Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Max Eisenhut wollte an demselben Tage keinem seiner beiden Freunde in den Weg laufen. Er wollte weder vom Florian Noderer bedankt, noch vom guten Pfarrer gescholten sein und überhaupt von der abgethanen Sache nichts mehr hören.

Früh am Morgen, eh' noch ein Beter zur Kirche wallte und eh' ein Wirthshaus seine Laden öffnete, war er aus dem Dorf in den Wald gegangen. Er hatte zwar die Flinte über der Schulter hängen, aber mehr aus Gewohnheit, denn aus Absicht, irgend einer Kreatur ein Leid zu thun. In ihm war eine Unrast, die ihn nicht zu Hause litt. Die angekündigte Bestallung, meinte er, blieb' ihm zu lange aus; hätte Schnauzenberg doch lieber gar nichts verrathen, als ihn jetzunder so zwischen Ungewißheit und Erwartung hangen zu lassen.

Aber das war's nicht allein! Er hatte Florence seit acht Tagen nicht gesehen und dieß Fernsein von der Geliebten war ihm kaum mehr erträglich. So kam es denn 233 wohl nicht ganz zufällig, daß er, nach etlichen Stunden bei höherer Sonne aus dem Waldesdickicht tretend, auf einer Halde Rast machte, von der man auf Mariatannerl entzückende Aussicht genoß.

Es war ein wundervoller Spätsommermorgen. Noch waren die Bäume alle grün. Ein Gewitter, das in der Nacht niedergegangen, hatte auf allen Gräsern dichtgereihte Perlen liegen lassen, die nun in Sonnenfarben rings um ihn blinkten. Wohin er in's Thal sah, wogten die Halme mit schweren Häuptern, der Mahd gewärtig. Wie ein Schatz im Grünen prangte auf gegenüberliegender Höhe die Ansiedelung der Moosrainerin zwischen Wiesen und Wald. Die neuen Häuser glänzten in der Sonne so einladend. Aus den Schornsteinen zog der Rauch des Frühstücks geradeaus in die wolkenlose Luft. Von dem Thürmlein der Wallfahrtskirche zog feierlicher Glockenklang über die stille Gegend.

Dort an der Ecke das Haus mit dem zierlichen Giebel, das ist Distelfeld. Dorthin ging des einsamen Mannes Gruß und sein Auge wollte sich lange nicht von ihm wenden, obschon er zu ferne stand, um die einzelnen Farbenpunkte, die sich dort etwa regten, als Menschen oder gar Persönlichkeiten zu erkennen.

Noch einmal kam ihm Schnauzenberg und seine Botschaft in den Sinn. Wie lange Jahre hatte er sich über das Ausbleiben jeder Beförderung getröstet und jetzt zählte er die Stunden in Ungeduld, bis endlich der ersehnte Brief mit dem großen Siegel des Ministeriums erschien. Freilich, 234 mit dem Brief in der Tasche hatte er einen Gang vor, einen Gang dorthin nach Distelfeld, wo über sein Lebensglück entschieden werden sollte. Und je länger dieser Gang aufgeschoben wurde, desto zweifelhafter schien ihm sein Erfolg. Hätte er am Tage nach seinem ersten Besuch den Brief erhalten, er wäre heute schon glücklich. Was aber konnte nicht Alles mittlerweile geschehen, besonders bei so vornehmen, verwöhnten Leuten, bei so jungen und schönen Mädchen. Wenn er eines Tages erführe, daß ein anderer Mann ihre Gunst gewonnen, Florencens Jawort erhalten, was wäre ihm dann Amt und Ansehen noch werth? Nicht mehr als vordem, da er nach keinem getrachtet, da er die schönen Zwillingsschwestern noch nie gesehen. Aber die behagliche Philosophie, mit der er sich sonst getröstet, die stille Lust am Walde und der bedürfnißlose Gleichmuth – die waren einfür allemal dahin. Er hatte wünschen und verlangen gelernt in diesen Wochen, und der Leichtsinnige, der langvor ein Meister geworden war im Entbehren und Verschmerzen, er fühlte nur zu tief, wenn der eine Wunsch, wenn das holde Wesen mit dem redenden Blick nicht sein ward, so ward er unglücklich für des Lebens Rest.

Er saß auf einem abgehauenen Baumstamm, beide Hände um den Lauf seiner Büchse gefaltet, und sann so hin, die Augen in's Weite bohrend, während die Glocke von Mariatannerl in Einem fort läutete und läutete, als gält' es, die ganze Welt zur Messe zu laden.

Das Ohr hatte sich an den gleichmäßig hin und her 235 schwingenden Ton schon so gewöhnt, daß Eisenhut erst stutzig ward, als er ihn auf einmal nicht mehr hörte. War die Glocke verstummt? Nicht doch. Der Verliebte schüttelte sich erst jetzt aus seinen Träumereien auf und horchte. Da war nur ein anderes, fernes Tönen, das den ferneren Glockenklang übertönte. Die Glocke klang so feierlich, so klar, so innig; der andere Ton aufdringlich, ungefüge und alle Gedanken zerstreuend.

Es war, als riefe drüben Gott in seiner Milde und lüde selbst die Armseligen und Betrübten zu seinem klaren Trost, und als antwortete hüben, im wüsten Drängen gedankenlose Töne ausstoßend, das vorwärtsdringende Heerdenthier, der Mensch.

Noch war das Geräusch weit, aber Eisenhut erkannte es wohl; dieß nimmersatte Wiederkäuen derselbigen Worte, dieß Knurren, Blöken, Plappern war Gebet oder sollte doch Gebet sein.

Näher und näher kam's und nun sah man auch unten auf der Straße, die ein paar hundert Schritte weit von der Halde zwischen den Feldern hinlief, die Beter ziehen, die also ihre Litaneien abschnurrend gen Mariatannerl hinaufzogen.

Die rothen und violetten Fahnen wallten hoch über den struppigen Häuptern im Winde. Der Firniß ihrer Gemälde und das Gold ihrer Fransen und Quasten spiegelte blitzend den Sonnenstrahl wieder. Die Männlein und Weiblein, die hinter jeder Fahne paarweise dreinwimmelten, ragten nur 236 mit halber Brust aus dem hochwogenden Korn empor, das bis an den Rand der Straße sich drängte und immer nickte und nickte, als grüßten alle Aehren die Vorüberziehenden. An die Wanderstäbe waren große Sträuße von bunten Feldblumen gebunden. Nicht alle vom heutigen Tag, denn viele hingen schon welk und sonnenmüde von den Stöcken herab. Manch' andere dagegen hoben sich hoch und frisch, als wüchsen sie aus dem dürren Knotenholze selbst. Die Menschen waren nicht viel anders anzusehen. Etliche ließen die bestaubten Köpfe tief hängen, Andere reckten sich nur so höher auf, je länger der Weg, je lästiger der Staub, je stechender die Sonne wurde. Alle aber klappten die Lippen unablässig auf und zu und klapperten derbe mit den geheiligten Worten.

Es mußten sich die Pilger aus mehreren Kirchspielen unterwegs schon zusammengefunden haben, denn hier wallten ihrer ein paar hundert hinter einander hin. Die Fahnen folgten sich in stattlicher Anzahl und der fliegende Staub in ihrem Gefolge bildete, hoch hinwirbelnd über strotzende Saaten und grünes Gefild, eine stattliche Wolke, die an den Rändern wie Goldsand flimmernd, in der Mitte grau wie gewitterträchtig anzusehen war. Nur langsam verdünnte sich der Schleier, den die gottseligen Fußtritte über der Gegend hatten aufsteigen machen.

In diesem Augenblick theilte sich von den vordersten Fahnenträgern und Vorbetern eine heftige Bewegung bis zu den letzten Paaren mit, als schüttelte sich eine ungeheure 237 Schlange vom Haupte durch alle Ringe bis an die Schwanzspitze. Offenbar tauchte Denen im Thale jetzt eben beim Umbiegen aus dem Walde der Thurm des ersehnten Wallfahrtskirchleins im Gesichtskreis auf. Die Freude darüber drückte sich sehr verschieden aus. Die Einen reckten die Hände zum Himmel, die Anderen warfen sich auf die Kniee, küßten den Staub und schlugen an ihre Brüste; Einige, die kleine Kinder bei sich hatten, hoben dieselben auf den Arm, damit sie über die Aehren, die ihnen die Häupter überragten, hinweg nach dem funkelnden Dachkreuz zwischen den fernen Bäumen sehen könnten; wieder Andere brachten kurze Flaschen an die Lippen, einen guten Schluck zur Belebung des bußfertigen Leichnams zu thun; die Fahnenträger setzten die Stangen zu Boden und Alle, Alle zogen nach einander ihre rothen, blauen und braunen Taschentücher, um sich die Stirnen zu trocknen, daß es allenthalben nur so flatterte.

Es war ein kurzer Aufenthalt, dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung, erquickt durch den Anblick des ersehnten Zieles, rascher ausschreitend als vorhin und mit verdoppeltem Zungengeräusche.

Erst wie er sie so dahinwallen sah, fiel Eisenhut ein, daß der heutige Feiertag von jeher als einer der Hauptwallfahrtstage für Mariatannerl gegolten habe, daß heute dort viel Lärmen und Gedränge sein, daß Gottseligkeit und Weltverachtung sich in und vor dem Walde sehr breit machen werden und daß ein Weltkind wie er dort kaum am Platze sein möchte. Trotzdem überwog die Hoffnung, daß auch die 238 Bewohner der Villa Distelfeld sich von dem geistlichen Schauspiel würden in's Freie locken lassen.

Wenn er jetzt nach dem Walde hinübersah, konnte er mit freiem Auge merken, daß um den Wallfahrtsort schon viel Getümmel und Getriebe war. Und wandt' er die Augen nach der andern Seite, wo die Eisenbahnstation lag, so konnt' er abermals neue Zuzüge sich schaaren sehen, und wie sie sich reihten und ihre Fahnen in den Wind hoben, um unter Psalmensingen und Litaneienrufen sich gegen Mariatannerl in Bewegung zu setzen.

Eins war vor Allem gewiß: daß man drüben um Speis' und Trank sich balgen mußte, wenn anders diese von Sonnenbrand, Durst und Hunger ausgetrockneten Pilgrime noch eine Krume und einen genießbaren Tropfen übrig lassen würden, bis er hinüberkäme. Selbst die Moosrainerin war an solch' einem Tage von Vettern, Basen, Freunden und Neugierigen so überlaufen, daß ihr Haus zu besuchen kein einladender Gedanke für den alten Praktikanten schien.

Da war der Instinkt zu loben, mit dem er sich heute früh ein tüchtiges Jägerfrühstück in die Waidtasche geschoben hatte. Zur Noth ließ sich mit der Portion den Tag über aushalten.

An's Frühstück denken und zum Essen Lust bekommen ist ein Ding. Er schob den Sack herum, klappte das Messer in den Griff fest und wollte just in's Fleisch schneiden, als er hinter sich im Walde Schritte hörte.

Es war in der zittrigen Luft so viel Gebimmel und 239 Gesang von rechts und links, daß er ein über Moos und Gras herannahendes Paar Beine leicht hätte überhören mögen. Nun machten dieselben aber, über Wurzeln stolpernd und im welken Laube raschelnd, so viel Aufsehen und wurden auch von einem so vernehmlichen Ausruf begleitet, daß Eisenhut unwillkürlich das Haupt zurückwandte.

Da sah er unter den Bäumen einen wohlgenährten Mann. Dieser trug eine weiße Weste, einen Rock von ungebleichter Seide, ein Paar hechtgraue Beinkleider, waschlederne Sommerhandschuhe, vor den stechenden Augen einen goldenen Nasenkneifer, auf dem gutverschnittenen Haar einen grauen Filzcylinder und in der Hand einen Sonnenschirm von der Farbe seines Rocks. Der Mann war offenbar kein versprengter Pilger oder doch ein Pilger von ganz anderer Sorte als diejenigen, welche jetzt eben wieder zunächst auf der Straße auf die Namen aller möglichen Heiligen mit einem schnatternden »Bitt' für uns!« antworteten.

Auch das Gesicht des Mannes, wie es jetzt halb die Anderen dort, halb sich selbst belächelnd vor dem alten Praktikanten stand, war nicht das zerknirschte Antlitz eines ablaßbedürftigen Sündenkrüppels, es schien bei aller Artigkeit mehr zum Befehlen als zum Bitten geeignet und vor Allem eben an's Befehlen gewöhnt, an's Befehlen ohne Lärmen, an Befehle mit einem Wink der Augen, einem Zucken der Lippen. Selbst Eisenhut, der mehr im Walde denn in der großen Welt zu Hause, hielt dieß für das Gesicht eines großen Herrn und er stand unwillkürlich von seinem 240 Baumstrunk auf, um den höflichen Gruß des Fremden zu erwiedern.

Wie dieser über dem Haupte den Hut lüftete, fielen Max bei den rothblonden Haaren, die er sah, die goldenen Zöpfe der Fräulein von Rüdenhausen ein. Aber der Gedanke kam und ging nur so im Fluge. Denn da er seit einiger Zeit bei Allem, was ihm vor die Sinne gerieth, an die Geliebte dachte, so kam es ihm weiter nicht bei, diesen Mann mit den genannten Damen in näherem Zusammenhang zu vermuthen.

»Ich bitte, sich nicht stören zu lassen!« sagte der Fremde. »Sie waren eben im Begriff zu frühstücken, so viel ich sehe. Also keine Umstände!«

»Das hat Zeit, besonders am Feiertage,« antwortete Eisenhut.

»Nehmen Sie mir's nicht übel,« erwiederte Ewald von Rüdenhausen, denn niemand Anderer war der unbußfertige Wanderer, der sich jetzt mit einem Batisttuche die Stirne fächelte, »wenn ich gewußt hätte, wie hier zu Lande dieser Feiertag begangen wird, ich wäre schwerlich in die Lage gekommen, hier oben Ihre werthe Bekanntschaft zu machen.«

»Sie wollen also nicht nach Mariatannerl?«

»O das wohl! Aber die vorlaute Zerknirschung dieser sehr ehrenwerthen Wallfahrer griff mir die Nerven an, so daß ich die Landstraße nicht mehr praktikabel fand, meinen Wagen verließ und einen Waldpfad einschlug, den mir einer dieser ›Bitt' für uns‹ für unfehlbar erklärt hatte, auf dem ich mich aber nichtsdestoweniger verlaufen haben muß.«

241 »Nicht so fast! Hier hinab, dann quer die Landstraße durchschneidend und die Schlucht hinauf kommen Sie wirklich auf kürzestem Wege nach Mariatannerl. Aber Sie haben, wenn ich anders Ihren Schritt richtig taxire, immerhin eine kleine Stunde bis zu den ersten moosrainer Höfen.«

»Dann will ich lieber meinen Wagen hier erwarten, wenn er nicht etwa gar schon vorüber ist.«

»Seit einer Stunde – so lang ungefähr sitz' ich hier – ist keiner des Weges gefahren. Auch thun Sie besser, noch eine Stunde zu warten, dann hat, bis Sie hinübergelangen, das Hochamt begonnen und Sie brauchen nicht den Staub zu schlucken, den alle diese Pilgersohlen vor Ihrem Wagen aufwirbeln lassen. Ueberdieß müßten Sie jetzt im Schritt fahren, und einen Imbiß würden Sie ohne einen Faustkampf oder geistliche Intervention doch nicht erhalten. Da ist es klüger, Sie gedulden sich und nehmen an meinem Frühmahl Theil, wenn Sie sich anders mit der Hand behelfen wollen.«

Rüdenhausen hatte sich während Eisenhut's Auseinandersetzung im Stillen gedacht: Du hast gut reden! Mir aber, der ich kein Waldläufer von Profession bin, knurrt der Magen wie einem vom Sonnenstich und Gewissensbissen geplagten Pilgrim. Der Schluß jener Ansprache jedoch gefiel ihm sehr, so daß ihm auch die ganze Rede des Mannes und der ganze Mann dazu gefiel, und sein Frühstück nicht minder.

242 »Ich nehme Ihre liebenswürdige Einladung dankbar an,« sagte der Verirrte, setzte sich in den Schatten, warf den Hut in's Gras und zog ein englisches Messer aus der Tasche.

Ewald von Rüdenhausen war keiner jener steifkravatirten Geheimen Räthe, die sich vor lauter Würde nie zu lassen wissen und in Folge dessen immer den Eindruck von dekorirten Kanzleidienern machen. Ewald war seiner Würdigkeit und Würde so sicher, daß er mit aller Behaglichkeit sein Benehmen bis an die äußersten Grenzen des Erlaubten gehen ließ, ohne zu fürchten, daß er sich etwas vergeben oder ein Anderer auf den Gedanken kommen könnte, er habe es nicht mit einem vornehmen Herrn zu thun. Seine Herablassung war zuweilen etwas deutlich, aber sie verletzte nie.

So speisten denn die Beiden in aller Behaglichkeit den kalten Braten bis auf den Knochen auf und bedauerten im eigenen wie im gegenseitigen Interesse, daß die lustige Mahlzeit nicht noch einmal von vorn anzufangen ging.

Sie hatten über Prozessionen und andere Gebräuche, über Land und Leute ihre Meinungen ausgetauscht und guten Gefallen aneinander gefunden. Rüdenhausen war im Stillen angenehm überrascht, daß es hier in dieser Gegend so vernünftig denkende Leute gab, wie diesen unverhofften Wirth im freien Walde. Offen gestanden. er hatte sich dessen nicht versehen, denn die Vorurtheile, die über diese Gegend im Schwange, waren ziemlich weit verbreitet. Da er es aber vorzog, sich von einem Eingeborenen über seine Vorurtheile 243 belehren zu lassen, als einen solchen mit herben Meinungen zu verletzen, so freute sich hinwiederum Eisenhut, daß ein Fremder über unseres Landes Verhältnisse so vernünftige Ansichten hatte.

Rüdenhausen merkte wohl, daß er es mit einem gebildeten Menschen zu thun hatte. Mehr als einmal kam ihm die Frage auf die Lippen: Sie sind Jurist? Aber er verschob doch die Vorstellung seiner eigenen Person lieber auf den Schluß der Unterhaltung, um diese nicht möglicherweise doch zu stören.

Er hatte es zu oft erlebt, daß eine zufällig angeknüpfte Bekanntschaft, die sich allerliebst angelassen, in dem Augenblick zu mundtodter Langweile umschlug, wenn er sich als wirklicher Staatsrath u. s. w. zu erkennen gab. Gewitzigt durch solcherlei Erfahrungen, vermied er es, wo ihm ein Gespräch auf der Reise oder eine gemeinsame Mahlzeit unterwegs sich ergab, wie die Fürsten in Kotzebue's Dramen, den Stern auf seinem Kleide früher als im fünften Akt sehen zu lassen.

Erst als sein Wagen bereits eine Stunde unterhalb der Lichtung auf der Straße gehalten hatte und der Kutscher schon so ungeduldig mit der Peitsche knallte, als wollt' er's am Lärmen einer Pilgerprozession gleichthun, stand Rüdenhausen auf und dankte dem unbekannten Wirthe des Jägerfrühstücks mit zierlichen Worten. Dieser gab ihm noch bis zum Wagen das Geleite. Ewald hätte gern gewußt, wer der Mann wäre; doch wollt' er auch nicht mit Fragen 244 belästigen, die vielleicht nicht Jeder gern beantwortet. Darum sagt' er nur so leicht nebenhin:

»Sie sind wohl nicht beim Forstamt?«

»Das eigentlich nicht,« antwortete der alte Praktikant. Die Sitte, sich einander gegenseitig selbst vorzustellen, war des Landes nicht üblich, und bei sich dacht' er: willst du fürnehmes Menschenkind wissen, wer ich sei, so kannst du dich ja herablassen, erst dein hohes Selbst bekannt zu machen.

Dieß that denn Ewald von Rüdenhausen auch. Im Wagen sitzend, die Hand Eisenhut's in der seinen, sprach er:

»Ich danke Ihnen nochmals, mein lieber Herr, für freundliche Bewirthung im Grünen! Wenn Sie einmal nach **** kommen, so geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen in meinem Hause Revanche zu bieten. Meine Wohnung ist leicht zu erfragen. Ich bin der Staatsrath von Rüdenhausen.«

Er zögerte noch einen Augenblick, ob nun der Andere nicht auch seinen Namen nennen würde. Aber es mußte ihm scheinen, als ob bei dem Manne, der leicht erröthend ihn mit großen Augen wie ein Sprachloser anstarrte, eben auch jene Verblüffung Platz griffe, die ihm so oft schon eine behagliche Bekanntschaft in eine ganz ergebenst unausstehliche verzaubert hatte. Derartige Situationen liebte er so kurz als möglich abzubrechen. »Fahr' zu!« rief er den harrenden Kutscher an und winkte dem Zurückbleibenden noch einmal freundlich mit der Hand.

In der nächsten Sekunde zogen die Pferde an. Der 245 Staatsrath lehnte sich bequem in die Kissen zurück, schob die Hutkrämpe vor dem Sonnenstrahl über's Auge und dachte: War das gescheidt, den Rock nicht früher aufzuschlagen. Statt der guten Stunde ungenirt zu genießen, hätte mir eine unausstehliche Unterhaltung den ganzen Tag verdorben, statt eines unverfrorenen Tischnachbarn hätte ich einen katzenbuckelnden Streber gegenüber gehabt, dessen irdische Demuth sich nicht erbaulicher angelassen hätte, als die himmlische Frömmigkeit dieser Bauernlümmel. Schade, daß fast in jedem Menschen eine Bedientennatur steckt. Wie gut darum, inkognito zu reisen!

Eisenhut war von dieser Begegnung nun freilich in anderem Sinn überrascht worden. Das also war der Mann, der eines Tages über sein Lebensglück mit einem Ja oder Nein entscheiden werde. Wer weiß, wenn jener sich früher entdeckt hätte, wie weit das Gespräch gediehen wäre. –

Er stand wieder droben am Waldrande und sah hinab, wie hinter den fliegenden Wagenrädern die Mittagssonne den Staub vergoldete, als, schon ziemlich weit, dem Mann im Wagen ein seltsamer Gedanke kam

»Wenn der Mann in der Joppe am Ende gar jenes Original wäre – halt, Kutscher! Halt!«

Ewald richtete sich im Wagen hoch auf und schaute zurück. Da stand der Mann unter den Bäumen. Der Wind spielte mit den Wildfederchen auf seiner Filzmütze und auf seinem Gewehrlauf blitzte ein Sonnenstrahl.

Rüdenhausen winkte mit dem Taschentuche.

246 Der Andere nahm's für einen arglosen Gruß, den er kurz mit der Hand zurückgab, und schlug sich in's Dickicht des Waldes.

Der Staatsrath zuckte mit den Achseln, warf sich in die Wagenecke, daß die Federn ächzten, und sprach:

»Auch gut! Also zugefahren, Schwager!« 247

 


 


 << zurück weiter >>