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Siebentes Kapitel.

Weltschmerzliche Zustände. »Bleib oder lauf!«

 

Als ich wieder in Pest eintraf, fand ich auf meinem Schreibpult zwei Briefe. Der eine kam von Toni Várady, der mich zur Tauffeier seines Erstgeborenen einlud. Der andere kam von Petöfi, der mir mitteilte, daß seine Vermählung mit Julie Szendröy stattgefunden habe und daß das junge Ehepaar die Honigwochen auf dem Schlosse Koltó des Grafen Teleki verlebe.

Diese meine beiden Freunde waren arme Bursche wie ich selbst. Die Frauen aber, die ihnen als Lebensgefährtinnen folgten, waren die Töchter vornehmer, reicher Häuser, an Überfluß und Bequemlichkeit gewöhnt, von Verehrern umschwärmt, der Augapfel ihrer Mütter. Ihre Familien widersetzten sich ihrer Ehe und diese Frauen folgten dem Liebsten ihres Herzens auf die Gefahr hin, die Last des elterlichen Fluches durch das Leben zu schleppen.

Sie ist also kein leerer Wahn, die wahre Liebe, sondern gediegen Gold! Mich allein schimpft man einen verrückten Alchimisten, wenn ich dieses Gold suche.

Petöfi bat mich in seinem Briefe, eine geeignete Wohnung zu suchen, wo wir, ich mit dem Petöfischen Ehepaare, zusammen wohnen könnten.

Auch etwas Fabelhaftes, daß ein junger Ehemann einen Freund einladet, unter seinem Dache Wohnung zu nehmen.

Ich fand alsbald in der Tabakgasse eine aus drei Zimmern bestehende Wohnung, die mir geeignet schien: das eine Eckzimmer als Wohnraum für Petöfis, das andere für mich, das mittlere als gemeinsames Speisezimmer. Auch hatte die Wohnung zwei besondere Eingänge.

Im Herbst zog das junge Ehepaar ein. Sie hielten eine Magd, ich hatte einen alten Diener. Wir waren sehr einfach möbliert. Frau Petöfi hatte das elterliche Haus ohne Ausstattung verlassen; sie besaß nicht einmal einen modernen Hut und häkelte sich selbst ein Häubchen, das sie dann trug. Sie hatte das Haar kurz geschnitten und sah damit aus wie ein Bürschchen.

Sie besaßen nichts und waren doch so glücklich! Juliens einziger Zeitvertreib war, daß sie von Petöfi Englisch lernte; während des Mittagessens (das wir uns aus dem Gasthofe »zum goldenen Adler« kommen ließen) redeten wir Englisch und lachten jeder auf Kosten der anderen.

Und ich mußte Tag für Tag ihr Glück mit ansehen.

In jener Zeit erschienen in den » Életképek«, von einem sicheren »Aggteleki« gezeichnet, mehrere Gedichte, die den Titel »Sturmklänge« führten und an eine Künstlerin gerichtet waren. Heute darf ich es gestehen, daß ich der Verfasser jener Gedichte war. Nichtsdestoweniger verwahre ich mich feierlich dagegen, daß jemand diese Gedichte (wenngleich sie nicht eben schlecht sind) unter meine Werke einreihe; denn ich bin noch heute, nach vierzig Jahren, nicht so alt, dekrepit und lebensüberdrüssig wie jener gewisse Aggteleki gewesen.

Dieselbe weltschmerzlerische, herbe Stimmung kennzeichnet alle meine Schriften, die aus jener Zeit stammen. Die Ausbrüche eines verbitterten Gemütes, Visionen einer krankhaften Phantasie, Selbstverachtung, eine mondsüchtige Weltanschauung drücken allen meinen damaligen Erzählungen ihr Gepräge auf. Und diese Sachen gefielen damals und fanden Nachahmer. Selbst Petöfi verleitete ich; er hat mir eingestanden, daß er seinen Roman »Der Strick des Henkers« unter der Einwirkung meiner Erzählung »Das Tagebuch eines Krüppels« geschrieben habe.

Wer weiß, wohin ich mit meinem Turm von Babel gekommen wäre, wenn nicht ein gesundes Erdbeben ihn über den Haufen gestürzt hätte!

Petöfi überraschte mich einmal dabei, als ich jenes gewisse Porträt ausbesserte. Er bemerkte, daß mir Thränen in den Augen standen.

Ich wollte dies verheimlichen, denn ich schämte mich sehr.

» So ist es recht, Junge!« sagte Petöfi. » Die Welt bedarf jetzt solcher Leute, die nicht glücklich sind

Ein denkwürdiger Satz!

Damals schrieb er die Gedichte: »Ich träume von blutigen Tagen.« – »Meine Lieder.« Damals auch schrieb er die himmelstürmende Strophe:

»Warum doch duldet dieses Volk von Knechten?
Was streift es nicht die Fesseln von der Rechten!
Will harren träge es von Tag zu Tage,
Daß sie der Rost ihm von dem Leibe nage?«

Dann führte er mich in seine Stube hinüber. An den Wänden derselben hingen in schönen Rahmen die Bilder der vornehmsten Führer der französischen Revolution. Dies war sein einziger Luxus: Danton, Robespierre, Camille Desmoulins, Saint-Juste, Madame Roland. Dort wurden die Rollen ausgeteilt: mir war jene Saint-Justes', seiner Frau jene der Madame Roland zugedacht. Dann sprachen wir von den »blutigen Tagen«. Sie sollen nicht lange mehr ein bloßer Traum bleiben; wir sehen sie schon in wachem Zustande. Und wir werden die Ersten dabei sein.

Ein anderer Mensch mit gesunden Sinnen wäre nach diesen Reden zum Fenster hinaus entflohen, ich aber ward durch dieselben festgebannt. Es paßte zu meinem damaligen Seelenzustande, den Dejanirarock an mir selbst in Brand zu setzen und dann unter das Volk hinaus zu rennen, damit auch dieses an mir Feuer fange.

»Des Mannes Schicksal ist das Weib!«

Wenn damals jene Dame, als sie zum letztenmale meine Hand in der ihrigen hielt, mir gesagt hätte: »Bleib!« – so wäre ich geblieben. Ich hätte mich mit meinem stillen Glück beschieden und wäre nicht dem Mondschein des Ruhmes nachgerannt. Heutzutage wäre ich wahrscheinlich Beisitzer an der königlichen Gerichtstafel und würde herzlich darüber lachen, wenn am Schlusse eines heiteren Mahles meine Kollegen aus meinem ersten Roman fürchterliche Sätze citieren würden. Aus jenem Roman, von welchem noch da und dort ein defektes Exemplar sich als Kuriosum unter den alten Scharteken eines Antiquars vorfinden würde.

So wäre dem gewesen, wenn die Dame gesagt hätte: »Bleib!«

Hätte aber die Dame gesagt: »Lauf!« – dann wäre auch ich gelaufen, wie die Übrigen, den Sternschnuppen nach. Sind doch von ihnen, die am 15. März mit mir zugleich vor der Volksmenge auf dem Erker des Rathauses gestanden, um zu verkünden, daß der Tag der Völkerfreiheit angebrochen, von meinen schönen, jungen, feuerherzigen Mitarbeitern für das damals ausgesprochene Wort: »Freiheit!« drei verschwunden, so verschwunden, daß ich selbst ihr Grab nicht mehr auffinden konnte: Petöfi, Vasváry, Bozzai.

Und sicherlich wären die vier Loth Blei, oder die Kosakenlanze, oder der Granatensplitter, welche diese Drei getötet haben, auch für mich genug gewesen.

Wenn die Dame gesagt hätte: »Lauf!«

Mein Schicksal hatte mir das Rätsel aufgegeben: Entweder leben und vergessen sein, oder jung sterben und gedacht werden.

Bleib oder lauf!

Da sprach eine Stimme: »Geh', doch wir gehen mitsammen!«

Aber diese Stimme war nicht diejenige der Dame mit den Meeraugen.

*

Eines Morgens kam Petöfi lachend in mein Zimmer.

»Hahaha! willst du lachen? Lies diesen › Honderü‹.«

Und er reichte mir die neueste Nummer des uns feindlich gesinnten Blattes.

Ich sah sofort dasjenige, was ihn so heiter stimmte. Das Blatt enthielt eine aus meiner Vaterstadt eingesandte prunkvolle Schilderung der Vermählung des Herrn Johann Nepomuk Bagotay und seiner schönen Dame. (Den Namen las ich gar nicht.) Das glückliche Paar wird die Flitterwochen in Paris verleben, hieß es am Schlusse.

Hahaha!


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