Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich hatte Selim verfolgen wollen, Engelchen war seine eigenen Wege gegangen, ich mußte mit, und Selim hatte den Spieß umgekehrt und war mir gefolgt, holte dann seine Verbündeten herbei, und die Sachlage war vollständig klar. Gegenüber einem halben Dutzend Gewehren zieht man stets den kürzeren, wenn das eigene abseits am Sattel lehnt und die Zeit zu knapp ist, die Pistolen zu gebrauchen.
Die ersten Strahlen der Sonne belächelten ein beschämendes Bild. Ich stand mit erhobenen Armen da, vor mir flegelte sich der dürre Houston auf einem Natursessel, schlug die Beine übereinander und probierte, ob seine verlebte Gaunervisage durch ein teuflisches Hohngrinsen noch abstoßender wirken könnte.
»Ein sehr erfreuliches Wiedersehen, Mr. Abelsen …!«
Ihm antworten?!
»Für Sie kaum«, sagte ich nur. »Wenn Lady Jane Sie erwischt, wird es einige Patronen kosten.«
Er lächelte schallend. »Lady Jane ist weiß der Satan wo, nur nicht hier …! Im übrigen haben Sie ungeheures Schwein gehabt, mein Lieber. Sie sollten den Wüstensand durch Ihr Skelett zieren, ausgerechnet fielen Sie diesem Halbidioten von Forrester in die mildtätigen Arme. – Bindet ihn!«
Diesen Befehl hätte er früher erteilen sollen, nicht erst jetzt, als ein riesiger Somali unsere Bischarindromedare, den Elefant und, auf dem Dickhäuter festgebunden, Freund Sussik herbeiführte. Und die Hauptsache: Lizzie Neworld war von den Herrschaften gar nicht beachtet worden. Sie saß noch am Lagerfeuer, die Wolldecke halb um die Hüften geschlungen – sie war bleich, ich hatte sie jedoch sehr unterschätzt.
Was Houston ihr angetan hatte, ahne ich nicht. Aber wenn ein so junges, reines Wesen so kaltblütig plötzlich unter der Decke eine automatische Pistole zum Vorschein bringt und so ohne Zögern zielt, abdrückt, hochschnellt und mich hinter einen Stein schiebt und mir meine Büchse reicht, kann man nur die schäbigste Handlungsweise dessen voraussetzen, der mit einem üblen Schläfenschuß nach vorn ins Geröll gekollert ist.
In solcher Situation, solchen Kerlen gegenüber gibt es kein von übertriebener Menschlichkeit angekränkeltes Zaudern.
Mr. Darss war der zweite, der hier die unangenehmen Wirkungen eines Stahlmantelgeschosses zu spüren bekam. Er zielte – ich schoß, und meine Kugel war flinker, fuhr am Lauf entlang, nahm zwei halbe Finger mit und schlug Mr. Darss den Kolben in die Zähne.
Der Rest waren zwei Farbige, denen der Schreck und der klügere Teil der Tapferkeit den guten Gedanken eingaben, ihre Schießprügel fallen zu lassen.
Der dritte Farbige, der Somali-Herkules mit dem edlen, hochmütigen, mehr braunen als schwarzen Gesicht kam nicht in Frage, da er schon nach Houstons Kniefall vor Lizzie meinen Sussik einfach losgebunden hatte, er sagte jetzt nur, und seine gedrängte Redeweise gab noch oft Anlaß zu Mißverständnissen:
»Herr, diese Leute betrogen mich.«
Um diesen Worten ohne weiteres Glauben zu schenken, mußte man schon Afras Züge gleichzeitig studieren können. In diesem Antlitz aus dunkler Bronze lag die stolze Würde einer kraftstrotzenden Natur, die jede Lüge verachtet.
Lizzie trat lächelnd auf mich zu. Ihr Lächeln war wie der Ganz der Sonne auf einem unnahbaren Gebirgssee. Ihr Lächeln enthüllte ihre Seele. Jetzt war es verlegen, schuldbewußt – ihr Blick streifte Howard Houston, den Sussik soeben aufrichtete. Es war nur ein Streifschuß gewesen, und Lizzie schien wie erlöst von der Pein des für ein Weib wohl doppelt schweren Gedankens, ein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben.
»Sie sind also … Abelsen«, sagte sie leise und zog mich in holder Vertraulichkeit etwas abseits. »Ich habe von Ihnen gehört …«
Leider waren wir in den Bereich des Lederstrickes meines Fennek geraten, und das Tierchen, das in dem Menschen bisher nur den verderbenbringenden Feind kannte, schnappte nach Lizzies Beinen. Ein sanfter Hieb strafte es für die Unart, einige strenge Worte ließen die großen Augen fragend meinen Blick suchen, und dann geschah das für den Wildling ebenso Unfaßbare wie für mich: der Fennek kroch tief geduckt auf mich zu – wie ein reumütiger Hund, Auge in Auge mit mir, und rieb dann seine Schnauze an meinen weichen Ledergamaschen. Ich bückte mich, streichelte ihn – sein Instinkt sagte ihm wohl, daß es sich um eine Liebkosung handelte, er legte sich vollends zu meinen Füßen nieder, und seit jener Minute war zwischen uns das Band treuester Freundschaft so fest geknüpft, daß er bei einer späteren Gelegenheit – – doch das gehört nicht hierher.
Lizzie war es, die ihn Mukki taufte – sie sagte, sie hätte als Kind ein Hündchen mit genau so ausdrucksvollen Augen besessen, und Mukki sei dann gestorben und bitter beweint worden.
Wie es möglich war, daß wir alle Selims Entweichen erst so spät bemerkten, war lediglich der raschen Aufeinanderfolge von aufregenden Szenen zuzuschreiben. Jedenfalls: Der Somali Afra, der doch die Tiere herangeführt hatte, konnte nur angeben, daß Selim blitzschnell zwischen den Beinen des Elefanten hindurchgeschlüpft und in der Schluchtwand verschwunden war. Sussik und Afra suchten nach Fährten, blieben zwei Stunden weg – der Armenier war nirgends aufzustöbern.
Nachdem wir den Lagerplatz nach der kleinen Oase hinter dem Talwinkel verlegt, die Tiere versorgt, die Zelte aufgeschlagen und die Gefangenen in eine Felsgrotte gebracht hatten, nachdem auch Sussik und Afra sich wieder eingefunden hatten, sank ich gänzlich erschöpft auf meine Decke und schlief im Augenblick ein. Ich konnte mich auf Sussik unbedingt verlassen.
Ich schlief, bis die Sonne sich wieder neigte. Eine liebere Hüterin neben meiner Lagerstatt habe ich kaum je gehabt. Lizzie, erzählte mir Sussik, sei rührend grob geworden, sobald nur irgend jemand meinen Schlummer zu stören suchte. Zu diesen Rücksichtslosen hatte in erster Linie Mr. Owen Darss gehört. Gewiß, der Verlust des halben Zeige- und Mittelfingers der linken Hand, dazu die Schmerzen und ein Notverband mochten seine Gereiztheit bis zum äußersten getrieben haben, er hatte wie ein Unsinniger gebrüllt und geflucht, und auf Lizzies Befehl war er schließlich mit einem Maulkorb versehen worden – so fand ich ihn, als ich nach schnellem Imbiß die beiden Herren mir zu peinlichem Verhör vornahm.
Houston, entschieden der Beherrschtere, verhielt sich still. Darss überhäufte mich mit einer Schmutzflut von Schmähungen, die um so lächerlicher wirkten, als er nebenher die größte Angst für sein kostbares Leben verriet.
Lizzie saß dabei und spielte Zuschauerin. Gerade sie hätte Ursache genug gehabt, sich einzumischen. Ahnungslos hatte sie dem gleißnerischen Gerede Houstons in Bir Schikr ihr Ohr geliehen, ahnungslos hatte sie sich dem kleinen Trupp angeschlossen, bis Houstons eindeutige Zudringlichkeit ihr bewiesen hatte, was sie von diesen Gentlemen zu erwarten hätte. Da war sie geflohen, war sogar noch verfolgt worden, und wenn der Somali Afra nicht ihre Fährten heimlich getilgt hätte, damals schon von tiefstem Widerwillen gegen die beiden schäbigen Kerle erfüllt, würde das arme Mädel niemals entkommen sein.
Darss hatte seinen Vorrat an Gemeinheiten erschöpft. Das Letzte, das er mir ins Gesicht fauchte, war sein Haupttrumpf gewesen: »Sie Zuchthäusler, Sie …!!«
Da begann ich. In aller Ruhe. Mich über diese kleine Kanaille aufzuregen – ach nein!
»Ich werde Sie beide Lady Jane ausliefern!«
Das war alles.
Die Wirkung genügte mir. Sie war sogar eigentlich allzu kräftig und sollte sich durchaus nicht auf die stumme Zuhörerin erstrecken.
Houston und Darss wurden erdfahl. Ihr Entsetzen war so groß, daß ihnen die Unterkiefer sanken und daß sie mich ganz blöde anstierten.
Lizzie Neworld dagegen, die aus meinem Munde »Lady Jane« zum ersten Male hörte, rief atemlos:
»Meinen Sie Lady Jane Cordy?!«
»Allerdings, Miß Lizzie …«
Was Lizzie und ich bisher miteinander besprochen hatten, war kaum ein Rückgriff in die Vergangenheit gewesen, sondern lediglich Gegenwartsnot.
Sie starrte mich lange an.
»Es ist … meine Tante, Mr. Abelsen …« erklärte sie. Ihretwegen kam ich nach Ägypten … Ich habe sonst keinen Menschen auf der Welt, der mir nahesteht, und das Gefühl der Verlassenheit bedrückte mich derart, daß ich …«
Da fand Owen Darss die Sprache wieder.
»Mr. Abelsen …« – der kalte Schweiß lief ihm über das Gesicht – »… Mr. Abelsen – – das ist Mord!!«
Ich mußte lächeln. »Viele Leute haben eigentümliche Ansichten über das Leben anderer … Sie, Mr. Darss, haben mich dem Dursttode überantworten wollen, Sie hätten mich auch hier kaltblütig niedergeknallt, Sie haben dasselbe vor Wochen versucht – und nun verlangen Sie meinerseits Schonung?!«
Wir, Lizzie und ich, verließen die flache Grotte und durchschritten das Gestrüpp. Hinter uns her erklangen Darss' geifernde Flüche. Lizzie hatte sich in meinen Arm eingehängt … Ihr Gesichtchen war mir voll zugewandt.
»Mr. Abelsen, sind Sie mir sehr böse, weil ich Ihnen vorhin so viel verschwieg, weil ich sogar log und so tat, als ob lediglich Abenteuerlust mich hierher geführt hätte?!«
» Ihnen böse sein?! Sie Kindskopf, Sie!! Als ob ich nicht gemerkt hätte, daß da in Ihrer Erzählung so allerhand nicht stimmte!«
Ich blieb stehen. Wir hatten von unserem Platze aus den ganzen Südteil des Wadis vor uns, das steinige Tal mit schroffen Felsrändern, über die stellenweise der Wüstensand in bauschigen hellen Wogen hinwegragte – mit Geröllstreifen, gelblichen Sandflecken und vereinzelten Grasbüscheln, mit phantastisch geformten Felsen, die einen heller Kalkstein, die anderen dunkler Schiefer – – über alldem der lichtblaue Himmel und die grelle Sonne.
Und über uns selbst die Palmen, die grünbraunen Lederblätter der Büsche – – dicht vor uns die Dromedare, abseits der Elefant …
Dazu Sussiks und Afras braune straffe Gestalten, die soeben ihre Büchsen reinigten – ein kleines Feuer, dessen dünner Qualm kerzengerade in die Luft stieg …
»Kind, das ist meine Welt«, sagte ich leise. »Nennen Sie mir den Maler, der dieses Bild naturgetreu mit all seinen intimen Reizen wiedergeben könnte … Den Maler gibt es nicht, wird es nicht geben … Und deshalb liebe ich die Einsamkeit, diese Pfade abseits des Alltags!«
Eine Stunde später ritten Sussik und Afra mit den beiden Gefangenen davon. Houstons Farbige bekamen eine Vorderladerflinte und drei gefüllte Wasserschläuche sowie als Reittiere Engelchen und ein ähnlich angenehmes Tierchen von Dromedar mit.
»Kommt ihr mir noch einmal vor die Büchsenmündung«, erklärte ich ihnen zum Abschied, »wird es Löcher im Fell geben – nicht in meinem!«
Sie trabten davon …
»Und wir?« fragte Lizzie begierig.
Ich zeigte auf den Rüsselträger und die beiden uns noch verbliebenen Bischarindromedare.
»Morgen früh werden Sie Sir Reginald Forrester kennenlernen …«
Der Horizont glühte in Rot und Violett, als wir uns in Marsch setzten. Ich hatte bisher keinen Elefanten gelenkt … Ich fand mich auch in dieser Kunst zurecht.
Um Mitternacht rasteten wir auf einer Hochebene inmitten dorniger Büsche neben einem tiefen natürlichen Brunnen. Lizzie schlief in Houstons Zelt. Ich saß allein zehn Schritt ab unter dem klaren Sternenhimmel, die Büchse auf den Knien …
Nach Süden zu dehnte sich die Wüste – endlos – grenzenlos …
Es war eine frische, windige Nacht, und in dieser Nacht sah ich die leuchtenden Funken, die in kleinere zerplatzten und in mir die Sorge um Reginald Forrester lebendiger machten als die kritischen Gedanken, die mir einreden wollten, daß eine Rakete nicht immer ein Hilferuf zu sein brauchte.
* * *