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Dämonischer Zauber.
Ich sagte oben, daß die Dame mit dem zauberischen Blick mir in die Augen geschaut. Dann zuckte sie die Achseln, warf sich neben dem Reisigfeuer ins Gras hin und blies in die Asche, um die Glut wieder anzufachen.
»Es ist nicht gut, mir zu raten,« sagte sie dann; »ich thue immer das Gegenteil dessen, was man mir rät. Lassen Sie uns lieber von Ihnen reden. Was ist derzeit Ihr Schicksal?«
»Das Schicksal des Wurmes, wenn er eingesponnen ist.«
»Aha! Geben Sie zu, daß ich nicht ohne Grund an jenem Abend bei Ihnen erschien, als Sie mich sozusagen hinauswarfen. Und doch war ich nur deshalb dort geblieben, weil ich darüber entsetzt war, was auf dem von Ihnen eingeschlagenen Wege Ihrer harre: der Richtpflock oder der Selbstmord.«
Hier stockte ihre Stimme. Ihre Lippen und ihr Kinn zuckten krampfhaft, ihre Augen hatten sich mit Thränen gefüllt.
Eine weinende Frau ist gefährlich.
Ich aber beeilte mich nicht sehr, ihre Thränen zu trocknen, sondern antwortete mit kühlem Cynismus:
»Liebste Freundin, jede Laufbahn hat ihr eigenes Unheil: der Seemann muß des Ertrinkens, der Soldat der Kugel gewärtig sein; der Arzt kann einer Epidemie zum Opfer fallen, der Spiegelfabrikant leidet am Beinfraß, den Bergmann tötet die Grubenluft, und arbeitet einer in Politik, dann kann es ihm passieren, daß er guillotiniert wird.«
»Nein, nein, das wird man nicht thun,« rief sie, indem sie mit beiden Händen meinen Arm ergriff.
»Ich will ja selbst dahin trachten, daß dies nicht geschehe, deswegen halte ich mich ja in diesem weltverlorenen Winkel verborgen.«
»Aber wie lange kann dies noch so währen? Welche Zukunft sehen Sie vor sich?«
»Einstweilen geht es mir so, wie dem genesenden Kranken, der anfänglich nicht weiter gehen kann, als bis zur Hausthür. Ich denke daran, hier in diesem Thale eine kleine Landwirtschaft zu beginnen und meine Träume von Ruhm zu vergessen. Ich will ein Ackersmann werden.«
»Sehr schön; und Ihre Frau?«
»Auch sie wird hieher kommen.«
»Das glauben Sie im Ernste? Sie glauben, daß Ihre Frau zu Ihnen ziehen wird? In eine Lehmhütte mit Strohdach?«
»Das ist ein Palast im Vergleiche zu jener, wo wir während der Debrecziner Tage hausten. Meine Frau kochte selbst unser Essen, weil wir keine Magd hatten; wir liebten einander umso mehr. In einer Hütte stehen die Herzen einander näher, als in einem Palaste.«
»Das mochte damals angehen. Ähnliches habe auch ich überstanden. Das ist ganz was anderes. Wenn man glänzende Hoffnungen hat, dann schmerzt uns nicht die Entbehrung; wir denken: es wird ja ein Ende nehmen. Aber in das Elend einzutreten mit dem Bewußtsein, daß dies bis ans Ende der Tage währen wird: eine solche Resignation giebt es nicht. Und bei einer Frau vollends nicht. Glauben Sie mir dies, ich kenne mein Geschlecht. Ihre Frau, die heute im Zenith ihres Ruhmes steht, kann ihre glänzende Laufbahn nicht verlassen; nein, und wären Sie ein Engel, so könnte sie es nicht thun.«
Ich vermochte diesen Einwendungen gegenüber meinen Standpunkt nicht zu verteidigen. Die starre Wirklichkeit war auf ihrer Seite; auf der meinigen nur der Glaube und die Einbildungskraft.
»Ich vertraue dem Versprechen meiner Frau, daß sie mich aus meiner schwierigen Lage befreien werde.«
»Ich kann mir nicht denken, wie sie das anfangen soll. Sie kann das nicht thun, was ich für Bálványosi thun konnte. Sie kann nicht hingehen und sagen: ›Nicht er war es, der am 15. März die Freiheit proklamierte; nicht er hat jene zündenden Artikel an die Nation verfaßt, nicht er hat jene Zeitungen redigiert, nicht er hat an den Schlachten teilgenommen, nicht er hat bei der Belagerung von Ofen die Honvéd angefeuert. Alldies hat er nicht gethan, sondern ich.‹ Ihre Frau kann Ihre Verbrechen nicht auf sich nehmen.«
Ich mußte über diese Rede lachen.
»Ich möchte ihr meine Sünden auch nicht überlassen,« sagte ich.
»Doch nehmen wir an, daß es einer großen Künstlerin, einer berühmten Beauté irgendwie gelingen würde, für ihren sich verborgen haltenden Gatten die Amnestie zu erwirken. (Bei diesen Worten schoß sie aus den Winkeln ihrer Augen mörderische Giftpfeile nach mir.) Was wird dann aus Ihnen? Was wird aus Ihnen, wenn Sie infolge der Fürbitte Ihrer Frau als pardonnierter Rebell wieder nach Pest zurückkommen? Der Himmel und die Erde, welche Sie angebetet haben, ist verloren. Es giebt keine Presse mehr, keine Verleger, kein Publikum, was wollen Sie anfangen? Wollen Sie wieder bei einem Advokaten als Aktenkopist in den Taglohn gehen? Oder wollen Sie (im Wege der Protektion) Lustspiele für das Nationaltheater übersetzen, das Stück für fünfzig Gulden? Oder wollen Sie wohlbeleibte Metzgersfrauen um fünf Gulden per Kopf porträtieren? Oder wollen Sie gar nichts thun, sondern einfach neben Ihrer Frau leben, als der ›Mann der Künstlerin‹ und ruhig zusehen, wie eine Frau sich mit den Lasten der Haushaltung abmüht, wie sie nach der Vorstellung zu Tode erschöpft, erregt, mit gespannten Nerven heimkehrt, wie sie halb krank auf die Bühne eilt, um des Spielhonorars nicht verlustig zu werden, und wenn sie eine kurze Erholungsfrist hat, von Stadt zu Stadt eilt, um durch Gastspiele etwas Geld zu erwerben, mit welchem sie die drängenden Lieferanten ihrer Kostüme befriedigt? Alldies soll der Mann unthätig mit ansehen und ihrer Existenz nur so weit Beistand leisten, daß er die Blumen auf die Kostüme malt, die dann die Frau mit eigenen Händen ausnäht?«
»Es wird nicht immer so bleiben, es kommen auch noch andere Zeiten.«
»Andere Zeiten? Wo denken Sie hin? Daß ist's ja eben, was ich am meisten fürchte. Ich kenne Sie sehr gut, Sie sind nicht der Mensch, der in dem Gedanken Beruhigung findet: ›was gewesen, ist nicht mehr.‹ Sie werden niemals vergessen, was Sie einst gewesen, noch weniger werden Sie vergessen, was Sie einst werden wollten. Die Glorie des Ruhmes ist nicht so leicht zu vergessen, wie ein beschlagnahmtes Juwel. Sie werden sich wieder in jenes Verhängnis wagen, welchem Sie einmal entronnen sind.«
Dieses Weib durchschaut meine Seele. Ich habe ein so ungeschicktes Antlitz, das niemals ein Geheimnis bewahren konnte; es gestattet in meinen Mienen zu lesen wie in einem offenen Buche. Wenn ich erschrecke, da sage ich vergebens, daß ich Mut habe; wenn ich in Zorn gerate, suche ich vergebens Ruhe zu heucheln, – man glaubt mir sie nicht. Selbst das Feilschen verstehe ich nicht; man liest es mir an den Mienen ab, was ich gebe, was ich verkaufe. Diese Frau vermag vielleicht zu entdecken, wo meine Seele im geheimen umher irrt ... in weiter Ferne ... in einem ruhmvoll wiedererstandenen Ungarn ... Und daß dieses Gerede von einem Ackerbauerleben nichts weiter ist, als das zusammenhangslose Gemurmel eines Typhuskranken.
»Es sei denn so wie Sie sagen. Mein Glaube ist stark wie der Glaube Petri, der ins Meer ging, um zu seinem Meister zu gelangen. Und täuscht mich mein Glaube, so mag ich untergehen. Wovon ich einst geträumt habe – das Schicksal konnte es in Splitter schlagen; ich bin bei hellem, wachem Sinn und werde die Splitter zusammenlesen. Was Gott – in seiner Gnade oder in seinem Groll – meiner Seele verliehen: dafür will ich leben oder sterben! Wenn ich lebe, will ich aus dem Ruhme meines Vaterlandes einen Turm erbauen; wenn ich untergehe, wird mein Grabhügel zu einem Altar. Vergebens zittert diese feige Fleischmasse in allen ihren Gliedern. Ich bin kein Held und kein Riese; der Knall eines Schusses vermag mich zu erschrecken; ich erbleiche angesichts des Todes; der Schmerz erpreßt mir Thränen. Aber ich weiche von meinem Wege nicht ab. Kann ich unter meinem eigenen Namen nicht schreiben, so will ich unter dem Namen des Hundes meines Hauswirtes schreiben und ›Sajó‹ heißen. Meine Bücher: »Revolutions- und Schlachtenbilder« und »Tagebuch eines Flüchtlings« sind unter dem Namen »Sajó« erschienen. Können wir nicht reden, so werden wir bellen, aber nicht schweigen.« Erschrocken faßte die Dame meine beiden Arme.
»Um Gottes willen, geben Sie acht! Wenn Sie einen Schritt zurück thun, stürzen Sie von dem Felsen hinab.«
»Ich thue keinen Schritt zurück!«
»Hören Sie mich still und ruhig an, ohne in Aufregung zu geraten. Setzen Sie sich hier an meiner Seite nieder. Sie haben nichts von mir zu fürchten, ich bin kein verführerischer Dämon, habe Ihren Worten nichts entgegenzusetzen. Thun Sie, was Ihre Seele Ihnen gebietet. Ich will nichts anderes.«
»Glauben Sie, daß ich gutherzig bin?«
»Ich denke: gar zu gutherzig.«
»Möglich, daß alles Sünde gewesen, wozu mein Herz mich verleitet hat; ich war wahnsinnig, blind und die Leidenschaft hat mich fortgerissen. Doch das Gefühl, das ich für Sie hegte, war ein so lauteres, daß ich damit im Paradies erscheinen könnte. Wenn ich allein bin, bin ich stets in Ihrer Gesellschaft und wenn ich nachdenke, sind Sie der Gegenstand meiner Gedanken. Auch ich will, daß Sie Ihren Lauf fortsetzen, immer aufwärts auf der begonnenen steilen Bahn. Aber können Sie hier dies thun mit dem Bleigewicht an den Füßen, mit dem Schloß an dem Munde, mit der Zwangsjacke am Leibe?«
»Ich trage mein Geschick, weil es so schwer ist.«
»Um wie vieles glänzender wäre aber der Erfolg Ihres Kampfes, wenn Sie ihn im Auslande, im freien Frankreich fortsetzen wollten. Bedenken Sie: wenn Sie jetzt nach Paris kämen, würden die Koryphäen der französischen Litteratur Sie mit offenen Armen empfangen. Sie wissen gut Französisch; Ihr Stil, Ihre Poesie ist durchaus französisch; das französische Publikum würde Sie sogleich in die Reihe seiner Lieblingsdichter aufnehmen. Dort könnten Sie von Ungarns Ruhm erzählen, von seinen Leiden, seinem heldenmütigen Kampfe, von den sympathischen Eigenschaften seines Volkes. Sie könnten frei nach den Eingebungen Ihres Herzens schreiben und das würden Millionen und aber Millionen lesen, die ganze Welt, nicht eine handvoll Leute wie hier zu Lande. Dort können Sie reich und groß werden, hier nur ein Taglöhner. Sie können hier singen wie ein Tyrtäus: das Ausland hört es nicht. Doch wenn Sie draußen, inmitten einer großen Nation, inmitten einer Weltstadt Ihre Stimme erheben, so kann diese werden wie Josuahs Posaunenklänge vor Jericho!«
Ach, wie verlockend war doch dieses Panorama! Kein entzückenderes Bild konnte der Versucher dem Heiland entrollen, als dieses Weib vor mir entrollte! Französischer Schriftsteller zu werden! Sich auf den Schultern der ruhmreichsten Nation erheben zu dürfen! Was hier zu Lande nur ein Peitschenknallen von meiner Hand ist, wäre dort grollender Donner.
»Doch das ist unmöglich!« warf ich ein. »Wie könnte ich daran denken, von hier, von Tardona, mich bis zur französischen Grenze durchzuschlagen, durch Ungarn, Österreich, Deutschland, ohne Reisepaß, ohne Geldmittel, in dieser halbasiatischen Tracht? Das hieße so viel, als wenn ich mich von der Höhe dieses Felsens hinabstürzen wollte, in dem Glauben, daß ich zu fliegen vermag.«
»Nun, da habe ich einen ganz vortrefflichen Plan. Ich besitze einen englischen Paß; – Sie wissen ja, wie ich dazu gekommen bin. Niemandem außer Ihnen ist es bekannt, daß ich im Besitze eines solchen Reisepasses bin; – nur jene amtlichen Organe haben Kenntnis davon, die den Paß unterwegs mit ihrem Visum versehen haben. In diesem Reisepaß ist die Rubrik des Reisegefährten unausgefüllt. Sie fragten mich vorhin, weshalb ich nicht den Namen und die Personbeschreibung Bálványosys in diesen Paß eintrage. Darauf will ich Ihnen nun antworten. Bálványosy wird von niemandem verfolgt, er ist jetzt gut aufgehoben; wenn ihm der Mundvorrat ausgeht, wird er zum Vorschein kommen und wird sein Leben zu fristen verstehen. Ich habe immer daran gedacht, diese Rubrik mit Ihrem Namen auszufüllen. Sie brauchen nichts zu opfern, als Ihren Schnurr- und Rundbart und müssen unterwegs sich nur der französischen oder der deutschen Sprache bedienen. Ich würde als englische Lady reisen und Sie für meinen Sekretär ausgeben. Wir müssen nicht nach Wien gehen, der Weg über Breslau ist frei. Mit Geld bin ich reichlich für uns beide versehen. Die in Debreczin empfangenen hundert Dukaten verwahre ich noch immer. Diese Summe reicht hin, um die Kosten einer mit allem Komfort bewerkstelligten Reise bis Paris für uns beide zu decken. Mein in der Wiener Sparkasse hinterlegtes Kapital kann ich lassen wo es ist, oder auch mitnehmen, wenn es mir so beliebt; die Zinsen dieses Kapitals sichern Ihnen am Anfang bei bescheidenen Ansprüchen Ihre Existenz in Paris, so daß Sie nicht genötigt wären zur Kasse der Emigranten Ihre Zuflucht zu nehmen. Haben Sie einmal Ihren Platz in der Litteratur des Auslandes eingenommen, dann bedürfen Sie niemandes Unterstützung mehr. Was Sie von mir geliehen erhalten, werden Sie mir zurückerstatten; – geliehen, sage ich, nicht geschenkt, noch weniger im Tausch. Nicht einmal einen warmen Händedruck erwarte ich. Ich bin für Sie nichts als eine Proselytin, die ihrem Propheten den Weg ebnet.«
Verführerisch war das Bild, noch verführerischer diejenige, die es mir entrollte. Frei zu sein! Jedem, der auf mich zukommt, stolz meinen Namen nennen zu können! Nicht zu erzittern, wenn ich fremde Tritte vor meiner Thür vernehme! Im Bunde mit großen, edlen Geistern für niemals bezwingliche Ideen kämpfen zu dürfen!
Wie funkelten ihre Augen, als sie mir all dies vortrug! Wie die falschen Sonnen im Lichtgürtel des »Halo«. Und ihr Antlitz war dabei so offen und ehrlich, wie das eines Kindes. Man hätte schwören mögen, sie sei eine unschuldige Jungfrau, deren Herz sich zum erstenmale wahren Gefühlen erschließt. Sie hatte die Hände wie zum Gebet gefaltet.
Wenn ich auch nur um eines Haares Breite schwanke, muß ich unrettbar in diesen Abgrund stürzen.
Ach, welch ein ganz anderer wäre ich geworden! Wäre ich damals mit dieser Frau geflohen, dann wäre ich heute der Altmeister der Realisten; denn was die erotische Glut, die satirische Ader, die luxuriöse Das Wort »luxuriös« wird häufig fälschlich statt »luxuös« gebraucht; ersteres heißt: sinnlich, ausschweifend; letzteres heißt: prächtig, prunkvoll. Phantasie betrifft, so besaß ich davon ebenso viel, als die französischen Realisten, aber ich machte keinen Gebrauch davon, weil ich für ein ungarisches Publikum schrieb. Heute würden Millionen meine Werke lesen, Väter und Mütter aber würden mir fluchen, weil ich ihre Kinder zu Grunde gerichtet haben würde. Ich aber würde sie auslachen und mir auf den Dickwanst schlagen, den ich als idealistischer Schriftsteller mir nicht erwerben konnte.
Und wohin hätte diese zügellose Phantasie mich fortgerissen, wenn ich mit dieser verführerischen Kalypso verwachsen gewesen wäre, deren jedes Wort zärtlich, deren jede Bewegung reizend, die selbst die Fleisch gewordene paradiesische Wonne ist! – Und ich zählte damals vierundzwanzig Lebensjahre!
Ein nüchterner Gedanke war mir noch im Kopfe geblieben.
»Ich bleibe im Vaterlande,« sagte ich kurz.
»Welchen Grund können Sie haben, um so zu handeln?«
»Ich will jene nicht verlassen, die auf meinen Ruf sich erhoben haben; liegen sie am Boden, so lege ich mich zu ihnen; ich nehme mir meinen Anteil an dem Leid, das ich hervorgerufen.«
»Sie müssen nicht immer draußen bleiben. Lebt denn nicht die Hoffnung in Ihnen, daß einst alle jene, die ins Ausland geflüchtet, triumphierend zurückkehren werden? Dann werden auch Sie an der Spitze der Emigranten heimkehren.«
Selbst diese Waffe kehrte sie gegen mich!
Ach, welch' ein schwacher Panzer war's, der mich schützte: – nur ein Wort. Ich habe mein Wort gegeben, von hier nicht zu weichen, sagte ich leise.
»Wem?«
»Derjenigen, die mir ihr Wort gegeben, daß sie mich hier aufsuchen werde.«
»Ihrer Frau?«
»Ja.«
»Und wenn sie Sie aufsucht?«
»Dann bringt sie mir Befreiung.«
»Wie? in welcher Weise?«
»Das weiß ich nicht.«
»Sie wissen es nicht und glauben es dennoch.«
»Ich glaube es aus vollem Herzen.«
»Und denken Sie nicht daran, daß diese Befreiung auch einen Preis haben kann?«
»Diesen Gedanken streife ich von mir ab, so oft er auftaucht.«
»Sie glauben an Frauentreue, an Frauentugend?«
»Ja, ich glaube daran.«
»Dann sind Sie ein sehr glücklicher Mensch.«
Während dieser Unterredung fuhr ich fort zu zeichnen; sie machte mich auf einzelne Gegenstände aufmerksam, die ich übersehen hatte. Dann begann sie ein ganz gleichgültiges Gespräch vom Wetter.
»Schauen Sie: die Prophezeiung des alten Forsthegers wird schier in Erfüllung gehen. Der Himmel umwölkt sich völlig. Wir werden hier noch vom Schneefall überrascht werden.«
»Wir könnten vielleicht unseren Freund schon aus seinem Versteck hervorrufen?«
»O, das wird ganz leicht gehen; man braucht ihm nur ein bestimmtes Zeichen zuzurufen. Er selbst hat sich dasselbe aus dem Roman ›Ivanhoe‹ gewählt; es ist der Hornruf des Helden und lautet: ›Wasa hoa!‹ Auf diesen Ruf kommt er sogleich zum Vorschein.«
»In der That! es wird so dunkel, daß ich kaum mehr zu zeichnen vermag.«
»Sie wollen also wirklich in jenes Dörfchen zurückkehren?«
»Ja.«
»Dorthin dringt wohl keine Nachricht aus der Welt?«
»Das ist's ja eben, was mir dort am besten gefällt.«
»Sie haben vielleicht, seitdem Sie da wohnen, nichts von Geschehnissen der Außenwelt vernommen?«
»Nichts Erfreuliches.«
»Eine furchtbare Welt! Wovon leben dort die Frauen, wenn sie nicht ›tratschen?‹«
»Sie nähen die Gewänder ihrer Kinder.«
»Sie haben vielleicht auch noch nicht gehört, daß Petöfis Gattin wieder geheiratet hat?«
Ach! das war ein meuchlerischer Dolchstoß! Ein vergifteter Pfeil, mit Berechnung dahin abgeschossen, wo im Panzer sich ein Spalt darbietet.
»Was sprechen Sie da?« rief ich erregt.
»Eine Thatsache, die jedermann bekannt ist.«
»Petöfis Gattin? – Und Petöfi selbst?«
»Ist in der Schlacht bei Schäßburg gefallen.«
»Ein Honvédoffizier, der auch ein Attest darüber ausgefertigt hat. Dieses Schriftstück genügte der Witwe, um sogleich einem andern jungen Schriftsteller zum Altar zu folgen, der zwar kein so stattlicher Held ist, wie Ihr Freund gewesen, aber doch ein Mann, der sich in guter gesellschaftlicher Stellung befindet, sich allgemeiner Achtung erfreut und seiner Gattin eine ruhige Existenz zu sichern vermag.«
Ach, jedes dieser Worte durchbohrte mir das Herz!
Heute, nach so vielen Jahren, sage auch ich, daß die arme Julie recht gehandelt, indem sie ihr Geschick einem wackeren, guten Manne anvertraute; sie hatte ein Kind und Pflichten gegen dieses Kind. Aber damals, in jenem Augenblicke hätte keine schrecklichere Nachricht auf mein Haupt niederfahren können. Der qualvolle Tod der Märtyrer schien mir nicht so entsetzlich, als die Nachricht, daß die Märtyrer – vergessen werden.
Daß ein Weib einen Petöfi vergessen kann! Ein Weib, das der Dichter mit den Strahlen seiner Feuerseele umwoben hat! Und daß der Dichter vor der ganzen Welt sich unsterblich machen konnte, nur vor derjenigen nicht, die er anbetete!
Die Frau hatte ja recht, möge ihr im Jenseits ihr Heil werden! Dort hat gewiß auch Petöfi ihr vergeben; die Verklärten sind gerecht; – aber für mich bedeutete jene Nachricht die Erschließung der Hölle.
Wenn über meinem umgestürzten Idol so schnell das Gras gewachsen, was bin ich dann? Ein Frosch in einen Baum eingeklemmt, dazu verdammt, hundert Jahre unter der Baumrinde zu leben!
»Ich glaube es nicht! Ich glaube es nicht! Ich kann das nicht glauben!«
Sie lachte mich aus. »Nun magst du zappeln,« dachte sie sich wohl.
Mein ganzes Wesen war von Bitterkeit erfüllt.
Wenn dies geschehen konnte, warum sollte nicht auch das andere geschehen, daß ein anderer gefallener Dichter das Gelübde vergißt, das er seiner Gattin gethan, und die Hand seines einstigen Ideals ergreifend, mit dieser Frau von dannen geht, in die weite Welt hinaus? Es wäre nur Wiedervergeltung! ...
Ihre Augen funkelten, als sie unter hellem Gelächter mich anblickte; es war, als wüßte sie, daß sie mich verletzt habe, und als würde sie mich zur Rache herausfordern.
Sie hatte meinen Altar zerstört, mein Vertrauen zu dem Frauenherzen mir aus der Seele gerissen.
»Ein Weib wie das andere« – hatte sie gesagt! ...
Nein, nein, nein! Mein Weib kann nicht so sein! ...
Ich trat an den Felsrand, machte aus meinen beiden Fäusten ein Sprachrohr und rief ins Thal hinaus:
»Wasa hoa!«
Das Waldesecho wiederholte den Ruf.
Bald hernach ertönte von unten der stolze Refrain:
Wenn eine ihn gesehen,
Kann sie ihm nicht mehr widerstehn,
Kehrt gedankenvoll nach Haus,
Mit ihrer Ruh' ist's aus.
Den Feind, den er bedroht,
Ereilet stets ein sich'rer Tod,
Doch bei Mädchen, jung und fein,
Soll er sehr artig sein.
Bebet! denn zeigt er sich im Orte,
Spricht leise man die Worte:
Diavolo! Diavolo! Diavolo!
Als der Gesang sich näherte, packte ich meine Fahrnisse zusammen, um mich zum Aufbruch zu rüsten.
»Lassen Sie uns vergessen, was wir hier gesprochen haben,« sagte ich.
»Haben wir etwas gesprochen?« entgegnete die Dame mit den Meeraugen. Und es waren zwei zugefrorene Meeraugen, die mir jetzt entgegenschimmerten.
»Adieu!«
Ich war überzeugt, daß wir einander nie wiedersehen würden.
Ich wartete nicht, bis mein Freund aus dem Thal heraufklettern würde. Sie werden einander schon finden. Die ersten Schneeflocken schwebten hernieder. Ich machte mich auf den Heimweg.
Unterwegs geriet ich in einen immer dichteren Schneefall; es fehlte nicht viel, daß ich mich im Walde verirrte. Der Abend brach bald herein. Als ich am Fuße des Berges anlangte, war es schon ganz finster.
Noch finsterer war der Gedanke, der mein Gehirn nicht wieder loslassen wollte; der Gedanke, daß es keine Liebe, keine Erinnerung mehr in der Welt gebe. Wo wir fallen, dort läßt man uns liegen. Der eine stirbt und wird nicht betrauert; der andere bleibt am Leben und betrauert sich selbst.
Wie schön ist doch das Los eines umgestürzten Baumes: der Epheu spinnt seine Ranken um ihn! ...
Wenn jetzt die Raubtiere des Waldes mich hier zerrissen, würde kein Mensch wissen, wo ich zu Grunde gegangen bin.
Endlich fand ich die Lindenquelle. Diese war ein sicherer Führer; der Bach fließt vor dem Hause der Familie Csányi vorbei; immer am Ufer des Baches weitergehend, finde ich mich selbst im Finstern nach Hause.
Ich machte mir im Stillen Vorwürfe, so viel Zeit mit jener »andern« Dame auf dem »Heidenaltar« zugebracht zu haben.
Eine Schneedecke lag weithin über das Feld gebreitet, welches der Lindenbach in schlängelndem Laufe durchschnitt. Die Bäume trugen noch das herbstliche Laub; ihre Kronen beugten sich unter der Schneelast.
So trostlos war die Landschaft, so trostlos auch mein Gemüt! ...
Gleich einem Hoffnungsstern blickte plötzlich das hell erleuchtete Fensterchen des kleinen Hauses auf, unter dessen Dache ich wohnte. Es war das letzte Häuschen und stand am Ende des Dorfes.
Ich war erschöpft an Leib und Seele, als ich zu Hause anlangte.
Das Häuschen hatte weder einen Hof, noch eine Einfriedung. Es stand ganz frei an der Straße; die Karren und das Feldgerät waren in einer offenen Scheune hinter dem Häuschen geborgen. Es giebt da keine Diebe.
Die auf einen schmalen Flur gehende Hausthür war nicht verschlossen. Rechts vom Flur liegen Küche und Vorratskammern, links die Wohnstube und ein zweites Gemach, das mir als Schlafzimmer und zugleich der ganzen Familie als »gute Stube« dient. Es ist die einzige im Hause, die gedielt ist, alle anderen haben nur einen Estrich von gestampfter Lehmerde.
Auch die Küchenthür stand offen. Auf dem Herde loderte ein helles Feuer. Meine Hauswirtin war vollauf beschäftigt, um, von der Magd unterstützt, das Nachtessen zu bereiten.
Als ich ihr »guten Abend« wünschte, rief sie mir halb lächelnd, halb scheltend zu: »Ei, ei! Ist es auch recht, so spät heimzukommen? Nun, gehen Sie nur hinein; das Nachtessen wird sogleich aufgetragen.«
Ich trat in die Stube. Neben dem geheizten Ofen saß meine Frau.
Die hervorbrechende Freude tilgte jeden anderen Gedanken aus meiner Seele.
Ich vermochte kein Wort hervorzubringen. Ich wollte nicht glauben, daß sie da sei, bis ich sie in meine Arme schloß und an mein Herz drückte.
Es giebt also dennoch Treue, Liebe und Gedenken!
Sie erzählte mir ganz kurz, wie schwer krank sie gewesen. Sie hatte schon früher kommen wollen, doch konnte sie nicht. Sie sei auch jetzt nur im geheimen, mit einem auf fremden Namen lautenden Reisepaß aus Pest fort. Unterwegs habe sie mancherlei Ungemach zu bestehen gehabt. Die Straßen seien überall mit Schnee verweht und deshalb habe sie sich in den Bükkwaldungen verirrt. Nur mit vieler Mühe konnte sie wieder den richtigen Weg finden. Sie habe entsetzliche Angst vor den Wölfen gehabt, deren Geheul wir auch jetzt wieder aus dem Walde vernahmen.
Während sie erzählte, erduldete ich jene Seelenqual, die darin besteht, daß man zweien zuhört: demjenigen, der zu uns spricht und demjenigen, der früher zu uns gesprochen. Man sieht die eine Gestalt und man sieht auch die andere Gestalt.
Mein guter Hauswirt, der wackere Csány, saß am Tisch und brummte nur so in den Bart: »Das ist ein Weib, das ist eine Gattin!«
Doch jetzt ist alles wieder gut, da wir wieder vereint sind.
Aber wie lange bleiben wir vereint?
Meine Frau mußte schon am zweitnächsten Tage die Rückreise antreten. Die Theaterdirektion hatte ihr nur im geheimen einen viertägigen Urlaub erteilt. Am fünften Tage sollte sie wieder spielen.
Indessen, meine Haft sollte bald ein Ende nehmen.
Meine Frau holte aus ihrem Mieder einen großen Zettel hervor. Ein solcher Zettel war in jenen Tagen ein Schatz. Es war das Unterpfand meiner Freiheit: ein Komorner Freibrief.
Es war ein sehr einfaches Mittel der Befreiung: einfach wie das Ei des Columbus.
Als die Festung Komorn kapitulierte, erhielten die Offiziere der Besatzung Freibriefe, die ihnen Leben und Freiheit sicherten und sie auch davor schützten, in die österreichische Armee eingereiht zu werden. Einen solchen Freibrief hatte meine Frau für mich verschafft und dies war ihr sehr leicht gelungen. Szigligeti hatte einen Bruder, der zur Komorner Besatzung gehörte. Dieser Bruder hieß Vinzenz Szathmáry (dies war nämlich der Familienname Szigligetis) und hatte mich in die Liste der kapitulierenden Offiziere als Honvédlieutenant eintragen lassen. Derselbe Szathmáry überbrachte meiner Frau den auf meinen Namen ausgefertigten Freibrief.
Dies war der Grund, weshalb ich mich verborgen halten mußte.
Meine »Taube« hatte mir denn zwei Blätter des Ölzweiges bereits gebracht: das Leben und die Freiheit. Aber das dritte Blatt?
Dieses ließ noch auf sich warten. Ich darf mich aus diesem Orte noch nicht wegrühren; ich muß noch warten, bis sie ein zweites Mal kommt, um mich zu holen. Ich war wohl nunmehr davor gesichert, daß ich verurteilt werde, aber man könnte mich nach Komorn internieren und das wäre für mich ein neues Martyrium gewesen.
Meine Frau fragte mich nun: »Hast du inzwischen an mich gedacht?«
Hätte ich diese Frage nicht damit beantworten können:
»Stets nur an dich« und hätte ich, indem ich dies sagte, nicht aufrichtig und ehrlich ihr in die Augen blicken können, dann hätte ich wohl verdient, daß sie jenen Freibrief in Stücke zerreiße und mir die Fetzen ins Gesicht schleudere!
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