Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.
Die Theaterschlacht

Die erwartete, gefürchtete Stunde nahte heran, das Publikum drängte sich ins Opernhaus. Die nicht genug verheimlichten Vorbereitungen der jungen Riesen machte das allgemein verbreitete Gerücht entstehen, daß heute im Theater große Dinge vor sich gehen werden; nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Parterre, auf den Galerien und in der höllischen Loge werde eine große Vorstellung stattfinden. So nennt man die der Bühne zunächst befindliche Loge, die Lieblingshöhle der jungen Riesen, weil sie tiefer lag, als die Bühne und bei Gelegenheit des Balletts die angenehmste Aussicht gewahrte.

Die jungen Merveilleux brechen sich Bahn mitten durch das Gedränge an den Kassen und in den Vorhallen und bemühen sich, bemerkbar zu machen, daß sie heute Beschäftigung haben; wo zwei zusammentreffen, fragen sie sich mit ernsthaftem Gesicht, ob alles in Ordnung sei, der junge Vicegespanssprößling hat sich die Rolle erfunden, jedem, der ihm entgegenkommt, zu fragen: haben Sie nicht Monsieur Karpáthi gesehen? haben Sie nicht meinen Freund den Fürsten Ivan gesehen? Und wenn er diese Fragen erschöpft hatte, fragte er zuletzt nach Oignon, nach welchem ein civilisierter Mensch aber nicht überall zu fragen pflegte; denn es giebt Menschen, mit welchen man unter vier Augen sehr vertraut ist, die man aber vor andern nicht zu erkennen pflegt.

Monsieur Oignon zu suchen ist nicht nötig; er ist schon an seinem Platz; er hat seine Leute im Parterre und auf der Galerie gut aufgestellt. Jetzt geht er, die Vorposten zu inspizieren, um nachzusehen, ob jeder an seinem Platze stehe. Der Applaus muß im Parterre beginnen, denn darnach richtet man sich; da die Oper zum erstenmal gegeben wird, so können die Leute nicht wissen, wann sie applaudieren sollen. Man muß daher acht geben, wann sich Monsieur Karpáthi in der Loge infernale vor dem Spiegel aufstellt, das bedeutet: jetzt applaudiert. Die Kränzewerfer haben ihre Rollen schon einstudiert und sind auf allen drei Galerien aufgestellt; auf der dritten Galerie steht schon der Mann, der seinen Hut hinabwerfen muß, wenn die Semiramide ihre Arie singen soll, gegenüber hat derjenige seinen Platz, der gähnen muß, wenn sie ihre zartesten Fiorituren singt.

Die eingeweihteren unter den jungen Riesen sind im Foyer und umschwärmen die Catalani. Die Mainvielle ist noch nicht angekleidet; sie hat erst im dritten Akte zu thun und hält sich bis dahin in ihrem Ankleidezimmer auf.

Die Catalani ist heute sehr gut gestimmt, ihre witzigen, manchmal beißenden Einfälle bringen jeden in gute Laune; sie weiß sehr gut um die Bemühungen der jungen Gentlemen für diesen Abend und bemüht sich dafür dankbar zu sein.

Ihre Kleidung ist bezaubernd. Ihr langes schwarzes Haar hängt halb aufgelöst und mit Perlenschnüren durchflochten in Hängelocken nieder, die duftleichte Tunika, welche die Reize ihres Wuchses verhüllt, ist aus phrygischem durchsichtigen Stoff; der reichgestickte rote Gürtel ist so um ihren schlanken Leib gewunden, daß ihn viele darum beneiden, die sich gern plötzlich in Kaschmir verwandeln würden und auch den schlanken Leib des schönen Weibes umfassen möchten.

Sie ist nicht um ein Jahr jünger als die Mainvielle, aber die spielende Heiterkeit, ihre oft die Grenzen überschreitende Koketterie und eine wunderbar überwältigende Kühnheit, die aus ihrem ganzen Wesen spricht, sichern ihr jene Huldigung, welche man ewiger Jugend darbringt. Außerdem spielt sie in jeder Rolle nur sich selbst, nur die Catalani, das liebenswürdige, heitere, siegreiche Weib; sie kümmert sich nicht viel darum, ob ihr Anzug charakteristisch sei, wenn er nur ihre Reize hervorhebt; sie wird wahnsinnig und lächelt nach den Coulissen, sie stirbt und wirft triumphierende Blicke nach der Loge infernale. Das gilt demjenigen, der die Kunst anbetet, als sehr gering, den aber befriedigt es, der die Künstlerin anbetet.

Die Catalani hat nicht wie andere Künstlerinnen die Schwäche, die Welt glauben machen zu wollen, daß sie gegen Kolleginnen nicht intriguiere, sie giebt denjenigen, die von einer Kollegin Böses sprechen, darüber keinen Verweis. O, die Catalani liebt selbst nicht auf der Bühne die Verstellung. Sie eifert ihre Anbeter selbst an, über ihre Kolleginnen zu medisieren und wenn diese nichts mehr wissen, so liefert sie neuen Stoff. Als sie Direktrice der Oper war, trieb sie diese Gewohnheit so weit, daß alle weiblichen Mitglieder sie verließen und sie allein blieb.

Heute gab es große Gelegenheit ihr angenehm zu sein; die Schmetterlinge im Frack flüsterten ihr zu, daß ihrer eine große Überraschung warte, später plauderten sie vor ihr noch aus, woraus diese Überraschung bestehen werde; Kränze und ein Diamantendiadem für die Künstlerin, Zischen und vielleicht auch Pfeifen für ihre Kollegin.

– Geschieht ihr recht, sagte das schöne Weib mit unverhohlener Freude, ihre kleinen runden Fäuste aneinander schlagend.

Später erzählten ihr auch die Anwesenden, wessen Werk das alles sei; natürlich hatten diejenigen, die nicht zugegen waren, dazu gar nichts beigetragen.

Die schöne Frau belohnte sie mit süßem Lächeln für ihre Bemühungen und forderte Abellino, als den eingeweihtesten Jünger der Ästhetik selbst auf, ihr das Schönheitspflästerchen über den korallenroten Lippen aufzukleben. Diese Auszeichnung wurde noch dadurch vermehrt, daß sie die mit Diamanten ausgelegte Uhr trug, welche ihr Abellino heute Morgen geschenkt hatte. Ob die Damen zur Zeit der Zelmira Schönheitspflästerchen und Uhren hatten, darnach fragte sie nicht.

Endlich kommt der Regisseur und kündigt mit großer Unterthänigkeit an, man müsse anfangen, denn die Herzoginnen von Nemours und von Berry seien schon in ihren Logen.

– Was gehen mich die Herzoginnen von Nemours und von Berry an! rief das schöne Weib hochmütig, die nicht vergessen konnte, daß diese daran schuld seien, daß die Mainvielle heute nicht die Italiana sondern die Semiramide singt. – Sie sollen warten! hier bin ich die Königin.

Die jungen Riesen liebten es aber nicht fortwährend in jenem Reich zu leben, in welchem das schöne Weib die Königin ist und baten mit großer Courtoisie um Vergebung, daß sie die Künstlerin so lange aufgehalten haben, während sie eben gewünscht hätte, daß sie länger bleiben sollen.

Alles eilte in die Logen. Abellino durcheilt noch einmal die Logen der Bundesgenossen, sie ermahnend und aneifernd; in einer Loge saßen die drei jungen Magnaten, Stephan, Rudolf und Nikolaus. Auch bei ihnen sprach Karpáthi ein.

– Schön, daß auch ihr da seid, ich bitte euch, gebt nur auf unsere Loge acht.

– Es scheint, sagte Rudolf, als ob ihr heute debütieren solltet und nicht die auf der Bühne. Viel Glück!

Nach und nach war alles auf seinem Platz. Die Ouvertüre begann und während derselben wurde in der Loge infernale die Batterie der Operngucker aufgerichtet und mit derselben alle Schönheiten, die im Theater anwesend waren, bestürmt. Monsieur Oignon, der Chef der Claque stand in der ersten Galerie auf einer erhöhten Bank und Abellino wechselte mit ihm mittels des venetianischen Spiegels in der Loge infernale seine geheimen Zeichen.

Endlich wurde die Ouvertüre mit Trompetengeschmetter und dem Schall der Trommeln und Paulen beendigt und nach langer Ungeduld der Vorhang aufgezogen.

Jedes Auge, jeder Operngucker waren hingewendet, jede Hand war zum Applaudieren, die Kränze und Gedichte zum Fliegen bereit, so daß, als die mit dem golddurchwirkten, rotsamtnen Mantel bekleidete weibliche Gestalt aus dem Halbdunkel der Coulissen hervortrat, ein stürmischer Applaus begann und Kränze und Gedichte hingeworfen wurden.

Bestien, was macht ihr! das ist ja nicht die Catalani, sondern Signora Brussi, die den Prolog sprechen wird. Seid doch ruhig!

Die erschrockene Signora bemerkte, daß der Sturm nicht ihr galt; sie eilte, sich mit ihrem Prolog zurückzuziehen und der Zelmira Platz zu machen, die wütend auf die Bühne kam, Rossini samt dem dummen Verfasser zur Hölle wünschend, der zu den Opern Prologe schreibt und so bewirkt, daß die Kränze andern als der Primadonna geworfen werden. Es ist umsonst, bei einer ersten Vorstellung kann man die unwissenden Leute nicht auf alles aufmerksam machen. Es gab kein anderes Mittel, den Fehler wieder gut zu machen, als die Signora Brussi fortzuschicken und plötzlich in die Scene einzugreifen.

Bei ihrem Erscheinen wurde der Applaus verdoppelt. Wenn sich eine andere Schauspielerin so sehr vergißt und die Achtung des Publikums so sehr außer Augen läßt, dann kann sie gewiß sein, daß ihr das fernere Auftreten verboten wird; aber bei einem Liebling des Publikums nennt man das Genialität und wunderbare Geistesgegenwart.

In dieser Scene wurden die noch zurückgebliebenen Kränze nachgesendet, so daß die Catalani im vollen Sinne des Wortes bis an die Knie in Gedichten und Kränzen ging, was der verehrten Künstlerin nicht wenig Schwierigkeit machte, bis zum Souffleurkasten vorzudringen. Und das mußte sie notwendig thun, denn sie hielt es für überflüssig, den Text der Partitur auswendig zu lernen, was einerseits ihren Mut beweist, andererseits, wie wenig es den Sängern notwendig sei, sich mit dem Inhalt der Oper bekannt zu machen.

Aber zugeben muß man, daß sie ein schönes Weib war. Hier am Lampenlicht schien sie ein kindliches Mädchen zu sein, jeder ihrer Blicke tötete und belebte, jede ihrer Bewegungen bezauberte und war hinreißend; sie bemühte sich nicht, in ihre Rolle einen durchdachten Grundton zu legen, sondern so bezaubernd und verlockend als möglich zu sein; ihr Gesang war auch fern von dem, was vorgeschrieben war, so sehr durchflocht sie ihn nach Belieben mit den Fiorituren ihrer mit wunderbarer Biegsamkeit ausgestatteten Stimme; sie wandte alle Kunstgriffe an, die das Publikum hinreißen und gab der Rolle so sehr eine andere Färbung, daß Rossini selbst, der sein Werk hinter den Coulissen mit anhörte, zu applaudieren anfing und die Umstehenden fragte: »Eine schöne Komposition das, wissen Sie nicht, von wem sie ist?«

Auch das Publikum spielte gut, die Leute des Monsieur Oignon führten sich gut auf, auf eine Handbewegung Karpáthis ließen sich hundert und hundert Hände hören und wenn er seine Hände ruhen ließ, so schwiegen auch sie, damit nicht durch irgendeine unzeitige Handbewegung dem Publikum eine kostbare Fioritur verloren gehe.

Jetzt folgte die Romanze der Zelmira, der Glanzpunkt des ganzen Werkes, wo die melancholische Arie nur stellenweise von einer Flöte, einem Violinpizzicato und einer Oboe begleitet wird.

Pst! pst! klang es zeitig genug; aus der Loge infernale wurde gewinkt, daß sich das Publikum ruhig verhalte, denn jetzt kommt das Beste.

Die Catalani trat bis an die Rampe vor, um besser gehört zu werden und begann mit schmelzender, weicher Stimme die Romanze zu singen.

Kaum hatte sie einige Takte gesungen, als eine derbe Stimme Bravo rief und zahllose Hände zu applaudieren begannen.

Karpáthi blickt erschrocken hinauf; welch ein ungeschickter, verrückter Narr ist dieser Oignon! während eines Pianos läßt er applaudieren.

Die Catalani hielt mitten im Gesang inne und wartete mit sichtbarem Ärger, bis der Applaus verstummte, dann sang sie die Romanze weiter.

Wieder kam sie bis zur nächsten Roulade und wieder begann man zu applaudieren und Bravo zu rufen.

– Ist dieser Oignon verrückt geworden! rief Karpáthi ziemlich hörbar, indem er sich aus der Loge hervorbeugte und still! ruhig! rief.

Die ganze Loge infernale erhob sich, um den ungelegenen Lärm zu beschwichtigen; nun aber ist nichts schwerer, als ein applaudierendes Publikum zu bitten, es möge nicht applaudieren, Zelmira begann aus der Rolle zu fallen und schüttelte den Kopf.

Sie begann wieder zu singen und wieder wurde sie durch Applaus unterbrochen, was die Künstlerin endlich so sehr außer sich brachte, daß sie sich vergaß und zornig mit dem Fuß stampfte.

Abellino stürzte jetzt wütend aus der Loge, hinauf in die zweite Galerie und ergriff dort den ihm entgegenkommenden erbleichten Oignon an der Kehle.

– Mensch! was thust du? willst du uns töten?

– Herr, entschuldigte sich der bleiche Applaushändler, ich bin ein ruinierter Mensch, hier sind fremde Hände im Spiel, das ist ein Verrat, den ich nicht begreife. Ich kenne niemanden von den Claqueurs.

– Man muß sie zum Schweigen bringen.

– Gehen Sie nicht hin, Herr, es sind betrunkene Ouvriers, die einen gleich mit den Fäusten traktieren.

Abellino raufte sich verzweifelnd das Haar.

Als Zelmira endlich sah, daß sie diese Arie vor lauter Applaudieren nicht zu Ende singen könne, so sang sie plötzlich aus einer Oper, welche das Publikum sehr liebte, ein Finale, anstatt der Romanze der Zelmira. Der Applaus wurde stürmisch. Einer Künstlerin, welche der Liebling des Publikums ist, erlaubt man alles.

Die jungen Riesen waren außer sich über die Großartigkeit des Erfolges und als der Vorhang fiel, stürzten sie auf die Bühne, von welcher eben zwei Theaterdiener die Kränze wegfegten, um von ihren eigenen Blumen einige Blätter zu erhaschen. Die Künstlerin brachten sie in ihrem Kostüme als Zelmira in ihren Wagen, spannten in Begeisterung die Pferde aus und zogen sie in einem Triumphzug nach ihrer Wohnung, wo sie sich umkleidete, um mit einem Schwarm ihrer Verehrer ins Theater zurückzukehren und in ihrer Loge den zweiten Teil ihres Triumphes, nämlich den Sturz ihrer Nebenbuhlerin, zu genießen.

Inzwischen wurden die zu dem zweiten Stück nötigen Vorbereitungen getroffen und die Ouvertüre begann. Jeder saß auf seinem Platze, die Augen bewaffnet und das Aufgehen des Vorhangs mit Ungeduld erwartend, denn heute muß ja etwas Außerordentliches geschehen; die erste Künstlerin des Theaters, welche so viele Jahre hindurch der Liebling des Publikums gewesen, wird ausgezischt werden und das Publikum wird mit einiger Befriedigung sehen, wie diejenige, der es so lange so viel Ehre erwiesen, endlich erniedrigt, gebrochen dastehen wird. Eigentlich war sie doch auch nichts mehr, als ein zerbrechliches Spielzeug.

Die Ouvertüre war zu Ende, auf der Bühne wurde die Glocke des Inspektors gehört, in einer Loge wurde mit großem Lärm die Thüre zugeschlagen und laut gesprochen und gelacht, es war die Loge der Catalani, die sich mit mehreren jungen Riesen sehr gut zu unterhalten schien, was um so besser gehört wurde, da sich das Publikum während der ganzen Ouvertüre sehr ruhig verhalten hatte.

Der Vorhang wurde langsam aufgezogen. Aus dem Hintergrund der Bühne trat eine hohe, majestätische Gestalt hervor. Ihr Gesicht, ihr Wuchs, ihre Haltung waren wahrhaft königlich. Semiramis selber konnte nicht schöner, nicht erhabener sein, als sie vor ihre Richter, ihre Feinde hintrat, um ihr Reich zurück zu gewinnen oder zu verlieren. O, auch hier war von einem Reich die Rede, das zu erhalten oder zu verlieren war.

Tiefe Stille herrschte überall, nur in einer Loge wurde laut geschwätzt. Noch wurde kein Zischen gehört, das pflegte man erst dann zu beginnen, wenn die Betreffende zu den Lampen vortrat.

Josephine wußte sehr gut, daß es beginnen werde, sobald sie sich an diesem gefährlichen Ort befinde, aber in ihrem Gesicht zeigte sich keine Spur von Furcht. Sie trat kühn vor.

In dem Augenblick beugte sich die Herzogin von Berry, die neben der Herzogin von Nemours saß, aus der Loge hervor und rief mit starker, schallender Stimme: Au nom de la reine! (Im Namen der Königin).

Und das Publikum sah einen Immortellenkranz zu der Künstlerin hinfliegen.

Im nächsten Augenblick rief eine Männerstimme von der ersten Galerie: Au nom du peuple! (Im Namen des Volkes).

Und ein einfacher Lorbeerkranz flog zu den Füßen der Künstlerin nieder.

In diesem Augenblick erscholl, als ob das Publikum völlig umgewandelt wäre, ein so stürmischer, allgemeiner Applaus, daß sich die Catalani erschrocken zurückzog, als ob eine Explosion stattgefunden hätte.

Beim Publikum ist die Ungerechtigkeit von der Großmut nur durch eine dünne Scheidewand getrennt und wie leicht es sich zu der ersteren hinneigt, ebenso energisch zeigt es sich in der anderen.

Die Mainvielle war auf alles gefaßt, nur darauf nicht. Zwei Kränze wurden ihr geworfen, mit der Losung zwei so großer Namen, vor denen sich jeder beugt, und die ihr, wie mit einem Zauberschlag das Publikum gewannen, so daß sie, als sie sich duckte, um die beiden Kränze aufzuheben, die eine ganze Sündflut bezahlter Kränze aufwogen, die Semiramis vergaß und auf die Knie sank. Viele glauben, eine Schauspielerin könne auf der Bühne nicht wirklich weinen, o das waren wirkliche Thränen, Thränen unendlichen, grenzenlosen Dankes.

Das Publikum konnte gar nicht aufhören zu applaudieren und das kam Josephinen ganz gelegen, denn wenn sie in diesem Augenblicke hätte singen müssen, so wäre sie nicht imstande gewesen, einen Ton hervorzubringen.

Aber endlich hatte sie sich ausgeweint, ihre Kraft kehrte zurück, ein Diener kam auf die Bühne, um die beiden Kränze auf eine silberne Schüssel zu legen; Josephine sagte ihm leise, er möge eilen und ihren Mann von dem Vorgefallenen benachrichtigen – und hiermit war sie wieder Semiramis, die Königin, die Herzen und Länder erobert.

Nie hatte man sie so singen gehört! Ihre Stimme klang wie die Musik der Glasharmonika, sie wehklagte um die Wette mit der Flöte, so daß man kaum unterscheiden konnte, welches die Stimme und welches die Musik sei, bald ging sie wieder dritthalb Oktaven hinab und ihre Stimme drang in die Herzen wie der metallene Ton der Glocke, das war nicht Routine, sondern Kunst, nichts Verlockendes, Bezauberndes, sondern das Ideal, die Poesie.

Das Publikum zeigte sich doppelt bezaubert, als wollte es seine Reue ausdrücken, daß es seinen einstigen Liebling so leicht mit einem andern vertauschte.

Es giebt einen gewissen unwillkürlichen Laut, einen namenlosen Ausdruck des Entzückens, der gleich dem Gold durch keinen Befehl, keinen Wunsch geschaffen werden kann und deshalb so wertvoll ist, wie dieses Metall und mehr bedeutet, als ein ganzer Sturm von Applaus; dieser aus Seufzern, Ermunterung und Befriedigung zusammengesetzte Ton begleitete Josephinens ersten Gesang, in welchem kein Fleckchen, nicht die Spur einer Schwäche wahrzunehmen war.

Die Bevölkerung der Loge infernale war verstummt; wer das Gefühl eines Menschen kennte, der von einem explodierenden Schiffe in den Abgrund des Meeres geschleudert wird, der könnte sich von dem Zustand der jungen Merveilleux annähernd einen Begriff machen.

– Was ist das? Das ist Verrat, ein Komplott, eine Verschwörung! Wessen Werk ist das? Giebt es einen Verräter unter uns? O, dieser Applaus ist ein Skandal, er ist bezahlt. Gewiß haben die zwei erst neulich angekommenen ungarischen Magnaten das Ganze arrangiert. Nein, nein, sie sind zu geizig dazu. Das ist zum Verzweifeln!

Solche Apostrophen erfüllten die Loge infernale, bis Abellino, der seine Unruhe nicht mehr ertragen konnte, sich anheischig machte, zu Rudolf hinaufzueilen und von ihm herauszubringen, ob dieser Skandal nicht mit ihrem Separatismus in irgendeinem Zusammenhang stehe.

– Ah, sprach er, in die Loge stürzend, also auch diese stolze Mainvielle hat reiche Anbeter!

Rudolf zuckte die Achseln, als ob er zeigen wollte, daß er dieses Bruchstück von einem Syllogismus nicht verstehe.

– Du wirst doch zugeben, daß nur Anbeter so wütend applaudieren können.

– Ich gebe zu, daß sie Anbeter hat, ich begreife nur nicht, warum diese reich sein müssen.

– Ah, glaubst du vielleicht, man könne einen so kostbaren Spaß umsonst veranstalten? Es ist wahrhaftig famos! wer immer ihn veranstaltet hat, der kann triumphieren, das muß man sagen.

– Aber dieser Triumph gebührt niemandem von uns, denn wir haben ihn nicht veranlaßt.

– Aha! Ihr kennt also den Veranstalter? Nennt mir ihn nur, die übrigen brauchen es nicht zu erfahren.

– Dort steht er, in der Mitte der ersten Galerie, du kannst ihn gut wahrnehmen, denn er trägt ein eigentümlich beschnürtes Kleid, das hier nicht landesüblich ist. Abellino sah durch den Operngucker hin.

Bon Dieu! wer Teufel ist das? Rudolf antwortete mit kaltem Blut:

– Der Gesell des Herrn Tischlermeisters Goudcheux.

Va, t'en (geh weg), rief Abellino ärgerlich, sprang auf und verließ die Loge.

– Also ist es der Mühe wert, dem die Wahrheit zu sagen? sprach Rudolf, sein Glas nach der Löwenloge hinrichtend, deren Augenwaffen schrecklich nach allen Seiten hin spielten, um unter dem unerwarteten Feinde irgend ein bekanntes Gesicht zu entdecken; aber vergebens, sie konnten das Geheimnis nicht enthüllen.

Abellino war fortgeeilt, um Monsieur Oignon aufzusuchen. Auf der Treppe traf er mit ihm zusammen. Oignon wollte eben vorüberschleichen.

Der Dandy ergriff ihn aber am Kragen.

A kingdom for a horse! ein Pferd für einen Pfiff! großer Mann!

– Ach mein Herr, ich bin kein großer Mann, ich bin ein gebrochener, zu Grunde gerichteter Mann. Hören Sie diesen mörderischen Applaus? Ich fliehe.

– Fliehe, aber um Pfeifen, und deine Namensbrüder zu schaffen (Oignon – Zwiebel). Wenn sie es bis zum Äußersten treiben, so wollen wir es auch thun.

– Sie, sie! aber wer sind diese »sie«? Wenn ich nur einen von ihnen kennte, so wüßte ich gleich, wer hinter ihnen steckt. Aber es sind lauter unbekannte Gesichter und was weiß ich, auf wessen Befehl sie handeln!

– Gut, Oignon, Sie sind ein feiger Lümmel und das steht Ihnen an; aber Gentlemen werden Sie nicht wieder in Schande bringen. Jetzt packen Sie sich und schicken Sie anstatt Ihrer einen Kranz Zwiebeln.

– Ach, mein Herr, glauben Sie, daß jemand es wagen werde, ihn hinabzuwerfen?

– Fripon! ich selbst werde es thun.

– Um Gottes willen, thun Sie's nicht; lieber mache ich noch einen Versuch; im nächsten Entreakt gebe ich meinen Leuten den Auftrag zu zischen; was die Pfeifen betrifft, so könnten sie heute Gefahr bringen, ein starkes Zischen leistet vielleicht dieselben Dienste mit weniger Gefahr.

– Also sehen Sie zu, wie Sie das Fiasko zu stande bringen, damit wir nicht diese Rolle übernehmen müssen.

Abellino kehrte jetzt in die Löwenhöhle zurück und erzählte, wie energisch er gegen Oignon aufgetreten sei, welches heldenhafte Benehmen mit der Zufriedenheit des ganzen Klubs belohnt wurde; übrigens erklärten sich alle bereit, falls Oignon sein Wort nicht halten sollte, Karpáthis Versprechen einzulösen, und gegen die Canaille entschlossen aufzutreten.

Der erste Akt war indes glorreich beendet worden; das Publikum und die Sänger waren miteinander zufrieden, was eine große Seltenheit ist. Während des Entreaktes erhielt die Herzogin von Berry eine Nachricht, infolge deren beide Herzoginnen die Loge verließen.

Das war für die jungen Riesen ein gutes Zeichen. Viele von Oignons Bande fühlten sich durch die Anwesenheit der hohen Gäste zurückgehalten und nach deren Entfernen erwachte in ihnen die Lust zu Excessen mit neuer Kraft.

Im zweiten Akt hat die Mainvielle nicht sogleich zu thun, es traten erst mehrere kleinere Mitwirkende auf. An diesen wurden die Waffen gewetzt, welche der Mainvielle bestimmt waren. In der Laufbahn eines Künstlers übt auch oft das Unglück fremder Menschen einen Einfluß aus.

Jetzt kommt die Arie der Semiramide, eine zarte, traumartige Phantasie, die man mit dem Herzen zu hören glaubt.

Mitten in der melancholischen Arie, während des zartesten Pianissimos, begann jemand auf der dritten Galerie, wie Herr Oignon es vorher angeordnet hatte, lange zu gähnen, alle Selbstlaute des ABC durchlaufend.

Auf so viele Selbstlaute folgte aber ein Mitlaut, der jedoch in keinem ABC zu finden ist, denn es war nichts anderes, als der Schall einer großen Hand, die den Mund des Gähnenden mit aller Kraft schlug.

Das Publikum hörte das Gähnen und den Schlag, manche lachten, einige zischten, dann wurde es wieder ruhig und die Mainvielle fuhr, ohne verwirrt zu sein, fort zu singen.

Nachdem die erste Losung gegeben war, horchten die jungen Riesen aufmerksam, ob man nicht schon zu zischen anfange.

Nach der Maulschelle hörte man wohl einige zischen, aber man wußte nicht, ob es dem Gähnen, den Lachern oder der Bühne galt.

Mehr wurde nicht gehört.

Kaum war die Arie zu Ende, so wurde zu zischen begonnen; aber das Publikum applaudierte und rief die abgegangene Künstlerin in offener Scene.

Jetzt konnte sich die feindliche Partei nicht mehr zügeln, in der Loge infernale begann man zu zischen. Aber was war das gegen den stürmischen Applaus? Ein Windhauch, der das Feuer nur besser anfacht.

– Hinauf auf die Galerien! auf die Galerien! rief Abellino. Soll es einen Skandal geben, so möge er eklatant sein. Warum habe ich nicht vorher Zwiebelkränze bringen lassen!

Man will oft prahlerisch etwas Großes, wovon man weiß, daß es nicht bei der Hand ist; und wenn sich ein dienstfertiger Mensch findet, der den verlangten, aber nicht erwünschten Gegenstand plötzlich herbeischafft, was soll man dann thun?

So ging es jetzt Abellino, denn sobald der junge Excellenz-Landsmann gehört hatte, was fehle, eilte er fort und kam bald mit einigen Zwiebelkränzen zurück.

– Da sind sie!

Karpáthi war genötigt, seine Heldenrolle weiter zu spielen.

– Hinauf auf die Galerien! vorwärts Freund! rief er entschlossen.

Er war klug genug, den Excellenzjüngling vorausgehen zu lassen.

Und die jungen Titanen stürmten auf den donnernden Olymp, in der Meinung, ihr energisches Auftreten werde ihre Bundesgenossen in Feuer und Flammen setzen.

Aber wehe, die ganze Bundesarmee war kläglich demontiert.

Wie Rudolf richtig vermutete, handhabten die Tischlergesellen des Herrn Tischlermeisters Goudcheux jetzt die geheimste Polizei. Von ihrem Kameraden angeeifert, beschränkten sie sich nicht bloß darauf, dem Liebling des Publikums Beifallsäußerungen zu verschaffen, sondern sorgten auch dafür, daß die feindseligen Manifestationen der Gesellen Oignons rechtzeitig unterdrückt wurden.

Während der ersten Oper war es sehr leicht, diejenigen herauszufinden, die auf den Wink der Loge infernale applaudierten und ebenso leicht war es zu erraten, daß dieselben während der zweiten Oper zischen würden. Während des Zwischenaktes, wo sich das Publikum vermindert, schlichen sich die Tischlergesellen zu den Zischern. Und wie zum erstenmale zu zischen begonnen wurde, erhielt jeder Zischer wie auf Kommando einen Rippenstoß. Ein so Berührter muckste dann nicht weiter. Un soufflet pour un sifflet (eine Ohrfeige für einen Pfiff), war die geheime Losung der Tischler, die ihre Gegner vollständig zum Schweigen brachten. Das Schicksal des Gähners ist uns schon bekannt und findet in dieser Losung seine Erklärung. Die ganze Claque war entwaffnet und Monsieur Oignon stellte sich nichts anderes vor, als daß seine Leute durch eine geheime Versenkung verschlungen wurden.

Aber jetzt kamen die Triarier! Voran die junge Excellenz mit den gefährlichen Kränzen auf der Schulter; er übersprang zwei, drei Stufen auf einmal. Fennimore rief ihm in einem fort nach, dieses Springen werde seine Lungen affizieren.

– Da sind wir! rief er triumphierend auf der obersten Stufe angelangt, aber in diesem Augenblick schlugen ihm unbemerkte Hände den Bolivarhut so tief ein, daß die Krämpe seine Schulter berührte.

Sogleich wurde ihm die Munition abgenommen. Auf den Lärm eilten die Gerber- und Tischlergesellen und andere handschuhlose Truppen herbei, die gelben Handschuhe hielten den Sturm nicht aus und retirierten mit dem Verlust von Hüten und Frackschößen; die ganze Schar der Riesen wurde aus dem Paradies hinabgejupitert, wobei die erbeuteten Zwiebeln als Donnerkeile dienten.

Im Theater wußte man von dem allen nichts; zwölfmal hintereinander wurde Josephine gerufen, die vor Rührung weinte, die Damen winkten mit den Tüchern, die Herren schlugen mit den Stöcken auf den Boden, das Publikum wollte sich kaum von ihr mehr trennen.

Nur die Loge infernale war leer.

Die Bewohner derselben kämpften indes draußen mit der unbekannten Canaille, die ihnen ihre weißen Gilets beschmutzte, ihre Kastorhüte zerdrückte, ihre lackierten Schuhe zertrat und ihre Kleider zerriß in dem großen Krieg der Catalani gegen Mainvielle.

Und das nannte man im Jahre 1822 eine »prächtige Unterhaltung«.

*

Der Theaterdirektor Deboureux eilte noch an demselben Abend zur Mainvielle und machte ihr den Antrag, ihr vierzehntausend Francs zu zahlen, wenn sie nicht mehr aufträte.

Wer die Interessen der Intriguen mit Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird begreifen, wie ein Direktor vierzehntausend Francs bieten könne, um seine beste Sängerin los zu werden.


 << zurück weiter >>