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Gleich an diesem Tage setzte Minette ihrem Mann die Weltsödener Spickgans zum Abendessen vor. Nach beendeter Mahlzeit folgte sie ihm in sein Studierzimmer, um mit ihm zu reden, ehe er sich in den Inhalt der großen Aktenmappe vertiefte, die ihm ein Kanzleidiener allabendlich zu nächtlicher Erledigung in die Wohnung brachte. Aber sie fand ihn ihren Wünschen nicht sonderlich geneigt.
»Deiner Freundin Gottliebe gegenüber empfinde ich zwar die Dankbarkeit des Magens,« sagte Herr von Höhenrath, »und das soll ja die stärkste sein – aber mir will's doch nicht recht in den Sinn, daß wir uns bei Versetzungen nach solchem Geklatsch und Gerede richten sollen, wir sind doch nicht als Hüter des Ehefriedens agrarischer Abgeordneter angestellt, und dieser lange Zehren sollte sich lieber selbst um seine Frau kümmern, anstatt, wie er es neulich getan hat, der Regierung dreinzureden. Das erwartet man doch nicht von Leuten seines Schlages.«
Schließlich gelang es Minetten aber doch, ihren Mann der Idee geneigt zu machen, wenn auch nicht sofort, so doch bei guter Gelegenheit, auf Waldens Versetzung ins Ausland hinzuwirken.
Herr von Höhenrath äußerte dabei: »Walden ist ja ein gescheiter, strebsamer Mensch, aber doch ein etwas unruhiger Geist und wird sicher bald selbst wünschen, wieder draußen verwandt zu werden.«
Die gewünschte Gelegenheit fand sich früher als erwartet.
Als Minettens Gatte am nächsten Morgen ins Ministerium kam, ward ihm sofort vom Kanzleidiener gemeldet, der Chef habe bereits zweimal nach ihm fragen lassen.
Er fand diesen hohen Lenker deutscher Staatsgeschicke in offenbar übelster Stimmung.
»Was ist denn da für eine Schlamperei passiert?« fragte dieser und wies auf ein Schriftstück, auf dessen breitem Rande der erschreckte Herr von Höhenrath einige Worte in einer wohlbekannten hohen Handschrift erblickte. »Da ist ja an die höchste Stelle ein Bericht über die Frage des Verlustes der Reichsangehörigkeit gesandt worden, der den von uns vertretenen Anschauungen diametral entgegenläuft. Wie konnte denn so etwas vorkommen?«
Herr von Höhenrath warf einen Blick in die Blätter und sagte dann sichtlich erleichtert: »Aber Exzellenz, das ist ja bloß der zusammenfassende Bericht über die von all unseren Gesandten eingeforderten Gutachten, mit dem ich den Legationsrat von Walden beauftragt hatte.«
»Ja, haben Sie denn diese bloße Zusammenfassung, wie Sie sie nennen, überhaupt gelesen, ehe sie höchsten Ortes vorgelegt wurde?«
»Exzellenz,« stammelte Herr von Höhenrath, »die Last der Geschäfte ... sehr genau hab ich es ... nicht gelesen ... es sollte ja nur ein Resümee sein ...«
»So? Ein Resümee? Na, sehen Sie sich mal den Schlußpassus an!«
Herr von Höhenrath überflog die letzte Seite, auf der auch die hohe Randbemerkung stand. Er las da zu seinem Erstaunen die in schwungvollen Worten und mit einem gewissen jugendlichen Idealismus vorgetragene Befürwortung der Auffassung, daß ein Deutscher seiner Staatsangehörigkeit gegen seinen eigenen Willen nie und nimmer verlustig gehen dürfe. »Mutter Germania könne nie eines ihrer Kinder aufgeben, denn ihre Arme seien stark genug, um sie alle schützend zu umfangen.«
Neben diesen Satz hatte eine hohe Hand geschrieben: »Famos! Hiernach soll verfahren werden.«
Und der verstimmte Chef hatte allerdings recht, als er gesagt, daß diese Ansicht Herrn von Waldens, die der großzügigen Auffassung des Herrschers sympathisch erschienen war, dem genau widersprach, wonach man sich seit Jahren, aus Bequemlichkeit und aus Verkennung der eigenen neuen Stärke, gerichtet hatte. –
»Unerhört von diesem Walden!« rief Herr von Höhenrath, nachdem er den gefährlichen Passus gelesen. »Solch eine Eigenmächtigkeit! Seine eigenen grünen Ansichten so selbstbewußt vorzutragen!«
»Ja, und was machen wir denn nun damit?« sagte fragend der Chef. –
Herr von Höhenrath sann nach, plötzlich fiel ihm ein, was er gestern von seiner Frau über diesen selben Walden gehört hatte. Das schien also doch wirklich ein junger Herr zu sein, der sich auf den verschiedensten Gebieten Übergriffe in die Rechte Anderer anmaßte, und der ihn selbst in eine höchst fatale Lage gebracht hatte! – Das sollte ihm denn doch nicht so hingehen! Und er antwortete sinnend: »Man müßte wohl vor allem trachten, Zeit zu gewinnen ... die Angelegenheit dilatorisch behandeln ... bis die Geschichte in Vergessenheit geraten ist ... dazu wäre es nützlich, den Urheber des Berichts zunächst von Berlin zu entfernen.«
»Wo wollen Sie ihn denn hinschicken?«
»Ach, das findet sich. Aber wenn es Euer Exzellenz beliebt, könnten wir ja gleich den Personalrat rufen lassen.« –
»Gut,« sagte der Chef, »lassen Sie Geheimrat Duval bitten.«
Der Personalrat war von Natur ein milder, ängstlich schüchterner Mann, dem jede Härte fernlag. Der Zwang, oftmals an seinen Mitbeamten Exekutionen vornehmen zu müssen, die andere beschlossen, hatte seinem bleichen, von dunklem Bart umrahmten Gesicht und seinem ganzen Wesen eine tiefe Schwermut aufgedrückt.
Nachdem ihn die beiden Exzellenzen, soweit es ihnen geboten schien, orientiert hatten, sagte er verlegen: »Wir haben im Moment aber nichts frei, was wir Legationsrat von Walden anbieten könnten ... er war doch gerade für bessere Posten in Aussicht genommen ... so viel ich weiß.«
»Lieber Herr Geheimrat,« fiel Herr von Höhenrath ein, »es kommt vor allem darauf an, Herrn von Walden möglichst rasch eine Versetzung zu geben.« –
Duval sann einen Augenblick nach und sagte dann ängstlich, als getraue er sich kaum, den Vorschlag zu machen: »Ja, dann bliebe nur übrig, ihn nach Zanzibar zu schicken, zur Vertretung von Kappes, der, wie Exzellenz vielleicht wissen, plötzlich schwer erkrankt ist?«
»Warum nicht? Sehr passend!« riefen die beiden hohen Staatsmänner. Und der oberste setzte hinzu: »Dort kann sich dieser überschwengliche junge Herr ja mal aus der Nähe ansehen, wie diese weit verschlagenen Deutschen zum Teil beschaffen sind, die er sämtlich beschützen möchte!« Minettens Gatte aber dachte: »Dort wird er schwerlich viel Gelegenheit finden, den Frauen anderer nachzustellen.«
Der Chef schloß die Unterredung, indem er sich zu dem wehmütig blickenden Duval wandte: »Also, Herr Geheimrat, ich bitte, Herrn von Walden die entsprechende Mitteilung zu machen – ich danke Ihnen, meine Herren.«