Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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45stes oder letztes Kapitel

Knef – die Stadt Hof – Schweißfuchs – Räuber – Schlaf – Schwur – Nachtreise – Gebüsch – Ende....

Ich sage nur so viel voraus: solange man noch Dinte – wie den Johannisbeerwein – aus Federspulen verzapfte; solange noch Kiele geschnitten wurden, um Friedeninstrumente zu machen – oder verkohlet, um Krieginstrumente zu machen (denn die Kohle des Schießpulvers bereitet man aus Federn) – und noch länger vorher: so lange ist der sonderbare Vorfall gar noch nicht vorgefallen, den ich der Welt jetzo zu berichten habe. Wie gesagt, ich sage nur das voraus: der Vorfall ist leidlich.

Weil der Posthund seit dem 44sten Kapitel von diesem gelehrten Werke die Hand oder Pfote abgezogen: so wollt' ichs allein hinausmachen und nur noch ein letztes Kapitel – aber nicht dieses – als Schlußstein und Schwanengesang gar anstoßen, damit das opus einmal auf die Post und auf die Welt käme. Gute Rezensenten, dacht' ich, lässest du über den Mangel an einer Finalkadenz sich mit dem Posthunde und biographischen Leithammel so lange herumbeißen, als sie wollen..... Es war schon gegen das Ende des Oktobers und meiner Robinsonade auf der Johannisinsel, als der alte gute Freitag dieses Robinsons, mein Doktor Fenk, von seiner langen botanischen Alpenreise nach Scheerau heimkehrte, aber sogleich wieder in die See stach und auf meinem Johannitermeistertum ausstieg.

Wir setzten uns nieder zu zwei oder drei Gängen mit historischem Eingeschneizel (Ragout) von Reiseanekdoten. Zuletzt macht' ich ihn – wie alle Gelehrte tun – auf das aufmerksam, was ich schriebe, auf mein neuestes Opusculum, das so verdammt hoch vor uns aufgebettet stand wie ein Sternenkegel: »Es ist ganz flüchtig« (sagt' ich) »von mir gefallen, oft in der Nacht, so wie Voltaire oder die Pfauhennen im Schlafe Eier aufs Stroh herunterspringen lassen. Ich habe die Welt mit diesem Vermächtnis von vier Heftlein gern bedacht; aber das Vermächtnis wartet noch aufs letzte Kapitel – sonst wird die Hundarbeit im edeln Sinn eine im schlechten.« Er las das ganze Vermächtnis vor meinen Augen durch – welches für einen Autor eine närrisch schwüle Empfindung ist – und schwepperte oft mit den zwei Armen auf und nieder und wollte den Verfasser rot machen durch übertreibendes Lob; aber es verfing nichts; denn ein Verfasser hat sich jedes schon vorher tausendmal erteilt und ist zugleich seine eigne Fleischwaage, sein eignes Fleischgewicht und sein eignes Fleisch, weil er wie ein Tugendhafter mit seinem eignen Beifall zufrieden ist. –

»Der Held deiner Posttage« – sagt' er – »ist ein wenig nach dir selber gebosselt.« – »Das«, versetzte ich, »entscheide die Welt und der Held, wenn mich beide kennen lernen; es tuns aber alle Autores, ihr Ich steht entweder abgezeichnet vor dem Titelblatte oder darhinter mitten im Werke, wie der Maler Rubens und der Zeichner Ramberg fast in allen ihren Arbeiten einen Hund anbringen.«

Nun aber denke man sich mein staunendes Händezusammenschlagen, als der Doktor mir das Ländchen nannte, wo die ganze Geschichte vorging: *** heißet wirklich das Ländchen. »Ich solle nur hin,« sagt' er, »so könnt' ich das 45ste Schwanz-Kapitel aus der Quelle schöpfen. Bei seinem Durchmarsch wäre man in Flachsenfingen erst über dem 40sten Hundposttage her gewesen. Wenn ich eigne Pferde nehmen wollte (das will ich, sagt' ich, ich kaufe mir heute noch eigne): so könnt' ich vielleicht einem vornehmen Passagier nachkommen, der, wenn ihn nicht alles tröge, der Lord leibhaftig sei.« Wegen einiger Lot Teufeldreck, die Fenk unterweges nötig hatte, war er sogar bei Zeuseln in der Apotheke gewesen, dem, sagt' er, die Zahl 99 so leserlich wie dem Nummernvogel (Catalanta) die Zahl 98 anerschaffen sei.

Verdenken kann mans wahrlich keinem Autor, der nach seinem 45sten Schwanz- und Schleppen-Kapitel krebset und fischet, daß er wie unsinnig weglief – aufpackte – anschirrte – einsaß – fortjagte und so wütig zufuhr im Vorüberschießen vor Hotels, vor Landhäusern, vor Prozessionen, vor Sternen und Nächten, daß ich nicht etwan in ** Tagen, sondern schon in *** Tagen (mancher wird gar denken, ich mache Wind) in den Gasthof zum goldnen Löwen bestäubt, aber ungepudert hineinsprang. Besagter Gasthof liegt nämlich in der Stadt Hof, die ihrerseits wieder in etwas Größerem liegt, nämlich im Voigtland. Ich nenne mit Fleiß weder die Tage meiner Reise noch das Tor, wodurch ich zu Hof einschoß, damit ichs nicht neugierigen Schelmen und mouchards durch die Marschroute verrate, wie Flachsenfingen heißet. Hof konnt' ich ohne Schaden herausnennen, weil man von da aus – sobald man über die Tore hinaus ist – nach allen Punkten des Kompasses fahren kann; und so kann man da (welches recht gut ist) auch aus allen Orten ankommen, aus Mönchberg, Kotzau, Gattendorf, Sachsen, Bamberg, Böheim und aus Amerika und aus den Spitzbubeninseln und aus dem ganzen Büsching und Fabri.

Nicht weit vom goldnen Löwen (eigentlich im Habergäßchen) stand ein vornehmer Engländer und sah zu, wie seine vier rauchenden Pferde eine Medizin von ⅔ gemeinem Salpeter und ⅓ Roßschwefel gegen das Verschlagen einbekamen. Der Fremde – der ungefähr so viel Jahre haben mochte als dieses Buch Tage – war schwarz gekleidet, lang, ehrwürdig, reich (nach der Equipage zu urteilen) und männlich gebildet. Sein heller und fixierter Blick lag wie ein Brennpunkt zündend auf den Menschen – sein Gesicht war fein und kalt – auf seiner Stirne stand die lotrechte Sekante als der Taktstrich der Geschäfte, als Ausrufzeichen über die Mühen des Lebens – mit bleichen waagrechten Linien war dieser Taktstrich rastriert, beide Arten von Linien waren gleichsam als Zeichen in die zu hohe Stirne eingeschnitten, wie hoch das Tränenwasser der Trübsal schon an dieser Stirne, an dieser Seele aufgestiegen sei. »Ich wollte den Lord Horion« – dacht' ich – »anders geschildert haben, wenn mir dieses Gesicht eher vorgekommen wäre.« Vielleicht denkt der Leser, das war der Lord selber.

Als der Engländer mein Terzett von Schweißfüchsen erblickt hatte: ging er gerade auf mich zu und leitete ein Tauschprojekt ein und wollte meinen Fuchs gegen einen Rappen einwechseln. Er hatte die Phantasie der vornehmen Russen, mit einem ordentlichen Zento ungleichfärbiger Pferde zu fahren – so wie er die schönere Sitte der Neapolitaner hatte, ein freies lediges Pferd wie einen Hirsch neben dem Wagen hertanzen zu lassen –; daher, des Roß-Quodlibets halber, wollt' er meinen elenden Fuchs erstehen, der, die Wahrheit zu sagen, nirgends sein eignes Haar trug als hinten auf dem Bürzel. Ich sagte es ihm geradezu – um ihm keinen Argwohn eines Eigennutzes und einer Absicht zu lassen –: »meine drei Füchse sähen wie die drei Furien aus und stellten die drei Kavitäten der Anatomie ein wenig vor; bloß der Schweißgaul, den er wolle, sei herrlich gebauet, besonders um den Kopf herum, und ich verlör' ihn ungern gerade jetzt, da mir der Kopf erst recht einschlagen will.« – »So?« sagte der Brite. »Natürlich,« sagt' ich, »denn ein Pferdekopf ist das beste Mittel gegen Wanzen, und der muß nun bald, wie eine reife Pflaume, vom Gaul abfallen – den Kopf kann ich in mein Bettstroh tun.« Der Engländer lächelte nicht einmal; unter dem ganzen Handel regte er keinen Finger, keine Miene, keinen Muskel. Erst als ich selber gesagt hatte: »Wenn nur die drei Parzen so lange auf den Beinen bleiben, bis ich das 45ste Kapitel abgeholt habe auf der Achse«, so fiel es mir auf, daß er mich auf eine entfernte Art mehr zu studieren und auszufragen getrachtet als den Schweißfuchs – und ich geriet auf die Hypothese, ob er nicht gar den ganzen Roßtausch nur zum Deckmantel seiner verdächtigen Ausforschfragen gemißbraucht habe.

Der Leser lese nur weiter! – Der Engländer fuhr mit meinem Fuchs-Muskelnpräparat davon – und ich später hintennach mit dem Rappen, der so stark, schwarz und gleißend war wie der alte Adam des Menschen.

Aber ich muß erst sagen, was ich in Hof wollte: – zueignen wollt' ich. Anfangs sollte jedes dieser Heftlein einer Freundin zugeeignet werden; aber ich mußte besorgen, es würde mich gereuen, weil ich mich jeden Monat mit einer andern – mit allen auf einmal nie – zu zanken pflege. Ich möchte wissen, unter welcher geographischen Breite der Mann läge, der nicht mit seiner Freundin tausendmal öfter keifte als mit seinem Freund. Der Lebensbeschreiber mußte also aus Not – weil er zu veränderlich ist – mit seinen vier Heftlein quer aus dem goldnen Löwen über die Gasse ziehen und zu dem einzigen ins Haus gehen, gegen den er sich nicht ändert und ders auch nicht tut, und zu ihm sagen: »Hier, mein lieber guter Christian Otto, eigne ich dir wieder etwas – vier Heftlein auf einmal – hübsch wär' es, wenn du jedes wieder an die Deinigen dediziertest, dreie langen gerade zu, und deines bleibt dir auch – ich reite nun dem 45sten Kapitel nach, und du schneide und raupe indes an den 44 andern Rabatten so viel ab, als du willst.«

Und hier, mein Treuer, mußt du das letzte Kapitel auch gar haben, und ich setze nur noch dazu: »Diesen Hesperus, der als Morgenstern über meinem frischen Lebensmorgen steht, kannst du noch anschauen, wenn mein Erdentag vorüber ist; dann ist er ein stiller Abendstern für stille Menschen, bis auch er hinter seinem Hügel untergeht.«

Da alle Briefe an mich, wie bekannt, in der emsigen und etwas grämlichen Stadt Hof abgegeben werden; und da überhaupt viele Reisende sie passieren: so kann man mir schon den kleinen Platz zu zwei Bemerkungen vergönnen, welche die Stadt über die Stadt selber gemacht. Die Höfer bemerken nämlich alle und tadelns, daß sie sich nicht recht zusammengewöhnen können; wir sollten uns sämtlich, sagen sie, einander recht gut ausstehen können und schon dadurch des großen Montesquieu Bemerkung widerlegen, daß der Handel Völker verknüpfe und Einzelwesen zertrenne. Zweitens werfen es alle einander vor, daß sie von Jahr zu Jahr weite Düten voll Balsaminen-, Rosen-, Klee- und Liliensamen und hohe Schachteln voll herrlicher Apfelkerne (besonders Kerne von Herrenäpfeln, Violenäpfeln, Adams- und Jungfernäpfeln und holländischen Ketterlingen) in Menge antauschten und aufschütteten und in Winterhäusern aufspeicherten – – daß sie aber von diesem Gesäme wenig oder nichts versäeten oder aussteckten: »Im Alter«, sagen sie, »sollen uns gute Früchte und Blumen zupasse kommen, wenn wir aus den jetzigen recht viel Samen ziehen und ihn dann versäen.« – Einem Kandidaten (einem akademischen Stubenkameraden von mir) gaben diese zwei Bemerkungen Anlaß zu zwei recht guten Teilen in einer Nachmittagpredigt: im ersten Teile zeigte er seinen Höfern aus der Epistel, daß sie einander in der flüchtigen Lufterscheinung des Lebens nicht raufen, sondern recht lieben sollten, ohne Rücksicht auf die Nummern der Häuser – und im zweiten Pars tat er dar, sie sollten sich im kurzen abnehmenden Lichte des Lebens von Zeit zu Zeit einen und den andern Spaß machen.....

Als ich kaum einige Stunden – Tage – Wochen gefahren (denn die Wahrheit sag' ich nicht) und gegen Mitternacht in meinem Wagen bergauf in einem dicken Forste eingeschlafen war: so stürzten zwei Hände, die von hinten durch das Rückenfenster sich hereingearbeitet hatten, eine Bienenkappe über meinen Kopf, schnallten sie hurtig um den Hals mit einem Vorlegschloß, verschränkten und verdeckten meine Augen, und mich selber ergriffen, hielten und banden zehn bis zwölf andere Hände. Das Schlimmste bei so etwas ist, daß man denkt, man werde totgeschlagen und von seinen Juwelenkästchen entblößt; nun kann man aber einen Autor, der sein Buch noch nicht hinausgemacht hat, nicht ärgerlicher und verdrießlicher machen, als wenn man ihn erschlägt. Kein Mensch will in einem Plane sterben; und doch trägt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich aufknospende, grüne, halb reife und ganz reife Plane. Ich suchte also mein Leben mit einer Tapferkeit zu verfechten – weil mir ums 45ste Kapitel und dessen Kunstrichter zu tun war –, daß ich – ich kann es sagen – vier bis fünf Prinzenräuber leicht übermeistert hätte, wär' es nicht ein halbes Dutzend gewesen. Ich streckte das Gewehr, behauptete aber das Schlachtfeld, nämlich das Kutsch-Kissen, und merkte überhaupt, daß man den Berghauptmann nicht sowohl tot machen wollen als blind. Es wurde noch abenteuerlicher – mein eigner Kerl wurde nicht vom Throne seines Bocks gestürzt – mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachsenfingen – zwei Herren setzten sich zu mir hinein, die, nach ihren Mädchenhänden zu urteilen, von Stande waren – und noch sonderbarer, es boll ein Hund, der, dem Bellen nach, als Meßhelfer und Mitmeister an diesem gelehrten Werke gearbeitet hatte.

Wir soupierten und goutierten unter freiem Himmel. Hier wurde mir ein chirurgisches Ordenband auf bloßen Leib umgetan, weil ich unter den Viertelschwenkungen und Hand-Evolutionen meiner Gegenwehr unglücklicherweise mein Schulterblatt in eine Degen-Spitze getrieben hatte. Essen konnt' ich recht gut, weil das blecherne Kanarienbauer-Türchen an meiner Bienenkappe weit aufgedrehet war. O lieber Himmel! wenn das Publikum den Verfasser der Hundposttage hätte seine Eßwaren in die aufhängenden Torflügel von Blech einschieben sehen: er wäre vergangen vor Scham! – Unter dem Essen lockte ich den Hund mit dem Namen »Hofmann!« zu mir: er kam wirklich; ich fühlte ihn aus, ob an seinem Halse kein 45stes Kapitel hinge – er war leer.

Nach einem langen Wechsel von Fahren – Essen – Schweigen – Schlafen – Tagen – Nächten wurd' ich endlich in eine See gesetzt und so lange herumgefahren (oder kams von einem Schlaftrunk), bis ich schlief wie eine Ratte. Was darauf geschah: mach' ich – so wunderbar es immer ist – erst bekannt, wenn ich die Bemerkung ausgeschrieben habe, daß die große Freude und der große Schmerz die edlern Neigungen in uns beleben und verjüngen, daß aber die Hoffnung und noch weit mehr die Angst den ganzen Wurmstock elender Begierden, den Infusionslaich kleiner Gedanken anbrüten und auseinanderringeln und ins Nagen bringen – so daß also der Teufel und der Engel in uns eine ärgere Parität ihrer zwei Religionen, als selber in Augsburg bei zwei andern ist, zu erhalten wissen, und daß jede von den zwei Religionparteien im Menschen ebensogut ihren eignen Nachtwächter, Zensor, Wirt, Zeitungschreiber besoldet als, wie gesagt, in Augsburg....


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