Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

… Wenn ich über dieses Land hier hinschreite und den Überreichtum der Vegetation bewundere, wenn ich durch die Oase des Todes droben auf den Hügeln wate, denn dort hat sich der Sand verzweifelt gegen alles Grün bis auf ein paar Palmen gewehrt – wenn ich in den Wäldern drunten am breiten Seering die zahllosen schillernden, bunten Vögel höre und sehe, denn wie verkehrt ist es doch, den tropischen Vögeln die Kunst des Gesanges abzusprechen, dann erinnern mich die halb im Wasser auf rötlichen Schlammbänken stehenden Marabus (ein Marabut ist ein mohammedanischer Einsiedler oder Heiliger) und vieles andere an einen fernen See auf einer fernen großen Insel, an dem einst meines Freundes Chi Api verborgenes Reich lag. Dann glaube ich, wenn ich die Augen schließe, zwei behaarte Arme um meinen Hals zu spüren und das zärtliche Zwitschern Peter-Mauglis zu vernehmen, der mich so sehr geliebt hat, so treu und innig, wie vielleicht nur Affen lieben können, eben die kleinen, langschwänzigen Kapuzineräffchen …

Mein Freund Fennek kann nicht so zärtlich sein. Das hat ihm die Natur versagt. Genau wie es herbe, kühle Seelen unter den Menschen gibt, die aber vielleicht mehr inneren Gehalt haben als die allzeit überschwenglichen und mit Wort und Gebärde verschwenderischen.

Peter-Maugli, du lieber kleiner Kerl, du warst nicht überschwenglich, dein Herzchen sehnte sich nach Liebe.

Und du, kleiner spitzschnäuziger Mukki mit den Fledermausohren – wenn du dich auf meinen Fußspitzen oder in meinem Schoße zusammenringelst und deine großen Augen mich anstrahlen und aus der Kehle der sanfte, sanfte Seufzer des Wohlbehagens kommt und deine kühle Zunge meine Hand leckt oder dein Köpfchen sich wie jetzt an meinem Bein scheuert, dann weiß ich, was ich an dir habe, ich weiß es so fest, wie deine Treue ist.

Man sagt immer: Jung zu jung, alt zu alt …! – Das passe zueinander …

Bin ich so alt …?! – Für dich, Fennek-Freund, bin ich es nicht …

Nein, nur jemand anders hat das plötzlich herausgefunden und hat tagelang ein schlechtes Gewissen gehabt. Ich bin auch darüber hinweggekommen und spiele wieder den …

Doch alles zu seiner Zeit.

Durch mein Fenster weht ein ganz feiner Geruch von Petroleum, der hier für diese Insel kennzeichnend ist. Ohne diesen Geruch und das dazugehörige Erdöl, das drüben jenseits des Felswalles auf den Sumpflachen schwimmt und die spärlichen Insekten vernichtet, würden auf den Weideflächen dieser Musterfarm wohl kaum die Rinder so prächtig gedeihen.

Auf unserem wochenlangen Marsche von Nairobi bis hierher hatte ich mich stets gewundert, daß die Hütten der Massaii – nur wenige trafen wir – nie an Wasserstellen lagen und daß die Eingeborenen sich lieber der Mühe unterzogen, das Trinkwasser in Schläuchen und Kalabassen zu ihren Wohnplätzen zu schleppen, als ihr Vieh an die Wasserstellen zu treiben.

Die Tsetse-Fliege ist der Grund. Sie liebt die Feuchtigkeit, sie tötet Rinderherden, sie ist der kleine Unhold Ostafrikas heute wie einst trotz Serum und sonstiger Abwehrmittel. Der Reichtum der Massaii ist ihr Vieh, sind ihre Buckelrinder …

Hier auf dieser Insel gibt es keinen Moskito, keine Tsetse. Das Petroleum vernichtet die Brut, das Petroleum speist abends meine Lampe – es stinkt, aber daran gewöhnt man sich.

Und jetzt ist es Abend, hoch über mir blinken die Laternchen des Himmels, die Mondsichel aber steht noch tief über den endlosen Büschen des ungeheuren Sumpfgebietes.

Ich höre das unheimliche Röcheln der Krokodile, den schrillen Schrei der Nilgänse, das Pfeifen der Nachtfalken, das Kreischen der Affen, die in ihren altgewohnten Bäumen einander die Astplätze zur Nachtruhe streitig machen …

Es sind stets dieselben Abendkonzerte – wir sind bereits zwei Wochen hier und in meinem Blute ist auch schon wieder jene Unruhe, die mich abdrängt von den vielbetretenen Wegen des Alltags. – Was ich hier erlebe, ist nicht mehr Erleben, sondern lediglich der Trott harmloser friedlicher Tage. Die Kämpfe und die Ungewißheit liegen hinter uns. Sir Reginald und sein würdevoller Hofmarschall sind sehr zufrieden damit, Lizzie ist noch zufriedener, Sussik hat mich schmählich verlassen und ist auf dem Heimwege nach Norden, nach Nubien.

Was blieb mir?! – Eigentlich nur der kleine Fennek … Eines Tages, glaube ich, werden wir beide in aller Heimlichkeit in dem großen Flachboot zum Steppenufer rudern und … verschwinden.

Es sind mir bereits so viele Menschenschicksale durch die Finger geronnen wie buntfarbige Wasser, die nachher das Wasser des Lebens wieder wegspült und die Trösterin Zeit trocknet …

So viele …

Ich könnte sie herzählen, einen nach dem andern, beginnend mit Coy Cala, Chubur, Chico – die letzte rieselnde Farbe erstrahlte im Rot der Liebe, wurde zum Blau der Freundschaft und … verblaßt schon allmählich …

Lizzie Neworld, die gar nicht Neworld hieß, sondern …

Nun, sehr bald wird sie wieder anders und doch nicht anders heißen, in Nairobi wird ein steifleinerner Regierungsbeamter etwas in ein Buch eintragen – – und eine Ehe wird geschlossen werden …

Auch eine Seifenblase …

Ich glaube, ich schrieb einmal etwas über schillernde Seifenblasen. Ich glaube, ich werde auch dies überwinden und hinterher sehr froh sein, daß der Kelch an mir vorüberging.

Ich eigne mich nur zu Onkelrollen …

Mukki stößt energischer mit dem Schnäuzchen. Er sehnt sich nach dem Bett. Er schläft am Fußende, und wenn einmal nachts eine Schwalbe – es gibt hier sehr viele Nachtschwalben und freche Fledermäuse – durch das offene Fenster eindringt, dann fliegt er hoch und tanzt auf den Hinterbeinen im Mondlicht und schämt sich nachher, weil er die Schwalbe doch nicht erwischt hat – die Fledermaus erst recht nicht. Dann liegt er wieder im Bett halb auf meinen Füßen und schläft und träumt und wartet auf den Morgen … Morgens, das ist feststehendes Programm, spiele ich mit ihm … Er ist dann wie ein übermütiges Hündchen, schnappt zart nach meinen Fingern und spielt zuletzt Fellkragen und schmiegt sich um meinen Hals.

Ich werde trotzdem noch aufbleiben, denn drüben im großen Verandazimmer sind die Herrschaften noch sehr lebendig.

Percy Mac Oldyn hat mit dem Empfänger von Bombay oder von Java her Jazzmusik – Schallplatten – aus dem Äther eingefangen, und es fehlen hier nur noch elektrisches Licht, Warmwasserversorgung und ein vornehmer Hotelportier, um den Zauber der Einsamkeit gänzlich zu vernichten. Ich werde die Geschichte der Oase der Toten beenden.

Und … vielleicht werde ich um Mitternacht mein Ränzel schnüren und auf den Tisch ein paar Abschiedszeilen legen und … verduften …

* * *

 


 << zurück weiter >>