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Drittes Kapitel.

Wie es ihr weiter erging.

 

Als sie das Antlitz wieder erhob, glichen ihre Augen denen einer Somnambüle, die in den Mond starrt. Sie schienen schier schwarz zu sein, dermaßen waren die Pupillen erweitert. Sie sprach nun leise.

»Mir ist, als hätte ich jetzt noch das ganze Bild vor Augen. Der größte Teil der Stadt stand in Flammen. Es mußte schon Abend sein; der Schlag der Turmuhr auf der Calvinerkirche mengte sich in das Gewimmer der Sturmglocke; die Uhr schlug acht, die Sturmglocke fünf; die Leute zählten die Schläge: genau dreizehn! Die Sonne war untergegangen, aber das ganze Firmament leuchtete: der Feuerschein der dichten Rauchwolken machte diesen infernalischen Tag; und in dieser furchtbaren Beleuchtung ragte gleich einem schreckhaften Götzenbild der Turm der Calvinerkirche in die Höhe, mit seinem ungeheuren Kupferdach und dem goldenen Knauf und Stern am Giebel. Stern und Knauf leuchteten gleich einer überirdischen Erscheinung. Das Geprassel der ungeheueren Feuersbrunst wurde von dem Angstgeschrei, das aus zehntausend Kehlen kam, und von dem Gebrüll der Tiere übertönt. Aus jenem Teile der Stadt, wo die Fuhrwerksbesitzer wohnen, hatten die Fuhrwerke, Pferde, Kühe, von ihren Eigentümern geführt, auf dem Rosalianplatze und dem ›Zigeuneranger‹ sich zusammengedrängt. Man konnte sich da kaum mehr rühren. Auf diese wehklagende, heulende Menge brach plötzlich jene Masse herein, die vom Donauufer zurück durch die brennende Stadt herandrängte, immerfort den Schreckensruf ausstoßend: ›Der Feind hat die Stadt überfallen!‹ Die Schreckensbotschaft war, bis sie hiehergelangte, schon dermaßen ins Ungeheuerliche übertrieben worden, daß es Leute gab, welche die feindlichen Soldaten in die Stadt eindringen gesehen haben wollten. ›Man sengt, mordet und raubt‹, hieß es, ›flieht, flieht!‹ Einige fügten hinzu, daß man sogleich die vom Feinde besetzte Stadt aus der Festung bombardieren werde. Mit einemmale füllten sich alle Gassen, die zur Waagbrücke führen, mit flüchtenden Fuhrwerken. Diejenigen, die früher dahin gelangen konnten, trachteten durch das enge Gäßchen des sogenannten kleinen Marktplatzes vorwärts zu kommen. In meinem Entsetzen hatte ich mich an den Schragen eines solchen dahinrasenden Fuhrwerkes geklammert und rannte so hinterdrein. Die leichten Stiefelchen an meinen Füßen waren bald vernichtet und füllten sich mit Staub und Kies. Ich hatte keine Zeit, stehen zu bleiben, um mich davon zu befreien. Der Wagen, an den ich mich klammerte, war mit vorzüglichen Pferden bespannt und der Mann, der sie trieb, schonte die Peitsche nicht. Zwei Frauen, in Bauernmäntel gehüllt, saßen im Wagen. Ich war verwundert darüber, wie diese Frauen sich so fest in ihre Mäntel hüllten und überdies ihre Köpfe in großen Tüchern bargen, da doch ringsumher eine kaum erträgliche Hitze herrschte.

»Dieser Wagen erreichte glücklich die Brücke der Waagdonau, ehe die anderen flüchtenden Fuhrwerke den Weg verrammelt hätten. Man mußte Halt machen, weil die Mauthwächter den Brückenzoll forderten. Daß die Stadt brannte, kümmerte sie nicht: der Brückenzoll muß bezahlt werden. Eine der beiden Frauen reichte den Mauthwächtern eine österreichische Hundertguldennote; allein der Mautheinnehmer vermochte nicht herauszugeben. Seltsame Bäuerinnen, die keine kleine Münze haben, nur Hunderternoten! Während die Bäuerinnen mit den Mauthwächtern unterhandelten, erinnerte ich mich, daß ich ja meine feinen Kleider wieder am Leibe habe, in deren Taschen sich stets ein Silberzehner für etwaige Bettler fand. Ich redete die Bäuerinnen an: ›Ich habe einen Silberzehner, den will ich den Mauthwächtern geben; dafür nehmt mich auf Euren Wagen; neben dem Kutscher ist ja noch Platz. Es ist mir gleichviel, wohin Ihr mich führt.‹ Da rief eine der Bäuerinnen dem Kutscher zu: ›Nehmt sie nicht auf! Wir lassen sie nicht mitfahren!‹ Dann sagte sie zu dem Mautheinnehmer gewendet: ›Behalten Sie den Hunderter, wenn Sie nicht herausgeben können; aber lassen Sie uns hinüber.‹ Ich war entsetzt ob solcher Unmenschlichkeit. Was für ein herzloses Weib muß das sein, das in so gefahrvoller Zeit eine fliehende Frau nicht auf ihren Wagen nehmen will und, obgleich sie nur eine Bäuerin, lieber eine Hunderternote verloren giebt?

In meinem Grimme faßte ich das große Tuch, mit welchem die Bäuerin ihren Kopf verhüllte und riß es ihr vom Gesichte. Mir erstarrte das Blut in den Adern: ich erkannte meine eigene Mutter. ›Mutter, liebe Mutter, erkennen Sie mich denn nicht? ich bin Ihre Tochter Erzsike!‹ Da zog meine Mutter ihren Mantel vor ihr Gesicht und sagte, indem sie sich bemühte, in bäuerischer Manier zu reden: ›Gehen Sie Ihres Weges und lassen Sie mich in Ruhe, ich kenne Sie nicht, Fräulein, ich bin nicht Ihre Mutter, lassen Sie mein Kopftuch los!‹

»Ich glaubte im Moment verrückt werden zu müssen. Meine Mutter erkennt mich nicht! Meine Mutter will mich nicht auf ihren Wagen nehmen! Wie der Blitz fuhr es mir durch die Seele: Sie ist es, der die Volksmenge flucht! Sicherlich flucht man ihr ungerechterweise, allein das hilft in solchen Augenblicken nichts. Auf wen die Volkswut es ausspricht: ›Dieser ist's‹ – der ist verurteilt. Darum darf ich hier meine Mutter nicht verraten. Ich warf den Mautheinnehmern meinen Silberzehner zu, damit sie den Wagen ziehen lassen. Ich dachte, daß wenn der Wagen nur einmal jenseits der Brücke ist, meine Mutter keine Verfolgung mehr zu fürchten haben und mich aufsteigen lassen wird. Ich ergriff denn die rückwärtige Wagenleiste und lief weiter neben dem Wagen her, bis wir die Festungsschanzen hinter uns und die Landstraße erreicht hatten. Hier begann ich von neuem zu flehen, so weit meine verlöschende Stimme es gestattete: ›Mutter, liebe, gute Mutter, nehmen Sie mich doch auf den Wagen! Ich bin völlig erschöpft und kann nicht weiter.‹ Doch sie achtete nicht auf meine Worte, sondern schmähte und jagte mich: ›Pack' dich von hinnen, mach' daß du fortkommst, Marsch!‹ Und als ich doch nicht wegbleiben wollte, ergriff sie meine Hand, die sich an die Wagenleiste geklammert hatte und riß gewaltsam meine Finger los, dann gab sie mir einen kräftigen Ruck, daß ich der Länge nach auf die Straße hinfiel. Der Wagen aber raste davon.

»Meine Kräfte waren zu Ende. Meine Beine zitterten dermaßen, daß ich mich nicht aufrichten konnte. Von den Leiden dieses furchtbaren Tages an Leib und Seele gebrochen, schleppte ich mich auf den Knieen bis zum Rande des Straßengrabens. Der Trieb der Todesangst hatte mir geraten, die Mitte der Straße zu verlassen, wo ich zu Tode gerädert worden wäre. An einen am Wegrand stehenden Pappelbaum gelehnt, blieb ich nun da liegen, eine unempfindliche Zeugin des furchtbaren Schauspiels, das nun an mir vorüberzog. Die flüchtenden Fuhrwerke rasten zu dreien und vieren auf der Heerstraße dahin. Oft blieb ein Fuhrwerk an dem andern hängen, dann gab es ein gräuliches Fluchen und Lästern.

»Zuweilen ward ein Wagen von den übrigen in den Straßengraben gedrängt, dann entstand ein verzweifeltes Wehklagen und Jammern der umgeworfenen Weiber und Kinder. Ein Kutscher kam auf den kühnen Gedanken, über den Straßengraben hinweg auf das freie Feld abzulenken. Viele andere folgten seinem Beispiele und sie fuhren so nahe an mir vorbei, daß sie mich schier niederfuhren. Ich aber hatte nicht so viel Willenskraft mehr, um meine Beine näher an mich zu ziehen.

»Jetzt mengte sich Trompetengeschmetter in den höllischen Lärm. Eine Abteilung Husaren war bemüht, unter den flüchtenden Fuhrwerken freie Bahn für ein Convoi von Heuvorräten zu schaffen, welche das Festungskommando aus der brennenden Stadt nach der jenseits der Waag gelegenen Ortschaft Izsa retten wollte. Der kommandierende Offizier wetterte und fluchte, und hieb mit flacher Klinge auf die Bauern ein, die seinem Zug den Weg verstellten. ›Ihr verdammten Lümmel! anstatt das Feuer zu löschen, lauft ihr davon! Was für ein Teufel ist in euch gefahren? es giebt ja keinen Feind in der Stadt! kehrt doch heim, in des Teufels Namen!‹

»Mir schien diese Stimme so bekannt; doch hatte ich dieses Antlitz noch nicht gesehen. Der Offizier trug einen aufgezwirbelten Schnurrbart, französischen Knebelbart und die Husarenuniform, sowie Federhut auf dem Haupte. Ich hatte ihn noch niemals gesehen. Er erschien mir, wie der Drachentöter aus der Märchenwelt.

»Von allen, die bisher an mir vorübergerast waren, hatte noch keiner bemerken wollen, daß hier am Straßengraben ein bejammernswertes Wesen liege. Wer sie auch sein mochte, sie war elend und hilflos. Niemand hatte einen Blick für mich.

»Dieser Offizier aber bemerkte mich. Inmitten des Trubels hatte er wahrgenommen, daß vor den Füßen seines Rosses ein Weib liege. Er riß sein Pferd zurück und sprach mich mit meinem Namen an: ›Mein gnädiges Fräulein Elsbeth, wie kommen Sie hieher? Um Gottes willen, was ist mit Ihnen geschehen?‹

»Als er mich so ansprach, erkannte ich ihn. Diesen Namen pflegte nur ein Mann zu gebrauchen, als er bei jener merkwürdigen Dilettantenvorstellung mit mir meine Rolle einstudierte.

»›Herr Bálványosy, Herr Direktor,‹ stammelte ich, freudig erregt.

»›Nein, nein, mein Name ist Rittmeister Rengetegi. Was ist aus der Mama geworden? Ist sie geflohen? Daran hat sie recht gethan. Setzen Sie sich, mein Fräulein, auf meinen Wagen; ich will Sie an einen sichern Ort bringen.‹

»›Ach, ich kann mich nicht vom Boden erheben.‹

»Er sprang rasch vom Pferde, übergab die Halfter seinem Ordonnanzunteroffizier, trat zu mir, nahm mich in seine Arme und trug mich zu dem ersten Fuhrwerk, wo er mich auf dem weichen, duftigen Heu niederließ.

»Ich hatte das Gefühl, als würde ich nach dem Paradiese emporgetragen. Dann warf er seinen Mantel über mich. Auf der Heerstraße draußen war es schon kühl und es wehte ein empfindlich kalter Nachtwind.

»Doch seine Sorgfalt erstreckte sich auch noch auf anderes.

»›Auf dem Wagen finden Sie meinen Vorratssack, Fräulein Elsbeth. Sie haben heute gewiß nicht zu Nacht gegessen, holen Sie hervor, was sich darin findet. In der Feldflasche wird auch etwas zu trinken da sein. Ein Trunk wird Ihnen gut thun. Fürchten Sie nichts, noch steht an der Festungsmauer die steinerne Jungfrau, die dem Feinde die Feige zeigt.‹

»Dann schwang sich der Offizier wieder auf sein Pferd und fuhr fort, laut schallende Kommandoworte auszuteilen, um sein Convoi durch die Wagenburg zu bringen. Mir war, als sähe ich einen Erzengel.

»Ich ließ mich denn auch nicht lange bitten. Als ich den Vorratssack fand, stopfte ich mich mit allem voll, was mir in die Hand kam: Schinken, Kuchen, Brot. Ich fraß wie eine aus der Menagerie losgekommene Bestie. Mich dünkt, daß ich in jenem Augenblicke für das weiche Lager im frischen Heu und für die Leckerbissen, die ich im Tornister fand, mein Seelenheil hingegeben hätte.

»Als ich mich dann gesättigt hatte, wie noch nie, schraubte ich den Deckel der Feldflasche ab und führte diese an den Mund. Ich kostete nicht erst, welchen Inhalt die Feldflasche berge, sondern zog und zog daran, so gut es mein Atem nur gestattete, bis mein Durst gelöscht war. Mir scheint, es war Branntwein. Als ich genug getrunken hatte, schaute ich umher: ich fand die ganze Welt so spaßig. Die brennende Stadt schien mir eine große Illumination; der Calvinerturm in der Mitte schien sich verdreifacht zu haben. Er wackelte hin und her und warf den Kopf bald rechts, bald links. Alle die Menschen, alle die Tiere, alle die Fuhrwerke rings um mich her hüpften und tanzten vor meinen Augen und es schien, als würde ein ausgelassenes Hochzeitsvolk dazu jauchzen. Und dann – verlor ich das Bewußtsein.

»Als ich am folgenden Tage nach zwanzigstündigem Schlafe erwachte, fand ich mich in der Stube eines Bauernhauses. Zwei Männer hielten an meinem Bette Rat: der Feldarzt und ›er‹.

»›Wie befinden Sie sich, Fräulein Elsbeth? Das hier ist mein Stübchen.‹

»Seit jener Stunde bin ich Fräulein Elsbeth«.

Und nun trat Erzsike an den Rand des jäh abfallenden Felsens, kreuzte die Arme über die Brust und blickte zurück nach mir.

»Ich habe Ihnen alles erzählt. Und nun verurteilen Sie mich. Es ist unnötig, daß Sie mir erst einen Stoß versetzen. Ein Wink mit Ihrer Hand, – und ich mache ein Ende.«

Erschrocken griff ich nach ihrer Hand und riß sie von dem schwindelerregenden Abgrunde zurück.

»Versuchen Sie den Himmel nicht; nehmen Sie doch Vernunft an!« Mit diesen Worten zog ich sie gewaltsam zu unserem Reisigfeuer nieder.

»Aber ist denn das auch ein Leben?«

»Still, still,« sagte ich. »Die beiden Bewaffneten sind schon ganz nahe bei uns.«

Es waren keine Gendarmen: nur zwei harmlose Waldheger aus der Diósgyörer Kameraldomäne. Ein alter Mann mit grauem Barte und ein jüngerer, augenscheinlich ein Gehilfe des anderen.

Keinerlei feindliche Absicht hatte sie hierhergeführt. Sie konnten ja übrigens sehen, daß wir uns hier einem ganz unschuldigen Zeitvertreib widmen: am Reisigfeuer ruhig unsere Mahlzeit halten. In dem Album, das ich am Felsrande aufgeschlagen zurückgelassen hatte, war die begonnene Skizze der Landschaft zu sehen.

Sie grüßten uns recht freundlich und ich erwiderte in gleicher Weise den Gruß. Ich fragte den älteren der beiden Männer, ob ich niemanden in seinem Eigentum geschädigt hätte, indem ich hier Reisig sammelte, um Feuer damit zu machen; wenn ja, so wäre ich bereit, den Schaden zu ersetzen. Darauf erwiderte der Angeredete, er habe keinerlei Beschwerden gegen mich. Das dürre Holz gehöre eben für die armen Leute und wer es sammelt, darf es auch behalten. Und er citierte die klassische deutsche Ballade, in welcher erzählt wird, wie der hartherzige Waldheger dem armen Mann das Reisigbündel wegnimmt. Der Mann mußte demnach einige Belesenheit haben.

Er erzählte mir dann auch, was sie hieher geführt hätte.

»Wir sahen dort unten den Rauch und schlossen daraus, daß es auf der Höhe des Abgrundsteines Besucher geben müsse. Darum hielten wir es für unsere Pflicht, heraufzusteigen. Es giebt Wölfe im Walde und dieserhalben wollten wir Sie warnen.«

»Wir danken Euch die Freundschaft. So viel ich weiß, fallen die Wölfe keinen Menschen an.«

»Ei, jetzt werden die Bestien gar frech, als wüßten sie, daß die Regierung der Bevölkerung alle Schießwaffen abgenommen hat. Nur uns Waldhegern hat man einige Flinten gelassen. Zur Tageszeit weicht Meister Isegrimm dem Menschen aus, doch zur Nachtzeit oder bei Schneewehen kriegt er Courage.«

»Wir wollen nicht bis zum Abend hier bleiben. Ich möchte nur die Zeichnung beendigen, um deren willen ich den Berg erklommen habe.«

»Ich mache Sie aufmerksam, mein Herr, daß heute der Schneefall früher kommen wird, als die Nacht. Ich kenne die Witterung genau. Wenn am Morgen dichter Nebel über der Landschaft liegt, der dann plötzlich in die Höhe geht, und wenn es dann mit einemmale dunkel wird, dann haben wir noch am nämlichen Tage Schnee zu gewärtigen. Mir ist das eine alte Erfahrung.«

»Wir werden uns sputen heimzukommen.«

»Wohnen Sie in Tardona oder in Mályinka?«

»Ich wohne in Tardona.«

»Gott mit Ihnen, mein Herr; ich kenne dort jeden Menschen.«

Er fragte mich nicht, wer ich sei; wir drückten einander die Hände, worauf jene sich entfernten.

»Ist es der Mühe wert, sich deshalb in der Höhle zu verkriechen?« fragte Erzsike, als die beiden Waldheger fort waren.

»Es giebt Leute genug, die den Mut haben, einer großen Gefahr die Stirne zu bieten, vor einer kleinen Gefahr sich aber verbergen.«

»Und halten Sie meinen Freund etwa für einen Eisenfresser? Lange Zeit hatte auch ich eine solche Meinung von ihm. Es war nichts außerordentliches, daß in jenen stürmischen Tagen die Menschen plötzlich umgewandelt wurden. Einer, den wir für ein mattherziges Muttersöhnchen hielten, ward mit einem Schlage zum Helden. Rechtsanwälte wurden zu Obersten; der Krieg adelt so manchen Charakter. Ich hatte in der That geglaubt, daß Rengetegi mit seinem Namen auch sein ganzes Wesen abgestreift hätte. Wenn es galt, andere zu ermutigen, da übertraf ihn niemand an Beredsamkeit. Ich durfte wirklich stolz darauf sein, daß wir beide zusammengehören. Als die Österreicher die Stadt umzingelt hatten und die erste Bombe aus ihrem Lager auf dem Rathausplatz niederfiel, da ward mit einem Schlage das ganze öffentliche Leben von unterst zu oberst gekehrt. Und jede Etikette hatte ein Ende; die vornehmen Familien verließen ihre Häuser, insofern diese noch nicht niedergebrannt waren, und bezogen Zelte auf dem Zigeuneranger, weil dieser Platz schon außerhalb der Schußweite der bei Monostor errichteten Batterien lag. In der Baracke hören alle Regeln der Moral auf. Ein Offizier war damals eine große Autorität und an seinem Arm über die Straße zu gehen, ein nicht geringer Ruhm. Ob der Offizier auch der Gatte der Dame sei, die er am Arm führte, wurde von niemandem gefragt; er ist ein wackerer Mann, ein tapferer Mann! das war die Hauptsache. Wenn wir Bekannten begegneten, stellte ich ihn als meinen zukünftigen Gatten vor; wußte ja jedermann, daß mein Scheidungsprozeß gegen Bagotay Muki im Zuge war. Doch wo gab es jetzt einen Gerichtshof oder einen Rechtsanwalt? Richter und Advokaten waren jetzt mit dem Säbel umgürtet und bedienten die Geschütze. Wenn man mich fragte, wo ich wohne, so sagte ich: ›In der Festung.‹ In der Festung zu wohnen galt als ein beneidenswerter Zustand; dort sind die Stuben bombenfest. Ich denke, es gab mehr Leute, die mich um mein Los beneideten, als solche, die mich bemitleideten. Ich fand mich allgemach in das Soldatenleben, wir gaben Konzerte, in welchen ich die Geige spielte und Rengetegi deklamierte. Wenn der Feind die Festung mit seinen Bomben überschüttete, gingen wir mit der Musikkapelle auf die Bastei hinaus und tanzten da den Csárdás, damit die Deutschen sich ärgern. Ich hatte schon einen ordentlichen Ruf als Raketentänzerin.«

Man kann sich denken, wie wenig ich von diesen Reden erbaut war.

Erzsike merkte, daß die Erzählung ihrer Lagererlebnisse mir nicht sehr angenehm war.

»Indes dürfen Sie nicht glauben, lieber Freund, daß während dieser Episode mein Leben lediglich aus Vergnügungen bestand; es gab da auch ein kleines Intermezzo. Sie wissen, daß im Laufe des Winters die Dinge in Komorn sehr schlimm standen. Der Festungskommandant war der schweren Aufgabe, ein so mächtiges Fort zu verteidigen, nicht gewachsen. Die Besatzung faulenzte und murrte. Man munkelte von Verrat, ja der Kommandant der Festungsartillerie wurde sogar seiner Stelle enthoben. Es wäre nötig gewesen, die in Debreczin residierende ungarische Regierung von der gefahrdrohenden Lage zu unterrichten und einen andern Festungskommandanten, einen erfahrenen Feldherrn zu erbitten. Allein, wie sollte man eine Botschaft aus Komorn nach Debreczin gelangen lassen? Wer unternimmt das Wagnis, eine solche Botschaft durch alle feindlichen Armeen nach Debreczin zu bringen und mit der Antwort wieder in die Festung zu gelangen? Einen Boten hatte man bereits entsendet, doch kam er nicht wieder. Es war eine Aufgabe, bei der man den Kopf riskierte.

»Eines Abends kam Rengetegi mit den Worten in unsere Stube (die in einer Kasematte lag): ›Elsbeth, die Stunde unserer Trennung hat geschlagen!‹ Ich dachte, er wäre benebelt.

»›Haben Sie mich etwa im Kartenspiel verloren?‹

»›Nein, Sie nicht, aber meinen Kopf. Ich habe es übernommen, als Bote nach Debreczin zu gehen. Ich weiß: es ist ein schweres Stück Arbeit. Hier heißt es: ›rot oder tot.‹ Und man hat mir tausend Gulden gegeben, um mir auf meiner Flucht die Wege bahnen zu können.‹

»›Und Sie haben das ganze Geld heute Abend verloren?‹

»›Ei, ei, wie konnten Sie das so glattweg erraten?‹

»›Ich habe in der Sache Studien gemacht und kenne schon die gewissen hipokratischen Gesichter. Was wollen Sie nun anfangen?‹

»›Ich will meine Ehre retten und mich ohne Geld auf den Weg machen.‹

»›Hören Sie mich an: ich glaube Ihnen, daß Sie aus dieser bombardierten Festung gern loskommen wollen; aber daß Sie auch zurückkehren, möchte ich sehr bezweifeln. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Geben Sie mir das Schriftstück, welches an die ungarische Regierung gerichtet ist, ich selbst will es ihr überbringen.‹

»›Wie wollen Sie das machen?‹ rief Rengetegi ungeheuer erfreut.

»›Das will ich selbst Ihnen nicht sagen. Seit langer Zeit schon beschäftige ich mich mit diesem Plane. Sie haben in der Sache nur eine passive Rolle zu spielen. Sie verbergen sich im Dorfe Izsa, das vom Feinde noch unbesetzt ist, weil es unter den Festungsbatterien liegt. Dort halten Sie sich verborgen, bis ich aus Debreczin mit der Entscheidung der ungarischen Regierung zurückkehre.‹«

Ich begann diese Frau zu bewundern. »Und Rengetegi nahm diesen Vorschlag an?«

»Er griff mit beiden Händen zu. Er führte mir erhebende Beispiele aus der Geschichte an, von heldenmütigen Frauen, die an der Seite des Gatten in den Kampf zogen, von Cäcilie Rozgonyi und anderen. Er gelobte hoch und teuer, daß wenn ich meine Sendung glücklich vollbringen sollte, er mich fürder seine ›Königin Zenobia‹ nennen würde.

»Noch am nämlichen Abend hatte ich meinen Plan festgestellt, färbte Rengetegis Haupt- und Barthaar tiefschwarz, damit er nicht so leicht zu erkennen sei.«

»Das war also Ihr Einfall?«

»Dann verbarg ich ihn in einem Bauernhause der Ortschaft Hetény mit der Weisung, sich Hausarrest zu geben, bis ich wieder an seine Thür klopfen würde.

»Sodann ging ich daran, meine eigene Figur umzuwandeln. Ich mußte die Maske des Vorgeigers einer Zigeunermusikkapelle annehmen. Wenn Sie damals mein Porträt gemalt hätten! Damals war ich schön. Ich bestrich mein Gesicht mit dem Safte grüner Nußschalen und davon nahm meine Haut eine so tiefbraune Färbung an, daß ich mich getrost unter die Zigeuner mengen konnte, ohne Furcht, herausgefunden zu werden. Mein Haar schnitt ich ab, daß es mir nur bis zu den Schultern reichte. Ich zog einen ›von einer Herrschaft abgelegten‹ Rock an, ein Beinkleid, das nicht für meinen Leib geschnitten war und ein Hemd, das wohl noch niemals Seife gesehen. So verwandelte ich mich in den ›Primas‹ der schmutzigsten ›Bratelgeiger‹.«

Ich konnte es mir nicht versagen, ihr die Hand zu drücken. Welche Opfer vermag doch eine Frau für das Vaterland und für den Geliebten zu bringen.

»Doch bisher war alles nur Spaß. Nun sammelte ich mir meine Musikbande. Ein Zigeuner allein wird als Spion verhaftet, wandert er aber im Quartett, dann mag er lustig seiner Wege ziehen. Ich warb einen Bratschisten, einen Klarinettbläser und einen Baßgeiger an. Es war nicht schwer, sie zu überreden, daß sie diese vom Feinde beschossene Stadt verlassen, in welcher die Herrenleute sie aus ihren ärmlichen Zigeunerhütten verdrängt hatten. Brot und Fleisch waren sehr teuer geworden, der Erwerb aber hatte fast gänzlich aufgehört. Wer ließ sich auch in jenem furchtbaren Karneval Musik machen?

»Ich machte mich denn mit meinen drei Gefährten zu Fuße auf den weiten, unsichern Weg. Die Zigeuner fahren nur dann auf Schlitten, wenn irgend eine Herrschaft sie holen läßt; eine solche Herrschaft gab es aber damals in der Gegend nicht. Hie und da trafen wir ein Fuhrwerk, das aus dem Röhricht trockenes Rohr als Feuerungsmaterial nach irgend einer Ortschaft führte. Wir bettelten dann, daß man uns auf einem solchen Wagen eine Strecke mitfahren lasse, stiegen aber doch bald wieder ab, weil uns die Füße abzufrieren drohten.

»In O-Gyalla, der nächsten Ortschaft, fanden wir schon eine Abteilung der österreichischen Zernierungstruppen. Es waren Kürassiere. Die Patrouille brachte uns vor den kommandierenden Major. Das war ein grausamer Herr. Er schrie uns fürchterlich an, wie wir es gewagt hätten, die Stadt zu verlassen? Wir verstanden natürlich kein Wort Deutsch und begannen nach echter Zigeunerart alle vier zugleich zu reden, indem wir versicherten, es sei für uns die reine Unmöglichkeit gewesen, in der Stadt länger zu verbleiben, weil die Honvéd uns auf die bombardierten Basteien schleppten, damit wir dort den Deutschen was vorgeigen. Alle Kanonen hätten auf uns geschossen, ein Zeitvertreib, den ein Zigeuner nicht vertragen kann. ›Was sagen die Spitzbuben?‹ fragte der Major seinen Auditor. Der Auditor verstand Ungarisch und verdolmetschte seinem Major, was wir geredet hatten. ›Nix da, ihr Schufte, ihr seid Spione! Man muß sie visitieren, sie sollen sich entkleiden!‹

»Ich erschrak da nicht wenig. Nicht wegen der Depesche, die ich bei mir hatte. Diese war so verborgen, daß man sie unmöglich finden konnte, sondern weil zu befürchten stand, daß sie mein wahres Geschlecht entdecken und dahinterkommen, daß nur mein Gesicht und meine beiden Hände zigeunerisch sind, alles andere aber europäisch ist. Dann bin ich verloren. Ich sagte den Zigeunern ein Wort; daraufhin holten wir wie mit einem Zuge unsere Instrumente hervor und begannen › con fuoco‹ die schöne Volkshymne ›Gott erhalte‹ zu spielen. Da thaute das eisige Gesicht des gestrengen Kommandanten auf. ›Nun gut, ihr Halunken!‹ rief er. ›Da ihr wißt, was sich gebührt, will ich euch die Prügel schenken, die euch gebühren. Doch packet euch von hinnen! Hier im Dorfe dürfet ihr nicht bleiben; hier ist niemand, dem ihr aufspielen könntet; wer zu tanzen Lust hat, dem werde ich selber eins aufspielen – da, auf der Prügelbank!‹ Der Klarinettbläser war ein spaßiger Kerl und konnte seine Natur nicht verleugnen. ›Gott segne den gnädigen Herrn!‹ sagte er! – ›der zahlt in großen Banknoten.‹ Über diesen Witz lachte selbst der gestrenge Herr Major. ›Das nützt euch alles nichts!‹ sagte er; – ›ihr müßt fort von hier und dürfet bis Neuhäusel nicht Halt machen. Dort könnt ihr musizieren, so viel ihr wollt!‹ Wir küßten ihm Hände und Füße, daß er uns doch über Nacht da lasse; wir seien halb erfroren und halb verhungert, hätten seit einer Woche nichts als Eiszapfen gegessen und Wasser dazu getrunken. Doch der Major war unerbittlich. Er ließ uns die Augen verbinden, auf einen Schlitten packen und unter Kavallerieeskorte aus dem Dorfe schaffen. – Das war es nun eben, was wir am sehnlichsten wünschten: hinauszukommen aus dem eisernen Gürtel, mit welchem die cernierte Stadt umgeben war. Ist der Zigeuner einmal in der freien Welt draußen, da braucht man nicht zu fürchten, daß er sich verirren werde; wenn es ihm einfällt, geigt er sich durch ganz Europa durch. So schlugen wir uns, an der Donau entlang, von einer Stadt zur anderen durch und verkosteten alle romantischen Genüsse fahrenden Zigeunertums, die besonders zur Winterszeit gar reich sind an Abwechslung.«

»Trafen Sie denn unterwegs nicht das ungarische Lager Görgeys, unter dessen Schutze Sie Ihre Reise fortsetzen konnten?« fragte ich.

»Doch, doch. Aber ich hatte die Weisung, meine Depesche nur dem Chef der ungarischen Regierung zu übergeben, sonst niemandem, selbst einem kommandierenden General nicht. Wohl hätte ich mit der ungarischen Hauptarmee weiter ziehen können; dort waren die Zigeuner wohlgelitten, denn die Honvéd bewahrten allezeit ihre gute Laune. Allein, die Hauptarmee zog hinauf nach Oberungarn, während ich die Aufgabe hatte, so bald als möglich nach Debreczin zu gelangen. Ich hatte keine andere Wahl, als geradeaus zu gehen und mich durch die feindlichen Lager durchzuschleichen, bis ich zur Theiß gelange, wo ich wieder ›gut' Freund‹ finde.«

»Und wo hatten Sie die Depesche verborgen?«

»Die hatte ich innen auf den Boden meiner Geige geklebt. Ich durfte voraussetzen, daß man dem armen Zigeuner seine Fiedel, mit der er das tägliche Brot erwirbt, nicht zerbrechen werde, um darin zu suchen.

»Hatten wir in einer Stadt einiges Geld erworben, so mieteten wir einen Schlitten, der uns bis zur nächsten Stadt brachte. Am Ende einer jeden Stadt giebt es ein Zigeunerviertel, wo wir eine Heimstätte fanden und wo man uns nicht fragte, woher wir kämen. Wenn man uns aber irgendwo ausfragen wollte, kramten wir solche Lügen aus, daß einer schon sehr dumm sein mußte, um sie zu glauben. Sie erinnern sich wohl des fürchterlich strengen Winters vom vorigen Jahre und wie bitter es war, bei jenem Wetter reisen zu müssen?«

»O, ich erinnere mich dessen gar sehr, denn ich selbst irrte damals samt meiner Frau unstät und flüchtig durchs Land.«

»Wie schön wäre es gewesen, wenn wir uns zufällig getroffen hätten! Ich hätte unter Ihrem Fenster ein Notturno gespielt, hahaha! Es war für mich ein Leidensweg von Kecskemét bis zur Theiß. In Kecskemét lag Jellacsich mit seiner ganzen Truppenmacht und von da aus nahm er einen Platz nach dem andern im Alföld ein: Nagy-Körös, Szabadßállás und viele andere Orte. Und hier galt es, sich durchzuwinden. Mir wurde die Ehre zu teil, vor Sr. Excellenz dem Banus zu spielen. Er war mit mir sehr zufrieden. Ich spielte mit meiner Bande den schönen Marsch: › Slava, slava, mu mu mu, Jellacsicsu nasomu.‹ Auch zu dem schönen Kolotanze wußte ich Weisen aufzuspielen. Ich kann sagen, daß ich im Heerlager des Banus völlig verhätschelt wurde, es gab Geld und Wein in Hülle und Fülle, und die Wogen der Begeisterung stiegen hoch. Trotz meiner schwarzen Fratze und meines ausgiebigen Knoblauchduftes umarmten und küßten mich die Herren Offiziere.«

Indem sie die letzteren Worte sprach, legte sie beide Hände vor die errötenden Wangen.

»Jene Küsse zählen nicht, Sie waren ja damals ein Mann.«

»Es erging uns dort ganz so, wie die Zigeuner sich nur immer das Paradies vorstellen mögen. Das Malheur war nur, daß wir aus diesem Paradiese nicht wieder fortkommen konnten. Der ritterliche Banus gebot uns, dazubleiben und warnte uns vor Fluchtversuchen, weil er uns sonst vor das Kriegsgericht stellen und erschießen lassen müßte. Nachts, wenn wir genug gespielt hatten, wurden wir eingesperrt und eine Schildwache vor unsere Thür gestellt.

»Eines Nachts entflohen wir aber dennoch; wir nahmen dabei unsern Weg durch den Schornstein und über das Dach des Nachbarhauses. Eigentlich flohen nur unser drei; ich, der Klarinettbläser und der Bratschist. Die Baßgeige war bei der Öffnung des Schornsteins nicht hinauszubringen, der Baßgeiger aber sagte, daß er sein Instrument nicht zurücklassen wolle, selbst wenn er fürchten müßte, aufs Rad geflochten zu werden. Wir ließen denn den Baßgeiger als Sündenbock für uns übrigen zurück. Einer Musikkapelle bedurfte ich nicht mehr, denn wir hatten kaum vier Stunden Weges mehr bis zur Theiß.

»Von den Offizieren in Kecskemét hatte ich gehört, daß in dem Weidendickicht an der Theiß, ungefähr in der Gegend der › Szikracsárda‹ ungarische Guerillatruppen lagern. Ach, wäre ich doch erst dort! dachte ich mir.

»Es war ein Glück für uns, daß im Lager des Banus der Vorpostendienst sehr lax versehen wurde. Am Ende der Stadt stand eine halb in die Erde eingebaute Lehmhütte, von der Art, wie die kleinen Ackerpächter sie sich bauen, um den Sommer über darin zu hausen. Die ›Granicsaren‹ (Grenzsoldaten), die man als Vorposten hierher kommandiert hatte, saßen sämtlich in der Hütte; ihre Flinten aber lehnten draußen an der Thür. Einer der Zigeuner sagte: ›Laßt uns ihre Flinten stehlen!‹ Der andere sagte: ›Was soll mir die Flinte? Ich blase die Klarinette und nicht die Flinte.‹ Ich eiferte meine Genossen an, daß wir uns so rasch als möglich davon machen. Wir waren nicht mehr fern von den Sandhügeln; dies ist ein weitgestrecktes, koupiertes, sandiges Terrain, wo ein Hügel nach dem andern folgt; manche dieser Hügel waren vom Winde zur Hälfte ausgehöhlt. Die Mulden waren mit verkrüppelten jungen Birken bestanden. Eine wahrhaft gespenstische Landschaft! Die Sandhügel sind weiß und die Schneedecke auf denselben ist noch weißer. Die Baumstämme sind weiß, die Äste beugen sich unter der Last des weißen Reifes. Die Flugsandwüste von einst ist heutzutage zu einer herrlichen Weinkultur umgewandelt, wo die ungarische Regierung mit amerikanischen, gegen die Phylloxera widerstandsfähigen Reben Versuche macht. Zwischen diesen Sandhügeln stolperten wir dahin, indem wir uns von der gewöhnlichen Straße seitwärts wandten, damit wir irgendwo ein Versteck suchen, falls man uns verfolgen sollte. Der Wind, der über die Haide dahinfegte, verdeckte alsbald unsere Spuren mit Schnee.

»›Ach, wenn wir nur nicht auf Wölfe stoßen!‹ sagte zähneklappernd der Bratschist.

»›Die Wölfe wagen sich nicht in die Nähe des Militärs,‹ beruhigte ich den Zigeuner.

»›O doch! sie treiben sich gern in der Nähe der Lager herum, weil es da immer Äser giebt.‹

»Wo die Sandhügel ein Ende nehmen, beginnt eine weitgestreckte Ebene. In der Ferne war ein Gegenstand wahrzunehmen, der einer Ruine glich. Ein dünner Nebel lag über der ganzen Gegend und in diesem Nebel schien jeder Gegenstand größer zu sein, als er in Wirklichkeit war. Der Vollmond sandte sein bleiches Licht auf die Landschaft hernieder; ein breiter Hof umgab ihn am nebeligen Nachthimmel.«

»Das ist die berühmte Alpárer Ebene« – erläuterte ich der Erzählerin – »wo die Magyaren, als sie von diesem Lande Besitz ergriffen, dem Zalán die Entscheidungsschlacht lieferten. Jene Ruine aber ist die Kirchenmauer der Szt.-Lörinczer Pußta.«

»Nun denn, jene Pußta ist auch für mich denkwürdig geworden. – Wie wir so mit thunlichster Schnelligkeit vorwärts strebten, unsere kurzen Mäntel gegen den Wind kehrend, sagte plötzlich der Bratschist, der als erster voraufging:

»›Daß der Teufel die vielen Krähen hole! Warum schlafen sie jetzt nicht lieber im Turme der Calvinerkirche?‹

»Ich fragte ihn, weshalb die Krähen gerade im Turme der Calvinerkirche schlafen sollten?

»›Die calvinischen Krähen im calvinischen Kirchturm und die katholischen Krähen im katholischen Kirchturm, wie es sich gebührt‹ – erläuterte er.

»Ich konnte diesen konfessionellen Unterschied zwischen den Krähen nicht begreifen.

»Der Zigeuner aber fuhr in seinen Erläuterungen fort: ›Eine Gattung Krähen ist aschgrau, die andere Gattung ist schwarz. Die eine Gattung frißt kein Fleisch, nur Samen. Das sind die katholischen Krähen. Die andere Gattung nährt sich mit Fleisch, Pferdeäsern, Würmern und dergleichen. Das sind die calvinischen Krähen, diese halten keine Fasten.‹

»Dann machte er mich aufmerksam, daß dort über jenem Hügel ein dichter Schwarm von Krähen herumkreise, der bald mit lautem Gekrächz auffliegt, bald wieder sich auf den nämlichen Fleck niederläßt. Dort müsse es ein Aas geben, meinte er.

»Als wir die Höhe des bezeichneten Hügels erreichten, sahen wir zu unserem Schrecken, daß der Zigeuner richtig vermutet hatte. Unten an der Heerstraße lag eine dunkle Masse: der Kadaver eines Pferdes. Um diese Beute kämpfte ein großer Schwarm von Raben und Krähen mit fünf großen Wölfen.

»Wir befanden uns in diesem Augenblick etwa fünfhundert Schritte weit von den furchtbaren Bestien. Auch die Wölfe hatten uns schon gesehen; sie ließen das Aas sogleich im Stich und begannen in raschem Lauf unter bluterstarrendem Geheul auf uns zuzukommen.

»›O weh! weh! wir sind verloren!‹ jammerte der Bratschist, ›die Wölfe werden uns fressen!‹

»Den Klarinettisten aber verließ selbst in diesem kritischen Augenblicke sein Zigeunerhumor nicht.

»›Fürwahr, da kommen wir in einer kuriosen Form ins Paradies,‹ meinte er.

»Ich sagte ihnen, wir müßten schleunigst einen großen Weidenbaum erklettern, dorthin können uns die Wölfe nicht nachkommen. Wir standen eben bei einer hohen Weide, deren Äste abgesägt waren, so daß nur die Krone von jungen Trieben umgeben war. Da ich das Baumklettern nicht gelernt hatte, schoben die Zigeuner mich zuerst hinauf, dann folgten sie rasch nach. Als wir oben waren, sahen wir, daß der Baumstamm hohl war, so daß ein Mensch darin Platz fand.

»›Vorgeiger, um dich wäre am meisten schade‹ – sagte der Bratschist; ›darum schlüpfe du in den hohlen Baum.‹ Ich ließ mir dies gesagt sein und glitt in die Baumhöhlung hinab. Vorher hatte ich meinen langen baumwollenen Shawl an einen Astknoten gebunden, um mich mittelst desselben wieder emporhissen zu können. Der Baumstamm war hohl bis auf den Grund; überdies gab es in demselben an einer Stelle ein faustgroßes Loch, durch welches man, wie bei einem Fenster, hinausschauen konnte.

»Die fünf Wölfe waren bald zur Stelle. Sie kamen nicht gleich in unsere Nähe, sondern rekognoszierten zuerst. Wenn einer derselben sich näher schlich, richtete der Klarinettist sein Instrument nach ihm, daß der Wolf meine, es wäre eine Flinte. Dann machte die Bestie kehrt und begann mit den beiden Hinterfüßen sehr rasch den Schnee aufzuscharren. Man sagt, der Wolf verteidige sich in dieser Weise, wenn er sieht, daß der Mensch sich zur Wehre setzt. Er will ihm die Augen mit Schnee vollstreuen.

»Als sodann die Wölfe heraus hatten, daß wir mit Schießwaffen nicht versehen waren, da ließen sie zuerst ein langes, entsetzliches Geheul vernehmen, dann begannen sie den Sturm gegen den Baum. In riesigen Sätzen suchten sie die Krone der Weide zu erreichen, doch war ihnen der Baum denn doch zu hoch.

»Da fiel den Zigeunern ein, sie hätten so oft von den musikalischen Neigungen der Wölfe gehört und sie begannen mit Geige und Klarinette zu spielen.

»Allerdings ließen nun die Bestien vom Sturm ab. Sie setzten sich rings um den Baum und begannen die Musik in einem fürchterlichen Chor zu begleiten, wobei sie die häßlichen Köpfe in die Höhe reckten und mit ihren zottigen Schweifen wütend ihre Flanken peitschten.

»Eine Weile amüsierte mich diese Scene, dann aber ward ich mir der doppelten Gefahr bewußt, in der wir uns befanden.

»›Still da oben, ihr Zigeuner, laßt die Musik; ist der Teufel in euch gefahren? Ihr lockt uns die Granicsaren an den Hals und die werden uns bei lebendigem Leibe schinden.‹

»Da hörten sie denn zu musizieren auf. Das schien die Wölfe noch wütender zu machen, und die Bestien begannen um ein neues Strategem. Sie hatten herausgefunden, daß die Weide sich ein wenig zur Seite neige und nun nahmen sie einen Anlauf und trachteten so den Baum von der gekrümmten Seite her zu erklettern. Dieses Manöver gelang ihnen denn auch. Da erst sah ich, welch ein kräftiges Tier der Wolf sei und um wie vieles geschickter als jede Hundegattung. Laufend erreichten sie die Baumkrone: allein hier erwartete sie festen Fußes der mutige Bratschist und so wie ein Wolf ihm nahe kam, versetzte er ihm mit dem eisenbeschlagenen Stiefelabsatz eins auf die Nase, daß die Bestie laut aufheulend hinunterpurzelte.

»Dies wiederholte sich zehn- oder zwölfmal. Und das merkwürdigste an der Sache war, daß so oft ein Wolf in dieser Weise von dem Zigeuner hinabgeschleudert ward, jedesmal die übrigen über die Bestie herfielen und sie tüchtig zerzausten, als wollten sie sie für die Niederlage bestrafen.

»Endlich ließen sie ab und setzten sich nun in einer Gruppe am Fuße des Baumes nieder, just vor meinem Guckloch. Sie ließen die Zungen zum offenen Rachen heraushängen und wehten mir ihren heißen, tierischen Atem zu. Sie schienen Kriegsrat zu halten; der größte unter ihnen schien der Führer zu sein. Wenn einer der jüngeren zu knurren wagte, schnappte der Führer nach ihm: ›Schweig, Hund!‹

»Endlich schienen die Wölfe ihre Kriegslist fertig zu haben. Mit einemmale machten sie sich sämtlich auf und trollten sich von dannen, wobei sie nur von Zeit zu Zeit zurückschielten.

»Meine Zigeuner glaubten schon, wir wären gerettet.

»›Ihr sollt keinen Zigeunerbraten bekommen!‹ rief ihnen der Klarinettbläser von seiner für sicher gehaltenen Festung aus nach.

»Jetzt machten mit einemmale die Wölfe kehrt und wie in einem Pferderennen suchte der eine dem anderen um eine halbe Wolfslänge zuvorzukommen.

»Der erste Wolf rannte den Baum hinan und als der Bratschist ihm mit seinem Stiefelabsatz auf den Kopf schlug, setzte der andere Wolf über den ersten hinweg und packte den Zigeuner am Fuße.

»Jetzt vernahm ich einen verzweifelten Angstschrei.

»›Hilf, Kamerad!‹

»Der andere Zigeuner wollte seinem Genossen helfen, verlor aber das Gleichgewicht und fiel mit dem andern unter die Bestien hinunter.

»Was nun weiter geschah, das zu erzählen erlassen Sie mir. Es ist genug, daß ich es einmal durchleben mußte: den Todeskampf der beiden unglücklichen Opfer mit den scheußlichen Untieren. Die Schreckensscene kehrt mir so oft im Traume wieder! Ich glaube, daß ich in jener furchtbaren Stunde alle sieben Todsünden abgebüßt hätte. Ich verbarg mein Antlitz in dem morschen Baum, um nicht zu sehen und nicht zu hören. Eine Ewigkeit schien mir das bestialische Geheul zu währen, das die Wölfe ausstießen, als sie sich in das furchtbare Festmahl teilten. Ich wagte mich nicht zu rühren, damit die Bestien nicht irgendwie merken, daß auch ich noch da sei. O Gott, welche Todesangst hatte ich da auszustehen! Plötzlich vernahm ich wieder ein Knurren und ein Schnaufen in meiner Nähe. Der alte Wolf umkreiste witternd den Baum. Er hatte es richtig gespürt, daß es auch dort noch eine Beute gebe. Der Wolf begann rings um den Baum die Erde aufzuscharren. Er wollte die Weide unterhöhlen, um so zu mir zu gelangen. Zu meinem Glück war das kein Sandboden, sondern hartgefrorener Moorgrund. Dies gelang ihm also nicht.

»Jetzt entdeckte der Wolf das faustgroße Loch am Baumstamme. An dieser Stelle hatte man wohl einst einen großen Ast abgesägt und hernach war da allmählich die Rinde in Fäulnis geraten. Diese Öffnung suchte der Wolf zu erweitern, indem er mit seinen Hauern daran riß und nagte; schon hatte er die Öffnung so weit erweitert, um den Kopf hineinzustecken. Ich sah seine in grünlichem Feuer funkelnden Augen, spürte seinen übelriechenden Hauch und hörte das Aufeinanderschlagen seiner Zähne. Da machte die Verzweiflung mich tollkühn: ich zog das krumme Messer hervor, das ich im Stiefelschafte trug, mit der anderen Hand faßte ich den Wolf am Ohr und schnitt dieses mit einem Rucke ab.

»Mit einem schauerlichen Wutgeheul riß der alte Wolf seinen häßlichen Kopf aus der Öffnung zurück und begann wie ein geprügelter Hund zu winseln und davonzuschleichen. Die übrigen folgten ihm sämtlich nach. Mit der Jagdtrophäe, dem Wolfsohr, in der Hand, sank ich erschöpft in dem hohlen Baum zurück; niedersinken konnte ich nicht, dazu war die Höhlung zu eng.«

Bei der Schilderung dieser Schreckensscene bekam ich schier das Fieber. Erzsike selbst ward dabei ganz erschöpft.

»Ach, die Erzählung hat mich völlig ermüdet. Noch jetzt zittere ich an allen Gliedern, wenn ich mich jener Schreckensnacht erinnere. Sie sind der zweite, dem ich jenes Erlebnis erzähle. Doch auch Sie sind plötzlich sehr blaß geworden.«

Ich kann mir wohl denken, daß ich mich stark entfärbt hatte. Denn es fiel mir ein, daß eben jetzt meine Frau durch jenes öde, verlassene Thal unterwegs sei und die Waldheger hatten mir gemeldet, daß es jetzt hier Wölfe gebe.

Erzsike atmete tief auf, dann erhob sie wieder den Kopf und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Vor den Wölfen war ich nun glücklich errettet. Bald sollte ich erfahren, daß ich meine Rettung nicht etwa dem Umstande zu danken hatte, daß ich ihren Anführer eines Ohres beraubte, worüber sie sich gar so sehr schämten. Nein, die Wölfe sind nicht so verschämt. Eine Reitertruppe näherte sich von den Sandhügeln her. Es waren sechs Mann zu Pferde und einer, der einen Esel ritt.

»Ein Schrecken löste den andern ab.

»Durch das Guckloch am Baume erkannte ich im Mondlicht die Uniform der Reiter: es waren Jellacsicshusaren, und damit jeder Zweifel darüber aufhöre, was sie hier suchten, sah ich, als sie näher kamen, den Mann, der den Esel ritt: es war mein in Kecskemét zurückgelassener Baßgeiger.

»Ich konnte unschwer herausfinden, was hier geschehen war. Der zurückgebliebene Zigeuner hatte, um seine Haut zu retten, oder vielleicht durch Stockprügel ›ermuntert‹ eingestanden, daß die Zigeunerbande aus Komorn komme und daß ich sie bis nach Debreczin gemietet hatte. Daraus konnte der Feind ersehen, daß ich ein falscher Zigeuner sei, der aus der Festung Depeschen für die ungarische Regierung überbringt.

»Den Zigeuner hatte die Husarenpatrouille mitgenommen, damit er sie auf meine Spur lenke. Wenn sie mich finden, bin ich verloren.

»Auf dem vom Mond beleuchteten Schneefelde war der Schauplatz des entsetzlichen Kampfes deutlich zu sehen. Die langen Blutspuren, die Fetzen der zerrissenen Kleider, da und dort ein im Stiefel steckender Fuß ... Huh, nie wieder will ich ein solches Bild sehen!

»Die Reiter eilten schnellstens herbei.

»Der Baßgeiger mußte absteigen. Der arme Kerl begann jämmerlich zu heulen und zu wehklagen; er beweinte in seiner Zigeunersprache seine armen Genossen und verfluchte die Untiere, deren Opfer sie geworden waren.

»Der Führer der Patrouille war ein Wachtmeister. Dieser rief dem Zigeuner in kroatischer Sprache irgend etwas zu. Der Zigeuner aber hat die Eigenschaft, auch das zu verstehen, was ihm in einer fremden Sprache gesagt wird. Der Baßgeiger erwiderte in ungarischer Sprache:

»›O weh! weh! die verdammten Wölfe haben unseren teuren Vorgeiger gefressen! Hier sind seine Stiefel; nichts als die Stiefel haben sie übrig gelassen. Ich kenne sie sehr genau. Er hat sie erst vor einigen Tagen in Czegléd gekauft. Bare sechs Gulden hat er dafür bezahlt. Es sind funkelnagelneue Stiefel, diese hat er getragen.‹

»Es war mir klar, daß der Baßgeiger daran dachte, ich könnte irgendwo in der Nähe verborgen sein. Und inmitten der großen Todesangst hatte der Zigeuner noch so viel Geistesgegenwart, meine Verfolger zum Besten zu halten. Zuerst verriet er mich, weil es sein mußte, hernach befreite er mich, weil er es thun konnte. Er wußte sehr genau, daß ich die neuen Stiefel dem Bratschisten gekauft hatte.

»Der Wachtmeister machte dem Zigeuner an seinen Fingern begreiflich, daß hier nur die Überreste von zwei Gefressenen zu finden seien. Wo ist der dritte?

»Der Zigeuner schwor hoch und teuer, dies sei ›der dritte‹.

»›Aber wo ist der erste?‹

»›Das ist ja eben der erste!‹

»Es wollte dem Zigeuner durchaus nicht einleuchten, daß wenn man zwei von drei abzieht, eins übrig bleibt.

»Der Wachtmeister erteilte einem der Husaren den Befehl, abzusitzen, wobei er mit dem Säbel nach der Weide zeigte.

»Ich dachte, er wolle nun den Baum untersuchen lassen, ob dieser nicht hohl sei und ich fand es an der Zeit, mein krummes Messer gegen den eigenen Hals zu kehren.

»Da ertönte plötzlich Gewehrgeknatter in dem nahen Weidenwäldchen und im nächsten Augenblicke brach auch schon eine Truppe ungarischer Guerillas hervor, die sich unter lauten Rufen › Rajta magyar!‹ (Vorwärts, Ungar!) auf die Patrouille stürzte. Die Jellacsicshusaren nahmen die Sache von der ernsten Seite, rissen ihre Pferde herum und galoppierten in der Richtung nach der Stadt davon.

»Der Baßgeiger benützte die gute Gelegenheit, schwang sich wieder auf seinen Esel und trabte in einer dritten Richtung davon. Es war augenscheinlich, daß es ihn nach Kriegsruhm nicht gelüstete. Die Guerillas, die in der Überzahl waren, sandten dem Feinde noch einige Schüsse nach, aus solcher Ferne, daß die Kugeln unmöglich treffen konnten. Dann hatten sie des Sieges genug. Als ich die ungarischen Rufe der Guerillas hörte, kletterte ich aus der Baumhöhlung empor und begann zu schreien, so laut als es meine heisere Stimme nur gestattete. Die tapferen Krieger eilten zu dem Weidenbaume und halfen mir aus meiner unbequemen Position herab. Ihr Anführer, eine stattliche, schöne Gestalt, ein Jüngling mit echt ungarischem Antlitz, begann mich auszufragen, wie ich hiehergekommen sei und was mich dieses Weges führe? Als ich sah, daß ich unter ungarischen Kriegern sei, erzählte ich aufrichtig, daß ich aus Komorn komme und der ungarischen Regierung in Debreczin eine dringliche Botschaft zu überbringen habe.

»Der Guerillaanführer war ein argwöhnischer Mann.

»›Oho, mein Kleiner, das ist leicht gesagt, aber schwer zu glauben. Wer wird denn auch eine so große Sache einem Zigeuner anvertrauen?‹

»Ich erwiderte ihm, daß ich kein Zigeuner sei, mich nur zu einem solchen maskiert habe und ständig in Komorn wohne, wo ich auch geboren bin.

»›Nun, wenn du in Komorn geboren bist, sage uns, ob du dort den Moriz Jókai kennst und was du von ihm weißt?‹

»Es war mir sehr angenehm, auf diese Frage zu antworten.

»›Jawohl, ich kenne ihn genau und weiß auch von ihm, daß er zu Kecskemét die Rechtsakademie besucht hat; dort hat er auch von einem seiner Freunde die Ölmalerei erlernt.‹

»›Servus, Kamerad!‹ sprach hierauf der Lieutenant, kräftig in meine Rechte einschlagend; ›jener gute Freund bin ich selbst.‹

»Sehen Sie: auch da haben Sie mir Hilfe gebracht.«

»Heißt er Jancsi [Hans], mein ehemaliger Schulkamerad?« fragte ich.

»Ja, so heißt er. Es war noch ein zweiter junger Mann mit ihm; dieser hatte ein ganz mädchenhaftes Gesicht und ward von den übrigen › Josef‹ angeredet. Dieser erkundigte sich ganz angelegentlich nach Ihnen. Als die Herren Studenten in Kecskemét Dilettantenvorstellungen veranstalteten, da gab dieser immer die Mädchenrollen.«

So ist es in der That.

»Sehen Sie: ich könnte alldies nicht wissen, wenn ich nicht dort gewesen wäre. Alldies erzählten mir die Guerillas, die mich mitführten; der eine hüllte mich in seinen Pelz ein, der andere ließ mich sein Pferd besteigen. So geleiteten sie mich bis zur ›Szikracsárda‹. Dort gaben sie mir heißen Punsch zu trinken, fütterten mich mit schmackhaftem Gulyásfleisch; dann bereiteten sie mir mit ihren Pelzen ein bequemes Lager, damit ich mich ordentlich ausschlafe. Ich hätte von den Jellacsicshusaren nichts weiter zu fürchten, sagten sie zu meiner Beruhigung; jene werden erst am Morgen wiederkommen, dann allerdings das ganze Regiment, um die Guerillas zu fassen; diese werden aber dann jenseits der Theiß sein. Die Schlitten stehen bereit und bespannt. Bei dem ersten Signal galoppieren wir über die zugefrorene Theiß nach Czibakháza zurück; dort stehen die Vortruppen des Generals Damjanich.

»Doch ich konnte lange keine Ruhe finden. Immer wieder sah ich den furchtbaren Todeskampf der zwei unglücklichen Zigeuner mit den Wölfen. Mitten durch den fröhlichen Gesang der Guerillas gellte das Todesgejammer der unglücklichen Opfer hindurch. In meinen Halbschlummer mengte sich der Gesang der Krieger mit dem Geheul der Bestien. Gegen Morgen ward ich durch den Knall von zwei Flintenschüssen aus dem Schlafe geweckt. Ich war froh, meine Gespenster los zu sein. Der Guerillaführer trieb mich an, raschestens auf einem der Schlitten Platz zu nehmen, weil von Kecskemét her feindliche Reiterei sich nähere.

»Binnen zehn Minuten fuhren wir über die zugefrorene Theiß. Am jenseitigen Ufer standen die Vorposten der Honvéd. Die Aufgabe der Guerillas war, den Feind zu alarmieren, die Fouragewagen desselben wegzunehmen und über die Bewegungen der feindlichen Truppen Kundschaft zu bringen.

»Man führte mich geradenweges zu Damjanich.

»Ich war jetzt nicht mehr genötigt, die mitgebrachte Depesche geheim zu halten; ich zerbrach dann die Geige, holte die im Innern derselben angeklebten Schriftstücke hervor und legitimierte mich mittelst derselben.

»Niemals werde ich den leutseligen, ermutigenden Blick des stattlichen, herkulisch gebauten Generals vergessen. Als ich ihn erblickte, vergaß ich schier, daß ich ein Mann sei. Ich fühlte mich versucht, vor ihm in die Kniee zu sinken und ihm die Hände zu küssen. Ich war dermaßen befangen, daß ich kaum ein Wort hervorzubringen vermochte.

»Der General schenkte ein Gläschen Pflaumgeist ein und bot mir dasselbe mit den Worten an:

»›Trink', mein Bürschchen, davon wird dir die Kehle aufthauen.‹

»Meine Kehle war heiser und ich redete in tiefem Baß wie ein Mann. Ich erzählte ihm, daß ich aus der Festung Komorn komme und eine Sendung an den Kriegsminister Meßáros habe.

»›Nun, du suchst in Debreczin den alten Kóficz Der ungarische Kriegsminister hatte in einer Replik der Reichstagsopposition gesagt, ihr Antrag sei nichts anderes, als » Kóficz« (Sudelbrei). Seither war ihm selbst dieser Name geblieben. vergebens, der hat dort nichts mehr zu befehlen. Wißt Ihr in Komorn denn gar nicht, wie es in der Welt steht? Es ist jetzt ein anderer, der in den Angelegenheiten des Krieges zu verfügen hat. Ich will dir ein Empfehlungsschreiben mitgeben.‹ Und er gab mir einen Brief an einen General mit, der den deutschen Namen ›Vetter‹ führte.«

»Jener General mit dem deutschen Namen war die Seele unserer Heeresorganisation,« warf ich ein.

»Auf Befehl des Generals Damjanich erhielt ich eine anständige Honvédoffiziersuniform (die braune Färbung meines Antlitzes behielt ich einstweilen bei), außerdem versah er mich mit einer offenen Ordre des Inhaltes, daß ich mit Estafettegeschwindigkeit von Station zu Station nach Debreczin befördert werden soll.

»Am Abend des folgenden Tages war ich in Debreczin. Als ich vom Schlitten stieg, eilte ich geradenwegs zum General. Es war ein sanfter Herr mit milden Zügen und kurzgeschorenem Barte. Er trug keine Generalsuniform und es hätte ihm niemand seinen Rang angesehen.

»Als er das Empfehlungsschreiben durchgesehen hatte, schaute er mir fest in die Augen und sagte:

»›Sie sind Hauptmann Tihamér Rengetegi?‹

»Hätte ich nur auf mein eigenes Interesse Rücksicht zu nehmen gehabt, so hätte ich ihm aufrichtig gestanden, daß ich weder diesen Namen, noch diese Uniform in berechtigter Weise trage. Doch durfte ich den Freund nicht verraten, der in der Bauernhütte zu Hetény verborgen saß und meiner Rückkehr harrte.

»›Ja, ich bin's, Herr General.‹

»›Wer hat Sie zum Hauptmann ernannt?‹

»›Der Kriegsminister.‹

»›Zum Lohne für Ihre Heldenthaten?‹

»›Während der Belagerung von Wien habe ich zweimal durch das österreichische Lager Depeschen der ungarischen Regierung an den General Bem überbracht.‹«

»Auch das ist nicht wahr,« warf ich ein; »ich weiß genau, durch wen die ungarische Regierung jene Depeschen gesandt hat.«

»Mein Freund hatte sich vor mir dessen gerühmt,« sagte Erzsike; dann fuhr sie in ihrer Erzählung fort:

»›Es ist gut‹, sprach der General; ›übergeben Sie mir die Depesche.‹

»Das Schriftstück war in einer Chiffrenschrift abgefaßt.

»›Ich muß das zuvor dechiffrieren lassen. Heute Nachts wird eine Sitzung des Landesverteidigungsausschusses stattfinden. Melden Sie sich morgen früh bei mir. Jetzt aber gehen Sie in den Gasthof zum ›Weißen Roß‹ und lassen Sie sich mit niemandem in ein Gespräch ein; bleiben Sie in Ihrem Zimmer!‹

»Eine Stunde später ließ er mich holen. Er führte mich in das zweite Zimmer. Der General allein gestattete sich den Luxus, in Debreczin eine aus zwei Zimmern bestehende Wohnung zu halten. Zwei andere Minister, Paul Nyári und Josef Patay, hatten zusammen eine aus zwei Zimmern bestehende Wohnung.

»Der General war jetzt schon sehr freundlich mit mir, ließ mich an seinem Tische Platz nehmen und schenkte mir Thee ein. Er bot mir auch Cigarren an und obgleich ich nicht rauche, brannte ich mir doch eine an. Der Tabakrauch biß mir Zunge und Lippen, aber ich mußte das Unbehagen unterdrücken, um zu zeigen, daß ich ein Mann sei.

»Er ließ sich nun von mir erzählen, in welcher Weise ich die Festung verlassen und wie ich mich durch das feindliche Lager durchgeschlagen hatte. Meine Schilderungen rührten ihn tief. Als er mich entließ, drückte er mir die Hand und versicherte mir, daß mein mit großer Tapferkeit vollbrachter Dienst nicht unbelohnt bleiben soll. Am nächsten Morgen ließ er mich zum zweitenmale zu sich berufen.

»Ich erschien in seinem Quartier in voller Parade. Ich ward vor allen übrigen, die hier versammelt waren, vorgelassen. Er ließ mich wieder Platz nehmen und schob den Riegel vor.

»Auf seinem Tische lag eine große Kriegskarte ausgebreitet, welche Oberungarn und Galizien umfaßte.

»›Sie haben uns aus Komorn sehr wichtige Daten gebracht,‹ begann er mit leiser Stimme. ›In Anbetracht Ihres Aufbruches von dort sind Sie mit überraschender Schnelligkeit hiehergelangt. Doch müssen Sie nun auch die Antwort nach Komorn zurückbringen, welche die Weisungen der obersten Kriegsleitung enthält und zugleich das Mandat des heute Nachts ernannten neuen Festungskommandanten. Glauben Sie mit dieser Depesche wieder in die Festung zu gelangen?‹

»›Ich will es versuchen.‹

»›Sie müssen unbedingt dahin zurückkehren. Was ist in dieser Hinsicht Ihr Plan?‹

»›Auf demselben Wege und in derselben Verkleidung, wie ich gekommen bin, kann ich nicht zurückkehren. Zwei meiner Genossen wurden von den Wölfen zerrissen, der dritte von den Kroaten gefangen; dieser Letztere hat wahrscheinlich alles gestanden und ich würde in dieser Verkleidung sicherlich erkannt werden. Auch giebt es keinen annehmbaren Grund dafür, daß ein Zigeuner vom flachen Lande in eine bombardierte Festung zu gelangen suche. Diese Depesche kann nur eine Frau nach Komorn bringen, welche unter einem unanfechtbaren Vorwande genötigt ist, dahin zu gehen und zwar mit einem österreichischen Geleitschein ausgerüstet.‹

»Verwundert schlug der General die Hände zusammen.

»›Und wissen Sie eine Frau, die ein solches Unternehmen wagen würde?‹

»›Jawohl, ich kenne eine solche.‹

»›Wo ist sie und wie heißt sie?‹

»›Das bleibt mein Geheimnis, Herr General. In die Festung zu gelangen, ist ohnehin schon durch den Umstand erschwert, daß die Ernennung des Generals Richard Guyon zum Festungskommandanten bekannt gegeben wurde.‹

»Der General sprang wütend von seinem Sitze auf: ›Wer hat dies bekannt gemacht?‹ fragte er.

»›Die Ernennung ist im Amtsblatt zu lesen,‹ sprach ich. Dabei zog ich die neueste Nummer des ›Közlöny‹ aus der Tasche.

»Der General nagte an seinem kurzen Schnurrbart.

»›Ich sehe schon,‹ sprach er, ›daß wir Ungarn das Geheimhalten nicht erfunden haben. Nun wird der Feind diese Ernennung erfahren, die Komorner aber werden sie nicht erfahren.‹

»›Ich habe einen sehr guten Plan, um die Weisungen der Kriegsleitung nach Komorn zu bringen.‹

»›Durch eine Brieftaube etwa, oder durch ein Luftschiff?‹

»›Ich bedarf eines Auslandspasses zur Durchführung meines Planes.‹

»›Sie sollen einen englischen Paß mit dem Visum der Botschaft versehen, erhalten. Auf wessen Namen soll er lauten?‹

»›Auf den Namen der Dame.‹

»›Dann müssen Sie den Namen jener Dame doch nennen?‹

»Ich nannte ihm meinen Namen mit dem gesetzlichen Vornamen der Frau Johann v. Bagotay.

»›Und Sie? Wie wollen Sie in die Festung gelangen?‹

»›Vielleicht als Kutscher jener Dame; vielleicht auch gar nicht. Wenn nur die Depesche hingelangt.‹

»›Und wie will Ihre Dame diese Depesche verbergen? Ich kann Ihnen im vorhinein folgendes sagen: wenn Ihre Dame mit einem Geleitschein des Fürsten Windischgrätz selbst durch die Belagerungstruppen in die Stadt gelangt, so werden die Österreicher sie wohl sehr höflich behandeln, jedoch nichtsdestoweniger sagen: ›Madame wollen Sie sich hier in dieses Nebengemach begeben, dort finden Sie eine vollständige Damentoilette; wollen Sie sich mit derselben bekleiden; wenn sie etwas weiter ist, als Ihre eigene, so hat das nichts zu bedeuten. Die von Ihnen mitgebrachte Toilette bleibt hier zurück, die Schuhe und Strümpfe mit inbegriffen. Wenn Sie zurückkehren, können Sie Ihre eigenen Kleider wieder anziehen.‹ Die Herren wissen schon, daß man mit chemischer Tinte selbst auf das Hemd schreiben und mittelst Reagentien die Schrift wieder zum Vorschein bringen kann; auch kann es in den Absätzen der Schuhe Höhlungen geben, in welchen ein auf Strohpapier geschriebenes Billet Raum findet. Selbst ihren Aufsteckkamm wird man zurückbehalten, weil auch auf diesem irgend eine Botschaft in mikroskopischer Schrift verzeichnet sein kann.‹

»›Alldies mögen sie thun; das wird die Dame nicht hindern, die Botschaft in die Festung zu bringen.‹

»›Da möchte ich denn doch hinter ihr Geheimnis kommen.‹

»›Die Sache ist sehr einfach; sie wird die ganze Depesche von Anfang bis zu Ende auswendig lernen.‹

»Der General lachte hell auf.

»›Hoho, mein lieber Freund! Glauben Sie ja nicht, daß wir unserem Kurier eine in gutem Ungarisch abgefaßte Depesche anvertrauen werden, damit der Feind, wenn der Bote unterwegs aufgefangen wird, daraus unseren ganzen Kriegsplan erfahre? Was mehr: dieser Bote kann ja auch freiwillig zum Verräter werden. In solchen Zeiten, wie die jetzigen, finden die Menschen leicht eine Entschuldigung ›umzusatteln‹. Diese Depesche enthält alle unsere Geheimnisse, wo unsere Stärke, wo unsere Schwäche zu suchen sei, wo wir angreifen wollen, wo wir nicht genügend geschützt sind. Der Verrat einer solchen Depesche ist dem Feinde einige hunderttausend Gulden wert.‹

»›Ich kann dem Herrn General die Versicherung geben, daß weder ich, noch jene Dame die Depesche verraten werde.‹

»›Sie könnten das auch nicht thun, weil die ganze Depesche in einer Geheimschrift abgefaßt ist. Schauen Sie nur an: verstehen Sie etwas davon? kann das jemand auswendig lernen?‹

»Ich nahm das Schriftstück in die Hand und sah, daß in demselben kreuz und quer hingeworfene Charaktere zu Worten gruppiert waren: Schriftzeichen, deren Inhalt man kaum auszusprechen vermochte. Nichtsdestoweniger sagte ich dem General, jene Dame werde diese Depesche auswendig lernen.

»›Das ist unmöglich.‹

»›Nichts ist unmöglich. Als wir noch Schauspieler waren ...‹

»›Aha, Sie waren also Schauspieler? Auch jene Dame?‹

»›Jawohl; wir machten einmal mit der ganzen Gesellschaft einen Ausflug nach Essegg und führten dort ein Bühnenstück in kroatischer Sprache auf, ohne von dem Inhalte desselben auch nur ein Wort zu verstehen. Der Mensch gleicht dem Staarmatz; wenn er eine Sache hundertmal überliest, weiß er sie auswendig, auch wenn er nichts davon versteht.‹

»›Nun, lassen Sie mich sehen, lesen Sie die ersten zwei Zeilen dieser Depesche hundertmal; eine halbe Stunde genügt dazu. Ich will nun sehen, ob Sie diese zwei Zeilen im Kopfe behalten.‹

»Ich unternahm es; nach kaum einer Viertelstunde erklärte ich mich bereit. Ich gab dem General die Depesche zurück, verlangte Papier und Bleistift und schrieb langsam, nachdenkend, Buchstab für Buchstab, den Inhalt der zwei ersten Zeilen nieder.

»›Sie haben einen wunderbaren Kopf,‹ sagte der General erstaunt. ›Und besitzt auch jene Dame ein so riesiges Gedächtnisvermögen, wie Sie?‹

»›Jawohl.‹

»›Dann halte ich die List für durchführbar.‹«

Ich konnte nicht umhin, sie mit der Frage zu unterbrechen: »Und Sie haben es wirklich unternommen, eine aus geheimen Schriftzeichen zusammengesetzte Depesche auswendig zu lernen?«

Halb mitleidig, halb lächelnd blickte Erzsike mir in die Augen.

»Nein, lieber Freund, Sie will ich nicht betrügen, wie alle anderen. Das Ganze war nichts als Spiegelfechterei. Die an das Festungskommando gelangten Kryptogramme pflegte man Rengetegi zu übergeben, damit er sie mittelst des geheimen Schlüssels dechiffriere, und Rengetegi hat mir den Schlüssel mitgeteilt. Man braucht nur ein Wort zu wissen, dessen aufeinanderfolgende Buchstaben die Schriftzeichen des Alphabets in verschiedener Reihenfolge wiedergeben. Das Ganze ist eine kleine Rechenaufgabe ohne viel Kopfzerbrechen. Ich dechiffrierte zunächst die Geheimschrift mittelst des mir bekannten Schlüssels und restituierte dann den Krix-Krax.«

»Wissen Sie, daß der General Sie erschießen hätte lassen, wenn er dies entdeckt hätte?«

»Das vermutete ich wohl, allein der General hatte nicht den geringsten Argwohn. Er war ein sehr guter Herr und meinte schließlich, er könne mir unter solchen Umständen die Depesche getrost anvertrauen. Nun bezeichnete er mir auf der Kriegskarte den Weg, auf welchem ich nach Galizien gelange, ohne auf feindliche Truppen zu stoßen. Meinen Paß, auf den Namen ›Frau Johann v. Bagotay‹ lautend, füllte er mir eigenhändig aus. Ich bat ihn, die Personsbeschreibung meines Reisegefährten in blanco zu lassen.

»Als er damit fertig war, übergab er mir eine Brieftasche die mit österreichischen Banknoten und Reichskassenscheinen wohlgefüllt war, außerdem hundert Louisd'ors und eine Rolle Silberzwanziger. Dann drückte er mir die Hand und sagte:

»›Die letzte Zeile dieser Depesche enthält die Beförderung des Hauptmanns Rengetegi zum Major.‹«

Wir lachten beide hell auf. Dann fuhr Erzsike in heiterem Tone fort:

»Meine Rückreise war viel angenehmer. Ich fuhr überall mit Relais. Nach zwei Tagen war ich in Wien. Ich hatte noch in Komorn in Erfahrung gebracht, daß meine Mutter nach Wien geflüchtet war und mit jenem gewissen hochgestellten kaiserlichen Offizier ein freundschaftliches Verhältnis unterhalte. Dieser Offizier diente im Kriegsministerium. Es war nicht schwer, ihn zu finden. Die Schilderung unseres Wiedersehens will ich Ihnen erlassen. Die Mama liebt Komödie zu spielen, doch ist sie eine schlechte Komödiantin, die ihre Rolle nicht wußte. Als ich zu ihr ins Zimmer stürmte, wäre sie gern in Thränen ausgebrochen und in Ohnmacht gefallen, aber sie kam über ein stürmisches Schluchzen nicht hinaus. Umso besser wußte ich meine Rolle. Ich selbst entschuldigte sie wegen ihres unqualifizierbaren Betragens bei unserer letzten Begegnung. Ich beschuldigte mich selbst; ich hätte klüger sein und mich nicht an Mamas Wagen klammern sollen in dem Augenblicke, da die wütende Menge sie steinigen wollte. Dann ging ich geradenweges auf den Beweggrund meines Kommens über. Der ungarische Regierungskommissär in Komorn hatte den Befehl erteilt, daß sämtliche österreichische Banknoten, wo immer dieselben zu finden seien, auf dem Marktplatze öffentlich verbrannt werden müssen. Auch die Mama hatte vierzigtausend Gulden in Banknoten, welche die Waisenkasse von meiner Mitgift zurückbehalten hatte. Dieses Geld hatte sich in der Weise angesammelt, daß es an verschiedene Leute auf Zinsen ausgeliehen war. Die Schuldner hatten, als sie von dem Befehl des Regierungskommissärs Kenntnis erlangten, die österreichischen Banknoten sogleich abgeliefert, aber nicht in die Festung, sondern in die städtische Kasse, um zu mindest ihre Schuldverschreibungen zurückzuerhalten; somit wird es unser Geld sein, das verbrannt wird. Deswegen sei ich in aller Eile nach Wien gekommen. Wenn die Mama mir sogleich eine Vollmacht ausfertigt, so will ich damit nach Komorn zurückeilen und da ich bei dem Festungskommando großen Einfluß besitze, will ich erwirken, daß unser Geld nicht verbrannt, sondern mir ausgefolgt werde. Ich will hernach mein Verhältnis mit Mama schon in Ordnung bringen. Auch sie hatte dort festgerannte Kapitalien, die ich ebenfalls an mich nehmen will.

»Diese meine Vorschläge erzielten den beabsichtigten Effekt. Die Geldfrage ist das perpetuum mobile.

»Ich hatte meiner Mama dies auch brieflich mitgeteilt zu einer Zeit, da die Kommunikation noch leichter war. (In der Richtung durch die Insel Schütt war der Weg lange Zeit frei.) Allein nach der Art nervöser Leute verfuhr meine Mama mit meinem Briefe in der Weise, daß sie, als sie an der Adresse meine Handschrift erkannte, denselben uneröffnet ließ und in ihrer Schatulle verschloß. Sie dachte sich wohl, der Brief enthalte eine sentimentale, bußfertige Bitte. Als ich sie jetzt an meinen Brief erinnerte, suchte sie denselben hervor und sie fiel schier in Ohnmacht, als sie in meinem Briefe auch die amtliche Verlautbarung des Regierungskommissärs beigelegt fand und daraus ersah, daß von dem für die Verbrennung der österreichischen Banknoten festgesetzten Termin nur mehr drei Tage fehlten.

»Nun galt es, in aller Eile den ihr befreundeten hohen Offizier aufzusuchen, dann zu allen erdenklichen Militäroberkommandos zu laufen, um für mich einen Geleitschein zu erwirken, dann für mich eine legale Vollmacht ausfertigen zu lassen, damit ich auf Grund derselben die Gelder reklamieren könne. ›Nun sollst du aber auch keine Minute säumen, meine Tochter, sondern sofort einen Fiaker besteigen und in Galopp nach Komorn fahren.‹

»Bei der Rückkehr in die Festung stieß ich auf weit weniger Hindernisse, als bei dem Austritt aus derselben. Der Major bei den Kürassieren, der mich damals, als ich in der Verkleidung eines Zigeunerprimas vor ihm erschien, auf die Prügelbank hatte legen lassen wollen, war jetzt voll eitler Höflichkeit und Galanterie. Als er meine Empfehlungsbriefe las, in welchen auch der Zweck meiner Reise angeführt war, blieb ihm nicht der geringste Zweifel übrig, daß ich ausschließlich in sehr dringlichen Privatangelegenheiten nach der Festung reise. Ich ward nicht einmal untersucht. Es fiel ihm gar nicht ein, zu verlangen, daß ich meine Kleidung gegen eine andere vertausche. Ich hätte was immer in die Festung einschmuggeln können.

»Als ich einmal innerhalb der Cernierungslinie war, bog ich von der Heerstraße ab und lenkte meine Schritte nach der Ortschaft Hetény, um meinen Zimmerarrestanten zu befreien.

»Nach den ersten Freudenergüssen über das Wiedersehen erzählte ich ihm alle Begebenheiten, die ich Ihnen auch soeben erzählte. Ich kann Ihnen sagen, daß er mir ein dankbareres Publikum war, als Sie. Bei den sensationellen Scenen warf er sich auf den Boden hin, wie in der Titelrolle des Rührstückes ›Hinko, der Freiknecht‹, und flehte mit gefalteten Händen zu den Wölfen, daß sie mich nicht fressen mögen. Er schwur hoch und teuer, daß er dem Banus Jellacsics, wenn er seiner habhaft werden sollte, so lang zum Tanz aufspielen lassen werde, bis ihm die Seele ausgehen würde, zur Strafe dafür, weil er mich so unbarmherzig hatte musizieren lassen. Und als ich ihm dann die auswendig gelernte Depesche mit Hilfe des geheimen Schlüssels niederdiktierte, jene Depesche, deren letzte Zeilen seine Beförderung zum Major enthielten, rief er in dem überströmenden Gefühl der Dankbarkeit aus: ›Zenobia, meine Königin!‹ Ich hatte ihn zum Major gemacht, er machte mich zur Königin, wir hatten uns gegenseitig nicht zu beklagen.

»›Nun laß uns in die Festung eilen,‹ sagte ich, denn auch ich hatte dort dringendes zu besorgen: mein Vermögen zu retten. ›Unser Haus ist niedergebrannt, wenn auch noch unser Geld verbrannt wird, dann sind wir an den Bettelstab gebracht.‹ Dies trieb denn auch ihn zur Eile an.

»Ich möchte nur noch etwas zur Ergänzung meiner Expedition ersinnen, irgend eine Heldenthat.

»Er hatte dann, bis wir in die Festung gelangten, seine Sache richtig ersonnen.

»Die Rückkehr des zur ungarischen Regierung entsandten Kuriers und die durch ihn überbrachte Depesche der ungarischen obersten Kriegsleitung erregten in der Festung allgemeine Sensation und die Nachricht davon verbreitete sich alsbald in der Stadt.

»Der Festungskommandant ließ sofort publizieren, daß Rittmeister Rengetegi für außerordentliche Dienstleistungen zum Major befördert sei.

»Am Abend des nämlichen Tages gab es ein Festbankett zu Ehren des zurückgekehrten Helden. Das ganze Offizierscorps war dabei, auch Damen nahmen an dem Festmahle teil, ich war ebenfalls anwesend. Noch niemals sah ich Bálványossy (Pardon, Rengetegi) so herrlich spielen, wie an jenem Abend. Er war der Zigeunerprimas, der mit drei Genossen durch sämtliche feindlichen Heerlager sich durchmusizierte. Und wie viele spaßige Abenteuer hatte er auf dieser Fahrt! Ich glaube, er hat sämtliche Zigeuneranekdoten an jenem Abende als seine Erlebnisse zum Besten gegeben, und vollends bei der Schilderung der Schreckensscene mit den Wölfen! Welch drastische Darstellung! Die Wirklichkeit war nicht entsetzlicher, als sein Vortrag. Eine wahrhaft haarsträubend detaillierte Malerei und eine furchtbare Phantasie. Die Männer sind entsetzt, die Damen fallen in Ohnmacht, nur mich quält fortwährend der Lachreiz. Und als dann die Guerillas kamen, ei, wie tapfer auch da mein Rengetegi war! Er schwang sich mit den übrigen aufs Pferd und machte sich an die Verfolgung der Kürassiere. Er machte Kürassiere aus ihnen, denn er fand es unter seiner Würde, sich mit Jellacsicshusaren zu schlagen. Natürlich gab er die bekannte Anekdote zum Besten, in welcher der Zweikampf zwischen dem mit einer langen Peitsche bewehrten Guerilla und dem Kürassier erzählt wird: ›Ich pariere rechts, er haut mich links!‹ Geradezu ein Heldengedicht war aber die Schilderung seiner Rückkehr durch die Cernierungsarmee. In finsterer Nacht, bei Frost und Schneegestöber sprengte er zu Pferd durch die Vorposten der Österreicher über die Schanzgrube; die Kugeln pfiffen ihm an den Ohren rechts und links, man schoß ihm das Pferd unter dem Leibe weg; er aber, für alle Eventualitäten gerüstet, schnallte schleunigst Schlittschuhe an und lief mit Pfeilgeschwindigkeit über die zugefrorene Zsitva, über die Csili und noch einige unbekannte Flüsse. So sei er wieder in die Festung gelangt. Alle Welt war entzückt. Die Damen küßten ihn ab und improvisierten aus Muskatblüten einen Lorbeerkranz für ihn.

»Um den Schein zu retten, trat auch ich zu ihm und beglückwünschte ihn zu all den Heldenthaten und glücklich überstandenen Leiden. Da nahm mein Freund eine sehr gespreizte Haltung an, verneigte sich kühl vor mir und zog die Augenbrauen sehr würdevoll in die Höhe.

»›Madame, mit Ihnen werde ich noch ein Wörtchen zu reden haben. Wo waren denn Sie, während ich täglich hundertmal mein Leben fürs Vaterland aufs Spiel setzte? Können Sie mir darüber Rechenschaft geben, wo Sie Ihre Tage zugebracht haben?‹

»Ich riß verwundert die Augen auf. Mir blieb das Wort in der Kehle stecken und alles Blut drängte sich mir ins Gesicht. Ich fühlte, daß aller Augen auf mich gerichtet seien, denn mich hatte inzwischen niemand in Komorn gesehen. Er aber fuhr fort:

»›Madame, wenn es sich bewahrheitet, was die Leute flüstern, daß Sie inzwischen in Wien waren ... Doch nein, ich kann es nicht glauben! ...‹

»Sein Großmut kränkte mich noch mehr, als seine Beschuldigungen.

»›Was kümmert es Sie, wo ich inzwischen gewesen,‹ erwiderte ich ihm geringschätzig. Dann wandte ich ihm den Rücken und begann mit den übrigen Offizieren zu plaudern.

»Bald darauf verließ ich den Festsaal.

»Als ich durch den langen Korridor des Festungspavillons schritt, kam Rengetegi mir nachgelaufen.

»›Welcher Teufel ist in Sie gefahren,‹ fragte ich ihn, ›daß Sie vor der ganzen Gesellschaft mich anklagen und verdächtigen, als wäre ich eine Verräterin, oder noch Schlimmeres.‹

»›Still, still, Zenobia, meine Königin, wir müssen uns verständigen. Ich mußte den Eifersüchtigen, den Erzürnten spielen, gerade in Ihrem Interesse; lassen Sie uns in unser Zimmer gehen, dort will ich Ihnen alles erzählen.‹

»Als wir in unserem Zimmer allein waren, begann er mich aufzuklären.

»›Es handelt sich um Ihr Geld.‹

»Aha. Unter all den Lobsprüchen und Ovationen, die mir zu teil wurden, habe ich an materielle Sachen gedacht. Ich erklärte unter vier Augen dem Regierungskommissär, daß man, wenn man schon daran denkt, mich zu belohnen, mir den Gefallen erweisen möge, die in der städtischen Kasse vorgefundenen Gelder, die meinem Herzen so nahe standen, nicht den Flammen zu überliefern, sondern der Eigentümerin zurückzustellen. Allein der streng patriotisch gesinnte Mann war unerbittlich, wie Brutus. ›Niemals!‹ lautete seine Antwort. ›Was wir in Beschlag genommen haben, muß auch verbrannt werden und wenn es das Vermögen meines eigenen Vaters wäre. Niemandem zuliebe können wir eine Ausnahme machen. Was würden jene armen Leute sagen, denen wir ihre geringe Barschaft von zehn bis zwanzig Gulden genommen haben, um sie dem Autodafé zu überliefern, wenn wir die vierzig- und fünfzigtausend Gulden der Reichen verschonten! Brennen müssen sie!‹ Dies hatte er mit lauter Stimme gesagt, dann hatte er etwas sanfter hinzugefügt: ›Im übrigen werde ich Sie mit der Durchführung der Verbrennungsoperation betrauen.‹

»Ich begann die Sache zu begreifen.

»›Demnach müssen wir beide,‹ fuhr Rengetegi fort, ›uns unbedingt entzweien. Binnen wenigen Tagen wird das Autodafé stattfinden und auf dem Marktplatz der Scheiterhaufen errichtet werden. Ich selbst werde ein Paket Banknoten nach dem andern in die prasselnden Flammen schleudern. Wenn ich das dickste Paket erhebe, um es der Vernichtung preiszugeben, werde ich mit verklärter Miene laut ihren Namen rufen. Sie müssen sich bei dem Verkaufsstand der Brotweiber einfinden und in laute Flüche ausbrechen. Sie erinnern sich wohl der Fluchscene aus ›Deborah?‹ Nach dem Autodafé muß es eine aufregende Abschiedsscene zwischen uns geben. Wir müssen einander unsere Souveniers vor die Füße werfen. Ich werde Ihnen den gestickten Polster hinwerfen, mit dem Sie mich zu meinem Namensfest überrascht haben. Dieser Polster wird Ihr Geld enthalten. Sie müssen sich dann rasch damit aus dem Staube machen, und fort, fort nach Wien!‹

»›Und das Paket, das in die Flammen geschleudert wird?‹

»›Das lassen Sie meine Sorge sein. Die Exemplare der Komáromi Ujság Komorner Zeitung. geben auch kein übles Feuer.‹

»Es geschah alles verabredetermaßen und es gelang mir, unser Vermögen zu retten. Gestehen Sie, daß all dies von mir und meinem Freunde sehr klug ersonnen und ausgeführt war. Wir haben damit niemandem ein Unrecht zugefügt. Ich habe nur genommen, was mein war.

»In aller Form und in Gegenwart von Zeugen gerieten wir in Streit. Mein Freund Rengetegi spielte den Othello ausgezeichnet; ich aber spielte nicht die Desdemona, sondern die Goneril, indem ich den abgewiesenen Verehrer mit den schimpflichsten Bezeichnungen überhäufte und da es unseren Bekannten nicht gelang, uns wieder zu versöhnen, trennten wir uns in ganz und gar nicht feierlicher Weise und ich kehrte nach Wien zurück.

»Unterwegs sprach ich bei dem österreichischen Major vor und zeigte ihm das mitgebrachte Geld, natürlich ohne ihm erst ein Langes und Breites darüber zu erzählen, wie ich dazu gekommen. Er war so freundlich zu mir, daß er mir sogar einen Brief zur Bestellung anvertraute, den er an seinen Freund in Wien, den Obersten meiner Mama schrieb. Gesprächsweise erwähnte er auch, daß Komorn in der Person des Generals Richard Guyon einen neuen Festungskommandanten erhalten habe. Er war hievon schon unterrichtet. Ich versicherte ihm, daß die Komorner dies noch nicht wüßten. Da möchte ich denn doch wissen, wie der neue Festungskommandant über unsere Köpfe in die Festung hineingelangen will. Wenn er seinen Weg hier vorbei nimmt, will ich ihm mit einem letzten Abendmahl aufwarten.

»Und doch hat sich Guyon bis zur Festung Bahn gebrochen und das letzte Abendmahl ist dem Herrn Major zu teil geworden.

»Sie können sich vorstellen, wie freundlich ich empfangen wurde, als ich in Wien bei meiner Mama eintraf und ihr das Geld übergab. Sie schloß mich in ihre Arme, bedeckte mich mit ihren Küssen, netzte meine Wangen mit ihren Thränen und nannte mich ihr einziges, vielgeliebtes Kind. Die vierzigtausend Gulden, die mir als väterliches Erbteil geblieben waren, hinterlegte ich in der Wiener Sparkasse. Der übrige Teil meiner Mitgift war noch bei Bagotay mit Ausnahme desjenigen natürlich, was wir während unseres Beisammenlebens verausgabten. Auch dieser Teil meiner Mitgift gelangte wieder in meinen Besitz, aber wie?

»Als im Frühjahr das Schicksal des Krieges sich zu unseren Gunsten wandte und Komorn entsetzt ward, eilte auch ich in unsere Heimat zurück. Ich sagte der Mama, es sei meine dringlichste Aufgabe, in Komorn unser niedergebranntes Haus wieder aufbauen zu lassen. Übrigens war nur das Dach abgebrannt, die Wölbungen waren unversehrt geblieben. Mama billigte meinen Entschluß und war stolz darauf, eine so kluge und unternehmende Tochter zu haben.

»Ich ging dann in der That ans Werk, unser Haus wieder errichten zu lassen, wozu ich die selige Zeit zwischen dem Entsatz der Festung und der zweiten Belagerung benützte. Während meines Aufenthaltes in Wien bewegte ich mich fortwährend in den Militärkreisen und darum war es mir unschwer, vorauszusehen, was da kommen werde. Doch wozu soll ich diese Wunde wieder aufreißen? All meine Illusionen waren dahin. Auch meinen Helden lernte ich aus der Nähe, – ich darf sagen, hinter den Coulissen kennen. Der ›Herr der Welt‹ jammerte vor seinem Schneider, daß er mit der Rechnung wenigstens bis zum Benefize warten soll, dann besteigt er rasch den Triumphwagen, welchen die in Sklaverei geratenen Könige auf die Bühne ziehen und deklamiert dem Volke des unterjochten Konstantinopels. In einer Sache aber erregte Major Rengetegi meine unbegrenzte Bewunderung: in seinen strategischen Kenntnissen.«

»Aha!«

»Jawohl, aha. Ich habe die Geschichte aller Feldzüge Karls XII. und Napoleons gelesen. Aber so viel Kriegslist ist in allen diesen Feldzügen nicht entwickelt worden, als wie mein Held ersonnen und er wußte in erfolgreicher Weise die Aufgabe zu lösen, wie man als Oberoffizier sich an den kritischen Gefechten beteilige, ohne seine teure Person den Zufälligkeiten der pfeifenden Kugeln auszusetzen. Er ersann immer irgend eine Exmission, mit der er sich aus dem Staube ›skizzieren‹ konnte. Und als ich ihm manchmal seine Eigenliebe zum Vorwurfe machte, antwortete er mir: ›Ich habe Pflichten gegen die Kunst; wenn mir ein Bein weggeschossen wird, wie soll ich da Tragödien spielen?‹ Aber nach dem Treffen! Wer war da ein größerer Held als Rengetegi? Andere mähten den Feind ab, ihm war das zu wenig, er bearbeitete denselben überdies noch mit dem Dreschflegel. Es ist etwas Fürchterliches, wenn eine Frau die Wahrnehmung machen muß, daß ihr Ideal fortwährend lügt; daß er mit einer so glühenden Überzeugung lügt, daß kein Mensch es wagen würde, an alledem zu zweifeln.

»Mittlerweile fuhr ich mit dem Hausbau fort. Alle Baumaterialien waren sehr teuer, aber es gab auch Geld genug. Und ich will Ihnen auch sagen, woher das viele Geld kam. Die Russen waren bereits im Lande und das Heer der Spekulanten merkte schon, daß es mit der Sache der Nation abwärts gehe. Die ungarischen Truppen waren überall im Rückzüge. Da entsetzte Klapka durch ein siegreiches Treffen die Festung Komorn und es fehlte nicht viel, daß er die ganze Belagerungsarmee gefangen hätte. Jetzt wurde mit einem Schlage die ganze Gegend belebt. Es folgte eine ganze Reihe von neuen Siegen. Aus dem ganzen Lande strömte das Heer der Unternehmer und Lieferanten hier zusammen. Alle diese hatten reichlich die Taschen mit ungarischen Banknoten gefüllt und kauften alles, was nur käuflich war und bezahlten jeden Preis. Auch mein Bagotay benützte diese glückliche Epoche zur Regelung seiner Finanzen. Er verkaufte seine Rinderherde um den vierfachen Preis und den Erlös deponierte er in ungarischen Banknoten in der Depositenkasse der Stadt Komorn unter dem Titel, daß er damit meine Mitgift zurückerstatte. Die Stadt ihrerseits beeilte sich, die empfangenen Banknoten so rasch als möglich in meine Hände gelangen zu lassen. Ich meinerseits trachtete dieselben schleunigst bei den Meistern, die mein Haus bauten, an den Mann zu bringen und es ist wahrscheinlich, daß auch diese die ungarischen Banknoten nicht bei sich warm werden ließen. Erinnern Sie sich noch eines Spieles, mit welchem wir in unserer Kinderzeit uns die Zeit vertrieben? Einer zündete einen Strohhalm an und wir reichten uns ihn dann im Kreise von Hand zu Hand. Der Letzte, dem der Strohhalm die Finger verbrannte, daß er ihn wegwerfen mußte, war der Verlierende. Ein solcher Strohhalm war mir meine Mitgift, die mein Mann mir zurückerstattete und das Hausdach meiner Mutter war der Strohstummel, der davon übrig geblieben. Nur die Summe, die ich in der Wiener Sparkasse hinterlegt hatte, ist mir übrig geblieben, außerdem noch der Herr Tihamér Rengetegi, ja, selbst dieser nicht, denn er hat sich wieder in Bálványosi verwandelt. Ein gemeinsames Komödiespielen verbindet jetzt uns beide. Vom Morgen bis zum Abend ist alles Lüge, was wir anderen sagen und was wir einander sagen. Selbst das eine, als wäre Rengetegi von irgend einer Verfolgung bedroht, ist erlogen, denn vor der Kapitulation von Komorn hat er auch einen Geleitschein erhalten, mit welchem ihm Leben und Freiheit zugesichert wurden. Nicht das ist es, was ihm Kopfweh verursacht, aber er möchte gern sein ganzes Gastspiel, das er während der Revolution absolvierte, verleugnen, um als Theaterdirektor Bálványosi die nötige Konzession zu bekommen. Fortwährend dringt er in mich, ich möge nach Miskolcz zum Regierungskommissär mich begeben und da in seiner Sache Schritte thun.«

»Ich begreife.«

»Nun, Sie begreifen das nicht. Es ist nicht jene schablonenhafte Vermittlung, wie wir sie in Romanen und Dramen finden, daß eine schöne Frau zu einem mächtigen Tyrannen bitten geht und um den Preis ihrer Ehre Leben und Freiheit des verfolgten Gatten oder Geliebten erkauft. O nein, mein Held ist kein Plagiator, er hat ursprüngliche Ideen. Er verlangte von mir, ich möchte dem mächtigen Manne erzählen, daß die ganze Debrecziner Expedition, die sich zu einem formalen Epos ausgewachsen, nicht sein Verbrechen sei, sondern das meinige. Ich sei der Zigeunerprimas gewesen, der vor Jellacsics gespielt habe und dann entflohen sei. Ich sei auch derjenige gewesen, welcher der ungarischen Regierung die Depeschen überbracht hat; kurz: ich soll mich für ihn aufopfern.«

»Pfui, pfui, und Sie lieben noch immer diesen Menschen?«

»Was soll ich anfangen? Ich habe außer ihm niemanden in der Welt. Überdies ist er ein so ergötzlicher, heiterer Bursche. Bald prügeln wir uns, bald amüsieren wir uns und diese Abwechslung macht das Leben sehr angenehm.«

Dies hinderte sie nicht, sich zu Boden zu werfen und das Antlitz in dem grünen Moos zu verbergen; sie war gar so gut gelaunt.

»Soll ich nicht meinem Freunde ein Zeichen geben, daß er schon aus der Höhle hervorkriechen kann?«

»Er ist dort gut aufgehoben. Lassen wir ihn ungestört.«

»Ich bin erstaunt, daß Sie noch nicht auf den naheliegenden Gedanken gekommen sind, diesem ganzen Versteckensspiel mit einemmale ein Ende zu machen. Sie haben einen Auslandspaß. In diesem können Sie Ihren guten Freund als Kammerdiener oder Majordomus in die Rubrik ›Reisebegleitung‹ eintragen. So können Sie ihn ganz schön mit sich nach Neapel oder nach Paris führen. Von den Zinsen Ihres in der Wiener Sparkasse hinterlegten Kapitals können Sie dort ein sorgenfreies Leben führen.«

»Ich weiß es.«

»Nun, weshalb thun Sie es nicht?«

»Weil ich nicht will.«

Und mit diesen Worten blickte sie mich so wunderbar an mit jenen unergründlich mystischen Augen, in welchen Himmel und Hölle sich mengten! Sternenglanz in der Tiefe.


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