Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Der Nachtmarsch machte den Fußgänger ungeduldig. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, der heut' um den gewohnten Labetrunk gebracht war. Es ist für den Altbayern, der sonst viel vertragen kann, sehr ungesund, wenn er des Abends nicht zu Biere kommt. Und das soll insbesondere für alte Praktikanten und Jagdliebhaber noch ungesunder sein als für andere Landsleute.

Eisenhut legte fliegenden Schrittes den Weg zurück. Der kurzgestellte Vierfüßler mußte sich in sanften Galopp setzen, um nicht zurückzubleiben. Vom raschen Gang ward die Gurgel immer trockener. Der Pfad führte an keinem Hause vorüber, und hätt' er vorübergeführt, war doch keine Thüre mehr offen. Ueber dem ganzen Moos wachte zu dieser Stunde kaum eine Seele mehr. Der Wasserkrug daheim versprach allein noch Trost.

Endlich sah er die Höhe vor sich, welche sein Dorf und über diesem den Hofgarten und das Landgericht trug. Er war auf anderem Wege gekommen als gegangen, weil er 80 den Rückweg durch Dick und Dünn nicht mehr zu finden sicher war und trotz der späten Zeit lieber einen kleinen Umweg machen, als irgendwo auf einen falschen Pfad oder gar in einen Sumpf gerathen wollte.

So hatte er, den neuen Bahnkörper entlang schreitend, unterhalb des Berges das Dorf erreicht, da wo seit Kurzem die hübsche Brücke über den Fluß geführt und das Stationsgebäude errichtet war. Auch hier Alles dunkel und stille. Das Gebäude war noch nicht bezogen. Die Eröffnung der Strecke sollte erst in etlichen Tagen stattfinden. Kaum aber daß der nächtliche Wanderer um den kleinen Bahnhof herumgegangen, stachen ihm aus einem Nebengebäude zwei hellerleuchtete Fenster in die Augen.

Es mußte das neue Wirthshaus sein. Und darin waren die Gäste so spät noch wach? Was für Gäste? Das Geräusch ihrer Stimmen ließ auf eine beträchtliche Anzahl dieser Nachtschwärmer schließen.

Bevor Eisenhut die Thürklinke in die Hand nahm, warf er einen Blick durch die Scheiben.

Er sah in einen langen, kahlen Saal, dessen weißgetünchte Wände noch von frischer Feuchtigkeit zu glänzen schienen. Auf seinen Bänken saßen und lagen in wirren Gruppen bärtige Männer mit bunten Hemden, kurze Pfeifen zwischen den Zähnen, breitkrämpige Filzhüte auf dunklen Haaren. Fremde Leute, die zur Bahnarbeit über das Moos gereist waren, und da es in der Eile an Unterkunft fehlte oder weil sie noch vor Tag aufbrechen mußten, gleich in der 81 Schenke übernachteten. Die Einen schliefen lang ausgestreckt, ohne sich um das Geplauder und Gesumme ringsum zu kümmern; Andere sangen laut und stießen im Takte mit den Gläsern an; wieder Andere rekelten sich zwischen Müdigkeit, Rausch und Schlaf auf ihren Stühlen aus, mit den bewußtlosen Häuptern träumerisch hin und her wackelnd; nicht Wenige ereiferten sich im Glücksspiel und die Tische klangen unter den derben Knöcheln, welche die Karten aufwarfen. Vor Jedem aber stand ein Fläschchen oder Glas. Ein Mann, der eine Fidel strich, saß auf einem Tisch in der Ecke, einer mit einer Ziehharmonika neben ihm.

Mitten in der Stube ging der Wirth auf und nieder, nickte dem Einen zu und gab dem Andern ein gutes Wort und rieb sich dabei in Einem fort die Hände wie ein Mensch, der mit seinem Geschäfte sehr zufrieden ist und sich nichts Besseres wünscht als: morgen wie heute!

Der Beobachter vor dem Fenster staunte und vergaß trotz seinen brennenden Durstes, bei dem lächelnden Wirth einzutreten, denn dieser war kein Anderer, als der alte fette Zlabinger, der, obschon er des Lästerns kein Ende fand, sich doch in die verwünschte neue Zeit zu schicken wußte. Zu dem alten Gasthaus im Dorfe, darauf er von den Fuhrleuten reich geworden war, hatte er nun auch die Restauration an der Eisenbahn erhalten und die Geschäfte schienen sich gut anzulassen.

»Seltsam, seltsam!« murmelte der alte Praktikant vor sich hin. »Die beiden hartgesottenen Freunde, die sich der 82 Anlage der Bahn so lang als möglich entgegengestemmt und vom Ausbleiben derselben den größten Vortheil gezogen haben, gerade diese sind die Ersten und Eifrigsten, die neue gute Gelegenheit auszubeuten.

»Während sie den ganzen Tag über Städter, Juden und Freimaurer klagen, kauft der Eine alle Grundstücke zusammen, um sie der Moosrainerin zu seinem Vortheil wieder zu verkaufen, und der Andere läßt seine Fässer den Berg hinabrollen und thut ein zweites Wirthshaus auf, größer als das erste.

»Wahrlich, mich will bedünken, daß zu allen Zeiten und unter allen Umständen die Eigennützigen und die Geldgierigen ihren Vortheil finden, und daß Diejenigen, die dem Neuen widerstreben, nur Andere davon abhalten wollen, ihren Gewinn daraus zu ziehen, auf daß sie selber sich desto ungestörter aller seiner Früchte bemächtigen können.«

Der Zlabinger war alt, war reich; er halte seine Kinder überlebt und wußte nicht, was er mit dem Gelde, das er schon besaß, anfangen sollte. Und doch mied er den Schlaf und knixte und grinste und trippelte unter dem verdächtigen Gesindel da hin und her, mischte sich in unziemliche Scherze und steckte, wie's eben kam, auch manche Grobheit ein – und Alles nur, um den elenden Taglöhnern so viel als möglich von ihren sauer verdienten Groschen abzunehmen und am Ende des Jahres um ein paar hundert lumpige Gulden reicher zu sein, sich reicher zu wissen, als er schon ohnehin sich wußte.

83 Eisenhut hatte kein Verständniß für solches Thun, für solches Begehren. Er schüttelte den Kopf. Der alte Mann war ihm widerlich. Und wie er kurze Zeit vorher vom Einbruch fremder Menschen, vom Einfluß neuer Verhältnisse für seine Ruhe, sein Behagen gefürchtet hatte, so beschlich es ihn jetzt wie ein Sehnen nach neuen Gesichtern und fremden Dingen. Jahrzehnte lang war ihm dieß Sehnen fern geblieben und jetzt auf einmal, mitten in der Nacht, fiel es ihn an. Es dünkte ihn bare Thorheit. Aber schlechter, eigensüchtiger und verschlagener konnten die Anderen auch nicht sein, als die lieben Nachbarn hier, die sich erst jetzt in ihrer ganzen Erbärmlichkeit vor ihm entschleierten. Und langweiliger waren sie gewiß nicht. Die unverhoffte Unterredung mit der Moosrainerin hatte ihm doch frische Gedanken gegeben, hatte ihn einen Blick in weitere Verhältnisse thun lassen. Freilich auch alle Unruhe, die ihm jetzt im Blute saß, kam von dieser Begegnung. Nun wandelte ihn vollends der Gedanke an, ob sein ganzes bisheriges Leben nicht ein verfehltes war?

Aber Eisenhut war nicht darnach geartet, sich lange von trübsinnigen Einfällen plagen zu lassen. Er lachte sich selbst aus. »Verfehlt? Warum?« Weil er nicht auch um Groschen und Pfennige seine Tage verfuchste? Weil er nicht auch jedem lumpigen Kerl um den Bart ging, damit dieser seine Kundschaft nicht über die Straße trüge? Weil ihm der Vogel in der Luft begehrenswerther schien, als der Geldsack in seines Nachbars Tasche? Weil der stumme Waldmann 84 ihn bessere Gesellschaft dünkte, als der eifrige Bartel und der erfindungsreiche Zlabinger? Weil es ihm gleichgültig war, ob die Uhren an den Kirchthürmen hell oder heiser schlugen? Weil er den abgenutzten grünen Kragen seiner Joppe für schöner hielt, als den rothen seines Landrichters mit dem goldgestickten Zickzack drauf?

Wenn sich die Spitzbübischen und die Habgierigen nicht zu ändern brauchten in der neuen Zeit, warum sollte denn er seinen Frohsinn schwarz färben lassen und seinen Gleichmuth in die Rumpelkammer werfen? Pah! Auch er wollte bleiben, wie er war, wollte sich in guten und schlechten Gewohnheiten nicht weiter stören lassen. »Und so fortan!« rief er.

Er hatte seine Heiterkeit wieder. Die Sorgen, die ihm in den letzten beiden Tagen angeworfen worden, sie waren wieder abgeschüttelt. Nur der Durst, den er aus dem Walde gebracht, war derselbe geblieben wie vor einer Stunde.

Aber er mußte glauben, daß ihm Zlabinger's Bier sauer munden würde. Es ekelte ihn, über die Schwelle zu treten. So trug er den großen Durst nach Haus und sein wiedergewonnener Gleichmuth hatte auch noch die Folge der neuen Zeit zu überwinden, daß er – man kann es ohne Schaudern nicht niederschreiben – zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren – man wird es ohne Schaudern auch kaum lesen – mit eitel Wasser seinen Durst gelöscht. 85

 


 


 << zurück weiter >>