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Gute und böse alte Bekannte

Heute war ich einmal wieder in einem zoologischen Garten. Erster hellgrüner Frühlingsschimmer lag über den Anlagen. Dann und wann blinkte ein Sonnenstrahl zwischen schweren jagenden Wolken durch, dichtgedrängt standen die Jungtiere, auf den Fleckchen ihrer Gehege, wo der sparsame warme Glanz hinfiel. Zum letztenmal habe ich einen zoologischen Garten in goldenen üppigen Friedenszeiten gesehen. Da war noch ein Elefant da, und es gab auch massenhaft Heu, Gemüse und Reis für ihn. Und ein lebensmüder Droschkengaul machte damals seine letzte Fahrt selbstverständlich und zielsicher in die Magen der Löwen und Tiger. Heute würde sich mancher unterernährte Proletarier am Lendenbraten eines noch so altersschwachen Hottchen eine Güte tun – wenn er ihn nur bekommen könnte. Wie unser ganzes armes Volk haben auch die Tiere der Zoos manches entbehren lernen müssen.

Einen Teil der sieben Jahre, die seit meinem letzten Besuch hier verflossen sind, verbrachte ich in einem andern Tiergarten. Der war etwas größer, war auf Massenbetrieb eingerichtet, und rationiert wurde dort nicht. Sein am reichsten besetzter Teil ist etwa halb so groß wie Deutschland und liegt ungefähr zwischen der Küste des Indischen Ozeans und den Vulkanbergen des afrikanischen Grabens einerseits und dem Tanaflusse und Usambaragebirge anderseits. Dort lernte ich viele der harmlosen Bewohner unseres Zoo in Freiheit kennen und lieben. Die Beobachtung ihres Lebens und Treibens verschaffte mir manche unvergeßlich schöne und auch manche unvergeßlich schwere und gefahrvolle Stunde.

Das mir aus so vielen einsamen Stunden in der Steppe nur zu wohl bekannte Mauzen und Röcheln der Löwen ignorierte ich vorläufig und ging zum Antilopengehege. Aber die waren leer, der kalte Wind hatte die Bewohner in ihre Häuslichkeit verjagt. Gleich gegenüber der Türe wohnte ein alter Bekannter, der schöne kraftvoll schlanke Wasserbock. In den Steppen Ostafrikas gehört er zu den häufigsten Erscheinungen, ebenso in den dortigen Bratpfannen. Er ist wenig scheu und verhältnismäßig leicht zu erlegen. Wie schon sein Name andeutet, hat er eine Vorliebe für das Wasser. In den hochstämmigen lianendurchschlungenen Waldstreifen, die sich wie dunkelgrüne Bänder auch in der heißesten Zeit durch die gelbbraune verbrannte Steppe ziehen, am Rande der großen Seen und Sümpfe in den Massaisteppen und in den Mangrovenwäldern der Küstenlagunen, die sich weit ins Land hinein erstrecken, ist er zu Hause. Hier äst er das harte Büschelgras und trinkt Brackwasser dazu. Wenn wir ihn auch m der schlimmsten Zaunsteckentrockenheit einer trostlosen Steppe auftauchen sahen, wurde sein Erscheinen von Schwarz und Weiß mit einem Seufzer der Erleichterung begrüßt, denn dann war Wasser nicht mehr allzu weit. Werden in der heißen Zeit die Tränklöcher der Steppe immer seltener und kleiner, so wird auch die Äsungszone des Wasserbocks enger, aber weit weg vom Naß geht er nicht; im Gegensatz zu anderen afrikanischen Wildarten scheint er das Wasser nicht entbehren zu können.

Hier im Garten sind Säbelantilopen seine nächsten Nachbarn, in ihrer Heimat werden sich diese Tiere kaum jemals treffen. In den wildesten Dorndickichten und auf weiten öden und trockenen Grasflächen tummelt sich diese mit einem prächtigen Gehörn gekrönte scheue Antilope. Ihre Säbelhörner bilden mit zweierlei Recht die Zierde afrikanischer Zimmer, erstens wegen ihrer Schönheit und Stattlichkeit, zweitens wegen der Schwierigkeit, diese klugen, feinwittrigen Tiere zu bejagen.

Nebenan stehen Zebras. Ich lehne mich an das Gitter, schaue diese meine Lieblinge an, und gleich bin ich wieder drüben im dunklen Erdteil. Lichtfluten branden vom tiefblauen Himmel herab, blutrote Staubsäulen tanzen und wirbeln über die endlosen Weiten, grünlichgrau und stumm stehen die Dornenbäume im Sonnenbrand. In fremdartigen abenteuerlichen Formen ragen Kandelabereuphorbien, Dumpalmen, Affenbrot- und Leberwurstbäume über die niederen Schirmakazien und Mimosen, heiße Luftschichten und Sonnenreflexe spielen und zittern über der leblosen Öde. Und doch ist sie nichts weniger als leblos, denn ganz wunderbar angepaßt an ihre Umgebung stehen Hunderte, nicht selten Tausende von Zebras in den flimmernden, fingernden Baumschatten, und staunend sieht das Auge, wie die anscheinend doch so lebhafte Färbung und Streifung der Tiere im Spiel von Licht und Schatten verschwindet und verschwimmt.

Sie halten Mittagssiesta. Einige Wachen stehen aber stets aus, die Quastenschweife pendeln. Köpfe und Ohren sind steif erhoben, immer wach und bereit, ein schnaubendes Warnungssignal zu geben, das die Tiere wie eine stürzende Lawine davonschießen läßt. Und nicht umsonst, denn Mensch und Tier schätzen dieses süße saftige Wildpret gleichermaßen. Ich selbst zog es jedem andern vor; wenn ich Fleisch für mich und meine Leute brauchte und die Auswahl hatte unter verschiedenem Wild, so schoß ich unweigerlich ein Zebra. Als ich im Kriege eine Zeitlang mit der nichts weniger als angenehmen Aufgabe betraut war, Fleisch für unsere Kompanie zu schießen, fütterte ich meine weißen und schwarzen Kameraden mit Zebrafleisch, bis sie eine Protestnote in meine Jagdgründe schickten. Und bei den Schwarzen hatte ich sehr bald den Beinamen Bana Punda melia (Herr Streifenpferd) weg, wie diese Kunden ja jeden Europäer nach irgendeiner charakteristischen Eigentümlichkeit zurechttaufen.

Kein Wild habe ich in Deutsch-Britisch-Ostafrika in so ungeheuren Massen gesehen, wie diese herrlichen Tigerpferde. Aber mit viel grösserem Genuß als zu der Schlachthofarbeit der Fleischversorgung beschlich und beobachtete ich sie manchen langen Tag in der Einsamkeit ihrer Weidegründe. Unendlich reizvoll war der Anblick dieser durcheinander wimmelnden gebänderten Tierleiber, wenn sie ästen, spielten oder was bei ihrem ausgesprochen bösartigen Charakter meist der Fall war – untereinander wilde Kämpfe mit Huf und Zahn ausfochten. Und wie manche Nacht am kleinen Feuer in der Wildnis hörte ich das Grollen und Brüllen jagender Löwen und bald darauf die flüchtigen Hufe einer Zebraherde über den tennenharten Boden dröhnen und wie ein Wirbelsturm in der nächtlichen Weite verhallen.

Wo immer ich die Wildpferde drüben traf, hielten sie treue Kameradschaft mit den merkwürdigen Gesellen, die auch hier im nordischen Garten wieder ihre Nachbarn sind, den zottelköpfigen Gnus. Die hier vertretenen sind nicht dieselben wie die mir bekannten. Ihr hervorstechendes Merkmal ist der weiße Schwanz, das der unseren der weiße Bart, außerdem sind die Ostafrikaner größer und stärker. So gefährlich diese mächtig behörnte dickschädlige Rinderart aussieht, so harmlos ist sie in ihrer Heimat. In Gefangenschaft soll das allerdings ganz anders sein, so mancher Wärter ist schon mit verblüffender Geschwindigkeit von den tückischen Gesellen auf die Hörner genommen und mit der Gewandtheit eines erfahrenen Hausknechtes vor die Tür geworfen worden.

Gnus und Zebras haben große Anhänglichkeit füreinander, oft sah ich diese beiden Tierarten friedlich zusammen äsen und zur Tränke ziehen. Ein groteskes Bild boten die Gnus mit ihren Waldteufelgesichtern, wenn sie ihre kreuzverrückten Kapriolen und Luftsprünge ausführten, im tollsten Dahinrasen plötzlich einheitlich und exakt wie eine Kavallerieschwadron kehrt machten eine Minute lang den Jäger anglotzten, wieder einen steifen Bocksprung machten, sich dabei noch in der Luft herumwarfen und den Kopf gesenkt, wie aus einer Kanone geschossen davonrasten, Sie sind außerordentlich zählebig. Der vierzehnstündige Verfolgungsmarsch, den ich einst hinter einem krankgeschossenen alten Bullen her machte, ist mir in schauernder Erinnerung geblieben. Und die ganze Nacht mußte ich einsame Wacht bei ihm halten, um die sauer erworbenen acht Zentner Fleisch vor den vierbeinigen Spitzbuben, die erschrecklich hungrig ringsum knurrten und heulten, zu schützen, bis meine verlaufenen Leute endlich herankamen. Nebenan trippeln einige zierliche Tiergestalten durcheinander. Der Blick ihrer großen tiefen Augen hängt aufmerksam an meinen Händen, die ein Stück Brot für sie brechen – Hirschziegenantilopen.

Aus der Tiefe dieser Augen sieht mich plötzlich ein anderes Land in einem anderen Erdteile an, das alte heilige Indien. Als Gefangener war ich, krank und gebrochen an Leib und Seele vom Käfigleben des Lagers, zur Erholung in eine Bergstation im südlichen Indien geschickt worden. Hier war uns freier Auslauf bis zehn Kilometer Entfernung gestattet, die wir, wenn wir außer Sehweite auch des schärfsten Tommyauges waren, selbstverständlich bis auf 50 Kilometer erweiterten. Ganz anders als in meinem geliebten Afrika sah hier die Landschaft aus. Auf weiten sandigen Flächen lagen gigantische Granitblöcke verstreut, zwischen Tamarindenbäumen, Dattelpalmen und den riesigen, durch säulenartige Luftwurzeln gestützten heiligen Feigenbäumen tauchten geborstene Säulen und Tempelbogen und verfallene Wachttürme auf. Und über den Stätten, die vor Jahrhunderten und Jahrtausenden das wimmernde Leben von unzählbaren Menschenmassen, prunkende Tempelprozessionen und blutige Kriegsstürme sahen, liegt heute melancholisches tiefes Schweigen und ungeheure Verlassenheit. Als fast einziges Lehen erscheinen auf einmal zwischen den gigantischen Trümmern versunkener Kultur geisterhaft die schmalen, schlanken Gestalten dieser Tiere, sehen den einsam rastenden Wanderer sanft und schwermütig an wie die Menschen ihrer Heimat und verschwinden wieder zwischen verfallenden Mauern und hohen Portalen, die jetzt statt von schweren vergoldeten Toren durch wuchernde Mauern von Bäumen und Schlinggewächsen verschlossen werden ...

In einer Ecke des Antilopenhauses grunzt es, ein wildes Rumoren folgt, jubelnde Kinderstimmen dazwischen. Wo die so lustig kreiselten, kann nur der Affenkäfig sein. Aber mir bietet er eigentlich eine Enttäuschung, zwei letzte Mohikaner von einem ehemals stattlichen Stamme sind noch übrig geblieben, eigentlich nur anderthalb, denn der im Käfig zur linken Hand ist ein Mohrenmaki, ein Halbaffe. Es ist, wenigstens für einen Affen, ein recht ruhiges, zutrauliches Tierchen, das bettelnd die kleine Pfote hinausstreckt und sich nach Empfang einer halben Dattel gern an seinem weichen schwarzen Spitzschnäuzchen kraulen läßt. Aus runden Eulenaugen sieht er in die Welt, die so rücksichtslos über ihn fortgeschritten ist. Jeder, der sich etwas mit Entwicklungsgeschichte befaßt hat, weiß, daß gerade diese Lemuren ein von der Natur wie speziell für uns aufgehobener Beweis für die Richtigkeit der Darwinschen Lehre sind. In Ostafrika sind Artgenossen unseres kleinen Schwarzkopfes hier als notorische nächtliche Ruhestörer und Trunkenbolde bekannt. Um manchen wohlverdienten Schlaf haben mich diese unsoliden Burschen gebracht. Mit Sonnenuntergang erschallt ihr erster, mit Sonnenaufgang ihr letzter gellender Schrei, d. h. wenn sie bis dahin nicht zu schwer bezecht sind, um überhaupt noch lallen zu können. Sie treiben in den Kronen der Mangos und Palmen ihr Wesen, die ganze Nacht durch futtern sie, ich weiß nicht genau, ob Früchte und Nüsse oder vielleicht das süße Mark und Blattfleisch der Palmherzen. Jedenfalls sind beides gute Bissen, wie ich aus Erfahrung weiß. Zu dem gehört aber auch ein guter Trunk, und den findet oder vielmehr stiehlt der Nyaki, wie ihn die Suaheli nennen, ebenfalls in der Palme. Die Eingeborenen hängen nämlich zur Bereitung von Palmwein Gefäße an die vorher eingeschnittenen Stämme, der Saft läuft langsam hinein, und die Gärung ist in der Tropensonne nur eine Sache von Stunden. Jeden Abend findet die Schlemmergesellschaft somit ein frisch angestochenes Faß vor. Und so gewaltige Trunkenbolde sind diese Äffchen, daß nach ihren Gelagen, bei denen auch der zugehörige Bierschwafel mit ohrenbetäubendem Kreischen, Meckern und Schnalzen gehalten wird, nicht selten einer, sternhagelvoll, das Gleichgewicht verliert, hinunterplumpst und nicht wieder hochkommen kann. So findet man öfters frühmorgens ein Äffchen, das am Fuße einer Palme selig schlummert, wie manchmal ein Korpsstudent vor seiner Haustüre.

Der möblierte Herr neben dem Mohrenmaki ist ein hier geborener Bastard, eine Kreuzung zwischen Schweins- und Javanenaffe. Er hat die Clownrolle im Zoo übernommen, an Applaus erntet er mehr als auch der berühmteste seiner zweihändigen Berufskollegen. Daß ihm Kinder eingepackte Steine und Glasscherben hineingeben, ihn necken und ärgern, ist schließlich zu verstehen, weniger schon, daß ausgewachsene Exemplare unserer liebenswürdigen Gattung mit Spazierstöcken nach ihm stoßen oder ihn auf die das Gitter umklammernden Hände schlagen. Mit tollen Sprüngen rast der Mischling im Käfig umher, schneidet eine Grimasse in einen Spiegelscherben, frißt an einer Möhre, verliert sie, kratzt sich, stiehlt einer aufquiekenden höheren Tochter eine Schleife aus dem Haar, stopft sie ins Maul, würgt sie sich um den Hals, läßt sie fallen und hat sie im nächsten Moment über einem hineingereichten siebenmal eingewickelten Hosenknopf vergessen. Alles hastig, fahrig, oberflächlich – echte Affenart. Oder gibt es auch ebenso veranlagte Menschen –? Und doch sind auch nicht alle Affen so. Eine Art kenne ich, wohl die schönste, die es auf der Erde gibt, die ganz anders ist, fast das Gegenteil des landläufigen Begriffes von Affencharakter bildet. Ihre Heimat sind die Bergurwälder des Kilimandjaro und einiger anderer ostafrikanischer Gebirge. Ich weiß noch, wie ich als Neuling im Lande einstmals bei einem einsamen Spaziergang stehenblieb und lauschte. Da kamen aus den dunklen Tiefen des Waldes ganz seltsame Töne, ein vielstimmiger, langgezogener summender Gesang, eigenartig feierlich und melancholisch. Ich wurde an jenem Tage nicht klug, ob es Vögel oder vielleicht Menschen waren, die diesen so merkwürdig gut zu der düsteren, weltabgewandten Urwaldstimmung passenden Geistergesang anstimmten. Erst später erfuhr ich, daß die Sänger Colobusaffen gewesen waren. Bald darauf bekam ich sie auch zu Gesicht. Glänzend schwarz ist ihr Fell, von Schultern und Schwanz hängen hierzu in wunderbarem Kontrast schneeweiße, seidenfeine Haarbüschel fast armlang hinab und ziehen bei den mächtigen Sprüngen der Tiere wie wallende silberne Schleier nach. Ernst, fast schwermütig ist der Blick, der Gesichtsausdruck und das ganze Gebaren dieser wunderschönen scheuen Tiere, die, soviel mir bekannt ist, noch nie nach Europa gekommen sind. Sie leben von den Blättern und Knospen ganz bestimmter Pflanzen, verschmähen alle sonstige Nahrung, auch jede Frucht, und gehen in Gefangenschaft regelmäßig nach kurzer Zeit ein. Ein von mir und meinen Leuten nach langer Mühe eingefangenes Junges, dem ich alle erdenkliche Pflege angedeihen ließ, das auch einen Spielkameraden, meine zahme Meerkatze Schnups vorfand, starb trotzdem schon nach vier Tagen, wahrscheinlich vor Heimweh nach seinen stillen dunklen Wäldern. Einen einzigen Alten habe ich einmal geschossen und das herrliche Fell zwei Jahre lang mit umhergeschleppt, bis auch das schließlich in den Kriegsstürmen mit verwehte. Ein alter schwarzer Zauberdoktor bot mir einmal sechzig Rupien dafür, er wollte es als Kopfschmuck benutzen zwecks eines würdigen Aussehens, er hat's nicht bekommen.

Eine in Afrika allerwärts weitverbreitete, äußerst zahlreiche Sippe sind die Hundsaffen, eine Pavianart. Ausgewachsene Exemplare erreichen die Größe eines Zughundes, ihren Namen haben sie von dem hundeartigen Gebell, das sie in der Aufregung ausstoßen. Dr. Förster am Kilimandjaro zeigte mir einstmals zwei skelettierte Tierschädel und fragte: »Einer ist von einem Leoparden, der andre von einem Hundsaffen, welcher ist der Leopardenschädel?« Ein Zoologe bin ich nicht, und ein »alter Afrikaner« war ich nicht, immerhin kränkte mich die mir zugetraute Dummheit, ich sah mir die dolchartigen, furchtbaren Reißzähne des Größeren an und erklärte, daß dieser natürlich der Leopardenschädel wäre. Leise schmunzelnd sagte der Doktor: »Der Schein trügt, das ist der des Hundsaffen!« und erklärte mir die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Affenkopfes. Ich war maßlos erstaunt und betrachtete die Hundsaffen in Zukunft mit etwas respektvolleren Blicken. Trotzdem ist der schlimmste Feind dieser Affen doch der Leopard, der, wenn es angeht, allerdings einer Rauferei mit einem alten Affenmännchen aus dem Wege geht und sich an Weibchen und jüngere Tiere hält. Unvergeßlich bleibt jedem Jäger und Naturfreund der wilde Lärm, der sich oft nachts in der Baumsteppe, in Flußtälern und Pflanzungen erhebt, wenn vor dem verfolgenden gefleckten Würger eine Hundsaffenherde mit wütendem Bellen, Grunzen und Schnattern durch Busch und Gras nach den rettenden Bäumen durchbricht. Umgekehrt verfolgen dann aber auch die Affen mit ihrem stark ausgeprägten Gemeinschaftssinn unter furchtbarem Lärm das Raubtier, wenn es ihm gelungen ist, ein Mitglied der Familie zu packen. Die Männchen machen mit gesträubten Mähnen und gefletschten Zähnen gemeinsame Angriffe auf das Raubtier, das dann und wann knurrend blitzschnelle Tatzenhiebe austeilt. Allerdings sind es richtige Affenoffensiven, zwei Sprünge vorwärts und drei zurück und nicht zu nahe an den Feind. Auf den Bäumen ringsum sitzt die innere Front und feuert durch wütendes Rütteln der Bäume, Reden und Schlachtgesänge die Krieger zum Durchhalten auf. Die mächtigen Köpfe und die starke Bemähnung von alten Herren dieser Sippe macht sie, wenn sie durch das Gras dringen, Löwen ganz verzweifelt ähnlich. Mehr als einmal habe ich, aber auch alte erfahrene Jäger, mich durch solche Löwen-Massenangriffe ins Bockshorn jagen lassen, die Knarre von der Schulter gerissen und einen hurtigen verstohlenen Blick nach einem Baume geworfen, der als eventuelle Rückzugsdeckung in Frage kommen könnte Bis meine schwarzen Begleiter, die mit ihren scharfen Naturmenschenaugen längst Sippe und Art der Ankommenden erkannt hatten, verwundert fragten: »Bana, willst du Affen schießen?« Schnell gefaßt und überlegen antwortete ich: »Selbstverständlich, wozu nehme ich denn das Gewehr, du Dummkopf?« und knallte drauf. Im Anfange meiner ostafrikanischen Laufbahn habe ich ein gutes Dutzend der Tiere abgeschossen, um mich im Zielen auf lebende Objekte zu üben. Das klingt gemein, ist es aber nicht, sondern wirtschaftlich vorteilhaft gehandelt. Erstens deshalb, weil die zur Strecke gebrachten feisten Papas von meinen Leuten, allerdings nur Angehörigen gewisser Stämme, gebraten und verzehrt wurden, ein Anblick, der einer Kannibalenmahlzeit verteufelt ähnlich sah. Zweitens weil die Affenfelle bei der Stoffknappheit in der durch den Krieg verursachten Abgeschlossenheit unserer Kolonie als Kleidungsstücke und Schlafdecken für die Schwarzen sehr in Frage kamen und geschätzt wurden. Drittens aber, weil diese Affen in Europäer- und Eingeborenenpflanzungen ungeheuren Schaden anrichten. Fruchtbäume, Zuckerrohr-, Mais- und Bohnenfelder werden von den Banden abgeerntet, wobei das wenigste gefressen, alles aber verwüstet und verschweinigelt wird. Ganz besonders groß und schmerzlich ist der Verlust, wenn sie in Sisalkulturen (Hanfagaven) geraten und in einer Nacht Tausenden der mit jahrelanger Mühe aufgezogenen Pflanzen die Köpfe abbrechen, um die saftigen Knospen zu verzehren. Alle Sisalpflanzer müssen deshalb mehrere Affenwächter in ständigem Dienst halten, die, mit Schrotflinten bewaffnet, nachts die Felder abstreifen und die aufgestellten Fallen revidieren. Nicht selten wird ein Negerdorf von einer solchen Buschklepperbande überfallen, wobei die geriebenen Banditen genau den Moment abpassen, wenn einmal alle Männer zur Arbeit oder Jagd weg sind. Dann hausen sie ganz furchtbar, tückisch, boshaft und grausam nach richtiger Paviansart. Alle Gefäße werden zertrümmert, die Kochtöpfe von den Feuern gestoßen, Hausgerät und Kleidungsstücke zerrissen und durcheinander geworfen, Schindeln von den Dächern gerissen, Hühner und Enten bei lebendigem Leibe gerupft, junge Ziegen, Schafe und Hunde malträtiert und verstümmelt, Kinder gebissen und den Weibern von den widerlich geilen alten Männchen die Gewandtücher heruntergerissen. Alle Eingeborenen behaupten, daß manchmal Weiber von diesen Affen vergewaltigt würden, mir ist aber kein Fall bekannt, der zweifelsfrei festgestellt worden wäre. Auch untereinander sind Paviane nichts weniger als liebenswürdig. Im Kreise einer zusammengehörigen Herde üben die stärksten Männchen eine Schreckensherrschaft aus. Weibchen und Kleine werden von den alten Paschas so schrecklich mißhandelt, daß man oft ihr Wehegeschrei weithin durch die Wildnis schallen hört. Ich selbst fand einmal ein gerade ausgewachsenes männliches Tier in einem Gestrüpp laut stöhnend vor. Es war, zweifelsohne von seinem Gemeindevorstand, so zugerichtet worden; daß es nach einer Viertelstunde einging. Als ich mich zu dem Tiere niederbückte, um die Art seiner Verletzung festzustellen und ihm vielleicht zu helfen, eröffnete die ringsum sitzende Genossenschaft unter wildem Toben ein Bombardement mit Ästen und Kokosschalen auf mich. Ein alter Zottelpelz kam mir auf drei Schritt nahe, grunzte und wollte mir in die Beine fahren. Aber als ich nach dem Gewehr griff, das die Brüder sehr gut kennen und wohl von einem harmlosen Knüppel zu unterscheiden wissen, riß die ganze Bande aus, die Kleinen und die Weibchen vornweg, die Alten als Nachhut. Im tollen Laufen sprang immer wieder einmal einer an einem Baumstamm hoch, warf einen blitzschnellen mißtrauischen Blick zurück und setzte in gewaltigen Sprüngen der Bande nach. Alles in allem ziemlich widerwärtige Gesellen ...

Ansprechender als die Pavianlümmel im Äußeren und Gebaren sind die Meerkatzen. Auch sie sind mit einer tüchtigen Gabe Wildheit und Tücke, aber einer noch größeren von Lebhaftigkeit und Intelligenz und lustiger Tollheit ausgestattet. Sie trugen sehr wesentlich zur Belebung des Affenhauses und Erheiterung der davorstehenden Verwandten bei, wegen der Unterbrechung der internationalen Beziehungen haben sie aber gegenwärtig keinen Vertreter ihrer völkischen Eigenart in unserem Zoo. Von Afrika kenne ich zwei Arten: eine größere grünlichgraue, die hauptsächlich in den entlegenen Gebirgswäldern vorkommt und die ich selten zu Gesicht bekam; weiter die allüberall vertretene kleine graubraune Art, mit kohlschwarzem Gesicht und weissem Backenbart Auch sie erfreuen sich bei weißen und schwarzen Agrariern keiner Beliebtheit, sind aber bei weitem nicht so schädlich wie die Hundsaffen und vor allem ganz ungefährlich. Sie sind im Gegensatz zu letzteren auch ausgesprochene Baumbewohner und reine Pflanzenfresser. Auch sie leben in großen Familienverbänden von 20 bis 50 Stück, die aber eher demokratisch, nicht wie bei den Hundsaffen autokratisch, organisiert sind. Schwatzend, grimassenschneidend und langgeschwänzt rasen sie in ungeheuren Sprüngen und mit fabelhafter Gewandtheit durch die Baumkronen, benutzen eine Liane oder einen dünnen Zweig als Schwingseil, einen federnden Ast als Sprungbrett und betrachten das Leben als in zwei Hälften geteilt: die eine ist ein Festschmaus, die andre eine Hanswurstiade. Gerade weil man mir versicherte, daß diese Affen unzähmbar seien, versuchte ich durchaus, einen kleinen m die Gewalt zu bekommen, was mir aber bei der Vorsicht und Schläue dieser Tiere ständig mißglückte. War eben noch der ganze Baum von den Turnern bevölkert gewesen, so sah er sofort still und harmlos aus, wenn ich nach dem Gewehr griff. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit verstanden es die Brüder, sich in Laub und Geäst vollkommen unsichtbar zu machen oder sich geräuschlos nach einer benachbarten Baumkrone zu verziehen. Hier und da guckte einmal eine schwarze Fratze hervor, schnitt blitzschnell eine höhnische Grimasse und war wieder verschwunden. Stundenlang habe ich die Tiere belauert. Ganz selten mal bin ich zum Schuß gekommen, aber dann war das Tier entweder zu schwer verletzt oder schon zu groß, um gezähmt werden zu können. Denn das eine hatte ich bald heraus: Für Zähmung und Erziehung konnte nur ein Junges in Frage kommen, das noch nicht entwöhnt war. War das Tier nur einen Monat alt, so war alle Mühe und Geduld vergeblich, es behielt seine Wildheit und Bosheit, und meine Finger, die von den kleinen Wildlingen bös zerbissen wurden, hatten die Kosten allein zu tragen. Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Eines Tages sah ich ein junges Bondeimädchen, aus deren Brusttuche ein winzig kleines, allerliebstes schwarzes Lärvchen guckte, eine junge Meerkatze. Das junge Tier war von seiner Mutter zur Heimsuchung eines Zuckerrohrfeldes mitgenommen, die alte Äffin aber bei dem Felddiebstahl von dem Mädchen erwischt und durch einen Wurf mit dem Haumesser getötet worden. Als sie die Erschlagene sah, entdeckte sie das unversehrt gebliebene Junge, nahm es mit sich und ließ es bei einer Mutterziege saugen. Ich bot ihr fünf Rupien für das Tierchen und sie war einverstanden. Nicht aber das Äffchen. Entsetzt sah es mich aus weitaufgerissenen Augen an, klammerte sich mit seinen winzigen Händchen an seiner Pflegemutter fest und hub ein sehr schrilles Kreischen an, das mir wie eine rostige Säge durch die Gehörnerven fuhr. Es kostete einige Mühe, bis ich es, ohne ihm weh zu tun, endlich in meinem Besitz hatte, noch viel mehr aber, es still und satt zu kriegen. Eine Mutterziege besaß ich nicht, so löste ich das Problem zusammen mit Fundi, meinem Boy (Diener), durch eine Whiskyflasche und einen aus Wildleder genähten Sauger, Als es heraus hatte, daß da süße Milch herauskam, fuhr es mit wilder Gier auf die Pulle los, verschlang fast den Sauger mit und biß ihn allmählich kurz und klein, so daß in den nächsten Wochen all meine freie Zeit mit dem Nähen von Saugern ausgefüllt war. Eine ganz besondere Frage war sein Nachtlager. Auch mit einem wunderbar weich ausgepolsterten Körbchen war es nicht zufrieden, schloß nur die Augen zum Schlaf solange ich daneben stand, und protestierte sofort durch sein nervenzerreißendes Quieken, wenn ich es einmal versuchte, mich wegzuschleichen. Das Tierchen fürchtete sich einfach vor dem Alleingelassenwerden in der Dunkelheit Die kleinen Affen werden ja in den ersten Wochen ihres Lebens, am Halse der Mutter festgekrallt von dieser ständig mit umhergetragen. Auf dieses verbriefte Recht pochte auch mein Adoptivkind. Um überhaupt schlafen zu können, blieb mir nichts übrig, als den Radaubruder mit in mein Bett zu nehmen, und siehe: da war er auf einmal still, krampfte zur Sicherung gegen etwaige Fluchtversuche meinerseits das eine Pfötchen um mein Ohr, das andere in meinen dazu besonders geeigneten Skalp, schmiegte sich mir an den Hals und tat einen gesunden Schlaf. Führte sich, wie ich am anderen Morgen befriedigt feststellen konnte, auch während der Nacht durchaus anständig auf. Schon nach zwei Tagen unterschied es mich von den Schwarzen, kam mir, noch ein bißchen unbeholfen, entgegengewackelt, kroch an mir hoch und starrte mir in drollig-ernsthafter Weise halbe Stunden lang ins Gesicht. Nach vierzehn Tagen war es selbständig, aß und trank, stahl und naschte, tollte wild umher und kam mir in grotesken Sprüngen entgegengerast, wenn es mich kommen sah. Mit keinem der vielen und verschiedenen Tiere, die ich jemals besaß, habe ich mich soviel beschäftigt aber auch mit keinem solche Erziehungserfolge und soviel Freude erlebt wie mit diesem Äffchen. Es bekam den Namen Schnups, unterhielt sich mit mir durch ein tiefes »Hoarr«, mit dem es durch eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit des Tones alle möglichen Wünsche und Gefühlsregungen ausdrücken konnte, und ging auf das leiseste Wimperzucken ein, schon auf den Ausdruck meiner Augen. Seine Klugheit war bedeutend, es lernte sehr rasch, folgte dem auf etwas weisenden Finger aufmerksam mit den Augen, eine Fähigkeit, die allen Tieren, außer dem Hunde, abgesprochen wird, bekam nie einen Schlag von mir und belohnte das durch eine geradezu rührende Liebe und Anhänglichkeit an mich. Allerdings nur an mich, außerdem erkannte es niemand als Herrn an und fühlte sich auch verpflichtet, mich gegen alle vermeintlichen feindlichen Angriffe zu beschützen. Größe und Art des Gegners kamen dabei gar nicht in Betracht, es fuhr mit der gleichen Berserkerwut auf einen Boy los oder einen Askari, den ich ausschimpfte, wie auf meinen Hund und den jungen Löwen, den ich später hielt, wenn der an mir zur Begrüßung hochsprang oder sich spielend mit mir balgte. Auch Kameraden, die nur um ihn zu necken und trotz meiner Warnung gegen mich die Hand erhoben, hatten im nächsten Moment einen sehr ernsthaften Biß ins Bein, in die Hand oder auch ins Gesicht weg. Auch mein Kompanieführer, der mir einmal zu einer gelungenen Sache gratulierend auf die Schulter klopfte, machte mit seiner Leutseligkeit trübe Erfahrungen. Ein wütendes Quieken, funkelnde Äugen, ein wild vorgeschobener Unterkiefer und gefletschte Zähne, ein Sprung nach dem Gesicht – und die Nase des Vorgesetzten war recht erheblich beschädigt. »Affenlümmel infamer!« sagte er, schüttelte ein paar Blutstropfen ab und stieg dem Sanitäter in den Pflasterkasten. Auf allen meinen unzähligen Safaris in zwei Kriegsjahren begleitete mich Schnups, gewöhnlich auf der Kiste eines Trägers kurz angebunden, von der aus er zum Zeitvertreib immer einmal in den unter ihm wandelnden Wollkopf fuhr. Oder er ritt hinter mir im Maultiersattel, hielt sich an meinem Koppel fest, spähte bald rechts, bald links hervor und erschreckte jeden Entgegenkommenden durch eine plötzlich auftauchende fürchterliche Grimasse. Im Kompanielager wurde er bald der allgemeine Liebling; alle waren in den tollen, immer blitzsauberen Burschen mit dem kohlschwarzen niedlichen Lärvchen und dem es schneeweiß und schmuck umrahmenden Haarkranz vernarrt. Sogar der Häuptling hatte ihm bald die zerbissene Nase verziehen und kugelte sich halbe Stunden lang mit ihm im Sande herum. War ich längere Zeit weg, etwa auf Patrouille gewesen, so genügte es für Schnups, daß ihm der Boy sagte: »Tazama! Bana anakujá! Kulle! – Bana!« (Paß auf, der Herr kommt! Dort! Der Herr!) und den Weg hinaus wies. Das Wort Bana verstand er, den weisenden Finger auch, und mit Metersätzen sauste er den Weg entlang, immer mal rechts und links auf einen Baum, um nach mir Ausschau zu halten, flink wieder hinunter und weiter. Ein wahres Zirkusbild gab es, als der Löwe Simba, sein späterer Spielkamerad, mir ebenfalls mit entgegenkam, der Affe entweder auf seinem Rücken oder am Löwenschweif angeklammert in atemlosen Sätzen hinterher. Ganz rührend waren dann seine Freudenausbrüche beim Wiedersehen, er umhalste mich, küßte mich, sah mich zärtlich an und erzählte dann mit tiefen »Hoarrs«, was er während meiner Abwesenheit erlebt hatte. War ich dann zu Hause, so war Schnups für niemand anders mehr da. Er saß mir auf dem Schoße, zauste mich am Haar oder durchsuchte es wie das von Simba nach schmackhaften Beißern und Zwackern. Ich hoffe, daß er die nie bei mir gefunden hat. Dann setzte er sich mit mir zu Tisch, aß zierlich wie ein Backfisch mit seinem kleinen Löffel seinen Teller ab, spreizte graziös den kleinen Finger aus, wenn er die Schokoladentasse erhob, wischte sich sittsam mit der Serviette den Mund ab – schnitt auf einmal ein wahres Kannibalengesicht, kratzte sich schnell und wütend und fuhr mit einem Raubtiersprung, daß der ganze Tisch klirrte, auf einen an der Veranda aufgetauchten Kopf los. Der hatte gelacht, und das war etwas, das Schnups nicht ertrug. – Naschen und Stehlen hatte ich ihm abgewöhnt, das heißt bei mir. Als ich später mit einem Kameraden zusammenwohnte, hatte der Affenstrolch bald weg, daß der ein äußerst gutmütiger Mensch war, und stahl ihm alles, was ihm gefiel. Und ihm gefiel eigentlich alles, und von allem hatte er durch eingehende Studien festgestellt, wie es zu gebrauchen war. Bald saß er mit der Zahnbürste meines Kameraden auf einer Palme, hatte das Maul aufgerissen und fummelte sich mit der Bürste an seinen weißen spitzen Zähnen herum, bald hatte er den Kamm, den Spiegel, die Uhr und einmal auch das Rasiermesser gestohlen, mit dem er sich zu unserem Entsetzen im holden Antlitz herumfuhrwerkte. Zum Glück balbierte er sich aber mit dem Rücken des Messers, hatte bald einen Schnitt an der Handfläche weg und ließ es fallen. Ein andermal sauste er mit einer brennenden Zigarre, die er dem Häuptling gestohlen hatte, über die von der Sonnenglut zunderdürr gedörrten Palmblattdächer unserer Hütten, daß die Funken nur so sprühten, und hätte damit leicht das ganze Lager in Brand stecken können; wieder ein andermal rettete ich ihn nur mit Mühe und Zahlung von 40 Rupien vor der Schrotflinte eines erbosten Leutnants, dessen importiertem wertvollen Wyandottehahn er schuftigerweise sämtliche Schwanzfedern ausgezupft hatte. Trotz dieses gelegentlichen Ärgers hat mir das Tier doch unendlich viel mehr Freude gemacht und mir manche Stunde auf einsamen Posten Gesellschaft geleistet. Bei dem Straßenkampf in Bagamojo saß er auf einer der zum Abtransport bereitgestellten Kisten angebunden, und dort ist er den Soldatentod gestorben; ein Granatsplitter hat ihm den Kopf weggerissen.

Auf dem Wege nach dem Raubtierhause komme ich am Zwinger der Stachelschweine vorüber. Wie oft habe ich in den afrikanischen Steppen wie auf den verödeten Trümmerfeldern Südindiens abgeworfene Stacheln von ihm gefunden, aber das Tier selbst konnte ich nie zu Gesicht bekommen.

Überhaupt stellt die Rasse dieser nahrhaften Rüsseltiere drüben merkwürdige Vertreter, die alle gleich scheu und feinwittrig sind und alle dieselbe Abneigung zeigen, sich von Menschen in ihre Privatangelegenheiten gucken zu lassen. Da ist das Erdferkel, ein ausgesprochenes Nachttier, dessen Vorhandensein sich mir öfters nur dadurch bemerkbar machte, daß ich, durch das hohe Steppengras dringend, plötzlich bis an die Hüften in einen seiner unterirdischen Bauten versank. Passierte einem das, wenn einem eine Horde Engländer oder ein angeschossener Gnubulle hinterher war und man es ein bißchen eilig hatte, so war es besonders unangenehm. Professor Matschie sagt in seinen »Bildern aus dem Tierleben« von diesen Höhlenbewohnern, daß sie den Leib des Känguruhs, die Beine des Gürteltieres, den Kopf des Ameisenbären und daran die Ohren des Esels und den Rüssel des Schweines haben. Also eine Tiergestalt, die eigentlich nur im Simplizissimus Existenzberechtigung hat.

An Schönheit des Leibes steht ihm sein Vetter, das Warzenschwein, kaum nach. Ein einziges, eben erlegtes Exemplar habe ich einmal gesehen. Am ganzen Körper brachen durch einen struppig-ruppigen grauschwarzen Borstenwald nuß- bis faustgroße Warzen hervor, auch der tausendeckige Schädel samt Augen, Ohren und Schnauze war mit den knolligen Auswüchsen und Beulen, die jede mit einem extralangen Borstenpinsel geschmückt waren, bedeckt; der ganze Tierleib drückte eine geradezu atemversetzende Häßlichkeit aus. Der glückliche Jäger lud mich zur Teilhaberschaft am Braten dieses Apollo ein, ich schüttelte mich aber vor Grausen, sprang auf mein Maultier und brauchte das gar nicht anzutreiben, denn auch das geduldige Langohr wurde von dem grotesken Anblick dieses Monstrums einfach in die Flucht gejagt. Doch soll das Fleisch des Warzenschweins saftig, zart und viel wohlschmeckender sein als das des in Afrika am häufigsten vertretenen gewöhnlichen Flußschweines.

Trotz seines Namens braucht das aber nicht unbedingt einen Fluß zu seinem Dasein. Ich fand es ebensooft in der hoffnungslos dürrsten Steppe wie in den Wäldern der Berge, in den Schilf- und Papyrusdickichten der Seen und Sümpfe des Innern und den schlammigen Mangrovenwäldern der Küste. Vor allem überall dort, wo Feld- und Plantagenbau betrieben wird, und riesengroß sind die Werte, die die gefräßigen Wühler alljährlich an Früchten und Pflanzen vernichten. Der Hauptfeind dieser Dickhäuter ist der Löwe; in Ausnutzung dieser Tatsache findet man auf Europäerpflanzungen deshalb die anheimelnde Erscheinung, daß Löwen, etwa ein bestimmtes Paar, dort direkt geschont werden und diese in richtiger Erkenntnis gegenseitig nutzbringenden Verhältnisses auch ein merkwürdig unbekümmertes, vertrautes Verhalten offenbaren. Wenn sie dann ihr so unendlich machtvolles nächtliches Gebrüll anstimmen, das dem Neuling manche peinliche Gänsehaut über den Buckel jagt, freut sich das afrikanische Agrarierherz; denn dann geht's wieder einem der borstigen Felddiebe an den Kragen.

Ich habe recht viele Schweine geschossen und verzehrt, der Geschmack ihres Fleisches hält aber keinen Vergleich mit dem unseres Hausschweines, nicht einmal mit dem des europäischen Wildschweines aus. Meine erlegten Borstentiere hatten alle den eigentümlich trockenen, saftlosen, kurzum afrikanischen Geschmack, der fast allem Wildpret des dunklen Erdteils eigen ist. Ein jüngeres Tier oder ein Ferkel schmeckt natürlich immerhin besser, aber man erwischt es selten. Auch die Fettausbeute ist äußerst gering: ich war einigermaßen betroffen, als mein Koch zur Zubereitung der Keule meines ersten erlegten Schweines, eines Ebers von recht ehrwürdigem Alter, die Kokosölflasche verlangte. »Kokosöl zum Schweinebraten? Du bist wohl verrückt! Du sollst im Gegenteil noch Fett abschöpfen!, schnauzte ich ihn an. »Chugoa? Namna gani? Hakuna mafuta, hatha kidogo!« (Abschöpfen, wieso? Es hat kein Fett, auch kein bißchen!) sagte er entrüstet. Ich guckte in die Pfanne, da schwamm in einer Zwiebelbrühe etwas herum, das braun, zäh und verschrumpelt aussah, es konnte ebensogut ein alter Stiefel sein. Und wie ich auch von der Seite über die Brühe schielte, nicht ein einziges, einsames Fettauge begegnete meinem forschenden Blick. Da gab ich enttäuscht die Ölpulle heraus, und wie ein schöner Traum versank die Hoffnung auf einige Schweineschmalzbemmchen.

Erfolgversprechend ist die Schweinejagd hauptsächlich abends und nachts. Es ist verhältnismäßig leicht und uninteressant, kann aber das Gegenteil davon werden, wenn das besagte Stück eine Muttersau oder ein alter wehrhafter Keiler ist. In der Nähe von Mangata hätte eines Abends im Mai 1916 ein Zuschauer stillvergnügt beobachten können, wie ein weißer und ein schwarzer Soldat der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika mit erstaunlicher Geschwindigkeit über ein Mohogofeld rasten und als Ursache dieser unwürdigen Hast hinterdrein ein mächtiger Wildeber mit weißen blanken Hauern. Bis der Askari, der einen Vorsprung gewonnen hatte, sich im vollen Lauf neben einem Baumstrunk niederwarf, ein Gewehr aufhob und es auf den struppigen Eberkopf gerade in dem Momente abfeuerte, als dessen Hauer von dem Hosenboden des rennenden Europäers nur noch eine Handbreite trennte. »Vuii –« sagte der Keiler und brach auf den Hinterläufen zusammen. Der Europäer schlug einen Haken wie ein Hase, machte einen Bocksprung über den Baumstrunk, schlug mit der Linken dem Askari eine Ohrfeige, nahm ihm gleichzeitig mit der Rechten das Gewehr aus der Hand und ging mit einem sehr roten Kopfe, vielleicht vor Anstrengung, vielleicht vor Scham über das Rennenmüssen, auf den wütig grunzenden Keiler zu und gab ihm den erledigenden Schuß durch das tückisch glühende Auge. Der Keiler seufzte auf und versammelte sich zu seinen Vätern, der Europäer drehte sich nach dem Askari um und holte zu einer weiteren Ohrfeige aus. Die konnte aber nicht verausgabt werden, denn der Mohr hatte einen besorgten Blick nach dem roten Kopfe seines Banas geworfen und war, sich die Backe reibend, rasch und leise in ein Bananengebüsch getaucht. Der ausreißende und Maulschellen austeilende Europäer war ich, der Askari hatte, vor dem von mir mit der Schrotflinte angeschossenen Keiler ausreißend, mein Dienstgewehr, das ich ihm zum Tragen gegeben hatte, weggeworfen. Patronen für die Schrotflinte hatte ich nicht mehr, also war auch für mich nur ein äußerst beschleunigter Rückzug vor dem sofort zum Angriff übergehenden Eber übriggeblieben. Mit immerhin bemerkenswertem strategischen Geschick hatte ich den im Kreise herumleiten können, um zu dem einzig Rettung bringenden Schießprügel zurückzukommen. Gerade noch im rechten Augenblick, denn wie gesagt, nur eine Handbreite war noch Zwischenraum gewesen. –

Da wandert hinter den Gitterstäben eine Tiergestalt ruhelos auf und ab; leise, katzenartig unhörbar ist der Tritt, und doch hat gerade dieses Tier das typisch Hundeartige an sich. Freilich nur die unsympathischsten Charakterseiten des Hundes: Tücke, Gier und Unsauberkeit. Und man möchte fast sagen, eine Unsauberkeit nicht nur des Körpers, sondern auch der Seele. Die spricht aus dem unheimlich glühenden, schielenden Leichenräuberblick, der in steter Gier witternden und zuckenden Nase, dem ganzen, mürrisch finsteren Gesichtsausdruck. Und verstärkt wird das Abstoßende, das dieses Tier an sich hat, durch den Verwesungsgeruch, den sein Körper ausströmt, und seine Gestalt, die mit ihrer jäh abfallenden Rückenlinie das Schönheitsgefühl so sehr beleidigt.

Beide der über den ganzen afrikanischen Kontinent vorkommenden Hyänenarten sind hier im Zoo vertreten, die gefleckte und die etwas größere gestreifte. Es sind beide ausgemachte Nachttiere, und doch ist etwas merkwürdig Unterschiedliches zwischen den beiden Arten, die sich übrigens gegenseitig mit einem echten Vetternhaß bedenken. Die Gefleckte kennt in Äquatorialafrika jedermann; jeder bekommt sie bei irgendeiner Gelegenheit, wenn auch nur als huschendes, raschverschwindendes Gespenst, einmal zu sehen und – bis in die Straßen der Städte hinein – fast allnächtlich zu hören. Sie ist es, die als erste ihrer Gattung, dem Vortrupp der schnellfüßig vorausjagenden und kläffenden Meute der Schakale folgend, geleitet von ihrem Witterungsvermögen auf unglaubliche Entfernungen, herbeieilt und sich auf den toten Körper eines Menschen oder Tieres stürzt. Und sie ist es auch, die von den Negern während ihrer Nachtruhe fast so gefürchtet wird wie der Löwe. Denn unbekümmert um die in allen zoologischen Büchern und Gehirnen zu findende Lehre, daß ihre Nahrung nur aus Aas bestehe, überfä11t sie auch alles lebendige Freßbare – wenn keine Gefahr dabei, das Objekt also entweder unwehrhaft, klein, gefesselt oder schlafend ist. Dann dringt sie in Hütten oder Viehhürden ein, packt ein Tier, reißt einem Weibe den Säugling von der Brust oder beißt mit einem Schnapp ihres furchtbaren Gebisses dem Schlafenden einen Fuß oder eine Hand ab und verschwindet mit der Beute lautlos, blitzschnell und schattenhaft im Dunkel der Nacht.

Im Kriege ließ der heulende Gesang der Bestien, der in dämonischem Gelächter endigt, dem einsamen Verwundeten auf nächtlichen Schlachtfeldern den kalten Schweiß auf die Stirn treten; wie viele Szenen voll Entsetzen mögen sich im Dunkel der feuchtheißen Tropennächte da zwischen Mensch und Tier abgespielt haben.

Ihr gestreifter Vetter ist scheuer, mehr, wenn auch nicht absoluter Aasfresser und vielleicht auch seltener. Schillongs hat bei seinem Herumfragen unter den Eingeborenen nach einer gestreiften Hyänenart stets die Antwort bekommen, daß es ein solches Tier nicht gäbe. Später fing er systematisch Hyänen in Raubtierfallen, und dabei waren zu seinem Erstaunen fast so viele gestreifte wie gefleckte Exemplare. Diese Scheu vor dem Gesehenwerden und die daraus folgende Unbekanntheit sogar unter den Eingeborenen, die recht gute Tierkenner und -beobachter sind, beweist wohl, daß die Natur der gestreiften Hyäne tatsächlich viel weniger angriffslustig als die der allgemein gekannten und gehaßten gefleckten Art ist.

Ich hatte Gelegenheit, in mehreren Fällen die Angriffslust und Gefährlichkeit dieser Tiere zu erleben. In einer der lichtlosen Nächte der Regenzeit, die Hyänen besonders verwegen werden lassen, hatte das dichtbewachsene Tal unterhalb einer von mir besetzten Feldwache von dem Heulen und Wiehern eines ganzen Rudels gehallt. Ich war gegen Mitternacht aufgestanden, um den Posten abzugehen, als mich ein Aufschrei nach der offenen Schlafhalle meiner Askari riß. Der am Ende der Reihe schlafende Mann saß auf seiner Decke und umkrampfte stöhnend mit beiden Händen seinen linken Fuß, durch das Leder des Schuhes quoll Blut. Ich dachte an einen Überfall durch Löwen oder Leoparden; aber ein Mann hatte das Tier wegspringen sehen und als Hyäne erkannt, die Spuren im feuchten Erdreich draußen bestätigten seine Angabe. Der Räuber hatte dem armen Kerl mit einem Biß den Knöchel des Fußes zermalmt, nur dem festen Militärschuh hatte er es zu verdanken, daß der Fuß überhaupt noch am Bein war. Viel gewonnen blieb damit freilich nicht, der Mann lahmte für immer und mußte aus dem Frontdienst ausscheiden.

Ein andermal – es war am Rastplatz einer Karawanenstraße nach einem langen Tagesmarsche – brachten mir Träger das blutüberströmte bewußtlose Weib eines ihrer Kameraden nach meinem Schlafplatze, eine Hyäne hatte ihr die eine Brust abgebissen; der Anblick der klaffenden fürchterlichen Wunde warf mich förmlich zurück. Wir legten der Unglücklichen einen Notverband an, dann ließ ich sie nach einem Eingeborenenhospital zurücktragen. Aber das war drei Tagereisen weit, und schon während der zweiten starb die Frau an Blutvergiftung. Dann ist mir noch eine Nacht voll ingrimmigen Kampfes gegen Schlaf und Hyänen in Erinnerung. Ich hatte allein einen starken Gnubullen erlegt; meine Leute hatten mich in der Steppe verloren; so mußte ich eine endlose Nacht nach einem äußerst anstrengenden Tage neben dem erbeuteten Fleische wachen, um es gegen das ringsum heulende und schleichende Raubgesindel zu schützen. Immer und immer wieder fielen mir, wie ich so zwischen den Beinen des Bullen, mit dem Rücken gegen seinen Leib gelehnt saß, die Augen zu und der Kopf schwer vornüber. Und immer wieder ließ mich ein knurrendes Zerren und Reißen an dem Kadaver emporfahren, das über den Knien liegende Gewehr hochreißen und gegen die phosphoreszierenden Pünktchen abfeuern, die um die dunklen Formen des erlegten Tieres herumhuschten. Dann folgte ein wegschnellendes, kaum hörbares Trappeln von leichten Füßen, die Irrlichter erloschen und verschwanden in der Nacht. Nach ein paar Minuten Stille setzte ringsum ein vielstimmiger hungriger Chor mit winselndem Gekläff und tiefem Heulen ein, der auf- und abschwoll, in der Steppenweite fernhallendes Echo fand, leiser wurde und sich dann wieder steigerte in qualvoller Gier und mir schließlich trotz allem Gegenbäumen doch wieder den Kopf in bleiernem Schlaf herabsinken ließ. Dann kamen die Spukgestalten mit den fahlgrün schimmernden Augen wieder herangeschlichen, schnappten, bissen zu, ruckten und zerrten, und wieder riß es mich hoch, zuckten zwei, drei Feuerstrahlen und rollende Knalle durch die Finsternis. – Gegen 40 Schuß habe ich in jenen peinvollen Nachtstunden abgefeuert, bis kurz vor Morgengrauen die Schüsse endlich meinen Leuten den Weg zu mir gewiesen hatten. Aber den Schwanz des Gnubullen hatte mir einer der Marodeure doch gestohlen.

Und die Erinnerung an mein letztes Zusammentreffen mit einer Hyäne in Afrika jagt mir noch heute einen Schauer über die Haut, obwohl es im Grunde harmlos verlief. Es war tiefe Nacht, und ich lag allein, von wilden, schon vier Tage anhaltenden Fieberschauern geschüttelt, durstig und entkräftet, am Rande eines Mangrovenwaldes. Ich war seit drei Tagen in einer Hängematte nach einem Hospitale unterwegs, wir hatten auf einem kleinen Küstenposten übernachten wollen, am Spätnachmittage waren zwei Kanonenboote und ein Flieger gekommen, hatten die Hütten und den kleinen Schützengraben entdeckt und ein wüstes Bombardement begonnen. Die Hütten flogen unter den einschlagenden Bomben und Granaten in Fetzen, das dürre Palmblattmaterial hatte Feuer gefangen und brannte wie Stroh. Ich delirierte gerade in der typischen hohen Nachmittagstemperatur, und alles, was draußen geschah, war mir Wurst Meine Leute schleppten mich schließlich heraus, aber der Flieger sah uns, kam tief herunter und ratterte mit seinem M.-G.in die Gruppe. Einer meiner Träger fiel kopfüber in den Schlamm und blieb liegen, mein Boy bekam einen Armschuß, da ließen sie mich alle los und liefen weg. Ich torkelte einige Schritte weiter unter die Mangroven, ringsum spritzte, knatterte und krachte es, aber ich war zu erschöpft und apathisch, um mich weiter wegzubewegen, und versank bald wieder in fiebrische Betäubung.

Als ich erwachte, war kühle Nacht und tiefes Schweigen ringsum. Nach langem Grübeln erst wurde ich mir über das Geschehene und meine Situation klar, aber nichts berührte mich tiefer, eine ungeheure Schwäche lag über mir, nur brennender Durst quälte mich. Da hörte ich einen leisen, leisen Schritt, wendete mit Anstrengung den Kopf und sah zwei glimmende Äugen unbeweglich unter einem Busche stehen. In qualvollem Bemühen, Gehirn und Äugen klar zu bekommen, ließ ich den Blick darauf ruhen, langsam wurde mir bewußt daß dort ein Raubtier stand, vielleicht ein Löwe, und daß ich allein, krank und waffenlos war. Da knurrte das Tier, sprang zurück, ein Kratzen an einer Wurzel – – – eine Katze geht mit eingezogenen Krallen, kratzt nicht – also eine Hyäne – neben dem Krokodil das mir verhaßteste aller Tiere. Ein Gemisch von furchtbarer Angst, Grauen und Widerwillen durchrüttelte mich, peitschte die matten Nerven und Muskeln auf. Zitternd vor Schwäche richtete ich mich halb auf, krampfte Schlamm in die Hand und warf. Wieder ein Knurren und Beiseitespringen in der dicken Schwarze unter den Bäumen, aber fort ging die Bestie nickt ... Ich wollte schreien, doch die trockene verschwollene Kehle brachte nur ein Stöhnen heraus. Ich sank um. Die Schwäche kroch an mir hoch und wollte mich in Bewußtlosigkeit zurücktauchen, aber da kam wie ein schneidendes Messer der Gedanke, daß ich dann bei lebendigem Leibe von dem Scheusal angefressen würde, und gab mir Energie, mich zur Wehr zu setzen. Wieder hoch, ein schwaches Glühen hinter mir, ich erkannte die Brandstätte, kroch mit Aufbietung aller Kräfte darauf zu.

Und dann saß und lag ich abwechselnd den größten Teil der Nacht hindurch bei dem schwelenden Gluthaufen, stocherte und blies einmal ein bißchen hinein, wollte hundertmal in Schlaf und Ohnmacht sinken und wurde durch das Heulen und die immer wieder auftauchenden grünleuchtenden Augen meines Belagerers stets wieder in Wachen und Leben zurückgestoßen. Glut- und Kälteschauer überjagten mich in tollem Wechsel, Durst loderte in mir, und um mich herum wanderte ein grauenvoll lachender, grünäugiger Tod.

Gegen Morgen rief eine ferne ängstliche Menschenstimme. Ich konnte nicht antworten, aber schwang mit dem letzten Reste von Kraft einen Feuerbrand langsam hin und her; dann kamen mein Boy und ein Träger. –

Ich trete ins Raubtierhaus und hebe die Nase. Warm und beizend scharf schlägt mir die Luft entgegen – so gut kenne ich diesen Geruch! – Gleich hinter dem Gitter des ersten Käfigs liegt einer lang und faul am Boden und blinzelt mir zu, etwa wie: »Hatten wir nicht schon die Ehre –?« »Ja, wir hatten sie, Bana Chui (Leopard)!« Er steht auf, öffnet den großen blutroten Rachen in dem so kleinen Kopfe, schneeweiß blinken die Dolche des Gebisses. Er gähnt, reckt sich, schnurrt. Der Gang dieses wunderschönen Körpers ist wie das leichte Gleiten einer Woge.

Diese Tiere sind – nach dem Kulturmenschen – die blutgierigsten Mörder, die ich kenne. Ganz im Gegensatz zum Löwen tötet der Leopard, nur weil ihm das Morden Freude macht. Ich war dabei, als ein Pflanzer im Usambaragebirge die Ergebnisse eines nächtlichen Leopardeneinbruchs in seinen Geflügelstall zu Tage förderte. Das Raubtier hatte einfach alles, was im Stall war, umgebracht. Ein ganzer Stamm wertvoller europäischer Rassehühner war dabei, dazu etwa ein Dutzend Enten und Gänse, Trut- und Perlhühner und sogar sämtliche Tauben, die ihren Schlag auf dem Oberboden des Stalles gehabt hatten. Und gefressen oder mitgenommen hatte der Massenmörder nur zwei Enten und – den Foxterrier des Pflanzers. Der kleine Kerl hatte ihn beim Einbruch überrascht und mit Terrierfrechheit gestellt.

Ein Hund ist für den Leoparden der größte Leckerbissen. Um einen solchen zu kriegen, macht er die tollkühnsten Angriffe. Zahllos sind die Fälle, wo er Hunde unter dem Tische hervorholte, der auf der Veranda eines Hauses stand und an dem Menschen saßen. Aus verschlossenen Zelten, aus Eisenbahnwagen und von belebten Dorfplätzen sind schon unglückliche Köter von dem frechen Räuber weggeschleppt worden. Auch als Hammel- und Ziegendieb schlägt er jede balkanische Konkurrenz.

Man findet ihn, oder wenigstens die Zeichen seiner Anwesenheit, überall im tropischen Afrika, am häufigsten in den dunklen Baum- und Buschwäldern der Gebirge. Einen Leoparden bei Tage zu sehen, ist ebenso hoffnungsreich wie das große Los zu gewinnen. Seine nächtlichen Angriffe erfolgen so lautlos und blitzschnell, daß auch dabei eines Menschen Auge wohl noch nie einen gesehen hat. Gehört aber habe ich seine Jagd in mancher dunklen Tropennacht. Dann erscholl plötzlich das dumpfe Bellen und Grunzen von Hundsaffen in den Bäumen. Rauschend schlugen und brachen die Äste zusammen, wahnsinnige Angst schleuderte die großen Tiere in mächtigen Sätzen von Baum zu Baum, und geräuschlos schnellte der gefleckte Teufel hinter ihnen her. Nachtvögel warfen sich mit irren, erschrockenen Schreien empor, mit gedämpftem Brausen verlor sich die wilde Jagd in der Ferne.

Menschen werden von diesen Raubrittern äußerst selten angefallen. Mir selbst ist allerdings einmal in finsterer Nacht einer beinahe auf den Kopf gesprungen. Ich nehme aber an, daß das ein seltener Irrtum dieser Bestie gewesen ist. Zu Schaden gekommen bin ich nicht dabei, und der Wegelagerer war verschwunden, ehe ich überhaupt wieder auf die Beine kommen konnte.

Einen einzigen habe ich geschossen. Er saß in der Falle, neunundneunzig von hundert Leoparden werden in Fallen erledigt. Bei meinem hatte ich Gelegenheit, einen Grad von tierischer Wut und Wildheit zu beobachten, wie ich ihn nie wieder erlebt habe. Mit glatt weggeschossenem Unterkiefer und durch einen Rückenschuß gelähmtem Hinterleib raste und sprang das Tier noch mit der Falle hoch, fletschte und fauchte und hieb die Pranken in Erde und Gras, daß es mir eiskalt am Rücken hinablief. Und in der Falle wird der Leopard immer für den Menschen, der sich ihm nähert, zu schwerer Gefahr. Schon mancher Pflanzer hat da Unerfahrenheit und Unvorsichtigkeit mit furchtbaren Wunden büßen müssen. –

Im Nachbarkäfig sitzt ein schwarzer Panther. Bei dem geht's mir immer wieder so, daß ich erst mit einem leisen Schmunzeln seine fatale Ähnlichkeit mit einem großen schwarzen Kater feststelle, den ich eigentlich ein bißchen streicheln möchte. Aber dann sehe ich seine Augen, den furchtbaren Blick dieser Augen. Kein anderes Tier auf der Erde hat solch einen grauenhaften Blick wie dieses.

Zweimal auf meinen Weltfahrten ist mir dieser kohlschwarze Geselle über den Weg gelaufen. Das erstemal in Abessinien. Da war einer meiner arabischen Begleiter, als er an einem Regenabend Holz sammelte, am Rande eines buschbestandenen Grabens ausgeglitten, hinuntergefallen und buchstäblich mit einem Panther zusammengeprallt, der gerade mit einem kleinen Bock im Rachen auf der Grabensohle entlang schlich. Der Kater hatte sich, erschrocken aufmauzend, herumgeworfen, aber dabei doch Zeit gefunden, dem Araber einen blitzschnellen Prankenhieb zu versetzen, der ihm das Fleisch vom Oberarm riß. Ich selbst war weiter oberhalb im Graben beim Tränken der Maultiere. Als ich dann die Fährten des Attentäters rückwärts verfolgte, stellte ich fest, daß er unweit von mir gestanden, mich beobachtet und dann, einen Bogen schlagend, weitergegangen war. –

Das andere Mal habe auch ich ihn gesehen, nur den Bruchteil einer Sekunde lang. Mit einem Maharattijäger streifte ich durch das glühende Bambusdschungel des Ramandruggebirges in Süd-Indien. Ich wollte einen Wildpfau schießen. Stundenlang waren wir schon erfolglos herumgestiegen, ich wollte es für diesen Tag bereits aufgeben. Da klang das langgezogene klagende Geschrei eines Pfaues aus einer waldigen Schlucht herauf. So leise und so rasch, als es in dem ewig knackenden und prasselnden Bambusdickicht möglich war, stiegen wir hinunter. Es war völlig windstill, die Abendsonne warf heißen Goldglanz auf den Abhang. Da blieb der vorausgehende Maharatti stehen, duckte den Kopf und zupfte mich hastig am Aermel. »Bargh, Sahb!« flüsterte er, seine Hand zeigte durch das gelbe Gewirr der Rohrschäfte nach einer nackten Felsnase. »Wo?« fragte ich in plötzlicher Munterkeit, in mir prickelte gleich die seltsame Erregung, die die Nähe eines Raubtiers auslöst. »Dort, Sahb, siehst du ihn nicht?« hauchte er, »da so groß steht – ah, weg!« Im letzten Augenblicke hatte ich ihn gesehen. – Mit erhobenem Kopfe hatte er oben gestanden im Sonnenschein und ins Tal hinabgesehen, und wie ein schwarzer Schlagschatten war er plötzlich zusammengesunken und verschwunden.

Mit hämmerndem Herzen drang ich auf die Klippe zu. Beschwörend zupfte mich der Jäger immer wieder am Rock: »Sahb! – Sahib!!« Sie erzählen schreckliche Dinge von der blutdürstigen Wildheit und Gefährlichkeit dieses schwarzen Würgengels und haben entsetzliche Angst vor ihm. Angst hatte auch ich, irgendwo tief in mir – aber ich mußte einfach vorwärts und zu ihm hin.

Als ich schweißtriefend und mit mühsam verhaltenem Keuchen auf der Klippe anlangte, war nichts mehr vom Panther zu sehen. Wenn nicht die zahlreichen alten und auch ganz frischen Produkte seiner Verdauung dagelegen hätten, wäre ich überzeugt gewesen, daß mein einzigmaliges Erblicken eines schwarzen Panthers nur Augentäuschung gewesen war. –

Da grollt es auf im Halbdunkel des großen Eckkäfigs – kurz und machtvoll – der Ton schlägt mir durch die Seele, dringt in alles Erinnern hinab, und weckt – weckt – – so unendlich viel. – – Ich trete heran, lehne mich an das Geländer und – ich kann nicht anders, hebe die Hand zum Gruß. Gleichmütig sieht mich der große dunkle Massailöwe, der drüben in Afrika geboren und aufgewachsen ist, aus gelben Augen an, dann starrt er über mich weg, geradeaus. – Siehst auch du dahin, wo ich hinsehe, Simba? – Da flimmert die Steppe im gelben Abendglanz. Du trittst aus deinem Felsversteck, blinzelst in das vergehende Tageslicht, dehnst und reckst dich. Trittst auf einen Stein und siehst hin über fahlgelbe Graswogen bis weit hinaus, zu jenem dunkelgrünen Band dahinten. Dort ist das Wasser. Dorthin kommen die großen Antilopen mit den gefährlich spitzen Hörnern, die Zebras, die so süßes Fleisch haben, die dicken schwarzen Schweine, die so gut schmecken. Du starrst hinunter; wie in den farbenglühenden Himmel hineingemeißelt stehen die gewaltigen Umrisse deines Körpers auf der Klippe. Das letzte Leuchten erlischt, Sterne blitzen auf, schwarz bedeckt sich das weite Land. Du schwingst den Schweif, senkst den Kopf tief hinab und dann dröhnt es aus deiner gewaltigen Brust herauf, aus keuchenden Stößen wächst es zu lang hinrollendem erschütternden Donner und verklingt wieder in dumpf stöhnendem Keuchen. Du hebst den Kopf und lauschst, wie grüne Scheiben leuchten deine Augen im Dunkel. Da hallt es auf in der Nacht, rollt heran, verklingt und hallt aufs neue auf – der Antwortruf deiner Jagdgenossen. Du steigst hinab in die Ebene, wie graue Schatten tauchen deine Kameraden aus der Finsternis. Ihr reibt euch aneinander in stummer Verständigung, trabt vorwärts; neue Schatten gesellen sich hinzu, immer größer wird das Rudel. Mit gesenkten Köpfen schleicht ihr weiter. Ein alter großer Mähnenlöwe bleibt stehen, seine Lichter funkeln in die Nacht hinaus, er biegt scharf ab, seine Frau begleitet ihn. Ihr andern bleibt begreifend zurück, verstreut euch, liegt stumm lauernd im Halbkreis. Dann hallt das Gebrüll der beiden Kameraden aus der Ferne, ihre Stimmen treiben alles Getier hoch, lassen es in stummem Entsetzen aufhorchen, jagen es in besinnungslose Flucht. Trappelnd und schnaufend brausen die Zebras heran, schwarzzottige Gnubullen stürmen in kurzen Galoppsprüngen dazwischen. Da fahrt ihr hoch, schnellt auf die Hinterpranken, teilt blitzschnelle Tatzenhiebe aus, rechts und links. Tierkörper brechen stöhnend zusammen, bäumen wieder hoch; mit federndem Sprunge sitzt ihr ihnen im Nacken, grabt die Zähne in zuckendes Fleisch und krachende Knochen. Warmes Blut füllt eure Rachen, die Tatzen wühlen im Leib, zerren die Leckerbissen der Weichteile heraus, schmatzen und schlingen.

So wohlig voll ist dann der Bauch, wenn ihr zum Wasser geht. Erschrockene Tiere prallen von der Tränke weg, springen in die Nacht hinaus. Weißes Mondlicht zittert auf dem dunklen kühlen Wasser, in das ihr die Schnauzen taucht, es in langen tiefen Zügen trinkt. Die Alten gehen weg vom Rudel, ihr Jungen bleibt und spielt, Kampf- und Liebesspiel. Oben steht der große weiße Mond, der Nachtwind rauscht im Gras. Von weit, weit her, aus den Dörfern, wo die nackthäutigen Menschen wohnen, brummt dumpfer Trommelton in eure wilden Spiele. Bis die Sterne verblassen, grauer Schein im Osten dämmert und euer Gebrüll nochmals durch die Einöde hallt, den Glanz des neuen Tages grüßt. –

Siehst du das, Simba, mit deinem verloren starrenden Blick und denkst daran? – So wie ich es sehe und daran denke, immer und immer –? Wie oft habe ich, an einsamem Feuer träumend, euren Jagdruf durch die nächtliche Wildnis schallen, die schweren Fluchten eurer Körper auf dem harten Steppenboden dröhnen hören. – Und manches Mal einem deiner Brüder gegenübergestanden, in Ewigkeitssekunden, die entschieden über Leben oder Tod. – Wir wissen das alles, du und ich. Aber was wissen die, die hier stehen und dich anstarren und eine Papierkugel nach dir werfen?

Sie lesen in manchen naturbeschreibenden Büchern, daß es Löwen eigentlich nur noch in den zoologischen Gärten gibt. »Die allerwärts vordringende Kultur wird bald mit den letzten vereinzelten Exemplaren dieser mächtigen Raubtiere aufgeräumt haben«, steht darin. Verfechter der Naturschutzbestrebungen beklagen das bevorstehende Aussterben der Löwen und fordern Jagdschutz für sie. Ich möchte den Vertretern dieser Ansicht empfehlen, einmal nach Britisch- und dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika zu gehen, aber nicht nur in die Hotels der Küstenstädte und Eisenbahnstationen, sondern nach alter Weise zu Fuß mit einer Trägerkolonne nach gewissen Gegenden des Inneren. Wenn sich die Herren da nicht ganz gehörig vorsehen, könnte es leicht geschehen, daß die Löwen mit ihnen aufräumten, und zwar nicht als letzte vereinzelte Exemplare, sondern in recht stattlichen Rudeln von fünf bis fünfzehn Stück. In vielen Gegenden dieser Länder haben die Löwen, übrigens auch die Leoparden, in den letzten Jahren aus bisher unerklärten Gründen sogar an Anzahl stark zugenommen, so stark, daß ganze Dörfer vor dieser Plage einfach auswandern mußten.

Im allgemeinen greifen Löwen in normaler Körperverfassung den Menschen nicht an, gehen ihm sogar recht bedachtsam aus dem Wege. Mit dem sprichwörtlichen Löwenmut ist es überhaupt nicht weit her, Leoparden und asiatische Tiger sind viel mutigere Tiere. Sehr oft hat ein Schwarzer einen auf der Straße stehenden oder liegenden Löwen einfach durch einen Steinwurf verscheuchen können. Aber auch altgewordenen Löwen geht es wie vielen alten Menschen, die Körpergewandtheit nimmt ab und Nahrungssorgen stellen sich ein. Zähne und Pranken des bejahrten Löwen werden stumpf, er kann aus den ungeheuer wachsamen und flüchtigen Wildherden Afrikas nicht mehr genug Beute zur Stillung seines Hungers holen. Der Hunger wird immer größer und besiegt zuletzt die natürliche Scheu des Raubtieres vor dem so seltsam und gefährlich aussehenden, aufrechtgehenden Zweibein. Ein harmlos Dahinwandernder oder ein wasserholendes Weib wird dann die erste menschliche Beute. Dabei merkt er, wie leicht doch dieses schwache Zweibein, das nicht einmal spitze Zähne und Krallen hat, zu erlegen ist – und der Menschenfresser ist fertig. Zuletzt hilft gegen dessen steigende Frechheit keine verrammelte Hütte, kein Dornverhau und kein noch so großes Feuer mehr. Der einzige Ausweg für die gefährdeten Eingeborenen bleibt dann nur das Verlassen der Gegend – wenn der Löwe nicht einfach mitkommt.

Da saß Ende des Jahres 1913 ein griechischer Kaffeepflanzer vom Kilimandjaro im Stationshotel von Voi an der Ugandabahn und stärkte sich durch einen sehr mannhaften Trunk für den Heimmarsch über Taveta und den Himofluß. Die Gegend – sie ist von den Engländern zum Wildreservat erklärt worden – könnte allein sämtliche zoologischen Gärten der Erde mit je einem Prachtexemplar des »Bana simba« versorgen. Unser Grieche kam mit dem Trinken ins Prahlen, das dort so naheliegende Thema über die Raubzeugplage wurde angeschnitten, er wollte seine Furchtlosigkeit beweisen und ging in seinem Suff eine Wette ein, daß er, nur mit zwei Feldflaschen voll Tee, einer Browningpistole, vierzig Patronen und einer Sturmlaterne ausgerüstet, den Viertagemarsch nach dem Himo allein, ohne jede weiße oder schwarze Begleitung machen würde. Die zu durchquerende Gegend ist neben ihren sonstigen Schrecken auf etwa hundert Kilometer auch absolut wasserlos. Trotz des Abratens einiger Besonnener versteifte sich der Grieche auf das wahnsinnige Unternehmen und ging los. Vier Tage später fanden wasserholende Massaiweiber in der Steppe dicht vor dem Himofluß einen besinnungslosen Europäer. Es war der Grieche. Seine Laterne war ausgebrannt, die Trinkflaschen leer, alle Patronen verschossen. Er wurde von den Schwarzen nach Taveta zu dem dort stationierten englischen Distriktskommissar gebracht. Dort lag er drei Wochen lang in Fieberdelirien. Aus dem wenigen, was er in lichten Augenblicken sprach, ergab sich das Bild eines nervenzerrüttenden Erlebens auf seinem einsamen Marsche durch die Wildnis. Schon in der ersten Nacht hatte er vor den allerwärts in der Finsternis heulenden Raubtierrudeln Zuflucht auf einem Baume suchen müssen. Unten belagerten ihn die Bestien, er sah ihre glimmenden Augen in hungriger Gier heraufleuchten, hörte ihr nervenaufpeitschendes Knurren und Mauzen. Im Morgendämmern lauerten noch zwei große Löwen unten; er verjagte sie durch einige Schüsse und kletterte herab. Aber den ganzen Tag begleiteten ihn die beiden Katzen seitlich im Busche, er verschoß nach und nach all seine Munition auf sie, warf Feuerbrände nach ihnen, alles vergeblich. Bei Sonnenuntergang saß er wieder auf einem Baume, darunter seine beiden furchtbaren Begleiter, die bei Nacht noch Kameraden bekamen. Erst gegen Mittag des anderen Tages verschwanden die Belagerer, und er wagte sich herunter. Seine Flaschen hatte er in der Qual der vergangenen Tage und Nächte bereits leergetrunken. Ohne Wasser und ohne Munition, gejagt von Durst und entsetzlichem Grauen vor einer weiteren Nacht in der Steppe, marschierte er weiter und mußte doch noch, nicht mehr weit von dem rettenden menschenbewohnten Flußufer, eine Nacht in einem Dornverhau verbringen. Die hatte ihm wohl den Rest gegeben, denn dicht vor dem Flusse hatte ihn Kraft und Besinnung verlassen. Aus den Rasereien des Nervenfiebers erwachte sein Geist nicht wieder zur Klarheit; er wurde in die Irrenanstalt Sutindi gebracht, dort war er 1916 noch immer.

Am selben Himoflusse hatte sich ein einzelner, von seinem Stamme verstoßener Massai einen Kraal gebaut. Dort wohnte er mit seiner Frau und seinem Vieh. Eines Nachts wurde die Frau durch Unruhe unter dem Vieh geweckt, sie rüttelte ihren Mann auf, der ging hinaus und traf auf einen Löwen, der über den drei Meter hohen Dornenwall gesetzt war und eben ein Kalb geschlagen hatte. Der Massai stieß sofort dem Löwen seinen Speer in den Leib, traf ihn aber nicht tödlich und konnte den Speer nicht zurückziehen, bevor das Tier auf ihn losfuhr. Der Mann flüchtete brüllend in seine Hütte, seine vor einer Woche niedergekommene Frau verkroch sich mit ihrem Säugling vor Angst unter eine schwere Ochsenhaut. Ehe noch der Massai die aufgeraffte Keule erheben konnte, hatte ihn der nachgedrungene Löwe durch einen Tatzenschlag niedergestreckt und fraß ihn auf der Ochsenhaut auf. Und darunter lag das Weib mit dem Kinde. Halb wahnsinnig vor Schrecken kam sie am anderen Morgen zur benachbarten Pflanzung eines Deutschen und erzählte die nächtliche Tragödie.

Auch in Europa seinerzeit weiter bekannt geworden ist folgendes tolle Stück. Ein Menschenfresser machte längere Zeit die Gegend um das oben erwähnte Voi unsicher. Zuletzt holte er den Lokomotivführer des Abendzuges von der Maschine herunter, als er vor der Station hielt. Da taten sich drei weiße Nimrode zusammen, um das Untier zu erlegen. Sie bekamen einen Schlafwagen der Ugandabahn und leider auch ein bißchen viel Whisky zur Verfügung gestellt, quartierten sich darin ein, und der Wagen wurde auf die Strecke in die Nähe des von dem Löwen ständig benutzten Wechsels geschoben. Dann warteten sie auf das Erscheinen des Räubers. Die Wartezeit füllten sie mit der Vertilgung des Whiskys aus. Der füllte aber auch sie, und zwar derartig, daß zwei sehr bald schlafen gingen, einer im oberen, der andere im unteren Bett eines Abteils. Der dritte wachte noch eine Weile auf der Plattform außerhalb, schlief dann aber auch ein. Dann kam der Löwe. Er stieg merkwürdigerweise über den draußen Schlafenden weg und ging ins Abteil. Dabei fiel die Tür hinter ihm zu. Und drinnen packte der Simba nicht den doch bequemer liegenden unteren, sondern den oberen Schläfer, fand die Tür geschlossen und sprang mit dem Unglücklichen durchs Fenster hinaus. Die beiden anderen hatten nichts gesehen und gehört. Von dem Getöteten wurden am anderen Abend nur noch einzelne Knochen und die Stiefel im Busch gefunden – – –

Beim Baue der Ugandabahn mußte die Weiterführung der Arbeiten für einige Monate wegen der Löwenplage unterbrochen werden. Die hier tätigen indischen Arbeiterscharen hatten ganze Rudel der gelben Würger angelockt, denen trotz hoher Dornumwallung und ständiger Bewachung und Beleuchtung der Lager nach und nach gegen hundertfünfzig Inder zur Beute fielen. Zuletzt verweigerten die Kulis die Weiterarbeit, und die englische Regierung mußte Jagdkolonnen organisieren, die in monatelanger Arbeit die Gegend von den Raubtieren säuberten.

Aus eigenem Erleben kann ich Verschiedenes zum Thema beitragen. An der Küste von Deutsch-Ostafrika zwischen Tanga und Pangani hauste schon monatelang vor meinem Besuche dieser Gegend ein besonders gefährlicher Menschenfresser. Eine ziemliche Anzahl von Schwarzen war ihm schon zur Beute gefallen, einige Tage vor meinem Eintreffen hatte er am hellen Tage einen Mann aus einer marschierenden, vierzig Mann starken Trägerkolonne herausgeholt und am Abend desselben Tages den Postläufer scheinbar mit dem ganzen Postsack zusammen aufgefressen. Man mußte auf letztere kuriose Vermutung kommen, weil von dem Postsacke nur einige abgerissene Lederfetzen aufgefunden wurden. Als ich drei Tage in jener Gegend wohnte, drang die freche Bestie in die Hütte meiner Leute, die vier Meter von meinem Hause entfernt war, und packte einen Mann. Der schrie und klammerte sich verzweifelt an, und zu seinem Glücke hatte er einen entschlossenen Kameraden bei sich, der dem Simba mit einem Feuerbrande über die Schnauze und ihn damit in die Flucht schlug. Ich kam natürlich auf das Geschrei hin sofort mit dem Gewehre, wäre aber wahrscheinlich doch zu spät gekommen. Der Angegriffene war sehr schwer verletzt, wurde aber später wieder vollständig geheilt. Der versengte Simba aber schnob Rache, ging in das nahegelegene Dorf Geta und holte einen zwölfjährigen Jungen von der Seite seiner Mutter aus der Hütte heraus. Ich setzte der Bestie mit drei Leuten zwei Tage lang nach.

Dann verlor ich die Spur vollständig und kam gerade rechtzeitig zum Begräbnis der aufgefundenen Reste des Dorfvorstehers von Geta zurück, den der Löwe am Mittag desselben Tages in seiner kleinen Tabakpflanzung dicht beim Dorfe geschlagen und halb verzehrt hatte. Meine Wut war unbeschreiblich.

Tags darauf blieb der Postläufer auffällig lange aus. Mir ahnte nichts Gutes, und ich ging los, ihn zu suchen. Einen Kilometer von meinem Hause entfernt war ein flaches Tal, mit hohen Borassuspalmen bestanden. Dort angekommen, hörten wir gellendes Rufen und entdeckten den Vermißten auf einer der Palmen. Er gestikulierte und zeigte nach unten. Mit schußbereitem Gewehre ging ich näher, vom Simba war nichts mehr zu sehen. Wohl aber zwei große flache und zwei kleinere tiefe Eindrücke im Boden dicht vor der Palme. Da hatte der Würger auf den Hinterbacken gesessen und den unglücklichen Postmenschen seit Mittag belagert. Wieder blieb die Verfolgung ergebnislos und wieder spielte mir die Bestie einen Streich und holte einen meiner bei einem Brückenbau beschäftigten Leute aus dem Kreise seiner Genossen vom Lagerfeuer weg. Es war sein letztes Opfer in dieser Gegend, wir hörten und sahen dann nichts mehr von ihm.

Ein Jahr später blühte mir ein ähnliches Schicksal wie das des Massaiweibes am Himo. Von der Zebrajagd in den Umbasteppen zurückkehrend, war ich meinen Leuten vorausgeritten und zwang unvernünftigerweise mein sich plötzlich sträubendes Maultier in ein förmliches Loch unter hohen dunklen Bäumen, unter denen die Straße weiterführte, hinein. Plötzlich erhielt ich einen Schlag vor die Brust, der mich kopfüber aus dem Sattel warf, mein Maultier brach zusammen und fiel, im Todeskampfe wild um sich schlagend, mir auf die Beine, den Unterkörper und rechten Arm. Obendrauf lag ein riesiger Löwe. Er hatte dem Maultiere die Kehle durchgebissen und leckte das Blut. Was er nicht auflecken konnte, floß mir unten ins Gesicht. Mit dem Schweife peitschte der Simba mir dazu noch dauernd in die Augen, so daß ich wirklich nicht viel sehen konnte. Wollte es auch nicht. Was ich in jenen Minuten – oder vielleicht auch Viertelstunden, – gedacht und gefühlt habe, kann ich nicht schildern. Arm und Gewehr konnte ich nicht frei bekommen, meine einzige Hoffnung blieben meine dicht hinter mir nachkommenden Leute. In zitternder, qualvoller, zum Zerreißen aller Nerven gespannter Erwartung habe ich noch nichts in meinem Leben so ersehnt wie das Eintreffen der Leute. Der Löwe fraß und knurrte, bekümmerte sich aber sonst nicht um mich, bis er plötzlich stutzte, noch schneller den Schweif um mein Gesicht peitschte und dann mit einem kurzen unwilligen Aufmurren seitwärts absprang. Er hatte das Kommen meiner Leute gehört. Ich noch nicht und hörte es auch später nicht, denn sowieso schon durch ein vorhergegangenes schweres Fieber geschwächt, verließ mich mit dem Aus-der-Nähe-Rücken der Todesgefahr auch die Besinnung. Ich war mit einem Nervenchok und ein paar gebrochenen Rippen davongekommen.

Als Beschluß dieser dunklen, blutigen Geschichten fällt mir noch eine ein, die durch einen gewissen Humor erhellt wird. Sie passierte einem biederen kroatischen Schachtmeister, der beim Bau der Usambarabahn in Deutsch-Ostafrika beschäftigt gewesen war. Noch immer klingt mir seine drollige Sprechweise in den Ohren. »Wasserr war bei Station Mombo sehrr knapp. Also schickte Bauleitung Essel- (Esel-) wagen mit Wasserr, jeden Tag. Essel bleiben nachts in mein Lagerr, fahren andern Tag zurück. In aine Nacht kommt Lehwe und frißt ein Essel. Aberr nicht ganz, bleibt Schinken von Essel übrig. Denk ich: Ah, warte Schwein von Lehwe, kommst sicherr wiederr nächste Nacht, um Schinken von Essel auch zu fressen! Werrde dir ains aufbrennen mit Einundsibbziger. Aber Lehwe sehrr gefährlich und kain Baum fürr Hinaufsetzen. Also lasse Raiskiste, mächtig großes Ding, sehrr stark und schwehrr, nahe bei Esselschinken setzen, nehme parr Staine und Einundsibbziger und staige in Kiste bai Abend. Sitze drin, Deckel klain bißchen offen, draußen sehrr dunkel. Da hehre Lehwe, zerrt an Esselschinken. Einundsibbziger auf Rand von Kiste, ziele, bum! Stoße Stain weg, Deckel klappt zu. Aber Lehwe war nix getroffen, waiß nicht, wer hat geschossen, will nachsehen, kommt zu Kiste und brummt. Mein Haar hat gestraibt, daß denke, hebt auf Deckel von Kiste. Lehwe draußen brummt schrecklich und schnuppert an Kiste. Habe wegen Angst zerkratzt main Gesicht. Endlich geht Lehwe furrt, wiederr zu Esselschinken. Sehrr langsam hebe Deckel auf, aberr nur klain bißchen, gucke hinaus, Lehwe frißt. Stain unter Deckel, Einundsibbziger durch, Hände haben gewackelt wegen Angst, aber: Bum! Dricke ab, Stain weg, Deckel zu! Dann wiederr sehrr große Angst. Aberr Lehwe kommt nickt wiederr und brummt, war weg. Habe Sckwarze gerufen, Lekwe mit Laterne gesucht, aberr nix, war weg. Esselschinken auch.« – Mein gelber Freund bewegt sich, steht auf und starrt wieder durch die Stäbe seines Käfigs. Aufschreckend kehre ich aus jenem wilden geliebten Lande zurück in das Grau und das Elend meines Vaterlandes. Ich nicke dem Simba zu: Auch wir sind im Käfig, können nicht mehr hinaus in die Sonnenländer!

Er schwingt den Schweif und starrt –

Mit gesenktem Kopfe gehe ich, und im Herzen brennt die Sehnsucht – die Sehnsucht ...

 

Diese Skizzen und Erzählungen sind in den Jahren 1912 bis 1920 geschrieben und in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht worden. Einige wurden wiederholt nachgedruckt, manche in etwas anderer Form. Sie sind hier der örtlichen, nicht der zeitlichen Zusammengehörigkeit nach geordnet.

 


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