Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Zwanzigstes Capitel.

Es ist eine alte Wahrnehmung, – und Schuldenmacher von Metier werden sie gern bestätigen, auf gebührende Anfrage, – daß es niemals größere Mühe kostet, baares Geld aufzutreiben, als wenn man's just am Nothwendigsten gebraucht; ja seltsamer Weise besonders dann, wenn man es nicht unnütz durch's Fenster zu werfen, sondern auf seine Art zu klugen Zwecken anwenden will. Wer für lüderliche Streiche zu fünfzig Procent Anleihen zu Stande brachte, bietet vergeblich deren Hundert und aber Hundert, sobald er darauf ausgeht, ein so zu sagen solider Mann zu werden. Erklär' es, wer da kann; aber es ist nun einmal so und Gustav auch erfuhr es zu seinem Entsetzen.

»So muß ich denn,« sagte er zu sich selbst, »am dritten Abend nach Reichenborn's Abreise, so muß ich denn in den sauersten aller Aepfel beißen, obgleich 23 mir von der Idee schon die Zähne lang werden, wie Zaunpfähle?!« Dieß gesagt, schlug er den Weg nach einem engen, düstern Gäßchen hinter der Frauenkirche ein, gerade als die Thurmuhr Neune schlug. Die Beleuchtung fiel damals in jenen abgelegenen Winkeln noch spärlich aus; mancher Nachtvogel flatterte im Schutze nächtlicher Dämmerung hin und her, mit ausgespannten Flügeln irgend einen der Fremden zu umwickeln, von denen die Zauberstadt, das deutsche Florenz, immer so reichlich besucht worden ist. Gustav achtete ihrer nicht, ließ sich durch ihr heiseres Gezwitscher nicht irre machen, sondern eilte seinem bestimmten Ziele zu; wie Einer, dem die Befürchtung droht, es gehöre nicht viel dazu, ihn aufzuhalten und in Durchführung widerwillig unternommener That zu hemmen. So ereilte er ein hohes, schmales Haus, kletterte über drei finstere Treppen hinauf und zog heftig an einem Bindfaden, der statt eines Glockenzuges durch das in die verräucherte Küchenthür gebohrte Loch Ellenlang heraushing. Drinnen schlug eine dünne Schelle, wahrscheinlich in besseren Tagen das Halsband eines Lieblingshündchens zierend, jetzt zu schmählicherem Dienste erniedrigt, etliche mühselige Töne an. Nach kurzer Pause öffnete sich die Pforte, das Licht einer qualmenden Lampe beleuchtete, – oder beleuchtete nicht, 24 – die unsaubersten Wirthschaftsgeräthe, welche in wüstem Durcheinander den Raum zwischen Herd und Wand verengten und die Bewohnerin leitete ihren Gast, ihn sorgsam an der Hand führend, in's vordere Gemach, wo es übrigens ganz erträglich aussah. Dann klappte sie den Deckel der Lampe auf, um deutlicher zu sehen und nun erst erkannte sie ihn: »Ach, Sie sind es, Schönster der Schönen!? Das muß ich sagen, eine seltene Ehre. Eine große Freude! Wenn ich Sie erblicke, bewegt sich mein Herz, als könnt' ich noch einmal jung werden. Sie erinnern mich, weiß ich doch selbst kaum wie und wodurch? an den Einzigen, den ich wirklich lieb gehabt. – Na, womit kann ich dienen? Befehlen Sie nur. Für Sie geh' ich durch's Feuer!«

Die so sprach, war ein Weib von etwa dreißig Jahren; dem Anscheine nach jünger oder älter, je nachdem ihre Züge sich belebten, oder erschlafften. Sie sah sehr verwüstet aus, trotz aller Spuren vormaliger Schönheit. Ueber ihr trauriges Gewerbe braucht nichts weiter gesagt zu werden.

»Das ist erstaunlich,« wendete Gustav ein; »ich meinte bei Ihnen in schlechtem Andenken zu stehen, seitdem ich Sie das Letztemal aus meinem Zimmer warf? 25 Es war brutal von mir und als es geschehen, bereuete ich meine Heftigkeit.«

»Dergleichen muß Unsereine nicht estimiren,« seufzte sie; »wo Holz gehackt wird, da fallen Späne, wie man im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt. Damals gefiel dem schönen jungen Herrn mein Antrag nicht; er hatte Geld vollauf und die Vermittlerin ward ihm lästig durch ihre Zudringlichkeit. Heute . . .«

»Nun, was ist's heute?«

»Heute,« fuhr sie geduldig fort, »steht's vielleicht anders? Die Casse ist leer, die Gläubiger drängen, – Sie haben Sich's besser überlegt und nun suchen Sie mich auf. Lauter alte Geschichten, bei Männern wie bei Weibern, das nämliche Lied: Geld regiert die Welt!«

»Sie machen mir's leicht, liebe Frau. Ich trat wirklich voll Besorgniß ein, voll Beschämung, wie ich einlenken sollte? . .«

»Ach, Dummheiten,« lachte sie auf. »entre camerades, point de ceremonie! wie mein erster Liebhaber, der alte Croupier von der Bank in Spaa zu sagen pflegte. Wollen wir der Frau Fürstin ein Loch in die Goldbörse schneiden? Ich bin dabei!«

»Also ist sie noch anwesend?«

26 »Sie wollte, wie meine Freundin, ihre Kammerfrau und Vertraute mir vertraut, die Bäder besuchen; doch dazu ist's wohl noch zu früh im Jahre. Hoffentlich ist sie noch nicht fort. Bei ihr gewesen bin ich schon seit etlichen Wochen nicht mehr, denn ich fiel in Ungnade, weil ich, wie sie in ihrem Polnisch-Deutsch mir auf den Kopf zu sagte, eine unbrauchbare Canaille wäre! Ich steckte die Canaille ein mit den drei Ducaten, die sie mir dafür hinwarf. Mit dem morgenden Tage beginnt eine neue Rechnung zwischen ihr und mir. Wenn ich mit der Nachricht eintrete, daß Sie Raison angenommen haben, wird sie mich empfangen wie einen Boten des Glückes; davon bin ich überzeugt. Sitzt sie doch immer noch, sogar bei schlechtem Wetter, an demselben Platze auf der Terasse, wo sie zum Erstenmale dazu gelangte, zwei Worte mit Ihnen zu wechseln; immer in der Hoffnung, Sie wieder zu sehen!«

»Ich weiß das! Und diese ihre Ausdauer hat mir meinen liebsten Aufenthalt verleidet. Es ist eigentlich schauderhaft, daß ich mich nun der widerwärtigen Person überliefern will, vor der ich bisher förmlich auf der Flucht gewesen!«

»Ach, Ziererei! Eine polnische Fürstin mit einer halben Million Gulden Jahresrente, – mögen es 27 meinetwegen nur polnische Gulden sein, – ist durchaus nicht widerwärtig. Auch die plumpste Figur strahlt vor Schönheit, sobald sie massiv vergoldet ist. Geld regiert die Welt, dabei bleib' ich.«

»Satan, der Du bist! So wisse denn auch: die Zeit drängt! Das Messer steht mir an der Kehle!«

»Richtig! Je rascher wir gehen, desto willkommener werden wir sein. Nur daß Sie Sich nicht wegwerfen, Sich nicht zu niedrig anschlagen! Doch das ist meine Sache. Ich will's schon einleiten: Sie haben gespielt, Wort und Ehre verpfändet, dürfen Ihre Wohnung nicht verlassen, aus Furcht ergriffen zu werden; müßen sich frei und heiter fühlen, aller Sorgen ledig, ehe Sie mit freiem Herzen vor ihr erscheinen. . . . o, das hab' ich am Schnürchen. Da, sehen Sie: in zwei Leihbibliotheken bin ich abonnirt, der ganze Tisch liegt voll von schönen Lesebüchern; da steht viel darin, was sich brauchen läßt für unsere Zwecke. Ich will's ihr beibringen, daß es hinunter gehen soll, süßer und geschmeidiger wie Honig. Nur heraus durchlauchtigste ›Popolska‹ mit Deinen Ducaten, für meinen schönen, schlanken Herrn – und für mich auch! Der Tag, der morgende, gehört mir und meinen Verhandlungen. Sobald es dämmert, um halb neun Uhr, finden Sie Sich vor der Brücke 28 ein, unten, wo es von der breiten Terassen-Treppe hinab an's Ufer geht. Dort erwarten Sie mich und ich bringe Sie zu ihr!«

»Wenn es mir nicht leid wird, bis dahin, stell' ich mich ein.«

Gustav schüttelte sich und verließ die Zwischenträgerin so eilig, daß er sich schon über die finsteren Treppen hinunter tappte, ehe sie mit ihrer Lampe durch die Küche gelangen konnte.


Mag nun der Vorsatz: sich schmählich zu verkaufen, dem ehemaligen Verehrer und Günstling einer Agnes noch so häufig leid geworden und im Laufe eines Sommertages mehrmals aufgegeben gewesen sein; – sicher bleibt, daß endlich gebieterische Noth zur Entscheidung trieb und daß Gustav schon vor der anberaumten Stunde einigemale voll Ungeduld die Elbbrücke auf und ab ging. Diese Ungeduld steigerte sich, als er um halb neun Uhr die sonst zuverlässige Gelegenheitsmacherin noch nicht an der bezeichneten Stelle fand, dagegen zu bemerken glaubte, daß ihn Jemand verfolge, mit der unzweifelhaften Absicht, ihm in's Gesicht zu schauen. Ein kühler Abend gestattete glücklicherweise, daß man, ohne auffällig zu werden, einen Mantel trage und diesen benützte Gustav, mit 29 dem hochaufgeschlagenen Kragen sich vor dem unwillkommenen Forscher zu verhüllen. Gleichwohl belästigte, ja ängstigte ihn der neugierige Fremde. Wer war der Mensch? Was wollte er von ihm? Stand er mit der sogenannten polnischen Fürstin – denn in manchen Städten Deutschlands liebt man es aus Engländern, Russen und Polen, die einiges Geld aufgehen lassen, vornehme Leute zu machen, und sie ohne Weiteres zu Lords und gefürsteten Grafen zu erheben! – stand er mit dem Abenteuer, in welches Gustav sich verwickelt, in Verbindung? Oder war es etwa gar ein begünstigter Vorgänger, welcher dem bereits designirten Nachfolger neidisch Rache geschworen? Wer auf solchen Pfaden geht, muß auf Alles gefaßt sein!

Doch nein; die Erwartete, ihre Verspätung zur Genüge rechtfertigend, kommt herbei und der neugierige Beobachter entfernt sich.

»Bei ihr, mein schönster Herr, in ihrer Behausung, ist heute eine Zusammenkunft unmöglich, weil Verwandte angelangt sind, auf die sie Rücksichten nehmen muß: Aber aufschieben, wonach sie sich so lange vergebens gesehnt, will sie doch auch nicht. Deßhalb wird meinem schlechten Stübchen die hohe Ehre zu Theil . . . sie hat sich frei gelogen, auf ein Stündchen 30 nur . . . folgen Sie mir schnell . . . sie weiß, was sie wissen soll; sie ist unterrichtet von Ihren Bedrängnissen. Zeigen Sie Sich liebenswürdig, – sie wird großmüthig sein!«

»Nun, in des Teufels Namen, dem ich mich verschreiben will, vorwärts!« rief Thalwiese und hatte Mühe mit dem hastig trippelnden Weibe gleichen Schritt zu halten, weil sich ihm die Füsse in den langen Carbonaro verwickelten. Dadurch ward er verhindert, den wieder zum Vorschein kommenden Lauscher zu beachten, der sie in einiger Entfernung begleitete.

Das Weib hatte genau beschrieben, auf welches verabredete Zeichen ihre Küchenthür im dritten Stockwerk geöffnet werden solle, hatte den droben heiß Ersehnten allein hinaufgehen lassen und blieb, die Arme in ihr Umschlagetuch gehüllt, vor dem schmalen Hausthore stehen, zu welchem sie den Schlüssel, und vom leichtbestechlichen ›Hausmanne‹ die Erlaubniß, denselben für ihre bedenklichen Zwecke benützen zu dürfen, besaß. Sie überschlug rechnend den goldenen Gewinn dieser und mancher – hoffentlich – folgenden Stunde; da näherte sich ihr, leisen Trittes, auch den leichten Reisemantel um die Schultern geschlagen, eine im Dunkel kaum erkennbare Gestalt, mit der freundlich 31 gestellten Frage: wer denn wohl jener Herr sei, mit welchem sie bis hierher gegangen?

»Es ist nicht meine Sache,« entgegnete sie in frivoler Weise, »und es würde meiner Kundschaft Schaden thun, mich um Namen zu bekümmern. Discretion ist die erste Bedingung und wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken, fremder Herr, so werden Sie . . . . .«

Der Angeredete that einen Schritt rückwärts, nachdem er nur die ersten Worte aus ihrem Munde vernommen. Dann trat er ihr wieder näher, packte sie beim Arme und drückte so heftig, daß sie sich im Reden unterbrach und laut aufschrie: »was soll das?«

»Lucie!« rief er.

Und sie stammelte zitternd: »Gott erbarm' sich, mein Schuljunge, der Franz! Wo kommst Du her?«

»Aus dem Zuchthause, wenn auch nicht seit gestern. Wann haben sie Dich herausgelassen, daß Du schon wieder Dein Gewerbe treiben darfst?«

»Lassen Sie los, oder ich mache Lärm!«

»Nicht doch. Alles in Liebe und Güte, Herr Erbförster, wie gestern der Sänger im Theater sagte. Wir haben mit einander zu sprechen.«

Und sie zogen sich in den kleinen Hausflur hinein. –


32 Emil, seit Kurzem erst von seiner langen Reise heimgekehrt, war vor wenig Tagen aus Schwarzwaldau in Dresden eingetroffen, um allerlei Uebelstände auszugleichen, welche durch dauernde Abwesenheit des Gutsherrn herbeigeführt worden. Sein bevollmächtigter Verwalter hat das ihm gegönnte Vertrauen nicht ganz gerechtfertiget; die Wirthschaft theilweise vernachlässigt, dabei verschiedene Unglücksfälle, auch einen totalen Mißwachs erlitten; seine Klagelieder haben den Reisenden aus Norwegen, wo er noch länger zu weilen gedachte, nach Hause gerufen und nun, wo es einer runden Summe bedurfte, um Ordnung zu machen und einige unerwartet aufgekündigte Capitalien prompt auszuzahlen, empfindet er hart genug die Nachwehen jener (höchstens einem Millionair) angemessenen Freigebigkeit, die er in der ersten leidenschaftlichen Aufregung nach Agnesens Tode gegen Gustav geübt. Er sieht sich genöthiget, Geld aufzunehmen, freilich gestützt auf sichere Grundverschreibungen, und wünscht dieß Geschäft in Dresden auszuführen, wo er keine persönliche Bekannte hat, obgleich der Werth von Schwarzwaldau daselbst eben so anerkannt ist, wie in Berlin; während an letzterem Orte seine augenblickliche 33 Verlegenheit unter Jugendfreunden und früheren Genossen viel Gerede verursachen würde.

Jetzt geht er nachdenklich im hohen Zimmer des großen Gasthofes, wo er abgestiegen, hin und her, den leeren Raum mit seinen Monologen füllend: »Unselige Abhängigkeit, zu welcher ich verdammt bin, von einem Menschen, den ich fürchte, hasse, von dem ich mich dennoch nicht trennen kann. Er ist mein Diener und er beherrscht mich wie ein Herr. Ich bin förmlich in seiner Macht. Und wie er mit mir umgeht! Wie rücksichtslos! Da läßt er mich nun allein, in diesem öden, unheimlichen Gemache, treibt sich Gott weiß wo umher, und weiß doch, daß ich keine Ruhe finde, wenn er nicht in meiner Nähe ist, wenn ich ihn nicht unter meinen Augen habe, um sicher zu sein, daß nicht ein Zusammentreffen statt finde, vor welchem mir bangt; stündlich bangt, seitdem wir wieder im Vaterlande athmen. In Schwarzwaldau sollte er mir nicht bleiben, ohne mich, aus Besorgniß, seine dortigen Gegner – denn all' meine Diener hassen und beneiden ihn! – könnten seinen Zorn reizen und ihn dadurch zu irgend einem Ausbruche tiefgenährten Grolles reizen; hier möcht' ich ihn wieder unter Schloß und Riegel halten, damit er nicht auf Gustav stoße! . . . 34 Ja, wo mag dieser – Gustav sein? Wo mag er leben? Und wie? Wie mag er seinen Eidschwur gehalten haben? Ob er – unserer noch gedenkt? Ob er noch um Agnesen weint? Ob er zu Rathe gehalten, was ich ihm als sein Erbtheil gab? – Gewiß nicht! Denn ich meine, daheim vernommen zu haben, seine Mutter sei nach des Vaters Tode in bitterer Noth? Ihr Sohn fern von ihr! – Welche peinliche Ahnung raunt mir zu, daß wir ihm hier begegnen können? – O, wär' ich nicht nach Dresden gegangen! Hätt' ich meine Geschäfte lieber in Berlin . . . . Thorheiten! Wär' ich dort, würd' ich ihn dort wähnen! Die Angst dieser Ahnungen liegt in mir, ich schleppe sie mit mir herum, und werde sie nicht mehr los, so lange Franz lebt; so lange er an mir hängt, an mich und meine Qualen gekettet, und ich an ihn, wie zwei Galeerensträflinge zusammen geschmiedet sind!«

Solchen und ähnlichen hypochondrischen Betrachtungen setzte Franz Sara, den wir von Schwarzwaldau her als subordinirten Leibjäger kennen, den wir aber jetzt, nach zweijährigem Umherreisen mit seinem Herrn gleichfalls einem Herrn ähnlich auftreten sehen, nicht gar lange vor Mitternacht erst ein Ende. Keine Entschuldigung, daß er so lange 35 auf sich warten lassen! Keinen Gruß! kein Wort der Anrede! Stumm und gebieterisch, als wäre Emil sein Diener, warf er sich in die Sopha-Ecke. Emil fuhr fort, die lange Stube mit langen Schritten zu messen, den Kopf gesenkt, die Arme auf dem Rücken; zu einem Vorwurf gegen Franz ermannte er sich nicht. Nicht einmal zu einer Klage, soll nicht sein resignirtes Schweigen dafür gelten. Von Zeit zu Zeit blieb er vor dem Sopha stehen, auf eine Erklärung des Dieners harrend, auf einen Bericht? Denn daß dieser von etwas Ungewöhnlichem erfüllt sei, durfte wohl angenommen werden und Emil erwartete eine Mittheilung. Endlich, da es zwölf Uhr schlug, sprach er: »So geht das länger nicht; wir müssen uns trennen, Franz!«

Franz fuhr auf: »Begehr' ich denn etwas Anderes? Hab' ich jemals etwas Anderes begehrt, seitdem sie begraben ist? Waren Sie es nicht, der mich festgehalten mit allen möglichen Drohungen, mit allen ersinnlichen Versprechungen? Haben Sie mich nicht gezwungen, bei Ihnen zu bleiben, als ich Ihrem Günstling nachstrebte, ihm die zweite Kugel in den Leib zu jagen, nachdem die erste ihr Ziel verfehlte und jenes schauderhafte Unglück angerichtet hatte? Traten Sie nicht vor mein Lager, wie Sie jetzt vor 36 mir stehen; damals meines alten Lehrherrn Kugelbüchse in der einen, die verfluchte Kugel in der andern Hand haltend und von schwerem Kerker faselnd? Mußt' ich nicht aufspringen und Ihnen zu bedenken geben, daß ich dann auch reden und gar verwundersame Geschichten erzählen könnte, von Ihnen und Ihrem Hause, ja sogar von ihr, – die ich nicht mehr zu schonen brauchte, seit dem ich wußte, daß sie ihn geliebt, dem ich Tod geschworen? Und wendete sich da nicht das Blatt? Und gaben Sie nicht plötzlich mir gute Worte? Und rangen Sie dann nicht die Hände, nach Ihrer beliebten weichlichen Weise jammernd: ›Was ist zu thun? Laß' ich ihn von mir, so geht er hin und mordet Gustav und fällt dem Gericht in die Hände und seine Enthüllungen bringen Schmach über Schwarzwaldau, verleumden Agnesen im Grabe!‹ Jammerten Sie nicht so? Und schlugen Sie mir nicht vor, bei Ihnen zu bleiben, mit Ihnen zu reisen, gemeinschaftlich die Leiden zu tragen, die ein gemeinsames Geschick über uns verhängt und auszudauern, bis ›Gras über Alles gewachsen sei?‹ Ein Ausdruck, den ich so passend fand, daß ich ihn sogar der zärtlichen Lisette zu hören gab bei meiner Trennung von ihr! – Ich habe Ihren Willen erfüllt, bin mit Ihnen gereiset, habe meine 37 Freiheit verkauft, – im Ganzen genommen zu so niedrigem Preise, daß ich wohl berechtiget war, mich durch eine selbstbereitete Verbesserung meines Verhältnisses bezahlt zu machen. Ich habe die Livree abgelegt und bin als ›Ihr guter Freund‹ mit Ihnen umhergezogen. Warum sollten Sie nicht einen jüngeren Freund haben, der Franz Sara heißt? Wer hört dem Namen an, daß er im Zuchthause fabricirt wurde? Wie? Gleichwohl hatte dieser ihr Reisegesellschafter auch als solcher nicht den Himmel auf Erden; denn Ihre Launen sind unzählbar und es gehört viel Geduld zum dauernden Umgange mit einem Manne Ihres Gleichen. Ich fügte mich; die Freiheit war einmal verkauft, wenigstens so lange die Reise währte. Doch die Rache, das Recht an sie, hab' ich Ihnen nicht verkauft; sie wäre mir auch gar nicht feil gewesen, hätten Sie mir dafür zahlen wollen so viel als Sie dem – geliebten Hausfreunde zuwarfen, da Sie ihm Agnesens Nachlaß schenkten. Ha, ha, er ist fertig damit! Seine jungenhafte, unsinnige Verschwendung hat ihn schon wieder – –«

»Hast Du ihn gesehen?« fragte Emil; »ist er hier? Ich hab' es geahnet!«

»Ruhig! Kaltes Blut! Wenn er auch hier am Orte sich befindet, für's Erste geht es ihm schlecht; 38 er hat sich gerade heute tief genug erniedriget, um vor meiner Rache ziemlich sicher zu sein. Doch hab' ich seine Fährte und halte sie fest. Der Spürhund, den ich ausfand – eine Hündin ist's, aber mit feiner Nase, – wird mir dienen, wie ich's verlange. Seien Sie ohne Sorgen; gehen Sie Ihren Angelegenheiten nach in Geldsachen, ich werde Ihre Ehrensache wahrnehmen, indem ich meinem Haß genüge. So lange er seinen Eid nicht brach – mag er dieß verächtliche Dasein weiter führen. Seine Spur, wie gesagt, verlieren wir nicht mehr: ich – und Lucie. Denn, damit Sie's nur wissen, Lucien fand ich wieder, bei ihr hab' ich mich verspätet, – und nun fragen Sie nicht weiter, warum ich unwirsch bin. Gehen Sie zu Bette, Emil.«

Emil von Schwarzwaldau that, was Franz Sara ihm befohlen.


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