Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Petöfi bei uns. Zukunftspläne. Brautraub. Komödiantentum. Mein Mentschikoff. Modefreiheit. Das geheimnisvolle Leichenbegängnis.

 

Ich hatte mir in Wahrheit eingebildet, daß ich liebe und geliebt sei.

Ich war ein allezeit gern gesehener Gast im Hause der »gnädigen Frau« und ein regelmäßiger Besucher ihres jour fixe. Bei solchen Gelegenheiten lernte ich Erzsike von einer neuen Seite kennen. Sie war auch eine Künstlerin, sie spielte die Geige. Ob sie wirklich künstlerisch spielte, das wüßte ich selbst heute nicht zu sagen, denn ich verstehe nichts von Musik und weiß nicht, was der Unterschied sei zwischen Rácz Pali Ein vielbewunderter Zigeunerprimas. und Sarasate. Soviel ist sicher, daß sie alle Posen und Kniffe weg hatte, die ich später an berühmten Geigenkünstlern bewunderte: Arpeggien und Pizziccatti wie Ole-Bull, fughe di diavolo wie Reményi, Pianissimi wie Sarasate. Sie wußte auf der Geige zu weinen wie Milanollo und die Teresina Tua und wußte das Instrument mit dem Bogen zu peitschen, wie die russische Fürstin Olga Korinßka. Sie wußte einem auch ins Ohr zu spielen, wie ein Zigeunerprimás. Wenn sie spielte, war sie so teuflisch schön: alle ihre Glieder bewegten sich, ihre Schultern markierten den Rhythmus, ihre Brust wogte, ihre Taille wiegte sich in den Hüften hin und her; der Mund lachte verlockend, das Auge funkelte; bald strich sie einschmeichelnd mit dem Bogen über die Saiten, bald schlug sie unbarmherzig darauf los, und wenn das Spiel zu Ende war, blieb sie mit einer Bewegung stehen, wie eine siegreiche Stierkämpferin. Da war denn natürlich alle Welt entzückt – und vollends ich!

Eines Tages erhielt ich einen Brief von Petöfi, in welchem dieser mir mitteilte, daß er mich am nächsten Sonntage besuchen werde. Natürlich lief ich sogleich in der ganzen Stadt herum und zeigte allen Bekannten den Brief.

Es war dies ein großes Ereignis in unserem Städtchen.

Petöfi genoß damals schon im ganzen Lande eine sehr große Popularität. Sein Besuch war eine außerordentlich große Auszeichnung für unsere ganze Stadt. Es hatte sich denn auch am Sonntag nachmittags auf der Insel (wo damals der Dampfer landete) die halbe Stadtbevölkerung eingefunden. Auch Erzsikes Familie war da. Durch die Benediktiner und durch den calvinischen und lutheranischen Seelsorger waren sämtliche rezipierten Glaubensbekenntnisse vertreten. Der Stadthauptmann mit zwei grünlivrierten Haiducken repräsentierte den Magistrat. Von seiten des Komitats war Herr Bagotay Muki da, der irgend eine Honorärstelle bei dem Komitat innehatte und behauptete, daß er mit Petöfi noch aus dem »Café Pillwax« her sehr gut bekannt sei. Man rüstete sich zu schönen Begrüßungsreden und es fehlte auch nicht an Blumensträußen, die dem Dichter von schönen Damenhänden überreicht werden sollten. Allein Petöfi, als er über den Steg ans Land gestiegen war, kümmerte sich nicht um die Menge und um die Deputationen; er ließ die Damen mit ihren Blumensträußen, die Herren mit ihren Reden stehen und rannte, mit seinem kurzen Carbonarimantel umgethan, geradenwegs auf mich zu, sprang mir an den Hals und schlug mir den Hut vom Kopfe, indem er schrie: »Marczi, du schändlicher Marczi!« (Nie nannte er mich bei meinem Namen.) Dann hüllte er mich in seinen Mantel zur Hälfte ein und riß mich fort nach der Stadt, als ob er hier am besten Bescheid wüßte. In der Hauptstraße der Stadt waren die Fenster zu Ehren Petöfis mit Damen und mit Blumen geschmückt; als der Dichter dies bemerkte, schlug er sich in eine Seitengasse; so kamen wir bis zu unserem Hause auf Wegen, wo wir niemand trafen.

Meine gute Mutter empfing meinen lieben Gast sehr herzlich, nicht weil er ein großer, berühmter Dichter, sondern weil er mein Freund war. Sie kannte ihn noch aus der Zeit, als wir in Pápa Studiengenossen waren und man ihn Petrovics nannte. Darum sprach sie ihn noch jetzt Herr Petrekovics an, indem sie noch eine Silbe hinzuthat.

Petöfi war durch nichts so sehr in Wut zu bringen, als wenn man ihn an den von ihm abgelegten Familiennamen erinnerte; meiner Mutter aber nahm er es nicht übel.

»Lassen Sie mich in Ihrem Hause nur immer ›Petrekovics‹ bleiben«, sagte er und küßte meiner Mutter die Hand. Dies war sonst nicht seine Gewohnheit und er erwies seiner Mutter allein diese Ehre.

Die erste Frage war nun natürlich die, was sein Lieblingsgericht wäre. Meine Mutter kümmerte sich selbst um die Küche. Am folgenden Tage war die ganze Familie bei uns zum Diner versammelt, mein Bruder Karl, meine Schwester Esther und mein Schwager, der Professor Franz Vály.

Kaum waren wir von der Tafel aufgestanden, als der in eine silberbetreßte Livree gekleidete Diener der gnädigen Mama Erzsikes erschien. Er überreichte Petöfi ein goldberändertes Billet, in welchem die gnädige Frau ihn achtungsvoll zu ihrer heutigen Soiree einladet. Die Abendunterhaltung war zu Ehren des Dichters veranstaltet und sämtliche Beautés und Notabilitäten der Stadt sollten sich da einfinden. Natürlich hatte auch ich schon vor Tagen eine Einladung zu dieser Soiree erhalten.

Petöfi aber (seine Worte sind in unserer Familienchronik verzeichnet) antwortete dem Boten folgendes:

» Sagen Sie der gnädigen Frau, ich sei untröstlich, heute bei ihrer Soiree nicht erscheinen zu können; allein ich bin diesmal zum Besuch meines lieben Marczi hier und gehe daher zu niemandem

Der Bediente war höchlich betroffen und konnte diese entsetzliche Botschaft kaum begreifen.

Um so besser begriff meine Mutter dieselbe. »Wackerer Junge!« sagte sie still für sich hin.

Ich aber redete nicht so wie meine Mutter. Ich gestehe ganz aufrichtig, daß mir in jenem Alter ein schönes Mädchen mehr galt als irgend ein guter Freund und wäre es ein noch so großer Mann.

Ich versuchte es, meinen Freund über die Lage aufzuklären.

»Dort findest du das schöne Mädchen, von welchem ich dir geschrieben habe.«

»Gieb dich dem schönen Mädchen hin, aber gieb mich nicht als Zugabe.«

»Wenn du hören würdest, wie schön sie zu geigen versteht!«

»Geigen? Dann gieb dich selbst auch nicht hin. Du weißt, daß es drei Dinge giebt, die ich hasse: Meerrettig mit Sahne, die Kritiker und die Musik

(Er war nie zu bewegen gewesen, eine Oper anzuhören.)

»Aber der Toni Várady spielt ja auch die Geige!«

(Dieser junge Advokat war in Pest der Zimmergenosse Petöfis.)

»Freilich, der geigt auch, aber er nützt mir wenigstens.«

»Wieso?«

»In unserer Nachbarschaft wohnt ein Lump und Kartenspieler, der nachtnächtlich um drei Uhr nach Mitternacht heim kommt und sogleich zu singen beginnt. Dann wecke ich den Toni: ›Steh' auf, Freund, und geige mir diesen Menschen an!‹ Toni beginnt nun in so gräßlichjammervoller Weise zu geigen, daß der Nachbar drüben nach zehn Minuten auf den Knieen rutschend um Gnade fleht und sich bereit erklärt, auch seinerseits aufzuhören. Übrigens wohne ich seit heute mit dem Toni nicht mehr beisammen.«

»Habt ihr euch entzweit!«

»Wir sind im Gegenteil die allerbesten Freunde geworden. Ich will dir das später erzählen, jetzt laß uns von ernsten Dingen reden. Was hast du gemacht, seitdem wir uns sahen?«

Ich zeigte ihm das Manuskript der »Werktage«. Der Roman war ganz fertig.

»Warum betitelst du das Buch ›Werktage‹?«

»Damit niemand davon außerordentliche Dinge erwarte.«

Er blickte in das Manuskript und las nur die Kapitelüberschriften.

»Es war ein origineller Gedanke,« sagte er, »daß du aus Volksliedern Mottos zu den einzelnen Kapiteln gewählt hast. Das Manuskript nehme ich nach Pest mit, um dort das Buch herausgeben zu lassen.«

»Mich kennt ja niemand.«

»Mit nichten; Bajza und Börösmarty erkundigen sich nach dir. Die abgedruckte Probe aus deinem Roman hat sehr gefallen. Ich habe dafür zwölf Gulden von Emerich Vahot herausgepreßt. Frankenburg war freigebiger: er sendet dir durch mich fünfzehn Gulden Honorar für die ›Insel Nepean‹.«

Und Petöfi zählte mir auf dem Tisch siebenundzwanzig Silbergulden auf. Diese waren mein erstes Honorar. Ich hatte das Gefühl, ein Rothschild zu sein.

»Deinen Roman werden wir bei Hartleben verlegen lassen,« fuhr Petöfi fort.

»Stehst du mit ihm auf gutem Fuße?«

»Ich selbst kenne diesen Deutschen nicht, aber er ist der Verleger der Romane von Ignaz Nagy und dieser wird ihm dein Buch empfehlen.«

»Wird Nagy dies auch thun?«

»O freilich, wenn ich ihm dein Werk bringe! Er ist mein Feind, aber er ist ein ehrlicher Mann

Auch ein Zug zur Charakteristik jener Zeit: ein alter Schriftsteller protegiert einen jungen Anfänger, weil dieser der Freund seines Gegners ist.

Petöfi schob mein Manuskript in seine Reisetasche, ohne diese aber zu verschließen.

» Was hast du noch geschrieben?« fragte er weiter.

Ich holte ein zweites Bündel Manuskript hervor und sagte:

»Ein Schauspiel unter dem Titel ›Zwei Vormünder‹.«

»Was willst du damit anfangen?«

»Ich will mich damit um den akademischen Preis bewerben.«

»Das wirst du nicht thun; das kann ich nicht zugeben. Einmal hast du dich beworben und man hat dir den Preis nicht zuerkannt, obgleich zwei Akademiker für dich waren. Dorthin gehst du nicht mehr, sondern du giebst dein Stück dem Theater.«

Ich mußte mich fügen.

»Ich will dein Stück Szigligeti bringen. Dieser wird in dir den gefährlichen Rivalen sofort entdecken und wird eben deshalb dein Stück zur Aufführung bringen. Das ist auch wieder ein solcher Mensch!«

Ich legte mein Schicksal ganz in seine Hände.

»Und trachte sobald als möglich nach Pest zu kommen. Es taugt nichts, hier auf dem Lande herumzulumpen.«

»Sobald meine Patvarie zu Ende geht, eile ich nach Pest.«

»Und nun rüste dich, mit mir zu kommen. Ich nehme dich morgen nach Gran mit.«

»Nach Gran?« fragte ich erstaunt. »Was suchen wir dort?«

»Wir suchen nicht, wir rauben! Die Braut des Toni Vàrady wollen wir rauben. Deshalb wohne ich nicht mehr mit ihm zusammen.«

Da konnten denn meine Angehörigen nicht umhin, sich in das Gespräch einzumengen.

Petöfi erzählte ganz ruhig, unser gemeinschaftlicher Freund, der junge Rechtsanwalt, wolle die Tochter eines Graner Grundbesitzers zur Frau haben; die Eltern des Mädchens sind Katholiken, der Bräutigam ist Protestant, darum will man die jungen Leutchen nicht verheiraten. Diese sind aber zum Sterben verliebt und deshalb bleibt nichts anderes übrig, als die Braut zu rauben.

Das war klar, ich konnte nichts dagegen einwenden. Wenn man Dichter und Protestant ist, dann wird in solcher Situation der Mädchenraub zur Pflicht. Gerade zu jener Zeit gab es große Kämpfe in der Frage der Mischehen. »Hie Welfen, hie Ghibellinen!« Da galt es, Stellung zu nehmen.

Am folgenden Tage machte ich mich dann wirklich mit Petöfi auf den Weg, um für einen dritten guten Freund eine Braut zu rauben. Der Anschlag gelang über alles Erwarten; wir mußten nicht in dunkler Nacht mit Strickleitern und ähnlichem Rüstzeug arbeiten. Petöfis und mein Erscheinen im Hause der Braut genügte; die Eltern gaben ihre Einwilligung und der Priester segnete den Bund der Liebenden ein. Dies hinderte aber nicht, daß wir auf diese unsere abenteuerliche Expedition noch lange Zeit sehr stolz waren. Dieselbe schien übrigens ein gefährliches Präzedens zu sein. Das böse Beispiel wirkt ansteckend!

Ich kehrte mit dem Schuldbewußtsein heim, der gnädigen Mama Erzsikes die Soiree verdorben zu haben. Ich vermutete, daß man dort jetzt auf mich nicht gut zu sprechen sei. Wie soll ich nun mein Vergehen gutmachen? Dazu gehörte eine nicht gewöhnliche Phantasie!

Doch ich kam auf ein Mittel, das allerdings mit sehr viel Schlauheit ersonnen war.

Unsere Stadt war nicht nur der Amtssitz des Komitats, sondern auch ein befestigter Platz. Demzufolge konnte man in unseren Straßen nicht selten gewissen Fuhrwerken begegnen, die nicht viel mehr waren als ein Kasten auf zwei Rädern, beladen mit Donauwasserbutten, Kommißbrot, Mehlsäcken u. dgl.; als Bespannung hatten sie zwei menschliche Wesen in graues, grobes Kotzentuch gekleidet, an den Füßen zwanzigpfündige Ketten nachschleppend. Es waren Sträflinge; schon von weitem konnte man das Klirren ihrer Fesseln hören. An gewissen Tagen aber, wenn sie die ihnen zudiktierten Stockprügel erhielten, konnte man in der ganzen Stadt ihr Wehgeschrei vernehmen. Das Kettenklirren und das Jammergeschrei waren wirkliche Specialitäten unserer Stadt. Und nun vollends der Anblick dieser ausgehungerten Gesichter! Seit meiner Kindheit verdirbt mir die Erinnerung an diese Unglücklichen den Schlaf.

Ich leitete unter den begeisterten Damen und Jünglingen unserer Stadt eine Bewegung zur Unterstützung der armen Sträflinge ein.

Wäre das Unternehmen gelungen, so würde ich mich dessen gewiß nicht rühmen; weil ich es aber verdorben habe, will ich dies eingestehen.

Als mehrere für die Durchführung der Idee gewonnen waren, wurde auf meinen Antrag beschlossen, daß Erzsikes Mama gebeten werden solle, das Amt der Präsidentin dieses philanthropischen Vereines zu übernehmen. Es wurde eine Deputation an sie abgesandt, deren Sprecher natürlich ich war.

Der Erfolg war unausbleiblich. Diese ehrende Auszeichnung machte die neuliche Beleidigung wieder gut und ich ward wieder in Gnaden aufgenommen.

Die erste Aufgabe war, Geldmittel für den angestrebten wohlthätigen Zweck zu schaffen. Als einfachster Weg hierzu bot sich der Plan einer Dilettantenvorstellung. Da war wieder ich der Arrangeur. Das Programm wurde mit vieler Mühe festgestellt. Die Ouvertüre zu »Beatrice di Tenda« – »Was ist die Losung?« – »Tod und Verderben für den Vaterlandsverräter«, vorgetragen von dem Sängerchor des Kollegiums. Flötenduo aus »Lucia di Lammermoor«, vorgetragen von dem Regenschori und einem jungen Advokaten. Dann meine humoristische Vorlesung » Sonkolyi Gergely«; Zauberkünste, ausgeführt von Bagotay Muki, und schließlich als pièce de résistance Erzsikes Violinspiel.

Es war ein schweres Stück Arbeit, dieses Programm zusammenzubringen. Täglich hielten wir Proben in Erzsikes Hause. Ich war fürchterlich beschäftigt. Dem Namen nach war ich Rechtspraktikant, aber ich weiß nicht, ob die Gesetzbücher mich sahen, denn ich sah sie wahrhaftig nicht.

Endlich konnte der Tag bestimmt werden, an welchem die Vorstellung stattfinden sollte.

Inzwischen nahte auch der Zeitpunkt heran, da meine Patvarie ein Ende nahm und ich zur Juraterie übergehen sollte. Mein Bruder Karl schrieb an einen ihm bekannten Advokaten in Pest, der eine große Praxis hatte, er möge mich bei sich als Juraten aufnehmen.

Und da auch der Winter nahte, und ich in eine sehr ferne, mir fremde Welt abreisen sollte, dachte meine gütige Mutter an meine Ausrüstung. Man wird es heute für eine Fabel halten, wenn ich erzähle, daß das Linnen, das ich als Jurat am Leibe trug, von meiner guten Mutter selbst gesponnen worden. Ich aber glaube, daß jenes, von der Mutterhand gesponnene Hemd an meinem Leibe das zauberische Gewebe war, von welchem so viele Schicksalsschläge abprallten.

In dem kleineren Hause, das wir besaßen, wohnte ein Leinweber und auch ein Schneider. Wir mußten uns demnach nicht erst an fremde Leute wenden. Meine Mutter versorgte mich auch mit einem guten Winterrock.

Es war wirklich ein prächtiger Winterrock, der mich bis zu den Fersen zudeckte, ein wahrhaftiger Mentschikoff. Vierzig Jahre später wäre ich darin ein sehr fescher Dandy gewesen; zu jener Zeit aber trug kein Mensch mit Ausnahme des Guardians der Benediktiner ein ähnliches Kleidungsstück.

Als ich in diesem, zu früh geborenen Mentschikoff bei der Probe der Dilettantenvorstellung in Erzsikes Hause erschien, umringten mich alle und fragten mich unter großen Lobeserhebungen, wo ich mir dieses Kleidungsstück hätte machen lassen und ob noch ein ähnlicher Rock zu bekommen wäre? Erzsike meinte, daß wir in diesem Rock alle beide Platz hätten und ich hatte nichts dagegen zu bemerken.

Als ich aber wegging (man ließ mich rufen, mit der Botschaft, daß für mich aus Pest ein Brief angekommen sei), hatte ich kaum die Thür hinter mir geschlossen, als ich einen riesigen Heiterkeitsausbruch hörte. Als ich aber auf der Straße angelangt war und nach dem Hause zurückblickte, das ich soeben verlassen, waren sämtliche Fenster zu dreien und vieren mit lachenden Gesichtern besetzt, unter welchen ich auch Erzsikes Gesicht bemerkte. – Ei, ei, sind diese Leute heute gut gelaunt! dachte ich mir.

Zu Hause angelangt, fand ich einen Brief des Pester Advokaten vor, in welchem mir dieser in amtlicher Kürze mitteilte, daß in seiner Kanzlei eine Juratenstelle erledigt sei, welche ich sofort antreten könne. Sollte ich binnen drei Tagen nicht eintreffen, so würde diese Stelle mit einem andern besetzt werden.

Nun, das war eine nette Bescherung! Die Dilettantenvorstellung war für den nächsten Sonntag anberaumt, wir hatten heute erst Dienstag. Wenn ich am Freitag nicht in Pest bin, so nimmt ein anderer meine Stelle ein!

Was soll denn aus dem Konzert werden? Und wie soll ich Erzsike so treulos verlassen? Und vollends die armen Sträflinge!

Vielleicht läßt der Pester Advokat mit sich feilschen und bewilligt mir noch einige Tage Aufschub?

Ich setzte mich hin und schrieb ihm eine Antwort.

»Wohlgeborner Herr Advokat!

Infolge Ihrer hochgeschätzten Verständigung halte ich es für meine Pflicht, Ihnen eiligst zu erwidern ...«

Ja, aber was?

Da galt es, etwas zu lügen. Nein, nein, es ist keine Lüge, nur Phantasie, meine Phantasie sollte etwas ersinnen. Etwa eine plötzliche Krankheit? Nein, nein, damit ist nicht gut zu spaßen. Eine unvollendete Prozeßangelegenheit, die ich meinem alten Prinzipal noch schulde? Das wird mir ein Pester Advokat nicht glauben wollen. Welchen Vorwand soll ich nun doch ersinnen?

Und als ich so dasaß und an der Feder kaute, trat meine Mutter in die Stube ein und fragte mich: »Wo warst du, mein lieber Sohn?«

Ich sagte ihr, daß ich in Erzsikes Hause war.

Darauf erwiderte mir meine Mutter:

» Aber, mein Kind, was läufst du denn diesen Herrschaften nach? Sie lachen dich doch nur aus

Ich hatte ein Gefühl, wie wenn das erste Frösteln des Fiebers uns überläuft.

Ich hatte es selbst gesehen und gehört, daß sie mich auslachten, und weiß es doch nicht; meine Mutter hat es weder gesehen noch gehört und weiß es doch!

Ich sagte nichts, sondern fuhr in meinem Briefe fort.

»... daß ich morgen sofort nach Pest abreisen werde, um die mir angebotene Stelle in Ihrer Kanzlei anzutreten.«

Und ich zeigte meiner Mutter beide Briefe, worauf sie mir mit jenem unendlich gütigen Lächeln antwortete, das mir ihr Gesicht so unvergeßlich gemacht hat.

Sie packte unverzüglich meine Fahrnisse ein und übergab mir ihre ersparte Barschaft, damit ich in der teuren Großstadt keine Not leide.

Ich wollte an Erzsikes Mama schreiben, um meine plötzliche Abreise zu entschuldigen. Meine Mutter aber sagte:

»Laß das Schreiben, ich will selbst hingehen und der gnädigen Frau mitteilen, was mit dir vorgefallen.«

Am folgenden Mittag saß ich auf dem Dampfboote und am nächsten Morgen kam ich in Pest an. Über Nacht lag das Dampfboot bei Almás verankert, wie es für ein rechtschaffenes, mit einem guten Gewissen ausgestattetes Dampfboot sich geziemte.

Diese ganze plötzliche Wendung des Schicksals hatte ich meinem Mentschikoff zu danken.

Darum kann ich denn auch nicht von ihm scheiden, ohne einen illustrierenden Umstand an den Tag zu bringen.

In jener Zeit herrschte in unserem Vaterlande volle Modefreiheit, selbst in Budapest.

Daß Petöfi eine Csokonaymente trug und dazu einen kurzen Carbonarimantel, das weiß jedermann. Gabriel Egressy Hervorragender Tragöde der vierziger Jahre. Anmerkung des Herausgebers trug eine Attila aus lichtem Atlas, aus einem Stoffe, aus welchem man Bettdecken verfertigte, und dazu ungarische Stiefel in Falten gelegt. Koloman Lißnyay trug eine hellblaue Viktoria mit fünf Reihen kleinen Bleiknöpfen besetzt, die Aufschläge mit Tulpen bestickt, dazu eine mit Knöpfen dicht besetzte Reithose. Paul Vasvárys grasgrüne Kossuthka mit weiten Ärmeln, die ein rosarotes Futter hatten und dazu sein großer grüner Mantel sind genugsam bekannt. Karl Sükei trug ein walachisches Kostüm, dazu bald einen riesig hohen Cylinderhut, bald wieder einen türkischen Fez. Mein Prinzipal trug einen semmelfarbenen Rock mit vier Reihen Perlmutterknöpfen. Jeder dieser Knöpfe war so groß, wie eine Cigarrenaschenschale. Ludwig Dobsa war berühmt wegen seines Mantels aus Gummielastikum, Toni Várady wegen seiner weithin klingenden Sporen, Friedrich Podmaniczky wegen seiner exorbitanten Vatermörder. Nur Josef Irinyi hielt an der Pariser Mode fest; er trug einen schwarzen Frack mit kurzen Schößen und eine lange weiße Weste; so gekleidet ging er Sommer und Winter in den Straßen umher. Auch Albert Pálffy trug einen schwarzen Frack, aber dieser hatte einen englischen Schnitt, mit langen, quer übereinander liegenden Schwalbenschwänzen; ein Monocle und ein spitziger Hemdkragen, der seinen Schnurrbart stützte, vervollständigten seine Erscheinung.

Und es fiel niemandem ein, sich über die Tracht des andern zu skandalisieren. Wer hätte denn auch an dem glänzenden Castorhute Karl Bérczys Anstoß genommen? Oder an dem roten Gilet und der goldbefransten Krawatte Emerich Vahots? Ludwig Kuthy hatte vollends ein extra-idealisches Kostüm für sich erfunden. Und in dieses Quodlibet der freien Mode brachten erst die scythischen Trachten der Juraten mit ihren vielfachen traditionellen Mustern die richtige Buntheit.

Nur mir war es nicht gestattet, meinen Mentschikoff zu tragen, denn über diesen war selbst Obernyik entrüstet.

Eines Tages verschworen sich Petöfi und Várady Toni gegen mich. Sie hatten einen Sarg für meinen Mentschikoff bestellt, legten ihn hinein, trugen ihn auf den Rákos hinaus und begruben ihn unter herzbrechenden Grabreden. Mir brachten sie nichts als den schwarzberänderten Partezettel heim.

Er ruhe in Frieden! Mir war er ein guter Freund.


 << zurück weiter >>