Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Ein Jüngling, in dessen Brust die Nachtstücke von Maienthal und St. Lüne hängen – oder einer, der aus einem Baddörfchen anlangt – oder einer, der vorhat sich zu verlieben – oder einer, der in großen Städten oder in ihren großen Zirkeln ein müßiger Zuschauer sein muß, jeder von diesen ist schon für sich auch ein mißvergnügter darin und stößet in seine kritische Pfeife so lange gegen die spielende Gesellschaft, bis sie ihn selber – anwirbt. Kommen aber alle diese Ursachen gar in einem einzigen Menschen zusammen: so weiß er gegen seine Gallenblase keinen Rat und keinen Gallengang, als daß er feines Papier nimmt und an die Eymannischen in St. Lüne einen verdammt spöttischen Brief über das Gesehene abläßt.

Mein Held ließ folgenden an den Pfarrer ab:

»Mein lieber Herr Adoptiv-Vater!

– Ich hatte bisher nicht so viel Zeit übrig, um die Augen aufzuheben und zu sehen, was wir für einen Mond haben. Wahrhaftig, einem Hofe fehlts zur Tugend schon – an Zeit. Der Fürst führt mich überall wie ein Riechfläschchen bei sich und zeigt seinen närrischen Doktor vor. Mich werden sie bald nicht ausstehen können, nicht weil ich etwan etwas tauge – ich bin vielmehr fest versichert, sie ertrügen den tugendhaftesten Mann von der Welt ebensogut wie den schlimmsten, und das bloß, weil er ein Anglizismus, ein homme de Fantaisie, ein Naturspiel wäre –, sondern weil ich nicht genug rede. Geschäftleute bekümmern sich um keinen Gespräch- und keinen Briefstil; aber bei Hofleuten ist die Zunge die Pulsader ihres welken Lebens, die Spiral- und Schwungfeder ihrer Seelen; alle sind geborne Kunstrichter, die auf nichts als Wendung, Ausdruck, Feuer und Sprache sehen. Das macht, sie haben nichts zu tun; ihre gute Werke sind Bonmots, ihre Meßgeschäfte Besuchkarten, ihre Hauswirtschaft eine Spiel- und ihre Feldwirtschaft eine Jagdpartie, und der kleine Dienst eine Physiognomie. Daher müssen sie fremde Fehler den ganzen Tag in Ohren haben gegen die schlaffe Weile, wie die Ärzte die Krätze einimpfen gegen Dummheit: ein Hofstaat ist das ordentliche Pennypostamt der kleinsten Neuigkeiten, sogar von euch Bürgerlichen, wenn ihr gerade etwas recht – Lächerliches getan habt. Zu wünschen wäre, wir hätten Festins, oder Spielpartien, oder Komödien, oder Assembleen, oder Soupers, oder etwas Gutes zu essen, oder irgendeine Lustbarkeit; aber daran ist nicht zu denken – wir haben zwar alle diese Dinge, aber nur die Namen davon; der Kammerpräsident würde die Achsel zucken, wenn wir nur des Jahrs viermal so glänzend fröhlich sein wollten, als Sie es des Monats viermal sind. Da unsere Woche aus sieben Sonntagen besteht: so sind unsere Lustbarkeiten nur Kalenderzeichen, Zeit-Abschnitte, auf die niemand achtet, und ein Festin ist nichts als ein Spielraum der Plane, die jeder hat, das Brettergerüst seiner Hauptrolle und die Jahrzeit der fortgesetzten Intrige gegen Opfer der Liebe oder des Ehrgeizes. Hier ist jede Minute eine stechende Moskite, und der Distelsame des schöngefärbten Kummers fliegt weit herum.

Viele Weiber sind da gut und Anhänger des Linnäus, und ihre Augen ordnen die Männer botanisch nach seinem schönen einfachen Sexualsystem; sie machen unter tugendhafter und lasterhafter Liebe einen großen Unterschied, nämlich den des Grades oder auch der Zeit; und die Beste spricht oft darüber wie die Schlimmste, und die Schlimmste wie die Beste. Indessen gibts hier weibliche Tugend und männliche Treue in ihrer Art – aber einem Pfarrer ist davon kein Begriff beizubringen; denn diese zwei Geleen oder Gallerte sind so zart und weich, daß ich sie, wenn ich sie auch von allen Stufen des Throns hinuntertragen wollte in die Kaplanei, doch so verdorben und anbrüchig hinabbrächte, daß man ihnen drunten die zwei entgegengesetzten Namen geben würde, für die wir doch schon unsre besondern Gegenstände oben haben. Die Bürgerlichen würden unsere bejahrten Männer in der Liebe lächerlich finden, und diese euere Töchter. – Was mir aber dieses glückliche Hofleben oft versalzet, ist der allgemeine Mangel an Verstellung. Denn hier glaubt keiner, was er hört, und denkt keiner, wie er aussieht; alle müssen nach den ordentlichen Spielgesetzen, gleich den Karten, einerlei obere Seite haben und äußere Gesichtstille auf inneres Glühen decken, wie der Blitz nur den Degen, aber nicht die Scheide zerstört. – Folglich kann, da eine allgemeine Verstellung keine ist und da jeder dem andern Gift zutraut, keiner belügen, sondern jeder nur überlisten; nur der Verstand, nicht das Herz wird berückt. Inzwischen ist, die Wahrheit zu sagen, das keine Wahrheit; denn jeder hat zwei Masken, die allgemeine und die persönliche. Übrigens werden die Farben, die auf den wissenschaftlichen, feinen und menschenliebenden Anstrich des Äußern verbraucht werden, notwendig vom Innern abgekratzet, aber zum Vorteil, da am Innern nicht viel ist, und das Studium des Scheins verringert das Sein; so sah ich oft im Walde Hasen liegen, an denen kein Lot Fleisch war und kein Tropfen Fett, weil alles von dem ungeheuern Haarpelz weggesogen war, der nach dem Tode fortgewachsen.

Wenn man den Inhalt des Throns und des platten Pöbel-Landes vergleicht, so scheinet die physikalische und moralische Erhabenheit der Menschen im umgekehrten Verhältnis mit der ihres Bodens zu stehen, so wie die Einwohner der Marschländer größer sind als der Bergländer. Aber gleichwohl tragen jene erhabnen Leute den Staat leicht auf Schmetterlingflügeln, überschauen sein Räderwerk mit dem hundertäugigen Papillon-Auge und beschirmen mit einem Spazierstöckchen das Volk vor Löwen, oder jagen damit die Löwen in dem Volk, wie in Afrika Hirtenkinder mit einer Peitsche naturhistorische Löwen vom Weidevieh abschrecken... Lieber Herr Hofkaplan! diese Satire schmerzte mich schon auf der vorigen Seite; aber man wird hier boshaft, so wie eitel, ohne zu wissen wann, jenes, weil man zu sehr auf andere, dieses, weil man zu sehr auf sich merken muß. Nein! Ihr Garten, Ihre Stube ist schöner; da gibt es keine steinerne Brust, an der man die Arme und Adern der Freundschaft kreuzigt wie ein Spaliergewächs; da muß man sich nicht täglich wie ich zweimal rasieren lassen und dreimal frisieren; da darf man doch seinen gewichsten Stiefel anziehen. Schreiben Sie Ihrem Adoptivsohne bald – denn ich schlage mir das Fest Ihres Besuchs noch ab. – Sind viel Kindtaufen und Leichen? – Was macht der Fuchs und der taube Balgtreter? – Eben wird jetzo der Mörser statt Ihrer Ratten-Trommel unter mir gerührt. – – Leben Sie wohl.

Und Sie grüß' ich jetzt erst, geliebte Mutter! Meine Hand ist warm, und in meinem Herzen klopfen ein paar Seelen, weil jetzt Ihr Angesicht voll mütterlicher Wärme alle meine satirischen Eisspitzen bescheint und in warmes Blut zerschmelzt, das für Sie schlagen und für Sie fließen will. Wie tut es so wohl, wieder zu lieben! Ihr zweiter Sohn (Flamin) ist gesund, aber zu fleißig, und gegenwärtig in St. Lüne. Grüßen Sie meine Schwestern und alles, was Sie liebt.

Sebastian.«

*

Er hob den Brief auf, um den Regierrat, der seine Person mit haben wollte, doch mit einer Fracht abzufertigen.

Indessen wurden seine und Jenners gemeinschaftliche Besuche mit ihren Theaterknoten zu ganz andern Nervenknoten der Freundschaft zwischen Jenner und ihm – und zugleich machten sie den Ruf dieser Freundschaft größer. In St. Lüne, in Le Bauts Hause, wurde dreimal mehr daraus gemacht, als daran war – im Pfarrhause neunmal.

Dazu kam eine Kleinigkeit, nämlich eine Schlägerei – eigentlich zwei. Ich habe den Vorfall vom Spitz, Viktor ihn von Flamin, dieser von Matthieu, in dessen edlem historischen Stil er hier der Nachwelt übergeben werden kann. Der Evangelist schämte sich keines Bürgerlichen, sobald er ihn zum Narren haben konnte. Daher besuchte er den Hofapotheker ohne Bedenken. Diesem, der den Kasernenmedikus Kuhlpepper wegen seiner stolzen Grobheit und wegen der untern NoteKuhlpepper tat ihm nie den Gefallen, um den er ihn so oft bat, daß er dem Fürsten ein Klistier verordnete, welches alsdann der Apotheker selber gesetzet hätte, um nur einmal dem Regenten beizukommen und dessen schwache Seite in seine eigne Sonnenseite zu verwandeln. innig haßte, hatte Matthieu längst versprochen, den Doktor zu stürzen. Da der letzte und das Podagra durch Viktor wirklich von Jenners Füßen vertrieben waren: so ließ der Evangelist dem Apotheker merken, er selber würde ohne dessen Wink und Wünsche weit weniger zum Falle Kuhlpeppers beigetragen haben, als er getan. Zeusel – zumal da er den Nachfahrer des Kasernenmedikus im Hause hatte – kam nach einigen Tagen mit der gewissen Überzeugung aufs Billard, daß er aus seiner Apotheke heraus Kuhlpeppern das unsichtbare Bein untergestellet und ihn von den Thronstufen herabgeworfen. Dort war zum Unglück der Kasernenmedikus selber und der edle Matz. Zeusel kam auf diesem Theater mit den Festons von drei Uhrketten an – mit einem Paar Hosen, auf deren Knien einige Arabesken gedruckt waren – mit einer doppelten Weste, doppelten Halsbinde und im Gesicht mit doppelten Ausrufzeichen über den Kasernenmedikus – seine Geldbörse saß gerade unter dem heiligen Bein, weil er, wie einige Engländer, die Hosentasche in die Gegend der Hosenschnalle hatte verstecken lassen. Er hatte als Kammermohren seinen hagern langen Provisor mit, der im Neben-Trinkzimmer auf den sehr kurzen Provisor der zweiten oder Kanaillen-Apotheke stieß. Der kurze Provisor folgte aus Haß dem langen überall, bloß um ihn zu ärgern; aber diesesmal war er bloß vom Lande zurück mit einigen von Wiedergenesenden einkassierten Hühnereiern.

Matthieu nahm sich – nach einem exegetischen Wink an Zeusel – die Freiheit, über das fürstliche Podagra Kuhlpeppers Meinung zu sein. Kuhlpepper, der ein alter Deutscher sein wollte – solche alte Deutsche können sich nie im Zorn, aber recht gut aus Eigennutz verstellen –, feuerte ab und sagte, der englische Doktor sei ein ganzer Ignorant. Zeusel faßte mit einem weiten Lächeln wie mit einem Buchdruckerstock seine höfische Verachtung gegen den groben Mann ein. Der Medikus sah wie der Gleicher, der Apotheker wie Spitzbergen aus. Jetzo wurde bloß über das Podagra geturnt. Der Kampfwärter und Turniervogt Matthieu gab zu verstehen, »Zeusel liebe zwar seinen Fürsten und Herrn, aber er wünsche doch, daß diese Liebe die besten Mittel und die heilsamsten Einflüsse gehabt.« – »In den H--« (sagte Kuhlpepper) »kann der da Einfluß haben.« – Als sich der Apotheker deswegen stolz und verächtlich in die Höhe richtete: drückte ihn der Doktor langsam auf den Stuhl und auf seinen Geldbeutel nieder, und die auf die Achsel eingeschlagne Hand nagelte den kleinen Zierling samt der Börse an den Sessel an.

Diese Befestigung verdroß den Schneidervogel am meisten, und er versetzte, in die Höhe wollend: »noch heute würde er, wenn er zu Rate gezogen würde, Sr. Durchlaucht die jetzige bessere Wahl anraten.« Der Kasernenmedikus mochte vielleicht die Hand zu hurtig von der Achsel abdecken; denn er bestrich damit, wie mit einer Kanone, die Nase seines Gegners, worauf diese ein Blut wie der heilige Januar entließ. Der Evangelist bedauerte es für seine Person, »daß zwei so verständige Männer sich nicht miteinander entzweien und schlagen könnten ohne persönlichen Haß und ohne Hitze, da sie gleich kriegenden Fürsten sich ohne beides anfallen könnten – aber das Bluten bestätige Zeusels Wallung zu sehr«. – Zeusel rief zum Doktor: »Sie Grobian!« – Dieser nahm im Grimme wirklich die Matthäische Meinung an, jener blute nur aus Grimm, und verglich ihn mit den Kadavern, die in alten Zeiten zwar bei Annäherung des Mörders bluteten, aber bloß aus ganz natürlichen Ursachen. Der Medikus suchte also seinen gleich einem Fürsten oben vergoldeten Stecken auf und beurlaubte sich mit der gekrönten Stange, indem er sie einige Male gleichsam magnetisch-streichend über Zeusels Finger führte; aber ich würde den Stab, wenn ich an der Stelle anderer Leute wäre, weder ein Hörrohr für Zeuseln nennen, das der Arzt an ihn, wie man Schwerhörigen öfters tut, anstieß, damit dieser besser hörte, noch auch einen Türklopfer, den er der Wahrheit vorstreckte, damit sie leichter in den Apotheker einkonnte: sondern er wollte bloß seine Finger nötigen, das Schnupftuch fallen zu lassen, damit er ihm ins Gesicht beim Abschied schauen könnte, den er in die schonende Wendung kleidete: »Sag Ers Seinem Doktor, er und Er da, ihr seid die zwei größten Stocknarren in der Stadt.«

Vor den letzten Worten verhielten sich beide Provisores ruhig genug, nicht mit der Zunge – denn der lange Provisor sang als zweites Chor mit demselben Kriegsliede den kurzen an und war echter Anti-Podagrist –, sondern sonst. Wer überlegt, daß der lange meinen Helden wegen seiner Höflichkeit liebte und den kurzen nicht leiden konnte, weil Kuhlpepper alles bei diesem verschrieb, der würde von dem Paare nichts Geringers erwarten als den Widerschein des Billardzimmers; aber der lange Provisor war gesetzt und breitete erhebliche Wahrheiten nie wie Portugal mit Blute aus, sondern er nahm – sobald der Kasernenmedikus den Hofmedikus einen Stocknarren genannt hatte – still den Hut des kurzen Provisors, der in solchen des Zerknickens wegen seine Eier-Gefälle niedergelegt hatte, und setzte besagte Eier dem Professionverwandten ohne Ingrimm auf; und mit geringem Druck paßte er den Doktorhut, der eine halbe Elle zu hoch saß, seinem Freunde – um so mehr, da auch Kastor und Pollux Eierschalen aufhatten – promovierend recht an und ging fort, ohne eben viel Dank für das aufgesetzte Filz-Gefüllsel und den fließenden Gesicht-Umschlag haben zu wollen.

Schlägereien breiten kleine, wie Kriege große Wahrheiten aus. Der Hofkaplan Eymann sandte ein langes Glückwunschschreiben an Viktor und hieß ihn »Jenners Nierenlenker« und bat um seinen Besuch. Ein »Ranzenadvokat« klopfte bei ihm wie bei einer höhern Instanz an und bat ihn um eine fürstliche Einschreitung gegen das Regierkollegium. Der Apotheker hält mit seinem Gesuch um ein Lavement noch zurück.

Viktor sparte sich noch den ersten Besuch in St. Lüne auf wie eine reifende Frucht und ärgerte dadurch den Regierrat, der ihn hinbereden wollte. Aber er sagte: »Die Hinterbliebenen eines Orts sehnen sich nach dem, der daraus fort ist, so lange unbeschreiblich, bis er den ersten Besuch gemacht, so wie er auch. Nach dem ersten passen beide Parteien ganz gesetzt und kalt den zweiten ab.« – Was er nicht sagte und dachte, aber fühlte und fürchtete, war: daß seine Halbgöttin Klotilde, die das Allerheiligste in seiner Brust bewohnte, und die seiner Seele durch ihre Unsichtbarkeit teurer, nötiger und eben darum gewisser geworden war, ihm vielleicht bei ihrer Erscheinung alle Hoffnungen auf einmal aus seinem Herzen ziehe. –

Es war am Abend des empfangenen Eymannischen Briefes, wo er so phantasierte: »Wenn doch Jenner nur so gesund bliebe! – Er muß Bewegung haben, aber eine ungewohnte – der Reiter muß gehen, der Fußgänger fahren. – Wir sollten miteinander zu Fuß durchs Land ziehen, verkleidet. – Ach ich könnte vielleicht manchem armen Teufel nützen – wir schlichen heimwärts durch St. Lüne – – Nein, nein, nein«...

Er erschrak selber vor einem gewissen Einfall – denn er besorgte, er würde ihn, da er ihn einmal gehabt, auch ausführen, daher sagte er dreimal Nein dazu. Der Einfall war der, den Fürsten zu Klotildens Eltern hinzubereden. – Es half aber nichts: es fiel ihm bei, daß sein Vater ein zu strenges Rügegericht über den Kammerherrn und den Minister gehalten – »Was will mir Le Baut schaden! Wenn ich dem armen Narren nur drei Sonnenblicke von Jenner zuwendete! – Das Gescheiteste ist, ich denke heute nicht mehr darüber nach.«

Der Hund wird uns Antwort bringen; ich meines Ortes wette – ein feiner Menschenkenner auf meiner Insel wettet hingegen, der Held macht diesen Spaß –, daß er ihn nicht macht.


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