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… Neben mir in dem gelblichen Leinwandzelt saß ein kleiner Mann mit einem riesigen Tropenhelm. Aus einem stoppelbärtigen, verkniffenen, zerknitterten Gesicht blickten mich ein paar blanke Augen hinter gelben Gläsern einer Sonnenbrille blinzelnd an.

»Es war höchste Zeit«, sagte Doktor Reginald Forrester. »Hätte der Zufall Sie nicht gerade in diese Schlucht geführt, würden Sie jetzt wohl draußen irgendwo als … – na, die Hauptsache, so weit ist es nicht gekommen … – Wie fühlen Sie sich?«

»Den Umständen nach sehr gut …«

»Zäh scheinen Sie zu sein … Ihre Füße waren in beklagenswerter Verfassung. Ich kann Ihnen nicht dringend genug jeden Morgen ein Fußbad mit etwas Salz darin empfehlen, nachher Massage der Wunden und dann ganz leichte wollene Socken.«

»Geben Sie mir bitte, falls vorrätig, einen Becher Tee mit Whisky, nein, Whisky mit Tee. Ihre sonstigen Rezepte sind, verzeihen Sie, hier nicht gut anwendbar und daher für die Katz'.« Ich konnte schon wieder lächeln, und er lachte mit.

Jetzt erst bemerkte ich links neben mir einen hellbraunen Fellachen in einem tadellosen weißen Anzug. Der Mann mischte sorgfältig das Erbetene. Aber mit dem Whisky war er zu sparsam.

»Mehr Alkohol« – und meine heisere Stimme klang schon menschenähnlicher.

Dies war meine erste Begegnung mit Reginald Forrester und seinem Reisemarschall Mehmed Said. Daß sie mir das Leben gerettet hatten – ich dankte es ihnen von Herzen –, daß Sir Forrester unter nicht endenwollendem Gerede von mir bis ins einzelne zu wissen wünschte, woher ich käme, weshalb ich eine demolierte Remington mit mir herumschleppte – und vieles andere, paßte mir wenig. Es gab nur ein Mittel, seinen bohrenden Fragen zu entgehen: Müdigkeit vortäuschen! Denn was sollte ich antworten?! Jeder Satz wollte überlegt sein … Unsere Oase war tabu. Die Wahrheit bedeutete hier unendliche Neugier wecken.

Ich schlief ein, und das war die einfachste Lösung. Mein Erwachen vollzog sich unter Umständen, die wenig friedfertig waren. Es war längst dunkel geworden, und eine äußerst lebhafte Debatte außerhalb des Zeltes, dazu ein zeitweise kräftig einsetzender Chor von brüllenden Stimmen deuteten auf gewisse Differenzen zwischen Forrester und Said einerseits und seinen Trägern anderseits hin. Der Engländer hatte mir bereits kurz erzählt, daß er Privatgelehrter sei und die Absicht habe, durch Nubien, den Sudan und die Gebiete der großen Seen bis Britisch-Ostafrika vorzustoßen. Er mußte reich sein, denn er hatte einen Troß von etwa vierzig Farbigen bei sich. Seine Safari (Trägerkolonne) bestand nicht nur aus Fußgängern, sondern auch aus Berittenen. – Mehr wußte ich vorläufig nicht.

Ich erhob mich, lockerte meine beiden Pistolen und schlug den Vorhang hoch.

Das Bild draußen war das übliche für die vorliegenden Umstände: vier helle Feuer, ruhende Kamele, ein Haufe mehr oder weniger bekleideter wilder Gestalten und ihnen gegenüber der kleine Doktor und der schlanke, fast vornehm aussehende Fellache.

Mein Erscheinen änderte nichts. Die Kerle, die hier Sir Forrester in die Enge zu treiben suchten, waren eine Elitesammlung aller Couleuren und aller Orientgaunervisagen. Der »Sprecher« entpuppte sich als Armenier, war ein ungeschlachter Kerl in hellem Haik mit roter Schärpe und einem Waffenarsenal, das ihm jeder Antiquitätenhändler freudig abgenommen hätte.

Dieser Held hieß Selim.

Er schielte links, und eine Schmarre, die vom linken Ohr bis zum Kinn lief, deutete auf unangenehme Erfahrungen mit einer Nilpferdpeitsche hin.

Herr Selim unterstützte seine drohenden, stolpernden Sätze durch sehr lebhafte Armbewegungen. Die ganze Sache lief darauf hinaus, daß die Safari-Schufte das Doppelte des in Schikr vereinbarten Trägerlohnes forderten und mit sofortiger Umkehr und eigenmächtiger Begleichung ihrer ungerechtfertigten Ansprüche durch »Beschlagnahme« der Kamele drohten.

Ich besitze nun selbst für die schwer auseinanderzuhaltenden Gesichter von Farbigen ein recht gutes Personengedächtnis, und ein Blick über diese halb bes… trunkene Rotte Korah erinnerte mich sofort an die edlen Begleiter eines gewissen anderen Engländers.

Ich hatte die Lagerfeuer im Rücken, Selims Visage war vom Flammenschein noch rotbrauner getüncht, und der Rest der Leute, Araber, Fellachen, Neger und zwei Mongolen, sekundierten seiner Hetzrede durch immer lebhaftere Brüllchöre.

Mehmed Said stand scheinbar teilnahmlos dabei: er gefiel mir. Er hatte stille, verschlossene Züge von fast europäischem Schnitt, seine Hautfarbe zeigte ein lichtes Braun, und unter seinem turbanähnlich geschlungenen weißen Kopftuch kam eine graue, ungekräuselte Haarfülle zum Vorschein. Seine rechte Hand lag zwanglos an der Schnalle seines Ledergürtels, aber neben dieser Schnalle hingen die neuen braunen Futterale zweier Repetierpistolen. Er war offenbar in Kleidern schlafen gegangen, während Sir Reginald ein hochmodernes gestreiftes Seidenpyjama trug.

Selim stellte schließlich sein Ultimatum: Entweder Vorauszahlung des doppelten Lohnes für vierzehn Tage oder … Beschlagnahme der zehn Dromedare.

Forresters Antwort überraschte mich.

Er holte aus und versetzte Selim eine Ohrfeige – versetzte ihm aber gleichzeitig mit der Linken einen so genau abgepaßten Kinnhaken, daß ich Reginalds Boxlehrer nur loben konnte.

Selim flog rückwärts zwischen seine Kumpane – Mehmed hatte plötzlich seine Pistolen in der Hand – ich auch, und Mehmed rief der Bande ohne sonderliche Erregung zu:

»Fesselt den Kerl! Wer nicht gehorcht, stirbt!«

Das war eine Radikalkur.

Angesichts von vier automatischen Pistolen verflüchtigen sich freche Wünsche und Alkoholdünste gleichmäßig schnell.

Auch Sir Reginald brachte jetzt einen Kugelspucker aus der aufgebauschten Pyjamatasche zum Vorschein, trat vier Schritte vorwärts und zielte auf Selims etwas verschobene Kinnlade.

Die Vorbeter der Brüllchöre waren – wie immer – die ersten, die sich der veränderten Lage wortlos fügten und ihren Freund Selim schmählich im Stiche ließen. Selim wurde an eine nahe Felszacke gebunden, und Mehmed sammelte derweil die Schießprügel der Safari ein. (Die Schreibweise Saffari mit ff ist falsch, es sei denn, daß damit nicht eine Trägerkolonne, sondern die persische Herrscherdynastie bezeichnet würde, deren Begründer Saffar, »der Schmied«, war.) All das vollzog sich lediglich unter dem überlauten Protest des pockennarbigen, schielenden Armeniers, den ich mir dann zu weiterer Zwiesprache ein wenig vornahm, indem ich ihm unter Schonung der halbverrenkten Kinnlade die Pistolenmündung in die Rippen bohrte.

»Wo steckt Mr. Houston?«

Die Frage wirkte stärker als der Kinnhaken. Sein Unterkiefer sank vor Schreck herab, und plötzlich schrie er angstschlotternd:

»Oh – – Mr. Lensen!!« – Unter dem Namen kannte er mich.

»Es stimmt, Selim – derselbe Lensen, der euch eine Kugel zusagte, wenn je wieder einer von euch das Gebiet der Bischarin betreten sollte. Lady Jane versprach euch sogar noch Übleres …«

Seine Gesichtsfarbe spielte ins Kittgrau, seine Augen zeigten das Weiße, und sein Mund schrie mit allerhand Zahnstummeln nach einem Plombenschmied und Dr. med. dent.

»Herr, ich … ich …«

Seine Zunge zeigte bedenkliche Lähmungserscheinungen.

Der Lump tat mir leid. Er war doch schließlich nur Werkzeug. Die Drahtzieher saßen anderswo – auf einem Dickhäuter, der mit dem Rüssel Bäume ausreißt. Selim wahr wohl Dickhäuter, abgebrüht, aber Bäume ausreißen, die eigene pockennarbige Haut zu Markte tragen?! Das nicht!

»Wo ist Mr. Houston?!«

»Herr, ich …«

»… ich lüge schon deshalb, weil ich ein Armenier bin«, ergänzte ich mit klarer Ironie. »Und ich, Selim, lüge selten … Wenn du lügst, lüge ich nicht, dann liegst du mit einer Kugel im Brustkasten da, und – mir liegt nicht daran, Ägypten um einen schieläugigen Ehrenmann ärmer zu machen. Du bist der Obmann der Safari – Said sagte es –, du erbotest dich an der großen Karawanenstraße, zuverlässige Leute bis Chartum anzuwerben. Sie sind genau so zuverlässig wie du, und ihre lieben Gesichter erinnern mich an eine gewisse wilde Flucht einer Filmexpedition vor den Speeren der Bischarin. Selim, Selim, du wirst gespeert werden, und wenn du erst einmal mit einer Lanze in den Sand gespießt bist, wie eine Aasfliege an den Pappkarton eines Sammlers, ist es zu spät. Gestehe, daß Houston und der Börsenschieber Owen Darss dich bestochen haben! Ihr steht miteinander in Verbindung, vielleicht weißt du auch, was aus meinem Freunde Sussik geworden ist.«

Es ist stets verfehlt, Leuten, denen man ein Geständnis entlocken oder erpressen möchte, allzu langatmige Vorträge zu halten.

Seine Maske ängstlicher Biederkeit trug zu krasse Striche. Er gab zu, daß Howard Houston in Bir Schikr den Versuch gemacht habe, ihn zu bestechen – aber er habe aus Furcht vor Lady Jane und ihren wilden Reitern abgelehnt, er wisse nur, daß Houston und Owen Darss mit drei Nubiern wieder in die Wüste gezogen seien.

List gegen List, dachte ich.

»Ich glaube dir, Selim …« und ich band ihn selbst los. »Du hättest ja keinen Grund, mich anzuschwindeln, die Wahrheit hätte dir nur Vorteile gebracht.«

Das Lager kam wieder zur Ruhe. Mehmed nahm die leider zumeist schon leeren Whiskyflaschen mit ins Zelt, und Sir Forrester spielte bei den Tieren erste Wache. Die Safari-Leute hüllten sich in ihre flohreichen Decken, ruhevolles Schnarchen erklang, und ich stand im Zelt und hatte mit dem Messer die eine Zeltbahn ganz wenig lädiert.

Selims Schlafplatz, sehr schlau ausgewählt, befand sich abseits im Schatten hoher, überhängender Schieferplatten, die der nagende Sand unten im Laufe von Jahrtausenden weggenagt hatte. Daß sich der Armenier noch in dieser Nacht ohne Abschied empfehlen würde, war mit ziemlicher Gewißheit anzunehmen.

Ich knöpfte die hintere Zeltbahn auseinander, schob mich hindurch und in das Geröll hinein, kroch an der Schluchtwand entlang, fand eine lehmige Rinne und überquerte die Schlucht, näherte mich wieder dem Lager und kam bis dicht an Selims Schlafplatz heran.

In demselben Moment, als ich die Wolldecke wegriß und des Armeniers raffinierten Betrug in Wahrheit »enthüllte«, denn unter der Decke lagen nur drei trockene Büsche und der Sattel, war Sir Reginald mit einem Warnungsruf emporgeschnellt, hatte die Waffe an die Schulter gepreßt und feuerte …

Dort, wo die Dromedare unter der Obhut zweier Wachen ruhten, gab es ein wildes Getümmel – ein einzelnes Tier preschte nach Süden davon, und eng an den Hals geschmiegt hob sich von dem hellen Fell die Gestalt eines Mannes ab …

Selim …!

Er hatte mich überlistet, er gewann Hunderte von Metern Vorsprung, bevor ich ein anderes Tier gesattelt hatte – eine störrische Bestie ausgerechnet, die boshaft um sich schlug, gräßlich schrie und erst nach einem Fausthieb zwischen die Ohren leidlich in Gang kam.

Alles im Leben ist Bestimmung.

Später habe ich diese magere, unendlich hochbeinige Kanaille gestreichelt, und Lizzie hat ihr die besten Datteln herausgesucht und sie – es war ja ein »er« – zärtlich Baschuka getauft.

Baschuka ist dem Bischarindialekt entnommen und bedeutet etwa »Engelchen« …

Daß dies ruppige Vieh mal ein Engel werden würde, hätte ich mir damals auf seinem Buckel nicht träumen lassen.

* * *

 


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