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Armer Peter Gringoire! Der Donner von zwanzig Kanonen und hundert Büchsen hätte deinen Ohren nicht so wehe gethan, als die in diesem feierlichen dramatischen Augenblicke vom Munde eines Thürstehers ausgegangenen Worte: Se. Eminenz, der gnädigste Herr Kardinal von Bourbon!
Nicht als ob Peter Gringoire den Kardinal gefürchtet oder mißachtet hätte: er hatte weder jene Schwäche, noch diese Vermessenheit. Ein wahrhafter Eklektiker, gehörte Peter Gringoire zu jenen erhabenen und festen, gemäßigten und ruhigen Geistern, welche sich stets in der Mitte aller Dinge zu halten wissen (stare in dimidio rerum), und die der reinen Vernunft, der liberalen Philosophie, der theoretischen Freiheit und Allem, was groß und edel ist, huldigen, bei dem Allem aber Minister, Kardinäle, Bischöfe und Staatsräthe sind und bleiben. Ein kostbares Geschlecht praktischer Philosophen, das sich ununterbrochen fortgepflanzt hat vom Anfang der Dinge, und dem der Himmel den Knäuel der Klugheit verliehen hat, durch den es im Labyrinth aller Zeiten und Ereignisse stets einen erwünschten Ausgang findet! Zu allen Epochen ist und war dieses Geschlecht sich selbst gleich; es weiß sich in alle Zeiten zu schicken.
Nicht also aus Haß gegen den Kardinal oder aus Mißachtung war ihm dessen Eintritt unangenehm, sondern weil er eine neue Störung des Stücks fürchtete. Die Besorgnis des Dichters verwirklichte sich nur allzusehr. Der Eintritt Sr. Eminenz zog die ganze Schaulust des Publikums auf sich. Alle Köpfe drehten sich der Estrade zu. »Der Kardinal! Der Kardinal!« wiederholten tausend Stimmen. Der unselige Prolog gerieth abermals in Stocken. Der Kardinal blieb einen Augenblick auf der Schwelle der Estrade stehen und warf einen ziemlich gleichgültigen Blick auf die Zuschauer im Saale. Die Gährung stieg, jeder wollte die Eminenz sehen.
In der That war auch diese Eminenz ein Herr von großer Gestalt und ebenso sehenswerth, als manches andere Schaustück. Karl, Kardinal von Bourbon, Erzbischof und Graf von Lyon, Primas der Gallier, war mit Ludwig XI. und Karl dem Kühnen verwandt, mit Jenem durch seinen Bruder Peter von Beaujeu, der die älteste Tochter des Königs geheirathet hatte, mit Diesem durch seine Mutter, Agnes von Burgund. Der Hauptzug im Charakter des Primas der Gallier war jener Höflingsgeist, jene Ergebenheit gegen die herrschende Macht, wie wir sie heute noch, so sehr wir uns auch der Fortschritte unserer Civilisation rühmen, tausend- und hunderttausendfältig sehen. Man kann sich denken, in welche zahllose Verlegenheiten ihn diese doppelte Verwandtschaft brachte, und welche weltliche Klippen sein geistliches Schifflein zu umsegeln hatte, um weder an Ludwig noch an Karl zu scheitern, dieser Scylla und Charybdis, die den Herzog von Remours und den Connetable Saint-Pol verschlungen hatten. Unter dem Beistand des Himmels hatte er die Durchfahrt glücklich vollendet und war in dem Hafen zu Rom angelangt, um den rothen Hut, als Preis seiner Bemühungen, in Empfang zu nehmen. Aber obgleich er jetzt im sichern Hafen war, und gerade eben deßhalb, dachte er niemals ohne Unruhe an die vermiedenen Wechselfälle seines politischen Lebens, das so lange Zeit stürmisch und thatenreich war.
Im Übrigen war der Kardinal, was man einen guten Mann heißt; er führte ein lustiges Leben, wie die hohe Geistlichkeit pflegte, trank seinen schäumenden Champagner, war einem feinen Nönnchen nicht abgeneigt, gab lieber hübschen Mädchen als alten Weibern Almosen, und war deßhalb, als ein munterer, leutseliger Herr, wohl gelitten beim Volke von Paris. So oft er öffentlich erschien, umgab ihn ein Schwarm junger Geistlicher, die so galant waren, als heutige Stutzer, und so liederlich, als man nur immer wünschen mochte. Mehr als einmal, wenn alte Betschwestern Abends am erleuchteten Palast des Kardinals vorübergingen, hörten sie zu ihrem Entsetzen die nämlichen Stimmen, die ihnen erst noch in der Kirche zur Vesper gesungen, das bacchische Lied Benedikts XII. anstimmen: Bibamus papaliter.
Ohne Zweifel war es diese so wohl erworbene Popularität, die dem Kardinal bei seinem Eintritt einen schlimmen Empfang von Seiten der Menge ersparte, welche eben noch so unzufrieden gewesen war, und wenig geneigt schien, an dem Tage, wo sie einen Pabst wählte, mit einem Kardinal viele Umstände zu machen. Es ist ein guter Schlag Leute um diese Pariser, sie vergessen und vergeben gerne, und zudem hatten sie ja, da sie das Stück aus eigener Machtvollkommenheit beginnen ließen, einen Sieg über den Kardinal davon getragen, und dieser Triumph genügte ihnen. Ueberdies war der Herr Kardinal von Bourbon ein großer, stattlicher Herr, trug einen sehr schönen Scharlachmantel, wußte sich eine vornehme Haltung zu geben, und hatte mithin den einflußreichsten Theil des Publikums, die Weiber, für sich. Es wäre aber auch die höchste Ungerechtigkeit und Gemeinheit, einen Kardinal auszuzischen, weil er im Schauspiel auf sich warten ließ, wenn dieser Kardinal ein stattlicher Herr ist, einen Scharlachmantel trägt und eine vornehme Haltung hat.
Der Kardinal trat demnach ein und grüßte die Versammlung mit jenem fürstlichen Lächeln, das den Großen gegen das Volk immer zu Gebote steht, und das sich, gleich Krone und Scepter, von Vater auf Sohn vererbt. Hierauf setzte er sich mit abgemessenen Schritten gegen den rothsammt'nen Lehnsessel in Bewegung, der für ihn bereit gestellt war. Ihm auf dem Fuße folgte sein geistlicher Generalstab, dessen Erscheinen den Lärm und die Neugierde im Parterre verdoppelte. Man deutete mit Fingern auf jeden Einzelnen und nannte seinen Namen.
Das Volk, und besonders die Studenten, machten vollen und ungemessenen Gebrauch von den Privilegien, die ihnen das heutige Narrenfest verlieh. Nichts war zu gemein und frech, daß es nicht an diesem Tage gestattet und fast geheiligt gewesen wäre. Jeder wählte sich unter dem geistlichen Generalstab des Kardinals eine schwarze, graue, weiße oder violette Mütze zur Zielscheibe seines Witzes aus. Damit war aber Johannes Frollo de Molendino, als Bruder eines Archidiakonus, noch nicht zufrieden, sondern griff kühnlich den rothen Hut selbst an, indem er freche Blicke auf den Kardinal warf und aus vollem Halse sang: Cappa repleta mero!
Alle diese Einzelnheiten, welche wir hier zur Erbauung des Lesers mittheilen, verloren sich so sehr unter dem allgemeinen Geräusch, daß fast keine Spur von ihnen bis zur Estrade gelangte. Im Uebrigen würde sie der Kardinal geduldig hingenommen haben, weil die Freiheiten dieses Tages ganz in den Sitten jener Zeit lagen. Zudem lag ihm noch etwas ganz Anderes auf dem Herzen, nämlich die Gesandtschaft von Flandern. Nicht als ob er ein großer Politiker gewesen wäre, den die möglichen Folgen einer Verbindung Margarethens von Burgund mit dem Erben von Frankreich schreckten, sondern bloß weil er den flämischen Gesandten Feste geben und Höflichkeiten erweisen mußte, er, Karl von Bourbon, gemeinen Bürgern, er, der Kardinal, ungehobelten flämischen Schöppen, er, ein artiger und lustiger Franzose, niederländischen Bierlümmeln! Mit solchen Leuten öffentlich zu erscheinen, war eine harte Probe, welche nur die geprüfte Königsliebe eines geprüften Höflings zu bestehen vermochte.
Als nun die Thüre sich mit Geräusch öffnete und der Thürsteher mit lauter Stimme ausrief: »Die Herren Gesandten des Herrn Herzogs von Oesterreich!« wendete der Kardinal mit der zärtlichsten Miene von der Welt (so sehr hat ein Höfling sich in der Gewalt) sein Gesicht der Eingangspforte zu.
Jetzt erschienen paarweise mit ernstem Wesen, das in auffallendem Gegensatz zu dem muthwilligen geistlichen Generalstab Karls von Bourbon stand, die achtundvierzig Gesandten Maximilians von Oesterreich, an ihrer Spitze der sehr ehrwürdige Vater in Gott, Jehan, Abt von Saint-Bertin, Kanzler des Ordens vom goldenen Vließ, und Jakob Van Goy, Herr zu Dauby, Bürgermeister von Gent. Die Versammlung im Saale hörte mit halb ersticktem Lachen die fremdartigen Namen und die bürgerlichen Qualifikationen der flandrischen Gesandten an, die der Thürsteher, wie Kraut und Rüben, entstellt und verstümmelt von der Estrade unter das Publikum warf. Da hörte man die für ein französisches Ohr barbarisch klingenden Namen: Loys Roelof, Schöppe der Stadt Löwen: Paul Baeust, Präsident der Provinz Flandern; Jehan Coleghens, Bürgermeister der Stadt Antwerpen; Meister Georg van Moeren, erster Schöppe der Stadt Gent; Meister Geldolf van der Haagen, Schöppe gedachter Stadt; Jehan Pinnok u. s. w., lauter gute, dicke, wohlgenährte flämische Figuren.
Ein einziger derselben machte eine Ausnahme von der Regel. Das war ein feines, verständiges, verschmitztes Gesicht, gegen welches der Kardinal drei Schritte vorwärts und eine tiefe Verbeugung machte, obgleich dasselbe bloß einem gewissen Wilhelm Rym, Rathsherrn der Stadt Gent, angehörte. Wenigen war es damals bekannt, welche Bedeutung dieser Wilhelm Rym hatte; ein seltener Geist, der in stürmischen Zeiten, wie wir sie erlebt haben, an der Spitze einer Revolution erschienen wäre, im fünfzehnten Jahrhundert aber zum Handlanger der lichtscheuen Ränke jener Zeit verdammt war. Ludwig XI., der erste Maulwurf des damaligen Europa's, wußte ihn in seinen geheimen Aufträgen gar wohl zu gebrauchen. Das war aber dem großen Haufen im Saale gänzlich unbekannt, und er ergötzte sich daher nicht wenig an den Höflichkeitsbezeugungen, die, seiner Meinung nach, der Kardinal an die unscheinbare Figur eines flandrischen Stadtraths verschwendete.