Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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III.

Die Sonne stand tief. In einer Stunde mußte Dämmerung über der Gegend liegen. Max hatte wohl vor Zeiten einmal den nächsten Weg durch den Wald gekannt; aber er war zehn Jahre nicht mehr dahingegangen, er wußte nicht, ob er im Nachtdunkel den kaum sichtbaren Fußpfad noch finden werde, glaubte kaum, daß derselbe überhaupt noch gangbar sei. Auf gebahnter Straße war der Waldrand kaum in zwei starken Stunden zu erreichen. Das Feld gehörte bereits in einen andern Gerichtsbezirk.

Und doch ward die Lust, sein märchenhaft gewordenes Eigenthum noch heute vor sich zu sehen, immer stärker, je länger er mit dem Gedanken spielte. Es kam ihm so ungemein spaßhaft vor, daß er, der sich für einen vollendeten Habenichts und Ohnesorgen hielt, auf einmal etwas besaß, worum ihn Andere beneideten, etwas besaß, das Kauflustige in Athem setzte, etwas besaß, das über Nacht einen Werth gewonnen haben mußte, von dem er sich niemalen hatte träumen lassen. Wie war das geschehen? Nur einen Augenblick 40 dachte er an die Eisenbahn. Aber damit war sein Grundstückchen in keinen nähern Zusammenhang zu bringen. Eisenhut kannte die Linie, welche jetzt mit Schienen belegt wurde, genau; sie lief von jenem Waldrand in einer Entfernung von leicht einer halben Meile vorbei und war wieder Feld, Fluß und Forst dazwischen.

Unterdessen hatte der biedere Waldmann die Ueberzeugung gewonnen, daß es hohe Zeit sei, in's Wirthshaus zu gehen. Die gedankenvolle Zögerung durchaus nicht begreifend, saß er mit sprungbereiten Beinen, kein Auge von seinem Herrn verwendend, vor dem Sinnenden da und fegte mit ungeduldigem Wedel den Estrich. Eisenhut, der, seit Bartel sich verzogen hatte, in der besten Laune war, lachte über den Dachs.

»Na, Waldl,« sprach er, »meinst denn du, daß wir den Weg finden werden miteinander?«

Der biedere Vierfüßler, der nach den Gepflogenheiten seines Herrn nicht anders glauben konnte, als daß von dem alltäglichen Weg in's Wirthshaus die Rede sei, gab mit einem halb gähnenden, halb bellenden Laut seine Ungeduld und freudige Uebereinstimmung zu erkennen.

»Also gehen wir!« sagte der Mann, griff nach seiner Filzmütze und wählte sich einen festen Haselstock zum Wandern aus seinem Vorrath. Bellend und wedelnd sprang der Hund voraus; der Arglose ahnte nicht, daß er heute die Fleischtöpfe des Böswirthshauses auch nicht von ferne riechen sollte.

41 Anständig und ehrenhaft, wie die Hunde im Allgemeinen und besonders die Dachshunde sind, grämte sich Waldmann aber gar nicht, als er merkte, daß sein Herr es auf einen ganz ungewöhnlichen Nachtspaziergang abgesehen hatte. Da er bei anbrechender Dunkelheit sogar mit dem Auftrage beehrt wurde, den richtigen Weg vom Boden aufzuschnüffeln, so steckte er wohlgemuth die lange Schnauze in's bethaute Gras und suchte so wacker und geschickt, daß Eisenhut, mit einigen örtlichen Erinnerungen aushelfend, sich auf dem langentwöhnten Gangsteig ziemlich zurechtfand.

Nur wenige Male und ohne viel Zeit zu verlieren war er auf Umwege gerathen. Trotzdem war es finstere Nacht geworden, als er in den Wald kam, der die Grenze seines Landgerichts bildete. Der Himmel war voller Sterne, aber sie leuchteten nicht herab durch Blättergewirr und dichte Stämme, über Wurzelgestrüpp und fußtiefes abgefallenes Laub. An den Bäumen entlang zogen spukhaften Schleiern gleich lange Nebelstreifen. Manchmal war's ihm, als ginge er mitten in Rauch. Die aufsteigende Feuchtigkeit und das Harz der Fichten gaben dem Wald einen eigenthümlichen Geruch, der ihm am Tage fremd ist. Dieß Tappen in Nebel und Finsterniß wäre dem Wanderer bald verleidet worden, hätte er nicht gewußt, daß im Walde sich rasch eine Fahrstraße gewinnen ließe, die gut und sicher war.

In diesem Walde nämlich lag ein berühmter Wallfahrtsort, Mariatannerl geheißen. Wenn man vom Moose heraufkam, sah man an schönen Frühlingstagen, wo die Wipfel 42 der Bäume noch nicht belaubt sind, an gewissen Punkten der Straße das Kreuz des Kirchthurms wie einen Stern durch die kahlen Eichen und Buchen funkeln. Tannen und Föhren waren in diesem Theile des Waldes seltener. Aber eine der merkwürdigsten Tannen soll an der Stelle gestanden sein, die jetzt das Kirchlein trägt. Der Stamm, an welchem man vor Zeiten das wunderthätige Bild einer schwarzen Madonna gefunden hatte, war angeblich in den Altar eingebaut worden. Zu merken war nach so langer Zeit und nach so vielen und begreiflichen Reparaturen davon nichts mehr. Allein was lag daran? Die Hauptsache war, daß das unscheinbare, nunmehr mit Goldflitter, Silberherzen und Wachsbeinen bis zur Unsichtbarkeit überladene Bildchen wie früher im freien Walde, so auch später innerhalb des Kirchleins seine Gnadenkraft erhalten hatte. Es fehlte nicht an frommen Leuten im Lande, die von Gnaden und Hülfen, welche sie selbst an eigener Person in Mariatannerl gewonnen hätten, sagten und sangen. Alle die Wunder, die sich unkontrolirbar im Gemüth vollziehen, waren hier reichlich gediehen. Schmerzen, die unstillbar schienen, hatten von der Madonna Balsam empfangen. Mancher, der über dem Verlust seines Weibes, seines einzigen Kindes verzweifeln gewollt, Mancher, dem die bösen Menschen mit Glück und Habe auch die Lust zum Leben genommen, Mancher, der ob erduldeter Treulosigkeit und Schmach um den Verstand zu kommen gedroht, ging von hier, umgewandelt durch der Jungfrau Fürsprache, ja wie neu geboren und unverwundbar in die schnöde Welt 43 zurück und verherrlichte bis an's Ende seiner Tage Mariatannerls Ruhm. Was die bloße Erinnerung an das Gnadenbild herzkräftigend in Gefahr gewirkt, wie ein Gebet in der Noth, nach diesem Kirchlein gesendet, aus fernem Meer den Sturm beschwichtigt, im Hochwald die stürzende Tanne vom Haupte des frommen Holzhauers zur Seite geweht, das zerberstende Eis aufthauender Ströme unter dem fliehenden Fuß des Gottgefälligen noch eine Weile zusammengehalten hatte, wie selbst in Kriegsgefahr ein Spahn oder Spruch von Mariatannerl beinahe kugelfest machte – all' Dieß und Anderes mehr war in viel Hunderten von Votivtäfelchen erläutert und bekräftigt. Auch Krüppel und Lahme gab's genug im Lande, die zwar nicht ganz gerade Gliedmaßen in der Wallfahrtskirche wieder erhalten, sich aber der schadhaften weit glücklicher und gewandter zu bedienen gelernt hatten, als sie vordem mit den gesunden gekonnt. Einer war sogar da, der vordem stocktaub gewesen und jetzt wie ein Raubthier hörte, und noch ein Zweiter, der, lahm von Mutterleib an, nun auf dem Tanzboden zur größern Ehre Gottes und Mariä wie ein Gummiball sprang. Nur schade, daß man gerade diesen Beiden auf dem Landgerichte die Mäuler gestopft hatte – Juristen schlechte Christen! – man wollte nämlich dahinter gekommen sein, daß die beiden Kerle von Wallfahrtsort zu Wallfahrtsort streunten und allüberall ihre wunderbare Heilung von dem eben zunächstliegenden Gnadenbild empfangen haben wollten. Da es nun Fromme gibt, die, ähnlich wie üppige Weltleute, in einer 44 Badesaison mehrere Kurorte nach einander beziehen, sich nicht allein mit einer Wallfahrt im Jahre begnügen mögen, so wurden die beiden so vielfach Geheilten von ihren Wohlthätern an gar zu vielen Orten als Wunderbeweise mit der hohlen Hand erkannt und darum eines Tages zu allzu irdischer Verantwortung gezogen.

Der Ruhm von Mariatannerl konnte solcher Zeugen leicht entrathen. Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Wunder, die geschahen, die Spenden, die im Gotteshause angebunden wurden, und die Wallfahrer, die an bestimmten Festtagen von nah und fern, aus Ober- und Niederbayern, aus der Steinpfalz und aus Oesterreich mit fliegenden Fahnen und schallenden Gesängen heranpilgerten.

Eisenhut, der in der Schlichtheit seines Wesens weder für weltliches noch geistliches Gepränge besondern Sinn hegte, war bei solchen Festen selten als Zeuge erschienen. Immerhin hatte er vor Jahren manchen Blick in das heilige Wesen hier im Walde geworfen. Und wie er jetzt in der nebeligen Nacht durch Gestrüpp und Blätterfall mühsam und mutterseelenallein den Weg suchte, da dachte er wohl an das bunte Treiben im Sonnenschein, an Beten und Psalmen und Litaneien, an das Gewimmel und Gedränge vor den Buden, da man Heiligenbilder und geweihte Dinge feil hatte, wie vor den anderen, da man mit Bier, Würsten und Käse kaum schlechtere Geschäfte machte. Es war wohl ein Spiel seiner Einbildungskraft, ein Irrthum seiner in Nacht und Einsamkeit aufgeregten Sinne, daß ihm öfters war, als 45 hört' er etwas wie Stimmengeräusch und Melodieenklang, ja daß er immer deutlicher zu gewahren vermeinte, es röthete schimmerndes Licht die Nebelstreifen in der Ferne.

Kurz bevor er auf die kleine Fahrstraße heraustrat, stieß er mit dem Fuß auf einen Handwagen, über den eine Schaufel gelegt war. Beide Geräthschaften waren neu und schienen just am Feierabend so stehen gelassen. Wie kamen diese Dinge hieher? Was hatten Kärrner mitten im Walde zu schaffen, wo ringsherum auf Stunden keine Wohnstätte zu finden und die Zeit der Wallfahrten für dieß Jahr längst vorüber war? Dann dacht' er: Vielleicht wird an dem Kirchlein gebaut oder gebessert. So wird's wohl sein!

Er war noch keine hundert Schritte auf der gebahnten Straße gegangen, da stellte sich Waldmann fest auf die Beine, spitzte die Ohren und bellte ganz lästerlich. Gleich darauf kam ein großer Hund aus dem Wald über den Weg gesprungen, der kläffend gegen den nächtlichen Wanderer fuhr. Hier auf der Straße war es lichter als unter den dichten Stämmen; der Nebel braute hier nicht und die Sterne gaben schönen Schein. An den bloßen Bewegungen des Thieres, wie die Pfoten so ungefüg über einander purzelten und der Kopf bei jedem Sprung über die Schultern nickte, konnte Eisenhut erkennen, daß es ein junger und ganz unschädlicher Hund war, der hier im Haine frei lief.

Ein drohender Wink mit dem Wanderstecken und das kampfbereite Zähnefletschen des biedern Dachses genügten, um den Vaganten wieder waldeinwärts zu jagen.

46 Weit mehr als die Erscheinung dieses Vierfüßlers befremdete Eisenhut das mehrstimmige Gebell, das alsbald dem Anschlagen Waldmanns aus nicht allzu großer Ferne antwortete und noch immer nicht zur Ruhe kommen wollte.

Die Gegend war in alter und neuer Zeit der Schauplatz mancher Räubereien gewesen. Spitzbuben von europäischer Berühmtheit, wie der bayerische Hiesel, der Nonnenmacher, der Pascolini u. A. hatten im Moor gehaust. Aber in dem letzten Jahre war nichts von derlei Unfug ruchbar geworden. Das königliche Landgericht hätte doch gewiß von jedem Schaden Nachricht erhalten.

So dachte denn Eisenhut wieder an den Bahnbau, und daß vielleicht Arbeiter, denen der Herbst die Nächte auf der Moorebene zu unwirthlich werden ließ, ihr Barackenlager höher in den Wald hinauf getragen hätten. Die Entfernung vom Bau war freilich groß. Aber er grübelte nicht länger über dieß Verhältniß nach, denn jetzt war er an die Stelle gekommen, wo er, um zum Waldrand und zu seinem Stück Feld zu kommen, wieder von der Straße abbiegen mußte. Er erkannte das an dem verwitterten Gedächtnißkreuz, einem »Marterl«, wie man die bezeichneten Stätten nennt, wo Einer beim Holzfällen, Viehtreiben, Jagen zufällig oder durch Räuber verunglückt ist. Es stand heute noch da, wie es seit hundert Jahren stand. Genau fünfundfünfzig Schritte drüber hinaus zog sich der Fußpfad nach der Aufhütte.

Eisenhut zählte die Schritte ab und schlug sich dann in's 47 Gebüsch nach links. Die Neugier war wieder recht lebhaft in seinem Gemüth und er empfand es wie eine Art Spaß voraus, der jämmerliche Anblick des verwahrlosten Feldes würde seine Grundbesitzerphantasieen recht einleuchtend zu Schanden machen. Es störte ihn wenig, daß ihm der Forst gerade hier recht verändert vorkam. Er wollte gern glauben, daß aus junger Schonung in einem Dutzend Jahre hoher Wald aufgeschossen, daß das Gestrüpp verwandelt und der alte Fußpfad überwachsen war. Nur die eine Bemerkung muthete seltsam ihn an, daß der Wald viel früher ein Ende nahm, als es vor einem Jahrzehnt der Fall gewesen. Oder täuschte ihn auch hier sein Gedächtniß? Er konnte sich doch sonst sehr wohl darauf verlassen, besonders in allen Dingen der Jägerei. Oder trog ihn nicht sein Gedächtniß, sondern sein Auge? Nun, in wenigen Minuten mußte der Mond aufgehen. Glanz am Himmel zog ihm schon vorauf. Noch fünfzig Schritt weiter in aller Hast. Da, da war der Mond, ein schlichter Neumond zwar mit dünner Sichel. Aber er gab für jetzt Klarheit genug und der Wald war zu Ende.

Früher zu Ende als vordem. Denn das war nicht Eisenhut's Feld, auf dem er jetzt stand. Trug doch der Boden deutliche Spuren, daß hier vor Kurzem erst gerodet worden war.

Und was bedeutete denn das dort drüben? Sieht's nicht wie ein Ziehbrunnen aus? Gewiß! und ist auch einer. Und dahinter, was ist das? Im Laufschritt ist er dort und findet 48 Pfähle in die Erde gerammt, Bretter zum Karrenschieben zurechtgelegt und dahinter Fundamente eines Neubaues, der eben über den Boden herausguckt. Und dort auch! und drüben deßgleichen! Will man ein neues Dorf hier aus dem Waldboden zaubern? Wollen sich die Wallfahrer, die es nach Mariatannerl zieht, hier eine wetterfeste Herberge bauen? und gleich so dicht an der Kirche und von solchem Umfang? Ei, wenn sie sich dranhalten, sagt er zu sich selbst, so können sie vor Winters Einbruch noch unter Dach kommen, und wahrlich es scheint, sie vertrödeln ihre Zeit nicht.

Eisenhut fährt sich mit der Hand über die Stirn. Es dünkt ihn merkwürdig, daß Alles das hat in's Werk gesetzt werden können, ohne daß er ein Sterbenswort davon erfahren. Der Schwärmer! Seit wann kümmert er sich denn darum, was draußen unter den Menschen vor sich geht? Wenn für irgend Einen, so gilt ihm, was nicht in seinen Landgerichtsakten steht, für gar nicht in der Welt.

Beinahe hätt' er über dem Erstaunen vergessen, warum er überhaupt den Weg hieher gemacht. Aber wo ist denn nun sein Stückchen Feld, sein Bißchen Eigenthum? Vordem war's leicht zu finden. Wo der Wald ein Ende genommen, da hatte es angefangen; am untern Ende die Schießhütte, am obern der Standplatz für den Auf. Aber jetzt zwischen Bau und Bauvorrichtungen, nachdem man den Wald zurückgeschoben hatte und er selbst, im ersten Erstaunen seine Entdeckung verfolgend, nicht mehr wußte, wo er aus dem Dickicht in's Freie getreten war!

49 Waldmann, der muntere Schlaukopf, diente noch nicht so lange. Nie war er in diesem Theil des Waldes gewesen und die muthwilligen Blicke, die er zuweilen auf seinen irrenden Herrn richtete, zeugten deutlich, daß er nicht wußte, was er hier sollte und was jener wollte.

Eisenhut ging nachdenklich hin und her. Je länger er zwischen den Fundamenten herumwandelte, desto höher schienen sie im ungewissen Licht des dünnen Mondes zu gedeihen. Bald legte er sich die Frage vor, was aus alle dem werden sollte, bald die andere, wo denn sein Eigenthum zu finden. Es war ihm nicht anders zu Muth, als hätte man ihm das Stückchen Grund verlegt und, damit es die Bauleute nicht störte, weiß Gott wohin, über Feld beiseite geworfen. Er suchte darnach, wie nach etwas, das er unterwegs verloren. Es war ja auch klein genug, um leicht in Verlust zu gerathen.

Also die niedrigen Mauern entlang und über den Bau hinausschreitend, blieb er auf einmal vor einem Pflocke stehen, an dem er sich beinahe gestoßen hätte. Es war ein alter Pfahl, aller Rinde baar, besetzt von Moos und kleinem Gras, halbvermorscht und ganz verwittert in der Farbe – ganz anderes Holz, als all' das nützliche, kräftige, frischzugehauene, das unweit davon herumlag. Obenauf stak ein mächtiger alter Nagel drin. Krummgebogen und roth von Rost stak er doch so fest, daß er mit aller Anstrengung der starken Hand ohne Werkzeug nicht aus dem Kern des Pfahles zu ziehen war.

50 Eisenhut lachte. Den alten Nagel kannte er. Der hatte das Querholz über dem Pfahl festgehalten, darauf die Lockeule zu sitzen bemüßigt ward. Er legte die Hand auf dieß Wahrzeichen und sprach: »Hier ist mein Eigenthum!«

Drauf ging er den Platz nach beiden Seiten ab. Nahm sein Gedächtniß zu Hülfe. Maß mit genauen Schritten noch einmal die Fläche bis zur nächsten Mauer. Maß sie zum dritten Mal. Blieb endlich stehen und lachte. »Also darum der Eifer?«

Es konnte kein Zweifel sein! Selbst wenn er die Erinnerungen noch so vorsichtig beschnitt, die ihm jetzt, da er wieder auf dem alten Felde stand und rechts und links blickte, mit aller Genauigkeit zuschossen; er mußte sich sagen, daß die Unbekannten mit ihrem Neubau nicht allzu gewissenhaft sein Eigenthum geschont hatten. War's Spitzbüberei, war's Leichtfertigkeit, die einen Theil der Mauer auf seinem Grund aufgeführt hatte, ohne nach dem Eigenthümer zu fragen? Da Keiner sie zu hindern gekommen war, mochte ihnen die Grenzverletzung nicht allzu hart auf's Gewissen gefallen sein. Aber es unterlag keinem Zweifel, daß Eisenhut schon morgen mit seinem Einspruch den Weiterbau hemmen und nach kurzem Prozeß wenn auch nur einen kleinen, doch immerhin einen Theil des begonnenen Werkes wieder vernichten lassen konnte. Die Anlage des Ganzen mußte dann vielleicht geändert werden. Jedenfalls war der Plan empfindlich geschädigt, eine strafrechtliche Untersuchung möglich und die Verkaufsbedingungen seines Grundstücks nunmehr 51 auf's Günstigste in sein, des heimtückisch benachtheiligten Eigenthümers Belieben gestellt.

Jetzt begriff er die Zudringlichkeit, ja die Angst des sonst so sparsamen wie hartherzigen Bartel. Offenbar zog dieser den Vortheil aus der Sache. Ob er aus Arglist oder Unachtsamkeit den Bau hatte so weit gedeihen lassen, er mußte doch Alles aufbieten, den schon mit Steinen belasteten Boden aus dem Eigenthumsrechte des Praktikanten zu lösen.

Für heute, meinte Eisenhut, war der Entdeckung genug. Morgen wolle er sich zunächst mit seinem braven Pfarrer besprechen, dann auf dem Rentamt das Kataster einsehen und dem Eigenthümer der Nachbargrundstücke, dem unverfrorenen Bauunternehmer, nachfragen. Nicht um nachzudenken, sondern um auszuruhen, ließ er sich neben einer mannshoch gediehenen Mauer auf einer Steinschicht nieder, die ungefähr in Sitzeshöhe über die Bodenfläche ragte. Er dachte an den Rückweg, der beschwerlich und unerfreulich war. Das Umgehen im nassen Forst hatte ihn ermüdet.

Wie er nun so im Schatten saß und über die neuen Steine und die alten Stämme die blassen Mondstrahlen fließen sah, kam einen Augenblick die Müdigkeit auch über seine Seele. Was fiel ihm auf einmal ein, am Besitz zu hängen! Noch gestern hätte er den ganzen Bettel um einen Schuß Pulver vergeben. Und jetzt war er von dem Wunsch beseelt, mit einem Unbekannten, der viele Hände nützlich beschäftigte, viele hungrige Mäuler nährte, einen Prozeß anzufangen, weil dieser mit seinem Bau ein Bischen über die 52 Grenze gerückt war? Er hat's vielleicht ohne böse Absicht gethan und was schadet's dir, der bis vor wenig Stunden von diesem Besitz gar nichts mehr gewußt hast!

Ueber diesen weichlichen Gedanken nickte Eisenhut ein. Aber nur so halb. Es war ihm, als machte der Mond ein Gesicht wie der alte Krämer Bartel und er lachte ihn aus ob seiner Schwachseligkeit. Er wischte sich die Augen aus und sagte, wie sich selbst scheltend: »Ach was, Recht muß Recht bleiben. Und ich habe wahrlich nichts zu verschenken!« Mit dieser Beruhigung schlief er dann wirklich ein und mochte so mit vornüber nickendem Kopf und geschlossenen Lidern fünf oder zehn Minuten gesessen haben.

Da weckte Max das Knurren seines Hundes. Er schüttelte mit Eins den Schlaf ab, wies Waldmann zur Ruhe und horchte. Es klang wie schlurchender Schritt aus dem Dickicht, wie ein gleichmäßiges Dahinrauschen über Blätter und Gezweig. Eisenhut blieb auf seinem Platz im Schatten ruhig sitzen, legte den Stock zwischen seine Kniee und wartete des Kommenden. Da aber der Dachs wieder ungemüthlich werden wollte, zog er ihn fest an sich und steckte dessen Schnauze unter den Flügel seiner Joppe.

Die Schritte kamen derweilen immer näher. Und jetzt trat eine Frau aus dem Walde. Sie blieb etwa eines knappen Steinwurfs Länge von Eisenhut entfernt stehen, lehnte den Rücken an einen Baum und sah in den steigenden Mond. Sie athmete auf; die feuchte Luft im Walde schien ihr die Brust beklommen zu haben. Sie sog mit sichtlichem Behagen 53 Kühlung ein, sie ließ dem Wind ihr Haar und ihre Augen dem Monde, wie Jemand, der viel von Anderen belästigt und geplagt wird und endlich froh ist, mit sich und der Natur allein zu sein.

Der Beobachter drückte sich still an die Wand. Der Schatten, der grell genug sich gegen den glänzenden Himmel abhob, verdeckte seine Gestalt vor den ahnungslosen Blicken, die jetzt in der Runde hin und wieder über die ungleichen Mauern sich ergingen und keinem Menschen zu begegnen dachten. Das Angesicht der Frau war vom Monde klar beleuchtet, so daß Eisenhut jede Falte, jedes Härchen lesen konnte. Am Ausdruck dieser Züge, an dem ruhigen, geschäftsmäßigen Ueberblick, den die Fremde über den Plan zu ihren Füßen ausgehen ließ, konnte Jener nicht zweifeln, daß er die Eigenthümerin vor sich habe, die diese Bauten aufführen ließ. Aber was sie damit wollte, wer sie war, das vermochte er ihr trotz aller Aufmerksamkeit nicht abzusehen.

Sie trug ein langes schwarzes Kleid von Wollstoff, städtisch aber schlicht, knapp aber nicht nach der Mode zugeschnitten; es erinnerte fast an ein Ordenskleid, so ernsthaft floß es an dem großen, starken Körper herab. Ein ziemlich auffälliges Kreuz, das ihr am Halse hing und grell im Schein des Himmels blinkte, sprach nicht dagegen. Ueber der ganzen Erscheinung war jedoch ein Hauch von Weltlichkeit, ein charakteristischer Zug bewußter Thatkraft, der mit einer modernen Klostergestalt nicht in Einklang zu bringen war. 54 Auch trug sie über dem Haar ein schwarzes Kopftuch, das nach Bauernweise gelegt und geschlungen war. Doch paßte dieß nicht recht zum Uebrigen und schien mehr eine Konzession an ihre häusliche Umgebung oder ihr Geschäft zu bedeuten.

Ihr Haar, das unter dem Tuch hervorsah, war schwarz-braun, und wenn der Mond nicht gar wunderlich seine Strahlen dreinmischte, so kam der Silberschein an ihren Schläfen doch wohl von grauen Haaren, die dazwischen glänzten. Das Gesicht deutete nicht viel über vierzig Jahre an. Doch verjüngte es vielleicht das magische Licht. Die Züge waren hart, fast männlich zu nennen. Die starkgewölbte, nicht allzu hohe Stirn schien immerfort rüstige Pläne auszudenken, die beweglichen grauen Augen klar und sicher an's Ziel zu sehen und die kräftige Nase die Luft des Lebens rüstig ein- und auszuathmen, während in seltsamer Arbeitstheilung der untere Theil dieses Gesichts mit seinen müden Wangen, seinen schmalen, blassen Lippen, seinen abwärts gezogenen Mundwinkeln eine Verachtung der ganzen Welt und der eigenen Unternehmungen, Mittel und Erfolge ausdrückte, die um so aufrichtiger war, als sich dieß Angesicht für unbelauscht und einsam dem Himmelslicht gegenüber glauben mußte.

Jetzt preßte sich der Mund noch mehr zusammen, so daß die Lippen fast verschwanden. Dann nickte die Frau wie eine Zufriedene über dem, was sie gesehen, und trat vom erhöhten Rande des Waldes auf Eisenhut's Feld herab. 55 Seltsam klang ihre Stimme in sein Ohr, wie sie dabei zu sich selber sagte: »Es wird schon gehn!«

Das dünkte aber den geknebelten Waldmann doch zu viel. War's Pflichtgefühl, war's Neugierde, die ihn, der Furcht des Herrn zum Trotz, sich freizumachen zwang: er wühlte die Schnauze aus seines Bändigers Rock und Hand los und ließ in der Haft nur einen, aber einen sehr unfreundlichen Ton hören. Der machte ihn ob seiner eigenen Frechheit erschrecken. Er duckte sich tief auf die krummen Beine nieder und erwartete die Strafe für seinen Ungehorsam.

Eisenhut sagte nur: »Pfui, Waldl!« und auch das mehr, um die Kommende auf seine Gegenwart aufmerksam zu machen, als um sich noch weiter um den Störenfried zu kümmern.

Jene schrak zusammen, überwand sich aber sofort und ging mit festen, raschen Schritten gerade auf die dunkle Gestalt los, von der sie das Geräusch vernommen.

»Kann man denn nirgends seine Ruh haben?« sagte sie noch im Gehen. Dann mit gekreuzten Armen dicht vor dem Sitzenden haltend, fuhr sie ihn gröblich an: »Wer ist da? Was machen Sie hier?«

Eisenhut stemmte die Hand auf's Knie, sah lächelnd dem herrischen Weib in's Gesicht und versetzte freundlich: »Guten Abend! . . . Was ich mache? Nichts. Ich ruhe nur ein wenig auf meinem Eigenthum aus!«

»Oho!« rief Jene, und wie sie lachte, wie sie die Fäuste streitfröhlich und selbstbewußt in die Hüften stemmte, da sah 56 man freilich, daß ihr das Kopftuch doch nicht von Ungefähr und nicht als Maskerade zukam. »Bei Ihm geht's wohl a bissel um auf'm Heuboden, daß Er Mein und Dein nit mehr unterscheiden kann. Eigenthum? Mein lieber Narr, die Steiner, drauf Er sitzt, sind meine Steiner! Daß Er's nur weiß.«

»Weiß schon,« antwortete Eisenhut gelassen. »Aber der Grund und Boden, in den, ich weiß nicht wer, sich mir nichts dir nichts unterstanden hat, Ihre Steine einzumauern, ist mein Grund und Boden! Nichts für ungut!«

»Alle guten Geister!« rief das Weib und lachte. »Dann sind Sie ja eppa gar der Dings . . . der alte Praktikant!«

»Der Max Eisenhut, aufzuwarten!«

»Das trifft sich fein! Grüß Gott!«

Sie hielt ihm eine Hand entgegen und heftete heitern Blicks die sicheren Augen auf ihn. Eisenhut schlug ein und wollte sich erheben. Sie aber sagte: »Bleiben's und rucken's nur ein wengerl (wenig). Wir thun wohl am besten, gleich vom G'schäft zu reden und allen Aerger, der doch zu nix nutz ist, abzuschaffen. Alsdann (Also), was mein Herr Vetter ist – den Bartel Damian mein' ich – so alt und überwitzt und geizig als er ist, ein Tappschädel ist er doch.«

»Der Bartel Ihr Vetter? Ja wer . . .«

Die Geschäftseifrige ließ Eisenhut nicht ausreden.

»Davon nachher! Vor allererst will ich mich reinwaschen. Ich laß Jedem sein Recht und thu' nur Gutes. Ihnen gegenüber aber bin ich im Unrecht, freilich nicht durch meine 57 Schuld. Allein das hilft nichts. Hundert Jahr Unrecht gibt noch keine Stund' Recht, sagt's Sprüchwort, und wenn ich eine Million Steiner in das Feld eingraben laß, so bleibt es doch Ihr Feld und nicht das meinige, bis Sie mir's überlassen haben.

»Kurz und gut. Ich war nicht in der Gegend seit langer, langer Zeit. Ich komm' und such' mir, was ich zu meinem Vorhaben brauchen kann. Ich frag' meinen Vetter: ›Wem g'hört das Stück vom Wald und von dort bis dahin die paar hundert Klafter Feld und Wiesen?‹

»›Werden mir gleich hab'n!‹ sagt er. ›Theilweis' g'hört's schon mein und zum andern Theil so gut wie mein!‹ – Gut! In wenigen Tagen kommt er wieder. Alles in Richtigkeit! Er hat den Sack voll Stempelpapier; wir gehen auf's Amt, ich kann mich als die Eigenthümerin betrachten und der Bau fangt fröhlich an mit Gottes Segen.

»Gestern auf einmal stürzt er daher mit brennendem Kopf und sagt: da wär' ein Fleckerl dazwischen, was halt doch nicht sein g'höret. Er wär's g'rad' eben auf'm Rentamt inne word'n. Wir hätten nit so jach drauflosbauen sollen, hätten ihn mit dem Bauplan irr' g'führt . . . und was nun solcherlei Falschheiten mehr wären. Falschheiten sag' ich, denn mei'n Vetter Damian kenn' ich auswendig, wie wenn ich ihn g'macht hätt'. Er ist nit Derjenige, welcher . . . der beim Handel und Wandel über's Ohr g'haut wird. Die Gulden, die er einsteckt, haben alle um sechzig Kreuzer mehr, als die er ausgibt. Was er sich aber ehvor 58 denkt hat . . . wie er sich in der eigenen Gruben g'fangt hat . . . das kann ich nit sagen. Ich glaub', er ist so kleinweis einig'rutscht. Anfangs hat er wohl denkt: 's ist ein flotter Mann, der Herr Praktikant, laßt sich über ein' alte Aufhütten kein graues Haar wachsen . . .«

Eisenhut nickte unwillkürlich bei dieser Darstellung. Die zungenfertige Frau, ihn scharf beobachtend, mußte lächeln, wie sie weitersprach: »Er hätt' auch vielleicht mit dem Glauben Recht g'habt und Recht b'halten. Da ist aber so ein Malefizkerl auf'm Rentamt, der ›Halt!‹ dazwischeng'rufen hat. Der hat ihm den Stempelbogen unter d' Nasen g'ruckt und g'sagt: ›so weit hat Euer Bau kein'n rechtmäßigen Grund! In acht Tagen hast die Einwilligung des Eigenthümers z' bringen oder Du erlebst was.‹

»Jetzt hätt' ich herhalten sollen. Daß ich nit lach'! Ich hab' ihn g'jagt und das weit. Was heut' zwischen Ihre vier Wänd' verhandelt word'n ist, wissen Sie selber. Vor einer Stund' ist er hier ang'fahren kommen, der arme Schächer! Wie vom Galgen g'schnitten. Das Hunderl da laßt die Ohren nit so hängen. G'schieht ihm g'rad' recht. –

»Na, jetzt reden wir Zwei miteinander. Werden schon auf einen grünen Zweig kommen. Nicht wahr? Zwei vernünftige Menschen, die keiner den Andern nicht übervortheilen wollen, werden's bald g'richt't haben. Ihnen kann so gut wie gar nichts an dem verwahrlosten Feld'l liegen und mir – ich sag's g'rad' heraus – mir liegt viel dran. Mir bricht die Schollen, so lumpig sie ist, einen Winkel aus 59 mein'm guten Plan heraus. Und der, lieber Herr, mein Plan soll ganz bleiben. Also . . .«

Es war ein glücklicher Zufall, daß die eilfertige Rednerin hier niesen mußte. Wahrscheinlich kitzelte sie die feuchte Nachtluft in der Nase, der sie sich, um das Geschäft auf den ersten Sprung abzumachen, allzu unvorsichtig aussetzte. Eisenhut benützte diese Unterbrechung, um endlich auch einmal das Wort zu erhaschen. Ehe Jene ausgeschnaubt hatte, begann er:

»Vor Allem möcht' ich doch erfahren, mit wem ich zu handeln die Ehre habe und was denn für Gebäude hier aufgeführt werden sollen?«

Die Frau rückte halb schalkhaft, halb mißtrauisch zur Seite, drückte das linke Auge zu und betrachtete ihn blinzelnd mit dem rechten. »Sie wissen nicht, wer ich bin? . . . Sie? . . . Mich kennt ja jedes Kind . . . Freilich, Sie sollen mehr mit dem Wildpret als mit der lieben Menschheit verkehren. Und da, wo Sie die Menschheit am liebsten sehen . . . in der Gerichtsstub' . . . da freilich war ich bei Euch wenigstens noch nicht zu sehen. Werd's auch schwerlich anders als im Guten. Früher war das anders! Alte Zeiten, alte Gesetz'! Gott tröst's miteinander! (Sie lachte heiser auf.) Jetzt ist das ärztliche Gewerbe freigegeben. Gott sei Dank! Der Arme braucht nit jedem diplomirten Quacksalber nachz'rennen . . . Mit einem Wort: ich bin die Moosrainerin!«

Nun schwieg sie freiwillig stille; sie wollte den Eindruck 60 dieses gewichtigen Wortes nicht beeinträchtigen. Schien sie doch eine nicht gewöhnliche Verehrung für sich selbst zu hegen und die Ueberraschung, die ihre Enthüllung auf den Praktikanten machte, ganz in der Ordnung zu finden.

Allerdings war die Moosrainerin eine der populärsten Gestalten, zur Zeit wohl die allervolksthümlichste und berühmteste in diesen Gegenden. Sie war im Moos geboren, hatte aber das Dorf und das Land schon in früher Jugend verlassen. Wo überall sie sich umgetrieben, wovon sie gelebt, was sie erduldet, darüber wurde Bestimmtes nie erfahren. Nur daß sie vordem recht hübsch gewesen und daß sie einige Zeit sich im nördlichen Deutschland, besonders in Hamburg, aufgehalten hatte, das war durch vollgültige Zeugen bekräftigt. Nach langer Abwesenheit, verschollen, gealtert und wohlhabend, kam sie eines Tages in der Heimat an. Ihre näheren Verwandten waren todt, etliche derselben eines nicht ganz natürlichen Todes, der Eine sogar nicht ganz ohne richterliche Beihülfe gestorben. Man wußte nicht, was sie denn noch in dem Dorfe suchte, und mag sie nach Landes- und Bauernart nicht allzu freundlich empfangen haben. Das schien sie wenig zu rühren. In einem der großen, wohlhabenden Nachbardörfer, in Moosrain fand sie bei einem Bauern, einem Wittwer, der sich mit seinen Kindern nicht zu helfen wußte, passenden Dienst. Wenige Monate später heirathete sie der Wittwer. Es war ein guter Mann, der die Freude über solchen Weibes Gewinn vor aller Welt zur Schau trug. Fragte man weiter nach, so erfuhr man auch 61 von Anderen, daß es mit der neuen Bäuerin seine außerordentliche Bewandtniß hätte. Dem Einen hatte sie die Kuh, dem Andern ein Kalb, bald darauf Jenem die Frau und Diesem sämmtliche Kinder kurirt. Schon ließen sich ihrer an den Fingern herunterzählen, denen sie das Leben gerettet haben sollte, und waren darunter alte Patienten, die vom Bezirksarzt in eigener Person waren aufgegeben worden.

Wie sich das auf den Dörfern herumsprach und anfangs einzelne Verzweifelte, bald aber Alle, die an dem nächsten besten Arzte verzweifeln zu müssen glaubten, sich auf den Weg machten, um die Wunderdoktorin in Moosrain heimzusuchen, wie sich der Ruf ihrer Klugheit und Geschicklichkeit in immer gewaltigerem Wachsen unter den Bauern ausbreitete, so fanden die in Ansehen und Erwerb gekränkten Aerzte immer mehr Grund, gegen so dreiste Kurpfuscherei gerichtliche Hülfe zu verlangen.

Das Gericht legte sich denn wirklich mit Verboten sowohl als mit Strafen in's Mittel. Die Bauern ließen nichtsdestoweniger sich nicht wegdekretiren. Die Prozesse, die Berichte in den Zeitungen trugen den Ruf der Wunderdoktorin nur in weitere Kreise. Das Landvolk murrte und drohte; man fand es nachgerade auch in Städten interessant, einmal auf andere als die gewöhnliche Weise geheilt oder doch behandelt zu werden. So etwas weniges Geheimnißvolles, Mirakulöses am eigenen Leib in allen Ehren erfahren zu haben, war doch zu pikant. Und so waren es 62 nicht mehr einfältige Bauern bloß, die nach Moosrain pilgerten; der Postmeister mußte seine Fahrgelegenheiten verdreifachen und verzehnfachen, und Reiseequipagen mit bekröntem Wappen auf dem Schlag waren vor der Bauernhütte der »Doktorin« keine Seltenheit.

Aus der Hütte wurde denn auch allmälig ein Haus, und zwar ein größeres, als bislang eines im Orte gewesen. Doch faßte bald auch dieß die Zahl der Heilbedürftigen nicht mehr, die sich hier in Pflege geben wollten. Um den Quängeleien nach dem Gesetz zu entgehen, ward ein alter Arzt, der irgendwie in der Gesellschaft Schiffbruch gelitten und sonst in der Welt nichts Einträgliches mehr anzufangen wußte, mit Gehalt bestellt. Seine Aufgabe war, die Rezepte der Bäuerin mit seinem rite graduirten Namen zu zieren, im Uebrigen ließ er Gott einen guten Mann und die Moosrainerin eine große Heilkünstlerin sein. Die Leute, die mehr oder weniger geheilt in den gewappneten Reiseequipagen nach Hause fuhren, hielten es für gottwohlgefällig und menschenfreundlich, zu Gunsten der verfolgten Wohlthäterin geeigneten Orts ein kräftig Wörtlein einzulegen. So drückte man auch auf dem Gericht ein Auge zu und ließ, wie man's nannte, den »Schwindel«, dem man nicht steuern konnte, gewähren.

Die Sache war aber mit dem Worte Schwindel nicht erschöpft. Der Moosrainerin war ärztliche Begabung eigen und in nicht gemeinem Grade. Sie besaß den durchdringenden Blick, allerlei Uebel auszuspüren und zu erkennen, 63 vielleicht auch ein wenig geschulte Phantasie, und sie besaß die seltene Gabe, nicht nur die Bauern reden und zwar die Wahrheit reden zu machen. Auch hatte sie ohne Frage Vieles gelernt. Sie war geschickt in Handgriffen und kannte die Wirkung der Arzneien, welche sie verordnete. Viele glaubten, daß sie ihr Schicksal in der Fremde auf eine Hebammenschule gebracht und dort gebildet habe. Andere meinten, sie wäre nur die Magd, wieder Andere, sie wäre die Geliebte eines gewandten und lehrhaften Arztes gewesen.

Die überwiegende Mehrzahl der Kranken, die sich entschlossen, trotz der langen Reise, trotz der Lächerlichkeit, die man besonders anfangs auf sich nahm, trotz der Beanstandung, der man sich vielleicht nicht entziehen konnte, die Bäuerin in ihrem Dorf aufzusuchen, setzte sich aus überungeduldigen oder auch trostlosen Leuten zusammen, die schon lang umsonst in Behandlung schmachteten, vielleicht schon vielerlei Kuren durchgeduldet hatten oder gar von ihren Aerzten ohne Hoffnung auf Genesung jeder Phantasie preisgegeben waren. Bei allen diesen fand die Bäuerin in den alten Rezepten Fingerzeige genug, was den Leuten fehlte oder nicht fehlte, und sie wußte alle diese Winke klug zu benutzen. Mit Kleinigkeiten befaßte sie sich nicht – außer bei hohen und besonders zahlungsfähigen Personen. Viele wurden auch schon von der frischen Luft und der einfachen Kost gesünder. Wer kann alle die natürlichen Bestandtheile aufzählen, aus denen oft so ein Wunder sich zusammenaddirt!

Die mißwilligen Kollegen – wenn ich anders die Herren 64 Aerzte so nennen darf – schoben ihr freilich der himmelschreienden Fehlgriffe genug in die Schuhe und setzten ihr manchen Todten in die Rechnung, der, ohne auf Wunder erpicht worden zu sein, noch heute tanzen und singen könnte. Allein wenn einer dem andern von ihnen das Gewissen revidirte, fiel da die Nachrede glimpflicher aus? Mit nichten. Der Unterschied war nur, daß in diesem Falle die Vielen gegen Eine Chorus machten.

Die Eine schierte sich kaum darum. Hatte auch wenig Schaden davon. Eines Tages erklärte die Gesetzgebung das ärztliche Treiben frei, und war schon vorher für die Kranken in Moosrain keine Unterkunft mehr zu schaffen gewesen, so sah die Doktorin jetzt die Zeit gereift, daß sie ihren Wirkungskreis nach einem bequemeren Orte verlegte. Die Dörfler trugen sie zwar auf den Händen, verehrten sie wie eine Wohlthäterin, wie eine Heilige fast. Aber es waren doch Viele da, die sie noch als Magd hatten barfuß laufen sehen, die sich das Maul verzogen, als der reiche Wittwer die hergelaufene Dirne geheirathet hatte . . . das hinderte am Emporkommen und Gedeihen denn doch. Und vor Allem der Bauer blieb hier immer Der, welcher er gewesen war in Ansehen und Schätzung. Und wenn sie auch für all' derlei Sentimentalitäten nicht empfindsam genug war, – das Geschäft, oder sagen wir, ihr Beruf, ihre Bestimmung drängten sie aus dem engen Dorfe heraus.

In eine Stadt? Davor sei Gott! Was sollte sie unter Spöttern und Konkurrenten! Aber in der Nähe einer großen 65 Stadt wollte sie Posto fassen. Dicht an der eisernen Straße des raschen Verkehrs, immer aber auf frischem Boden und immer bäuerisch in der Weise, schlicht, treuherzig, derb und kostümirt. Denn wenn auch die hohen und höchsten Herrschaften Glanz und Geld auf das Unternehmen reichlich fallen ließen, die Masse der Bauern und gemeinen Leute war's nach wie vor, mit denen sie ihre Schlachten gegen zünftige Bildung und feineren Sinn gewann. Sie waren der breitwogende, mächtig rauschende Strom, der auch die Zierlichen und Vorsichtigen mit sich nahm und der auch Fürstenkronen und Bischofsmützen vor ihre Schwelle schwemmte.

Die Moosrainerin bat Eisenhut aufzustehen und neben sie auf die Steine zu treten. Mit ausgestrecktem Finger wies sie ihm den Plan ihrer Bauten. Dort das lange Gebäude sollte ein Siechenhaus für arme Leute werden – bald mocht' es dort hurtig ein- und ausgehen. Dort drüben das kleine ein Spital für unheilbar Preßhafte – eine fromme Stiftung zu diesem Zweck lag schon in ihren Händen. In der Mitte waren die Fundamente für eine Kapelle gesetzt. Ihr schlichtes, schmales Häuschen sollte dicht daneben, die Apotheke auf die andere Seite zu stehen kommen. Hier aber am Waldrande, der schönen Fernsicht gegenüber, hier sollten sich Villen erheben für einzelne Familien und Kurgäste mit größeren Ansprüchen, kleine geschmackvolle Häuschen mit Veranda, Garten und ländlichem Comfort.

Dem guten alten Praktikanten war zu Muthe wie einem Kind in der Zauberposse. Er wußte nicht recht, sollte er 66 staunen oder lachen. Endlich wies er fragend nach dem stattlichsten Bau, dessen Mauern ihm stärker angelegt schienen, als die aller übrigen. Derselbe lag hinter der Kirche und in größerer Entfernung von den anderen, als diese unter sich. Ihn zu erklären hatte die Moosrainerin bisher versäumt.

»Was soll denn daraus gemacht werden?«

Die Gefragte zögerte einen Augenblick, dann lispelte sie, die Augen niederschlagend, in einem Tone ceremonieller Ehrfurcht:

»Das Fürstenhaus!«

Da lachte Eisenhut und lachte laut und herzlich.

»Warum macht Sie das so heiter?« fragte die Moosrainerin. »Keine Ursach'! Das Fürstenhaus ist auf die nächsten zehn Jahr' bereits fest vermiethet.«

Es blieb Eisenhut nichts übrig, als der kühnen Unternehmerin Glück zu wünschen.

Sie nahm das lächelnd hin und sagte: »Sie vergessen, daß mir Eins zu dem Glück fehlt . . .«

»Das wäre?«

»Ihre Zustimmung! . . . Spotten Sie nicht. Brecht einen Ring aus und die Kette ist gebrochen. Zwölf Tage früher war's einerlei, ob wir weiter vor, weiter zurück die Steine zu legen begannen. Auch jetzt noch wollt' ich, um ein ernstes Hinderniß zu schonen, Opfer bringen und den Verlust verschmerzen, den Bauplan ändern . . . Aber was kann Sie denn abhalten, Ihre Disteln um einen Preis loszuschlagen, den Sie nie wieder dafür geboten erhalten?«

67 »Ei, wenn Sie erst hier hausen werden, soll jede Scholle der Nachbarschaft erst im Preise steigen!« versetzte lächelnd der Praktikant. »Indessen sei's gestanden, solch' spekulirende Vorsicht hält mich nicht zurück, Ihnen ein Angebot zu machen, sondern lediglich die Scham des Hinterwäldlers, der nichts von Bauten und Geschäften versteht, der nicht die blasse Ahnung hat, wie viel er von Ihnen fordern soll, um weder unverschämt noch lächerlich zu erscheinen.«

Der Moosrainerin schien diese freimüthige Weise zu gefallen. Ihre Augen sahen just so drein, als geständen sie, so habe, seit sie Geschäfte mache, noch kein Mensch mit ihr gesprochen. So uneigennützig, so stolz und doch so vernünftig. Ja, auch vernünftig, denn keine Antwort hätte sie so rasch gefangen genommen. Sie besann sich nicht weiter und machte folgenden Vorschlag:

»Wissen Sie was? Behalten Sie Ihr Eigenthum und bauen Sie selbst. Ein besseres Geschäft können Sie nicht machen. Es wird nicht lange dauern, da kauft Ihnen irgend Einer, der zu viel Geld und zu wenig Gesundheit hat, die Villa theuer ab. Ich steh' Ihnen dafür.«

Der Praktikant versicherte, daß er dazu weder Laune noch Geld genug besitze. Die Idee, ein Haus errichten zu lassen, diesen Bau zu überwachen, den fertigen sein Eigen zu nennen, wollte ihm noch gar nicht in den Sinn.

»Wenn's nur des Geldes wegen wäre,« rief die Doktorbäuerin, »davon könnte sie vorschießen, so viel er nöthig hätte.«

68 Aber das erklärte Eisenhut nicht annehmen zu können. Er lehnte zwar mit aller Artigkeit ab, gab vor, daß er zu bequem, zu ungeschickt, zu leichtfertig sei, sich mit derlei Sorgen zu befassen, allein Jene merkte doch, daß es ihm vor Allem unstatthaft schien, sich einer Frau zu verpflichten, an deren wissenschaftlichen Beruf und reine Absichten er noch nicht glauben gelernt hatte.

»Freilich, freilich!« spottete sie, »wie wird so ein großer Herr vom Landgericht mit mir unter einem Dach stecken! Wer kann's denn wissen, ob's mich nicht doch noch eines Tags einführen, die Knöchel in Eisen und vorn ein Gendarm und hinten einer! Ich fürcht' mich schon jetzt . . .« Sie lachte laut auf. »Mein lieber Herr, wenn Sie sich träumen ließen, wer Alles in mein'm Schuldbüchel steht, was für große Herren und Damen, es gingen Ihnen die Augen über. Warum ich nur g'rad' mit Ihnen so viel Umständ' mach'! Meiner Treu', ich weiß's selber nit. Sie sind ein guter Narr . . . um ein'n Pappenstiel könnt' ich Ihnen 's Grundstück abschwätzen, vielleicht gar um nichts, wenn ich nur möcht' . . . Aber nein, ich mag nicht. Sie kommen mir vor wie ein Kind. Und Kinder übervortheilen, bringt kein'n Segen! . . . Nix für ungut! Ich weiß schon, daß man Sie den ›alten Praktikanten‹ nennt. Ich komm' Ihnen vielleicht auch nicht bloß alt, sondern recht kindisch vor.«

Sie betonte beide Male das Wort »alt«, stand auf und schritt gedankenvoll, die Arme unter der Brust gekreuzt, die Stirn in Falten, vor Eisenhut auf und nieder. Auch dieser 69 erhob sich. Er konnte sich das Gebahren des eigenthümlichen Weibes nicht erklären. Es war ein herrschsüchtiger Geist in ihr, der den einmal ausgesprochenen Gedanken nicht preisgeben wollte und immer das Ende fest im Auge behielt. Dabei aber war die Güte, das Wohlwollen, das sie ihm entgegenbrachte, unverkennbar und Eisenhut der Mann nicht, den Wohlwollen und Güte, selbst wo sie ihm unverhofft und unverdient erschienen, nicht rührten.

Es that ihm weh, daß er die tüchtige Frau, die ja nichts Unbilliges verlangt, verletzt hatte. Am liebsten wär's ihm gewesen, der vertrackte Damian Bartel hätte sein Erinnern gar nicht auf das vergessene Feld gelenkt. Kaum daß er seines Eigenthums bewußt geworden, hatt' er auch richtig schon Aerger und Sorgen davon.

Der Mond stand hoch; die Nacht war spät; die Pause, welche das Zwiegespräch jetzt erduldete, dünkte ihn peinlich für Beide. »Es ist Zeit, daß ich mich auf den Heimweg mache,« sprach er, die Hand zum Scheidegruß ausstreckend, »leben Sie wohl für heute. Wir wollen Beide die Sache beschlafen und uns über Nacht träumen lassen, wie wir's am besten austragen.«

Die Doktorbäuerin blieb vor ihm stehen und sah fest und herben Ausdrucks in sein Gesicht.

»Ich kann nicht schlafen, ehe das, was zu überlegen bleibt, beschlossen ist. Mir ist die Nacht zum Ausruhen von der Arbeit da, nicht um mir auf gut Glück was träumen zu lassen, was ich am Tag mit wachem Hirn mir hätt' 70 ausdenken sollen. Mit dem Traumbüchel vor der Nasen wär' ich nit so weit kommen, als ich bin.«

Der Praktikant suchte sie zu begütigen und da er merkte, daß sie nur mit halbem Ohr auf ihn hinhörte, riß ihm endlich die Geduld und er platzte mit dem Vorschlage heraus, den er schon seit einer halben Stunde auf dem Herzen hatte.

»Horchen Sie einmal zu, Frau Moosrainerin, was mir die einfachste Lösung der verwickelten Geschichte scheint. Sie wollen das Grundstück? Gut. Ich schenk' es Ihnen. Und das gern. Ich hab' gestern nimmer gewußt, daß es überhaupt mein gehört. Ich werd' es morgen wieder vergessen haben. Also abgemacht, Frau Nachbarin, schlagen Sie ein!«

Sie stand noch immer vor ihm und las in seinen Zügen. Endlich redete sie, sachte mit dem Kopf dazu nickend: »Ich hab's ja g'sagt: ein Kind! Die Kinder verschenken, was sie haben und – Kinder lassen sich schenken. Die Bauerndoktorin ist leider . . . nein, ist Gott sei Dank kein Kind mehr. Aber sie hat alleweil die Kinder gern g'habt, auch die alten Kinder, wenn's nur sonst gute Kinder waren. Aber Kinder brauchen einen Vormund. Der Herr, der die Lilien auf dem Felde kleidet, ist nicht alle Tag zu sprechen, wenn g'rad die lieben Fratzen Löcher in die neuen Hosen reißen . . . Nit aufmucken! Ich hab' Sie ja nicht beleidigen und überhaupt nicht mehr sagen wollen, als daß man den alten Rothschild nicht vor Ihnen zu warnen braucht. Sie werden andere gute Eigenschaften haben, mit denen man auf Erden glücklich und im Himmel selig wird. Gut so! Was unser lieb's 71 Grundstückel mit den schönen Disteln da betrifft, so ist das mein Vorschlag. Ich hab' ihn mir ein wengerl sonderbar ausstaffirt, vielleicht g'fallt er Ihnen um so besser und erscheint Ihnen um so annehmbarer.«

»Heraus damit!«

»Heraus damit. Vor der Hand kriegen Sie . . . gar nichts! Aha, das g'fallt Ihnen! Hab' mir's nicht anders erwartet. Aber wir sind noch nicht am End'. Ich bau' also ungestört weiter . . .«

»Ungestört! Abgemacht!«

»Ausreden lassen! Ich bau', was ich mag, wann ich mag, wie ich mag. Und was fertig ist, g'hört mein. Das fertige Häuserl . . .«

»Und der Grund, auf dem das Häuserl steht. Punktum! Amen!«

»Für nix und wieder nix? Ah, da müßt' ich bitten. Lassen Sie mich ausreden. Jetzunder kommt erst das Wichtigste. Alsdenn (Also) Sie kriegen als Entgelt und Kaufpreis für alle Ansprüche auf Feld . . .«

»Und Disteln.«

»Meinetwegen auch für die Disteln, wenn Sie kein Familieninteresse dafür haben . . . Ich mein' nur, weil Sie selber so eine Art Unkraut sind, nit etwa . . . O Gott bewahre! . . . Sie kriegen, was in den ersten sieben Jahren als Miethzins von den Bewohnern des auf diesem Grundstück aufzuführenden Hauses bezahlt wird. Ohne Abzug! So ist's! Vielleicht machen Sie ein gutes Geschäft . . . 72 vielleicht machen Sie gar keins. Die G'schicht ist ein wengerl verruckt ausgedacht; jawohl, Herr Praktikant. Aber mir scheint, Sie haben's gern so. Schlagen's ein?«

»Mit Vergnügen!« rief Eisenhut, »vorausgesetzt, daß ich mich um gar nichts zu kümmern brauche.«

»Nicht um das Geringste! Umsehen werden Sie sich ja doch von Zeit zu Zeit, wie's auf Ihrem ehemaligen Rittergut aussieht. Schon aus Höflichkeit für mich. Nicht wahr? . . . Sehr angenehm! . . . Den Kaufpreis, will sagen die Miethe, können Sie alljährlich einnehmen oder auch, wenn Ihnen zu irgend einem Zweck das dienlicher erscheinen sollte, Sie können nach Maßstab des ersten Jahres die ganze Summe sogleich kapitalisirt erhalten. Darüber wird kein Prozeß geführt werden. Bei meinen Lebzeiten schon gewiß nicht und zum Sterben hat's wohl noch eine Weil' Zeit mit Gottes Hülfe . . . Was mich aber bei dem Handel am meisten freut, ist, daß der gestrenge Herr Jurist nun halt doch mit Schicksal und Glück der Bauerndoktorin verbandelt ist, mit der er bei Leib nichts Geschäftliches hat gemein haben wollen, und daß Sie im Stillen – denn Niemand will seinen eigenen Schaden – dafür beten müssen, daß mein Plan gelingt, mein Werk gedeiht und meine Häuserln sich gut vermiethen.«

Sie lachte laut und Eisenhut lachte mit. »In diesem Sinn mag's gern geschehen!« sprach er. »Auch wenn's mir keinen Vortheil bringen sollte, werd' ich Ihnen zu allem Guten, was Sie treiben und bereiten, alles Glück wünschen.«

73 »Und ich danke schön für diesen guten Spruch, denn Schlechtes treib' ich ohnehin nicht!« sprach sie und er antwortete:

»Ich glaub' es!«

Darauf reichten sie sich zur Bekräftigung ihres wunderlichen Vertrags und endlich zum Abschied die Hände. Sie gingen noch einmal miteinander die Bauanlagen entlang. Er fragte noch Dieß und Das, mehr aus Höflichkeit denn aus Neugierde. Dann gab sie ihm auf der schmalen Fahrstraße bis zum Kirchlein Mariatannerl das Geleite.

Ehe sie sich trennten, blickten sie noch einmal hinab auf die vom hohen Mond überglänzten Fundamente. Sie lagen wie ein in Silberlinien gezogener Grundriß vor ihren Füßen, nur zum kleinsten Theil durch die letzten Waldbäume vergittert. Eine schwarze Schattenmenge sah das im Busch versteckte Kirchlein ihnen über die Schultern. Nur hier und dort traf ein Mondenstrahl einen der verwitterten Schnörkel der schmucklosen Fassade, je nachdem die im Winde sausenden Bäume ihre Zweige hin und wieder bewegten. Die Uhr an dem Thürmchen holte zum Schlag aus, stockend, heiser und rasselnd. Ihr Unbehagen deutlich im Gesicht ausdrückend, wandte die Moosrainerin die Augen gegen das unsichtbare Schlagwerk zurück, und kaum daß dieses sein Geschäft beendet, sprach sie: »Dafür muß ich auch sorgen, daß unsere liebe Frau im Wald einen andern Klingklang auf's Thürmerl kriegt. Wenn meine Patienten den abscheulichen Kukuk hören, läuft mir einer nach dem andern 74 davon. Das ist kein Glockenspiel für Kranke! Denken Sie sich Einen, der schlaflos, vielleicht in Schmerzen auf sei'm Bett liegt, und alle Viertelstunden klopft ihm so ein Nachteulenkonzert an die Fenster: der kann kein Aug' zumachen, fürchtet sich zu Tod und am andern Morgen ist er elender dran als gestern. Auch dafür muß g'sorgt werden und zwar ohne Verzug!«

Sie machte sich einen Knopf in's Taschentuch. Eisenhut fragte derweilen:

»Warum haben Sie Ihre Heilanstalt so nah' an dem Wallfahrtskirchlein gegründet? Fürchten Sie nicht, daß man Sie sehr belästigen wird?«

Ueber Augen und Lippen der Bauerndoktorin ging ein eigenthümliches Lächeln, das ihren Zügen einen ältlicheren und befremdlichen Ausdruck gab, während der Mondenstrahl ihm alle seine Farbe nahm.

»Fürchten?« sagte sie, »hoffen, guter Mann! Ich hoffe sehr auf Belästigung. Um recht über und über belästigt zu werden, eben deßhalb hab' ich mich hier am Wald breit niedergelassen und mich auf möglichst viel Belästigung einzurichten bedacht. Mariatannerl hat Ruf und Zug unter dem Volk. Sie sind's gewohnt von Altväterzeiten her, da heraus zu pilgern schaarenweise und Hoffnung, Stärkung und Heilung für allerhand Gebrechen und Schmerzen zu erbitten. Die Menschen sind Heerdenthiere und ein Narr macht immer zehne; wo Einer den Weg hinweist, folgt ihm gern ein Dutzend nach. Jetzt geht dann Einer mit dem Andern, der Eine 75 zur Kirch', der Andere zum Spital, oft auch der Eine von der zu dem. Wem der Glauben allein nit hilft, der klopft nachträglich auch noch bei der Doktorin an, und wo die Bauerndoktorin nix fertig kriegt, da hilft vielleicht die heilige Mutter Gottes noch mit ihrer Fürsprach' aus. Ein bissel Heiligkeit schad't bei kei'm guten Werk. Und so werd' ich dem lieben Kircherl ganz gewiß nicht schaden – und mir die Kirch' erst recht nicht!«

Eisenhut wollte just bemerken, daß es die Bauerndoktorin wie ein schlauer Geschäftsmann anstelle, der die Mittel erwirbt, seine Bude an einer der belebtesten Straßen der Stadt aufzuthun. Sie kaufte sozusagen in jenem Grund und Boden auch die alte beliebte Firma Mariatannerl und ihre große Kundschaft mit, die das ganze Kapital ihrer Beliebtheit in der Moosrainerin Heilgeschäft arbeiten ließ, ohne dafür Zins zu verlangen. Denn selbst die kleinen Geschenke, welche die Freundschaft mit der Frömmigkeit erhalten sollten, wie die versprochene Uhr mit dem angenehmen Schlagwerk, kaufte Jene, genau betrachtet, weit mehr ihren Patienten als der Kirche.

Jedoch die Moosrainerin hatte diese seine Gegenrede nicht abgewartet. Mit einem kurzen »Gute Nacht!« hatte sie ihre letzten Bemerkungen geschlossen und während der Praktikant sich seine Gedanken machte, sah er die dunkle Gestalt in großen, fast unweiblichen Schritten waldabwärts gegen den Neubau wandeln. Das blasse Himmelslicht warf ihren Schatten langhin über die glänzenden Fundamente. Je 76 weiter sie wandelte, desto mehr schien sie selbst zum Schatten zu werden.

In einem Bretterschuppen, oder was sonst das barackenartige niedrige Gefüge war, welches seitwärts von den Bauten sein schräges Dach gegen den Mond glänzen ließ, verschwand sie. Ein Hund schlug einmal scharf an. Dann war Alles still und die Gegend leer. Nur Mond und Wald und dünne Dunstschleier, die fern über der Ebene am Horizont hinzogen, boten sich der Betrachtung dar.

Eisenhut kehrte sich auf seinen Hacken um, pfiff seinem Dachs und machte sich endlich auf den Heimweg, eben da's Mitternacht schlug auf dem alten Rasselwerke – dem ja auch bald das letzte Stündlein schlagen sollte. Wird die neue Glocke Wallern und Wohnern bessere Zeit ansagen als die alte, die sich seit ein paar hundert Jahren mit dieser Pflicht befaßt und endlich in der Feuchtigkeit des Waldes einen Stockschnupfen bekommen hatte, der ihr die Stimme verdorben?

Es wollte Eisenhut, wie er so im Ausschreiten über diese Frage nachdachte, nicht gelingen, sie herzhaft zu bejahen. Manches, was die Moosrainerin gar einleuchtend vorgebracht, es schien ihm hinterher wohl anfechtbar. Unter ihren Vorschlägen und Zumuthungen waren Dinge, mit denen er sich nie zu befassen gedacht; Fragen, deren Behandlung ihm immer nur die allergrößte Langweile verursacht hatte. Und seltsam! Nun das Exempel ihm war vor Augen demonstrirt worden, hatt' es ihm eingeleuchtet; nun die Nutzanwendung 77 in seine eigene Tasche fließen sollte, konnte sich's der ehrliche Mensch nicht wegleugnen, daß er Geschmack an der Darstellung gefunden hatte. Nachträglich ärgerte ihn das. Er verwünschte den Bartels-Damian noch einmal. Wollte von dem ganzen Handel nichts weiter hören und das romantisch aufgestutzte Geschäft gleich morgen wieder rückgängig machen.

Aber darauf mußte er sich wieder sagen, daß das ohne Sinn und Gewinn und nur eine zwecklose Kränkung sei. Das Aeckerchen war doch nun einmal sein Eigenthum. Er hatte vordem sein Geld dafür gegeben. Freilich nur einen Bettel und jetzt war es das Hundertfache werth geworden. Aber werth geworden durch den Unternehmungsgeist dieser Frau, nicht durch sein Zuthun! Durfte er dann Gewinn nehmen, den er nicht verdient? . . . Nahmen ihn die Anderen nicht auch? War ein Arg', ein Unrecht von seiner Seite dabei? Ward irgend Jemand durch sein Geschäft benachtheiligt? . . . Nicht im Mindesten! . . . All' das ging rasch durch seinen Kopf. Er war nicht geübt, kaufmännisch zu überlegen. Sorgloser Gewohnheit und neu im Bewußtsein, etwas zu besitzen, empfand er es wie eine Schande, daß er Gewinn einstreichen sollte, wo er keine sichtbare Arbeit geleistet, keine Arbeit, die ihm Kopfzerbrechen oder Schweiß gekostet hatte.

Als er aus dem Walde kam – er mochte kaum eine halbe Stunde gegangen sein – da hört' er's von einem Kirchthurm im Moose schlagen. Seltsam, war das nicht 78 halb Zwei? Er zog seinen eigenen Stundenzeiger aus der Tasche. Richtig halb Zwei! Der rostige Zeitmesser an dem Wallfahrtskirchlein blieb also, sorglos und altersschwach, um eine Stunde hinter der anderen Welt zurück.

Eisenhut mußte lächeln. »Es wird doch gut sein,« sagte er, »wenn die Bauerndoktorin eine neue Uhr in den Wald stiftet, damit man auch um Mariatannerl herum wisse, wieviel es geschlagen hat.« 79

 


 


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