Mit weit offenen Augen starrte der Deutsche das schreckliche Bild an, unfähig, einen Laut von sich zu geben.
Da knarrte die Tür, sein Freund kam heraus, Karl hob den Finger und deutete stumm auf die Frau.
Nur einen Blick warf Fred auf die gläsern starrenden Augen und auf den roten Strom über dem weißen Holz, da schlug er die Hände vor das Gesicht, wandte sich ab und ging langsam zum Tor hinaus. Karl folgte ihm hastig.
So verließen sie dieses Haus, wie sie es betreten hatten, arm, hungrig und zerlumpt, mit einem unheimlichen Gefühl beim Anblick des ersten wie des letzten seiner Bewohner.
Sie gingen wieder ihre Straße entlang, sahen sich vergebens nach der Negerin um und standen nach vielem Fragen vor dem freundlichen, weinumrankten Häuschen des Coroners.
Er war gerade beim Bau eines Brunnens beschäftigt, hob sein schlammbedecktes Haupt über den Brunnenrand und kratzte sich, außer sich über diese Hiobsbotschaft, wild seine grauen Bartstoppeln.
Er ließ sie am Mittagstisch teilnehmen und gab Fred fünf Dollars.
»Oh, ich komme schon wieder dazu,« wehrte er die Danksagungen der Deutschen ab.
Dann wanderten sie durch den tiefen Sand rasch und munter vorwärts, liefen sich nach den Ereignissen der letzten Stunden wieder ins Gleichgewicht.
In der Abenddämmerung erreichten sie die Bahn; erst hier atmeten sie freier. Vor ihnen lag flaches Land, die Schienen führten wie zwei Silberfäden hinaus in die blaudämmernde Ferne und ein kühlerer Wind fuhr dabei, als da unten in der hitzeglühenden Dünenheide.
Es ging sacht bergan, sie trafen auf eine Kieferngruppe, das Moos darunter lud zum Sitzen ein.
Sie gingen hin, aber da saß schon einer, dem das Plätzchen auch gefallen hatte, und sah träumerisch zwischen den rostroten Stämmen aufs bucklige grüne Land hinaus.
Die beiden Tramps grüßten und machten Bekanntschaft. Er war ein prächtiger großer Mensch mit braunrotem Gesicht und blondem Maar, ein Schwede, gegenwärtig ein Tramp, sonst Blumengärtner. Er kam aus den Neuenglandstaaten und wollte nach Texas. Von dorther kamen die beiden Deutschen. Sie rauchten ein Pfeifchen miteinander, und die Deutschen erzählten ihre Erlebnisse auf Townsends Farm.
Der Schwede hörte mit gesenktem Kopfe zu, seine sinnenden Augen nach den fernen Hügeln gerichtet. Dann stand er auf, strich sich seine gelbe Löwenmähne aus dem Gesicht und sagte langsam und mit einer Pause hinter jedem Satz:
»Na, laßt euch nicht das Herz bedrücken; dazu ist es zu rare Ware in diesem Lande des Faktums und des Dollars. Ihr sagt, daß ihr diesen Herrn Townsend nicht habt begreifen können, aber ihr meint die ganze Nation. Wirklich fromm, sogar fanatisch bigott, und hart und tierisch, habsüchtig und egoistisch auf der anderen Seite. Euer Townsend war auch so einer. Manchmal mag's ihm aber vor sich selbst gegraut haben, und da bat er eine Hilfe vom Himmel herabgeschrien, die er nur in sich selbst finden konnte. Sie sind alle halb verrückt.
Eins unterscheidet sie von uns drüben aus den alten Ländern, aber es ist wesentlich:
Wir arbeiten, um leben zu können. Aber sie leben, um arbeiten und recht viel Geld verdienen zu können!
Kopf hoch, Boys! Das Land ist groß und reich, und auch für eure zwei Schnäbel fällt genug ab. Wandert weiter! – Tramping!«
Laut hatte er es ausgerufen, einen leuchtenden, liebenden Blick auf das weite Land vor ihm werfend, auf das schon bläuliche Abendschatten sanken. Dann hielt er ihnen zum Abschied die Hände hin. Die beiden drückten sie ihm herzlich, Sie gingen auseinander. Der Schwede in die sinkende Sonne hinein, Karl und Fred nach Norden, der Küste und der Heimat zu.
Vor ihnen dehnte sich in ungeheueren Weiten das Land, der Wind blies frisch und stark, lange, flache Wolkenstreifen zeigten mit goldigroten Spitzen in die Unendlichkeit hinaus, und auf dem Telegraphendraht sang ein Vogel sein Abendlied.
In machtvollem Freiheitsgefühl warfen die zwei Kameraden die Arme in die Luft, und wie aus einem Munde klang ihr Ruf »Tramping!« in den wehenden Abendwind hinein.