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Boltay und Therese widersprachen dem Entschluß Fannys mit keinem Wort; sie sprachen in den folgenden Tagen gar nicht von der Hochzeit, sondern sahen nur nach der Aussteuer, die sie zwar in dem Hause des Magnaten nicht brauchen wird, die sie aber zum Andenken zurücklegen und zuweilen vornehmen kann, wenn sie sich mitten im Geräusch der großen Welt an die bescheidenen Freuden des bürgerlichen Stilllebens erinnern wird.
Fannys Heirat wurde indes noch geheim gehalten; außer den dabei Interessierten wußte niemand etwas davon und in der Natur dieser lag es nicht, sich zu rühmen oder zu beklagen.
Während dieser Zeit trug sich ein seltsamer Vorfall zu.
Eines Tages, als sich Boltay eben in seinem Hause befand, in welchem er die Werkstätte hatte, stürzte eine mit Lumpen bekleidete Frauensperson herein, in welcher der Meister kaum eine Bekannte zu erkennen vermochte. Aber die traurige Gestalt beeilte sich, sich selbst zu nennen und dann ließ sie den Meister nicht zu Wort kommen, bis sie ausgeredet hatte.
– Ich bin die unglückliche Mayer, Fannys Mutter, seufzte das Weib und warf sich Herrn Boltay schluchzend zu Füßen und küßte ihm Hände und Füße, während ihr die Thränen aus den Augen strömten. Boltay, der an solche Tragödien nicht gewöhnt war, stand wie gebannt da und sagte ihr weder, sie solle aufstehen noch fragte er sie, was ihr fehle.
– O mein Herr, Sie lieber, wackerer, ehrlicher, großmütiger Herr Boltay, erlauben Sie, daß ich den Staub Ihrer Füße küsse und ich werde noch in der andern Welt für Sie beten. Der Behüter der Gerechten, der Unschuldigen möge Sie lange leben lassen und mit allen irdischen und himmlischen Freuden belohnen. Hat man schon einen Fall, wie der meinige, gesehen, gehört? Nein! Mein Herz bricht mir, wenn ich es sage und dennoch will ich es sagen. Die Welt, wenigstens Sie sollen es wissen, was für eine unglückliche Mutter ich bin. O, o, Herr Boltay, Sie können sich gar nicht vorstellen, welch eine schreckliche Pein es für eine Mutter ist, die schlechte Töchter hat; die meinigen sind schlecht, sehr schlecht, aber es geschieht mir recht, ich bin selbst schuld daran; warum habe ich ihnen immer ihren Willen gelassen, ich hätte sie züchtigen und zur Arbeit anhalten sollen, dann hätten sie mich geachtet und nicht Schande über mein graues Haupt gebracht. O, daß ich solche Tage erleben mußte! Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mein armer Mann hat sich vor dieser Schande und aus dieser Welt noch zeitig genug geflüchtet; er hat es nicht ertragen können und ist ins Wasser gesprungen. O hätte ich es doch auch gethan! Aber sehen Sie, Herr, das Herz einer Mutter ist immer zu gefühlvoll, selbst wenn die Kinder schlecht sind, liebt sie dieselben noch, sie glaubt immer, sie werden sich noch bessern. O wäre ich taub und blind geworden. Vier lange Jahre habe ich die Schande ertragen und es ist ein Gottes Wunder, daß ich noch ein Haar auf dem Kopfe habe, daß mir nicht alle vor Gram ausgefallen sind. Aber was zu viel ist, ist endlich doch zu viel. Wenn ich Ihnen all' das Schreckliche erzählen wollte, was in meinem Hause täglich vorgegangen ist, so würden Ihnen die Haare zu Berge stehen. Gestern endlich ist mir die Geduld gerissen und mein Herz hat sich Luft gemacht. »Also wird das immer so fortgehen, werdet ihr niemals fragen, was sich schickt oder nicht schickt, darf ich niemals ausgehen ohne mir die Augen aus dem Kopf zu schämen?« Herr, auf diese Worte sind sie wie Furien über mich hergefallen. »Was predigst du uns da vor? sagten sie, was geht es dich an, was wir thun? Halten wir dich nicht aus, geben wir dir nicht zu leben, hast du nicht deine Kleider von uns? Im ganzen Hause ist kein Strohhalm, den du erworben hast, alles haben wir angeschafft.« Ein Schauder überlief mich, Herr. Also so geht ihr mit eurer Mutter um, ist das der Lohn meiner sauren Mühen?
Hier wurde die Stimme der Sprechenden von Schluchzen erstickt und erst nach einer Weile fuhr sie fort:
– Habe ich das für so viele schlaflose Nächte verdient, die ich an eueren Krankenbetten zugebracht, dafür, daß ich den Bissen vom Mund für euch abgespart, daß ich mich geplagt habe, daß ich in Schmutz und Fetzen herumgegangen bin, damit ihr euch putzen könnt, daß ich keinen Dienstboten gehalten und selber alles verrichtet habe, bloß damit ihr Fräulein sein könnet? Muß ich das dafür hören, ihr nichtswürdigen Bestien! Herr, da stellt sich die älteste vor mich hin und sagt mir höhnisch, wenn es mir nicht gefalle mit ihnen zu wohnen und mich von ihnen aushalten zu lassen, so sei Preßburg groß genug, ich solle meine Kapitalien vornehmen, mir eine besondere Wohnung mieten, Möbel kaufen, meine Garderobe mitnehmen und ohne sie so ehrenhaft leben, wie es mir beliebe.
Na wartet ihr schlechten Mädchen, darum sollt ihr nicht glauben, daß ihr mich beschimpft habt, sagte ich und warf meine Kleider von mir; ich suchte diejenigen hervor, die ich bei Lebzeiten meines armen Mannes trug, wenn ich in der Küche beschäftigt war. Die habe ich angezogen und bin so fortgelaufen. Ich wußte selbst nicht was ich that. Mein erster Gedanke war, zur Donau zu gehen. Aber als ich schon dort war, gab mir's ein Engel ein: du hast doch noch eine Tochter, die von guten Leuten in Ehren und zur Tugend erzogen wurde; geh dort hin. Diese guten Menschen werden dich nicht verstoßen, sie werden dir in einem Winkel des Hauses ein Plätzchen anweisen, wo du zurückgezogen leben kannst, bis es Gott gefällt und er dich abruft. So bin ich hergekommen. Ich habe nichts auf der weiten Erde, den ganzen Tag habe ich noch keinen Bissen gegessen und wenn Sie mich fortweisen, wenn meine Tochter mich nicht sehen will, so muß ich auf der Gasse Hungers sterben; denn lieber gehe ich zu Grunde, ehe ich von meinen schändlichen und undankbaren Kindern noch einen Bissen annehme; betteln kann ich auch nicht, ich weiß nur, daß ich heute oder morgen meinem Manne folge, den diese schlechten Kinder auch in den Tod gejagt haben.
Meister Boltay begriff von dem allen nur so viel, daß die arme Frau heute noch nichts gegessen habe, weshalb er Kuchen aus dem Schrank nahm, ein Glas Wein hinzustellte und ihr sagte, sie möge sich vor allem vom Hungertod erretten.
– O Herr, ich bin ja gar nicht hungrig, ich esse überhaupt nicht mehr als ein Vogel; lieber als alles auf der Welt wäre mir, wenn ich ein gutes Wort von meiner Fanny hören könnte. Das ist nicht möglich, nicht wahr, sie wird sich schämen, ihre Mutter nur anzuschauen? Sie würde mich vielleicht gar nicht mehr erkennen, so elend, so zerlumpt, so gealtert wie ich bin. Wenigstens sehen möchte ich sie; ich verlange ja gar nicht mit ihr zu sprechen, nur durchs Fenster, nur irgendwo verborgen möchte ich sie hören, wenn sie mit anderen spricht. Ich habe keinen andern Wunsch.
Meister Boltay war ganz gerührt und dachte an eine ähnliche Scene, die er einmal in einem Trauerspiel gesehen hatte.
– Na, na, liebe Frau, seien Sie nicht so verzweifelt, sagte er, die weinende Mutter tröstend, was Sie wünschen, das wird ganz gewiß geschehen. Sie werden Ihre Tochter sehen und mit ihr sprechen. Sie werden mit ihr zusammen wohnen und dann wird alles gut sein.
– O Herr, Sie sprechen wie ein Engel, der vom Himmel herunter gekommen ist. Aber meine Tochter, o meine Tochter wird mich nicht lieben können.
– Darüber können Sie ruhig sein, Frau. Niemand hat je von Ihnen vor Ihrer Tochter Böses gesprochen und Fanny ist viel zu gutherzig, als daß sie ihre eigene Mutter im Elend nicht anerkennen sollte. Ich werde Sie zu ihr bringen, denn ich habe sie aufs Land geschickt. Dort wohnt sie mit der Schwester ihres Vaters. Die ist zwar ein bißchen streng, aber ich werde sie schon mit Ihnen aussöhnen.
– O Herr, ich erwarte nicht, daß Therese mich zu ihr erhebe; ich will ihr als Magd dienen, nur damit ich in der Nähe meiner Tochter, meiner einzigen Tochter sein könne.
– Reden Sie nicht so verkehrt, platzte Boltay heraus; ich habe Dienstboten genug, ich werde doch nicht die Mutter meiner Mündel zur Arbeit dingen. In einer Stunde kommen Sie mit mir aufs Land, das übrige überlassen Sie mir.
Die Frau Mayer wollte noch einmal Boltays Knie umfassen, aber der gute Mann lief vor der sentimentalen Scene davon, nachdem er der Frau versprochen hatte, binnen einer Stunde zurück zu sein; sie möge sich bis dahin mit den auf dem Fensterbrett stehenden Büchern unterhalten.
Diese Stunde benutzte Boltay dazu, daß er in einen Kleiderladen ging und für die Frau Mayer fertige Kleider einkaufte, denn er wollte sie nicht in ihrem elenden Anzuge zu Fanny bringen und diese dadurch betrüben; trotz allem Sträuben mußte die Frau den neuen Anzug nehmen und anlegen.
Daß Boltay bei seinem Einkauf keinen sonderlichen Geschmack entwickelte, das läßt sich leicht annehmen; er sah nur darauf, ob das Kleid weit und dauerhaft und nicht, ob es modern sei. Als die Frau Mayer sich angezogen hatte und sich im Spiegel besah, konnte sie sich, da sie allein war, nicht enthalten zu lachen. Wie würden die Mädchen zu Hause und die galanten jungen Herren lachen, wenn sie mich in diesem Aufzug sähen!
Was?
Ja, ja, die Mädchen und die galanten jungen Herren zu Hause.
Denn, damit jemand die Trauerspielscene, die sie eben gespielt hat, für bare Münze nehme, muß er mit einem so starken Glauben gesegnet sein, wie Meister Boltay. Nein, von dem ganzen Monolog ist kein Wort wahr, Frau Mayer hat mit ihren Töchtern nicht gezankt, diese haben sie nicht fortgejagt, sie hatte es gar nicht nötig in die Donau zu springen und die Sache verhielt sich folgendermaßen: Abellino (wieder er!) warf sich mit einer durch wiederholtes Mißlingen gesteigerten Wut auf die Verfolgung seines Plans. Eben jetzt hatte er von Mr. Griffard die letzten hunderttausend Gulden von der zweiten Million begehrt. In der Nähe Abellinos befand sich fortwährend ein Spion, der im Dienst des Bankiers stand und sich beeilte, seinen Herrn von den Vorfällen zu Karpáthfala in Kenntnis zu setzen. Sobald Griffard vernahm, der alte Onkel sei dem Tode nahe, schickte er Abellino anstatt hunderttausend zweimalhunderttausend Gulden, natürlich nicht aus Großmut, sondern weil er für die Summe das Doppelte zurückerhalten mußte. Nach einigen Tagen erfuhr er freilich durch einen andern Brief, Abellinos Onkel habe sich wieder erholt, aber da war das Geld schon auf dem Wege.
Abellino hatte nun hunderttausend Gulden mehr in der Hand, als er erwartet hatte und so verdoppelte sich sein Übermut. Jetzt war ihm der Erfolg gewiß.
Von ihm selbst war der Plan, demzufolge Frau Mayer sich in den Familienkreis Boltays zu ihrer letzten Tochter einschleichen sollte und – das übrige wußte sie schon.
Für das Gelingen des Planes wurden sechzigtausend Gulden bedungen.
Ist das möglich?
Saget nicht, daß ich Ungeheuer schildere; ich zeichne nur das Leben.
Frau Mayer dachte, daß sechzigtausend Gulden ein schönes Geld sind, davon legt sie für sich dreißigtausend Gulden und für Fanny die andere Hälfte in der Sparkasse an und beide sind dann gegen Mangel gesichert. Und was soll dafür gegeben werden? Eigentlich nur eine Chimäre, etwas, was keinen Wert hat, so lange man es behält und nur dann Wert bekommt, wenn man es weggiebt – die weibliche Tugend. Das ist mit sechzigtausend Gulden gut bezahlt. Sie wird noch sozusagen eine Wohlthäterin ihrer Tochter.
Also demnach ist derjenige der Verbrecher, der kauft.
Denn gäbe es keine Sklavenhalter, so gäbe es auch keine Sklavenhändler.
Nach einer Stunde fuhr der Wagen vor. Meister Boltay bat die tiefbetrübte Frau Mayer, sie möge sich aufsetzen und vor dem Kutscher nicht zeigen, daß sie weine; welch' letzteres der guten Frau großen Zwang kostete.
Meister Boltay setzte sich nicht neben sie, sondern hinaus zum Kutscher. Er entschuldigte sich damit, dies sei seine Gewohnheit; aber die eigentliche Ursache war, daß er sich, wie sehr er auch die gebesserte Frau schätzte, dennoch schämte, angesichts der Stadt neben ihr zu sitzen.
Er nahm auch dem Kutscher Zügel und Peitsche aus der Hand und fuhr so schnell, als eilte er, um einer großen Gefahr zu entgehen.
Als sie zum Dorf kamen, stieg Boltay ab und sagte der Mayer mit niedergeschlagenen Augen und beinahe stotternd, er habe hier mit dem Kaufmann etwas zu reden, sie möge nur bis zu seinem Hause fahren, er werde nichtsdestoweniger auf dem Wege hinter den Häusern schneller nach Hause kommen als sie.
Kaum vermochte der biedere Mann diese Lüge aus seinem Mund zu bringen; vielleicht log er jetzt zum erstenmal in seinem Leben und dazu zwang ihn die äußerste Notwendigkeit. Er wollte nichts anderes, als auf dem Fußweg hinter den Häusern schneller nach Hause kommen, Therese und Fanny von der Ankunft der Mayer in Kenntnis setzen und sie bitten, sie möchten mit ihr so freundlich als möglich umgehen und kein Entsetzen zeigen, wenn sie sie erblickten. Zugleich sagte er ihnen die Ursache, welche Frau Mayer zur Flucht nötigte und das alles vollbrachte er mit solcher Schnelligkeit, daß er, sobald der Wagen gehört wurde, schon im Thor stand, um den Gast zu empfangen.
Therese und Fanny standen im Flur; letztere, die erst aus dem Garten gekommen war, legte den breiten Strohhut ab, weil er sie bei der Umarmung der Mutter hindern könnte. Auch Therese legte vorsichtigerweise das Perpetuum mobile weg, welches die Frauen Strickerei nennen, um nicht etwa ihrer Schwägerin mit den Stricknadeln die Augen auszustechen.
Als Frau Mayer ihre Tochter erblickte, wollte sie nicht vom Wagen absteigen, sondern hinausstürzen, was jedoch Herr Boltay und der Kutscher hinderten, indem sie sie sanft herunterhoben; aber sie konnten nicht hindern, daß die brave Frau die rührende Scene spielte, die sie sich für diesen Augenblick einstudiert hatte. Sie fiel nieder und näherte sich, auf den Knien rutschend, den beiden Frauen, die so überrascht waren, daß es ihnen nicht einfiel, sie aufzuheben. Endlich hob sie Boltay auf, aber vor Fanny fiel sie wieder auf die Knie und bemühte sich, dieser die Füße zu küssen. Erschrocken hob das Mädchen sie auf und nun fiel ihr die Frau um den Hals, küßte sie, weinte und schluchzte dabei und Fanny ließ sich das alles gefallen, ohne die Umarmung, das Schluchzen und Küssen zu erwidern.
Endlich gelang es der ganzen Familie, die Frau in die Stube, dort zum Sitzen zu bringen und ihr begreiflich zu machen, daß sie da wohnen werde; sie wollte aber das durchaus nicht zugeben. Erst wollte sie sich mit einer Schlafstelle auf dem Dachboden, dann in der Küche bei den Dienstboten begnügen, endlich erbarmte sie sich der Bittenden so weit, daß sie ein kleines Zimmerchen annehmen wollte, wo sie sich kaum rühren könne. Zu ihrem Unglück hatte Meister Boltay in seinem Hause lauter große Stuben. Er war sehr gastfreundlich, wenn er schon jemanden in sein Haus aufnahm, so sollte der Gast es auch bequem haben und sich bei ihm gut unterhalten; er besaß zwar nicht die Gabe, die Leute zu amüsieren, aber er hatte die gute Eigenschaft, den Leuten, deren Leidenschaft es war zu sprechen, selbst bis Mitternacht zuzuhören.
So fand denn Frau Mayer an Boltay ihren Mann. Er bat nur um Erlaubnis, sich die Pfeife anzünden zu dürfen, dann überließ er sich willig dem Redestrom, mit welchem Frau Mayer ihm ihre lange Lebensgeschichte erzählte, in der sie Dichtung und Wahrheit so sehr vermengte, daß sie sich oft verwirrte, sich widersprach und mehrmals wieder von vorn beginnen mußte, um sich zurecht zu finden; worin Herr Boltay sie mit seiner stillen, beschaulichen Weise durchaus nicht störte. Fanny und Therese beeilten sich, das der Mayer eingeräumte Zimmer in Ordnung zu bringen. Bei dieser Gelegenheit sagte Fanny: Tante, ich muß mich selbst anklagen; ich sollte mich doch freuen, daß meine Mutter angekommen ist, ich sollte weinen darüber, daß ich sie so elend sehe und doch kann ich weder mich freuen, noch weinen. Ich muß ein sehr schlechtes Herz haben. Es thut mir weh, daß ich so gefühllos bin.
Therese hätte darauf antworten und ihr diese Gefühllosigkeit erklären können; aber sie hielt es noch für gut zu schweigen und auf der Hut zu sein. Sie ahnte, Frau Mayer habe nur eine Larve vorgenommen, aber sie wollte ihr Zeit lassen, bis sie sich selbst verraten werde, sie wollte sich unbefangen stellen, thun, als ob sie ihr jedes Wort glaubte, dabei ihr aber wie ihr Schatten Schritt für Schritt folgen.
Als sie mit dem Ordnen des Zimmers fertig waren, faßte Therese Fanny vertrauensvoll an der Hand, blickte ihr freundlich ins Auge und sagte: Fanny, sei gegen deine Mutter zuvorkommend, sanft und freundlich. Weiche ihr nicht aus, bemühe dich vielmehr, ihre Wünsche zu erfüllen. Es scheint, daß sie dich sehr liebt, das läßt sich nicht leugnen. Erwidere ihre Liebe; nur bitte ich dich, ihr von deiner Heirat nichts zu sagen. Halte ihr das noch eine Weile geheim, mir zu Liebe.
Fanny versprach das Geheimnis zu bewahren, obwohl sie eigentlich glaubte, ihre Mutter müsse es schon wissen, denn sie legte sich das Erscheinen derselben so aus: Meine Mutter ist ohne Zweifel der Lebensweise meiner Schwestern schon längst überdrüssig und sie hat nur auf eine Gelegenheit gewartet, von ihnen fortzukommen. Jetzt hat sie auf irgendeine Weise erfahren, daß ich einen reichen Mann bekomme; deshalb schließt sie sich mir an, in der Erwartung, daß ich sie zu mir nehme. Egoismus. – Diese Auslegung war eben nicht geeignet, Fannys kindliche Liebe wieder zu erwecken.
Wenn sie erst vermutet hätte, was Therese vermutete.
Indes mußte sie ihrer Mutter freundlich begegnen, damit diese nicht glaube, Therese habe sie ihr entfremdet. Dies ist auch in der That nie der Fall gewesen; denn der Name der Frau Mayer wurde von Theresen seit Jahren nicht erwähnt.
Am festgesetzten Tage schickte der alte Karpáthi seinen Heiducken Pál zu Boltay um die Antwort und mit großer Freude vernahm er die Nachricht, er möge sich den Ring selbst abholen.
Er flog! Nein, das wäre zu viel gewesen, aber er ging zu Fuß hin und eilte, so gut es seine, von der Freude elektrisierten alten Beine zuließen. Wer ihm auf der Gasse begegnete, fragte sich im stillen, was denn dem Alten begegnet sein müsse, denn sein Gesicht strahlte vor Freude. Wäre er ein armer Teufel gewesen, so hätte man sich denken können, er habe in der Lotterie gewonnen; aber was kann dieser Nabob gewonnen haben, worüber kann er sich freuen, er, der mit seinen Reichtümern die ganze Stadt Preßburg kaufen könnte.
Als er zum Meister Boltay kam, mußte sich dieser einmal über das andere von ihm umarmen lassen. Sogleich wollte er zu seiner Braut eilen. Der Gedanke, daß das wunderschöne Mädchen bereit sei, ihm ihre Hand zu geben, machte ihn ganz verliebt in sie. Meister Boltay war genötigt, ihn aufmerksam zu machen, daß vor der Trauung noch einige Vorbereitungen und vom Gesetz gebotene Maßregeln notwendig seien. Daß der Magnat, der selbst Gesetzgeber war, das alles vergessen konnte, bewies, wie sehr er von seiner bevorstehenden Heirat hingerissen war; daß aber Boltay Überlegung genug hatte, das nicht zu vergessen, beweist uns, wie kalt ihn die Sache ließ.
Karpáthi bat nun seinen künftigen Brautführer, der, beiläufig gesagt, wohl um zwanzig Jahre jünger war, als er, das Ganze möge bis zur Trauung geheim gehalten werden; er habe seine Ursachen dazu.
Boltay versprach das und erst nachdem der Magnat fort war, sann er darüber nach, daß auch Therese und Fanny ihn zu gleicher Geheimhaltung aufgefordert haben; er sprach darüber mit Theresen.
Dieser Umstand bekräftigte letztere in ihrem Verdacht. Wenn es im Interesse beider Parteien steht, daß die Heirat bis zum Tag der Trauung ein Geheimnis bleibe, so kann die Frau Mayer davon nichts wissen, folglich hatte sie eine andere Ursache hierher zu kommen und eine Ursache hat sie, das ist gewiß.
Jemehr die Hochzeit herannahte, destoweniger herrschte zwischen Theresen und Fanny die früher rückhaltlose Vertraulichkeit, sie entfernten sich immer mehr voneinander. Therese konnte nicht vergessen, daß Fanny die Braut eines Millionärs sei, ohne daß sie sich über ihr Glück freuen konnte; Fanny hingegen schämte sich, sich der Tante oder dem Vormund vertrauensvoll zu nähern. Was würden diese von ihr denken? Die Liebkosungen eines Mädchens, das bereit ist, vor dem Altar einem Manne Liebe zu schwören, den sie offenbar nicht liebt, würden sie gewiß für Heuchelei halten.
Deshalb herrschte jetzt in Boltays Hause eine solche Verstimmung und Zurückhaltung, daß oft während der ganzen Mittagsmahlzeit kein Wort gesprochen wurde.
Frau Mayer würdigte diese Verstimmung ihrer besondern Aufmerksamkeit. Das Mädchen ist nicht glücklich, dachte sie, man hält sie da zu streng, Therese ist kalt und mißtrauisch gegen sie; das Mädchen langweilt sich und fühlt sich unglücklich, den ganzen Tag sieht sie keinen jungen Mann vor sich und das Verlangen ihres Herzens wird um so ungestümer. Hm, es wird sich machen lassen.
Dabei benahm sich Frau Mayer fortwährend so demütig, daß man ihr auf Schritt und Tritt nachgehen mußte, um zu sehen, was sie mache; immer gesellte sie sich zu den Dienstboten, um an deren Verrichtungen teilzunehmen und immer mußte man sie auffordern, es nicht zu thun; bei Tische mußte man sie immer nötigen, zu essen und bei der vierten Speise stand sie immer auf, als gebühre ihr kein Teil davon.
Mit diesen Kniffen erreichte sie den Zweck, daß sich Fanny oft an sie machte, um sie zu ermuntern, daß jene sie mit in ihr Zimmer nahm, mit ihr plauderte und ihr etwas auf dem Klavier vorspielte.
Fanny begann zu glauben, die arme Frau bewerbe sich um ihre Gunst. Das ist wohl Egoismus, aber ein bemitleidenswerter.
Wenn das Mädchen nur aufblickte, so fragte sie schon, was sie befehle; wenn jene etwas brauchte, so lief die Frau fort, um es zu holen; zuweilen küßte sie verstohlen den Saum ihres Kleides und manchmal nahm sie Fannys Gebetbuch zur Hand und wenn sie es zurückgab, war das Blatt, auf welchem das Gebet der Eltern, für ihre Kinder steht, eingebogen und feucht – gewiß von Thränen.
Zuweilen seufzte sie so laut, daß Fanny es hören mußte und wenn diese fragte, warum sie seufze, so antwortete sie, sie habe Grund genug zu seufzen.
Eines Tages fuhr Therese nach Preßburg, um nach dem Brautkleid nachzusehen und da es nicht fertig war, so blieb sie über Nacht in der Stadt und schickte anstatt ihrer Boltay hinaus.
Fanny hatte bisher noch nie allein geschlafen; ihre Tante schlief immer in dem Zimmer daneben, dessen Thür offen blieb und in Gewitternächten, wenn der Regen an die Fenster schlägt, wenn der Wind pfeift und die Hunde bellen, that es dem Mädchen so wohl, zu wissen, daß in ihrer Nähe eine Seele ruhe, die nach Gott das wachsamste Auge auf sie habe.
Und diese Nacht war so stürmisch, der Regen strömte mit solcher Heftigkeit, der Wind rüttelte so stark an den Thüren und die Hunde heulten so sehr, daß Fanny sich fürchtete und ihre Mutter bat, bei ihr im Zimmer zu schlafen.
Ein scharfsichtigerer Beobachter als sie hätte jetzt in dem Gesicht der Frau Mayer einen bösen Zug bemerkt, der andeutete, wie sie sich freue, daß sie jetzt Gelegenheit habe, ihren bösen Plan auszuführen. Doch im nächsten Augenblick war ihr Gesicht wieder freundlich, sie freute sich so sehr, daß sie mit ihrem Kinde dieselbe Luft atmen könne.
Frauen pflegen vor Frauen nicht sehr vorsichtig zu sein, wenn sie ihre Nachttoilette machen. Mit kindlicher Unbefangenheit legte Fanny in Gegenwart ihrer Mutter die Kleider ab, nicht berücksichtigend, daß die letzte dünne Hülle, die sie auf sich behielt, die marmornen Formen ihrer Schönheit verriet. Wer sieht das? – eine Frau, die noch dazu ihre Mutter ist. Weshalb sollte sie sich verbergen und vorsichtig sein? eigentlich dachte sie an nichts dergleichen; in Träumereien versunken setzte sie sich auf den Rand ihres Bettes und löste, nachdem sie den Kamm herausgezogen, die zwei langen dichten Zöpfe auf; das aufgelöste schwarze, glänzende Haar hing lang herab und umhüllte ihre schöne weiße Gestalt bis zum Knie.
Frau Mayer sah ihre Tochter lange, lange an, sie wandte kein Auge von ihr. Sie lag schon im Bett und setzte sich da noch auf, um zu sehen, wie ihre Tochter sich das Haar für die Nacht in kleinere Zöpfe flocht und dabei nicht ein einziges Mal in den Spiegel sah, um sich über ihre Schönheit zu freuen.
Frau Mayer schien sich an dem Anblick ihrer Tochter zu weiden; bei jeder Bewegung derselben erschienen ihre Formen in neuer Schönheit. Ah, selbst nach der Schätzung des kunstverständigsten Auges ist dieses Mädchen um sechzigtausend Gulden nicht zu teuer vertauft. – – – – – – – –
– Ah, wie schön bist du, Fanny! flüsterte das Weib endlich.
Fanny fuhr zusammen; erschrocken blickte sie umher, als ob sie suchte, von wo das Wort gekommen fei. Ihre Blicke begegneten denjenigen der Frau Mayer, dann sprang sie schnell in ihr Bett, ließ das Haar halb eingeflochten, zog die Decke über sich, blies die Kerze aus und schloß die Augen.
Erst später wagte sie es nur langsam, dieselben wieder zu öffnen, als ob sie fürchtete, dem stechenden Blick des Weibes selbst in der Finsternis zu begegnen und wieder die kupplerischen Worte zu hören: »Ach, wie schön bist du, Fanny.«
Fanny erwartete zitternd, ob das Weib nicht noch etwas sagen werde.
In der Nacht, wenn die Kerze ausgelöscht wird, plaudern alte Weiber am meisten, wenn sie jemanden vor sich haben, der nicht so schnell einschläft, der ihnen geduldig zuhört, sie durch nichts stört und hier und da durch einen Ausruf der Bestätigung oder der Verwunderung ihre Suada nur noch befördert. In solcher Zeit haben sie die beste Gelegenheit, Geschichten, die schon vor zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren passiert sind, zu erzählen, von ihrer Geburt und Taufe zu beginnen und bis zu ihrer Verheiratung und ihren späteren Erlebnissen so lange fortzufahren, bis sie merken, daß der Zuhörer eingeschlafen ist.
Frau Mayer hatte ebenfalls ihrer Tochter viel zu sagen und wie hätte sie dazu eine bessere Gelegenheit gehabt, als jetzt; niemand, nichts konnte sie stören, die Zuhörerin kann ihr unter keinem Vorwand entgehen, sie kann das Thema hundertmal berühren und in der Finsternis kann niemand bemerken, ob sie errötet.
– O, o, mein Herz, mein gutes Kind, meine liebe, schöne Tochter, begann Frau Mayer, ich hätte doch nie gedacht, daß ich noch mit dir in einem Zimmer schlafen würde. Oft habe ich zu mir selbst gesagt, hätte ich doch keine Tochter mehr als dich, hätte mir Gott die andern genommen, damit du mir allein geblieben wärest, dann wäre es mit mir nicht so weit gekommen. Welch ein trauriges Schicksal ist es, vier Töchter zu haben, von denen eine thörichter ist als die andere, denn wären sie nicht so thöricht, so hätten sie sich anders benommen. Jede hatte ein honettes Verhältnis, bei dem sie hätte auskommen können; aber nein, sie wollten das nicht, jede wollte der ganzen Welt angehören. Na, sie werden schon sehen, was sie davon haben werden.
Das war der Angriff. Sie begann die niedrigste Art eines schlechten Lebenswandels zu erwähnen, damit ein weniger niedriger in einem bessern Licht erscheine, über diejenigen zu schimpfen, welche die Töchter der Welt geworden sind, weil sie nicht vernünftig genug warm, sich ein honettes Verhältnis zu sichern.
In der Sprache solcher Leute heißt ein honettes Verhältnis dasjenige, wo ein Frauenzimmer einen erklärten Liebhaber hat, der für ihre Bedürfnisse sorgt.
Fanny antwortete nicht, Frau Mayer gähnte ein wenig, dann fuhr sie fort: Du bist doch in diesem Hause da recht glücklich. Ich sehe, daß man dich liebt, die Leute sind zwar etwas zu streng, aber gut und ehrlich. Was für ein Glück ist es für dich, daß du hierher gekommen bist; du hast alles, was du dir nur wünschen kannst. Du kannst hier ruhig fortleben, solange der alte Boltay lebt; möge ihn Gott lange erhalten, aber ich fürchte, daß er einmal plötzlich sterben wird, denn er hat dickes Blut, auch sein Vater und seine beiden Brüder sind in seinem Alter am Schlag gestorben. Freilich ist er ein so guter Mensch, daß er selbst für den Fall seines Todes für dich sorgen möchte; aber erstens hat er nicht so viel, wie du meinst, zweitens weiß man in der ganzen Stadt, daß Sándor das wenige erben wird, was Boltay besitzt.
Das war der zweite Angriff. Das Mädchen sollte zu dem Gedanken angeregt werden, was aus ihr werde, wenn Boltay stirbt. Bis dahin könne vielleicht ihre kostbare Jugend verloren gehen; dann würde sie es bereuen müssen, daß sie ihren jungfräulichen Schatz nicht zur Zeit verkauft habe.
Das Schauderhafte daran war, daß Fanny alles verstand und wohl wußte, warum ihre Mutter so spreche, wohin sie ziele, weshalb sie auf den Strauch klopfe. Selbst in der Finsternis glaubte sie das schlaue Gesicht und die listige Seele des Weibes zu sehen; sie schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu, damit sie nichts sehe und nichts höre.
Und dennoch sah und hörte sie.
Ja, ja! seufzte Frau Mayer, als ob sie sich zur Fortsetzung stimme.
– Schläfst du schon, Fanny?
– Nein, stammelte das Mädchen. Sie war nicht listig genug, um auf diese Frage zu schweigen.
– Bist du böse, wenn ich spreche? sage es, wenn du es nicht gern hast.
Fanny that sich Zwang an und sagte kaum vernehmbar: Ich höre schon zu.
– Ich hätte dich beinahe nicht erkannt, als ich dich zum erstenmal sah. Wenn ich dir auf der Gasse begegnet wäre, so wäre ich vor dir gewiß vorüber gegangen, ohne dich anzusprechen. Du warst aber auch noch ein kleines Kind, als man dich von mir fortnahm. O warum bleiben doch die Mädchen nicht immer klein!
Dieser einfältige Wunsch pflegt den guten Müttern zu entschlüpfen, wenn ihnen ihre erwachsenen Töchter Sorgen zu machen beginnen. – Wozu wachsen auch in der heutigen Welt arme Mädchen auf? So oft einem armen Menschen eine Tochter geboren wird, sollte er lieber trauern, als sich freuen. Was wird aus ihnen, wer nimmt sie? Heutzutage hat niemand Lust zu heiraten. Der Erwerb wird immer schwerer, die Haushaltungskosten werden immer größer und wenn auch eine oder die andere heiratet, was hat sie davon? Sie bekommt einen liederlichen Mann, ihr ganzes Leben ist voll Sorgen, Elend und Kummer, von einem Unglück gerät sie ins andere, sie muß arbeiten, wie eine Magd, es wachsen ihr viele schlechte Kinder auf den Hals und wenn sie alt wird, so mag niemand sie leiden. Eine Mutter, die ein Mädchen zur Welt bringt, sollte es lieber gleich beweinen.
So machte sie ihre Tochter auf die Schwierigkeit, mit welcher ein armes Mädchen zu einem Manne kommt und auf die unangenehmen Seiten des ehelichen Lebens aufmerksam. Und Fanny wußte gut, wozu ihre Mutter ihr das alles sage, denn gleich bei dem Worte: wie schön bist du! war ihr ein Licht aufgegangen und jener Verdacht in ihr entstanden, den Therese ihr nicht mitteilen wollte, nämlich, daß dieses Weib als Versucherin hergekommen sei.
– Friert dich, Fanny?
– Nein, stammelte das Mädchen, die Decke über sich ziehend.
– Mir scheint, du zitterst?
– Nein.
– Hast du Therese Halm gekannt?
– Ja, antwortete Fanny leise und mit Zittern erwartend, welche neue Wendung jetzt folgen werde.
– Welch ein stolzes Mädchen war sie! du weißt doch, da wir in der Nachbarschaft gewohnt haben, wie hochmütig die ganze Familie war; diese Leute haben sich geschämt, mit uns ein Wort zu sprechen. Als damals das Unglück mit deiner Schwester geschah, wollten sie uns nicht einmal ansehen, selbst mit dir haben sie ihr Mädchen nicht sprechen lassen. Und weißt du, was jetzt mit ihrer Tochter vorgegangen ist? Ein reicher Gutsbesitzer hat sich in sie verliebt und sie entführt; erst haben sie über sie geflucht, sie verleugnet, aber später kaufte ihr der Geliebte ein schönes Landgut und dann haben sie sich mit ihr ausgesöhnt, jetzt wohnen sie alle bei ihr. Die Stolzen, die so leicht dabei waren, andere Menschen zu verurteilen, sagen jetzt selbst: »In der Sache ist doch nichts Verdammenswertes, das Mädchen ist glücklicher als viele Frauen und der Grundherr ist ihr treuer als viele Männer ihren Frauen; er erfüllt ihr jeden Wunsch, was nur gut und schön ist, das kauft er ihr, die Dienstleute titulieren sie gnädige Frau, man empfängt sie in jeder vornehmen Gesellschaft und fragt nicht, wer und was sie sei; auf öffentlichen Spazierplätzen geht sie mit ihrem Geliebten Arm in Arm und alle Leute grüßen sie höflich.« So sprechen jetzt diese stolzen hochmütigen Halms, die über die Töchter anderer Leute so gern den Stab gebrochen haben. Wenn man aber dennoch vor ihnen böse Anspielungen macht, so sagen sie, der Grundherr werde ihre Tochter heiraten, er warte nur bis seine Mutter gestorben sei und bis er seinen Onkel mit sich ausgesöhnt haben werde. Das glauben dann die Leute und bewerben sich um ihre Freundschaft.
Hier hielt Frau Mayer einen Augenblick inne, damit sie ihrer Tochter Zeit lasse, über das Gesagte nachzudenken.
Einer plötzlichen Eingebung zufolge begann das Mädchen in der nun entstandenen Stille ein Vater unser zu sprechen; die Hände hatte sie schon früher auf der Brust gefaltet und sie eilte, daß sie das Gebet beendige und Amen sage, ehe ihre Mutter sie im Beten stören werde.
Frau Mayer fuhr fort, wo sie stehen geblieben war.
– Ja, jetzt bewirbt man sich um ihre Freundschaft. Hätte das Mädchen auf ganz gewöhnliche Weise geheiratet, so würde kein Hahn um sie krähen und jetzt spricht die ganze Welt von ihr, alles beneidet sie. Freilich muß man sie beneiden; was für ein elendes Leben müßte sie jetzt führen, wenn sie den Mann geheiratet hätte, den ihre Eltern ihr aufzwingen wollten. Der hat eine andere geheiratet, die sich aber jetzt von ihm scheiden lassen will; ihr Mann ist ein Säufer, ein Verschwender und prügelt sie täglich. Wenn die Halm ihn geheiratet hätte, so wäre sie jetzt die Unglückliche. Es ist einmal so; oft bezwecken die Eltern das Beste und es wird etwas Schlechtes daraus und oft glauben sie wieder, ihr Kind stürze sich ins Unglück und es wird recht glücklich. Fanny, friert es dich?
– Nein, nein, flüsterte das Mädchen und zitterte, als läge sie im Fieber.
– Es friert dich, ich höre ja, wie deine Zähne klappern. Warte, ich werde dich besser zudecken, oder soll ich dir die Füße reiben?
– Nein, nein, es friert mich nicht, stammelte Fanny; sie schauderte vor dem Gedanken, daß ihre Mutter ihren Leib berühren wolle.
Frau Mayer ließ sich beschwichtigen und schwieg dann eine ziemliche Weile. Fanny glaubte schon, sie sei eingeschlafen.
– Fanny, fing sie wieder an, schläfst du schon?
– Nein, sagte das Mädchen; sie war neugierig, was jetzt noch folgen werde. In den Menschen erwacht oft eine kühne Neugierde, sie wissen, daß sie nur Schreckliches erfahren werden und sind dennoch neugierig.
– Ich weiß nicht, was mir fehlt, sagte Frau Mayer, ich kann auch nicht einschlafen, ich bin gar nicht schläfrig; vielleicht weil ich in diesem Zimmer unbekannt bin.
Hier trat wieder eine Pause ein. Endlich aber fing Frau Mayer abermals an.
– Du, Fanny, kannst du noch sticken?
– Ja, antwortete Fanny und dachte, nun spricht sie doch von etwas Unschuldigem.
– Es fällt mir ein, weil deine letzte Stickerei noch zu Hause ist; weißt du, der Polster mit den zwei Tauben, die sich schnäbeln; der befindet sich gerade unter deinem Porträt, das uns der junge Maler umsonst gemalt hat. Du, der ist seitdem ein berühmter Maler geworden! er hat dein Bild wenigstens in dreihundert verschiedenen Stellungen gemalt und an verschiedene Kunstausstellungen versendet, wo es von reichen Herren um teures Geld gekauft wurde. Mit deinem Bild hat er sozusagen sein Glück begründet, denn er wurde dadurch in allen großen Häusern bekannt.
Jetzt führt sie die Eitelkeit ins Feld.
– Man möchte es gar nicht glauben. Ein Herr, ein sehr hoher Herr hat sich in dein Porträt verliebt, er hat es im Ausland gesehen und ist eigens nach Preßburg gekommen, um sich zu erkundigen, wer das Original dieses Porträts sei. Du hättest sehen sollen, wie verzweifelt er war, als er dich nicht gleich fand. Er wollte sich erschießen. Aber dann erfuhr er, wo du zu finden seist, er hat dich gesehen und ist seitdem ganz verliebt in dich; jeden Tag kommt er und setzt sich auf das Sofa, dessen Polster du gestickt hast und sieht dein Porträt an. Deine Schwestern sind auf ihn böse, weil er sie gar nicht ansieht, aber ich liebe ihn, weil er immer von dir spricht. Er ist dir ja überall nachgegangen und so habe ich, bis du hierher kamst, durch ihn immer erfahren, ob du gesund seist oder nicht. Der Mensch stirbt noch vor Liebe.
Fanny hörte jetzt, auf den Arm gestützt, ihrer Mutter mit jener zurückschaudernden Neugierde zu, mit welcher ein Verwundeter seine brennenden Wunden ansieht.
– O, was für Narrheiten hat dieser Herr schon bei uns getrieben; man weiß nicht, ob man über ihn lachen oder ihn bedauern soll. Es ist kein Tag vergangen, an dem er nicht zu uns gekommen wäre und gesagt hätte, daß er dich gleich heiraten würde, wenn du da wärest. Gehn Sie, sagte ich, das wird man Ihnen gleich glauben; solche Herren pflegen nicht ein armes Mädchen zu nehmen. Ja, sie nehmen sie, geben sie aber auch bald wieder zurück. Davor hüte dich, liebe Tochter; wenn ein großer Herr zu dir sagt, daß er dich heiraten will, so hat er dich nur zum besten.
Nach dieser frommen Bemerkung pausierte Frau Mayer und Fanny hatte Zeit, sich das Gesagte folgendermaßen zu ergänzen: »Aber wenn er nicht sagt, daß er dich heiratet, sondern dir Geld giebt, dann lange zu. Mädchen verführen, indem man ihnen die Ehe verspricht, ihnen Liebe schwört, das thun nur Studenten und Viertelmagnaten, diese mußt du meiden; ein rechter Kavalier hingegen fragt: ›wie viel er dir geben muß,‹ einem solchen gieb Gehör.«
Pfui! pfui! Schmach und Schande!
Höre zu, gutes Mädchen, was deine Mutter dir weiter sagen wird. Ihr feinfühlenden jungen Damen, wohlbehütete Blumen der höheren, edleren Kreise, entzieht auch ihr derselben nicht euer Gehör, ihr habt bei solcher Verführung nichts zu befürchten, nur arme Mädchen pflegen in solche Fallen zu gehen. Ihr sollt wenigstens einen Begriff davon haben, wie diese Blüten zu frühem Welken gebracht werden.
Fanny erwartete schaudernd, was ihre Mutter noch sagen werde. Wird diese den Mut haben, ihre schauderhafte Rolle zu Ende zu spielen? Sich unter der Maske des Unglücks in den stillen Kreis einer glücklichen Familie einzuschleichen, um da den teuern Schatz, den sie so sorgsam gehütet, die Tugend eines Mädchens zu stehlen, der eigenen Tochter, deren Reinheit Fremde schützen und bewahren mußten!
O, der Teufel ist noch schwärzer, als man ihn malt.
Ich wußte schon nicht mehr, fuhr Frau Mayer fort, was ich mit dem Menschen anfangen sollte; ich war seiner überdrüssig und bedauerte ihn doch sehr. Auf einmal verschwandest du aus der Stadt. Da verzweifelte er vollends, er glaubte, du hättest geheiratet. Er kam wie ein Wahnsinniger zu mir und fragte mich, wo du seist. Ich weiß das nicht, sagte ich, mir hat man sie schon längst weggenommen; möglich, daß sie geheiratet hat. Darauf erblaßte er und warf sich verzweifelt auf das Sofa mit dem Polster, auf welchem du zwei Tauben gestickt hast, die sich schnäbeln. Ich bedauerte den Armen, denn er ist ein schöner lieber junger Mann, ich habe in meinem Leben keinen schönern gesehen; welche Augen, welche Augenbrauen! dazu hat er ein feines blasses Gesicht, Hände wie Samt, einen schönen Mund und einen prächtigen Wuchs! Ich konnte nichts für ihn thun; ich fragte ihn, warum er sich nicht schneller entschlossen habe, wenn er ernste Absichten hatte. Darauf sagte er, er habe nur auf den Tod seines Onkels gewartet, der diese Heirat nicht zugeben will. Aber das Mädchen kann nicht so lange warten, sagte ich; bis ihr Onkel stirbt, bis dahin kann sie alt werden. Darauf sagte er, die Ehe möge bis dahin geheim bleiben. O weh, mein Herr, daran ist schwer zu glauben, heutzutage kann man den Männern nicht trauen; sie können das Mädchen unglücklich machen und die Ehe ewig geheim halten. Darauf sagte er, wenn ich seinem Ehrenwort, seinem Eid nicht traue, so sei er bereit, sechzigtausend Gulden in meine Hand zu legen, die ich ihm nicht zurückzugeben brauche, wenn er sein Wort nicht hält. Sechzigtausend Gulden sind viel Geld, die wirft niemand thörichterweise zum Fenster hinaus und ich weiß keinen so großen Herrn, der imstande wäre, sein Wort zu brechen, wenn er dadurch sechzigtausend Gulden riskiert, besonders wenn er sein Wort einem so schönen, lieben Mädchen gegeben hat, wie meine Fanny ist. –
– Gute Nacht, ich will schlafen, stammelte Fanny, und vergrub sich in die Kissen, die Seele erfüllt von Schauder, Haß und Ekel. Erst der anbrechende Morgen brachte ihren müden Augen den Schlaf.
Die Sonne schien bereits durchs Fenster, als Fanny erwachte.
Sie hatte, so lange sie schlief, geträumt und im Augenblick ihres Erwachens war sie noch voll Verwirrung, Traum und Wahrheit, Bewußtsein und Einbildung schwammen ihr ineinander.
Man fürchtet und ängstigt sich oft die ganze Nacht und wenn man erwacht, so hat man sich noch nicht von den erschreckenden Phantasien befreit, von welchen man die Nacht hindurch geängstigt wurde.
Zuweilen ist man auch von einem Gedanken so sehr eingenommen, daß man die Bilder aus dem wachen Zustand in den Traum mitnimmt und dann träumt man nicht nur, sondern man hat noch im Traum vernünftige Einfälle. Dann sieht der Träumende sogar in die Zukunft und darum sagt man, in den Träumen liege Wahrheit. Und wenn wir des Morgens erwachen, so erscheinen die Bilder und Gedanken, die sich die ganze Nacht in unserem Kopfe kreuzten, durch den Nebelschleier des Traumes so fern, als ob sie durch Wochen, Monate von uns getrennt wären.
Als Fanny sah, daß ihre Mutter schon aufgestanden und fortgegangen sei, bekam sie plötzlich heitere Laune, stand auf und nahm sich kaum Zeit, ihr Haar in Ordnung zu bringen.
Als sie hinauskam, war ihre Mutter in der Küche mit dem Bereiten des Frühstücks fertig, denn diese wollte hierbei den Dienstboten nichts überlassen; sie sagte, ihre schöne, liebe Tochter verdiene es schon, daß sie sich für sie bemühe.
Meister Boltay nahm nicht, wie die Frauen in seinem Hause, zum Frühstück Kaffee, sondern genoß früh ein Stück gerösteten Speck mit rotem, ungarischen Pfeffer, dazu einen Schluck Branntwein und ging dann aufs Feld, wenn er auf dem Lande war, und in die Werkstätte, wenn er in der Stadt war.
So waren denn Fanny und ihre Mutter allein beim Frühstück. Erstere wünschte der letztern einen guten Morgen und küßte ihr die Hand, was die Mutter damit erwiderte, daß sie ihrer Tochter ebenfalls die Hand küßte.
– Diese schöne Hand, diese liebe Hand! O du meine einzige, liebe Tochter, o wie glücklich bin ich, daß ich bei dir sein kann. Warte, laß mich dir einschenken, ich weiß, wie du den Kaffee liebst, viel Milch und wenig Zucker, so. Ich habe noch gar nichts vergessen.
Die Frau war heute so gesprächig; bisher hatte sie es wegen Theresens Gegenwart kaum gewagt, mit ihrer Tochter ein Wort zu sprechen; die kalten, ewig lauernden Blicke Theresens übten einen beengenden Zauber auf sie aus, jetzt war sie von diesem frei.
Fanny blickte, während sie den Kaffee schlürfte, oft auf ihre Mutter, die nicht aufhörte, sie zu loben, sie schön, gut, feenhaft zu nennen und fortwährend verlangte, Fanny möge allein Kaffee nehmen.
– Mama, begann das Mädchen, ihre Mutter, ohne zu schaudern, an der Hand fassend, wie heißt der Herr, der sich nach mir erkundigte?
Die Augen der Frau Mayer begannen seltsam zu leuchten; ah, das Wild nähert sich schon der Falle.
Hätte sie aber genug beobachtenden Geist gehabt, so hätte sie gesehen, daß das Mädchen bei dieser Frage nicht einmal errötete, sondern kalt und gleichgültig blieb.
Erst blickte sie lauernd herum, ob niemand in der Nähe sei, der zuhöre, dann zog sie den Kopf des Mädchens zu sich und flüsterte ihr den verlangten Namen ins Ohr.
»Abellino von Karpáthi.«
– So? der ist es? sagte Fanny mit seltsamem Lächeln.
– Kennst du ihn vielleicht?
– Ich habe ihn einmal von weitem gesehen.
– O, er ist ein schöner, angenehmer Mann; ich habe in meinem ganzen Leben nicht eine so männliche Gestalt gesehen.
Fanny fegte mit ihren schönen Fingern die Brosamen auf dem Tischtuch zusammen und spielte mit dem Kaffeelöffel.
– Nicht wahr, Mutter, sechzigtausend Gulden sind viel Geld?
(Ach das Wild ist in der Falle, nur schnell!)
– Sehr viel, liebes Kind, die gesetzlichen Interessen davon machen dreitausendsechshundert Gulden aus. Ein armer Mensch kann sich lange plagen, bis er sich ein solches Einkommen verschafft.
– Sagen Sie mir, Mama, hat der Vater so viel gehabt?
– Wo denkst du hin, Tochter; wenn er viel hatte, so belief sich sein jährliches Einkommen auf neunhundert Gulden und die sind mir der vierte Teil von dreitausendsechshundert.
– Also hat Abellino im Ernst gesagt, daß er mich heiratet?
– Er ist jeden Augenblick bereit, das Pfand in meine Hände zu legen.
Fanny schien sich zu bedenken.
– Wenn er mich betrügt, so büßt er's ja, die sechzigtausend Gulden bleiben uns dann jedenfalls.
»Ah sie ist ein kluges Mädchen, nicht so leichtsinnig, wie ihre Schwestern; sie läßt sich nicht zum besten haben, sie ist mein Blut!« dachte sich Frau Mayer und rieb sich vor Freude die Hände.
Das Eisen ist warm, jetzt muß man es schmieden.
– Ja, liebe Tochter, die Träumereien sind eine schöne Sache, aber man wird dabei bald hungrig. Die Poeten schreiben von lauter idealen Dingen, aber sie sehen sich dennoch um, wo sie Geld hernehmen. Heute sieht alles nur auf Geld, wer Geld hat, der hat auch Ehre. Ein Bettler mag ehrlich sein, aber niemand achtet darum auf ihn. Du bist jetzt noch schön, jung, man sucht dich noch. Aber wie lange wird diese Schönheit dauern? In zehn Jahren ist es aus mit ihr. Wer giebt dir etwas dafür, wenn du deine Jugend fromm verbracht und dich aller Freuden beraubt hast? Wenn man so lebt, so dauert die Schönheit nicht einmal zehn Jahre; denn Frauenzimmer, die sich der Freude der Welt berauben, verwelken schneller.
– Still, Herr Boltay kommt! – –
Der alte Herr trat herein, wünschte den beiden guten Morgen und fragte, ob sie nichts in der Stadt zu besorgen hätten, er fahre augenblicklich hinein, der Wagen sei schon angespannt.
– Die Mama will in die Stadt fahren, sagte Fanny, möchten Sie nicht so gut sein, sie mitzunehmen?
Der Frau Mayer standen Mund und Augen offen, sie hatte nicht geäußert, daß sie nach Hause fahren wolle.
– Recht gern, antwortete Boltay, wo soll ich sie absetzen?
– Sie will zu ihren Töchtern (Frau Mayer erschrak), ich habe dort noch einige Stickereien und will nicht, daß meine Schwestern sie verwerfen, die wird sie nur abholen.
(O, das kluge, kluge Mädchen!)
– Besonders das Sofakissen, wissen Sie, Mama, dasjenige, worauf ich die beiden Tauben gestickt habe, das will ich meinen Schwestern um keinen Preis lassen; verstehen Sie?
Wie sollte sie das nicht verstehen? das heißt, das Mädchen nimmt den Antrag des Herrn, der jenes Sofakissen so gern ansieht, an; und wie fein weiß sie ihr das zu verstehen zu geben, sodaß der dickköpfige Boltay keine Silbe davon versteht. Ein kluges Mädchen!
Boltay ging auf einen Augenblick zum Kutscher hinaus, um der Frau einen Sitz zurecht machen zu lassen; diesen Augenblick benutzte Frau Mayer und fragte: Wann kann ich dich abholen?
– Übermorgen.
– Und was soll ich dort sagen?
– Übermorgen, wiederholte Fanny.
Jetzt kam Boltay wieder herein.
– Warten Sie noch einen Augenblick, lieber Vormund, ich will der Tante einige Zeilen schreiben, die Sie mitnehmen werden.
– Recht gern; aber du solltest dich nicht erst bemühen, ich kann es ja auch mündlich bestellen.
– Meinethalben, also sagen Sie der Tante, sie soll mir ein Stück Kaschmir Harras, eine Elle Pur de Laine oder auch Poil de chevre laufen – –
Boltay erschrak vor diesen fremden Wörtern.
– Schreib' es auf; es wird so besser sein, denn das kann ich mir nicht merken.
Fanny nahm jetzt lächelnd ihr Schreibzeug, schrieb ein kurzes Briefchen, faltete und versiegelte es und übergab es Boltay.
Frau Mayer warf noch einen geheimen Blick des Einverständnisses auf ihre Tochter, ließ sich auf den Wagen heben und fuhr mit Boltay fort.
Fanny sah ihnen lange nach, dann kehrte sie voll kalten, verachtenden Spottes in ihr Zimmer zurück, begoß ihre Blumen, fütterte ihre Vögel und sang voll recht guter Laune.
Als der Wagen in die Stadt kam, stieg Boltay beim ersten Kaufladen ab, um da etwas zu kaufen und befahl dem Kutscher, mit der Frau nur fortzufahren, wohin sie ihm sagen wird. Er werde schon zu Fuß nach Hause gehen.
Frau Mayer war bald im Kreise ihrer Lieben. Abellino war eben da. Der Dandy war neugierig, was sie bringen werde und alle warteten auf die Antwort. Sie hatte noch den Anzug, den Meister Boltay ihr gekauft hat. Was war das für ein Gelächter! wie hüpften sie um sie herum und drehten sie nach allen Seiten, Abellino bat, sie möge sich in diesem Anzug von ihm porträtieren lassen, doch nein, jetzt ist noch nicht Zeit dazu; vor allem soll sie sagen, was sie ausgerichtet hat.
Frau Mayer brauchte zwei volle Stunden, um ihr glückliches Wagnis zu erzählen, wie sie gekämpft habe, wie viel Beredsamkeit sie aufwenden mußte, um das Mädchen zum Nachgeben zu bewegen; denn Fanny sei schrecklich zimperlich, sie habe ihr einreden müssen, der Ritter werde sie heiraten und er müsse ihr auch dasselbe einreden.
Abellino konnte sich nicht enthalten, die Frau einmal über das andere zu umarmen, was ihm damit vergolten wurde, daß sie ihm sagte, wie schön sie ihn vor Fanny beschrieben habe. Überlassen wir sie ihren Freuden.
Indes ging Boltay nach Hause, Therese erwartete ihn schon im Thor, denn der Kutscher war früher angekommen und meldete die Ankunft des Herrn. Vor allem übergab er ihr den Brief.
– Ich habe einen Brief mitgebracht; Fanny hat schreiben müssen, denn was sie mir auftrug, mündlich zu sagen, das war mir zu türkisch, ich hätte mir es nicht gemerkt.
Therese erbrach den Brief, las ihn, sah auf Boltay; sie las den Brief ein zweites, ein drittes Mal und sah wieder auf Boltay.
– Das ist in der That türkisch, ich verstehe das auch nicht, lesen Sie den Brief.
Hiermit überreichte sie denselben Boltay.
– Hm, brummte der Alte, der ebenfalls erstaunte, als er folgenden Brief las: »Liebe Tante! Ich weiß alles. Die Frau, die ich mit Schauder meine Mutter nenne, soll nicht mehr zu uns kommen. Lassen Sie dem Herrn Johann Karpáthi sagen, er möge mich noch heute besuchen, ich habe ihm Wichtiges zu sagen. Kommen auch Sie und Herr Boltay gleich heraus. Ihre Sie liebende Nichte Fanny.«
– Was bedeutet das? Was ist zwischen beiden vorgefallen? Wann war Zeit dazu? Sie haben so freundlich miteinander gefrühstückt, so freundlich voneinander Abschied genommen. Meister Boltay konnte sich die Sache nicht erklären.
Aber Theresen begann ein Licht aufzugehen.
Es mußte also gleich zu Karpáthi geschickt werden. Wer soll gehen? Meister Boltay entschloß sich selbst dazu. Seine Füße sind gut; in einigen Augenblicken ist er dort. Der alte Heiduck kennt ihn und schleppt ihn am Arm zu seinem Herrn. Der Bräutigam vernimmt, was die Braut ihm sagen läßt; er läßt einspannen und binnen fünf Minuten sind sie auf dem Wege, Boltay und Therese sitzen neben dem Magnaten in der Kutsche, der Wagen ist geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Niemand sieht die darin Sitzenden, fünf feurige Pferde, zu zwei und drei vorgespannt, fliegen mit Windeseile über die Landstraße. Binnen zwei Stunden ist der Weg zurückgelegt, zu welchem Meister Boltay gewöhnlich vier Stunden braucht.
Fanny empfängt den Gast; sie ist etwas blasser als gewöhnlich, allein die Blässe steht ihr gut. Der alte Magnat ist außer sich vor Entzücken; er nähert sich dem Mädchen, legt die Hand aufs Herz und spricht mit feierlichem Ton: Fräulein, so möge mir Gott beistehen, wie ich mein ganzes Leben hindurch keine andere Sorge haben werde, als Ihnen Freude zu machen.
– Und ich, sprach Fanny ruhigen Tones, gelobe, daß ich in meinem ganzen Leben es für meine heiligste Pflicht ansehen werde, Ihrem Namen Ehre zu machen. Jetzt haben Sie drei die Güte, sich mit mir zu einer längeren Besprechung zurückzuziehen.
Diese Worte waren mit einem so ruhigen, entschlossenen Ton gesprochen, daß man nicht anders konnte, als sich ihrem Willen zu fügen. Alle vier zogen sich in das innerste Gemach zurück und schlossen hinter sich alle Thüren.
Nach einigen Stunden kamen sie wieder heraus, aber welche Veränderung war in jedem Gesicht.
Fanny sah nicht mehr so blaß aus, ihre Wangen waren wieder rot und ihr Aussehen freudig und heiter.
Meister Boltay drehte sich den Schnurrbart, wie einer, der sich zu einer Schlägerei vorbereitet, er sieht zornig aus und dennoch lacht er zuweilen.
Auch die Augen der frommen Therese leuchteten wie von befriedigter Rache.
Und der Bräutigam? Herr Johann? Wo ist Herr Johann, der alte Nabob? Wir erkennen ihn nicht wieder. Sollte es dieser heitere, lachende, triumphierende Mann sein? Er hat sich um zwanzig Jahre verjüngt.
– Also morgen Nachmittag! sagte er mit Freude.
– Ja, morgen, erwiderte Fanny mit Nachdruck und beider Augen leuchteten, wenn sie aufeinander blickten.
Mit überschwänglichem Gefühl drückte Karpáthi dem Meister Boltay die Hand, dann Theresen und jetzt kam an Fanny die Reihe.
– Darf ich diese schöne Hand drücken?
Fanny reichte ihm herzlich ihre kleine, zarte Hand. Diese Berührung elektrisierte den Alten und er preßte die dargebotene Hand an seine Lippen.
Vor Freude umarmte er jetzt Boltay und Therese und zuletzt gewahrte er, daß er Fanny in seinen Armen halte; das Mädchen schmiegte sich sanft an ihn, weder prüde widerstrebend, noch kokett, sondern wie ein echtes Kind der Natur.
Hierauf eilte Johann zu seiner Kutsche, öffnete selbst den Schlag, stieg ein, ohne sich dabei helfen zu lassen und rief noch einmal zurück: Also morgen Nachmittag!
Fanny legte den Finger auf den Mund und winkte ihm zu schweigen.
– Fahr fort! rief Herr Karpáthi mit drängender Eile, während Pál gemächlich auf den Kutschbock stieg und von dort phlegmatisch auf seinen Herrn zurückschaute.
– Nun, was gaffst du? Fahr' zu!
– Wir haben etwas hier gelassen, sagte der alte Diener.
– Nun, was hätten wir hier gelassen?
– Zwanzig Jahre unseres Alters, gnädiger, junger Herr! erwiderte jener ohne zu lächeln und das Wort »junger Herr« sehr gedehnt sprechend.
Herr Karpáthi lachte über diese spaßige Bemerkung. Der Kutscher ließ die Peitsche wallen und binnen einem Augenblick rollte die Kutsche schon weit hinter Staubwolken.
Was mögen die da drin miteinander ausgemacht haben?
*
Früh am andern Tage kam ein Dienstbote nach Boltays Landwohnung mit dem gestickten Polster, den Frau Mayer ihrer Tochter schickte.
Der Dienstbote flüsterte der letztern zu, im Polster sei ein Brief verborgen.
Sehr wohl.
Fanny suchte den Brief. Ihre Mutter schrieb ihr darin, der reiche Herr freue sich sehr. In seiner Freude giebt er Fanny zu Ehren am nächsten Tag in der Wohnung des Herrn von Kecskerey eine Soiree, zu welcher die Einladung beiliegt. Das Billet lautete: Mademoiselle Fanny Mayer avec famillie.
Also mit Familie, die Mutter und die Schwestern und ähnliches Volk! Es ist also für ein großes Publikum gesorgt, es werden Zuschauer da sein, desto besser! Die Vorstellung wird auch gut sein.
Fanny entließ den Boten und ließ sagen, sie nehme die Einladung an und empfehle sich dem Herrn Kecskerey.
Wer ist dieser Herr von Kecskerey? Wir müssen ihn kennen lernen.
Es ist ein wackerer Gentleman, der in den feineren Gesellschaften keine zu verachtende Rolle spielt und einem Bedürfnis entgegenkommt, das ohne ihn schwer zu befriedigen wäre.
Jedermann kennt ihn, jeder, der gern für eine Notabilität gehalten werden will, sei er Kavalier oder Künstler.
Seine Soireen und Matineen pflegen der Sammelpunkt der seinen Welt zu sein.
Vornehme Damen, welche ihr Kunsteifer drängt, einen oder den andern berühmten Künstler auch in der Nähe zu sehen? freisinnige Amazonen, welche ihre Verhältnisse über die Fesseln Hymens hinaus ausdehnen; abgelebte Damen, die lieber lustiges Volk beisammen sehen, als ihre eigenen anständigen Salongesellschaften; beliebte Künstlerinnen, deren Gesellschaft eine wahrhafte Würze der Unterhaltung ist; einige Blaustrümpfe, aufgeklärte Geister, philosophische Frauen, die über jeden Menschen, den sie gesehen, mit dem sie gesprochen haben, in ihren Tagebüchern schreiben; eine oder die andere Dame aus den höheren Kreisen, die eine Sängerin ist und sich gern bewundern läßt; Modeschönheiten von dunkler Herkunft, welche durch die Gnade eines oder des andern Tonangebers Eintritt in vornehme Gesellschaften erhalten haben; ehrbare Mütter, die mit ihren schönen Töchtern kommen und einfältig genug sind, nicht zu erraten, weshalb man sie eingeladen habe; junge Kavaliere, Geistes- und Geldaristokraten, alte Gourmands, ein oder der andere satirische Geist, der sich über die Thorheiten der Menschen gern lustig macht; manche fremde, sehr reiche Kavaliere, die sich gern die Ausstellung junger Schönheiten besehen; blasierte Gemüter, welche die Krankheit der Langeweile verbreiten; eingebildete Poeten, die, wenn man ihnen nur winkt, sich hinstellen und ihre neuesten Gedichte deklamieren; endlich zwei, drei Feuilletonisten, die alles beschreiben, was sie und alle andern in den Soireen des Herrn von Kecskerey gesehen, gehört, gegessen und getrunken haben.
Aus solchen Elementen bestehen die feinen Gesellschaften, die sich in den Salons des Herrn von Kecskerey zu versammeln pflegen. Er giebt zwei Soireen in der Woche, in außerordentlichen Fällen, wenn zum Beispiel ein berühmter Künstler durchreist, auch mehrere.
Wer daraus schließen wollte, daß Herr von Kecskerey ein außerordentlich reicher Mensch sein müsse, der würde sich sehr täuschen. Er besitzt gar nichts auf dieser weiten Erde, als »Renommee«, man hält ihn für einen feinen, gebildeten, kunstverständigen, gelehrten Kavalier. Bei ihm erscheinen zu dürfen, ist eine Ehre. Niemand braucht sich zu schämen, zu ihm zu kommen; denn er huldigt der Aristokratie aufrichtig und zwar der Aristokratie jeder Art, derjenigen der Geburt, des Geldes, des Geistes und der Schönheit. Er wird dadurch der geistvolle Vermittler aller Gesellschaftskreise. Diese Kunst der Vermittelung veranlaßt die reichen Magnaten, Bankiers und die galanten alten Kavaliere, ihm das Material zu seinen Soireen zu liefern und ihm die geistvolle Anordnung zu überlassen; sie geben ihm das Geld und er verschafft ihnen dafür Gelegenheit zu interessanten Bekanntschaften.
Wer aber den Herrn von Kecskerey deshalb einen »Kuppler« nennen wollte, der würde gegen die Regeln der Schicklichkeit einen furchtbaren Verstoß begehen. Herr von Kecskerey mischt sich in nichts, er macht niemandem Gelegenheit, in seinen Soireen fügt sich alles den strengsten Regeln des Anstandes.
Zuerst deklamieren, singen und musizieren die Künstler und Künstlerinnen, dann wird bei Klaviermusik ein wenig getanzt, hierauf geht man zum Souper, wobei die Damen sitzend und die Herren stehend essen und auf die Gesundheit der anwesenden Damen und etwaigen Celebritäten einige Gläser Champagner leeren, nach einer kurzen geistreichen Konversation wird wieder ein wenig getanzt und um Mitternacht geht alles nach Hause, nur einige alte und junge Dandys bleiben zurück und spielen.
Aus dem allen läßt sich leicht ersehen, daß in diesen Soireen weder Sitte noch Anstand verletzt werden.
O, Herr von Kecskerey würde das nicht zugeben, er hält auf seinen Ruf. Er pflegt nur Gelegenheit zu Zusammenkünften zu verschaffen, aber nicht zu Verhältnissen. Das ist die Sache anderer Personen. Und wenn man ihn deshalb einen Kuppler nennt, so ist nur unsere Sprache daran schuld, weil sie nicht zweierlei Ausdrücke hat – für ein und dieselbe Sache.
Bei Herrn von Kecskerey wurde für den festgesetzten Tag eine großartige Soiree vorbereitet, Abellino bezahlte die Kosten um so leichter, da Fennimore, mit welchem er auf Fannys Fall um tausend Dukaten gewettet hatte, ihm heute Abend, sobald Fanny erscheint, diese Summe zahlen mußte. Man war der Sache so gewiß, daß sich gar nicht daran zweifeln ließ. Der Scherz ist ein wenig englisch; Abellino wirft sechzigtausend Gulden hinaus, um eine Wette von tausend Dukaten zu gewinnen; das übrige ist Nebensache.
Die ganze feine Welt war geladen und erschien auch, die freisinnigen jungen und die lustigen alten Damen, die Modeschönheiten, die Künstler und Künstlerinnen, die Blaustrümpfe und die Poeten, die Dandys und die Gourmands, die lustigen alten Grundbesitzer und viele andere, deren Menge einen armen Feuilletonisten in große Verlegenheit brachte, wenn er für jeden einzelnen ein bezeichnendes Beiwort ersinnen müßte.
Am Morgen des entscheidenden Tages, der unsere jungen Väter des Vaterlandes mehr interessierte, als die wichtigste Landtagsverhandlung, setzte sich Frau Mayer in demselben Anzug, welchen Boltay ihr gekauft hatte, in einen Fiaker, fuhr fort und überdachte auf dem Wege die weitere Ausführung ihres Planes: beim Walde wird sie aussteigen und nach Boltays Haus zu Fuß gehen; dort wird sie sagen, daß sie auf einem Bauernwagen hergefahren sei. Dann wird sie mit Fanny spazieren gehen, gleichsam um die Felder anzusehen und auf dem in der Nähe wartenden Fiaker mit ihr fortfahren.
Mit solchen Absichten kam sie glücklich in Boltays Landhaus an; die göttliche Vorsehung war ihr gnädig genug, daß sie weder eine Hand noch einen Fuß brach. Aber die unangenehme Überraschung wurde ihr, daß man ihr da sagte, Fanny sei schon am Morgen nach Preßburg gefahren.
Sie hatte Grund zu erschrecken.
– Haben vielleicht die beiden Alten sie mitgenommen?
– Nein, die sind schon vor Tagesanbruch hineingefahren, Fanny folgte ihnen erst einige Stunden später in einer Mietkutsche.
O weh! Was denkt sich dieses Mädchen? Wahrscheinlich will sie ihre Mutter hinters Licht führen und die reiche Beute für sich allein behalten. Vielleicht hat jemand sie aufgeklärt, denn bei solchen Gelegenheiten pflegt man den Vermittler gern zu beseitigen.
Sie eilte zu ihrem Fiaker zurück und trug ihm auf, so schnell als möglich zu fahren. Wo kann das Mädchen hingeraten sein? Wenn sie nur nicht mittlerweile mit Abellino zusammen kommt. Oder hat sie sich es vielleicht überlegt und will gar nicht kommen? Das ist nicht möglich; man spricht ja überall davon und die Soiree ist nur ihrethalben angeordnet worden. Nein, nein, das kann nicht sein, Frau Mayer kennt das weibliche Herz zu gut; eher ist es möglich, daß das Mädchen ohne sie zu Kecskerey kommen will. Alles eins, sie hat jedenfalls ihr Verdienst dabei, durch ihre Bemühungen hat sie das Mädchen zu dem Schritt bewogen. Ach, mit welch bitterem Kummer muß das Herz einer Mutter kämpfen!
Es war Abend geworden. In den Salons des Herrn von Kecskerey versammelten sich bereits die Gäste; eine Dame nach der andern fuhr vor und ließ beim Absteigen ihre reizenden Füßchen sehen; gemietete Livreebedienten übernahmen im Vorfall die Überkleider der Gäste und Herr von Kecskerey selber empfing letztere in der Thüre mit vornehmer Herablassung. Alle wußten, daß die Soiree nicht sein Geld koste, auch er wußte, daß jedermann das wisse; aber deshalb machten Gäste und Wirt dennoch tiefe Bücklinge voreinander, als ob er sie auf seine Kosten bewirtete und als wären sie ihm dafür dankbar. Die laut schrillende Nasenstimme des Herrn von Kecskerey wird durch das ganze Stimmengewirr der Gesellschaft hindurch gehört.
– Ich bin sehr erfreut, daß Sie mein bescheidenes Fest nicht verschmähen. – Euer Gnaden erweisen meinem Hause große Ehre, – Mesdames, es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie Ihren größten Verehrer nicht vergessen haben. – Mein Herr, es ist sehr schön von Ihnen, daß Sie Ihre wichtigen Studien meinethalben auf einen Abend unterbrechen, – Gräfin, es wird der Glanzpunkt dieser Soiree sein, wenn Sie Ihre Syrenenstimme werden hören lassen u. s. w. u. s. w.
Der würdige Hausherr strebt mit allen Kräften darnach, daß seine Gäste sich gut und zwanglos unterhalten. Die sich noch nicht kennen, stellt er einander vor; dem Poeten giebt er Zeitungen in die Hand, in welchen er seine eigenen Produkte lesen kann, den Künstler fordert er auf, sich zum Klavier zu setzen und stellt jemanden hinter ihn, der ihn loben muß, jedem weiß er etwas Verbindliches, etwas Interessantes zu sagen, er schleudert Neuigkeiten, pikante Anekdoten in die Gruppen, bereitet den Thee, was niemand besser versteht als er und sieht jeden. Kurz er versteht, wie keiner, die Honneurs zu machen.
Endlich kommt Abellino. Er hat nicht Zeit gehabt, früher zu kommen. Er führt einen alten fremden Mann am Arm, geht mit ihm direkt zum Hausherrn und stellt beide einander vor.
– Mein Freund Kecskerey, Monsieur Griffard, Bankier.
Bücklinge, Händedrücken.
– Verehrter Herr von Kecskerey, Sie vergeben, daß ich meinen Busenfreund, der eben aus Paris angelangt ist, ohne weitere Ceremonien herbrachte, um ihn mit der Elite Ihrer Gesellschaft bekannt zu machen.
O, Herr von Kecskerey vergiebt das nicht nur, sondern er fühlt sich noch verpflichtet dafür, daß er das Glück hat, die Bekanntschaft einer so ausgezeichneten Persönlichkeit zu machen. Und wieder folgen Bücklinge und Händedrücke. Das alles geht mit einem Ernst vor sich, als ob nicht Abellino es wäre, der diese Soiree eigentlich giebt und als ob das nicht jedermann wüßte.
Eigentlich ist der Bankier deshalb aus Paris gekommen, um sich mit seinen eigenen Augen zu überzeugen, ob der alte Nabob, auf dessen Haut er schon so viel geliehen hat, einmal sterben wolle oder nicht.
Herr von Kecskerey behandelte den ausgezeichneten Mann mit der größten Aufmerksamkeit, er stellte ihn den liebenswürdigsten Damen vor und sein Ziel war dabei nicht so sehr, den Gast zu unterhalten, als ihn Abellino vom Hals zu schaffen, der sich mit mehreren jungen Dandys in den Spielsalon zurückgezogen hatte. Er konnte, bis Fanny ankommen werde, die Zeit nicht angenehmer zubringen.
Als er in den Spielsalon kam, waren schon mehrere andere Gäste da, unter ihnen auch Fennimore, bei dessen Anblick Abellino in ein impertinentes Gelächter ausbrach.
– Ah, Fennimore, du mußt heut im Spiel sehr stark sein, denn das andere hast du schon verloren. Diable, du mußt heute viel gewinnen, um deine tausend Dukaten wieder herein zu kriegen. Ha ha, ihr glaubt, diese Soiree koste mein Geld? Da täuscht ihr euch sehr. Fennimore bezahlt sie. Macht mir ein wenig Platz an dem Tisch, ich will mein Glück probieren.
Fennimore sprach kein Wort, er hielt eben die Bank; nach einigen Minuten war diese gesprengt, Abellino hatte gewonnen.
– Ach, lieber Freund, an dir bewährt sich das Sprichwort schlecht, du bist unglücklich im Spiel und unglücklich in der Liebe. Armer Fennimore, wahrhaftig, ich bedaure dich.
Fennimore stand auf und spielte nicht mehr. Wenn sein milchweißes Gesicht noch eine hellere Nuance zugelassen hätte, so hätte man an der Blässe gesehen, wie wütend er jetzt war.
Die verlorene Wette, der Geldverlust, der Triumph und Spott des Gewinnenden und Siegers erfüllten sein Herz mit Gift und Galle. Einigemal war er nahe daran, einen Leuchter zu thätlichen Demonstrationen zu gebrauchen. Aber er hielt es dennoch für besser, aufzustehen und hinaus zu gehen.
Abellino spielte weiter, gewann noch mehr und ärgerte diejenigen, die verloren, mit seiner nörgelnden Manier. Er hatte heute rasendes Glück und hörte nicht auf, darüber zu lachen.
– Na! sagte er, die vor ihm aufgehäuften Banknoten in seine Brieftasche legend, Fennimore hat das Sprichwort mit doppeltem Unglück widerlegt und ich gehe, um es mit meinem doppelten Glück zu widerlegen.
Im anstoßenden Salon begegnete er einem Diener, der ihn schon längst suchte; Frau Mayer wartet auf ihn, sie ist von der Reise gekommen und hat noch nicht Zeit gehabt, sich anzukleiden.
– Das ist kein gutes Zeichen. – Abellino eilte hinaus, um mit ihr zu sprechen. Diese sagte, sie habe ihre Tochter nicht angetroffen, aber sie werde gewiß kommen, denn sonst hätte sie die Einladung nicht angenommen.
Abellino vernahm diese Nachricht mit großem Ärger und ließ die Frau Mayer stehen.
Diable! wenn sie mich betrogen hätten.
Hier durfte er indes seinen Ärger nicht zeigen, sondern mußte nach wie vor den Triumphierenden spielen. Lieber hätte er all sein Geld verloren, nur soll das Mädchen jetzt nicht ausbleiben.
In dieser Stimmung war es ihm sehr unangenehm, Fennimores weißem Gesicht zu begegnen und er begann zu überlegen, ob er nicht großmütig sein und sich mit ihm aussöhnen solle.
Dann eilte er wieder zur Frau Mayer hinaus und fragte sie, ob sie ihrer Tochter gesagt habe, daß er sie heiraten wolle.
– Ja, und das Mädchen scheint sich darüber sehr zu freuen.
Das beruhigte ihn ein wenig, er ging wieder zur Gesellschaft zurück und bemühte sich, Herrn Griffard zu unterhalten.
Man begann schon den Thee zu servieren und die Gräfin X. hatte bereits ihre » casta diva« gesungen, als Abellinos Bedienter ihm ins Ohr flüsterte: Eben habe ich Fräulein Mayer aus dem Wagen steigen sehen.
Abellino drückte dem Diener einige Goldstücke in die Hand und ging zu einem Spiegel, um sich ein wenig in Ordnung zu bringen. Er war nett, recht nett, das muß man zugeben; seine Frisur war tadellos, sein Gesicht glatt, sein Bart und Schnurrbart malerisch, seine Krawatte hinreißend und sein Gilet erhaben.
Jetzt tritt der die Gäste meldende Kammerdiener ein, den Abellino nur im Spiegel sieht und ruft mit dem feierlichsten Tun: Madame Fanny de Karpáthi, née Mayer.
– Zum Kuckuck! denkt Abellino, dieses Mädchen nimmt die Sache ernst und legt sich meinen Namen im voraus bei. Na, nur zu, wenn es sie amüsiert. Was kann es schaden?
– Ah, rief Griffard. Sie haben geheiratet?
– Nur an der Linken, erwiderte Abellino scherzhaft.
Die Gäste drängten sich neugierig zur Thüre, Herr von Kecskerey stand schon da, der Kammerdiener öffnet die Saalthüren und herein tritt eine junge Dame in Begleitung eines Herrn. Die ganze Gesellschaft verstummt einen Augenblick vor Staunen. Staunen sie so sehr über den Anblick der schönen Frau? Sie war in der That schön. Ein einfaches, aber kostbares Spitzenkleid wogte um ihren prächtigen Wuchs, es war nach damaliger Mode etwas kurz und ließ ihre niedlichen, runden Füßchen sehen, auf ihrem reichen Haargeflechte trug sie ein Häubchen aus Brüsseler Spitzen und an beiden Seiten flossen Locken auf ihre marmorweißen Schultern und auf den entzückend schönen Busen nieder. Und dieses blaßrote Gesicht, dieser göttliche Blick der glühenden, schwarzen Augen, deren Leidenschaft mit den kindlichen Lippen im Widerspruch ist, die aber mit dem Grübchen ihrer Wangen und ihres rosigen Kinns um so mehr harmonieren!
Sie lächelte, als Herr von Kecskerey ihr entgegentrat und nicht wußte, was er sagen solle.
Fanny grüßte ihn.
– Mein Herr, ich habe Ihre Einladung mit Vergnügen angenommen und komme avec famille; dies ist mein Gemahl, Herr Johann von Karpáthi, sagte sie auf den Mann zeigend, in dessen Begleitung sie gekommen war.
Kecskerey konnte nichts weiter hervorbringen, als daß er sich unendlich freue; indessen schien er sichtlich verlegen, mit den Augen Abellino zu suchen.
Dieser stand beinahe, wie Loths Weib, erstarrt vor dem Spiegel.
Herr Johann von Karpáthi indes, der gutgelaunte, heitere, vor Freude strahlende Herr Johann drückte dem Hausherrn als altem Bekannten die Hand, nahm den Arm seiner Gattin und sagte: Wünschen Sie mir Glück, verehrter Freund; ich habe heute einen Schatz, einen himmlischen Schatz gewonnen. Ich bin glücklich, ich brauche kein Paradies mehr, ich bin schon auf dieser Welt selig geworden.
Hiermit trat er mit strahlendem Gesicht der Gesellschaft näher, stellte jedem Bekannten seine Gattin vor und wurde mit Glückwünschen überhäuft.
Und Abellino mußte das alles mit ansehen, er mußte erfahren, daß das Mädchen, welches er so hartnackig mit seinen Liebesanträgen verfolgte, die Gattin seines Onkels und so für ihn unzugänglich geworden sei.
Wenn man sie in den Himmel oder in die Hülle entführt, wenn man sie in ein Felsenschloß eingesperrt hätte, wenn Racheengel sie mit flammenden Schwertern bewachten, so könnte er sie eher erlangen, als jetzt, da sie die Gattin seines Oheims geworden.
Er durfte nun mit ihr gar kein Verhältnis beginnen, sei es welcher Art immer.
Wer sich an dem Anblick der schönen jungen Frau genug geweidet hatte, der sah auf ihn, und jeder Blick war für ihn Spott und Gelächter.
Es that ihm beinahe wohl, daß sich in der Gesellschaft noch jemand befand, der von diesem Fall unangenehm betroffen war: Mr. Griffard. Und um seine spöttische Natur auch jetzt nicht zu verleugnen, wandte er sich an diesen mit der Frage: Qu'en dites vous, Mr. Griffard?
– C'est bien fatal.
– Mon cher Abellino, sprach jetzt Fennimore mit seiner zwirndünnen Stimme, mir scheint, daß du mir jetzt tausend Dukaten schuldig bist. Hahaha!
Abellino wandte sich wütend gegen ihn, aber in diesem Augenblick begegnete er seinem Onkel, der sich ihm Arm in Arm mit seiner Gattin eben näherte und mit der größten Freundlichkeit sagte: Liebe Frau, das ist mein lieber Neffe Bela. Lieber Neffe, ich empfehle meine Frau deinem verwandtschaftlichen Wohlwollen.
Ah! das war der Augenblick, auf den er sich so sehr im voraus gefreut hatte; das war die ausgesuchte Rache, die das Herz des verfolgten Mädchens gewünscht und welche die Augen jener friedlichen Menschen strahlen gemacht hatte.
Der Jäger in der Grube, die er selbst gegraben hat!
Abellino verneigte sich steif, biß sich in die Lippen und war weiß, wie die Wand.
Der alte Karpárthi ging mit seiner Frau weiter, um sich mit Griffard bekannt zu machen, der seine außerordentliche Freude darüber ausdrückte, daß er ihn so gesund antreffe.
Abellino aber ging, sobald sich sein Onkel von ihm gewandt hatte, mit erhobenem Kopf und ein Liedchen summend durch den Saal, als ob ihm gar nichts passiert wäre und schien gar nicht darauf zu achten, daß alles Flüstern und Zischeln rings um ihn nur ihm gelte und daß er jetzt von der Gesellschaft verspottet werde.
Er eilte in das Spielzimmer.
Als er die Thüre öffnete, hörte er sie alle lachen. Fennimores Stimme drang am meisten durch. Als sie aber ihn erblickten, verstummte das Gelächter plötzlich; jeder bemühte sich, ein recht ernsthaftes Gesicht zu machen.
Kann es wohl etwas Ärgerlicheres geben?
Abellino nahm einen Stuhl zum Tisch und setzte sich zu ihnen.
Warum lachen sie nicht? Warum setzen sie ihr Gespräch nicht fort? Warum zwingt sich Fennimore so ernsthaft zu sein? warum wendet er sich so oft von ihm ab?
– Gebt Karten!
Er dachte, dann werden sie doch etwas zu lachen haben, wenn sie gewinnen und ihre Gegner verlieren.
Jetzt war an Abellino die Reihe, die Bank zu geben.
Ihm gegenüber sitzt Fennimore und gewinnt in einem fort, zuweilen läßt er seinen Satz zweifach und vierfach in der Bank, um ihn vierfach, achtfach herauszuziehen.
Abellino fängt an, die Ruhe zu verlieren und schwindelt. Er giebt auf die Einsätze nicht acht, zieht Gewinste ein, und zahlt den Verlierenden aus. Seine Gedanken schweiften anderswo.
Jetzt zog Fennimore eben wieder einen vierfachen Satz ein.
– Ha, ha! er konnte sich nicht mehr enthalten, triumphierend zu lachen: Karpáthi, das Sprichwort wendet sich jetzt gegen dich, du bist unglücklich in der Liebe und unglücklich im Spiel. Armer Abellino, wahrhaftig, ich beneide dich; du bist mir tausend Dukaten schuldig.
– Ich? fragte Abellino gereizt.
– Freilich, du! Du wirst doch nicht auch jetzt noch behaupten, daß du Fanny verführen werdest; jetzt ist sie reicher als du, dein Geld kann sie nicht mehr bethören und wenn sie sich einen Courmacher wählen will, so braucht sie nicht gerade dich, wir sind auch da. Du hast vielmehr Grund, dich zu hüten, daß sie sich nicht in dich verliebe, denn ein solches Abenteuer könnte dich um deine Erbschaft bringen. Das ist famos! Abellino flieht vor der Umarmung seiner schönen Tante, wie Joseph vor der Frau Potiphars. Er ist sogar genötigt, acht zu geben, daß sie sich nicht in einen andern hübschen, jungen Mann verliebe. Hahaha! Abellino als Tugendwächter! das ist prächtig. Das ist ein Stoff für ein Vaudeville.
Jedes Wort ist ein giftiger Stachel und dringt ihm ins Herz. Abellino ist bleich vor Wut. Was Fennimore sagt, ist wahr. Er muß jetzt zittern, wenn dieses Weib jemanden liebt. Fluch, Fluch!
Dabei verliert er in einem fort.
Kaum sieht er mehr, was jeder einsetzt. Fennimore vervierfacht wieder seinen Einsatz, Abellino zahlt ihm aber nur den doppelten heraus.
– Oho, Freund, das ist zu wenig, ich habe mehr eingesetzt.
– Ich habe es nicht bemerkt.
– Ah, das ist Filibusterie! ruft Fennimore im Bewußtsein seines Rechts.
Auf dieses beleidigende Wort springt Abellino auf und wirft Fennimore alle Karten, die er in der Hand hatte, ins Gesicht.
Dieser gerät in die höchste Wut, ergreift den Stuhl, auf welchem er gesessen und will damit auf Abellino losstürzen. Die anderen legen sich ins Mittel und halten Fennimore zurück.
– Laßt mich, laßt mich über ihn! kreischt der empfindsame Jüngling mit ganz veränderter Stimme und schäumend vor Wut. Abellino spricht kein Wort, aber er keucht und seine Augen sind von Blut unterlaufen. Seine Kameraden halten ihn mit Mühe zurück.
Auf diesen skandalösen Lärm stürzt Herr von Kecskerey herein und ruft mit affektiertem, imponierendem Blick den Streitenden zu: Achtet das Heiligtum meines Hauses!
Diese Intervention bringt die Streitenden zu sich. Sie sehen ein, daß dies nicht der Ort sei, ihren Streit zu schlichten. Die Berufung auf das Heiligtum des Hauses hat manche heiter gestimmt, sie geben Fennimore und Abellino den Rat, nach Hause zu gehen. Diese entfernen sich auch sogleich und die Gesellschaft bleibt ungestört. Nach einigen Augenblicken weiß zwar schon jeder, daß Abellino und Fennimore beim Spiel in Streit geraten seien, aber jeder thut, als wüßte er nichts davon. Herr Johann von Karpáthi ruft den Hausherrn beiseite und bittet ihn insgeheim, er möge so gut sein, von ihm für die glänzende Anordnung der Soiree tausend Gulden anzunehmen und binnen einer Viertelstunde weiß jeder, der Held des Abends sei Herr Johann von Karpáthi, der seine schöne Frau in die Gesellschaft einführen wollte. Die Unterhaltung dauerte noch bis zwei Uhr nach Mitternacht; dann ging jeder nach Hause und begab sich mit allerlei Gedanken über den seltsamen Abend zur Ruhe und wenn einige aus der Gesellschaft heute unruhig schlafen, so sind es gewiß Abellino, Fennimore und Monsieur Griffard.