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Er fing nun wirklich an, ein Quartett zu schreiben; nach einiger Zeit hatte er einen ersten Satz vollendet. – Nicht tief in der Erfindung, sagte sein Professor, aber auch durchaus nicht platt. Der Aufbau ist klangvoll und ziemlich einwandfrei. Immerhin ein großer Fortschritt gegen früher.

Enzio hatte sich auf diesen Satz viel eingebildet. Jene Kritik ernüchterte ihn, aber nun tröstete er sich mit dem Gedanken: Dinge, wie ich sie einmal zu sagen haben werde, sind jetzt noch nicht spruchreif. Es fehlen mir noch die Ausdrucksmittel dazu. Dieses hier sind Schablonenübungen, wie sie jeder durchmachen muß. Übrigens ist die Kritik ganz sicher viel zu scharf, denn eine Durchschnittsarbeit ist dies auf keinen Fall, Das hat er ja auch eigentlich selbst zugegeben. Diese Professoren haben immer das Prinzip, einen zu ducken, und von ihrem Standpunkt aus haben sie ganz recht.

Es kam nun eine neue Zeit für ihn, geteilt zwischen Liebe und Arbeit. Daneben fing er an, sich etwas mehr im Leben umzusehn. Er gewann durch seine Kameraden andere Bekannte, die wieder andere Interessen hatten als rein musikalische. Abends saß er jetzt zuweilen in einem Café, das der Treffpunkt für junge Künstler war. Dort saßen sie, mit ihren Mähnen und blassen Gesichtern und rauchten eine Zigarette hinter der andern. Lange Gespräche wurden geführt über Genie und Ruhm, und jeder hielt sich für einen heimlichen König. Redete einer besonders lang, so begannen die andern heimlich für sich zu pfeifen, unterbrachen aber nicht, denn es war ein stillschweigendes Übereinkommen, seinen Nächsten zu dulden, damit man selbst geduldet werde. Keiner erhob sich gern als erster, um nach Haus zu gehn, aus Angst, es werde sogleich über ihn gelästert, wenn er den Rücken kehre. Man merkte bald, daß Enzio im Besitz von Kapitalien sei, beutete ihn fröhlich aus und revanchierte sich mit einer besondern Anerkennung seines Talents. Er konnte es nicht mit ansehn, wie die andern hungrige und begehrliche Augen machten, wenn er sich selbst etwas Gutes bestellte, und bewirtete dann oft die ganze Tafelrunde, an der auch junge Mädchen, Konservatoristinnen, saßen, unter ihnen ein junges Ding mit schiefem Scheitel und einer Art Pastorenkrause um den Hals; sie suchte immer nach einem Freund und ward jedesmal rasch abgekühlt, wenn sie bemerkte, daß der andre ebensowenig Geld hatte wie sie selbst. Sie setzte sich stets an Enzios Seite, und liebte es, sich wie ein Kind von ihm füttern zu lassen, mit dem Löffel, wobei sie sich bemühte, den Ausdruck eines kleinen Vogels nachzuahmen. Halb und halb verliebte sich Enzio in sie. Aber wenn er dann Bienle wiedersah, so dachte er: Es wäre abscheulich von mir, sie zu betrügen! Ich bin so glücklich, daß ich sie habe, ich kann nicht glücklicher werden als ich bin und brauche niemand anders als sie! Gott weiß, in was ich da hineingeraten würde, wenn ich mir jetzt nachgeben wollte! – Und die kleine Wolke ging an ihm vorbei.

Eines Tages erklärte er dem Bienle, er wolle Sozialdemokrat werden, das sei die einzige Partei, die heutzutage noch Sinn habe. Er wollte, daß sie auch Sozialdemokratin werden solle, aber sie sagte: Fällt mir nicht ein! Was geht es mich an, was die Männer wollen? Ich habe genug in Küche und Haus zu tun! Er ereiferte sich und setzte ihr auseinander, Mädchen müßten auch andre Interessen haben als nur die häuslichen, und sie ließ sich gutwillig und mit Aufmerksamkeit erklären, was sie nach seiner Meinung alles lernen müsse. Er versuchte hie und da, sie zu bilden, sie bemühte sich auch, ihm zu folgen; dann gab es plötzlich einen Punkt, wo sie nicht mehr verstand; sie sagte nichts, da sie hoffte, während seines Weiterredens würde sie ihn schon irgendwie wieder einholen; das geschah dann aber nicht, ihre Gedanken irrten ab zu Dingen, die ihr geläufiger waren, und wenn er geendet, ließ sie eine kleine Pause vergehn, gleichsam noch als Zoll für seine Ausführungen, dann dachte sie, nun könne man ein neues Gespräch beginnen, und sie sagte etwa: Morgen backe ich einen Pflaumenkuchen. Enzio war in solchen Momenten stets etwas überrascht und mußte erst einen kleinen Unwillen bekämpfen, ehe er auf ihre Einfälle einging. Mit ihr kann man immer nur in der einfachsten Tonart reden, dachte er, etwas anderes versteht sie nicht. Aber dann fragte er gleich wieder gutgelaunt etwa: wie viele Eier kommen da hinein? – Eins! – Aber dann tust du doch wenigstens viel Butter in den Teig? – Damit wird die Pfanne ausgestrichen! – Von dem Pflaumenkuchen aus wanderte ihre Vorstellung auf die Pflaumen selbst, auf die Bäume, worauf sie wuchsen, von dem einen Ei auf die Henne, die es einmal gelegt haben mußte, und dann war sie in ihrem gewohnten Bereich. Sie konnte nur an Dinge denken, die es wirklich gab in der Welt, an Tiere, Pflanzen, Menschen, und was alles mit ihnen zusammenhängt; da war sie zu Hause, mehr als die meisten andern, ihr lebendiges Herz, ihr offenes Auge gab all ihren Eindrücken und Äußerungen eine starke Unmittelbarkeit. Weißt du eigentlich, fragte Enzio einmal, wie sie im Feld gingen und in der Ferne einen Eisenbahnzug vorbeiziehen sahn, wie eine Lokomotive eingerichtet ist, und weshalb sie vorwärtsgeht? – Na, so ungefähr. – Du weißt es gewiß doch nicht! meinte er neckend und begann, ihr die Konstruktion auseinanderzusetzen. Sie hörte zu, redete dann hinein, und allmählich merkte er, daß sie vom Bau einer Lokomotive mehr wisse, wie er selber, daß ihr sogar die technischen Ausdrücke viel geläufiger waren als ihm. – Woher weißt du denn das alles? fragte er erstaunt. – Das ist doch nicht so schwer! Das habe ich mir sagen lassen. – Von wem? – Von den Heizern und Maschinisten. – Und woher kennst du die? – Wenn ich früher allein spazieren ging und am Güterbahnhof vorbeikam, da habe ich sie angesprochen, o, so oft, damit sie mir alles erklärten. Das haben sie auch furchtbar gern getan, und dann bin ich wieder gegangen. – Die wollten wohl, daß du noch ein bißchen dabliebst? – Bienle nickte: Dirndl, haben sie gesagt, bleib noch ein bissel! – Was, die haben dich du genannt? – Natürlich! Nach fünf Minuten sagen alle Arbeiter immer gleich du zu mir! So sprach sie, sah ihn goldig wie ein Apfel und schimmernd wie ein Pfirsich an und hauchte noch ein paar kleine Lachtöne hinterher. Ihre ganze, mädchenhaft entzückende Gestalt war überschimmert von einem Hauch süßester und reinster Sinnlichkeit.

Du mußt doch ziemlich oft auf der Straße angeredet werden! sagte Enzio. – Oft? Alle Tage! Ich kenne die Menschen schon auf zwanzig Schritt und weiß: Der will etwas von mir, der ist zerstreut, und der denkt an keine Mädchen. – Was hast du denn von mir gedacht, Bienle, als du mich zum ersten Male sahst? – Sie antwortete nicht. – Nun? Sag es doch! – Sie faßte seine Hand. – Magst du es nicht sagen? – Du weißt doch ganz genau, rief sie mit einemmal mit frischer Stimme, was ich gedacht habe; da brauchst du mich doch nicht extra zu fragen! Ich frage dich doch auch nicht!

In solchen Augenblicken vermißte Enzio zunächst undeutlich etwas, aber dann sagte ihm ein nachdenkliches Gefühl, daß sie viel unbewußter und ursprünglicher empfand als er, und daß sie frei war von jeder Spur von Sentimentalität.

Er selbst mußte sich und auch ihr sein Glück manchmal wieder vorsagen; dann strich sie mit der Hand flüchtig und zärtlich über seine Wange, sagte aber nichts. Nur ihre Träume, in denen er vorkam, erzählte sie ihm wieder, Träume, wie sie vielleicht Kinder träumten in einer glücklich-heitern Welt. So war es ihr einmal, als liege sie auf einem Waldboden neben ihm. Er hatte seine Hand auf ihre Hand gelegt, die hohl auf der Erde ruhte. Beide – so träumte sie – schliefen, bis sie aufzuwachen glaubte durch ein zartes, weiches, gleitendes Gefühl im Innern ihrer Hand. Sie blickte vorsichtig nieder, da sah sie, daß es ein ganz kleiner Vogel war, der da in aller Heimlichkeit ein Spiel für sich trieb, indem er von links nach rechts unter ihrer Hand hindurchlief, und dann von rechts nach links, immer hin und her, und sich jedesmal ein wenig duckte. – So niedlich wie er war! sagte sie später, wie sie Enzio diesen Traum erzählte, ich sehe ihn noch vor mir: Klein, ganz klein, ganz winzig – und ihre Stimme wurde selber zart und kurz, wie das hohe Flöten eines kleinen Vogels.

Oft dachte Enzio: Ist dies nicht die allerschönste Zeit von meinem ganzen Leben? O wenn das Leben doch ewig so fortgehen könnte! Und dann seufzte er aus tiefstem Herzen und wußte nicht warum: Es konnte doch so bleiben! wenn es sich änderte, dann lag das nur an ihm, und er würde sich nicht ändern!

Manchmal dachte er mit Sorge daran, daß es einmal wieder eine Heimreise, wenn auch nur vorübergehend, geben werde. Die Ferien mußte er zu Haus verleben; er empfand oft Sehnsucht nach seiner Mutter, aber im Grunde nur, um sich ihr an die Brust zu werfen und ihr zu sagen, wie glücklich er nun sei. Was vermochten Briefe auszusprechen!


Nach einer Zeit des Arbeitens schien er wieder in seine frühere Untätigkeit zurückfallen zu wollen. Aber dieses Mal war es das Bienle, das ihn bewahrte. Ganz unmerklich, ohne daß es ihm recht ins Bewußtsein kam, hatte sie einen großen Einfluß auf ihn gewonnen: Das tust du nicht! Das darfst du nicht! sagte sie zuweilen mit einem sichern, selbstverständlichen Ton, und schließlich kam es so, daß ihm dieser Ton ihrer Stimme schon entscheidend wurde. Er war immer bereit, ihrethalben eine Arbeit abzubrechen, wenn sie zu ihm kam. Das duldete sie nie, und ging wieder. Einmal machte er ein kleines Experiment: Als sie an seine Tür klopfte, antwortete er nicht. Sie klopfte noch ein zweites Mal, er antwortete wieder nicht und dachte: wird sie jetzt die Tür öffnen und hereinkommen? oder wenigstens versuchen sie zu öffnen? – Da hörte er, wie ihre Schritte sich entfernten. Er wartete noch einen Augenblick, dann stürzte er hinter ihr drein. Sie erfaßte sogleich die Situation, tat neckend, als höre sie nicht, wie er: Bienle, Bienle! rief, es gab einen Wettlauf auf der Treppe, bis er sie endlich einholte, worauf sie sich umdrehte und sagte: Ach, Enzio, ich glaubte, du wärst nicht daheim?!

Hatte er abends eine andre Verabredung, so fragte sie ihn niemals: welche? Dieses gänzliche, unbefangene, selbstverständliche Vertrauen entwaffnete ihn beinah. Es gab zwischen ihnen keine Eifersucht, so wenig, daß er zuweilen dann doch nicht anders konnte, als irgendwelche Hintergründe erwecken, die sie beunruhigen sollten. Sie antwortete dann aber nichts, und dieses Schweigen war ihm so rührend, daß er gleich wieder sagte: Es ist ja alles gar nicht wahr!

Manchmal ließ er sie allein in seinem Zimmer, wenn ihn eine plötzliche Notwendigkeit in die Stadt abrief. Dann konnte es geschehn, daß er sie bei seiner Rückkehr auf dem Fußboden fand, halb kniend, halb liegend, an einem Brief schreibend. – Weshalb schreibst du ihn denn nicht an meinem Arbeitstisch? und nicht mit Tinte? – Hier unten ist es bequemer. – Er überflog den Schreibtisch: Da lagen offne Briefe herum, die er von zu Haus bekommen, und er ging nicht fehl in seiner Annahme, daß es ihr peinlich gewesen sei, sich so nah zu ihnen zu setzen, weil er sonst vielleicht hätte denken können, sie habe sie gelesen.

Er erzählte ihr jetzt auch von zu Hause, von seiner Kindheit, von seinen früheren Freundschaften, von Pimpernell, von Richard, von Irene; vor allem aber von seiner Mutter. – Hast du kein Bild von ihr? fragte sie eines Tages. Er dachte nach, dann holte er eine Photographie, sie legte ihre Wange an die seine und betrachtete, sie mit ihm. Nun, was sagst du? Magst du sie? warum sagst du nichts? – Aber was soll ich denn sagen? – Ob du sie gerne magst. – Aber es ist doch deine Mutter! Sie vertiefte sich wieder in das Anschaun, und plötzlich lachte sie ganz leise. – Er wollte sofort wissen warum. Sie machte eine lebendige Bewegung: Ich dachte eben, gleich tut sie den Mund auf und sagt: Bienle, halt dich grade! – Enzio war über dies überraschende Wort entzückt, über die Wärme und Zutraulichkeit, die darin lag, daß sie seine Mutter sie selbst mit du und mit Bienle anreden ließ, und dann über den Ausspruch an sich, den er so oft persönlich von seiner Mutter hatte hören müssen. – Was sagt sie noch? fragte er animiert. – Nichts! das ist doch genug auf einmal.

In diesem Augenblick läutete es draußen, es klopfte an seine Tür, er fragte, wer da wäre, eine bekannte Stimme sagte: Ich – und dann stand Caecilie leibhaftig auf der Schwelle.

Enzio blieb einen Moment bewegungslos, dann stürzte er ihr mit ausgebreiteten Armen um den Hals. Sie hob sein Gesicht zu sich empor, sah ihm in die Augen, dann blickte sie halb befangen zu Bienle hinüber und suchte in diesem einen Blick Antwort auf alles, was ihr Herz aus der Ferne gefragt hatte. Bienle hatte sich erhoben, eine zarte Röte lag auf ihrem Gesicht; jetzt, als Caecilie auf sie zutrat und ihr den Arm entgegenstreckte, sah sie ihr mit halb geöffneten Lippen schüchtern und doch wieder zuversichtlich-grade in die Augen. Enzio trat dazu, ihm klopften alle Pulse, am liebsten hätte er gewollt, daß seine Mutter sie sogleich in die Arme geschlossen hätte. Das Bienle sah in diesem Moment so hinreißend lieblich, so blumenhaft vollendet aus, wie er sie noch nie gesehen zu haben glaubte. Caecilie schien etwas Ähnliches zu empfinden; sie sagte stockend: Ich bin so froh, daß ich Sie sehe – – und hielt noch immer ihre Hand, und dann strich sie mit der andern leise über sie hin. Bienle senkte etwas die Augen, dann blickte sie nach Enzio, ganz unwillkürlich und wie nach Hilfe suchend. – Ich muß jetzt fort, Enzio, sagte sie mit unsicherer Stimme. – Aber nein! rief er und ergriff nun seinerseits ihre Hand, du hast doch nichts besondres vor, nicht wahr? – Sie schüttelte den Kopf und legte dabei ihre Linke auf seinen Ellenbogen, in unbefangener Selbstverständlichkeit. – Dann bleib doch noch! – Sie sah ihm halb ratlos in die Augen, und dann auf Caecilie, blickte aber gleich wieder fort von ihr. Caecilie hatte den beiden zugesehn, und es war in ihr ein sonderbares, stilles Gefühl, das in der Wirklichkeit bestätigt zu sehn, was sie bis jetzt nur aus der Ferne wußte. – Sag du doch, daß sie bleiben soll! sagte Enzio. Caecilie sah wie aus einem Traum erwachend auf ihn hin, dann tat sie, was er wollte.

Sie saßen nun am Tisch zusammen und Enzio bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber Bienle sagte nur ganz kurze Sätze und schwieg immer gleich wieder. Wenn er zu ihr sprach, sah sie ihn an, als wolle sie sagen: Ich kann doch jetzt gar nicht wirklich antworten. – Vorher warst du so lustig, Bienle; – denke dir – wandte er sich an Caecilie – fast in dem Moment, wo du draußen läutetest, sahn wir dein Bild an; und da sagte sie ... Nein, Enzio, rief Bienle lebhaft, das sagst du nicht! Ihr Ton war auf einmal so frisch, als wenn sie ganz allein wären. Dann sah sie Caecilie halb erschrocken an und sank wieder auf den Stuhl zurück. – Weshalb denn nicht? – Weil es so dumm war. – Gar nicht dumm! Sehr nett war es! Sie sagte nämlich – – – Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihm den Mund verschließen, hörte aber mitten in ihr auf und hielt sich selber beide Ohren zu. Sie blickte Enzio auf die Lippen, der seine kleine Geschichte nun wirklich erzählte, und dann sah sie, wie Caecilie sie freundlich anblickte und irgend etwas zu ihr sagte. Aber unbefangen hielt sie sich die Ohren weiter zu, noch eine lange Zeit, bis Enzio endlich dicht an ihrem Kopfe schrie: wir reden ja schon längst von etwas anderm! – Da tat sie die Hände wieder herab, hörte zu, wie Caecilie von zu Hause sprach, und als sich eine Gelegenheit bot, sagte sie zu Enzio, sie müsse nun wirklich und wahrhaftig nach Hause. Er hielt sie nicht mehr. Nachdem seine Mutter sie nun eine Weile gesehn hatte, war die große Spannung in ihm vorüber, er wünschte jetzt mit ihr allein zu sein, um sich ihr gegenüber auszusprechen.

Ich bleibe nur kurz, sagte Caecilie, aber ich hoffe, wir sehn uns noch einmal wieder, ehe ich abreise! und drückte ihre Hand, die bewegungslos in der ihren lag.

Enzio begleitete sie hinaus. Nun, fragte er sogleich, hast du meine Mutter gern? Sie konnte ihre Befangenheit auch jetzt, wo sie ihm allein gegenüberstand, nicht sofort verwinden. – Du mußt sie gern haben! Ich habe bemerkt, daß sie dich auch gern hat! Er küßte sie, als sei er viele Stunden von ihr getrennt gewesen, und blieb so lange auf der Treppe stehn, bis er sie unten durch den Hausflur hinausgehen sah.

Wie er zurückkam, stand seine Mutter am Fenster; als sie sich herumwandte, fragte er bestürzt: Was hast du denn? – Sie hatte grade gedacht: Das wird für sie einmal ein schwerer Abschied werden! Und fast hätte sie es gesagt. Aber sie bezwang sich. Sie führte ihn zum Sofa zurück, dann legte er den Kopf in ihren Schoß, wie in seiner Kinderzeit. – Hast du sie dir so gedacht? fragte er nach einer Weile. – Nein, ich habe sie mir nicht so gedacht, trotz aller deiner Briefe. Er umschlang sie zärtlich: Warum bist du dann so traurig? – Ich bin nicht traurig, sagte sie nach einer Pause; daß mich dies Wiedersehn nach allem, was dazwischen liegt und was ich jetzt mit eignen Augen sah, erschüttert hat, ist doch begreiflich. – O, rief er, ich bin so glücklich, so glücklich! – Du hast auch Grund dazu, sagte sie mit einer leisen Schwermut in der Stimme. – Aber was siehst du dann so bekümmert aus? – Sie kämpfte mit sich, aber es war stärker als sie: Weil mir dieses Mädchen so unendlich leid tut! Denn einmal kommt ja doch ein Ende, muß ein Ende kommen! – Enzio richtete sich schnell empor und sah ihr erschreckt in die Augen: Bist du etwa hergereist, um mich von ihr zu trennen? – Sie schüttelte den Kopf, und er sank wieder in ihren Schoß zurück: Dann verstehe ich nicht, was du meinst. – Nach dem, was du mir schriebst, Enzio, und nach dem Eindruck, den ich selbst von ihr bekommen habe, weiß ich, daß ihre Neigung zu dir eine ganz tiefe Leidenschaft ist. – Ja, glaubst du, bei mir wäre es anders? – Nein, Enzio, das glaube ich nicht. Aber deine Leidenschaften, fürchte ich, sind nicht von Dauer. Er widersprach auf das heftigste und rief: Fang doch nicht schon wieder an, zu sagen, ich sei oberflächlich oder nicht tief in meinem Gefühl! Du hast mich früher genug damit gequält! Grade das macht mich ja jetzt so unendlich glücklich, daß ich fühle: Dieses ist nicht so wie meine früheren Verliebtheiten, einmal in die, einmal in jene, sondern ganz, ganz anders! Ich sehe hier auch viele andre Mädchen, aber zu keiner kann ich so fühlen wie zu Bienle! Niemals habe ich mehr die gräßliche Empfindung wie früher: welche liebe ich nun eigentlich?

– Du schriebst mir, sagte Caecilie, du wollest sie einmal heiraten. – Das will ich auch und werde ich auch! – Ob es geschehen wird oder nicht, wird auf jeden Fall nur von dir allein abhängen, für dich bildet diese Frage jetzt kein Gewicht in deiner Seele. Aber für sie ist es der Inhalt ihrer Zukunft.

– O, da kennst du sie schlecht! Sie selber hat gesagt, daß sie mich niemals heiraten würde! Und er erzählte alles, was Bienle über diesen Punkt zu ihm gesprochen hatte. Caecilie war erstaunt: Für so reif hätte ich ihr Denken nicht gehalten! Aber – fuhr sie fort – wenn du trotzdem nach Jahren sie heiraten wolltest – glaubst du, sie würde dich dann ausschlagen? – Gott bewahre! – Nun siehst du wohl, alles, was sie dir gesagt hat, geschah nur für dich. Und wenn sie jetzt so spricht, als verzichte sie auf dich, so mußt du dir doch sagen, daß sie das gegen ihre Sehnsucht spricht. – Aber ich will sie doch auch heiraten! Ich weiß gar nicht, wo du hinauswillst! – Ich fürchte eben für dich sowohl wie für deine Freundin. Und ich meine – – daß du diese Leidenschaft nicht zu stark werden lassen solltest! So sprach sie mit Überwindung, gegen ihren eignen Instinkt. – Aber du widersprichst dir ja fortwährend! Erst sagst du, du fürchtest, meine Leidenschaft sei nicht von Dauer, und nun sagst du, ich soll sie nicht zu stark werden lassen, wie soll ich denn das machen? Das kann man doch nicht! – O ja, das kann man! sagte sie langsam, und wie zu sich selbst. Aber dazu bist du zu jung, und wenn man erst einmal so weit ist wie ihr, so ist es nicht mehr möglich, das sehe ich selbst ein. – Natürlich! Denn dann müßte ich entsagen, und das kannst du doch nicht wollen, daß ich das tue! Und es hätte außerdem keinen Sinn, denn dann würde es mir mit einer andern wieder ganz genau so gehn! – Echt Enzio! dachte sie. – Und ich kann doch, fuhr er fort, mit der Liebe nicht so lange warten, bis ich zugleich auch heiraten kann! Das wäre Wahnsinn und hieße Adern unterbinden, durch die das Blut hindurchwill. – Sie widersprach nicht mehr; sie fühlte, daß sich dies Gespräch in Widersprüchen und wie in einem Kreislauf bewegte, und plötzlich, in einem ganz freien Impuls, sagte sie: Was hat es für einen Zweck, über dies alles zu reden! Das Leben ist so kurz, und wenn es hinterher Schmerz bringt, so wäre es töricht, nicht das Herrliche zu umarmen, das es einem vorher in die Arme wirft. Sei glücklich, Enzio, dies ist vielleicht einmal die schönste Erinnerung deines Lebens, auch wenn du später einmal jemand anders geheiratet hast. Ihr seid beide jung, und das Leben hat euch zueinander geführt! – Sie sprach fast leidenschaftlich, und über ihn hinweg sah sie über ihr eignes Leben hin.



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