Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In einer tollen Gewitternacht trabten unter strömendem Regen zwei dunkle Gestalten auf dem Bahnkörper der Southern-Pacific-Eisenbahn dahin. Drüben überm Mississippi war es, im Staate Missouri.
Die beiden unterhielten sich deutsch.
»Verflucht und zugenäht,« schimpfte der eine, mein Vetter Kurt, »ich bin schon vollständig durch. Warum wir Heupferde auch auf den Einfall kommen mußten, in die Hundehütte zu kriechen! In Cotton-Gin standen ein paar hundert leere Güterwagen, in einem waren sogar Sägespäne, darin hätten wir schlafen können wie die Grafen. Nein, wir müssen partout in die verlauste Niggerhütte, der Romantik wegen! Der Teufel hole die Romantik, wenn einem nachts der Sturm das Dach abdeckt, daß es in die Bude regnet.«
Seine schlechte Laune war begreiflich. Das alte verlassene Blockhaus im Walde hatte uns aber auch so gefallen. Wir hatten ein Feuerchen darin angezündet, als es Abend wurde, und beschlossen, für die Nacht dazubleiben. Mit dem Gewitter hatten wir freilich nicht gerechnet. Gegen Mitternacht war plötzlich das Dach verschwunden, und wir zwei gebadeten Mäuse mußten die Flucht ergreifen. Wir wußten, daß vor uns die Station Peppermint war, und eilten jetzt triefend darauf zu.
Da zuckte ein gelber Blitz auf, Kurt stieß einen Freudenschrei aus:
»Du, vor uns ist was, ich glaube Peppermint!«
Wirklich tauchte ein schwarzes Ungetüm in der Dunkelheit auf. Ein Eisenhahnwagen auf einem Nebengleis stehend. Juchhe, eine Arche Noah in dieser Sintflut!
Er war verschlossen, aber wir verstanden den Zauber, in einer Minute war er offen. Ich fühlte erst einmal! Kartoffeln waren drin, lose hineingeschüttet.
Kurt machte es sich an der Tür bequem, ich legte mich etwas höher hinauf, mit dem Kopf an die Stirnwand des Wagens.
Wenn man tagsüber 50 Kilometer gelaufen ist, schläft man auch in klitschnassen Sachen auf Kartoffeln wunderschön.
Lange konnte ich noch nicht geschlafen haben, als ich plötzlich eins vor den Kopf bekam!
»Au, wer –«
Ich mußte mich erst besinnen, wo ich war.
Damit war ich noch nicht fertig, als es einen gewaltigen Ruck gab; ich rutschte auf den rollenden Kartoffeln hinunter und auf meinen Kameraden. Der fuhr wie ein Wilder in die Höhe und boxte mich vor den Magen. So ein Schafskopf! Er hatte wahrscheinlich von einer Kirmeskeilerei geträumt.
»Was ist denn los? Bist du es, Artur?«
»Schnell, mach die Tür auf, ich glaube, wir fahren?«
Er sprang hin und hantierte daran herum.
»Du, es geht nicht, sie haben von draußen verschlossen.«
Das hatte gerade noch gefehlt. Ich versuchte es auch, vergeblich, es war nichts zu machen, wir saßen in der Falle.
»So, vielleicht fahren die uns nun bis nach Kanada! Hier haben wir eine feine Gelegenheit, Rohkostler zu werden,« sagte er und legte sich wieder lang.
Der Wagen rollte mit zunehmender Geschwindigkeit dahin.
Wir machten aus, daß nur einer schlafen dürfe, und der andere sich bemerkbar machen solle, wenn der Zug irgendwo hielt.
Als es Tag wurde, fielen ein paar Lichtstrahlen in unser Gefängnis. Ich spähte hinaus, als ein anderer Zug vorüberfuhr.
Nach Kairo stand daran! Wir fuhren in entgegengesetzter Richtung, also nach Süden zu, wo wir hergekommen waren. Solch ein Pech! Uns schienen heute alle Götter verlassen zu haben. Und das sollten wir noch viel mehr erfahren.
Fünf Stunden mochte unsere unfreiwillige Reise gedauert haben, als der Zug endlich hielt. Wir donnerten natürlich an die Tür, daß der Wagen wackelte, und erhoben ein Löwengebrüll.
Ein junger Mann machte auf, wir fuhren wie die Katzen heraus und rannten davon, ohne auch nur »Guten Morgen« gesagt zu haben. In Amerika gibt's nämlich sechs Monate Arbeitshaus, wenn man als blinder Passagier auf Güterzügen erwischt wird. Daß wir in dem Wagen nur hatten schlafen wollen, hätte uns kein Mensch geglaubt.
Aber wo waren wir hier eigentlich?
Hinter uns und an beiden Seiten war Wald. Vor uns waren fünf oder sechs Häuser und eine große Kneipe, dahinter einige Felder und dann wieder Wald – Wald.
Ein kleines Mädchen kam gelaufen. Sie stieß einen Apfel als Fußball vor sich her.
Sie gab uns Auskunft. Diese »Stadt« da sei Knobel.
»Und welcher Staat?«
Sie sah erst mich erstaunt an und dann vorwurfsvoll Kurt; der aß ihren Apfel.
»Na, Arkansas natürlich, Hinterwaldgrafschaft!«
So sah es hier auch aus! Schön, Arkansas, auch hier wurde schließlich Brot gebacken! Wir stiefelten nach Knobel hinein. Der Hunger meldete sich. Wir pochten einige Häuser ab und bekamen auch etwas, zum Sattessen war es freilich nicht.
Dann kam ein schmuckes Häuschen, in einem großen Garten versteckt. Für uns wäre es besser gewesen, es wäre diese Nacht niedergebrannt oder in den Mississippi gerutscht!
Wir beteten unseren Spruch: Ob wir nicht etwas zu essen bekommen könnten, wir wären willens, dafür zu arbeiten.
Es war ein ältlicher, langer Mann, der herauskam. Sein Gesicht trug ganz den Typus eines alten Yankees, scharf geschnitten und hager, mit einer großen Hakennase, dünnen Lippen und weißem Kinnbart. Die Oberlippe ausrasiert. Am wenigsten gefielen mir seine Augen. Sie waren grau und stechend scharf wie Messerklingen.
Er würdigte uns keiner Antwort und ging wieder hinein.
Wir warteten noch eine Weile. Dann trollten wir uns.
In dem Gartenzaun war eine Lattentür. Kurt sah hinein und rief mich. Drin war ein großes Beet mit Zuckerkorn, einer süßen Maisart, bepflanzt.
»Soll ich ein paar holen, es macht auch ein Loch mit zu?«
Ich riet ab; denn vom Hause sahen einige Fenster in den Garten.
»Ach, es geht fix, passe du auf!« sagte er und kroch neben der Tür durch, da war ein Loch. Ich behielt das Haus und den Weg im Auge, doch war mir schwül zumute.
Er hatte schon ein paar Aehren abgebrochen, als ein Fenster klirrte und eine Stimme schrie:
»Willst du raus aus dem Garten, verdammter Strolch; wart, ich will dir Beine machen!« Kurt sprang sofort herüber.
Da, war das nicht ein Gewehrlauf, der aus dem Fenster sah?
»Kurt wirf dich nieder, er schießt!« schrie ich in Todesangst.
Wie ein Schatten sank er im Gras nieder, keine Sekunde zu früh, der Schuß krackte, die Schrotkörner schlugen in die Hecke.
Der Alte war es. Er bog sich aus dem Fenster und zielte mit dem andern Lauf auf meinen Vetter.
Der hatte sich hinter einen Busch gekauert und wagte sich nicht hervor. Mir jagten die Gedanken durch den Kopf; was tun?
»Schießen Sie nicht, er geht ja raus!« rief ich.
Der weißbärtige Halunke lachte höhnisch und bemühte sich, Kurt vor das Rohr zu bekommen.
Da dachte ich an meinen Revolver. Ich riß ihn aus der Hüftentasche und schrie ihm zu, ich würde auf ihn schießen, wenn er nicht das Gewehr wegnähme.
Ein erneutes Lachen war die Antwort. Sollte ich? Es war ein Mensch! Aber mein Kamerad war mir mehr wert, ich hob die Waffe und drückte ab. Sein Schuß krachte auch. Wir hatten beide nicht getroffen.
Mit zwei Sprüngen war jetzt Kurt herüber und kroch in das Loch. Ich bückte mich, ihm zu helfen, als es wieder knallte: Der Alte stand im Garten und schoß aus einem Revolver, und zwar nach mir.
Ich stürzte wütend nach der Lattentür und schoß drei-, viermal aufs Geratewohl hindurch.
Der Alte brüllte wütend auf und kam herangesetzt. Im Hofe bellte ein Hund, und ein junger Mann kam mit einer Axt. Jetzt wurde es gefährlich!
Kurt war durch das Loch gekrochen und zog mich hastig mit fort.
»Du hast den Alten getroffen, jetzt aber fort wenn sie uns kriegen, lynchen sie uns!«
Wir rannten. Wir wußten, es ging ums Leben! Ich beugte mich vor und preßte die Fäuste vor die Brust. All unsere Kraft konzentrierten wir auf die Beine; wir mußten einen Vorsprung gewinnen.
Kurt jagte in langen Sätzen neben mir her. Häuser und Gärten flogen an uns vorüber, eine Ochsenkarre kam gefahren, der schwarze Kutscher starrte uns verwundert an; wir huschten wie Gespenster vorbei. Nun kam eine Straßenkreuzung, links ging's bergan nach der Bahn zu, rechts fiel der Weg steil ab.
»Rechts, Kurt, rechts!« Wir sausten um die Ecke herum. Kurt sah rückwärts:
»Schnell, sie kommen, Hunde!«
»Verflucht!«
Ich verdoppelte meine Schnelligkeit, in rasendem Laufe stürzten wir den Berg hinunter, jede Minute in Gefahr, in einem Loch den Hals zu brechen. Ein heiseres Gebell erreichte mein Ohr.
Jetzt waren wir unten, über eine kurze Brücke flogen wir wie flüchtende Hirsche. Aber nun bergauf! Mir wurde der Atem knapp. Das Blut drang mir zu Kopfe, vor den Augen flimmerte es. Der weit geöffnete Mund keuchte nach Luft, und das Herz pochte in rasenden, schmerzenden Schlägen. Aber die Beine flogen vorwärts in gleichbleibender Geschwindigkeit. Das heulende Bellen der Hunde war dicht hinter uns. Vor uns war Wald, wenn wir nur den erreichen konnten!
Ich fühlte, ich lief langsamer. Eine rote Wolke hob und senkte sich vor meinen Augen; in der Brust stach es, und die Schenkel herauf kroch eine Lähmung und widersetzte sich dem Willen, der sie gleichmäßig vorwärts schleudern wollte. Vielleicht ein Herzschlag.
Ein Quentchen Atem raffte ich zusammen:
»Kurt – halt!«
Er war mir einen Meter voraus, hatte den Kopf gesenkt als wolle er ihn in die Erde bohren. Ich machte noch ein paar krampfhafte Sätze, dann stand ich und taumelte hin und her. Aber nur jetzt keine Schwäche. Ich biß die Zähne zusammen, in meinen Ohren brauste es wie ein Wasserfall.
Ein dunkler Körper kam auf uns zugesaust. Kurt stand mit keuchender Brust neben mir.
»Lade – auf die Hunde,« flüsterte er.
Von unten herauf tönte gellendes Pfeifen und Geschrei; sie riefen die Hunde zurück.
Kurt lachte heiser, er hatte seinen Revolver in der Hand. Der erste Hund sprang mit wütendem Heulen gegen ihn an, der Schuß krachte kurz und scharf; der Hund überschlug sich förmlich in der Luft und fiel zurück.
Ich schob mit noch bebenden Händen zwei Patronen in die Kammer, die Augen auf den anderen Hund gerichtet. Noch ein paar Schüsse knallten. Kurt mußte gefehlt haben. Das mächtige Tier schoß auf mich los. Es packte mich an der Brust, ich fand den Drücker nicht gleich und fühlte in der nächsten Sekunde schon seine Zähne in meiner Schulter. Da krampfte ich ihm mit der Linken die Kehle zusammen und trat ihn in den Leib.
Kurt hatte seine Patronen verschossen.
»Komm her, Biest!« brüllte er, packte den Hund mit beiden Händen hinten am Fell und warf ihn in den Graben. Es gab einen Krach, aber der im Graben war ein Kämpe! Er fuhr sofort wieder hoch und auf uns los.
Jetzt hatte ich meinen Revolver klar und trat ihm entgegen. Den Lauf rannte ich fast in seine Augen und drückte los; er fiel um, zuckte mit den Beinen und war ruhig.
Es war keiner mehr da, aber unten erscholl ein Wutgebrüll. Unsere Verfolger kamen auf Pferden über die Brücke galoppiert. Der Vorderste hob sein Gewehr hoch, ein Schuß blitzte auf, Kurt hatte wieder geladen und schoß auch.
»Nicht schießen, ihre Gewehre tragen weiter, fort in den Wald! Sie können mit den Pferden nicht hinein,« rief ich, und fort ging's wieder wie der Sturmwind.
Mit flüchtigen Sätzen rannten wir den Berg hinauf, hinter uns näherte sich das Johlen der Farmer. »St« ging es an meinem Ohr vorbei und »bum« hinter uns her. Eine Kugel. Die Kerle schossen nicht schlecht! Wir hörten schon das Trappeln ihrer Pferde. Meine zerbissene Schulter tat mir weh, und in den Sehnen der Beine war ein ziehender Schmerz. Aber weiter, nur weiter, hinter uns ritt der Tod!
Nun kamen die ersten Büsche, nun Bäume.
»Links hinein!«
Der Boden war weich und sumpfig, bedeckt mit einem Gewirr von Dornen. Die stachen in die Füsse und rissen das Gesicht und die Hände blutig. Wir hörten die Männer von den Pferden springen und vernahmen ihre zornigen Rufe. Sie wollten uns ans Leben, also durch!
Wir brachen durch die herabhängenden Ranken des wilden Weins, über abgebrochene Äste und umgestürzte Stämme. Ein Dornenzweig zog mir einen Riß quer über die Stirn, die Füße versanken manchmal bis zur halben Kniehohe in Schlamm und Wasser. Keuchend ging's weiter, Schweiß und Blut rannen mir in dicken Tropfen in die Augen, Kurt sprang auf einen umgefallenen Baum und brach hinein. Der Stamm war durch und durch verfault. Ich half ihm heraus, und weiter stürmten wir manchmal ängstlich zurückhorchend.
»Laß uns links gehen und über die Straße nach der Bahn. Vielleicht kommen wir durch. Kannst du noch?«
»Ja.« keuchte ich.
Wir schlugen einen Haken und rannten jetzt parallel mit der Straße, auf der wir den Kampf mit den Hunden gehabt hatten. Hinter uns war es ruhig, wir hatten einen kleinen Vorsprung erobert. Nun verlangsamten wir unser Tempo etwas.
Da war der Fluß vor uns, den wir auf der Brücke überschritten hatten.
»Nicht beide zugleich hinein, wenn wir drin sind und sie kommen, können sie uns bequem durch die Köpfe schießen«, warnte Kurt.
Ich gab ihm meinen Revolver und schwamm durch. Das Wasser war seicht und etwa 20 Meter breit. Als ich drüben war, warf er die Revolver herüber und sprang ins Wasser. Er war mit einigen langen Stößen am anderen Ufer.
Es ging bergauf, das Laufen wurde uns sauer in den nassen Kleidern. Doch oben war Nadelwald und fast gar kein Unterholz. Da ging es besser. Wir schöpften eine Minute Atem. Unsere Verfolger waren wahrscheinlich geradeaus gerannt, demnach schienen sie auch keine Hunde weiter bei sich zu haben. Das war günstig.
»Wir kommen durch! Weißt du, in Baltimore hat mir eine Negerin prophezeit, daß ich noch mal Millionär werde, bis jetzt bin ich's noch nicht, also müssen wir hier auch durchkommen!«
»Na, bis jetzt gebe ich für unser Fell noch keinen Cent. Die machen noch ganz Arkansas gegen uns rebellisch. Fix, weiter!« drängte ich.
Nach fünf Minuten erreichten wir die Straße. Es war kein Mensch zu sehen. Wir huschten hinüber und drüben noch ein Stückchen in den Wald hinein.
Mir kam ein Gedanke.
»Paß auf,« sagte ich, »wir gehen jetzt in einem Bogen nach der Straße zurück und legen uns auf die Lauer. Wenn sie über die Straße in den Wald hinein sind, rennen wir nach Knobel bis zur Straßenkreuzung, dort wo es bergan geht; dort gehen wir herauf und zur Bahn, da werden wir uns schon weiterhelfen.«
»Well, ich bin dabei,« lachte Kurt.
Gesagt, getan. Nach einer Weile lagen wir wieder an der Straße.
Wir hatten nicht lange zu warten, bis ein junger Mann den Mang herunter auf uns zugelaufen kam. Ich wurde schon unruhig, da sah er unsere in den Wald führenden Spuren. Er pfiff und schrie in den Wald hinein. Es kam aber nur einer, und das war unser alter Freund, der Farmer.
Kurt sah ihnen haßerfüllt nach, als sie wie die wilden Eber auf unserer Fährte durch das Gebüsch krochen. Er hätte ihnen wohl am liebsten eine Kugel nachgeschickt
Nun rasten wir im Galopp die Straße herab der Stadt zu. Wir passierten ein paar Scheunen und bogen dann rechts ein. Kein Mensch hatte uns gesehen, vielleicht waren sie alle hinter uns her.
Hinter einer Biegung war die Straße plötzlich zu Ende, eine Barriere aus Baumstämmen versperrte sie. Wir stiegen hinüber und wieder in den Wald hinein.
Unter gespanntester Aufmerksamkeit gingen wir weiter, die Revolver in den Händen. Dann kam ein Gebüsch und hinter diesem der Bahndamm.
Es war ein Glück, daß wir sehr vorsichtig hinaufstiegen; keine hundert Schritt entfernt stand ein Mann auf den Gleisen, neben ihm ein Hund. Wir kletterten sofort wieder herunter und berieten, was zu tun sei.
Eine ingrimmige Wut gegen diese Leute stieg in mir auf, die wegen des Diebstahls von einigen Maiskolben auf Menschen losknallten wie auf Hunde und sie dann, wenn sie sich ihrer Haut wehrten, hetzten wie wilde Tiere. Das waren die Nachkommen der Sklavenbarone, so mochten die früher ihre entlaufenen Nigger gejagt haben! Es steckte noch im Blute. – Aber ich war entschlossen, mich nicht lebendig kriegen zu lassen, und mein Vetter auch.
Wir kamen überein, ein Stück längs des Damms hinunterzugehen, ihn dann zu überschreiten und drüben wieder herabzukommen. Wir kamen auch ungesehen hinüber und drüben schlichen wir wie die Indianer unter den Bäumen hin.
Eine gute Stunde waren wir so gegangen; dann machten wir Halt. Wir waren zum Tode erschöpft, hungrig, naß und zerrissen In meiner Bißwunde brannte ein Höllenfeuer. Ein angefeuchtetes Taschentuch kam als Verband darüber, dann streckten wir uns ein wenig lang.
Kurt brachte das Zuckerkorn, das alles verschuldet hatte, aus der Tasche, das aßen wir; dann schlief erst ich und dann auch Kurt ein wenig. Die Sonne näherte sich dem Horizont ich wäre am liebsten liegengeblieben, aber noch waren wir nicht in Sicherheit. Wenn die Hunde unsere Spur fanden! Der Gedanke jagte uns wieder auf. Unsere Beine waren bocksteif. Wir stolperten eine halbe Stunde dahin, dann trafen wir wieder auf die Bahn und da hatten wir Glück.
Aus der Richtung, wo wir herkamen, kam eine Draisine gefahren, besetzt mit einer Kolonne schwarzer Streckenarbeiter.
Der Vorarbeiter, ein baumlanger Mulatte, stand auf. Er stutzte, als er uns erblickte, und sah sich um. Was gab es da hinten? Er schien zu wissen, mit wem er es zu tun hatte.
»Wollen Sie uns, bitte, nicht ein Stückchen mitnehmen? Wir sind heute viel gelaufen.« fragte ich ihn recht höflich.
Seine großen, schwarzen Augen rollten unruhig im Kopfe herum und blieben dann auf meinem Begleiter haften. Der drehte wie spielend die Trommel seines Revolvers und sah den Mulatten von unten herauf an. Auf seinem Gesicht lag dabei ein hartes, vielsagendes Lächeln.
»Bitte, steigen Sie auf,« sagte der Lange und trat rückwärts.
Warum tat er das? Wenn man gejagt wird wie ein Hase, wird man mißtrauisch.
Wir stiegen ganz hinten auf und fort ging es. Die Arbeiter sprachen kaum ein Wort. Der Vorarbeiter saß vor uns und führte anscheinend etwas im Schilde. Ich hielt ihm einen längeren Vortrag über die Durchschlagskraft von Stahlmantelgeschossen und die allgemeine Vorzüglichkeit meines Revolvers.
Dabei wurde ihm sichtlieh unbehaglich zumute, und er fragte mich plötzlich unvermittelt:
»Sir, Sie werden niemand sagen, daß ich Sie mitgenommen habe, es – – darf dienstlich nicht sein.«
Ich konnte mir schon denken, wer ihm diese »dienstliche« Order gegeben hatte.
Die Sonne sah aus, als säße sie zwischen den Schienen auf dem Damme; dann verschwand sie mit einem förmlichen Ruck darunter. In einigen Minuten würde es vollständig dunkel sein, und ich hatte keine Lust, im Finstern in dieser zweifelhaften Lage zu bleiben.
Wir wollten schon abspringen und standen auf. Da hielt auch das Fahrzeug. Die Arbeiter hoben es aus den Schienen, und der Mulatte sagte uns, es käme ein Zug, ob wir keine Lust hätten zu jumpen? Keine fünf Minuten von hier sei eine Wasserstation, da ginge es sehr leicht.
Für diesen Rat war ich ihm sehr dankbar; ich schüttelte ihm die Hand, da zog er mich abseits und sagte:
»Wißt, Sir, es ist gut für Sie, wenn sie aus dem Staate verschwinden und auch für mich. In Knobel hat man mir alles erzählt. Der Alte, Mr. Love, ist wild wie ein Texasstier und will Sie an seinen Apfelbaum haben. Ich weiß nicht, was sie mit mir machten, wenn sie erführen, daß ich Ihnen fortgeholfen habe; aber ich hatte Mitleid.«
»Und Angst vor den Brownings,« dachte ich mir.
Wie wär's mit etwas Proviant?« fragte dieses gelbhäutige Goldherz noch.
»Es wäre gut damit,« versetzte ich. Der Mann war so uneben nicht. Wir erhielten Speck und Maisbrot.
Kurt klopfte ihm lachend auf die Schulter und bot ihm einen »Biß Kautabak« an, der angenommen wurde. Wir schüttelten uns nochmals die Hände und schieden als die besten Freunde.
Der Zug ratterte mit kreischenden Bremsen vorüber. Wir setzten unsere müden Beine zum letztenmal für heute in Trab hinter ihm her zur nahen Wasserstation.
Das »Jumping« klappte. Der letzte Personenwagen hatte kein Licht. Ich konnte die mit Kreide daran geschriebenen Worte entziffern: Zur Reparatur nach Kairo, Kentucky!
In den krochen wir hinein und konstatierten, daß er halb ausgebrannt war. Auf den Polsterbänken fühlten wir uns behaglich.
»Siehst du, fing Kurt mit kauendem Munde wieder an. »Die Negerin in Baltimore hatte recht, wir –« »Ach, halt's Maul mit deiner Negerin in Baltimore! Erst wenn wir aus Arkansas heraus sind, sind wir in Sicherheit. Jetzt wollen wir schlafen!« »Arkansas soll verdammt sein,« knurrte er.
Der Zug donnerte in die Nacht hinaus. Ich konnte vor Ueberanstrengung nicht gleich einschlafen. Die Sterne sahen durch das verbrannte Dach herein. Blinkfeuer am Weltenstrande. – Dann bekamen wir noch eine Nachtampel, den Mond. Er schwebte still und feierlich am Firmament herauf, goß sein Silberlicht in die ungeheuren schweigenden Wälder des schönen Arkansas und betrachtete sein Spiegelbild, das in den Seen und Strömen schwamm.
Dann kam der Schlaf und führte uns in ein Land, wo uns keine wütenden Farmer mehr nachrannten, und auch der Zug tat das seine dazu.