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8.

Doktor Blomberg, der die Voruntersuchung im Falle Brintner führte, ging in seinem Büro auf und ab.

Was sollte er eigentlich denken von der Sache? Hatte er sich übereilt, als er die drei, gegen welche sich die Volksstimme erhob, verhaften ließ?

Je weiter die Untersuchung vorwärtsschritt, desto verwirrter schien ihm die Angelegenheit zu werden. Und anfangs schien alles so klar!

Da war dieser alte Mann, der im Ausgedinge lebte, sich mit Sohn und Schwiegertochter schlecht vertrug und ihnen offenbar im Wege war. Er besaß noch ein bedeutendes Barvermögen, auf das sie warteten. Gerüchtweise verlautete, daß er wieder heiraten wollte, wodurch das ersehnte Geld in fremde Hände gekommen wäre.

Diese Tatsachen ergaben ein Motiv. Wenn der Alte starb, erbten die Jungen, und die Heirat wurde verhindert.

Aber die Hausdurchsuchung hatte nichts ergeben. Die Indizien beschränkten sich auf Gerüchte. Diejenige, die den ersten Verdacht gegen Andres Brintner ausgesprochen hatte, war die Frau, die der Alte angeblich heiraten wollte, und sie mußte schon bei der ersten Vernehmung zugeben, daß dieser Verdacht nur eine persönliche Vermutung war, gestützt auf die Klagen des Ermordeten. Die Miene Doktor Blombergs wurde immer nachdenklicher. Gestern hatte ihm der Zellenaufseher gemeldet, daß Andres Brintner fortwährend wirres Zeug rede und behaupte, die Zelle sei voll schwarzer Männchen, vor denen er sich nicht retten könne.

Der Gefängnisarzt sprach von Psychose, Säuferwahnsinn und den möglichen Wirkungen der plötzlichen Alkoholentziehung. Aber er gab zu, daß es sich auch um Simulation handeln könne.

Vielleicht reuten ihn seine Beschuldigungen, und der Ausruf seiner Frau bei der Konfrontation: »Er ist ja närrisch geworden!« hatte wie ein Stichwort gewirkt, ein Fingerzeig, in welcher Weise er seine Geständnisse abschwächen könne.

In dieser Lage schien es dem Untersuchungsrichter vor allem wichtig, das Gerücht über die angeblichen Heiratsabsichten des Ermordeten sicherzustellen.

Erwies es sich als wahr, dann war dies ein starkes Motiv, das für die Täterschaft des Brintnerschen Ehepaares sprach.

Aus diesem Grunde hatte er heute bereits eine Reihe von Zeugen vernommen. Ihre Aussagen lauteten sehr verschieden. Die Kellnerin Rosa Werndl aus der »Sonne« blieb sehr bestimmt bei ihrer ersten Angabe, sie habe es mit eigenen Ohren gehört, wie der alte Brintner ihrer Frau einen »Antrag« gemacht habe. Andere Bedienstete des Hotels sprachen nur von »Vermutungen« und »Wahrscheinlichkeit«.

Justina Brintner gab zu, das Gerücht auch gehört zu haben, erklärte aber sehr bestimmt, sie habe ihm keinerlei Bedeutung beigemessen, sondern es bloß als Tratsch betrachtet. Ihrer Meinung nach habe der Schwiegervater nur darum so viel in der »Sonne« gesessen, weil er leider ebenso wie sein Sohn eine Vorliebe für das Trinken gehabt habe.

Dies wurde von anderer Seite ebenso bestimmt in Abrede gestellt. Der alte Brintner sei lange Jahre Bürgermeister in Kalkreut gewesen und habe als solcher im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden, und kein Mensch sah ihn je betrunken. Im Gegenteil, er sei ein sehr mäßiger, nüchterner Mann gewesen.

Wer hatte nun recht? Der Untersuchungsrichter war so vertieft ins Nachdenken, daß er beinahe die Meldung des Bürodieners überhörte, die vorgeladene Antonie Maibach sei draußen. Auch Frau Kreibig und ihr Bruder warteten bereits, und er habe letztere, dem erhaltenen Auftrag gemäß, in ein besonderes Gemach geführt.

»Schön. Dann führen Sie also die Maibach zuerst vor, Ziegler.«

Toni erschien, tiefschwarz gekleidet, sehr bleich, mit niedergeschlagenen Augen. Sie gab ihre Aussagen mit ruhiger, fester Stimme ab.

Nein, getrunken hätte der Vater bestimmt nie. In die »Sonne« sei er wohl zumeist nur aus alter Gewohnheit gegangen, vielleicht auch, um sich bei Frau Kreibig, die er seit ihrer Mädchenzeit kenne, auszureden.

»Fanden Sie nichts Auffälliges in diesem häufigen Verkehr?«

»Durchaus nicht. Der Vater war auch zu Lebzeiten Herrn Kreibigs täglicher Gast in der ›Sonne‹. Er war Trauzeuge bei Herrn Kreibigs Hochzeit, sein Freund und auch ein Jugendfreund des früheren Besitzers, Herrn Foreggers.«

»Ah, die ›Sonne‹ gehörte Kreibigs Schwiegervater? Aber da war doch ein Sohn, der jetzt Geschäftsleiter ist. Warum erbte der nicht die Wirtschaft, sondern sein Schwager?«

Ein schwaches Rot stieg in Toni Maibachs blasses Gesicht.

»Valentin Foregger hatte früher keine Neigung zum Wirtsgeschäft. Er war als junger Bursche nach Amerika gegangen, und man hörte lange nichts mehr von ihm. Sein Erbteil bekam er in Geld. Erst nach seines Schwagers Tod kehrte er nach Kalkreut zurück, um der Schwester eine Stütze zu sein.«

»Er ist wohl ein sehr tüchtiger Mann?«

»Das ist er! Ohne ihn wäre die ›Sonne‹ nicht so rasch aus einem einfachen Landgasthof das geworden, was sie heute ist!«

»Sie verkehren mit den Geschwistern?«

»Ja.«

»Welchen Eindruck haben Sie von Frau Kreibig?«

»Sie ist eine tüchtige, charaktervolle Frau.«

»Ist sie gefallsüchtig?«

»Durchaus nicht.«

»Meinen Sie, daß sie mit der Absicht umging, wieder zu heiraten?«

»Das glaube ich nicht. Wenn sie es hätte wollen, würde sie es längst getan haben. Ihr Mann ist drei Jahre tot, und an Bewerbern hat es sicher nie gefehlt.«

»Die Fama behauptet, auch Ihr Vater habe zu diesen Bewerbern gezählt. Haben Sie etwas Derartiges bemerkt?«

»Nie! Ich erfuhr erst davon nach seinem Tode und bin überzeugt, daß es nur albernes Gewäsch ohne jede tatsächliche Grundlage ist.«

Nach Toni Maibach wurde Valentin Foregger gerufen. Toni stutzte, als sie im Hinausgehen den Namen hörte, und wurde rot, als sie Foregger im Vorzimmer unerwartet gegenüberstand.

Mit aufleuchtendem Blick wollte sie auf ihn zueilen, er aber prallte bei ihrem Anblick zurück.

Blässe überzog für einen Moment sein Gesicht, dann zog er stumm den Hut und eilte wie ein Fremder an ihr vorüber.

Mit großen Augen blickte sie ihm nach.

Was sollte das bedeuten? Seit wann wollte er sie nicht mehr kennen?

Dann schoß ihr das Blut ins Gesicht, und sie warf den Kopf trotzig zurück.

Schämte er sich ihrer Beziehungen vielleicht plötzlich, seit seine Schwester die Ihren ins Gefängnis gebracht hat? Er hielt ja immer sehr auf seinen guten Ruf vor den Leuten.

Aber das brauchte sie sich doch nicht gefallen zu lassen. Da hatte sie auch noch ein Wort mitzureden. Nun hatte sie ihr Erbteil, auf das sie beide immer ihre stillen Hoffnungen gesetzt und Pläne gebaut hatten! Sie beschloß, ihn hier zu erwarten.

Im Büro des Untersuchungsrichters beantwortete der Geschäftsleiter indessen die ihm vorgelegten Fragen.

Nein, er hatte nie etwas bemerkt von einem Liebesverhältnis seiner Schwester mit dem Ermordeten. Brintner war einfach Stammgast in der »Sonne« gewesen, nichts weiter. Die Vermutungen der Kellnerin seien Gewäsch. Wer weiß, was die Person sich einbilde, gehört und gesehen zu haben. Ob er etwas dagegen gehabt hätte, wenn seine Schwester Brintner hätte heiraten wollen? Durchaus nicht. Wie hätte er denn können, da sie doch ihre eigene Herrin und er von ihr abhängig sei!

Ob er an den von ihr gegen die jungen Brintners erhobenen Verdacht glaube? Keineswegs! Er sei vielmehr im Gegensatz zur herrschenden Stimmung fest überzeugt, daß sie ganz unschuldig seien und daß das Verbrechen von einem Ortsfremden begangen wurde.

»Ein solcher konnte trotz sofortiger Suche nirgends entdeckt werden«, wandte Doktor Blomberg ein. »Auch deuten die vielen Stichwunden auf persönlichen Haß hin.«

Valentin zuckte die Achseln.

»Ich könnte mir ganz gut denken, daß irgendein zufällig vorübergehender Stromer durch einen Spalt im Vorhang Licht bei dem Alten sah und ihn beim Geldzählen beobachtete. Er soll das ja mit Vorliebe getan haben. Dadurch wurde die Habsucht des Fremden geweckt, er stieg durch das Fenster ein, überfiel Brintner, dieser wehrte sich, und so mag wohl in dem Angreifer auch der Haß aufgeflammt sein, der für den Augenblick alle anderen Gefühle überwog.«

Der Untersuchungsrichter nickte. »Möglich wäre es ja. Immerhin spricht gegen die Angeklagten sehr vieles.«

Dann entließ er Valentin Foregger.

Ziegler wurde angewiesen, Frau Kreibig hereinzuführen.

Als Valentin das Vorgemach betrat, wandte sich Toni Maibach vom Fenster ab und trat auf ihn zu.

»Auf ein Wort, Herr Geschäftsleiter!«

Peinlich überrascht sah er sie an.

»Du – Sie sind noch hier?«

»Ja. Ich habe auf Sie gewartet.«

In diesem Augenblick erschien Frau Berta, von Ziegler geleitet. Auch sie schien peinlich berührt von Tonis Anwesenheit, grüßte steif und trachtete, rasch an ihr vorbeizukommen.

»Ich warte unten auf dich, Berta«, flüsterte ihr ihr Bruder hastig zu und folgte dann Toni, die stumm die Treppe hinabstieg.

*


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