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Ein stürmisches Wetter ist draußen auf der Pußta, der Himmel wolkig, die Erde kotig, der Regen strömt schon seit zwei Wochen, aus jedem Rinnsal ist das Wasser getreten, an der Stelle der Kornsaat wächst Schilf, zwischen dem teuern Mais machen sich jetzt Störche und Enten zu schaffen.
– Zu Medardi am Lostag hat's angefangen, und jetzt wird es vierzig Tage lang fortregnen; wenn es aber so fortdauert, so weiß ich nicht, wer der Noah sein, und Menschen und Vieh aus dieser teilweisen Sündflut retten wird.
Diese klägliche Bemerkung machte der edle Herr Peter Bus, dem es vom grausamen Schicksal auferlegt war, auf dem Kereßturer Damm, im Szabolcser Komitat sich mit Gästen abgeben zu müssen, denn er war der Wirt der »halsbrecherischen« Tscharda. Diese »halsbrecherische« Tscharda auf dem Kereßturer Damm, in welcher Herr Peter Bus als Wirt lebte, war ein schöner Zufluchtsort. Seinen Namen hatte das wackere Haus nicht durch Zufall erhalten, sondern redlich verdient, denn kein Reisender war je ohne Gefahr hingelangt, etwas mußte am Wagen brechen.
Besonders bei solchem Wetter, wenn sich die Schleusen und Kanäle des Himmels öffnen, und es dem Menschen einfällt, um wie viel es besser wäre, wenn lieber die Erde Schleusen und Kanäle hätte; dann stürmte kein See an beiden Seiten des Dammes, dann wäre dieser nicht durchnäßt, und niemand würde in dem aufgeweichten Damm versinken und genötigt sein, seinen Wagen selbst wieder flott zu machen.
Der Abend bricht an. Herr Peter Bus reitet eben vom Acker heim und brummt, die Pfeife im Mund, vor sich hin. – Ist die Pfeife nicht eine gute Erfindung? Sie hindert die Leute, laut zu fluchen.
– Das Heu hat der Teufel in ganzen Schobern geholt, das Korn liegt auf dem Felde. Alles wird des Teufels. In die ganze Wirtschaft hat der Donner geschlagen.
Der Leser muß wissen, daß ein Pußtenwirt nicht vom Weinschenken lebt, er ist erst Bauer, und nur nebenbei ein Wirt.
Während er so vor sich hinbrummt, zeigt eine zweifelhafte weibliche Gestalt, von der man nicht gleich zu sagen weiß, ob sie sein Weib oder seine Magd sei, nach dem äußersten Ende des Dammes, der sich gegen die Theiß hinzieht.
– Kommt da nicht eine Kutsche?
– Das könnte ich brauchen, daß mir der Teufel noch einen Gast bringe, brummt Peter Bus; er schaut gar nicht hin, sondern geht ins Haus, um seine durchnäßte Bunda am Herd auszubreiten, und da brummt er weiter: Ich weiß nicht einmal, wo wir Brot für Geld bekommen, wenn unseres alle wird; und für andere werde ich nicht darben.
Endlich schaute er durchs Fenster, das er zu diesem Zweck erst abwischen mußte, und sah in ziemlicher Entfernung eine Kutsche mit vier Postpferden auf dem Damm mühsam fortkommen; beruhigt sagte er dann: Heute kommen die nicht her.
Dann setzte er sich vors Thor, und sah schmauchend, und mit seliger Befriedigung zu, wie sich die vier Pferde abarbeiteten. Der schwere Kasten macht auf den Federn ungeheure Sprünge, zwei Männer mühen sich an beiden Seiten der Kutsche, und helfen ihr bald über kleine Hügel weg, bald heben sie die im Kot versunkenen Räder mit Schaufel und Stangen heraus, und nach errungenem Siege bewegt sich das Gefährte wieder einige Schritte vorwärts.
Mit fatalistischer Ergebung schaut Peter Bus dieser Mühsal zu: er könnte dem anlangenden Gast wohl mit seinen eigenen Pferden helfen; aber wozu das? Ist es jenem bestimmt, in die Tscharda zu kommen, so gelangt er auch ohne fremde Hilfe hin; ist es ihm aber nicht bestimmt, so muß sein Wagen brechen, und Sünde wäre es, der Vorsehung vorgreifen zu wollen.
Endlich bleibt die Kutsche mit allen vier Rädern in der Mitte des Dammes so tief stecken, daß sie weder vor noch rückwärts kann.
Die Leute dort schrieen sich umsonst heiser, die Stränge rissen, die Pferde legten sich in den Kot nieder, und die Finsternis brach herein. Herr Peter Bus schlug mit erleichtertem Herzen die Asche seiner Pfeife an seiner flachen Hand aus. Gott sei Dank, sagte er, heute kommt mir da kein Gast her, und mit Freude sah er, als er hineinging, daß der Wagenschuppen leer war, und das Federvieh da ein ruhiges Nachtquartier hatte. Auch er samt seinem Gesinde legten sich nieder, denn die Kerzen sind teuer, auch das Feuer löschte er aus, und in seine Bunda gehüllt, rauchte er eine Pfeife, und dachte, welch eine Dummheit es sei, sich bei so nassem Wetter auf den Weg zu machen.
Während Herr Peter Bus still im Herrn ruht, nahet dem Hause von anderer Seite Gefahr; auf jener Seite nämlich gegen Nyiregyháza zu ist kein Damm, und das Wasser hat ungehinderten Spielraum. Wenn sich ein Unbekannter daher verirrt, so möge er nur gleich sein Testament machen, denn da muß er zu Grunde gehen; wer hingegen mit den Geheimnissen dieses Baues bekannt ist, der kann darauf leichter fortkommen als auf einer gebauten Straße, ja es giebt Kutscher, die in dieser Gegend lange als Wegelagerer gelebt und dabei das ganze Labyrinth dieser Sümpfe und Hügel so ausstudiert haben, daß sie auch in später Nacht mit was immer für einer Kutsche dazwischen durchkämen.
Es mag schon fast Mitternacht sein, denn die Hähne dieser halsbrecherischen Tscharda beginnen nacheinander zu krähen, als plötzlich ein Lichtschein sichtbar wird; zwölf berittene Männer kommen mit brennenden Fackeln und begleiten eine Kutsche und einen Bauernwagen; der Wagen geht voran, um der Kutsche als Beispiel zu dienen, und damit letztere den Ort vermeide, wo der erstere versinkt. Die Fackelträger sind Heiducken mit eigentümlicher Livree, sie haben Tschakos mit einem Busch weißer Pferdehaare, rote Dolmánys mit gelben Schnüren und darüber jeder ein Wolfsfell gegen den Platzregen. Im Sattel hat jeder von ihnen ein Beil und zwei Pistolen. Bis zum Gürtel ginge diese Uniform noch an, aber unterhalb desselben haben sie nur Leinwand-Beinkleider mit kurzen Fransen am Saume, ein Kleidungsstück, das mit dem Dolmány aus scharlachrotem Tuch nicht zusammenpaßt. Sehen wir jetzt nach dem Wagen; vier gute Bauernpferde sind daran gespannt, deren Mähnen beinahe im Wasser schwimmen, die Zügel hält ein alter, wild aussehender Kutscher in der Hand. Der gute Junge schläft, denn seine Pferde kennen ja den Weg gut; nur wenn sie die Zügel in seiner Hand stark anzerren, erwacht er und ist dann nicht wenig böse auf seine guten Pferde. Inwendig war der Wagen in seltsamer Weise besetzt; obwohl der Rücksitz leer scheint, machen sich's doch in dem vorderen, dem Kutscher den Rücken zukehrend, zwei Männer mit unbestimmter Gestalt bequem; wer und was sie seien, läßt sich nicht sogleich sagen, denn sie sind völlig eingehüllt in ihre Pelze, haben die Kapuzen derselben über den Kopf gezogen, so daß man von ihrem Gesicht gar nichts sieht, und außerdem sind sie in Schlaf versunken; sie nicken mit ihren Köpfen bald rechts, bald links, und erwachen nur zuweilen, wenn der eine oder der andere mit dem Kopfe an eine Wagenleiste geraten ist, oder wenn sie mit den Köpfen aneinander gestoßen; aber sie schlafen jedesmal wieder ein. Der hintere Teil des Wagens ist mit Kotzen bedeckt, deren Hügel vermuten lassen, daß allerlei darunter ist; die Stelle des hintern Sitzes bewegt sich zuweilen und man gerät auf den Gedanken, daß sich dort etwas Lebendiges befinden müsse, um dessentwillen die beiden in Pelz gehüllten Männer sich mit dem schlechteren Platz begnügten; nach langem Kämpfen gelingt es der geheimnisvollen Person unter der Decke sich den Kopf frei zu machen, und wir sehen einen prächtigen Windhund. Also ihm gebührte der Ehrensitz, er schien es auch zu fühlen; er setzte sich aufrecht und gähnt würdevoll, dann kratzte er sich seine gnädigen Ohren mit seinen langen Füßen und schüttelte seine stählerne Halskette, und als eine impertinente Bremse mit aller Gewalt mit ihm bekannt werden wollte, schnappte er nach ihr. Nachdem er diese Unterhaltung auch schon satt hatte, wendete er seine Aufmerksamkeit seinen schlafenden Gefährten zu; er war eben in guter Laune, und als der längere der beiden Männer ihm im Schlummer fortwährend seine Bücklinge machte, erhob der humoristische Windhund eine Vorderpfote und streifte damit über das Gesicht des Schlafenden. Dieser brummte darauf: »Lassen Sie mich in Ruhe, gnädiger Herr!«
Sehen wir nach der Kutsche; sie wird von fünf Vollbluthengsten gezogen, deren jeder sein buntes Riemenzeug schüttelt. Zwei dieser Pferde sind an der Deichsel und drei vorn, die Glöckchen am Halse haben, damit entgegenkommende Wagen sie hören und rechtzeitig ausweichen können. Auf dem Bock sitzt ein alter Kutscher mit verbrämtem Pelz; er hat den Auftrag, wohin immer er fahre, niemals zurück in den Wagen zu schauen, weil er dann sogleich niedergeschossen würde. Da aber wir diesen Schuß nicht zu fürchten haben, so sehen wir, wer in dem Wagen sitzt. Da sitzt ein Mann bei Jahren, bis zum Knie in einen Wolfspelz gehüllt, mit einer Astrachanmütze auf dem Kopf, die bis zu den Augen niedergezogen ist. Die Züge und Augen, die nicht verhüllt sind, überraschen den Beschauer; aus diesen Augen leuchtet eine verirrte Seele, die vielleicht zu ungewöhnlichen, großen Ideen berufen war, aber vom Geschick, von der Umgebung, durch Isoliertheit veranlaßt, das Ungewohnte in kleinlichen Dingen suchte, und jetzt wie über sich selbst erstaunt, dahinstarrt; das ganze Gesicht, fett, aber farblos, mit seinen edlen, aber in bizarre Ecken verzerrten Zügen, diese starken Augenbraunen, dieser vernachlässigte Schnurrbart machen beim ersten Anblick eine abstoßende Wirkung, aber wer länger hinschaut, der versöhnt sich nach und nach mit diesen Zügen; besonders, wenn die Augen verschlossen sind, und der Schlaf die zerwühlten Züge glättet, so erhält dieses Gesicht ein so patriotisches Ansehen, daß man sich mit kindlicher Verehrung hingezogen fühlt. Noch auffallender ist der Umstand, daß sich an beiden Seiten dieses Alten zwei rotwangige Bauernmädchen schmiegen, von deren ernsten, ja bekümmerten Gesichtern sich schließen läßt, daß diese Mädchen infolge irgend eines Mutwillens dasitzen. Den alten Mann fröstelt's in der kalten feuchten Nacht, der Wolfspelz ist nicht genug, um ihn warm zu halten, darum hat man zu ihm die beiden jungen Mädchen gesetzt, damit der lebenskräftige Magnetismus seinem abgelebten Körper Wärme verleihe. Er hatte rasch gelebt, und hörte schon vor seinem Tode auf zu leben, er war jetzt nur mehr ein Gespenst, abgestumpft, und lebte nur wieder auf, wenn neuer Reiz, ein neuer, toller, bizarrer, außerordentlicher Einfall, ihn aus seinem geistigen Scheintode erweckte.
Auch jetzt hat ihn mitten in der Nacht ein solcher Einfall aus seinem entfernten Kastell gebracht; er konnte die ganze Nacht nicht schlafen, fand an nichts Freude, und endlich fiel's ihm ein, nach der halsbrecherischen Tscharda zu gehen, den Wirt zum Streit zu reizen, der ohnehin aufgeregt sein wird, weil er des Nachts wird aufstehen müssen, und der fluchen wird, wenn man von ihm Speise und Trank verlangt; aber für das alles wollte er ihn dann von seinen Heiducken gut durchbläuen lassen. Der Wirt ist ein Edelmann, der ganze Spaß wird einige tausend Gulden kosten, aber die Unterhaltung ist so viel wert.
Darum hat er seine Leute aufgeweckt, darum hat er anspannen und Fackeln anzünden lassen, darum machte er sich um Mitternacht mit zwölf Heiducken auf den schlimmen Weg, und nahm zu essen und zu trinken mit, um nach der Ausführung des Scherzes ein Mahl zu halten; dabei vergaß er nicht jener drei Personen, die ihn am meisten zu unterhalten pflegten, und die dort in dem Bauernwagen fahren. Die eine ist der Lieblingswindhund, die andere der närrische Zigeuner und die dritte der Poet, die hier traulich beisammen sitzen. So bewegt sich der nächtliche bizarre Zug unter dem Schnauben der Pferde bei Fackelschein vorwärts, der gefährlichen Tscharda zu, die von fern und bei der Täuschung der Nacht ein Schloß zu sein scheint. Als sie angelangt waren, wurde dem einen Heiducken befohlen, den Wirt aufzuwecken und ihn mit »Ihr« anzusprechen; dieses »Ihr« war für einen Edelmann, und wäre er auch nur ein Wirt gewesen, eine wahrhafte Injurie. Zudem war der edle Herr Peter Bus bekannt dafür, daß man bei ihm nicht lange zu betteln brauchte, daß er eine Grobheit sage, und daß man von ihm nichts leichter erhalten könne, als ein paar Flüche; ein schiefer Blick genügte und er war zum Streit gereizt, und wenn ihm jemandes Gesicht nicht gefiel, oder wenn es jemand wagte, gegen das, was er gesagt, zu räsonnieren, oder gar ihm den Titel edler Herr zu versagen, so gerbte er ihm gewiß das Fell; das Wagnis, ihn mit »Ihr« anzusprechen, haben nur einmal zwei Pataker Studenten glücklich ausgeführt und die hatten ihr Glück nur dem Umstände zu verdanken, daß sie sich im Schilf verbargen, denn der Wirt ritt ihnen nach, sobald sie fort waren und wollte sie mit einer großen Eisengabel totstechen.
Also diesen wackern Herrn weckte der Heiduck, indem er dabei mit großem Lärm an das Fenster pochte, mit folgenden Worten auf: Steht schnell auf, Wirt, kommt heraus und bedient uns.
Als hätte man ihn mit kaltem Wasser übergossen, so sprang Peter Bus nach diesen Worten aus seinem Bette, ergriff sein Beil und ging vor Wut in den Kasten anstatt nach der Küchenthüre; als er endlich durchs Fenster blickte und die vielen Bedienten sah, die das Haus mit ihren Fackeln beleuchteten, so wußte er gleich, mit wem er es zu thun habe. Er merkte, daß sie ihn ärgern wollten und nahm sich zum Spaß vor, ruhig zu bleiben. Er hängte sogleich wieder das Beil an den Nagel, setzte die Pelzmütze auf, hüllte sich in seine Bunda und trat in den Hof hinaus.
Alle angelangten Gäste waren bereits im Vorhaus; in ihrer Mitte, von seinen Leibgarden umgeben der gnädige Herr in einem bis zum Knie reichenden und mit großen goldenen Knöpfen besetzten Attila, seines Körperumfanges wegen den Kopf etwas nach rückwärts gebeugt und auf einen spanischen Rohrstock mit großem goldenen Knopf, gestützt. Erst jetzt fiel es auf, wie schlecht zu diesem Gesicht dieser spöttische, zanksüchtige Ausdruck paßte, der jetzt seine jovialen Züge ganz entstellte.
– Kommt näher! rief er dem Wirt mit erzwungenem, gereiztem Tone zu; öffnet ein Zimmer und behandelt uns als eure Gäste, gebt uns Wein, Tokaier und Meneser, Fasane, Artischoken und Krebsragout. Der Wirt nahm demütig seine Mütze ab und antwortete ruhig und kalten Blutes.
– Sei mir der gnädige Herr willkommen, ich will Ihnen mit allem dienen, was Sie befohlen haben, nur muß ich um Verzeihung bitten, daß ich keinen Tokaier und Meneser habe; auch meine Fasane sind noch nicht gemästet und die Krebse sind, wie Sie sehen mögen, alle unter Wasser gesetzt; ich müßte mir denn diese zwölf Krebse für meine Küche ausbitten.
Das war eine Anspielung auf die scharlachrote Montur der Heiducken und der Einfall nahm sogleich die Aufmerksamkeit des großen Herrn in Anspruch.
Es gefiel ihm, daß der Wirt so vertraut mit ihm sprach. Das belustigte ihn, obwohl er es nicht erwartet hatte.
Der Zigeunernarr steckte jetzt sein schwarzes Gesicht hervor, das mit jedem Mohren hätte wetteifern können; seine beiden Reihen weißer Zähne dem Wirt zeigend, fing er an, auf seinen Fingern herzuzählen, was er noch brauche.
– Ich brauche nichts anderes, sagte er, als eine Schüssel Kanarienvogeleier, das Fett eines saugenden Reh's und Sülze von Ziegenknorpel, ich esse nie etwas anderes.
– Schade, daß ein solcher Herr sich den Magen mit derlei Dingen anfüllt, sagte Peter Bus, ich will Ihnen mit einem Zigeunerbraten aufwarten.
– Das bitte ich mir aus, schrie der Narr, der ist mein Vetter, den dürft Ihr nicht braten.
Der alte Herr fing an, über diese geschmacklosen Späße zu lachen, so was unterhielt ihn; und daß der Wirt seinen Geschmack traf, das änderte seine Absicht in Bezug auf letzteren völlig.
– Also, was könnt Ihr Euren Gästen auftragen? fuhr er fort.
– Alles, gnädiger Herr; nur ist das, was ich gehabt habe, alle geworden, was ich haben werde, das ist noch weit, was ich aber haben sollte, das habe ich nicht.
Dem gnädigen Herrn gefiel diese lange Beschreibung des Nichts so sehr, daß er in lautes Gelächter ausbrach.
– Wo ist Gyárfás, wo steckt der Poet? rief er; aber der Arme stand neben ihm, mit auf den Rücken geschlagenen Händen, mit einem knochendürren Gesicht und die ganze Scene mit Unmut anschauend. Frisch, Gyárfás, sagt mir ein paar Verse auf die Tscharda, wo man nichts zu essen bekommt.
Gyárfás senkte die Augenlider, spannte den Mund weit auf und sich mit den Fingern auf die Stirn trommelnd, extemporierte er folgendes Distichon:
»Nichts zu essen ist da, und leer steht ewig die Schüssel,
Ewige Fasten sind hier, und kein Türke kommt her.«
– Was ist das für ein Geschwätz! was geht diese Tscharda den Türken an?
– Sie geht ihn sehr viel an, antwortete Gyárfás. Wenn man hier nichts zu essen bekommt, so kann auch kein Türke herkommen, um zu essen; folglich sind meine Verse richtig.
– Da wachsen Eichen und Hörner beisammen, sagte der große Herr darauf; und als ob er plötzlich etwas gesehen hätte, sagte er zum Wirt: Habt Ihr Mäuse?
– Sie gehören aber nicht mir, denn ich bin hier nur Pächter, wenn übrigens eine oder die andere fehlt, so brauche ich darüber nicht Rechnung abzulegen.
– Also laßt uns eine Maus braten.
– Nur eine?
– Zum Henker! die paar Leute werden doch wohl mit einer Maus ausreichen.
– Ich will Ihnen dienen, gnädiger Herr, sprach der Wirt, und rief die Katzen in die Kammer. Er brauchte nur die Mange wegzurücken und man hatte eine reiche Auswahl, das heißt die Katze hatte sie.
Die ganze Gesellschaft war überzeugt, daß hier ein tüchtiger Spaß folgen werde und man lachte im voraus.
Herr Peter Bus schloß indes für seine Gäste seine große Stube auf, in deren einer Ecke ein leeres Bettgestelle und in der andern eine Hechel stand. Man hatte daher die Wahl; wer nicht im Bettgestelle liegen wollte, der konnte sich auf die Hechel legen.
Die Heiducken luden indes den Bauernwagen ab, schleppten Polster, Teppiche, Feldsessel und Tische herbei und verwandelten die kahle Stube in einem Augenblick in ein komfortables Gemach. Der Tisch wurde mit silbernen Schüsseln und Bechern bedeckt und aus dem Eise silberner Kühlwannen ragten die schlanken Hälse venetianischer Flaschen hervor, deren Inhalt lockend zu sein schien.
Der große Herr legte sich der Länge nach auf ein für ihn aufgeschlagenes Feldbett, seine Heiducken zogen ihm die Stiefel mit den großen Sporen von den Füßen, das eine Bauernmädchen setzte sich ihm zu Häupten und kraute ihm sein graues Haar, die andere saß bei seinen Füßen und frottierte sie mit Flanell. Gyárfás der Poet und Vidra der Narr standen vor ihm, in einiger Entfernung die Heiducken und der Windhund lag unter dem Bett.
Das war die Umgebung eines der reichsten Magnaten Ungarns: Heiducken, Narren, Bauerndirnen und Jagdhunde. Es war aber lauter auserlesenes Volk; die Heiducken waren die stärksten, die man finden konnte, die Dirnen die schönsten, der Narr war von der schwärzesten Gattung Zigeuner und der Poet einer der seltsamsten Käuze in ganz Ungarn.
Unter den zweibeinigen, ungefiederten Bestien hat es immer welche gegeben, die ihren Mäzenen in geschriebenen oder gedruckten Versen zu Geburts- und Namenstagen, zu Hochzeit- und Tauffesten, ja auch manchmal zum Begräbnis ekelhaften Weihrauch streuten und den Namen Poet in den Kot traten. Es giebt auch heute noch einige aus den guten alten Zeiten übriggebliebene Exemplare, die von Palast zu Palast schleichen und für Schmeicheleien Brot eintauschen. Ein bitteres Brot das.
Indessen wurde die Maus gebraten. Der Wirt selbst brachte sie herein, sie lag mitten in einer großen silbernen Schüssel, von geriebenem Meerrettich umgeben und ein grünes Petersilienblatt im Munde. Dieses Gericht wurde mitten auf den Tisch gestellt.
Zuerst bot es der große Herr den Heiducken an. Aber sie schüttelten die Köpfe, endlich rückte der älteste unter ihnen mit den Worten hervor: Wenn mir der gnädige Herr diese Tscharda samt den Wirt übergeben, dann greife ich zu.
Jetzt kam die Reihe an den Poeten.
– Pardon, Euer Gnaden; ich will lieber den besingen, der sie ißt.
– Also, du Vidra, lange zu.
– Ich, gnädiger Herr? sprach er, als hätte er nicht recht gehört.
– Na, warum fürchtest du dich denn? Als du noch im Zelt wohntest, fiel mir ein Ochs an der Tollwut und ihr habt ihn aufgegessen.
– Das war damals, gnädiger Herr; wenn ein Faß aus Euer Gnaden Keller toll geworden wäre, so hätten wir es auch getrunken.
– Na lange zu, dem Gericht zu Ehren.
– Aber mit einem solchen Tier hat sich ja nicht einmal mein Großvater abgegeben.
– Sei gescheiter als dein Großvater.
– Ich werde gescheiter sein für hundert Gulden, sprach der Narr und kratzte sich sein Kraushaar.
Der große Herr nahm aus der Tasche seines Dolmánys eine große volle Brieftasche hervor und ließ, indem er sie öffnete, deren Inhalt sehen.
Der Narr schielte hin und sagte wieder: für hundert Gulden thue ich's meinetwegen.
– Wir wollen sehen.
Der Narr knöpfte seinen Frack auf (denn beiläufig gesagt, der große Herr ließ seinen Narren im Frack gehen, ein Kleidungsstück, das ihn sehr sonderbar dünkte; oft ließ er ihn nach der neusten Mode kleiden und glaubte, er müsse sich darüber zu Tode lachen) also der Narr knöpfte seinen Frack auf, sein dummes rundes Gesicht wurde jetzt beinahe viereckig, er zog seine bewegliche Kopfhaut einigemal auf und nieder, wodurch sich auch der Wald seiner ungekämmten Haare vor- und rückwärts bewegte wie der Schopf eines Wiedehopfes, dann ergriff er das anwidernde Tier bei jenem Teile, der vom Kopf am entferntesten ist, hob es so in die Luft, schnitt ein häßliches Gesicht, schüttelte den Kopf, schloß die Augen, öffnete mit verzweifelter Entschlossenheit den Mund und in einem Nu war die Maus verschwunden.
Der Narr konnte nicht sogleich sprechen, er griff sich nach der Kehle; es ist keine Kleinigkeit, ein ganzes vierfüßiges Tier auf einmal zu verschlingen; aber die andere Hand streckte er zu gleicher Zeit nach dem Herrn hin und stöhnte beinahe erstickend: Meine hundert Gulden!
– Was für hundert Gulden? fragte der Herr; habe ich gesagt, daß ich dir hundert Gulden gebe? Du sollst dich noch bedanken für einen so seltenen Braten, wie ihn selbst dein Großvater nicht gegessen hat und nicht, daß ich noch zahlen muß.
Über den Spaß wurde nun gelacht; aber plötzlich verging allen die gute Laune, denn der Narr wurde blau und grün zugleich, seine Augen standen weit hervor, er warf sich auf seinem Sitze hin und her, konnte nicht sprechen, zeigte wie erstickend auf seinen geöffneten Mund und fing an, sich zu krümmen.
– Da hat man's! sie ist ihm in der Kehle stecken geblieben, riefen mehrere.
Der große Herr erschrak sehr, das konnte dem Spaß eine sehr ernste Wendung geben. Schüttet ihm Wein in den Mund, damit er sie hinabschwemme.
Die Heiducken griffen sogleich nach den Flaschen und begannen dem Narren den guten Erlauer und Meneser Halbeweise einzugeben; er kam nach und nach schwer atmend zu sich und stammelte, indem er sich die Augen rieb, unverständliche Worte.
– Na, da nimm die hundert Gulden! sprach der Herr, der sich von seinem Schrecken kaum zu erholen vermochte und den von den Ufern des Todes zurückgekehrten Narren gern versöhnen wollte.
– Ich danke, ächzte dieser jämmerlich, ich brauche kein Geld mehr, mit der Fischotter Vidra heißt deutsch Fischotter. ist's aus; wenn noch ein Wolf die Fischotter getötet hätte, aber nein, so eine niederträchtig kleine Maus hat's gethan.
– Na, mach keine Dummheiten, es wird dir ja nichts sein, da hast du noch hundert Gulden, sei vernünftig, es ist doch schon vergangen; schlagt ihm ein wenig auf den Rücken; bringt den Rehbraten, der wird die Maus schon hinabdrücken helfen.
Der Narr bedankte sich für die Schläge, die man seinem Rücken erteilte und als man ihm den Rehbraten vorsetzte, machte er sich daran mit dem zweifelhaften Gesicht eines Kindes, das nicht weiß, ob es weinen oder lachen solle und das bald lacht bald wieder heult; also mit einem solchen Gesicht machte er sich an den schmackhaften kalten Braten, der fein gespickt, in gutem gepfeffertem Rahm bereitet wurde; er begann davon sich Bissen in den Mund zu schieben, die größer waren als die größte Maus der Welt. Das beruhigte endlich den Herrn. Der Narr aß mit jämmerlichem kläglichem Gesichte fort, er winkte dem Windhund und warf große Bissen in die Luft, welche der Hund geschickt aufschnappte; endlich sagte er traurig, als sollte er eben den letzten Bissen mit ihm teilen: da Mathes! (Der große Herr gab seinem Narren einen Tiernamen, seinen Hunden aber Menschennamen.)
Da der Spaß dennoch gut ausfiel und er von seinem Schrecken erlöst wurde, forderte der große Herr Gyárfás auf, hierauf ein Gedicht zu improvisieren; der Poet kratzte sich die Nase und sprach:
Paßt die kleine Maus nicht in den Schlund des Zigeuners,
Dreht er sich rechts und links und sein Auge weint.
– Ei ihr seid ein unverschämter Dieb! rief der Herr, die letzte Zeile ist ja von Gyöngyösi gestohlen, der ähnliches von dem in die Klemme geratenen Rauchfangkehrer schrieb.
– Pardon! sprach der Poet mit unerschütterlichem Gleichmut, das ist eine poetische Licenz; die Poeten dürfen voneinander stehlen und man nennt diese Figur Plagium.
Auf einen Wink des Herrn trugen die Heiducken die mitgebrachten kalten Speisen auf, der Tisch wurde vor ihm hingerückt, während er auf seinem Bette ausgestreckt blieb; ihm gegenüber nahmen auf drei Feldstühlen seine drei Lieblinge Platz: der Narr, der Hund und der Poet.
Der Herr bekam nach und nach Appetit, als er diese drei essen sah; der Wein verbrüderte sie allmählich, der Poet begann den Zigeuner mit Euer Gnaden zu titulieren und der Narr duzte seinen Herrn, der nacheinander schale Witze über die Maus machte, über welche die zwei andern laut lachen mußten. Als der Herr dann endlich selbst schon glaubte, man könne von der Maus in gar keiner neuen Wendung mehr sprechen, da griff der Zigeuner in seine Brusttasche und rief: da ist die Maus! Er holte sie auch wirklich aus der Tasche hervor, wohin er sie unvermerkt hatte gleiten lassen, während die erschrockene Gesellschaft glaubte, er habe sie verschlungen und ersticke daran.
– Da, Mathes!
Der Windhund verschlang nun das Corpus delicti wirklich.
– Du betrügerischer, nichtswürdiger Schurke! rief der Herr, so betrügst du mich? ich lasse dich dafür aufhängen. Heiducken bringt einen Strick, er muß da an den Tragbalken gehängt werden.
Die Heiducken thaten sogleich, was ihnen befohlen wurde; sie ergriffen den fortwährend lachenden Zigeuner, stellten ihn auf einen Stuhl, warfen ihm die Schlinge um den Hals, zogen das Ende des Strickes über den Tragbalken und stießen dann den Stuhl um, auf welchem der Zigeuner stand.
Der Narr stieß und zappelte mit allen Gliedern, aber das nutzte nichts; sie ließen ihn nicht los, bis ihm wirklich der Atem auszugehen anfing und als sie ihn herunter ließen, sagte er zornig! ich sterbe! Ich bin kein Narr und werde mich nicht mehr aufhängen lassen, da ich doch ehrlich sterben kann.
– Stirb nur, rief der Poet, fürchte dich nicht, ich werde schon für dein Epitaphium sorgen.
– Ich sterbe auch, sagte der Narr, legte sich in aller Länge auf die Erde nieder und schloß die Augen.
Gyárfás war mit dem Epitaphium sogleich fertig:
Hier du Zigeuner, liegst du und wirst nun nimmermehr lachen,
Der du ein Geiger warst, bist jetzt die Geige des Tod's.
Und der Zigeuner bewegte sich nicht weiter. Er war ausgestreckt, starr, sein Atem stand still, vergebens kitzelte man ihn an der Nase und an den Fußsohlen; er bewegte sich nicht. Dann hoben sie ihn auf den Tisch, stellten rings um ihn brennende Kerzen, wie um einen Katafalk, die Heiducken mußten singen wie bei einer Leiche, aber sie sangen nur allerlei närrische Lieder und der Poet mußte sich auf einen Sessel stellen und die Leichenrede halten.
Der große Herr lachte so sehr, daß ihm beinahe der Atem ausging.
Während das alles in dem einzigen Gastzimmer der halsbrecherischen Tscharda vorging, näherten sich dem ungastfreundschaftlichen Hause neue Gäste. Es waren die Inhaber jener unglücklichen Kutsche, die auf dem Kereßturer Damm vor unseren Augen und vor denjenigen des Wirts im Kot stecken geblieben ist; und nachdem es drei Stunden hindurch trotz aller angewendeten Anstrengungen nicht gelingen wollte, das steckengebliebene Gefährt wieder flott zu machen, brachte die Not den im Wagen sitzenden Herrn auf den Einfall, sich von einem Menschen auf dem Rücken nach der Tscharda tragen zu lassen. Er setzte sich also auf den Rücken eines Jägers, eines muskulösen, breitschulterigen böhmischen Burschen, ließ seinen Diener bei der Kutsche zurück, damit er auf das Gepäck acht gebe, ließ den Kutscher mit der Wagenlaterne vorangehen und gelangte auf so sonderbare Art nach der Tscharda. Der kräftige Böhme stellte ihn dort im Vorhaus ab.
Es wird von Interesse sein, daß wir den neuen Ankömmling, so gut es im ersten Augenblick möglich ist, kennen lernen. Sein Anzug gab zu erkennen, daß er kein Unterländer sei. Nachdem er seinen Mantel mit kurzem Kragen à la Quiroga, abgelegt hatte, sah man, er sei nach einer alten Mode gekleidet, daß er heutzutage gewiß einen Auflauf veranlassen würde, wenn er sich so sehen ließe. Diese Mode nannte man damals à la Calicot. Auf dem Kopfe trug er einen niederen Hut, ungefähr von der Gestalt eines Bratkesselchens, mit einer so schmalen Krämpe, daß man kaum begreift, wie er diesen Hut abnehmen könne. Unter diesem Hut quillt an jeder Seite ein Busch gekräuselter Haare hervor, die so viel und bauschig sind, daß sie über die Krämpe hinaufragen. Sein Gesicht ist rasiert, nur hat er einen Schnurrbart, dessen gewichste Spitzen drohend in die Höhe ragen; der Hals steckt in einer hohen, steifen Krawatte und das Kinn zwischen zwei hohen, spitzigen Vatermördern, so daß er es nicht bewegen kann. Die Taille seines dunkelgrünen Fracks befindet sich beinahe unter den Schultern, aber die Schöße reichen bis unter die Knie hinab und der Kragen ist so hoch, daß er darüber kaum hinwegschauen kann, die messingenen Knöpfe des Frackes sind nicht großer als ein Kirschkern, die Ärmel aber sind übermäßig weit und bauschen sich an den Schultern hoch auf. Sein wachsgelbes Gilet ist von dem großen herausgebogenen Jabot beinahe bedeckt. Ferner trägt er Beinkleider à la Cosaque, die nach unten immer weiter werden und Ausschnitte haben, aus welchen die Schuhspitzen hervorgucken. Unterhalb des Gilets hängen allerlei klingelnde Joujoux, an den Stiefeln trägt er ungeheure Sporen, die so lang sind, daß er einem hinter ihm gehenden Menschen die Augen damit ausstechen könnte, wenn man nicht acht gäbe. So kriegerisch war damals die Mode, in einer Zeit übrigens, in der es keinen Krieg gab. Vollendet wurde das ganze durch ein kleines Stäbchen mit einem aus Elfenbein gedrechselten Vogelkopf, den jeder, der mit der Mode vertraut war, zwischen den Lippen herumzudrehen pflegte; befand sich an dem Vogelkopf ein Pfeifchen, so war es sehr vornehm, damit zu pfeifen.
Ein solcher Mann war der eben angelangte Gast und ich glaube, wir kennen ihn schon vollständig, nachdem wir mit seiner Kleidung bekannt sind. Die damaligen Modebengel veränderten auch ihre Sitten, Manieren, ja sogar ihren Charakter, je nachdem es die Mode verlangte.
Zur Zeit der jeunesse dorée, der goldenen Jugend, trug die Modewelt große knotige Stöcke und in den Pariser Salons wurde es Mode, den Buchstaben »r« gar nicht auszusprechen; und diese Mode erstreckte sich bis nach Koblenz, so daß, als die eleganten jungen Herren die Noblegarde Ludwigs XVIII. anführten, die Soldaten sie wegen des verschluckten »r« nicht verstanden.
In der Calicotzeit hingegen trugen sich sogar die Ladendiener wie die Soldaten und die ganze elegante Welt sprach so harte »r« aus, als ob sie voller Zorn wäre.
Zur Zeit des chapeau à la Minerve war es Mode, republikanisch zu sein und römische und griechische Namen zu haben; der chapeau à la Robinson und die cravatte à oreilles de lièvre (Krawatte mit Hasenohren) machten napoleonische Sympathien zur Bedingung; hierauf kam der chapeau à la russe. Und zu jeder Zeit waren die Menschen gleich bereit, die Kleider, die Grundsätze und den Charakter zu wechseln, zuweilen änderten sie sogar auch den Namen, wie einer unserer Landsleute, ein Ungar, der von 1790 bis 1820 alle Phasen der Pariser Mode durchgemacht hat; ursprünglich hieß er Váry, während der römischen Mode wurde hieraus Varus, als alles französisch sein wollte, nannte er sich de Var, als die polnischen Sympathien Mode waren Varßky, später Waroff und endlich kam er als Herr von War nach Hause.
Aber es ist nicht der, der vor uns steht.
– Ventre bleu! Sacre bleu! rief der Ankömmling (so viel hatte er aus Béranger gelernt), als er die Küchenthüre einstieß und seinen vom Regen durchnäßten Mantel schüttelte. Was ist das für ein Land! Heda! Licht! ist kein Mensch zu Hause?
Jetzt schritt Herr Peter Bus heraus, mit einem Licht in der Hand; nachdem er den Ankömmling und dessen Diener genug angestaunt hatte, fragte er mit ungemeiner an ihm durchaus nicht gewohnter Bereitwilligkeit: »Was befehlen Sie?« dabei sah man ihm aber an, daß er nichts geben werde.
Der Fremde sprach gebrochen ungarisch und in seiner Aussprache hörte man irgendeinen fremden Accent.
– Mille tonneres! kann man hier nichts anderes als ungarisch?
– Nein.
– Das ist schlecht, und der Wirt selbst?
– Der bin ich; und wer sind Sie mein Herr? von wo kommen Sie? wo wohnen Sie?
– Ich habe hier Grundbesitz, meine Wohnung ist in Paris. Die Teufel haben mich hergebracht, möchten Sie mich nur schon wieder fortbringen, aber der Kot ist gar zu groß auf der Straße. Geben Sie mir jetzt – comment s'appelle. (Hier stockte er, es fiel ihm das Wort nicht ein, welches er brauchte.)
– Was soll ich Ihnen geben, mein Herr?
– Comment s'appelle? wie nennt man das?
– Mich Peter Bus.
– Diable! ich frage nicht, wie man Sie nennt, sondern das, was ich brauche.
– Also was brauchen Sie, mein Herr.
– Nu, das was den Wagen zieht, es hat vier Füße und man schlägt's mit der Peitsche.
– Ein Pferd.
– Pas done! das nennt man nicht so!
– Also Vorspann.
– Ja, ja, Vorspann, ich brauche Vorspann und zwar sogleich.
– Nicht möglich, mein Herr, die Pferde sind draußen auf der Weide.
– C'est triste; dann bleiben wir hier. Tant mieux; das geniert mich nicht, ich war in Ägypten und Marokko und habe in genug deplorablen Hütten geschlafen! das ist mir ein Spaß. Ich werde mir vorstellen, daß ich in irgendeinem Beduinenzelt schlafe und das hier sei der ausgetretene Nil und diese Tiere, die hier im Walde schreien, comment s'appelle? die Frösche seien die Krokodile des Nils und dieses miserable Land, wie heißt dieses Departement?
– Das nennt man nicht so, wie es da der gnädige Herr sagen, das ist ein Damm und der heißt der Kereßturer Damm.
– Fripon! ich rede nicht von dem Kot, in welchen ich hineingeraten bin; ich will wissen, wie die ganze Gegend heißt.
– Ah so, das Szabolcser Komitat.
– Szabolcs? ein seltsamer Name; woher mag der wohl kommen? durch was zeichnet sich denn dieses Szabolcs aus, daß es gerade Szabolcs heißt?
– Es heißt so, weil ein Anführer so geheißen hat, unter welchem die Ungarn aus Asien gekommen sind.
– Ah c'est beau! das ist lieb. Die guten Ungarn nennen auch jetzt noch ihre Departements nach ihren früheren Menschen, das ist rührend.
– Nun erlauben Sie mir zu fragen, zu welcher Nation gehören denn Sie?
– Ich wohne nicht hier. Bon Dieu! welch ein Geschick ist es hier zu wohnen, wo der Kot bodenlos tief ist und wo man weiter nichts sieht als Störche.
Herr Bus dachte, er wolle auch nichts mehr sehen und wandte sich, um in die Stube zu gehen.
– Na, gehen Sie nicht weg mit der Kerze, Signore Contadino.
– Ich bitte um Vergebung, ich heiße Peter Edler von Bus und bin mit diesem Namen zufrieden.
– Ah! ah! Monsieur de Bouche, Sie sind also ein Edelmann und Wirt zugleich; das macht nichts. Johann Stuart hatte fürstliches Blut und endlich ist er auch Wirt geworden. Wenn wir also hier bleiben müssen, haben Sie guten Wein und ein schönes Mädchen?
– Mein Wein ist schlecht und paßt nicht für einen feinen Herrn. Meine Magd aber ist häßlich wie die Nacht.
– Häßlich! ah c'est picant, desto besser, einem Gentleman ist das alles eins; gestern eine elegante Dame, heute ein Aschenbrödel; die eine ist schön wie eine Göttin, die andere häßlich wie Macbeths Hexen, dort Parfüm und hier Knoblauchduft, c'est la même chose, das ist alles eins, so ist das Leben bunt.
Dem Herrn Peter Bus mißfiel diese Rede sehr.
– Es wäre besser, wenn Sie danach fragten, wo Sie diese Nacht schlafen werden, das möchte ich auch gern selbst wissen.
– Ah ça, das ist interessant – ist also kein Gastzimmer da?
– Ja, es ist eins da, aber es wohnt schon jemand darin.
– C'est rien, wir teilen uns darin. Ist's ein Mann, so braucht er sich ja nicht zu genieren und ist's eine Dame, tant pis pour elle, um so schlechter für sie.
– Dem ist nicht so. Sie müssen wissen, daß der Herr Jancsi in jenem Zimmer ist.
– Qu'est ce que cela, wer Teufel ist der Herr Jancsi?
– Das ist der Herr Jancsi, haben Sie von dem Herrn Jancsi noch nichts gehört?
– Ah das ist stark, also ist hier ein so patriarchalisches Leben, daß die Leute da nur Taufnamen haben? Eh bien! also was ist's mit dem Herrn Jancsi, ich gehe hinein und sage ihm, daß ich bei ihm in seinem Zimmer schlafen wolle und ich bin ein Gentleman, den man nicht refüsieren darf.
– Das wird wahrhaftig gut sein, sagte Peter Bus; dann sagte er aber gar nichts mehr, löschte die Kerze aus, ging hinein und überließ es dem Fremden, das Zimmer zu suchen, in welches er gehen wollte.
Es war finster, daß man gar nichts sah, aber die Töne des Singens und Brüllens dienten dem Ankömmling als Leiter nach der Stube des rätselhaften Herrn, von dem wir jetzt bereits wissen, daß er Herr Jancsi heißt; warum er so heißt, das wird sich später ergeben.
Da hatte der Spaß bereits den Gipfel der Verrücktheit erreicht; die Heiducken trugen den Tisch, auf welchem der Narr lag, in der Stube herum und heulten Lieder, hinter ihnen ging der Poet, das Tischtuch als Mantel umgehängt und deklamierte seine fürchterlich schlechten Alexandriner und Herr Jancsi selbst hatte eine Geige, die ihm überall nachgetragen wurde, in der Hand und spielte einen Friss magyar nach dem andern mit einer Fertigkeit, wie nur ein Zigeuner, die beiden Bauernmädchen mußten hierzu mit zwei Heiducken tanzen.
Die Begräbnisparodie, die tanzenden Heiducken, der musizierende Herr mit der Geige in der Hand, der Gesang, das Deklamieren des Poeten, das Jauchzen und das Gelächter der Trunkenen, boten dem Auge wie dem Ohr ein so höllisches Charivari, wie man es sich kaum vorstellen kann.
In diesem Augenblick trat der Fremde in den Saal; niemand sah ihn kommen und man wurde seiner erst gewahr, als er zu sprechen anfing.
– Guten Abend, meine Herren und Damen, ich habe die Ehre Ihnen meine Aufwartung zu machen.
Wie groß auch der Lärm gewesen, so verstummte er doch plötzlich; alle gafften mit offenstehendem Munde die fremde Gestalt an, die plötzlich mitten im Saal stand und sie zutraulich grüßte.
Alle waren verwirrt. Herr Jancsi ließ den Bogen fallen, denn wie gern er auch die Posse zu Ende geführt hätte, so genierte er sich doch, dies vor einem Fremden zu thun; indes blieb der neue Ankömmling nicht lange fremd, denn überrascht von der plötzlich eingetretenen Stille, blickte der Narr auf und als er den beinahe wie er selbst gekleideten Kavalier sah, vergaß er, daß er nun tot sei, sprang vom improvisierten Katafalk, stürzte auf den Fremden los, umarmte und küßte ihn und rief: »Grüß dich Gott, mein lieber Freund!«
Bei diesem närrischen Empfang brach alles wieder in schallendes Gelächter aus.
– Ah c'est drôle, aber zigeunerisch! rief der Fremde, sich den Umarmungen des Zigeuners entwindend; küsse mich nicht mehr, es ist schon genug.
Hiermit verneigte er sich ringsherum vor der ehrenwerten Gesellschaft und wischte sich mit seinem Sacktuch die Spuren von den Küssen des Zigeuners vom Gesichte.
– Derangieren Sie sich meinethalben nicht, meine Herren und Damen; fahren Sie fort in Ihrer Unterhaltung. Ich bin nicht gewohnt, Unterhaltungen zu stören; ich bin ein echter Gentleman, der es in jeder Gesellschaft versteht, zu prendre son air. Ich habe die Ehre mich Ihnen vorzustellen, ich bin Abellino Karpáthi von Kárpat.
Hiermit pfiff er an dem Pfeifchen seines Stockes, warf sich mit nobler Nonchalance in einen Armstuhl und kreuzte die bespornten Füße übereinander.
Auf diese Worte waren alle noch mehr erstaunt. Herr Jancsi setzte sich aufrecht und die Hände auf die Knie legend, schaute er den Fremden an, den der Narr nach Art der Hunde umschnüffelte.
Endlich fragte Herr Jancsi mit gedehntem, feierlichem Tone.
– Sie sind ein Karpáthi? Wissen Sie auch, was das bedeutet, ein Karpáthi zu sein? einen Namen zu führen, den zweiunddreißig Ahnen, lauter Obergespäne und Feldhauptmänner hinterlassen, der einen bessern Klang hat, als alle übrigen Namen in Ungarn. Daher bedenken Sie, was Sie sagen! Es giebt mir noch einen Karpáthi außerhalb Ungarns und der heißt Bela.
– Le voilá! Der bin ich ja eben, sprach der Fremde, eines seiner Beine auf den vor ihm stehenden Stuhl streckend. In diesem barbarischen Lande hat mich meine Mutter zur Welt gebracht. Das war eine noble Dame von feiner Erziehung; aber mein Vater hat sich in verschiedenen Sonderbarkeiten gefallen. Eine derselben war, daß er mich, seinen einzigen Sohn, Bela taufen und ungarisch lernen ließ; Bela! ist das ein Name für einen Kavalier? Zum Glück ist mein Vater früh gestorben und ich ging mit meiner Mutter nach Paris. Mein Name gefiel mir nicht, darum habe ich mir den Namen Abellino beigelegt, der eben am meisten en vogue war; aber die ungarische Sprache konnte ich nicht losbringen. Na, das macht nichts, ich weiß ja sogar auch die Mohrensprache. Das schadet einem echten Gentleman nicht.
– Hm, sehen Sie, jetzt ist's sogar gut, daß Sie ungarisch können; was würden Sie sonst anfangen, da Sie in Ungarn reisen?
– Ah! venir ici de Paris, c'est tomber du ciel à l'enfer. Von Paris hierher kommen, das heißt vom Himmel in die Hölle fallen. C'est merveilleux, es ist wunderbar, daß die Menschen es hier aushalten können. Ah mon cher Heiduck, dort sehe ich einen Braten, seien Sie so gefällig, ihn näher zu rücken, stellen Sie ihn hierher und schenken Sie mir ein Glas Wein ein. A votre santé messieurs, et mes dames! Und besonders auf Ihre Gesundheit, Monsieur Jancsi!
Herr Jancsi schwieg; sein Auge folgte jeder Bewegung des Fremden mit gespannter Aufmerksamkeit und allmählich nahmen seine Gesichtszüge den Ausdruck stiller Trauer an.
– Also was führt Sie denn hierher? aus dem Himmel in die Hölle?
– Hélas! seufzte Abellino, indem er mit dem Eßzeug auf dem Teller einen Marsch trommelte. Eine dringende Angelegenheit. Ein Gentleman, der im Auslande wohnt, hat viele Bedürfnisse und mein Vater hat mir nichts als ein Einkommen von lumpigen viermalhunderttausend Francs hinterlassen; ich bitte Sie, was ist das, wenn man anständig leben will? Und wie soll man davon leben können, wenn man seiner Nation Ehre machen und den Leuten beweisen will, daß man auch etwas versteht? Ich habe in Paris eines der ersten Häuser geführt, eine eigene Meute und Parforcejäger gehalten, die berühmtesten Tänzerinnen und Sängerinnen waren meine Maitressen; ich war in Ägypten und Marokko, habe die schönsten Haremweiber des Beys entführt, die Saison in Italien zugebracht und hatte selbst eine elegante Villa am Comosee; ich habe durch die berühmtesten Autoren Frankreichs Folianten über meine Reisen schreiben lassen und dieselben unter meinem eigenen Namen herausgegeben; die Académie de sciences mich dafür zu ihrem Mitglied gewählt; in Homburg habe ich auf einem Sitz eine halbe Million Francs verloren, ohne nur einmal das Gesicht zu verziehen – und jetzt ist mein lumpiges Einkommen samt dem Grundvermögen phü!
Hierbei zeigte er mit Hand und Mund, daß es verblasen sei.
Herr Jancsi blickte immer starrer auf den noch nicht alten Roué und unwillkürlich seufzte er tief auf.
– Das macht aber nichts, fuhr der Chevalier mit beruhigendem Tone fort; wer eine Million besitzt, der kann zwei Millionen ausgeben. Auf einmal aber setzen sich's ces fripones de creanciers, diese Schurken von Gläubigern in den Kopf, von mir Geld zu begehren und wie der eine anfängt, thun's ihm die andern Narren nach. Ich zanke mit ihnen, sie sind nicht zufrieden, gehen zum Gericht und ich muß Paris verlassen. C'est pour bruler la cervelle. Man könnte sich eine Kugel ins Gehirn jagen! Mais v'lá! Das Glück ist mir günstig, da geschieht's, daß ein Bruder meines Vaters, ein gewisser Johann von Karpáthi, der noch viel reicher war, als mein Vater –
– Aha!
– Ein närrischer alter Kauz, von dem man sich tausenderlei Narrheiten erzählt –
– In der That?
– Jawohl. Er soll sich niemals aus seinem Dorf fortrühren, er hält in seinem Kastell ein Theater, in welchem seine eigenen Komödianten spielen; er läßt die ersten Sängerinnen hinkommen, bloß damit sie ihm Bauernlieder vorsingen; er hat einen ganzen Palast für seine Hunde und speist mit ihnen an einem Tisch.
– Na, und was noch?
– Er hält einen ganzen Harem von Bauerndirnen und tanzt mit ihnen in Gesellschaft von Betyáren, wie er einer ist, die ganze Nacht, dann hetzt er die Gesellschaft, bis sich die Leute die Köpfe blutig schlagen.
– Und weiter?
– Er ist ein solcher Sonderling, daß er nichts duldet, was ausländisch ist; nicht einmal Pfeffer läßt er auf seinen Tisch bringen, weil dieser nicht im Lande wächst, sondern Paprika; auch Kaffee duldet er nicht und anstatt Zucker braucht er Honig. Ist das nicht verrückt?
– Freilich. Wissen Sie nichts mehr von ihm?
– O noch tausend solche Einfälle; sein ganzes Leben ist eine Narrheit; nur einmal in seinem Leben hatte er einen gescheiten Einfall. Als ich eben nichts mehr besaß und als mir schon gar nichts mehr helfen konnte, als eine reiche Erbschaft, da stopft sich dieser reiche Onkel, dieser ungarische Nabob, dieser Plutus eines Abends den Magen voll mit Kibitzeiern und am nächsten Morgen stirbt er. Davon hat man mich natürlich sogleich in Kenntnis gesetzt.
– Und jetzt sind Sie gekommen, um die reiche Erbschaft zu erheben, nicht wahr?
– Ma foi, sonst hätte mich nichts dazu bewegen können, dieses detestable Land zu betreten.
– Na, dann lassen Sie nur gleich wieder anspannen und fahren Sie zurück nach Paris, oder nach Italien, oder gar nach Marokko, denn dieser halbnärrische Onkel, dieser reiche Betyár bin ich selbst, ich bin nicht gestorben.
Abellino erstarrte auf diese Worte, er ließ vor Schreck Füße und Hände sinken und stammelte: Est ce possible? wär' es möglich?
– So ist's; ich bin der Johann von Karpáthi, den das gemeine Volk den Herrn Jancsi schilt, wie es auch Ihnen beliebte, mich zu nennen.
– Ah, wenn ich das gewußt hätte! rief der Chevalier, indem er aufsprang und hineilte, um die Hand des Onkels zu ergreifen; aber die schlechten Leute haben nur mein einziges Onkelchen ganz anders beschrieben, sodaß ich mir ihn gar nicht als einen so noblen Gentleman vorstellen konnte; mille tonnerres! soll sich noch jemand unterstehen zu sagen, daß mein liebes Onkelchen nicht der wackerste Kavalier auf dem ganzen Kontinent ist! Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie nicht hätte kennen lernen. Das ist prächtig; ich suche einen toten Onkel und finde einen lebenden; c'est bien charmant! Fortuna ist nicht umsonst eine Dame, sie ist ganz vernarrt in mich.
– Lassen Sie die dummen Reden, mein lieber Herr Neffe, ich liebe das nicht; ich bin daran gewöhnt, daß selbst mein Heiduck mit mir grob spricht, weil mir das besser gefällt. Mein Herr Neffe kommt weit her, um mich zu beerben, seine Gläubiger kommen scharenweise hinterdrein und jetzt findet er, daß ich noch am Leben bin, ist das nicht ärgerlich?
– Au contraire. Na Sie leben, liebes Onkelchen, so können Sie sich ja noch liebenswürdiger machen.
– Wie so denn? Ich verstehe Sie nicht.
– Na, ich will nicht um eine jährliche Apanage einkommen, ce serait bien fatigant für uns beide; ich mache Ihnen den Antrag, daß ich Sie für immer in Ruhe lassen will, wenn Sie jetzt meine Schulden auf einmal auszahlen wollen.
– Hm, wie großmütig; und wenn ich nicht zahle, so erklären Sie mir vielleicht den Krieg?
– Na, liebes Onkelchen, wozu diese Plaisanterie? Wozu sagen Sie, ich zahle nicht? Une bagatelle, einige hunderttausend Livres, was ist das für Sie?
– Ja, lieber Neffe, ich bedauere sehr, daß Sie Ihrem Vermögen, welches Ihre tapferen Ahnen durch Verdienste erworben haben, so stark zu Leibe gegangen sind, aber ich kann Ihnen nicht helfen; das Geld brauche ich selber. Ich verschwende es auch an Narren, aber an inländische. Ich habe ganze Scharen von Betyáren, Heiducken und Schmarotzern und wenn mein Einkommen nicht durch sie aufgeht, so traktiere ich die Krähen des Feldes, oder wenn es mir einfällt, so lasse ich eine Brücke bauen von einem Berg zum andern; aber für mein Geld lassen wir keine Tänzerinnen herumkutschieren, noch entführen wir marokkanische Prinzessinnen, oder klettern auf die Pyramiden; wenn es Ihnen beliebt, so finden Sie bei mir zu essen und zu trinken, so viel Sie wollen, auch haben Sie da schöne Mädchen zur Auswahl, mehr als genug und wenn Sie sie schön ankleiden, so sind sie gewiß so schön, wie marokkanische Prinzessinnen; auch Reisen können Sie machen, denn das Land ist groß genug, Sie brauchen eine ganze Woche nicht vom Wagen zu steigen und fahren immer auf meinem Grund und Boden, aber wir schicken kein Geld ins Ausland, wir tragen nicht Wasser in die Donau.
Der Chevalier begann die Geduld zu verlieren und warf sich während der ganzen Moralpredigt auf dem Stuhl unruhig hin und her.
– Ich begehre ja nichts geschenkt, rief er endlich aus, als er zu Wort kam, ich will ja nur einen Vorschuß.
– Einen Vorschuß? Worauf? Vielleicht auf meine Haut?
– O! rief Abellino ungeduldig, mit jenem Ausdruck der Impertinenz im Gesicht, den wir an manchen Menschen mit Recht so bewundern, die gerade dann am frechsten sind, wenn sie am demütigsten sein sollten. Er rückte sich hochmütig die Krawatte zurecht, steckte die Hand vorn in den Brustlatz und sagte: Was Sie besitzen, wird ja doch früher oder später mein Eigentum werden! Sie wollen es doch nicht mit ins Grab nehmen?
– Ins Grab! rief der Alte schaudernd und erblaßte. Was? Ins Grab? Ich?
– Ja, ja; Sie stehen ohnedies schon mit einem Fuß darin; die Bankette, Pasteten und Bauerndirnen werden schon bald auch den andern hineinbringen und dann wird Ihr ganzes Vermögen mein sein, ohne daß ich Ihnen dafür zu danken brauche.
– Kutscher! schrie der alte Karpáthi von seinem Sitz aufspringend mit dem Ausdruck edler Entrüstung im Gesicht. Die Wagen vor! wir reisen ab, im Augenblick. Keinen Laut will ich mehr hören in dieser Stube.
Abellino lachte über den ohnmächtigen Zorn des Alten.
– Wozu wüten Sie, wozu echauffieren Sie sich? So trifft Sie ja der Schlag noch früher. Na na, guter Alter, Sie brauchen sich nicht so zu ärgern, ich kann ja warten, ich bin ja noch jung.
Und hiermit begann er ein Bruchstück einer Chansonette, das ihm von einem Vaudeville im Gedächtnis geblieben, zu summen und streckte sich auf drei Stühlen in aller Länge nieder.
Die Heiducken wollten ihm die Stühle wegziehen und schickten sich an, das Gepäck aufzuladen.
Laßt alles, wie es ist, schrie der Alte; ihr dürft nichts anrühren, was er einmal berührt hat; Wirt, wo sind Sie, Alles, was hier in der Stube ist, gehört Ihnen.
Bei den letzten Worten war der alte Herr schon so heiser, daß man ihn kaum verstehen konnte. Der Narr faßte ihn bei der Hand, damit er nicht umfalle und der Poet ging furchtsam auf die Seite.
– Sehen Sie, der Lärm nützt Ihnen nichts, sprach Abellino mit spöttischer Teilnahme; eilen Sie nicht so sehr, denn sonst fallen Sie und das ist nicht gesund, nehmen Sie den Pelz um, damit Sie sich nicht erkühlen; wo ist der Fußsack des gnädigen Herrn? He Bursche, Ziegel wärmen und meinem lieben Onkelchen unter die Füße legen. Gebt acht, daß ihm nicht ein Haar gekrümmt werde.
Herr János sprach währenddessen kein Wort; es war das erste Mal in seinem Leben, daß man es wagte, ihn so zu ärgern. Welcher Ausgang war zu befürchten, wenn das ein anderer gewagt hätte! Die Heiducken und die Reiter standen zitternd da, selbst Herr Peter Bus verstummte, als er den alten Herrn sah, der mit blutunterlaufenen Augen vor sich hinstarrte.
Die Heiducken hoben ihn mit schwerer Mühe in den Wagen, die zwei Mädchen setzten sich neben ihn an beiden Seiten, dann winkte er dem Wirt zu sich und murmelte ihm mit dumpfer, heiserer Stimme einige Worte zu, worauf dieser wie einstimmend nickte. Dann warf Herr János seine Brieftasche hin und winkte ihm zu, er möge sie behalten. Hierauf fuhr der Wagen hinaus, umgeben von den berittenen Fackelträgern.
Mit spöttischem Ton rief der Roué, Kußhände werfend, ihm den Abschied nach: Adieu cher oncle! adieu, liebes Onkelchen Jancsi! Ich grüße die Fräulein zu Haus und die werten Hunde dazu! Au revoir! Auf Wiedersehen! Und hierbei warf er ihm fortwährend Kußhände nach.
Der Wirt begann hierauf alles aus der Stube zu schaffen, die Betten und die Tische, welche der Herr János ihm gelassen hatte.
– Ah cher ami, könnten Sie die Räumerei nicht auf morgen verschieben? Ich brauche ja diese Sachen.
– Nicht möglich; ich muß das Haus anzünden.
– Que diable! Wie wagen Sie's, so was auszusprechen?
– Das Haus gehört dem Herrn, der eben fortgefahren ist; was darin ist, gehört mir und ist mir ausbezahlt worden; er hat befohlen, dieses Wirtshaus anzuzünden und an dieser Stelle wird es von nun an kein Wirtshaus mehr geben. Übrigens hat sich kein Mensch darum zu kümmern.
Hiermit hielt er mit großem Phlegma die brennende Kerze gegen ein Bündel Schilfrohr, das unter dem Vordach lag und sah kaltblütig zu, wie die Flamme um sich griff. Bei dem Licht konnte er bequem ausrechnen, wie viel er für diese Illumination erhalten habe. Er hätte sich dafür drei Häuser in Szegedin kaufen können. Er war zufrieden.
Dem Chevalier blieb, wenn er nicht verbrennen wollte, nichts anderes übrig, als seinen Mantel umzunehmen und sich von seinem Jäger wieder zu seiner Kutsche tragen zu lassen.
Du hast mich aus dem Wirtshaus verdrängt, ich werde dich aus der Welt schaffen! murmelte er, während sein Jäger mit schmatzenden Stiefeln durch den Kot watete. Die beiden Männer übereinander nahmen sich im Feuerschein aus, wie ein höckeriger Riese.
So endigte das verhängnisvolle Zusammentreffen der beiden Verwandten in der halsbrecherischen Tscharda.