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18.

Die Verhandlung über den Mord an Michael Brintner war in vollem Gange, der Schwurgerichtssaal bis auf das letzte Plätzchen gefüllt.

Das Hauptinteresse konzentrierte sich natürlich auf die vier Angeklagten, die ein sehr verschiedenes Bild boten.

Während Konrad Fercher bleich, aber ruhig dasaß und dem Gang der Verhandlung folgte, schien Andres Brintner kaum darauf zu achten, was die verschiedenen Zeugen aussagten. Gedrückt starrte er vor sich hin, der Vorsitzende mußte manche Frage zweimal wiederholen, ehe er Antwort gab.

Auch Justina schien äußerlich ruhig, aber ihre Augen flatterten zuweilen mit unruhigem Glitzern zu den Geschworenen hinüber, und bei manchen belastenden Aussagen der Zeugen mußte sie sichtlich alle Kraft aufbieten, um nicht heftig aufzufahren. Allen dreien sah man die dreimonatige Untersuchungshaft an.

Der Knotzen-Lipp dagegen strotzte vor Gesundheit, sein Gesicht war rund, ein behagliches, zuweilen triumphierendes Grinsen lag um seinen Mund.

Seine Antworten waren teils verworren, teils merkwürdig klar und gipfelten einerseits in der steten Behauptung: »Alle vier haben wir's getan«, andererseits in einem achselzuckenden »das weiß ich nimmer«, so daß der Vorsitzende einmal ärgerlich bemerkte: »Was dem Knotzen-Lipp halt nicht paßt, daran kann er sich nicht mehr erinnern.«

Anfangs wurde über verschiedene Wahrnehmungen berichtet.

Es wurde dann eine Reihe von Leuten vernommen, die über das Verhältnis des Ermordeten zu den jungen Brintners aussagen sollten. Dieses wurde allgemein als schlecht bezeichnet.

Nur Toni Maibach und Stina sagten, es sei nicht so arg gewesen. Streit habe es wohl öfter gegeben, besonders da der Großvater die Gewohnheit gehabt hatte, zeitig früh aufzustehen und Kohlen in seine Wohnung zu schaffen. Aber es sei nicht ärger gewesen als bei vielen anderen Leuten. Er habe halt auch die Schwiegertochter, die er hochmütig und herrisch nannte, nie leiden können und manchen Streit durch seine rechthaberische Einmischung in Hausangelegenheiten selbst heraufbeschworen.

Bastl erklärte, er habe sich mit dem Alten, wenn er zu Besuch kam, immer gut verstanden, und dieser habe sich nie über Justina oder Andres bei ihm beklagt.

Eine Näherin, die regelmäßig im Brintnerhof arbeitete, hatte nie etwas von einer schlechten Behandlung des Alten bemerkt.

Justina sagte: »Die Leute sind halt schlecht und boshaft. Von mir aus hätte der Großvater noch zwanzig Jahre leben können, ich habe nichts gehabt gegen ihn. Das einzige, was ich ihm vorzuwerfen gehabt habe, war, daß er seinen Sohn nicht beizeiten vom Trunk abgehalten hat. Es ist der einzige Kummer in meiner Ehe, und den habe ich Großvaters schlechter Erziehung seines Sohnes zu verdanken!«

»Haben Sie es ihm nicht auch übelgenommen, daß er bei Übergabe des Hofes an seinen Sohn das Bargeld zurückbehielt?« fragte der Vorsitzende.

»Aber keine Spur! Wir haben zu leben gehabt und er auch. Wir haben nicht nötig gehabt, auf seinen Tod zu warten.«

»Nach Aussagen der Zeugen sollen Sie es aber doch getan und zuweilen ausgesprochen haben!«

»Lüge, alles Lüge. Davon weiß ich nichts.«

»Haben Sie nicht einmal dem Alten sogar ins Gesicht gesagt: Der Großvater wird ja auch nicht ewig leben!«

Justinas Blick glitt unruhig umher.

»Es ist ja möglich«, sagte sie endlich mürrisch. »Manchmal sagt man auch schon was im Zorn, und jedes Wort kann ich mir auch nicht merken, das mir der Unmut über die Lippen getrieben hat!«

»Sie sollen überhaupt nur geschrien haben mit dem alten Mann!«

»Der Großvater war schwerhörig. Da kann eins nicht lispeln.«

»Wie erklären Sie es, daß Ihr eigener Mann Sie und Fercher der Tat beschuldigte?«

»Wer weiß, ob er wußte, was er redet! Ernstlich geglaubt kann er's ja doch nicht haben!«

»Andres Brintner, was sagen Sie dazu? Warum haben Sie Ihre Frau des Mordes beschuldigt?«

Andres blickte verwirrt auf. Dann warf er einen scheuen Blick auf seine Frau und Konrad Fercher und sagte leise:

»Ich weiß nimmer, wie mir das eingefallen ist. Wie ich in die Zelle geführt worden bin und gemerkt habe, was für ein Verdacht auf mir liegt, bin ich ganz weg gewesen vor Angst. Ich habe mich hingesetzt und immer nur studiert, was ich tun könnte. Dann sind rundum so viel kleine schwarze Manderln vor mir aufgestanden. Wie ein Narr bin ich herumgerannt in der Zelle vor ihnen. Dann ist mir eingefallen, was die Leute mir zugetragen haben ...«

»Was?«

»Daß sie's getan hätte ... mit dem Fercher zusammen. Da hab' ich gedacht: Wenn du sie angibst alle zwei, dann gehst frei aus, und es wird nachher schon herauskommen, daß sie unschuldig sind. Es war halt ein Unsinn!«

»Nur daß sich dieser Unsinn mit dem deckt, was der Knotzen-Lipp später erzählt hat!«

Brintner zuckte gleichgültig die Achseln.

»Du mein! Dem haben's halt auch die Leute eingeredet. Der lügt.«

Darauf kam das Alibi der Angeklagten zur Sprache.

Justina behauptete, in der verdächtigen Nacht gegen elf Uhr zu Bett gegangen und um fünf Uhr aufgestanden zu sein. Obwohl sie unruhig geschlafen, habe sie nichts Auffallendes im Hause gehört.

Andres sagte, er sei um zehn Uhr aus dem Wirtshaus heimgekommen und gleich zu Bett gegangen. Auch er hörte nichts Verdächtiges. Am anderen Tag habe ihm seine Frau Vorwürfe gemacht, weil er, wie sie sagte, berauscht nach Hause gekommen sei.

Fercher blieb dabei, im Obstgarten seines Bruders bis gegen Mitternacht auf diesen gewartet zu haben. Dann sei er heimgegangen, habe sich, ohne Licht zu machen, niedergelegt und sei sogleich eingeschlafen.

Der Knotzen-Lipp bestritt dies. Fercher habe ihn an der Holzlege hinter dem Brintnerhaus erwartet und sei dann mit ihm durchs Fenster bei Brintner eingestiegen. Dort lag der Alte schon in seinem Blut am Boden, Justina stach gerade mit einem Taschenmesser auf ihn los, und Andres kramte in den offenstehenden Laden. Nachher hätte er als Lohn das Geld bekommen.

Dabei blieb er trotz aller Kreuz- und Querfragen.

Am vierten Verhandlungstage las man in den Gesichtern der Geschworenen immer noch dieselbe Unsicherheit wie am ersten Tage.

Die Geschworenen erklärten nun, es müsse ein Lokalaugenschein stattfinden.

Der Knotzen-Lipp hatte behauptet, das Fenster selbst eingedrückt zu haben und, als er durch dieses dann mit Fercher einstieg, das Brintnersche Ehepaar bereits »mitten in der Arbeit vorgefunden zu haben«.

Dagegen hatte Justina auf die Tatsache hingewiesen, daß Gemeindesekretär Schlazer bei Entdeckung der Leiche die Zimmertür des Großvaters von innen versperrt und den Schlüssel im Schloß steckend vorfand. Außerdem wies sie darauf hin, daß die Magd, deren Schlafkammer nur durch eine dünne Wand vom Brintnerschen Wohnhaus getrennt war, unbedingt jedes Wort gehört haben müßte, wenn dort tatsächlich mit Fercher und dem Knotzen-Lipp der Mordplan besprochen worden wäre.

Es handelte sich also um die Feststellung, ob die Eheleute Brintner damals von draußen den im Schloß steckenden Schlüssel hineinstoßen und die Tür zur Wohnung des Alten hätten öffnen können oder nicht, ferner, ob die Magd Ernestine Longin im Wohnzimmer nebenan geführte Gespräche hätte hören müssen oder nicht.

Schließlich sollte durch Besichtigung der Örtlichkeiten erwiesen werden, ob von den Vorgängen der Mordnacht wirklich weder im Parteienhaus noch in den nach dem Garten zu gelegenen Zimmern etwas hätte wahrgenommen werden können.

Der Lokalaugenschein wurde für den nächsten Tag beschlossen.

*


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